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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.08.1993
Aktenzeichen: C-81/92
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1626/85/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 1626/85/EWG Art. 1 Abs. 2
VO Nr. 1626/85/EWG Art. 2
VO Nr. 1626/85/EWG Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verordnung Nr. 1626/85 über Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von bestimmten Sauerkirschen in ihrer durch die Verordnung Nr. 1712/85 geänderten deutschen, griechischen, englischen, französischen, italienischen und niederländischen Fassung ist dahin auszulegen, daß die Ausgleichsabgabe, die sie vorsieht, wenn der Mindestpreis bei der Einfuhr nicht eingehalten wird, nicht erhoben werden kann, wenn der Einführer die Waren von einem Zwischenhändler gekauft hat, der nicht im Ursprungsland der Waren ansässig ist, und feststeht, daß sowohl der vom Einführer an den Zwischenhändler gezahlte Preis als auch der spätere Wiederverkaufspreis des Einführers den Mindestpreis übersteigen. In einem solchen Fall ist nämlich das Ziel der Verordnung Nr. 1626/85, den Gemeinschaftsmarkt vor der Vermarktung eingeführter Erzeugnisse zu anomal niedrigen Preisen zu schützen, erreicht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 2. AUGUST 1993. - HANS DINTER GMBH GEGEN HAUPTZOLLAMT BAD REICHENHALL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT MUENCHEN - DEUTSCHLAND. - SAUERKIRSCHEN IN SIRUP - SCHUTZMASSNAHMEN. - RECHTSSACHE C-81/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht München hat mit Beschluß vom 12. Februar 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 13. März 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1626/85 vom 14. Juni 1985 über Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von bestimmten Sauerkirschen (ABl. L 156, S. 13) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1712/85 der Kommission vom 21. Juni 1985 zur Änderung der deutschen, griechischen, englischen, französischen, italienischen und niederländischen Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1626/85 (ABl. L 163, S. 46) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Dinter und dem Hauptzollamt Bad Reichenhall über die Zahlung einer Ausgleichsabgabe von 728 714,95 DM, die von der Firma Dinter mit der Begründung gefordert wird, sie habe den Mindestpreis bei der Einfuhr von Sauerkirschen nicht eingehalten.

3 Ein Mindestpreis bei der Einfuhr ist in der Verordnung Nr. 1626/85 als Schutzmaßnahme gegen die Einfuhr bestimmter Sauerkirschen, darunter "Sauerkirschen, gefroren", festgelegt. Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung bestimmt: "Wird der Mindestpreis bei der Einfuhr nicht eingehalten, so wird die im Anhang aufgeführte Ausgleichsabgabe erhoben."

4 Artikel 2 der Verordnung Nr. 1626/85 in der Fassung der Verordnung Nr. 1712/85 lautet:

"(1) Beim Abschluß der Zollformalitäten zur Überführung in den zollrechtlichen freien Verkehr vergleichen die Zollstellen bei jeder Warenpartie den Einfuhrpreis mit dem entsprechenden Mindestpreis.

(2)...

(3) Der Einfuhrpreis ist in der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlichen freien Verkehr anzugeben, und dieser Anmeldung sind sämtliche zur Überprüfung dieses Preises erforderlichen Unterlagen beizufügen."

5 Artikel 3 der Verordnung Nr. 1626/85 lautet:

"(1) Folgende Faktoren bestimmen den Einfuhrpreis:

a) fob-Preis im Ursprungsland,

b) Transport- und Versicherungskosten bis zum Ort des Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft.

(2)...

(3) Ist die den Zollbehörden vorgelegte Rechnung nicht von dem Ausführer in dem Land ausgestellt worden, aus dem die Erzeugnisse stammen, oder sind die Behörden nicht überzeugt, daß im angegebenen Preis der fob-Preis im Ursprungsland berücksichtigt worden ist, so unternehmen die zuständigen Stellen des Mitgliedstaats die erforderlichen Schritte zur Feststellung des Preises, insbesondere durch Bezugnahme auf den Wiederverkaufspreis des Einführers."

6 Die Verordnung Nr. 1626/85 galt nach ihrem Artikel 5 Absatz 2 bis zum 9. Mai 1986. Durch die Verordnung (EWG) Nr. 1257/86 der Kommission vom 29. April 1986 (ABl. L 113, S. 37) wurde ihre Geltungsdauer bis zum 9. Mai 1987 verlängert.

7 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß die Firma Dinter in den Jahren 1985 bis 1987 tiefgefrorene Sauerkirschen mit Ursprung in Jugoslawien in die Bundesrepublik Deutschland einführte und dort zum freien Verkehr abfertigen ließ. Nach den zollamtlichen Ermittlungen deckte sich die Firma Dinter ausschließlich bei einem Zwischenhändler, der Firma Kraus & Kraus in Wien (nachstehend: Zwischenhändler), ein, der die Sauerkirschen zu einem unter dem Mindestpreis liegenden Preis erworben hatte. Unstreitig lagen jedoch der von der Firma Dinter an den Zwischenhändler gezahlte Preis und ihr Wiederverkaufspreis jeweils über dem Mindestpreis.

8 Das Hauptzollamt legte bei dem Vergleich mit dem Mindestpreis den vom Zwischenhändler an den Ausführer im Ursprungsland entrichteten niedrigeren Einstandspreis zugrunde und forderte mit verschiedenen Bescheiden Ausgleichsabgaben in der oben genannten Höhe.

9 Die Firma Dinter erhob gegen diese Bescheide Klage beim Finanzgericht München und machte im wesentlichen geltend, daß eine Ausgleichsabgabe nicht zu erheben gewesen sei, weil sowohl ihr Einfuhrpreis als auch ihr Wiederverkaufspreis über dem Mindestpreis gelegen hätten. Im übrigen sei ihr der Einstandspreis des Zwischenhändlers unbekannt, so daß sie ihn auch nicht hätte anmelden können. Für den Vergleich gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1626/85 hätten die deutschen Behörden nicht den Einstandspreis des Zwischenhändlers, sondern ihren eigenen Wiederverkaufspreis zugrunde legen müssen.

10 Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß der Ausgang des Rechtsstreits von der Auslegung der Verordnung Nr. 1626/85 abhängt und hat daher durch Beschluß vom 12. Februar 1992 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die Verordnung Nr. 1626/85 der Kommission vom 14. Juni 1985 über Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von bestimmten Sauerkirschen insbesondere im Hinblick auf die Absätze 2 bis 6 der Erwägungsgründe in der Präambel dahin auszulegen, daß eine Ausgleichsabgabe in den Fällen nicht erhoben werden kann, in denen sowohl der Preis, der dem Einfuhrgeschäft zugrunde liegt, als auch der Wiederverkaufspreis des Einführers den Mindestpreis übersteigen?

2. Gilt dies auch dann, wenn das der Einfuhr zugrunde liegende Kaufgeschäft zwischen dem Einführer und einem Verkäufer abgeschlossen wurde, der nicht im Ursprungsland ansässig ist?

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der fraglichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Bericht des Berichterstatters verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Das vorlegende Gericht möchte mit seinen Fragen im wesentlichen wissen, ob die Verordnung (EWG) Nr. 1626/85 dahin auszulegen ist, daß keine Ausgleichsabgabe erhoben werden kann, wenn der Einführer die Waren von einem Zwischenhändler gekauft hat, der nicht im Ursprungsland der Waren ansässig ist, und sowohl der vom Einführer an den Zwischenhändler gezahlte Preis als auch der spätere Wiederverkaufspreis des Einführers den Mindestpreis übersteigen.

13 Vorab ist festzustellen, daß mit der Verordnung Nr. 1626/85 nach ihren ersten beiden Begründungserwägungen Maßnahmen zum Schutz des Gemeinschaftsmarkts für bestimmte Sauerkirschen eingeführt werden sollen, der durch Einfuhren aus Drittländern ernsten Störungen ausgesetzt ist, die die in Artikel 39 EWG-Vertrag festgelegten Ziele gefährden können.

14 Nach der dritten und vierten Begründungserwägung der Verordnung soll durch die Schutzmaßnahmen verhindert werden, daß eingeführte Erzeugnisse zu anomal niedrigen Preisen vermarktet werden. Dies könne nur durch die Einführung eines Mindestpreises, der bei der Einfuhr in die Gemeinschaft einzuhalten sei, sowie bei Nichteinhaltung dieses Preises durch die Erhebung einer Ausgleichsabgabe erreicht werden. Da mit der Verordnung somit bewirkt werden soll, daß die Einfuhr der fraglichen Erzeugnisse in die Gemeinschaft zu einem Preis erfolgt, der zumindest dem Mindestpreis entspricht, ist dem Vergleich der vom Einführer gezahlte Preis zugrunde zu legen.

15 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1626/85 sieht insoweit vor, daß der Einfuhrpreis durch den fob-Preis im Ursprungsland zuzueglich der Transport- und Versicherungskosten bis zum Ort des Verbringens in das Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmt wird. Der so bestimmte Preis ist von den Behörden des Einfuhrmitgliedstaats in der Regel bei der Vornahme des Vergleichs nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung zugrunde zu legen.

16 Es ist jedoch festzustellen, daß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1626/85 den Normalfall regelt, daß der Einführer das Kaufgeschäft mit einem im Ursprungsland der Ware ansässigen Ausführer abschließt, und nicht den Fall eines Kaufabschlusses zwischen dem Einführer und einem nicht im Ursprungsland der Ware ansässigen Zwischenhändler.

17 Die Methode zur Ermittlung des Einfuhrpreises in diesem letzteren besonderen Fall ist in Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung vorgesehen, der gilt, wenn die den Zollbehörden vorgelegte Rechnung nicht von dem Ausführer in dem Land ausgestellt worden ist, aus dem die Erzeugnisse stammen. Artikel 3 Absatz 3 bestimmt, daß der Einfuhrpreis dann insbesondere durch Bezugnahme auf den Wiederverkaufspreis des Einführers festgestellt wird.

18 Diese Methode gilt nur, wenn keine anderen Anhaltspunkte vorliegen oder wenn die Zollbehörden Zweifel an dem in der Rechnung angegebenen Preis haben. Steht fest, daß der vom Einführer an den Zwischenhändler gezahlte Preis und der spätere Wiederverkaufspreis des Einführers über dem Mindestpreis liegen, ist das Ziel der Verordnung Nr. 1626/85 erreicht. Der Vergleich ist also auf der Grundlage dieser Preise vorzunehmen.

19 Diese Auslegung wird durch die Tatsache bestätigt, daß die Verordnung Nr. 1626/85 ihre Rechtsgrundlage in der Verordnung (EWG) Nr. 516/77 des Rates vom 14. März 1977 über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABl. L 73, S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 521/77 des Rates vom 14. März 1977 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen für die Schutzmaßnahmen für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABl. L 73, S. 28) hat, die in ihrem Artikel 2 Absatz 2 u. a. bestimmt, daß die Schutzmaßnahmen "nur in dem Umfang und für die Zeit getroffen werden [dürfen], die unbedingt notwendig sind". Daraus ergibt sich, daß die Erhebung einer Ausgleichsabgabe rechtswidrig ist, wenn das mit den Schutzmaßnahmen verfolgte Ziel bereits erreicht ist.

20 Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß die Auffassung, daß in einem Fall der vorliegenden Art der vom Zwischenhändler gezahlte ursprüngliche Preis der Ware zu berücksichtigen sei, nicht begründet ist, weil sie in ihrem Umfang über das hinausgeht, was zur Erreichung des mit der Verordnung Nr. 1626/85 verfolgten Ziels notwendig ist.

21 Folglich ist auf die Fragen des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß die Verordnung Nr. 1626/85 in ihrer geänderten Fassung dahin auszulegen ist, daß keine Ausgleichsabgabe erhoben werden kann, wenn der Einführer die Waren von einem Zwischenhändler gekauft hat, der nicht im Ursprungsland der Waren ansässig ist, und feststeht, daß sowohl der vom Einführer an den Zwischenhändler gezahlte Preis als auch der spätere Wiederverkaufspreis des Einführers den Mindestpreis übersteigen.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der griechischen Regierung, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht München mit Beschluß vom 12. Februar 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Verordnung (EWG) Nr. 1626/85 der Kommission vom 14. Juni 1985 über Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von bestimmten Sauerkirschen in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1712/85 der Kommission vom 21. Juni 1985 zur Änderung der deutschen, griechischen, englischen, französischen, italienischen und niederländischen Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1626/85 ist dahin auszulegen, daß keine Ausgleichsabgabe erhoben werden kann, wenn der Einführer die Waren von einem Zwischenhändler gekauft hat, der nicht im Ursprungsland der Waren ansässig ist, und feststeht, daß sowohl der vom Einführer an den Zwischenhändler gezahlte Preis als auch der spätere Wiederverkaufspreis des Einführers den Mindestpreis übersteigen.

Ende der Entscheidung

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