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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 27.02.2003
Aktenzeichen: C-82/02
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung, Verordnung (EWG) Nr. 2730/79


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 104 § 3
Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 Art. 9 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79, der die Gewährung der Ausfuhrerstattung davon abhängig macht, dass die Ware das geografische Gebiet der Gemeinschaft in unverändertem Zustand verlassen hat, ist dahin auszulegen, dass sich die Wendung geografisches Gebiet der Gemeinschaft" auf einen gegenständlichen Begriff bezieht und dass die Voraussetzung, dass das Erzeugnis, für das Ausfuhrerstattungen beantragt worden sind, das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben muss, weder durch die Unterstellung des Erzeugnisses unter zollamtliche Überwachung noch durch seine Unterwerfung unter ein Zolllagerverfahren erfuellt ist.

( vgl. Randnr. 46 und Tenor )


Beschluss des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 27. Februar 2003. - Agence maritime Lalemant NV gegen Malzfabrik Tivoli GmbH, Malteurop GIE und Belgisch Interventie- en Restitutiebureau und Malzfabrik Tivoli GmbH gegen Belgisch Interventie- en Restitutiebureau. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Hof van Cassatie - Belgien. - Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung - Landwirtschaft - Ausfuhrerstattungen - Anspruchsvoraussetzungen - Verlassen des geografischen Gebietes der Gemeinschaft - Begriff. - Rechtssache C-82/02.

Parteien:

In der Rechtssache C-82/02

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom belgischen Hof van Cassatie (Belgien) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Agence maritime Lalemant NV

gegen

Malzfabrik Tivoli GmbH,

Malteurop GIE und

Belgisch Interventie- en Restitutiebureau

sowie

Malzfabrik Tivoli GmbH

gegen

Belgisch Interventie- en Restitutiebureau,

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 317, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3826/85 der Kommission vom 23. Dezember 1985 (ABl. L 371, S. 1) geänderten Fassung

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter P. Jann und A. Rosas (Berichterstatter),

Generalanwalt: F. G. Jacobs,

Kanzler: R. Grass,

nach Unterrichtung des vorlegenden Gerichts davon, dass der Gerichtshof beabsichtige, gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

nachdem den in Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist,

nach Anhörung des Generalanwalts,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Der belgische Hof van Cassatie hat mit Urteil vom 28. Februar 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 317, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3826/85 der Kommission vom 23. Dezember 1985 (ABl. L 371, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2730/79) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen unter anderen der Agence maritime Lalemant NV (im Folgenden: Lalemant) und dem Belgisch Interventie- en Restitutiebureau (belgisches Interventions- und Erstattungsbüro, im Folgenden BIRB), in denen es um die Gewährung von Ausfuhrerstattungen für im September und Oktober 1986 ausgeführte Ladungen Malz geht.

Die anwendbare Regelung

Die Ausfuhrerstattungen

3 Die auf den verschiedenen Sektoren der gemeinsamen Agrarpolitik anwendbare Gemeinschaftsregelung sieht in dem Maß, das erforderlich ist, um die Ausfuhr eines Erzeugnisses zu ermöglichen, vor, dass der Unterschied zwischen dem Weltmarktpreis für dieses Erzeugnis und seinem Preis in der Gemeinschaft durch eine Ausfuhrerstattung gedeckt werden kann.

4 In der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit war die Möglichkeit der Gewährung einer derartigen Erstattung auf dem Getreidesektor in Artikel 16 der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. L 281, S. 1) vorgesehen.

5 Damals waren die gemeinsamen Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen in der Verordnung Nr. 2730/79 enthalten.

6 Gemäß den Artikeln 3 und 4 dieser Verordnung muss der Ausführer, der eine Ausfuhrerstattung erhalten möchte, eine Ausfuhrerklärung abgeben. Der Tag der Annahme dieser Erklärung durch die Zollbehörden wird als Tag der Ausfuhr" betrachtet, der es erlaubt, den Betrag der Erstattung festzusetzen. Für die Anwendung dieser Verordnung gilt die Annahme der Ausfuhrerklärung auch als Erfuellung der Ausfuhrzollförmlichkeiten und führt dazu, dass die Erzeugnisse bis zum Verlassen der Gemeinschaft oder, je nach Lage des Falles, bis zum Erreichen ihrer Bestimmung unter zollamtliche Überwachung gestellt werden.

Die Pflicht, die Erzeugnisse aus dem geografischen Gebiet der Gemeinschaft auszuführen

7 Die vierte und die fünfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2730/79 lauten wie folgt:

Die vom Rat erlassenen Grundregeln sehen vor, dass die Erstattung gewährt wird, wenn nachgewiesen ist, dass die Erzeugnisse aus der Gemeinschaft ausgeführt worden sind. Um zu einer einheitlichen Auslegung des Begriffs der Ausfuhr aus der Gemeinschaft zu gelangen, ist es angebracht, den Zeitpunkt heranzuziehen, zu dem das Erzeugnis das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlässt.

Allerdings gilt im Falle der Gemeinde Livigno in Italien wegen ihrer besonderen Lage als Verlassen des geografischen Gebiets der Gemeinschaft das Verlassen der Erzeugnisse mit Bestimmung nach dieser Gemeinde."

8 Artikel 9 der Verordnung Nr. 2730/79 bestimmt:

(1) Unbeschadet der Artikel 10, 20 und 26 ist die Zahlung der Ausfuhrerstattung von dem Nachweis abhängig, dass das Erzeugnis, für welches die Ausfuhrzollförmlichkeiten erfuellt wurden, spätestens 60 Tage nach Erfuellung dieser Förmlichkeiten

- in den Fällen des Artikels 5 seine Bestimmung in unverändertem Zustand erreicht hat oder

- in den übrigen Fällen das geografische Gebiet der Gemeinschaft in unverändertem Zustand verlassen hat.

...

(2) Für die Anwendung dieser Verordnung

- werden Erzeugnisse, die nach Gebieten ausgehen, die Teil des geografischen Gebiets der Gemeinschaft sind, aber zum Zollgebiet eines dritten Landes gehören, so behandelt, als hätten sie das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen. Dagegen werden Erzeugnisse, die nach Gebieten versandt werden, die Teil des geografischen Gebiets eines dritten Landes sind, aber zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehören, so behandelt, als hätten sie das geografische Gebiet der Gemeinschaft nicht verlassen;

- gilt das Gebiet der Gemeinde Livigno nicht als Teil des geografischen Gebiets der Gemeinschaft,

- gelten die Gebiete der Kanarischen Inseln sowie von Ceuta und Melilla nicht als Teil des geografischen Gebiets der Gemeinschaft,

- werden Lieferungen zur Bevorratung von Plattformen im Sinne von Artikel 19b Absatz 1 Buchstabe a in jedem Fall so behandelt, als hätten sie das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen."

9 Artikel 10 der Verordnung Nr. 2730/79 legt einige Fälle fest, in denen der Ausführer nicht nur nachweisen muss, dass das Erzeugnis das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen hat, sondern auch, dass es in ein Drittland eingeführt worden ist. Artikel 20 der Verordnung Nr. 2730/79, der für Erstattungen gilt, bei denen der Satz je nach der Bestimmung unterschiedlich ist, verpflichtet zum Nachweis der Erfuellung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr in dem betreffenden Drittland. Artikel 26 der Verordnung, der eine Sonderregelung für Erzeugnisse enthält, die zur Bevorratung von Schiffen und Luftfahrzeugen bestimmt sind, sieht vor, dass die Mitgliedstaaten dem Ausführer den Nettobetrag der Erstattung als Vorschuss zahlen können, wenn bestimmte besondere Bedingungen erfuellt sind, insbesondere dann, wenn die Erzeugnisse in unter zollamtlicher Überwachung stehende Bevorratungslager verbracht worden sind.

Die Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattungen

10 Die Verordnung Nr. 2730/79 lässt nach ihrem Artikel 2 die Gemeinschaftsvorschriften über die Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung unberührt.

11 In der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit wurde dieser Bereich durch die Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 62, S. 5) und die Verordnung (EWG) Nr. 798/80 der Kommission vom 31. März 1980 über Durchführungsvorschriften für die Vorfinanzierung von Ausfuhrerstattungen und positiven Währungsausgleichsbeträgen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 87, S. 42) geregelt.

12 Wie es in der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 565/80 heißt, berührt die Zahlung eines der Ausfuhrerstattung entsprechenden Betrages keineswegs den Anspruch auf eine Ausfuhrerstattung.

13 Nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 565/80 kann ein Ausführer einen der Ausfuhrerstattung entsprechenden Betrag erhalten, sobald die Erzeugnisse oder Waren im Hinblick auf ihre Ausfuhr innerhalb einer bestimmten Frist einem Zolllager- oder einem Freizonenverfahren unterworfen worden sind.

14 In diesem Fall muss der Ausführer gemäß der Verordnung Nr. 798/80 eine Zahlungserklärung einreichen und eine Kaution stellen, deren Zweck darin besteht, die Einhaltung der durch die anwendbare Regelung vorgesehenen Frist und die Erstattung nicht geschuldeter Beträge zu gewährleisten, falls der Betrag der Erstattung, auf die der Ausführer Anspruch hat, unter dem als Vorschuss gezahlten Betrag liegt.

15 Gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Verordnung Nr. 798/80 beträgt die Lagerfrist für die Erzeugnisse oder Waren im Zolllager- oder im Freizonenverfahren bis zu sechs Monate von dem Tag an, an dem die Zahlungserklärung angenommen wurde. Artikel 11 Absatz 3 der Verordnung sieht insbesondere vor, dass die Erzeugnisse oder Waren binnen 60 Tagen nach Beendigung des Verfahrens nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 565/80 das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen müssen.

Die Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

16 Nach dem Vorlageurteil wandte sich die französische Gesellschaft Malteurop GIE (im Folgenden: Malteurop) wegen der Erledigung der für die Verschiffung einiger Ladungen Malz mit Bestimmung Algerien in Antwerpen (Belgien) notwendigen Förmlichkeiten und Verrichtungen an Lalemant.

17 Am 23. Juni 1986 teilte Malteurop Lalemant mit, dass 1 000 t verschifft werden sollten. In einem in französischer Sprache gefassten Schreiben ersuchte sie diese Firma, im Namen des deutschen Unternehmens Malzfabrik Tivoli GmbH (im Folgenden: Tivoli) bis spätestens 30. Juni 1986 1 000 t Malz in ein Zolllager einzulagern.

18 Am 27. Juni 1986 wurden die Zollförmlichkeiten durch die Ausstellung eines T5-Dokumentes für die Ausfuhr von 1 000 t Malz erfuellt.

19 Bestimmte Ladungen Malz verließen das geografische Gebiet der Gemeinschaft erst am 19. September 1986 (450 t) und am 4. Oktober 1986 (150 t), also mehr als 60 Tage nach der Erfuellung der Ausfuhrzollförmlichkeiten.

20 Am 20. Januar 1987 stellte Lalemant einen Antrag auf Ausfuhrerstattungen im Namen von Tivoli. Diese Erstattungen wurden gezahlt.

21 Aufgrund einer von den deutschen Behörden eingeleiteten Untersuchung, die erbrachte, dass 600 t Malz das geografische Gebiet der Gemeinschaft mehr als 60 Tage nach der Erfuellung der Ausfuhrzollförmlichkeiten verlassen hatten, erhob der belgische Staat, handelnd durch die für Erstattungen zuständige Dienststelle, deren Nachfolger das BIRB ist, zwei Klagen gegen Lalemant und Tivoli auf Rückzahlung der Erstattungen im einen Fall in Höhe von 1 193 973 BEF und im anderen Fall in Höhe von 3 581 919 BEF. Lalemant verkündete Malteurop den Streit wegen Gewährungsleistungsforderungen, während Tivoli eine Klage auf Gewährleistung gegen Lalemant erhob.

22 Der Hof van Cassatie hält es im Rahmen der Prüfung der Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren und insbesondere des Vorbringens von Lalemant, wonach für in einem Zolllager eingelagerte Waren gelte, dass sie das geografische Gebiet der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 verlassen hätten, für erforderlich, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen so auszulegen, dass davon auszugehen ist, dass Waren, die in Drittländer ausgeführt werden und für die die Ausfuhrzollförmlichkeiten erfuellt worden sind, das geografische Gebiet der Gemeinschaft erst dann verlassen haben, wenn sie das Gebiet der Gemeinschaft tatsächlich verlassen haben, oder schon dann, wenn sie in ein Zolllager eingelagert werden?

Zur Vorlagefrage

23 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 dahin ausgelegt werden kann, dass die Wendung geografisches Gebiet der Gemeinschaft" sich auf einen gegenständlichen Begriff bezieht, oder dahin, dass die Voraussetzung, dass das Erzeugnis, für das Ausfuhrerstattungen beantragt worden sind, das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben muss, erfuellt ist, wenn das Erzeugnis in ein Zolllager eingelagert worden ist.

24 Der Gerichtshof hat in der Erwägung, dass die Antwort auf diese Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, das vorlegende Gericht gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung davon unterrichtet, dass er durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtigt, und den in Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben. Nur die Parteien des Ausgangsverfahrens Lalemant und BIRB sowie die Kommission haben von der durch den Gerichtshof eingeräumten Gelegenheit Gebrauch gemacht und angegeben, dass sie keine Erklärungen abzugeben hätten.

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen zur Vorlagefrage

25 Lalemant vertritt die Ansicht, die Vorlagefrage sei dahin zu beantworten, dass Waren, die in ein Zolllager eingelagert worden seien, unmittelbar nach der Erfuellung der Zollförmlichkeiten bis zu ihrer Verschiffung in ein Drittland so zu betrachten seien, als ob sie zum Zeitpunkt ihrer Einlagerung das geografische Gebiet der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 verlassen hätten.

26 Lalemant verweist auf das Urteil vom 22. Oktober 1987 in der Rechtssache 337/85 (Irland/Kommission, Slg. 1987, 4237), in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass dann, wenn auf dem Seeweg ausgeführte Waren in einem anderen Hafen der Gemeinschaft als im Verschiffungshafen umgeladen würden, für die Zahlung der Ausfuhrerstattungen der erste Verschiffungshafen als der Hafen anzusehen sei, in dem die Erzeugnisse das geografische Gebiet der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 verlassen hätten. Daraus leitet Lalement ab, dass nicht nur dann anzunehmen sei, dass das Erzeugnis das Gebiet der Gemeinschaft verlassen habe, wenn es dieses gegenständlich verlassen habe, sondern auch dann, wenn die in den Artikeln 3 und 4 der Verordnung erwähnten Ausfuhrzollförmlichkeiten erfuellt worden seien.

27 Dies sei der Fall, wenn Erzeugnisse bis zu ihrem Versand in ein Drittland unmittelbar in ein Zolllager eingelagert würden. Denn diese Erzeugnisse verlören dann die Stellung von Gemeinschaftsgütern und befänden sich nicht mehr im freien Verkehr auf dem Gemeinsamen Markt. Insbesondere könnten in Bezug auf sie nur bestimmte Handlungen vorgenommen werden (Urteil vom 20. April 1983 in der Rechtssache 49/82, Kommission/Niederlande, Slg. 1983, 1195), was die Einlagerung in ein Zolllager von der einfachen Unterstellung unter zollamtliche Überwachung im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2730/79 unterscheide.

28 Diese Auslegung von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 werde bestätigt durch Artikel 5 der Verordnung Nr. 565/80, der vorsehe, dass für Erzeugnisse oder Waren, die im Hinblick auf ihre Ausfuhr innerhalb einer bestimmten Frist einem Zolllager- oder einem Freizonenverfahren unterworfen worden seien, eine Erstattung als Vorschuss gezahlt werden könne, und durch Artikel 11 Absatz 3 der Verordnung Nr. 798/80, wonach die Erzeugnisse oder die Waren das geografische Gebiet der Gemeinschaft binnen 60 Tagen nach Beendigung des Verfahrens nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 565/80 verlassen müssten.

29 Das BIRB, die italienische Regierung und die Kommission vertreten dagegen die Ansicht, Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 verlange, dass die Erzeugnisse tatsächlich das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben müssten.

30 Denn die Verordnung Nr. 2730/79 nehme Bezug auf den gegenständlichen Begriff des geografischen Gebietes und nicht auf den Rechtsbegriff des Zollgebiets. Sie berufen sich hierfür auf die vierte Begründungserwägung dieser Verordnung.

31 Diese Verordnung regele ausdrücklich Ausnahmen von der Berücksichtigung des geografischen Gebietes, wie die Verbringung in Bevorratungslager, die der zollamtlichen Überwachung unterlägen, im Hinblick auf die Bevorratung von Schiffen und Luftfahrzeugen, das Verlassen von Erzeugnissen mit Bestimmung für Gebiete, die zwar zum geografischen Gebiet eines Mitgliedstaats gehörten, aber Teil des Zollgebiets eines Drittlandes seien, oder den Fall des Gebietes der Gemeinde Livigno, die sich in Italien befinde, für die jedoch eine besondere Zollregelung gelte.

32 Eine Gleichstellung des Begriffes des geografischen Gebietes mit demjenigen des Zollgebiets wäre nur dann möglich gewesen, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber ebenfalls eine Sonderbestimmung erlassen hätte. Das BIRB führt hierzu aus, dass der Gesetzgeber, wenn er gewollt hätte, dass die Unterstellung unter zollamtliche Überwachung mit dem Verlassen des Gebietes gleichgestellt würde, nur die Gewährung von Ausfuhrerstattungen von der Annahme der Ausfuhrerklärung durch die Zollbehörden abhängig gemacht hätte.

33 Die Auslegung, dass die Erzeugnisse das geografische Gebiet der Gemeinschaft gegenständlich verlassen haben müssten, werde durch die Artikel 10 bis 12 der Verordnung Nr. 2730/79 sowie durch das Urteil vom 12. Dezember 1985 in der Rechtssache 276/84 (Metelmann, Slg. 1985, 4057) bestätigt. In diesem Urteil sei es um ein Erzeugnis gegangen, das nach Erfuellung der Ausfuhrzollförmlichkeiten in einem Zolllager eingelagert worden sei, dort in andere Einheiten umgepackt worden sei und dann das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen habe. Ohne jeden Zweifel gehe aus diesem Urteil hervor, dass Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung verlange, dass das Erzeugnis das geografische Gebiet der Gemeinschaft tatsächlich verlassen haben müsse, und nicht bloss, dass es in ein Zolllager verbracht worden sei.

34 Das BIRB macht ferner geltend, dass vor dem nationalen Gericht zu Unrecht der Eindruck erweckt worden sei, dass die Waren dem Zolllagerverfahren unterworfen worden seien. Denn es habe keine Einlagerungserklärung vorgelegen. Für die Waren sei nur eine Ausfuhranmeldung mittels des Ausfuhrdokuments EX69 abgegeben worden, dann seien sie zollamtlicher Überwachung unterstellt und vorläufig, bis zum Eintreffen eines Schiffes, in einem Getreidesilo gelagert worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

35 Erstens bezieht sich die in Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 geregelte Voraussetzung, wonach die Waren das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben müssen, auf einen gegenständlichen Begriff und nicht auf den Rechtsbegriff des Zollgebiets.

36 Diese Auslegung wird durch die vierte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2730/79 bestätigt, in der es heißt, dass der Begriff des geografischen Gebietes gewählt worden sei, um zu einer einheitlichen Auslegung des Begriffes der Ausfuhr aus der Gemeinschaft zu gelangen.

37 Im Übrigen ergibt nur diese Auslegung einen Sinn für die verschiedenen Klarstellungen in Artikel 9 Absatz 2 und in der fünften Begründungserwägung der Verordnung, die die verschiedenen Fälle betreffen, in denen die Begriffe des geografischen Gebietes und des Zollgebiets sich nicht decken.

38 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Unterstellung von Waren unter zollamtliche Überwachung nicht dem Verlassen des geografischen Gebietes der Gemeinschaft gleichgestellt werden kann. Andernfalls hätte die entsprechende Voraussetzung in Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 keine Existenzberechtigung, und die Ausfuhrerstattungen könnten nach Erfuellung der Ausfuhrförmlichkeiten im Sinne dieser Verordnung gewährt werden.

39 Diese Auslegung von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 wird durch Artikel 26 der Verordnung bestätigt, der Bevorratungserzeugnisse betrifft und ausdrücklich die besonderen Umstände aufführt, unter denen die Verbringung derartiger Erzeugnisse in unter zollamtlicher Überwachung stehende Räumlichkeiten die Zahlung der Ausfuhrerstattungen als Vorschuss erlaubt.

40 Das erwähnte Urteil Irland/Kommission spricht nicht gegen diese Auslegung. Der diesem Urteil zugrunde liegende Rechtsstreit fügte sich in den besonderen Kontext der Umladevorgänge in der Seeschifffahrt ein, die unter bestimmten Umständen notwendig werden und in Bezug auf die der Ausschuss für das gemeinschaftliche Versandverfahren in einer Stellungnahme von 1973 den Begriff des Verlassens des geografischen Gebietes der Gemeinschaft klargestellt hatte.

41 Drittens ist, soweit die Frage der Unterstellung der Waren unter das Zolllagerverfahren im Ausgangsverfahren, wie das vorlegende Gericht es dargestellt hat, erheblich ist, daran zu erinnern, dass die in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit geltenden Bestimmungen für Ausfuhrerstattungen zwei verschiedene Regelungen vorsehen. Der Ausführer kann unmittelbare Ausfuhren gemäß der Verordnung Nr. 2730/79 durchführen oder aber Waren erst nach vorheriger Unterstellung unter ein Zolllagerverfahren gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 565/80 ausführen.

42 Will der Ausführer Erstattungen für unmittelbare Ausfuhren erhalten, muss er eine Ausfuhrerklärung abgeben und die Waren zollrechtlicher Überwachung unterstellen, wo sie höchstens 60 Tage lang verbleiben dürfen. Möchte der Ausführer Ausfuhrerstattungen für zuvor eingelagerte Waren als Vorschuss erhalten, so muss er eine Zahlungserklärung einreichen und die Waren dem Zolllagerverfahren unterstellen, wo sie höchstens sechs Monate lang verbleiben dürfen, und er muss die Ausfuhrförmlichkeiten innerhalb dieser Frist erfuellen sowie die Waren innerhalb der 60 folgenden Tage ausführen.

43 Aus den für diese beiden Regelungen geltenden Bestimmungen in Verbindung miteinander geht hervor, dass sich der Ausführer, der die Ausfuhrzollförmlichkeiten im Sinne der Verordnung Nr. 2730/79 erledigt hat, endgültig verpflichtet hat, die Waren binnen 60 Tagen vom Tag der Annahme der Ausfuhrerklärung an auszuführen und es ihm daher nicht mehr freisteht, die Regelung der Vorauszahlung der Erstattungen nach Unterstellung der Waren unter ein Zolllagerverfahren gemäß der Verordnung Nr. 565/80 in Anspruch zu nehmen.

44 Eine Unterwerfung unter ein Zolllagerverfahren zu dem Zweck, die Erstattungen als Vorschuss zu erhalten, wie dies in Artikel 5 der Verordnung Nr. 565/80 vorgesehen ist, kann somit nur in einem Stadium vor der Erfuellung der Ausfuhrzollförmlichkeiten und insoweit erfolgen, als eine Zahlungserklärung eingereicht worden ist.

45 Daher ist die von Lalemant vertretene Auslegung des Artikels 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79, wonach die Voraussetzung des Verlassens des geografischen Gebietes der Gemeinschaft durch die Unterstellung des Erzeugnisses unter ein Zolllagerverfahren erfuellt ist, offensichtlich nicht stichhaltig.

46 Nach allem ist Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2730/79 dahin auszulegen, dass sich die Wendung geografisches Gebiet der Gemeinschaft" auf einen gegenständlichen Begriff bezieht und dass die Voraussetzung, dass das Erzeugnis, für das Ausfuhrerstattungen beantragt worden sind, das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben muss, weder durch die Unterstellung des Erzeugnisses unter zollamtliche Überwachung noch durch seine Unterwerfung unter ein Zolllagerverfahren erfuellt ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

beschlossen:

Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3826/85 der Kommission vom 23. Dezember 1985 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich die Wendung geografisches Gebiet der Gemeinschaft" auf einen gegenständlichen Begriff bezieht und dass die Voraussetzung, dass das Erzeugnis, für das Ausfuhrerstattungen beantragt worden sind, das geografische Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben muss, weder durch die Unterstellung des Erzeugnisses unter zollamtliche Überwachung noch durch seine Unterwerfung unter ein Zolllagerverfahren erfuellt ist.

Ende der Entscheidung

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