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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.06.1993
Aktenzeichen: C-88/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften Art. 14
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften ist in dem Sinne auszulegen, daß er dem Gemeinschaftsbeamten keine Wahlmöglichkeit zur Bestimmung seines steuerlichen Wohnsitzes einräumt und daß die vor dem Dienstantritt bei den Gemeinschaften bestehende Absicht des Beamten, seinen Wohnsitz in den Mitgliedstaat der Ausübung seiner Amtstätigkeit zu verlegen, nicht bei der Prüfung der Frage berücksichtigt werden kann, ob er seinen Wohnsitz dort lediglich zur Ausübung seiner Amtstätigkeit begründet hat, es sei denn, der Beamte erbringt den Nachweis, daß er unabhängig von seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften schon Maßnahmen zur Verlegung seines Wohnsitzes getroffen hatte.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 17. JUNI 1993. - JANSEN VAN ROSENDAAL GEGEN STAATSSECRETARIS VAN FINANCIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - PROTOKOLL UEBER DIE VORRECHTE UND BEFREIUNGEN DER GEMEINSCHAFTEN - STEUERLICHER WOHNSITZ EINES BEAMTEN DER GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSSACHE C-88/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 11. März 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung von Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Protokoll) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen X und den Steuerbehörden der Niederlande.

2 X ist niederländischer Staatsangehöriger und hat bis Februar 1982 in den Niederlanden gelebt und gearbeitet. Am 1. März 1982 trat er als Beamter in den Dienst der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und verlegte seinen Wohnsitz von den Niederlanden nach Luxemburg.

3 Am 30. November 1988 erging an ihn ein Bescheid der Steuerbehörde Leyden über die Nacherhebung von Einkommensteuer für das Jahr 1982. Hiergegen legte X Rechtsmittel ein. Mit Urteil vom 2. Juli 1990 setzte der Gerechtshof Den Haag den Betrag der Steuernachzahlung auf das Einkommen des Jahres 1982 fest.

4 Vor dem Hoge Raad der Nederlanden, bei dem Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt wurde, streiten die Parteien vor allem um die Auslegung von Artikel 14 des Protokolls. X macht hierzu geltend, er habe schon vor Aufnahme seiner Amtstätigkeit bei den Gemeinschaften beabsichtigt, die Niederlande zu verlassen. Daher könne man nicht von einem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat "lediglich" zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Gemeinschaften im Sinne des Artikels 14 des Protokolls ausgehen.

5 Der Hoge Raad hat daraufhin dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Lässt sich sagen, daß sich ein Beamter lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Gemeinschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates niederlässt, in dem er zur Zeit des Dienstantritts bei den Gemeinschaften seinen steuerlichen Wohnsitz hat, wenn dieser Beamte bereits vor Aufnahme dieser Amtstätigkeit vorhatte, sich in dem anderen Mitgliedstaat niederzulassen?

Ist hierbei von Bedeutung,

a) ob dieser Beamte die Durchführung dieses Vorhabens davon abhängig gemacht hatte, daß er in diesem Mitgliedstaat eine geeignete Tätigkeit aufnehmen konnte, und/oder

b) ob sich dieser Beamte aus Anlaß der Aufnahme der Amtstätigkeit bei den Gemeinschaften in diesem Mitgliedstaat zu dem Zweck niedergelassen hat, diese Amtstätigkeit ausüben zu können?

2) Lässt es Artikel 14 nach dem Sinn und Zweck des Protokolls, wie sie sich aus dessen Präambel und Artikel 18 ergeben, zu, daß der betroffene Beamte ° wenn er dies wünscht ° seinen steuerlichen Wohnsitz in dem genannten anderen Mitgliedstaat hat? Ist es hierbei von Bedeutung, ob sich dieser Beamte im Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats niederlässt?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Mit den Vorlagefragen möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 14 des Protokolls dem Beamten eine Wahlmöglichkeit zur Bestimmung seines steuerlichen Wohnsitzes einräumt und ob die vor Dienstantritt bei den Gemeinschaften bestehende Absicht des Beamten, seinen Wohnsitz in den Mitgliedstaat der Ausübung seiner Amtstätigkeit zu verlegen, für die Anwendung dieser Vorschrift zu berücksichtigen ist.

8 Zur Beantwortung dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, daß gemäß Artikel 13 des Protokolls von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezuegen, die die Gemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen, zugunsten der Gemeinschaften eine Steuer erhoben wird und daß diese Beamten und sonstigen Bediensteten von innerstaatlichen Steuern auf diese Gehälter, Löhne und Bezuege befreit sind.

9 Artikel 14 des Protokolls bestimmt, daß die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften, die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Gemeinschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates niederlassen, in dem sie zur Zeit ihres Dienstantritts bei den Gemeinschaften ihren steuerlichen Wohnsitz haben, für die Erhebung unter anderem der Einkommensteuer in den beiden genannten Staaten so behandelt werden, als hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten, sofern sich dieser in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft befindet.

10 Aus Artikel 18 des Protokolls folgt ausserdem, daß die Bestimmungen des Protokolls ausschließlich im Interesse der Gemeinschaften erlassen worden sind.

11 Die Artikel 13 und 14 des Protokolls regeln die Aufteilung der steuerlichen Befugnisse zwischen den Gemeinschaften, dem Mitgliedstaat, in dem der Beamte vor seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften seinen steuerlichen Wohnsitz hatte, und dem Mitgliedstaat, in dem er seine Amtstätigkeit ausübt.

12 Die Aufteilung der Befugnisse durch Artikel 14 des Protokolls wäre demnach in Frage gestellt, wenn der Beamte die freie Wahl hätte, seinen steuerlichen Wohnsitz in einen anderen Staat als den seines ursprünglichen steuerlichen Wohnsitzes zu verlegen.

13 Nach alledem ist Artikel 14 des Protokolls so auszulegen, daß die Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes des Gemeinschaftsbeamten nicht vom Willen des Betroffenen abhängen kann.

14 Ausserdem steht die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung des Protokolls im Hinblick auf die Besteuerung der Gemeinschaftsbeamten einer Berücksichtigung der blossen Absichten eines Beamten bei der Prüfung der Frage entgegen, ob der Beamte seinen Wohnsitz lediglich wegen seiner Amtstätigkeit begründet hat.

15 Gleichwohl kann der Beamte den Beweis dafür erbringen, daß er unabhängig von seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften schon Maßnahmen zur Verlegung seines Wohnsitzes getroffen hatte.

16 Mithin sind die Vorlagefragen so zu beantworten, daß Artikel 14 des Protokolls dem Gemeinschaftsbeamten keine Wahlmöglichkeit zur Bestimmung seines steuerlichen Wohnsitzes einräumt und daß die vor dem Dienstantritt bei den Gemeinschaften bestehende Absicht des Beamten, seinen Wohnsitz in den Mitgliedstaat der Ausübung seiner Amtstätigkeit zu verlegen, nicht bei der Prüfung der Frage berücksichtigt werden kann, ob er seinen Wohnsitz dort lediglich zur Ausübung seiner Amtstätigkeit begründet hat, es sei denn, der Beamte erbringt den Nachweis, daß er unabhängig von seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften schon Maßnahmen zur Verlegung seines Wohnsitzes getroffen hatte.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorliegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 11. März 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften ist in dem Sinne auszulegen, daß er dem Gemeinschaftsbeamten keine Wahlmöglichkeit zur Bestimmung seines steuerlichen Wohnsitzes einräumt und daß die vor dem Dienstantritt bei den Gemeinschaften bestehende Absicht des Beamten, seinen Wohnsitz in den Mitgliedstaat der Ausübung seiner Amtstätigkeit zu verlegen, nicht bei der Prüfung der Frage berücksichtigt werden kann, ob er seinen Wohnsitz dort lediglich zur Ausübung seiner Amtstätigkeit begründet hat, es sei denn, der Beamte erbringt den Nachweis, daß er unabhängig von seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften schon Maßnahmen zur Verlegung seines Wohnsitzes getroffen hatte.

Ende der Entscheidung

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