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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.2002
Aktenzeichen: C-79/01
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 43
EGV Art. 49
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 43 EG ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, die externe Datenverarbeitungszentren mit der Erstellung und dem Druck ihrer Lohnzettel betrauen möchten, nur solche Zentren in Anspruch nehmen können, die ausschließlich von Personen, die in diesem Mitgliedstaat in die Listen bestimmter Berufsstände eingetragen sind, errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, wenn nach diesen Rechtsvorschriften Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten externe Datenverarbeitungszentren mit derartigen Tätigkeiten betrauen können, sofern nur diese Zentren sich von einer oder mehreren solchen Personen unterstützen lassen.

Auch wenn im vorliegenden Fall das Verbot für DVZ, die nicht ausschließlich von Arbeitsberatern und ihnen gleichgestellten Personen errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten Dienstleistungen für die Erstellung und den Druck von Lohnzetteln anzubieten, nicht unmittelbar diskriminierend ist, so bildet es doch für einen Wirtschaftsteilnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik niedergelassen ist, ein Hindernis dafür, seine Tätigkeit über eine Niederlassung in diesem Mitgliedstaat auszuüben, was eine Beschränkung im Sinne des Artikels 43 EG darstellt.

Nach ständiger Rechtsprechung können jedoch derartige Maßnahmen, die für alle im Aufnahmemitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gelten, gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und soweit sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Insoweit ist zu bemerken, dass nach den italienischen Rechtsvorschriften die DVZ, die nicht ausschließlich von Arbeitsberatern und ihnen gleichgestellten Personen errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten Dienstleistungen der Erstellung und des Drucks von Lohnzetteln anbieten können, wobei diese Beschäftigten insoweit keinen geringeren Schutz verdienen dürften als die, die für Unternehmen mit einer geringeren Beschäftigtenzahl arbeiten. Da die fraglichen Aufgaben nicht weniger komplex sein können, wenn die Zahl der betreffenden Arbeitnehmer steigt, geht die streitige Bestimmung auf jeden Fall über das hinaus, was zur Erreichung ihres Schutzziels erforderlich ist.

( vgl. Randnrn. 27-28, 36-37, 39 und Tenor )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 17. Oktober 2002. - Payroll Data Services (Italy) Srl, ADP Europe SA und ADP GSI SA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Corte d'appello di Milano - Italien. - Niederlassungsfreiheit - Freier Dienstleistungsverkehr - Tätigkeit des Erstellens und Druckens von Lohnzetteln. - Rechtssache C-79/01.

Parteien:

In der Rechtssache C-79/01

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG von der Corte d'appello Mailand (Italien) in dem bei dieser anhängigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (giurisdizione volontaria)

Payroll Data Services (Italy) Srl,

ADP Europe SA

und

ADP GSI SA

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 43 EG und 49 EG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), D. A. O. Edward, P. Jann und S. von Bahr,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: M.-F. Contet, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Payroll Data Services (Italy) Srl, der ADP Europe SA und der ADP GSI SA, vertreten durch L. G. Radicati di Brozolo, M. Merola und D. P. Domenicucci, avvocati,

- der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von F. Quadri, avvocato dello Stato,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Di Bucci und M. Patakia als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Payroll Data Services (Italy) Srl, der ADP Europe SA und der ADP GSI SA, vertreten durch L. G. Radicati di Brozolo, avvocato, der italienischen Regierung, vertreten durch M. Massella Ducci Teri, avvocato dello Stato, und der Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, in der Sitzung vom 14. März 2002,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Mai 2002,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Corte d'appello Mailand hat mit Beschluss vom 29. Januar 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung der Artikel 43 EG und 49 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Tribunale Mailand, mit dem dieses die Genehmigung einer Änderung der Satzung der Payroll Data Services (Italy) Srl (im Folgenden: Payroll) abgelehnt hat.

Nationaler rechtlicher Rahmen

3 Artikel 1 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 12 vom 11. Januar 1979 zur Regelung des Berufes des Arbeitsberaters (Norme per l'ordinamento della professione di consulente del lavoro, GURI Nr. 20 vom 20. Januar 1979, S. 363, im Folgenden: Gesetz Nr. 12/1979) bestimmt:

Alle Verpflichtungen bezüglich Beschäftigung, Vorsorge und Sozialversicherung von Arbeitnehmern dürfen, wenn sie nicht vom Arbeitgeber unmittelbar oder über seine Arbeitnehmer erfuellt werden, nur von denjenigen übernommen werden, die entweder in der Liste der Arbeitsberater oder aber in der Liste der Rechtsanwälte, der Diplomkaufleute, der Buch- und der Wirtschaftsprüfer eingetragen sind, die in diesem Fall ihre Tätigkeit dem Arbeitsinspektor der Provinz anzeigen müssen, in der sie die genannten Verpflichtungen erfuellen wollen."

4 Artikel 1 Absatz 4 des Gesetzes Nr. 12/1979 sieht eine Ausnahme von dieser Regel vor:

Die... als Handwerksbetriebe eingestuften Unternehmen sowie die anderen kleinen Unternehmen einschließlich der Genossenschaften können die Erfuellung der Verpflichtungen im Sinne von Absatz 1 auf von den jeweiligen Berufsorganisationen eingerichtete Dienste übertragen. Diese Dienste können mit Hilfe der Arbeitsberater organisiert werden, auch wenn diese Arbeitnehmer der genannten Organisationen sind."

5 Mit Artikel 58 Absatz 16 des Gesetzes Nr. 144 vom 17. Mai 1999 über Investitionsmaßnahmen, die Beauftragung der Regierung mit der Neuregelung der Beschäftigungsanreize und die Regelung über die INAIL [Nationale Versicherungsanstalt für Arbeitsunfälle] sowie die Neuordnung der Versicherungsträger (Misure in materia di investimenti, delega al governo per il riordino degli incentivi all'occupazione e della normativa che disciplina l'INAIL, nonché disposizioni per il riordino degli enti previdenziali, suppl. ord. alla GURI Nr. 118 vom 22. Mai 1999, neu veröffentlicht in GURI Nr. 136 vom 12. Juni 1999, S. 5, im Folgenden: Gesetz Nr. 144/1999) wurde Artikel 1 des Gesetzes Nr. 12/1979 folgende Bestimmung angefügt:

Zur Durchführung der Berechnungen und des Drucks im Zusammenhang mit den Verpflichtungen im Sinne von Absatz 1 sowie der damit verbundenen Hilfs- und Nebentätigkeiten können die in Absatz 4 bezeichneten Unternehmen auch Datenverarbeitungszentren in Anspruch nehmen, die ausschließlich von Personen, die in den in diesem Gesetz genannten berufsständischen Listen eingetragen sind, errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen.... Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, die sich für solche Tätigkeiten nicht eigener interner Strukturen bedienen, können diese - auch eigens dazu errichteten oder externen - Datenverarbeitungszentren übertragen, die jedoch von mindestens einer der in Absatz 1 bezeichneten Personen betreut werden müssen.

..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

6 Payroll ist eine Gesellschaft italienischen Rechts, die am 29. Juli 1999 von zwei französischen Gesellschaften, der ADP Europe SA und der ADP GSI SA, die das gesamte Gesellschaftskapital halten, gegründet wurde. Diese Unternehmen bieten EDV-Dienstleistungen für die Berechnung von Arbeitsentgelten sowie die Erstellung und den Druck von Lohnzetteln an.

7 Mit Beschluss vom 29. Dezember 1999 änderte die außerordentliche Gesellschafterversammlung von Payroll den in Artikel 4 ihrer Satzung niedergelegten Gesellschaftszweck wie folgt:

Zweck der Gesellschaft ist die Berechnung und der Druck im Zusammenhang mit den Verpflichtungen bezüglich Beschäftigung, Vorsorge und Sozialversicherung von Arbeitnehmern für Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten."

8 Mit Beschluss vom 16. Oktober 2000 lehnte das Tribunale Mailand die Genehmigung dieses Beschlusses der außerordentlichen Gesellschafterversammlung von Payroll ab. Das Gericht begründete seinen Beschluss damit, dass die Satzungsänderung in Bezug auf den Zweck von Payroll gegen Artikel 1 des Gesetzes Nr. 12/1979 in der Fassung des Artikels 58 Absatz 16 des Gesetzes Nr. 144/1999 (im Folgenden: streitige Bestimmung) verstoßen könne.

9 Payroll, die ADP Europe SA und die ADP GSI SA (im Folgenden: Payroll u. a.) beantragten bei der Corte d'appello Mailand die Aufhebung dieses Beschlusses des Tribunale Mailand, weil die streitige Bestimmung aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit den sich aus den Artikeln 43 EG und 49 EG ergebenden Grundsätzen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nicht angewandt werden dürfe. Ihrer Auffassung nach dient die streitige Bestimmung allein dazu, die in eine berufsständische Liste eingetragenen Personen vor Konkurrenz zu schützen, ohne dass ein im Allgemeininteresse liegender Grund dies gebiete.

10 Dazu führt die Corte d'appello Mailand aus, das ihr vorgelegte Problem beschränke sich auf die Prüfung der festgestellten Unvereinbarkeit zwischen den Dienstleistungen, die in der Änderung der Satzung von Payroll beschrieben würden und die auf Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten" abzielten, und der streitigen Bestimmung, die es ausschließe, dass diese Dienstleistungen an externe Datenverarbeitungszentren (im Folgenden: DVZ) vergeben werden könnten, wenn das auftraggebende Unternehmen weniger als 250 Beschäftigte habe. Das Gericht betont diese Beschränkung, da Payroll u. a. die Vorschriften zur Regelung der Tätigkeit der Arbeitsberater sehr allgemein kritisiert hätten, was aber im Rahmen des bei ihm anhängigen Genehmigungsverfahrens nicht erheblich zu sein scheine.

11 Die Corte d'appello Mailand ist daher der Auffassung, dass sie zu prüfen habe, ob die Änderung der Satzung von Payroll nach der streitigen Bestimmung tatsächlich verboten sei und, wenn dies der Fall sei, ob sie diese Bestimmung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den sich aus den Artikeln 43 EG und 49 EG ergebenden Grundsätzen nicht anwenden dürfe. Zu der ersten Frage stellt sie fest, dass die streitige Bestimmung offenbar eindeutig sei, soweit sie die DVZ von der Erbringung von Dienstleistungen an Handwerksunternehmen, kleine Unternehmen und Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten ausschließe. In Bezug auf die zweite Frage schließt die Corte d'appello Mailand nicht aus, dass die streitige Bestimmung gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Der Gerichtshof habe zwar ausgeführt, dass eine nichtdiskriminierende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs unter bestimmten Bedingungen gerechtfertigt sein könne; sie frage sich jedoch, ob diese Bedingungen im Ausgangsverfahren erfuellt seien.

12 Da die Corte d'appello Mailand also der Ansicht ist, dass der Ausgang des bei ihr anhängigen Verfahrens von der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften abhänge, hat sie dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen die Artikel 43 EG und 49 EG der Anwendung von Artikel 1 des Gesetzes Nr. 12 vom 11. Januar 1979 in der durch Artikel 58 Absatz 16 des Gesetzes Nr. 144 vom 17. Mai 1999... geänderten Fassung durch ein nationales Gericht entgegen, soweit es danach externen Dienstleistungsunternehmen, die Lohnzettel erstellen und drucken, absolut untersagt ist, ihre Dienstleistungen Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten zu erbringen?

Zur Vorlagefrage

Erklärungen gegenüber dem Gerichtshof

13 Zu der in Artikel 43 EG gewährleisteten Niederlassungsfreiheit führen Payroll u. a. und die Kommission aus, dass nach ständiger Rechtsprechung die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die unterschiedslos auf inländische Dienstleister und auf solche aus anderen Mitgliedstaaten anwendbar seien, die Ausübung der vom EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten nur dann beschränken könnten, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien, wenn sie geeignet seien, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich sei.

14 Insoweit machen Payroll u. a. geltend, die streitige Bestimmung schütze die Interessen der Arbeitsberater und diese Interessen ließen sich nicht als Allgemeininteressen nichtwirtschaftlicher Art im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes einstufen. Angesichts der mit ihr bewirkten Aufteilung des Marktes schütze die streitige Bestimmung nicht auch die Interessen der Arbeitnehmer.

15 Die Kommission führt aus, die streitige Bestimmung scheine nicht geeignet, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, da die mit ihr eingeführte Beschränkung auf Dienstleistungen von DVZ für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten keine Anwendung finde.

16 Zu dem in Artikel 49 EG gewährleisteten freien Dienstleistungsverkehr tragen Payroll u. a. und die Kommission vor, die streitige Bestimmung beschränke auch dessen Ausübung, wobei diese Beschränkung ebenso begründet werde und ebenso wenig gerechtfertigt sei wie die der Niederlassungsfreiheit.

17 Dagegen führt die italienische Regierung aus, die streitige Bestimmung verstoße nicht gegen die Grundsätze der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, da auch die DVZ aus anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik ihre Dienste gegenüber kleinen und mittleren italienischen Unternehmen erbringen könnten, wobei die einzige Bedingung die sei, dass sie von einem Arbeitsberater oder einer gleichgestellten Person unterstützt würden. Derartige Beschränkungen fänden unterschiedslos auf italienische DVZ und auf DVZ aus anderen Mitgliedstaaten Anwendung.

18 Zudem macht die italienische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, auch wenn die streitige Bestimmung im Ausgangsverfahren eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs bewirken sollte, so sei diese Beschränkung doch durch das Erfordernis gerechtfertigt, die Dienstleistungen der freien Berufe zu personalisieren und eine direkte Beziehung zwischen dem Berufsangehörigen und dem Kunden zu gewährleisten. Die Erfuellung der in der streitigen Bestimmung erwähnten Verpflichtungen des Arbeitgebers sei keine Aufgabe, die nur in der einfachen Ausführung von dessen Anweisungen bestehe, sondern ziehe direkt die Haftung des beauftragten Berufsträgers nach sich.

19 In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung dagegen ausgeführt, die streitige Bestimmung bezwecke in erster Linie den Schutz der Rechte der Arbeitnehmer, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofes als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt sei. Insoweit bestehe kein Zweifel, dass der Schutz der Rechte der Arbeitnehmer es verlange, dass die Erfuellung der Verpflichtungen in Bezug auf die Lohnzettel der Arbeitnehmer und die Sozialversicherung sichergestellt werde. Zudem entspreche die streitige Bestimmung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da sie es erlaube, die Dienste von DVZ zu nutzen, die dann lediglich auf Arbeitsberater zurückgreifen müssten.

Antwort des Gerichtshofes

20 Zunächst ist der Inhalt der in der Vorlagefrage bezeichneten nationalen Rechtsvorschriften zu bestimmen. Die italienische Regierung hat nämlich erklärt, die DVZ könnten ihre Dienste Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten ebenso anbieten wie Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, wobei die einzige Bedingung die sei, dass sie von Arbeitsberatern oder ihnen gleichgestellten Personen unterstützt würden. Jedoch sollen nach dem Vorlagebeschluss die Unternehmen der ersten Kategorie nur auf solche DVZ zurückgreifen können, die ausschließlich von Arbeitsberatern und ihnen gleichgestellten Personen errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen.

21 Dazu genügt die Feststellung, dass die im Vorlagebeschluss zitierte streitige Bestimmung den Rückgriff auf DVZ durch Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten nur dann zulässt, wenn die DVZ ausschließlich von Personen, die in den in diesem Gesetz genannten berufsständischen Listen eingetragen sind, errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen". Da die Vorlagefrage in Bezug auf diese Bestimmung gestellt wurde, hat der Gerichtshof auf dieser Grundlage zu antworten.

22 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Vorlagefrage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Artikel 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, die DVZ mit der Erstellung und dem Druck ihrer Lohnzettel betrauen möchten, nur solche DVZ in Anspruch nehmen können, die ausschließlich von Personen, die in diesem Mitgliedstaat in die Listen bestimmter Berufsstände eingetragen sind, errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen.

23 Da die Vorlagefrage sowohl Artikel 43 EG als auch Artikel 49 EG betrifft, ist sie zunächst in Bezug auf Artikel 43 EG zu prüfen.

24 Das in den Artikeln 43 EG bis 48 EG verankerte Niederlassungsrecht steht sowohl natürlichen Personen, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind, als auch juristischen Personen im Sinne von Artikel 48 EG zu. Vorbehaltlich der vorgesehenen Ausnahmen und Bedingungen umfasst dieses Recht die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten jeder Art, die Gründung und Leitung von Unternehmen und die Errichtung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats (insbesondere Urteile vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 23, und vom 11. Mai 1999 in der Rechtssache C-255/97, Pfeiffer, Slg. 1999, I-2835, Randnr. 18).

25 Aus den Akten ergibt sich, dass Payroll eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung italienischen Rechts ist, die am 29. Juli 1999 von den beiden französischen Unternehmen ADP Europe SA und ADP GSI SA, die das gesamte Gesellschaftskapital halten, gegründet wurde. Als Tochtergesellschaft dieser beiden Unternehmen gehört Payroll zu einer Gruppe von Gesellschaften, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und EDV-Dienstleistungen für die Erstellung und den Druck von Lohnzetteln anbieten. Die Rechtsstellung einer Gesellschaft wie Payroll fällt somit nach den Bestimmungen des Artikels 43 EG unter das Gemeinschaftsrecht (in diesem Sinne Urteil vom 1. Februar 2001 in der Rechtssache C-108/96, Mac Quen u. a., Slg. 2001, I-837, Randnr. 16).

26 Außerdem ist daran zu erinnern, dass Artikel 43 EG die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vorschreibt und dass als solche Beschränkungen alle Maßnahmen anzusehen sind, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (insbesondere Urteil vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C-439/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I-305, Randnr. 22).

27 Auch wenn im vorliegenden Fall das Verbot für DVZ, die nicht ausschließlich von Arbeitsberatern und ihnen gleichgestellten Personen errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten Dienstleistungen für die Erstellung und den Druck von Lohnzetteln anzubieten, nicht unmittelbar diskriminierend ist, so bildet es doch für einen Wirtschaftsteilnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Italienischen Republik niedergelassen ist, ein Hindernis dafür, seine Tätigkeit über eine Niederlassung in diesem Mitgliedstaat auszuüben, was eine Beschränkung im Sinne des Artikels 43 EG darstellt.

28 Nach ständiger Rechtsprechung können jedoch derartige Maßnahmen, die für alle im Aufnahmemitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gelten, gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und soweit sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (Urteile vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, Gebhard, Randnr. 37, vom 9. März 1999 in der Rechtssache C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, Randnr. 34, Pfeiffer, Randnr. 19, vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C-424/97, Haim, Slg. 2000, I-5123, Randnr. 57, Mac Quen u. a., Randnr. 26, und Kommission/Italien, Randnr. 23).

29 Zwar hat im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschafts- und den nationalen Gerichten grundsätzlich das nationale Gericht zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfuellt sind, doch kann der Gerichtshof, wenn er auf Vorlage entscheidet, gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben (insbesondere Urteil Haim, Randnr. 58).

30 In diesem Zusammenhang hat sich die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung auf den Schutz der Rechte der Arbeitnehmer berufen, um die sich aus der streitigen Bestimmung ergebende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen.

31 Zwar gehört der Arbeitnehmerschutz zu den vom Gerichtshof bereits anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, um eine Beschränkung einer vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit zu rechtfertigen (Urteile vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, Randnr. 19, vom 3. Februar 1982 in den Rechtssachen 62/81 und 63/81, Seco, Slg. 1982, 223, Randnr. 14, vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 18, vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnr. 36, vom 15. März 2001 in der Rechtssache C-165/98, Mazzoleni und ISA, Slg. 2001, I-2189, Randnr. 27, vom 25. Oktober 2001 in den Rechtssachen C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98, Slg. 2001, I-7831, Randnr. 33, und vom 24. Januar 2002 in der Rechtssache C-164/99, Portugaia Construções, Slg. 2002, I-787, Randnr. 20).

32 Doch ist noch zu prüfen, ob die streitige Bestimmung geeignet ist, die Verwirklichung des Zieles des Arbeitnehmerschutzes zu gewährleisten.

33 Zwischen Payroll u. a. und der italienischen Regierung besteht Streit über die Art der Tätigkeiten der DVZ, die Dienstleistungen der Erstellung und des Drucks von Lohnzetteln anbieten. Dem Vorbringen der italienischen Regierung zufolge umfasst die Erbringung dieser Dienstleistungen nicht bloß die Ausführung von Anweisungen des Arbeitgebers, sondern verlangt zunächst eine intellektuelle Arbeit, nämlich die Bestimmung des Nettoentgelts für jeden Arbeitnehmer auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsvorschriften. Payroll u. a. machen dagegen geltend, dass ihre Tätigkeiten nur informationstechnischer und administrativer Natur seien.

34 Dazu ist festzustellen, dass das nationale Gericht die Art der Tätigkeiten der DVZ zu ermitteln hat. Sollte es zu dem Schluss gelangen, dass die von Payroll angebotenen Dienstleistungen der Erstellung und des Drucks von Lohnzetteln im Wesentlichen ausführende Aufgaben umfassen und keine spezifischen beruflichen Fähigkeiten verlangen, so erschiene die streitige Bestimmung nicht geeignet, die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen (in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 18).

35 Soweit nämlich die Tätigkeiten von Payroll im Wesentlichen administrativer Natur sein sollten, würden die Arbeitgeber die endgültige Verantwortung für die Daten auf den Lohnzetteln einschließlich der Abzüge, die für die verschiedenen Systeme der Sozialvorsorge und -versicherung von den Arbeitsentgelten vorzunehmen sind, tragen. Somit erschiene es nicht erforderlich, dass derartige Tätigkeiten nur von DVZ ausgeübt werden, die ausschließlich von Arbeitsberatern und ihnen gleichgestellten Personen errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen.

36 Jedenfalls kann die streitige Bestimmung, wie die Art der Tätigkeiten der DVZ auch immer zu beurteilen wäre, nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das Ziel des Schutzes der Arbeitnehmerrechte zu erreichen.

37 Insoweit ist zu bemerken, dass nach den italienischen Rechtsvorschriften die DVZ, die nicht ausschließlich von Arbeitsberatern und ihnen gleichgestellten Personen errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten Dienstleistungen der Erstellung und des Drucks von Lohnzetteln anbieten können, wobei diese Beschäftigten insoweit keinen geringeren Schutz verdienen dürften als die, die für Unternehmen mit einer geringeren Beschäftigtenzahl arbeiten. Da die fraglichen Aufgaben nicht weniger komplex sein können, wenn die Zahl der betreffenden Arbeitnehmer steigt, geht die streitige Bestimmung auf jeden Fall über das hinaus, was zur Erreichung ihres Schutzziels erforderlich ist.

38 Soweit die Vorlagefrage Artikel 49 EG betrifft, braucht sie nicht beantwortet zu werden. Da es im Ausgangsverfahren um die Genehmigung einer Änderung der Satzung einer Gesellschaft geht, für die, wie in Randnummer 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Regelungen des Vertrages über das Niederlassungsrecht gelten, ist Artikel 49 EG über den freien Dienstleistungsverkehr im Rahmen dieses Verfahrens nicht einschlägig.

39 Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 43 EG dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, die DVZ mit der Erstellung und dem Druck ihrer Lohnzettel betrauen möchten, nur solche DVZ in Anspruch nehmen können, die ausschließlich von Personen, die in diesem Mitgliedstaat in die Listen bestimmter Berufsstände eingetragen sind, errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, wenn nach diesen Rechtsvorschriften Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten DVZ mit derartigen Tätigkeiten betrauen können, sofern nur diese Zentren sich von einer oder mehreren solchen Personen unterstützen lassen.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Corte d'appello Mailand mit Beschluss vom 29. Januar 2001 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 43 EG ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, die externe Datenverarbeitungszentren mit der Erstellung und dem Druck ihrer Lohnzettel betrauen möchten, nur solche Zentren in Anspruch nehmen können, die ausschließlich von Personen, die in diesem Mitgliedstaat in die Listen bestimmter Berufsstände eingetragen sind, errichtet wurden und aus solchen Personen bestehen, wenn nach diesen Rechtsvorschriften Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten externe Datenverarbeitungszentren mit derartigen Tätigkeiten betrauen können, sofern nur diese Zentren sich von einer oder mehreren solchen Personen unterstützen lassen.

Ende der Entscheidung

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