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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.1998
Aktenzeichen: C-80/96
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 1966/94/EWG, EGV


Vorschriften:

Verordnung Nr. 1966/94/EWG
EGV Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Die Verordnung Nr. 1966/94 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur ist insoweit ungültig, als sie in Nummer 6 ihres Anhangs für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die aus einem Büstenhalter und einem Slip bestehen, getrennt in die Tarifunterpositionen 6108 21 00 und 6212 10 00 einreiht. Die Kommission hat nämlich, indem sie für die beiden Bestandteile einer solchen Zusammenstellung eine getrennte Einreihung vorsah, während die Allgemeine Vorschrift 3 c für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur eine einheitliche Einreihung verlangt, den Wortlaut der Kombinierten Nomenklatur erheblich geändert und damit ihre Befugnisse überschritten.

4 Die Kombinierte Nomenklatur ist dahin auszulegen, daß für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die aus einem Büstenhalter und einem Slip bestehen, gemäß der Allgemeinen Vorschrift 3 c der Tarifunterposition 6212 10 00, d. h. der unter den gleichermassen in Betracht kommenden Positionen zuletzt genannten Position, zuzuweisen sind.


Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 15. Januar 1998. - Quelle Schickedanz AG und Co. gegen Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Hessisches Finanzgericht, Kassel - Deutschland. - Gemeinsamer Zolltarif - Tarifierung einer Warenzusammenstellung - Gültigkeit des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 1966/94 der Kommission. - Rechtssache C-80/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Hessische Finanzgericht, Kassel, hat mit Beschluß vom 7. März 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit von Nummer 6 des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 1966/94 der Kommission vom 28. Juli 1994 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 198, S. 103) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Versandhaus Quelle Schickedanz AG und Co. (nachstehend: Quelle) und der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main über die Tarifierung einer BH-Slip-Garnitur.

3 Im Jahr 1984 beantragte Quelle bei dieser Oberfinanzdirektion die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft über die Tarifierung einer "BH-Garnitur 90 % Polyamid, 10 % Elasthan (BH mit Formbügel und ein Slip) Wert: BH DM 5,93; Slip DM 4,31".

4 In dieser Auskunft vertrat die Oberfinanzdirektion die Auffassung, daß die einzelnen Bestandteile der Warenzusammenstellung getrennt einzureihen seien, und zwar der Büstenhalter in die Tarifunterposition 6212 10 00 und der Slip in die Tarifunterposition 6108 21 00 der Kombinierten Nomenklatur, wie sie sich aus der Verordnung (EWG) Nr. 2551/93 der Kommission vom 10. August 1993 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 241, S. 1; nachstehend: Kombinierte Nomenklatur) ergibt. Die Oberfinanzdirektion stützte sich bei dieser Einreihung auf die Verordnung Nr. 1966/94, und zwar auf Nummer 6 des Anhangs.

5 Nach erfolglosem Einspruch gegen diese Tarifierung erhob Quelle beim Hessischen Finanzgericht Klage mit der Begründung, daß die Verordnung Nr. 1966/94 ungültig sei. Das Finanzgericht teilt in seinem Vorlagebeschluß diese Zweifel. Die BH-Slip-Garnitur stelle "eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung" im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur dar und hätte folglich einer einzigen Position zugeordnet werden müssen. Ausserdem sei die Begründung der Verordnung unzureichend, denn sie setze sich weder mit der Frage auseinander, warum die Allgemeine Vorschrift 3 b nicht angewendet worden sei, noch sei zu erkennen, inwieweit die Kommission trotz dieser Bestimmung die Möglichkeit gehabt habe, die beiden Bestandteile getrennt einzureihen. Bei einer Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3 b sei der Büstenhalter der Bestandteil, der der Warenzusammenstellung ihren wesentlichen Charakter verleihe, so daß die BH-Slip-Garnitur der Tarifunterposition 6212 10 00 zugeordnet werden müsse.

6 Das Hessische Finanzgericht, Kassel, hat dem Gerichtshof daher zwei Fragen vorgelegt, die wie folgt lauten:

1. Ist die im Anhang unter Nummer 6 der Verordnung (EG) Nr. 1966/94 der Kommission vom 28. Juli 1994 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. vom 30. Juli 1994, Nr. L 198, S. 103) vorgenommene Einreihung einer aus einem Büstenhalter und einem Slip bestehenden Zusammenstellung, in Aufmachung für den Einzelverkauf, insoweit gültig, als damit im Gegensatz zu der Allgemeinen Vorschrift 3 b für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur die in einer Warenzusammenstellung enthaltenen Waren einzeln tarifiert werden?

2. Bei Verneinung der Frage zu 1:

Fällt eine Warenzusammenstellung, in Aufmachung für den Einzelverkauf, die aus einem Büstenhalter aus Gewirken oder Gestricken sowie einem Slip aus Gewirken oder Gestricken besteht, unter die Codenummer 6212 10 00, weil der Büstenhalter gemäß der Allgemeinen Vorschrift 3 b als der der Warenzusammenstellung ihren wesentlichen Charakter verleihende Bestandteil anzusehen ist?

7 Die Kommission ist zwar der Auffassung, daß die Verordnung Nr. 1966/94 für die in der vorliegenden Rechtssache fraglichen Waren wegen der Beschaffenheit ihrer Bestandteile keine Anwendung finde, doch hat sich die Oberfinanzdirektion bei der Einreihung eindeutig auf diese Verordnung gestützt. Würde sich der Gerichtshof für nicht befugt erklären, die Gültigkeit der Verordnung zu prüfen, so wären die fraglichen Waren auf jeden Fall entsprechend den einschlägigen Bestimmungen der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung zu tarifieren. Diese Tarifierung ist Gegenstand der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts, deren Zulässigkeit die Kommission nicht bestritten hat (vgl. Nrn. 7 und 8 der Schlussanträge des Generalanwalts).

8 Daraus ergibt sich, daß das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist.

9 Da Garnituren von Damenunterwäsche wie die im Ausgangsrechtsstreit fraglichen Waren von keiner Position oder Unterposition der Kombinierten Nomenklatur spezifisch erfasst werden, mussten die Waren nach Auffassung der Kommission aufgrund der Anmerkung 13 zu Abschnitt XI getrennt eingereiht werden.

10 Anmerkung 13 zu Abschnitt XI der Kombinierten Nomenklatur betrifft aber aus den in Nummer 17 der Schlussanträge des Generalanwalts angeführten Gründen die im Ausgangsrechtsstreit fraglichen Waren nicht.

11 Daher sind die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, darunter die Vorschrift 3, anzuwenden.

12 Da die Allgemeine Vorschrift 3 a, wie sich aus Nummer 22 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache nicht erfasst, ist die Einreihung anhand der Allgemeinen Vorschrift 3 b zweite Alternative zu prüfen, nach der die einheitliche Einreihung einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung nach dem Bestandteil erfolgt, der ihr ihren wesentlichen Charakter verleiht. Wie sich aus den Nummern 33 und 34 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, würde im vorliegenden Fall aber der Zusammenstellung ohne einen ihrer Bestandteile, ob Slip oder Büstenhalter, ihre charakteristische Eigenschaft fehlen. Eine Einreihung nach der Allgemeinen Vorschrift 3 b zweite Alternative ist also nicht möglich.

13 Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in Nummer 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Allgemeine Vorschrift für die Auslegung 3 c heranzuziehen; nach dieser sind für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen in einem solchen Fall der unter den gleichermassen in Betracht kommenden Positionen zuletzt genannten Position zuzuweisen.

14 Wie der Generalanwalt in Nummer 35 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ergibt sich daraus, daß die Kommission mit der in Nummer 6 des Anhangs der Verordnung Nr. 1966/94 getroffenen Regelung, wonach aus einem Büstenhalter aus Gewirken oder Gestricken und einem Slip aus Gewirken oder Gestricken bestehende Warenzusammenstellungen getrennt einzureihen sind, während die Allgemeine Vorschrift 3 c für eine solche Zusammenstellung eine einheitliche Einreihung verlangt, den Wortlaut der Kombinierten Nomenklatur erheblich geändert und damit ihre Befugnisse überschritten hat.

15 Daher ist auf die erste Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Verordnung Nr. 1966/94 insoweit ungültig ist, als sie in Nummer 6 ihres Anhangs für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die aus einem Büstenhalter und einem Slip bestehen, getrennt in die Tarifunterpositionen 6108 21 00 und 6212 10 00 einreiht.

16 Auf die zweite Vorabentscheidungsfrage ist zu antworten, daß die Kombinierte Nomenklatur dahin auszulegen ist, daß solche Waren der zuletzt genannten Position, d. h. der Tarifunterposition 6212 10 00, zuzuweisen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Erste Kammer)

auf die ihm vom Hessischen Finanzgericht, Kassel, durch Beschluß vom 7. März 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EG) Nr. 1966/94 der Kommission vom 28. Juli 1994 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur ist insoweit ungültig, als sie in Nummer 6 ihres Anhangs für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die aus einem Büstenhalter und einem Slip bestehen, getrennt in die Tarifunterpositionen 6108 21 00 und 6212 10 00 einreiht.

2. Die Kombinierte Nomenklatur in der Fassung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2551/93 der Kommission vom 10. August 1993 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ist dahin auszulegen, daß solche Waren der zuletzt genannten Position, d. h. der Tarifunterposition 6212 10 00, zuzuweisen sind.

Ende der Entscheidung

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