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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.1995
Aktenzeichen: C-83/94
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Verordnung (EWG) Nr. 2603/69, Aussenwirtschaftsgesetze


Vorschriften:

EG-Vertrag Artikel 113
Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 Artikel 1
Aussenwirtschaftsgesetze § 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 17. OKTOBER 1995. - STRAFVERFAHREN GEGEN PETER LEIFER, REINHOLD OTTO KRAUSKOPF UND OTTO HOLZER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT DARMSTADT - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAME HANDELSPOLITIK - AUSFUHR VON GUETERN MIT DOPPELTEM VERWENDUNGSZWECK. - RECHTSSACHE C-83/94.

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht Darmstadt hat dem Gerichtshof mit Beschluß vom 21. Februar 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag sechs Fragen nach der Auslegung der Artikel 113, 223 Absatz 1 Buchstabe b und 224 EG-Vertrag sowie der Artikel 1 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung (ABl. L 324, S. 25) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3918/91 des Rates vom 19. Dezember 1991 (ABl. L 372, S. 31) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren gegen die Herren Leifer, Krauskopf und Holzer, die im Ausgangsverfahren angeklagt sind, von 1984 bis 1988 ohne die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen Anlagen, Anlagenteile sowie Chemikalien in den Irak geliefert zu haben.

3 Gemäß § 2 des Aussenwirtschaftsgesetzes (AWG) kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung vorschreiben, daß Rechtsgeschäfte und Handlungen verboten sind oder einer Genehmigung bedürfen.

4 § 7 AWG mit dem Titel "Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen" nennt in Absatz 1 die Voraussetzungen, unter denen derartige Beschränkungen auferlegt werden können:

"Rechtsgeschäfte und Handlungen im Aussenwirtschaftsverkehr können beschränkt werden, um

1. die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten,

2. eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten oder

3. zu verhüten, daß die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden."

5 In diesem Rahmen hat die Bundesregierung mit der Aussenwirtschaftsverordnung (AWV) eine Rechtsverordnung erlassen, in deren Anlage AL die Waren aufgeführt sind, die einer Genehmigung bedürfen. Diese Liste AL sieht in ihrer mehrfach geänderten Fassung eine Genehmigungspflicht für bestimmte Anlagen und Anlagenteile sowie für bestimmte Chemikalien vor. Für Chemie-Anlagen ist die Genehmigung nur erforderlich, sofern sie in Staaten ausgeführt werden, die nicht Mitglied der ÖCD sind. So umfasst die Liste insbesondere die von den Angeklagten des Ausgangsverfahrens ausgeführten Waren.

6 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß die Staatsanwaltschaft Darmstadt die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland durch diese Ausfuhr als empfindlich gestört ansah und daher den Verstoß strafrechtlich verfolgte. Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel an der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft für die Einführung von Ausfuhrgenehmigungsverfahren für den Handel mit Drittländern und von daran anknüpfenden strafrechtlichen Sanktionen. Es führt aus, daß bei einer Unvereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht die erstgenannten unanwendbar wären, so daß dadurch die Straftat entfiele. Aus diesen Gründen hat das nationale Gericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) a) Ist Artikel 113 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß unter seinen Geltungsbereich auch nationale Regelungen zur Beschränkung der Ausfuhr in Drittstaaten von Waren fallen, die sowohl zu militärischen als auch zivilen Zwecken geeignet sind (sog. Dual-use-Waren), wie sie in Abschnitt A Teil I der Ausfuhrliste und in der 52. Verordnung vom 14. Mai 1984 (Bundesanzeiger 91/84) mit der Einfügung der Nr. 1710 in Teil I Abschnitt C der Ausfuhrliste sowie in der 56. Verordnung zur Änderung der Aussenwirtschaftsverordnung (AWV) mit der Einfügung des § 5a AWV vom 6. August 1984 (BGBl. 1984 I S. 1079) nebst der 53. Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste mit Einfügung des Abschnitts D in Teil I der Ausfuhrliste (BGBl. 1984 I S. 1080) enthalten sind?

b) Sind daher für solche Ausfuhrbeschränkungen vorbehaltlich einer Ermächtigung zugunsten einzelner Mitgliedstaaten und vorbehaltlich der im EWG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen ausschließlich die Gemeinschaftsorgane zuständig?

Bejahendenfalls:

2) Sind Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 224 EWG-Vertrag und Artikel 11 der Verordnung Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung (ABl. 1969, L 324/25, zuletzt geändert durch die Verordnung [EWG] Nr. 3918/91 des Rates vom 19. Dezember 1991, ABl. 1991, L 372/31 - im folgenden: Ausfuhrverordnung) dahin auszulegen, daß sie einem Mitgliedstaat den Erlaß nationaler Vorschriften wie solchen in Frage 1 beschriebenen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittstaaten ausnahmsweise gestatten?

3) Sind Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 224 EWG-Vertrag und Artikel 11 Ausfuhrverordnung dahin auszulegen, daß sie den Mitgliedstaaten den Erlaß nationaler Vorschriften gestatten,

a) die die volle Darlegungs- und Beweislast der zivilen Verwendung der Dual-use-Waren als Voraussetzung für die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung dem Antragsteller auferlegen,

b) nach denen die Ausfuhrgenehmigung bereits bei objektiver Eignung der Waren zur militärischen Verwendung verweigert werden darf?

4) a) Ist Artikel 1 Ausfuhrverordnung dahin gehend auszulegen, daß die dort geregelte Ausfuhrfreiheit auch die Freiheit von Ausfuhrgenehmigungsverfahren und nationalen Strafsanktionen bei Verstoß gegen die nationalen Ausfuhrgenehmigungsregelungen umfasst?

b) Bewirken Strafsanktionen der Mitgliedstaaten eine Beschränkung der Ausfuhrfreiheit im Sinne des Artikels 1 Ausfuhrverordnung, zu deren Erlaß die einzelnen Mitgliedstaaten ohne Ermächtigung der Gemeinschaftsorgane und vorbehaltlich des Ausnahmetatbestands des Artikels 11 Ausfuhrverordnung nicht zuständig sind?

5) a) Sind Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b, 224 EWG-Vertrag und Artikel 11 Ausfuhrverordnung dahin auszulegen, daß sie den einzelnen Mitgliedstaaten ausnahmsweise den Erlaß von strafbewehrten Ausfuhrgenehmigungsverfahren erlauben, nicht zum Schutze ihrer eigenen Sicherheit, sondern lediglich, um eine erhebliche Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten bzw. zu verhüten, daß die auswärtigen Beziehungen des betreffenden Mitgliedstaats erheblich gestört werden (vgl. die Regelung des § 7 Absatz 1 Nrn. 2 und 3 AWG)?

b) Sind Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b, 224 EWG-Vertrag und Artikel 11 Ausfuhrverordnung dahin gehend auszulegen, daß sie den einzelnen Mitgliedstaaten ausnahmsweise den Erlaß von Strafvorschriften erlauben, die die ungenehmigte Ausfuhr von sowohl militärisch als auch zivil einsetzbaren Dual-use-Waren und POCL3 unter Strafe stellen, wie dies die §§ 34 Absatz 1 Nr. 3, 33 Absatz 1, 7 Absatz 1 AWG in Verbindung mit §§ 70 Absatz 1 Nr. 1, 5, 5a AWV und Abschnitt A, C Nr. 1710 sowie Abschnitt D der Ausfuhrliste Teil I in den Fassungen vom 14. Mai 1984 und 6. August 1984 vorsehen, und sind solche Strafvorschriften, die auch Freiheitsstrafen vorsehen, noch mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu vereinbaren?

c) Sind Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b, 224 EWG-Vertrag und Artikel 11 Ausfuhrverordnung dahin auszulegen, daß sie den Mitgliedstaaten erlauben, im Falle ungenehmigter Ausfuhren von Dual-use-Waren Freiheits- und Geldstrafen bereits bei objektiver Eignung der Waren für eine militärische Verwendung zu verhängen?

d) Gestattet das Gemeinschaftsrecht eine Bestrafung nur bei durch Tatsachen begründeter, vernünftiger Wahrscheinlichkeit der militärischen Verwendung der Dual-use-Waren und Kenntnis des Exporteurs davon?

6) Bei Verneinung aller oder eines Teils dieser Fragen:

Ergibt sich aus Artikel 113 EWG-Vertrag und/oder Artikel 1 Ausfuhrverordnung eine unmittelbare Wirkung zugunsten der einzelnen Bürger mit der Folge, daß die Artikel 113 EWG-Vertrag und/oder Artikel 1 Ausfuhrverordnung Rechte für den einzelnen Gemeinschaftsbürger begründen, die die nationalen Gerichte zu wahren haben?

Zur ersten Frage

7 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 113 des Vertrages dahin auszulegen ist, daß die nationalen Regelungen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittländer in seinen Geltungsbereich fallen und, sofern dies der Fall ist, ob die Gemeinschaft auf diesem Gebiet über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt.

8 Die gemeinsame Handelspolitik wird gemäß Artikel 113 des Vertrages nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet; dies gilt insbesondere für die Änderung von Zollsätzen, den Abschluß von Zoll- und Handelsabkommen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen, die Ausfuhrpolitik und die handelspolitischen Schutzmaßnahmen.

9 Die Durchführung einer solchen gemeinsamen Handelspolitik verbietet eine einschränkende Auslegung dieses Begriffs, damit es wegen der Unterschiede, die andernfalls in bestimmten Bereichen der Wirtschaftsbeziehungen zu den Drittländern fortbestehen würden, nicht zu Störungen im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr kommt (vgl. Gutachten 1/78 vom 4. Oktober 1979, Slg. 1979, 2871, Randnr. 45).

10 Daraus folgt, daß eine nationale Regelung, die die Verhinderung oder Beschränkung der Ausfuhr bestimmter Güter bewirkt, unter die gemeinsame Handelspolitik im Sinne des Artikels 113 des Vertrages fällt.

11 Diese Feststellung wird nicht dadurch entkräftet, daß die Beschränkung Dual-use-Waren betrifft. Die Natur dieser Produkte kann sie nämlich nicht dem Geltungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik entziehen.

12 Da durch Artikel 113 Absatz 1 die Zuständigkeit für die Handelspolitik insgesamt auf die Gemeinschaft übertragen worden ist, sind nationale handelspolitische Maßnahmen demnach nur mit einer besonderen Ermächtigung durch die Kommission zulässig (Urteile vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 41/76, Donckerwolke, Slg. 1976, 1921, Randnr. 32, und vom 18. Februar 1986 in der Rechtssache 174/84, Bulk Oil, Slg. 1986, 559, Randnr. 31).

13 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 113 des Vertrages dahin auszulegen ist, daß Regelungen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittländer in seinen Geltungsbereich fallen und daß die Gemeinschaft auf diesem Gebiet über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, die demnach die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, ausser im Falle einer besonderen Ermächtigung durch die Kommission, ausschließt.

Zur zweiten Frage

14 Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage so zu verstehen, daß sie darauf gerichtet ist, ob ein Mitgliedstaat ausnahmsweise gemäß Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b oder Artikel 224 des Vertrages oder auf der Grundlage des Artikels 11 der Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung (ABl. L 324, S. 25, im folgenden: Verordnung) nationale Maßnahmen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittländer erlassen kann.

15 Zunächst ist zu untersuchen, ob nationale Maßnahmen wie die in Rede stehenden in den Geltungsbereich der Verordnung fallen; sodann ist zu prüfen, ob solche Maßnahmen auf der Grundlage des Artikels 11 der Verordnung gerechtfertigt sein können.

16 Nach Artikel 1 der Verordnung sind die "Ausfuhren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dritten Ländern... frei, d. h. keinen mengenmässigen Beschränkungen unterworfen, mit Ausnahme derjenigen, die in Übereinstimmung mit den Vorschriften dieser Verordnung Anwendung finden".

17 Artikel 11 dieser Verordnung sieht eine solche Ausnahme vor, indem er bestimmt: "Unbeschadet anderer Vorschriften der Gemeinschaft steht diese Verordnung der Einführung oder Anwendung mengenmässiger Ausfuhrbeschränkungen durch die Mitgliedstaaten nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind."

18 Die deutsche Regierung bezweifelt, daß das Genehmigungserfordernis eine mengenmässige Beschränkung darstellen könne; zudem liege die Annahme nahe, daß die Verordnung lediglich mengenmässige Ausfuhrbeschränkungen verbiete, nicht auch Maßnahmen gleicher Wirkung.

19 Dem kann nicht gefolgt werden.

20 Es trifft zu, daß Artikel 34 des Vertrages für den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft zwischen mengenmässigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung unterscheidet.

21 Daraus folgt jedoch nicht, daß der Begriff der mengenmässigen Beschränkungen bei seiner Verwendung in einer Verordnung, die sich auf den Handel der Gemeinschaft mit den Drittländern bezieht, so auszulegen wäre, daß er jede Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 34 des Vertrages ausschließt.

22 Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung betont hat, sind bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 17. November 1983 in der Rechtssache 292/82, Merck, Slg. 1983, 3781, Randnr. 12, und vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache 337/82, St. Nikolaus Brennerei, Slg. 1984, 1051, Randnr. 10).

23 Eine auf Artikel 113 des Vertrages gestützte Verordnung mit dem in ihrem Artikel 1 genannten Ziel der Verwirklichung des Grundsatzes der Ausfuhrfreiheit auf Gemeinschaftsebene kann Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht von ihrem Geltungsbereich ausnehmen, deren Wirkung einer mengenmässigen Beschränkung gleichkommt, weil ihre Anwendung wie im vorliegenden Fall zu einem Ausfuhrverbot führen kann.

24 Diese Feststellung wird im übrigen durch Artikel XI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens bestätigt, das zur Auslegung einer Gemeinschaftsregelung für den internationalen Handel heranzuziehen ist. Dieser Artikel mit dem Titel "Allgemeine Beseitigung von mengenmässigen Beschränkungen" führt nämlich in Absatz 1 "Verbote oder Beschränkungen, sei es in Form von Kontingenten, Einfuhr- und Ausfuhrbewilligungen oder in Form von anderen Maßnahmen" an, "[a]usser Zöllen, Abgaben und sonstigen Belastungen".

25 Herr Leifer ist der Auffassung, daß eine Ausfuhrbeschränkung nur bei strategischer Verwendung der Waren und nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit zulässig sei. Anders als die Gefährdung der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland könne somit die Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder der auswärtigen Beziehungen Deutschlands solche Maßnahmen nicht rechtfertigen.

26 Der Gerichtshof hat hierzu in seinem Urteil vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-367/89 (Richardt und "Les Accessoires Scientifiques", Slg. 1991, I-4621, Randnr. 22) festgestellt, daß der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Artikels 36 des Vertrages sowohl die innere Sicherheit eines Mitgliedstaats als auch seine äussere Sicherheit umfasst. Eine engere Auslegung dieses Begriffes im Rahmen des Artikels 11 der Verordnung liefe auf eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten hinaus, den Warenverkehr auf dem Binnenmarkt stärker zu beschränken als denjenigen mit den Drittländern.

27 Zudem ist es, wie der Generalanwalt in der Nummer 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, schwierig, eine klare und sichere Unterscheidung zwischen aussenpolitischen und sicherheitspolitischen Erwägungen zu treffen. Ausserdem kann, wie er in der Nummer 46 feststellt, die Sicherheit eines Staates immer weniger isoliert betrachtet werden, da sie eng mit der Sicherheit der internationalen Gemeinschaft insgesamt und ihrer verschiedenen Teile verknüpft ist.

28 Daraus folgt, daß die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker die Sicherheit eines Mitgliedstaats beeinträchtigen kann.

29 Zwar hat das vorlegende Gericht zu entscheiden, ob Artikel 11, wie ihn der Gerichtshof ausgelegt hat, auf den Sachverhalt und die Maßnahmen, die es zu beurteilen hat, anzuwenden ist, doch ist darauf hinzuweisen, daß feststeht, daß die Ausfuhr einer Ware, die zu militärischen Zwecken verwendet werden kann, in ein Land, das sich im Krieg mit einem anderen Land befindet, die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats im oben beschriebenen Sinne beeinträchtigen kann (vgl. das Urteil Richardt und "Les Accessoires Scientifiques", a. a. O., Randnr. 22).

30 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß ein Mitgliedstaat ausnahmsweise gemäß Artikel 11 der Verordnung nationale Maßnahmen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittländer erlassen kann, wenn er dies für erforderlich hält, um die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker, die die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats im Sinne dieser Bestimmung beeinträchtigen kann, zu verhindern.

31 Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen auch auf der Grundlage der Artikel 223 Absatz 1 Buchstabe b oder 224 des Vertrages gerechtfertigt werden können.

Zur dritten Frage

32 Angesichts der Antworten auf die vorangegangenen Fragen betrifft diese Frage im wesentlichen die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit und ist insbesondere darauf gerichtet, ob die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 der Verordnung von demjenigen, der eine Ausfuhrgenehmigung beantragt, verlangen können, den Beweis für die zivile Verwendung der Dual-use-Waren zu erbringen, oder die Genehmigung verweigern können, wenn die Waren objektiv zur militärischen Verwendung geeignet sind.

33 Artikel 11 ist als Ausnahme von dem in Artikel 1 der Verordnung genannten Grundsatz der Ausfuhrfreiheit so auszulegen, daß er in seinen Wirkungen nicht über das hinausgeht, was zum Schutz der Interessen, die er gewährleisten soll, erforderlich ist.

34 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Annahmen, von denen es in seinen Fragen ausgeht, auf einer zutreffenden Auslegung des nationalen Rechts beruhen, was von der deutschen Regierung bezweifelt wird, und sodann zu beurteilen, ob die betreffenden Maßnahmen geeignet und erforderlich sind, um die verfolgten Ziele zu erreichen, und ob diese Ziele nicht durch weniger belastende Maßnahmen hätten erreicht werden können.

35 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die zuständigen nationalen Behörden je nach den Umständen über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen, wenn sie Maßnahmen treffen, die sie für erforderlich halten, um die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats im oben genannten Sinne zu gewährleisten. Wenn die Ausfuhr der Dual-use-Güter eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats mit sich bringt, können diese Maßnahmen vorsehen, daß derjenige, der eine Ausfuhrgenehmigung beantragt, den Beweis für die zivile Nutzung dieser Waren zu erbringen hat und daß die Genehmigung im Hinblick auf die besonderen Umstände, unter anderem die politische Lage im Bestimmungsland, auch verweigert werden kann, wenn diese Waren objektiv für eine militärische Verwendung geeignet sind.

36 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß die Verpflichtung des Antragstellers, den Beweis für die ausschließlich zivile Nutzung der Güter zu erbringen, oder die Verweigerung einer Genehmigung, wenn die Güter objektiv für militärische Zwecke verwendet werden können, bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit - was das vorlegende Gericht zu prüfen hat - verhältnismässig sein können.

Zu der vierten und der fünften Frage

37 Zu der vierten und der fünften Frage Buchstabe a genügt die Feststellung, daß aus den Antworten auf die erste und die zweite Frage hervorgeht, daß nationale Maßnahmen, die eine Ausfuhrgenehmigung für Dual-use-Güter verlangen, tatsächlich Hindernisse für die Ausfuhrfreiheit im Sinne des Artikels 1 der Verordnung darstellen, gleichwohl jedoch auf der Grundlage des Artikels 11 unter den im Zusammenhang mit den anderen Vorlagefragen genannten Voraussetzungen gerechtfertigt werden können.

38 Mit seiner Frage 5 Buchstaben b, c und d möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten die Nichteinhaltung des Genehmigungsverfahrens strafrechtlich ahnden können.

39 Die Möglichkeit, Zuwiderhandlungen gegen dieses Verfahren strafrechtlich zu ahnden, fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Wenn also das Gemeinschaftsrecht nicht ausschließt, daß das nationale Recht den Verstoß gegen diese Verpflichtung mit Sanktionen belegt, so dürfen doch die vorgesehenen Strafen nicht ausser Verhältnis zum verfolgten Ziel der öffentlichen Sicherheit stehen.

40 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Falles zu beurteilen, ob die strafrechtlichen Sanktionen, die verhängt werden können, mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Einklang stehen. Zu berücksichtigende Umstände sind etwa die Art der Ware, die die Sicherheit des Staates gefährden könnte, die Umstände, unter denen die Zuwiderhandlung begangen worden ist, und die Gutgläubigkeit oder Bösgläubigkeit des Wirtschaftsteilnehmers, der die Ausfuhr rechtswidrig vorgenommen hat (vgl. in diesem Sinne das Urteil Richardt und "Les Accessoires Scientifiques", a. a. O., Randnr. 25).

41 Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 177 des Vertrages ist es im übrigen nicht Sache des Gerichtshofes, zum Vorbringen der deutschen Regierung Stellung zu nehmen, daß die Frage 5 Buchstabe c auf einer unzutreffenden Auslegung der in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften beruhe.

42 Auf diese Frage ist daher zu antworten, daß es das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, die Nichteinhaltung des Genehmigungsverfahrens mit strafrechtlichen Sanktionen zu belegen, sofern die Strafen, die verhängt werden können, nicht ausser Verhältnis zum verfolgten Ziel der öffentlichen Sicherheit stehen.

Zur sechsten Frage

43 Mit seiner letzten Frage fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach der unmittelbaren Wirkung von Artikel 113 des Vertrages und/oder von Artikel 1 der Verordnung.

44 Hierzu genügt der Hinweis, daß gemäß Artikel 189 Absatz 2 EG-Vertrag eine Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Eine Bestimmung wie Artikel 1 der Verordnung ist somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betrifft, seien dies die Mitgliedstaaten oder Einzelpersonen, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen (vgl. Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629, Randnr. 15).

45 Diese Feststellung kann auch nicht durch die in Artikel 11 der Verordnung genannten Ausnahmen entkräftet werden, da diese gerichtlich nachgeprüft werden können, so daß die Möglichkeit für einen Mitgliedstaat, sich darauf zu berufen, Artikel 1 nicht beeinträchtigt, der dem einzelnen Rechte verleiht, die er gerichtlich geltend machen kann.

46 Auf die letzte Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 1 der Verordnung dem einzelnen Rechte verleiht, die er gerichtlich geltend machen kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Die Auslagen der deutschen Regierung, der griechischen Regierung, der spanischen Regierung, der französischen Regierung, der italienischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Landgericht Darmstadt mit Beschluß vom 21. Februar 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 113 EG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß Regelungen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittländer in seinen Geltungsbereich fallen und daß die Gemeinschaft auf diesem Gebiet über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt, die demnach die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, ausser im Falle einer besonderen Ermächtigung durch die Kommission, ausschließt.

2) Ein Mitgliedstaat kann ausnahmsweise gemäß Artikel 11 der Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung, zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 3918/91 des Rates vom 19. Dezember 1991, nationale Maßnahmen zur Beschränkung der Ausfuhr von Dual-use-Waren in Drittländer erlassen, wenn er dies für erforderlich hält, um die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker, die die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats im Sinne dieser Bestimmung beeinträchtigen kann, zu verhindern.

3) Die Verpflichtung des Antragstellers, den Beweis für die ausschließlich zivile Nutzung der Güter zu erbringen, oder die Verweigerung einer Genehmigung, wenn die Güter objektiv für militärische Zwecke verwendet werden können, können bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit - was das vorlegende Gericht zu prüfen hat - verhältnismässig sein.

4) Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es den Mitgliedstaaten nicht, die Nichteinhaltung des Genehmigungsverfahrens mit strafrechtlichen Sanktionen zu belegen, sofern die Strafen, die verhängt werden können, nicht ausser Verhältnis zum verfolgten Ziel der öffentlichen Sicherheit stehen.

5) Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 verleiht dem einzelnen Rechte, die er vor Gericht geltend machen kann.

Ende der Entscheidung

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