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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.12.2007
Aktenzeichen: C-77/05
Rechtsgebiete: VO (EG) Nr. 2007/2004
Vorschriften:
VO (EG) Nr. 2007/2004 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
18. Dezember 2007(*)
"Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 - Errichtung der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Gültigkeit"
Parteien:
In der Rechtssache C-77/05
betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG, eingereicht am 14. Februar 2005,
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch E. O'Neill und C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von A. Dashwood, Barrister,
Kläger,
unterstützt durch
Irland, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. Collins, SC, und P. McGarry, BL, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Republik Polen, vertreten durch J. Pietras als Bevollmächtigten,
Slowakische Republik, vertreten durch R. Procházka, J. Corba und B. Ricziová als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Schutte und R. Szostak als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Königreich Spanien, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O'Reilly als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts und A. Tizzano sowie der Richter R. Schintgen (Berichterstatter) und J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter J.-C. Bonichot, T. von Danwitz und A. Arabadjiev und der Richterin C. Toader,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2007,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Juli 2007
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland beantragt in seiner Klageschrift, die Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. L 349, S. 1) für nichtig zu erklären und die Wirkungen dieser Verordnung bis zum Erlass einer neuen, an ihre Stelle tretenden Verordnung aufrechtzuerhalten, soweit das Vereinigte Königreich nicht von der Beteiligung an ihrer Anwendung ausgeschlossen ist.
Rechtlicher Rahmen
Das Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands
2 Titel IV des Dritten Teils des EG-Vertrags (im Folgenden: Titel IV) schafft die Rechtsgrundlagen für den Erlass von Maßnahmen in den Bereichen Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr.
3 Das dem EU-Vertrag und dem EG-Vertrag durch den Vertrag von Amsterdam beigefügte Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands (im Folgenden: Protokoll zu Titel IV) betrifft die Beteiligung dieser Mitgliedstaaten an der Annahme von Maßnahmen aufgrund der Bestimmungen von Titel IV.
4 Nach Art. 1 des Protokolls zu Titel IV beteiligen sich das Vereinigte Königreich und Irland, vorbehaltlich des Art. 3 des Protokolls, nicht an der Annahme von Maßnahmen, die nach Titel IV vorgeschlagen werden; gemäß Art. 2 des Protokolls sind solche Maßnahmen für diese Mitgliedstaaten nicht bindend und auf sie nicht anwendbar.
5 In Art. 3 des Protokolls zu Titel IV heißt es:
"(1) Das Vereinigte Königreich oder Irland kann dem Präsidenten des Rates innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage eines Vorschlags oder einer Initiative gemäß Titel IV ... beim Rat schriftlich mitteilen, dass es sich an der Annahme und Anwendung der betreffenden Maßnahme beteiligen möchte, was dem betreffenden Staat daraufhin gestattet ist. ...
...
(2) Kann eine Maßnahme nach Absatz 1 nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums mit Beteiligung des Vereinigten Königreichs oder Irlands angenommen werden, so kann der Rat die betreffende Maßnahme nach Artikel 1 ohne Beteiligung des Vereinigten Königreichs oder Irlands annehmen. In diesem Fall findet Artikel 2 Anwendung."
6 Nach Art. 4 des Protokolls zu Titel IV sind das Vereinigte Königreich und Irland berechtigt, den im Rahmen des Titels IV bestehenden Maßnahmen jederzeit beizutreten. In diesem Fall findet das in Art. 11 Abs. 3 EG vorgesehene Verfahren sinngemäß Anwendung.
7 Art. 7 des Protokolls zu Titel IV lautet: "Die Artikel 3 und 4 berühren nicht das Protokoll über die Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union."
Das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union
8 Nach Art. 1 des dem EU-Vertrag und dem EG-Vertrag durch den Vertrag von Amsterdam beigefügten Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union (im Folgenden: Schengen-Protokoll) werden dreizehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermächtigt, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie er im Anhang zu diesem Protokoll beschrieben ist, zu begründen.
9 Der dort beschriebene Schengen-Besitzstand umfasst u. a. das am 14. Juni 1985 in Schengen (Luxemburg) unterzeichnete Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13, im Folgenden: Übereinkommen von Schengen) sowie das am 19. Juni 1990 ebenfalls in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ). Diese beiden Rechtsakte bilden zusammen die "Schengener Übereinkommen".
10 Art. 4 des Schengen-Protokolls lautet:
"Irland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die durch den Schengen-Besitzstand nicht gebunden sind, können jederzeit beantragen, dass einzelne oder alle Bestimmungen dieses Besitzstands auch auf sie Anwendung finden sollen.
Der Rat beschließt einstimmig über einen solchen Antrag, wobei die Einstimmigkeit mit den Stimmen seiner in Artikel 1 genannten Mitglieder und der Stimme des Vertreters der Regierung des betreffenden Staates zustande kommt."
11 Art. 5 des Schengen-Protokolls bestimmt:
"(1) Vorschläge und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands unterliegen den einschlägigen Bestimmungen der Verträge.
In diesem Zusammenhang gilt, sofern Irland oder das Vereinigte Königreich oder beide Länder dem Präsidenten des Rates nicht innerhalb eines vertretbaren Zeitraums schriftlich mitgeteilt haben, dass sie sich beteiligen möchten, die Ermächtigung nach Artikel 11 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und Artikel 40 des Vertrags über die Europäische Union gegenüber den in Artikel 1 genannten Mitgliedstaaten sowie gegenüber dem Vereinigten Königreich oder Irland als erteilt, sofern eines dieser beiden Länder sich in den betreffenden Bereichen der Zusammenarbeit beteiligen möchte.
(2) Die einschlägigen Bestimmungen der Verträge nach Absatz 1 Unterabsatz 1 finden auch dann Anwendung, wenn der Rat die in Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Maßnahmen nicht beschlossen hat."
12 Art. 8 des Schengen-Protokolls sieht vor:
"Bei den Verhandlungen über die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union gelten der Schengen-Besitzstand und weitere Maßnahmen, welche die Organe im Rahmen seines Anwendungsbereichs getroffen haben, als ein Besitzstand, der von allen Staaten, die Beitrittskandidaten sind, vollständig zu übernehmen ist."
Die Erklärungen zum Schengen-Protokoll
13 In der Erklärung Nr. 45 zu Artikel 4 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union (im Folgenden: Erklärung Nr. 45) ersuchen die Hohen Vertragsparteien den Rat, die Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften einzuholen, bevor er über einen Antrag nach diesem Artikel entscheidet. Ferner "verpflichten sie sich, die größtmöglichen Anstrengungen zu unternehmen, damit Irland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland - wenn sie dies wünschen - Artikel 4 des genannten Protokolls in Anspruch nehmen können, so dass der Rat in der Lage ist, die in jenem Artikel genannten Beschlüsse, und zwar zum Zeitpunkt des Inkrafttretens jenes Protokolls oder zu jedem späteren Zeitpunkt, zu fassen".
14 In der Erklärung Nr. 46 zu Artikel 5 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union (im Folgenden: Erklärung Nr. 46) übernehmen die Hohen Vertragsparteien "die Verpflichtung, sich nach besten Kräften dafür einzusetzen, dass ein Vorgehen unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten in den Bereichen des Schengen-Besitzstands ermöglicht wird, insbesondere wenn Irland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland nach Artikel 4 des [Schengen-Protokolls] einzelne oder alle Bestimmungen dieses Besitzstands übernommen haben".
Der Beschluss 2000/365/EG
15 Gestützt auf Art. 4 Abs. 2 des Schengen-Protokolls erließ der Rat am 29. Mai 2000 den Beschluss 2000/365/EG zum Antrag des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf sie anzuwenden (ABl. L 131, S. 43).
16 In Art. 1 dieses Beschlusses sind die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands aufgeführt, die auf das Vereinigte Königreich Anwendung finden.
17 Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses bestimmt:
"Ab dem Zeitpunkt der Annahme dieses Beschlusses gilt die Mitteilung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland an den Präsidenten des Rates nach Artikel 5 des Schengen-Protokolls, dass es sich an allen Vorschlägen und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands nach Artikel 1 beteiligen will, als unwiderruflich erfolgt. Diese Beteiligung erstreckt sich insoweit auf die in Artikel 5 Absatz 1 bzw. Absatz 2 genannten Gebiete, als die Vorschläge und Initiativen auf den Bestimmungen des Schengen-Besitzstands beruhen, an die sich diese Gebiete binden."
Die Verordnung Nr. 2007/2004
18 Wie sich aus ihrer Präambel ergibt, wurde die Verordnung Nr. 2007/2004 auf der Grundlage der Art. 62 Nr. 2 Buchst. a EG und 66 EG erlassen.
19 Die ersten vier Erwägungsgründe dieser Verordnung lauten:
"(1) Die Gemeinschaftspolitik im Bereich der Außengrenzen der EU zielt auf einen integrierten Grenzschutz ab, der ein einheitliches und hohes Kontroll- und Überwachungsniveau gewährleistet; dies ist eine notwendige Ergänzung des freien Personenverkehrs innerhalb der Europäischen Union und ein wesentliches Element des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Zu diesem Zweck ist die Festlegung gemeinsamer Vorschriften über Standards und Verfahren für die Kontrolle der Außengrenzen vorgesehen.
(2) Für eine wirksame Durchführung der gemeinsamen Vorschriften ist eine verstärkte Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten erforderlich.
(3) Unter Berücksichtigung der Erfahrungen der im Rahmen des Rates tätigen Gemeinsamen Fachinstanz 'Außengrenzen' sollte daher eine Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachstehend 'Agentur' genannt) als spezielle Fachinstanz zur Verbesserung der Koordinierung der operativen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen der Mitgliedstaaten errichtet werden.
(4) Die Verantwortung für die Kontrolle und die Überwachung der Außengrenzen obliegt den Mitgliedstaaten. Die Agentur sollte die Anwendung bestehender und künftiger Maßnahmen der Gemeinschaft zum Schutz der Außengrenzen erleichtern, indem sie die Aktionen der Mitgliedstaaten zur Durchführung dieser Maßnahmen koordiniert."
20 Aus den Erwägungsgründen 23 und 26 der Verordnung Nr. 2007/2004 geht hervor, dass sie eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands darstellen soll, mit der Folge, dass
- Delegationen der Republik Island und des Königreichs Norwegen dem Verwaltungsrat der Agentur als Mitglieder angehören sollten, wenn auch mit eingeschränktem Stimmrecht;
- das Königreich Dänemark - das sich nicht an der Annahme dieser Verordnung beteiligt, so dass diese für Dänemark nicht bindend oder anwendbar ist - innerhalb von sechs Monaten nach dem Erlass der Verordnung beschließen muss, ob es sie in nationales Recht umsetzt;
- das Vereinigte Königreich und Irland sich nicht an der Annahme der Verordnung beteiligen, so dass diese für sie nicht bindend oder anwendbar ist.
21 Im 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2007/2004, der das Vereinigte Königreich betrifft, heißt es:
"Diese Verordnung stellt eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands dar, an denen das Vereinigte Königreich sich gemäß dem Beschluss 2000/365 ... nicht beteiligt. Das Vereinigte Königreich beteiligt sich daher nicht an der Annahme dieser Verordnung, die für das Vereinigte Königreich nicht bindend oder anwendbar ist."
22 Art. 1 der Verordnung Nr. 2007/2004 bestimmt:
"(1) Es wird eine [Agentur] zur Verbesserung des integrierten Schutzes der Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union errichtet.
(2) In dem Bewusstsein, dass die Verantwortung für die Kontrolle und die Überwachung der Außengrenzen den Mitgliedstaaten obliegt, erleichtert die Agentur die Anwendung bestehender und künftiger Maßnahmen der Gemeinschaft im Zusammenhang mit dem Schutz der Außengrenzen und fördert ihre Wirksamkeit. Dies erfolgt durch die Koordinierung der Aktionen der Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Maßnahmen, womit sie zu einem wirksamen, hohen und einheitlichen Niveau der Personenkontrollen und der Überwachung der Außengrenzen der Mitgliedstaaten beiträgt.
(3) Die Agentur steht der Kommission und den Mitgliedstaaten außerdem mit der notwendigen technischen Unterstützung und Fachwissen im Bereich des Schutzes der Außengrenzen zur Seite und fördert die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
(4) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck 'Außengrenzen der Mitgliedstaaten' die Land- und Seegrenzen der Mitgliedstaaten sowie ihre Flug- und Seehäfen, auf die die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts über das Überschreiten der Außengrenzen durch Personen Anwendung finden."
23 Art. 2 der Verordnung Nr. 2007/2004 legt die wesentlichen Aufgaben der Agentur fest; dies sind insbesondere die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen, die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten einschließlich der Festlegung gemeinsamer Ausbildungsnormen, die Verfolgung der Entwicklungen der für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen relevanten Forschung, die Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, und die Bereitstellung der notwendigen Unterstützung für die Mitgliedstaaten bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen.
24 Nach Art. 2 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten, unbeschadet der Zuständigkeiten der Agentur, mit anderen Mitgliedstaaten und/oder Drittländern an den Außengrenzen weiterhin auf operativer Ebene zusammenarbeiten, soweit diese Zusammenarbeit die Tätigkeit der Agentur ergänzt. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch jegliche Handlung unterlassen, die den Betrieb der Agentur oder die Erreichung ihrer Ziele in Frage stellen könnte, und der Agentur über diese nicht im Rahmen der Agentur erfolgenden operativen Maßnahmen an den Außengrenzen berichten.
25 Nach Art. 3 der Verordnung Nr. 2007/2004 soll die Agentur außerdem Vorschläge der Mitgliedstaaten für gemeinsame Aktionen und Pilotprojekte bewerten, billigen und koordinieren und kann selbst solche Initiativen in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ergreifen. Sie kann auch beschließen, eine Kofinanzierung von gemeinsamen Aktionen und Pilotprojekten zu gewähren.
26 Nach Art. 5 der Verordnung erstellt die Agentur einen gemeinsamen zentralen Lehrplan für die Ausbildung von Grenzschutzbeamten und entwickelt diesen weiter; ferner bietet sie Schulungen auf europäischer Ebene für die Ausbilder der nationalen Grenzschutzbeamten der Mitgliedstaaten an. Sie soll auch Fortbildungskurse und Seminare über Themen im Zusammenhang mit der Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen und der Rückführung von Drittstaatsangehörigen für Beamte der zuständigen nationalen Dienste der Mitgliedstaaten anbieten.
27 Nach Art. 7 der Verordnung Nr. 2007/2004 erstellt und führt die Agentur ein Zentralregister der technischen Ausrüstungsgegenstände der Mitgliedstaaten für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen, die sie anhand einer Bedarfs- und Risikoanalyse der Agentur auf freiwilliger Basis anderen Mitgliedstaaten für einen vorübergehenden Zeitraum zur Verfügung zu stellen bereit sind.
28 Art. 12 der Verordnung lautet:
"(1) Die Agentur erleichtert die operative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit Irland und dem Vereinigten Königreich bei in ihren Tätigkeitsbereich fallenden Fragen, soweit dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach Artikel 2 Absatz 1 erforderlich ist.
(2) Zu der von der Agentur nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f) zu leistenden Unterstützung zählt die Organisation von gemeinsamen Rückführungsaktionen, an denen sich auch Irland oder das Vereinigte Königreich oder beide Staaten beteiligen.
(3) Die Anwendung dieser Verordnung auf die Grenzen Gibraltars wird bis zu dem Zeitpunkt ausgesetzt, zu dem eine Einigung über den Umfang der Maßnahmen betreffend das Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten durch Personen erzielt worden ist."
29 Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2007/2004 bestimmt:
"Länder, die bei der Umsetzung, Anwendung und Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands assoziiert sind, beteiligen sich an der Agentur. Sie entsenden jeweils einen Vertreter und einen Stellvertreter in den Verwaltungsrat. Nach den einschlägigen Bestimmungen der Abkommen über ihre Assoziierung werden Vereinbarungen erarbeitet, die unter anderem Art und Umfang der Beteiligung dieser Länder an den Arbeiten der Agentur sowie detaillierte Vorschriften dafür, einschließlich Bestimmungen zu Finanzbeiträgen und Personal, festlegen."
Sachverhalt
30 Am 11. November 2003 legte die Kommission dem Rat einen Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung der Agentur vor.
31 Am 11. Februar 2004 teilte das Vereinigte Königreich dem Rat mit, dass es sich an der Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 beteiligen wolle. Es nahm dabei auf die in Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 des Schengen-Protokolls und im Protokoll zu Titel IV vorgesehenen Notifizierungsverfahren Bezug.
32 Am 26. Oktober 2004 erließ der Rat die Verordnung Nr. 2007/2004. Trotz der Mitteilung vom 11. Februar 2004 wurde dem Vereinigten Königreich nicht die Beteiligung an der Annahme dieser Verordnung gestattet, weil sie eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands darstelle, an denen sich das Vereinigte Königreich gemäß dem Beschluss 2000/365 nicht beteilige.
33 Da das Vereinigte Königreich der Ansicht ist, dass die Weigerung des Rates, ihm die Beteiligung an der Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 zu gestatten, Art. 5 des Schengen-Protokolls verletze, hat es die vorliegende Klage erhoben.
Anträge der Parteien
34 Das Vereinigte Königreich beantragt,
- die Verordnung Nr. 2007/2004 für nichtig zu erklären;
- gemäß Art. 231 EG zu entscheiden, dass nach der Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 2007/2004 bis zum Erlass einer Neuregelung in diesem Bereich die Bestimmungen der Verordnung mit Ausnahme derjenigen fortgelten, die die Beteiligung des Vereinigten Königreichs an der Anwendung der Verordnung ausschließen;
- dem Rat die Kosten aufzuerlegen.
35 Der Rat beantragt, die Klage abzuweisen und dem Vereinigten Königreich die Kosten aufzuerlegen.
36 Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. August 2005 sind Irland, die Republik Polen und die Slowakische Republik als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs sowie das Königreich Spanien und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
37 Das Vereinigte Königreich trägt als Hauptargument vor, der Rat habe sich, als er es von dem Verfahren zur Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 ausgeschlossen habe, auf eine falsche Auslegung des Schengen-Protokolls gestützt und dessen Art. 5 verletzt.
38 Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der durch Art. 5 des Schengen-Protokolls geschaffene Mechanismus dem in Art. 4 dieses Protokolls vorgesehenen untergeordnet sei. Die Art. 4 und 5 seien voneinander unabhängig, so dass dem Vereinigten Königreich, wenn es sich an Maßnahmen aufgrund von Art. 5 beteiligen wolle, nicht zuvor nach Art. 4 gestattet worden sein müsse, an dem entsprechenden Schengen-Besitzstand teilzuhaben.
39 Die vom Rat vertretene Auslegung der Art. 4 und 5 des Schengen-Protokolls stehe in Widerspruch zur Systematik und zum Wortlaut dieser beiden Bestimmungen, verletze das Wesen des durch Art. 5 geschaffenen Mechanismus und sei mit der Erklärung Nr. 46 unvereinbar.
40 Außerdem würde diese Auslegung Art. 5 des Schengen-Protokolls seiner praktischen Wirksamkeit berauben, da mit ihm insbesondere für eine größtmögliche Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands an den Maßnahmen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands gesorgt werden solle, und sie sei weder zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 7 des Protokolls zu Titel IV noch zur Erhaltung der Integrität des Schengen-Besitzstands erforderlich. Eine solche Auslegung hätte jedenfalls völlig außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehende Auswirkungen und würde, da der Rat nach seiner gegenwärtigen Praxis ein "weites und unbestimmtes" Verständnis der "Vorschläge und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands" habe, dazu führen, dass der in Art. 5 vorgesehene Mechanismus in einer mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und den tragenden Grundsätzen verstärkter Zusammenarbeit unvereinbaren Weise ablaufen könnte.
41 Hilfsweise macht das Vereinigte Königreich geltend, wenn die vom Rat vertretene Auslegung der Art. 4 und 5 des Schengen-Protokolls zuträfe, müssten die Worte "Vorschläge und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands" in Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieses Protokolls dahin verstanden werden, dass sie sich nur auf untrennbar mit dem Schengen-Besitzstand verbundene Maßnahmen ("integrale Schengen-Maßnahmen") bezögen, wie etwa Maßnahmen zur Änderung von Bestimmungen dieses Besitzstands, denen sich das Vereinigte Königreich nicht anschließen könne, ohne sich zuvor an die zu ändernden Bestimmungen gebunden zu haben. Nicht in den Anwendungsbereich dieses Artikels fielen dagegen die nur "mit Schengen verbundenen" Maßnahmen, die zwar dazu dienen sollten, bestimmte Ziele des Schengen-Besitzstands weiterzuentwickeln oder zu ergänzen, aber mit diesem Besitzstand nicht so eng verbunden seien, dass dessen Integrität gefährdet wäre, wenn sich ein nicht am Besitzstand teilhabender Mitgliedstaat gleichwohl an der Annahme solcher Maßnahmen beteiligen könne. Bei der Annahme von Maßnahmen der letztgenannten Kategorie richte sich die Stellung des Vereinigten Königreichs deshalb nicht nach den Bestimmungen des genannten Protokolls, sondern je nach Fall nach den Bestimmungen des Protokolls zu Titel IV oder den einschlägigen Bestimmungen des "dritten Pfeilers". Da die Verordnung Nr. 2007/2004 dieser Kategorie von Maßnahmen zuzurechnen sei, hätte das Vereinigte Königreich nicht vom Verfahren zur Annahme dieser Verordnung ausgeschlossen werden dürfen.
42 Der Rat trägt erstens vor, Art. 5 des Schengen-Protokolls solle dem Vereinigten Königreich entgegen dessen Vorbringen kein Recht zuerkennen, sondern den am gesamten Schengen-Besitzstand teilhabenden Mitgliedstaaten zusichern, dass ihre Handlungen nicht durch die Vorbehalte anderer Mitgliedstaaten in Bezug auf die Beteiligung daran in Frage gestellt würden. Der Wortlaut von Art. 5 bestätige im Übrigen diese Auslegung, da er, im Unterschied zum Wortlaut der Art. 4 des Schengen-Protokolls und 3 des Protokolls zu Titel IV, ein solches Recht nicht ausdrücklich einräume.
43 Die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung von Art. 5 Abs. 1 des Schengen-Protokolls würde dem in Art. 4 des Protokolls vorgesehenen Genehmigungsverfahren seine praktische Wirksamkeit nehmen, denn wenn einem Mitgliedstaat nach diesem Artikel das Recht zur Beteiligung an der Annahme einer bestimmten Maßnahme verweigert worden sei, könnte er sich gleichwohl mittels des Verfahrens nach Art. 5 an jeder Maßnahme zur Weiterentwicklung des fraglichen Bereichs beteiligen. Die Integrität des Schengen-Besitzstands wäre daher nicht mehr gewährleistet, und Art. 7 des Protokolls zu Titel IV, wonach die Art. 3 und 4 dieses Protokolls nicht die Bestimmungen des Schengen-Protokolls berührten, wäre ebenfalls ohne praktische Wirksamkeit.
44 Zweitens werde die vom Vereinigten Königreich getroffene Unterscheidung zwischen "integralen Schengen-Maßnahmen" und den sogenannten nur "mit Schengen verbundenen Maßnahmen" weder durch das Primärrecht noch durch das abgeleitete Recht gedeckt. Die vom Vereinigten Königreich vorgeschlagene Definition der "mit Schengen verbundenen Maßnahmen" beruhe auf einem Fehlverständnis dessen, was eine Bedrohung für die Integrität des Schengen-Besitzstands darstellen könnte, und die fragliche Unterscheidung schaffe insofern unnötige Rechtsunsicherheit, als sie dazu führe, dass der Begriff "Maßnahme zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands" unterschiedlich zu verstehen sei, je nachdem, ob es sich um den Erlass einer auf die Republik Island und das Königreich Norwegen oder auf das Vereinigte Königreich und Irland Anwendung findenden Maßnahme handele.
45 Drittens sei der Standpunkt des Rates voll und ganz mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den im Bereich der verstärkten Zusammenarbeit geltenden Regeln vereinbar. Zum einen seien die Verfasser des Vertrags nicht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Zum anderen seien die Bestimmungen des EU-Vertrags und des EG-Vertrags über verstärkte Zusammenarbeit unbeschadet derjenigen des Schengen-Protokolls zu verstehen.
46 Irland vertritt die Auffassung, die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung der Art. 4 und 5 des Schengen-Protokolls entspreche dem Wortlaut dieser Artikel und der gegenwärtigen Praxis des Rates in Bezug auf die den Schengen-Besitzstand betreffenden Maßnahmen, zu deren Anwendung das Vereinigte Königreich und Irland ermächtigt worden seien. Diese Auslegung werde im Übrigen durch die verschiedenen der Schlussakte des Vertrags von Amsterdam beigefügten Erklärungen zum Schengen-Protokoll bestätigt. Der Rat habe auch nicht dartun können, dass im Fall der Beteiligung des Vereinigten Königreichs an der Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 eine konkrete Gefahr der Schädigung des Schengen-Besitzstands bestanden hätte.
47 Nach Ansicht der Republik Polen kann im Hinblick auf die Ungenauigkeit des Begriffs "Schengen-Besitzstand" nicht klar bestimmt werden, ob die Verordnung Nr. 2007/2004 zu diesem Besitzstand gehört oder ob sie lediglich dessen Weiterentwicklung darstellt. Sie sieht in der Verordnung allerdings eher eine Maßnahme zur Weiterentwicklung dieses Besitzstands. Das Recht des Vereinigten Königreichs, an Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands teilzuhaben, ergebe sich unmittelbar aus Art. 5 des Schengen-Protokolls und hänge nicht von der vorherigen Anwendung von Art. 4 dieses Protokolls ab. Es spreche im Übrigen nichts dagegen, dem Vereinigten Königreich die Beteiligung an der Annahme der genannten Verordnung zu gestatten, da diese Beteiligung weder für die Integrität oder die Funktionsfähigkeit des Schengen-Besitzstands noch für dessen Umsetzung eine Bedrohung darstelle.
48 Die Slowakische Republik führt aus, das Recht des Vereinigten Königreichs zur Beteiligung an der Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 hänge davon ab, dass keine Bedrohung für die Integrität und die Kohärenz des bereits geltenden Schengen-Besitzstands bestehe. Es sei Sache des Rates, den Beweis zu erbringen, dass die Beteiligung dieses Mitgliedstaats an der Anwendung der Verordnung eine solche Bedrohung darstelle. Im vorliegenden Fall gebe es diese Bedrohung nicht.
49 Das Königreich Spanien hält die Klage des Vereinigten Königreichs für unbegründet. Der Hauptantrag des Vereinigten Königreichs beruhe darauf, dass es sich ein hypothetisches, durch einen Artikel des Schengen-Protokolls verliehenes Recht beimesse, das ihm dort nicht zuerkannt werde. Die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung bedeute eine klare Gefahr für die Maßnahmen, die dank der durch dieses Protokoll geschaffenen verstärkten Zusammenarbeit bereits getroffen worden seien, da sie die Integrität und die Kohärenz des Schengen-Besitzstands gefährde. Der Hilfsantrag des Vereinigten Königreichs lasse außer Acht, dass der Rat festzulegen habe, welche Maßnahmen als Maßnahmen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands anzusehen seien, und dass es einem nicht zu den Parteien der Schengener Übereinkommen gehörenden Mitgliedstaat nicht zustehe, diese Festlegung vorzunehmen.
50 Die Kommission hebt hervor, dass das wesentliche Merkmal der verstärkten Zusammenarbeit im Allgemeinen und des Schengen-Besitzstands im Besonderen ihre Integrität sei. Die Wahrung und der Schutz dieser Integrität sowie die Kohärenz des Schengen-Besitzstands seien daher grundlegende Anliegen. Nach dem Schengen-Protokoll komme zwar eine teilweise Beteiligung eines Mitgliedstaats, der nicht zu den Parteien der Schengener Übereinkommen gehöre, in Betracht; es gehe aber nicht so weit, dass es den betreffenden Mitgliedstaaten eine "freie Auswahl" gewähre, die zu einem Flickwerk von Beteiligungen und Verpflichtungen führen würde.
51 Die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung der Art. 4 und 5 des Schengen-Protokolls stehe in Widerspruch zur Systematik und zum Grundgedanken dieses Protokolls und sei der Kohärenz und der Integrität des Schengen-Besitzstands abträglich.
52 Im Übrigen handele es sich bei den Worten "auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands" in Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 des Schengen-Protokolls nicht um einen "weiten und unbestimmten" Begriff der Maßnahmen, die von den an einer Aktion der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten getroffen werden könnten, während sich die Entscheidung, einen Vorschlag als "Maßnahme auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands" einzustufen, kaum von der Entscheidung unterscheide, die auf die Festlegung der geeigneten Rechtsgrundlage für die Annahme eines Rechtsakts der Gemeinschaft gerichtet sei.
53 Schließlich sei die Errichtung der Agentur aufgrund von deren besonderer Natur eine "integrale Schengen-Maßnahme" in dem vom Vereinigten Königreich verstandenen Sinne, und ihre Errichtung sei untrennbar mit dem Schengen-Besitzstand verbunden. Außerdem stehe die Agentur in Verbindung zu einem Bereich dieses Besitzstands, an dem das Vereinigte Königreich sich nicht zu beteiligen beschlossen habe. Es sei daher legitim, dass ihm nicht gestattet worden sei, an der Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 mitzuwirken.
Würdigung durch den Gerichtshof
54 Um über das Hauptvorbringen des Vereinigten Königreichs entscheiden zu können, ist zu prüfen, ob Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 des Schengen-Protokolls dahin auszulegen ist, dass er nur für Vorschläge und Initiativen auf der Grundlage eines Bereichs des Schengen-Besitzstands gilt, zu dessen Anwendung das Vereinigte Königreich und/oder Irland nach Art. 4 des genannten Protokolls ermächtigt wurden, oder ob, wie das Vereinigte Königreich geltend macht, diese beiden Bestimmungen im Gegenteil als voneinander unabhängig anzusehen sind.
55 Dabei ist nicht nur der Wortlaut der fraglichen Bestimmungen zu berücksichtigen, sondern auch ihre Systematik, der Kontext, in dem sie stehen, das mit ihnen verfolgte Ziel und ihre praktische Wirksamkeit.
56 In Art. 1 des Schengen-Protokolls werden dreizehn Mitgliedstaaten ermächtigt, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des diese Staaten bindenden Schengen-Besitzstands zu begründen. Wie ferner aus Art. 2 des Protokolls hervorgeht, sind alle im Rahmen der Umsetzung dieser verstärkten Zusammenarbeit getroffenen Maßnahmen als Bestandteil dieses Besitzstands anzusehen, der im Übrigen nach Art. 8 des Protokolls von den Beitrittskandidaten vollständig zu übernehmen ist.
57 Da das Vereinigte Königreich und Irland als einzige Mitgliedstaaten nicht Parteien der Schengener Übereinkommen sind, die die Grundlage für die genannte verstärkte Zusammenarbeit bilden, befinden sich diese beiden Staaten in einer besonderen Situation, der das Schengen-Protokoll in doppelter Hinsicht Rechnung getragen hat.
58 Zum einen ist diesen beiden Mitgliedstaaten nach Art. 4 des Schengen-Protokolls die Befugnis vorbehalten, jederzeit zu beantragen, dass einzelne Bestimmungen des Besitzstands in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung auch auf sie Anwendung finden sollen. Zum anderen sind sie nach Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 des Protokolls befugt, sich nicht an Vorschlägen und Initiativen auf der Grundlage des Besitzstands zu beteiligen.
59 Diese beiden Bestimmungen betreffen somit zwar zwei verschiedene Aspekte des Schengen-Besitzstands, doch kann allein daraus nicht abgeleitet werden, dass sie unabhängig voneinander zu lesen sind.
60 Wie sich nämlich aus der Verwendung der Worte "Vorschläge und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands" in Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 des Schengen-Protokolls ergibt, beruhen die Maßnahmen, auf die sich diese Bestimmung bezieht, auf dem Schengen-Besitzstand im Sinne von Art. 4 des Protokolls und stellen nur dessen Umsetzung oder Weiterentwicklung dar.
61 Logischerweise müssen solche Maßnahmen aber mit den Bestimmungen, die sie umsetzen oder deren Weiterentwicklung sie darstellen, in Einklang stehen, so dass sie die Billigung sowohl dieser Bestimmungen als auch der Grundsätze voraussetzen, auf denen sie beruhen.
62 Folglich kommt die Beteiligung eines Mitgliedstaats an der Annahme einer Maßnahme in Anwendung von Art. 5 Abs. 1 des Schengen-Protokolls nur in Betracht, soweit dieser Staat durch den Bereich des Schengen-Besitzstands gebunden ist, zu dem die zu erlassende Maßnahme gehört oder dessen Weiterentwicklung sie darstellt.
63 Unter diesen Umständen kann, da Art. 4 des Schengen-Protokolls dem Vereinigten Königreich und Irland die Möglichkeit gibt, den Schengen-Besitzstand zu übernehmen, diesen Mitgliedstaaten die Beteiligung an der Annahme einer Maßnahme nach Art. 5 Abs. 1 des Protokolls nicht gestattet werden, wenn sie nicht zuvor vom Rat ermächtigt wurden, sich an den Bereich des Schengen-Besitzstands zu binden, in dem die fragliche Maßnahme ihre Grundlage hat.
64 Darüber hinaus steht die vorstehende Auslegung in Einklang mit dem sowohl durch Art. 4 des Schengen-Protokolls als auch durch dessen Art. 5 verfolgten Ziel, und sie ist geeignet, die praktische Wirksamkeit jeder dieser beiden Bestimmungen voll und ganz zu gewährleisten.
65 Diese Auslegung beeinträchtigt nämlich nicht die dem Vereinigten Königreich und Irland durch Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 des Schengen-Protokolls vorbehaltene Möglichkeit, dass sie, auch nachdem sie ermächtigt wurden, sich ganz oder teilweise an den Schengen-Besitzstand zu binden, beschließen, sich nicht am Erlass von Maßnahmen zur Umsetzung oder Weiterentwicklung der Teile des Besitzstands zu beteiligen, zu deren Übernahme sie ermächtigt wurden.
66 Außerdem erlaubt es eine solche Auslegung, sowohl dem Wortlaut als auch dem Zweck von Art. 4 des Schengen-Protokolls Rechnung zu tragen, denn die Flexibilität, die den beiden Mitgliedstaaten damit durch Art. 5 des Protokolls hinsichtlich ihrer Wahlfreiheit bei der Übernahme von Umsetzungs- und Weiterentwicklungsmaßnahmen des Schengen-Besitzstands geboten wird, ist geeignet, die Vorbehalte auszuräumen, die diese Staaten ohne eine solche Wahlmöglichkeit gegenüber der Annahme der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands haben könnten, und kann sie dadurch ermuntern, von der ihnen durch Art. 4 eingeräumten Befugnis so umfassend wie möglich Gebrauch zu machen.
67 Dagegen hätte die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung zur Folge, dass Art. 4 des Schengen-Protokolls jede praktische Wirksamkeit genommen würde, da sich das Vereinigte Königreich und Irland nach Art. 5 Abs. 1 des Protokolls an allen Vorschlägen und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands beteiligen könnten, obwohl sie nicht durch die einschlägigen Bestimmungen dieses Besitzstands gebunden sind oder nicht gemäß Art. 4 Abs. 2 des Protokolls zu ihrer Anwendung ermächtigt wurden. Wie aus der Erklärung Nr. 45 hervorgeht, hat Art. 4 aber insofern grundlegende Bedeutung im Rahmen des durch das Schengen-Protokoll geschaffenen Mechanismus, als er für eine größtmögliche Beteiligung aller Mitgliedstaaten am Schengen-Besitzstand sorgen soll.
68 Aus diesen Erwägungen ist zu schließen, dass der vom Vereinigten Königreich vertretenen Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 des Schengen-Protokolls nicht gefolgt werden kann und dass diese Bestimmung so zu verstehen ist, dass sie nur für Vorschläge und Initiativen auf der Grundlage eines Bereichs des Schengen-Besitzstands gilt, zu dessen Anwendung das Vereinigte Königreich und Irland nach Art. 4 des Protokolls ermächtigt wurden.
69 Diese Auslegung wird überdies durch Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses 2000/365 bestätigt, aus dem sich ebenfalls ergibt, dass die Beteiligung an Vorschlägen und Initiativen auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands nur in Betracht kommt, wenn dessen Bestimmungen, auf die sich diese Vorschläge oder Initiativen beziehen, in dem Mitgliedstaat, der sich beteiligen möchte, Anwendung finden; dies setzt voraus, dass sich der betreffende Mitgliedstaat zuvor an den fraglichen Besitzstand gebunden hat.
70 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass das Vereinigte Königreich nicht durch den Bereich des Schengen-Besitzstands - das Überschreiten der Außengrenzen - gebunden ist, zu dem die Verordnung Nr. 2007/2004 gehört.
71 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Rat, als er dem Vereinigten Königreich das Recht zur Beteiligung an der Annahme der Verordnung Nr. 2007/2004 mit der Begründung versagte, dass dieser Mitgliedstaat zuvor nicht zur Beteiligung an dem Bereich der Zusammenarbeit, zu dem diese Verordnung gehöre, ermächtigt worden sei, Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 des Schengen-Protokolls nicht falsch ausgelegt und angewandt hat.
72 Folglich ist das Hauptvorbringen des Vereinigten Königreichs zur Stützung der vorliegenden Nichtigkeitsklage als unbegründet zurückzuweisen.
73 Zum Hilfsvorbringen des Vereinigten Königreichs ist zunächst hervorzuheben, dass die von diesem Mitgliedstaat getroffene Unterscheidung zwischen Maßnahmen, die er als "integrale Schengen-Maßnahmen" einstuft, und solchen, die er als bloße "mit Schengen verbundene Maßnahmen" ansieht, weder im EU- und im EG-Vertrag noch im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht eine Grundlage hat.
74 Ferner räumt das Vereinigte Königreich, obwohl es die vom Rat vorgenommene Einstufung beanstandet, selbst ein, dass die Verordnung Nr. 2007/2004 einen Zusammenhang mit den Bestimmungen des Schengen-Besitzstands aufweist, da es die Ansicht vertritt, dass gleichwohl eine "mit Schengen verbundene Maßnahme" vorliege.
75 Ungeachtet dieser Erwägungen und des Umstands, dass im vorliegenden Fall die dem Rat zur Last gelegte falsche Einstufung nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wahl der Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung Nr. 2007/2004 - den Art. 62 Nr. 2 Buchst. a EG und 66 EG - steht, ist festzustellen, dass sich die Einstufung der Verordnung Nr. 2007/2004 durch den Rat als Maßnahme zur Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands, ebenso wie die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts der Gemeinschaft, unmittelbar auf die Festlegung der das Verfahren zum Erlass dieser Verordnung regelnden Bestimmungen auswirkte und damit auch auf die Möglichkeit des Vereinigten Königreichs, sich an diesem Verfahren zu beteiligen.
76 Da nämlich die Ausübung der Befugnis des Vereinigten Königreichs, sich an der Annahme eines gemäß den Bestimmungen von Titel IV vorgelegten Vorschlags zu beteiligen, nach Art. 3 Abs. 1 des Protokolls zu Titel IV nur von der Einhaltung der dort vorgesehenen Notifizierungsfrist abhängt, wirkte sich die Einstufung der Verordnung Nr. 2007/2004 als Maßnahme zur Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands unmittelbar auf die dem genannten Mitgliedstaat zuerkannten Rechte aus.
77 In Anbetracht dieser Feststellung ist analog zu den für die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts der Gemeinschaft geltenden Grundsätzen davon auszugehen, dass sich in einer Situation wie der hier vorliegenden die Einstufung eines Rechtsakts der Gemeinschaft, der einen Vorschlag oder eine Initiative auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 des Schengen-Protokolls enthält, auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muss, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (vgl. Urteile vom 11. Juni 1991, Kommission/Rat, "Titandioxid", C-300/89, Slg. 1991, I-2867, Randnr. 10, vom 13. September 2005, Kommission/Rat, C-176/03, Slg. 2005, I-7879, Randnr. 45, und vom 23. Oktober 2007, Kommission/Rat, C-440/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 61).
78 Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob - wie das Vereinigte Königreich vorträgt - der Rat nicht berechtigt war, die Verordnung Nr. 2007/2004 als Maßnahme zur Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands einzustufen.
79 Zur Zielsetzung der Verordnung Nr. 2007/2004 geht aus ihren ersten drei Erwägungsgründen und aus ihrem Art. 1 Abs. 1 und 2 hervor, dass sie zur Verbesserung des integrierten Schutzes der Außengrenzen dienen und die Anwendung der gemeinsamen Vorschriften über Standards und Verfahren für die Kontrolle dieser Grenzen erleichtern und wirksamer machen soll.
80 Was den Inhalt der Verordnung Nr. 2007/2004 betrifft, so hat die durch sie errichtete Agentur nach ihrem dritten Erwägungsgrund und ihrem Art. 2 insbesondere die Aufgabe, die operative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen zu koordinieren, die Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten zu unterstützen und sie in Situationen zu unterstützen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern.
81 Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die gemeinsamen Vorschriften, auf die die Verordnung Nr. 2007/2004 Bezug nimmt und die im Rahmen des integrierten Schutzes der Außengrenzen anzuwenden sind, im Gemeinsamen Handbuch des durch das SDÜ eingesetzten Exekutivausschusses (ABl. 2002, C 313, S. 97) festgelegt wurden.
82 Wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 790/2001 des Rates vom 24. April 2001 zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen an den Rat im Hinblick auf bestimmte detaillierte Vorschriften und praktische Verfahren für die Durchführung der Grenzkontrollen und die Überwachung der Grenzen (ABl. L 116, S. 5) ergibt, wurde dieses Handbuch im Hinblick auf die Durchführung von Titel II Kapitel 2 - "Überschreiten der Außengrenzen" - des SDÜ ausgearbeitet und gehört nach Art. 1 des Beschlusses 1999/435/EG des Rates vom 20. Mai 1999 zur Bestimmung des Schengen-Besitzstands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlagen für jede Bestimmung und jeden Beschluss, die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union (ABl. L 176, S. 1) zum Schengen-Besitzstand im Sinne von Art. 1 des Schengen-Protokolls.
83 Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass sich sowohl aus der Überschrift als auch aus dem vierten Absatz der Präambel des Übereinkommens von Schengen sowie aus dessen Art. 17 ergibt, dass das Hauptziel dieses Übereinkommens der Abbau der Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen der Mitgliedstaaten und die Verlegung dieser Kontrollen an ihre Außengrenzen ist. Die Bedeutung dieses Ziels im Rahmen der Schengener Übereinkommen wird durch die Stellung der Bestimmungen über das Überschreiten der Außengrenzen im SDÜ und durch den Umstand unterstrichen, dass nach den Art. 6 und 7 des SDÜ die Kontrollen an den Außengrenzen nach einheitlichen Grundsätzen vorzunehmen sind, wobei die Mitgliedstaaten zur wirksamen Durchführung dieser Kontrollen eine enge und ständige Zusammenarbeit pflegen sollen.
84 Folglich sind die Personenkontrollen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten und damit die wirksame Umsetzung der gemeinsamen Vorschriften über Standards und Verfahren für diese Kontrollen als Bestandteile des Schengen-Besitzstands anzusehen.
85 Da die Verordnung Nr. 2007/2004, wie aus den Randnrn. 79 und 80 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Verbesserung dieser Kontrollen sowohl zum Ziel als auch zum Inhalt hat, ist diese Verordnung als Maßnahme auf der Grundlage des Schengen-Besitzstands im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 des Schengen-Protokolls anzusehen.
86 Unter diesen Umständen hat der Rat die Verordnung Nr. 2007/2004 zu Recht als Maßnahme zur Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands eingestuft.
87 Auch dem Hilfsvorbringen des Vereinigten Königreichs kann deshalb nicht gefolgt werden.
88 Der Antrag des Vereinigten Königreichs auf Nichtigerklärung der Verordnung Nr. 2007/2004 greift daher nicht durch; infolgedessen hat der Gerichtshof nicht über den Antrag dieses Mitgliedstaats auf Aufrechterhaltung der Wirkungen der genannten Verordnung zu entscheiden.
89 Somit ist die Klage des Vereinigten Königreichs abzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
90 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat die Verurteilung des Vereinigten Königreichs beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten und Organe ihre eigenen Kosten.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt die Kosten.
3. Das Königreich Spanien, Irland, die Republik Polen, die Slowakische Republik und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
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