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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.1997
Aktenzeichen: C-88/95
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971, EG-Vertrag


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 Art. 4 Abs 1
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 Art. 48
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 Artikel 67
EG-Vertrag Art. 48
EG-Vertrag Art. 51
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

5 Wenn ein Mitgliedstaat in seiner Erklärung zum Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß Artikel 5 dieser Verordnung ein Gesetz oder eine innerstaatliche Regelung nicht erwähnt, so ergibt sich daraus nicht ohne weiteres, daß dieses Gesetz oder diese Regelung nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fällt; hat aber ein Mitgliedstaat in seiner Erklärung ein Gesetz genannt, so folgt daraus zwingend, daß die aufgrund dieses Gesetzes oder dieser Regelung gewährten Leistungen solche der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 sind.

Da das Gesetz zur Einführung der in Spanien für Arbeitslose, die älter als 52 Jahre sind, vorgesehenen Unterstützung in der Erklärung dieses Mitgliedstaats erwähnt ist, stellt diese Unterstützung eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dar.

6 Da keine der Bestimmungen des Kapitels 6 - Arbeitslosigkeit - des Titels III der Verordnung Nr. 1408/71 auf Artikel 48 dieser Verordnung verweist, der zu den Bestimmungen des Kapitels 3 - Alter und Tod (Renten) - dieses Titels gehört und der Versicherungs- oder Wohnzeiten von weniger als einem Jahr betrifft, findet dieser Artikel auf die Leistungen bei Arbeitslosigkeit keine Anwendung, so daß sich die Berücksichtigung von Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, durch einen Mitgliedstaat für die Zwecke der Gewährung einer Leistung bei Arbeitslosigkeit nur nach Artikel 67 der Verordnung richtet.

7 Da die Verordnung Nr. 1408/71 nicht regelt, welche Zeiten Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten darstellen, richtet sich dies ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Leistungen beantragt werden. Daher ist es Sache des nationalen Gerichts, das sein eigenes Recht anwendet, zu beurteilen, ob das Tatbestandsmerkmal des Artikels 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71, daß eine Person, die Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt hat, diese Zeiten für die Gewährung einer Leistung bei Arbeitslosigkeit in dem betreffenden Staat nur dann geltend machen kann, wenn sie zuletzt dort Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zurückgelegt hat, erfuellt ist, wenn der Betroffene dort niemals einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgegangen ist, aber von dem bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger Beiträge in seinem Namen zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet wurden.

8 Die Artikel 48 und 51 des Vertrages untersagen es ebensowenig wie die Verordnung Nr. 1408/71, daß nationales Recht die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung an Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, davon abhängig macht, daß der Betroffene fünfzehn Jahre lang Beiträge zu einem Altersrentensystem in einem oder mehreren Mitgliedstaaten entrichtet hat. Denn die Mitgliedstaaten sind nach wie vor dafür zuständig, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit zu ändern und zu verschärfen, sofern diese Voraussetzungen keine offene oder versteckte Diskriminierung von Arbeitnehmern der Gemeinschaft bewirken.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 20. Februar 1997. - Bernardina Martínez Losada, Manuel Fernández Balado und José Paredes gegen Instituto Nacional de Empleo (INEM) und Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Juzgado de lo Social n. 2 de Santiago de Compostela - Spanien. - Artikel 48 und 51 EG-Vertrag - Artikel 4, 48 und 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Arbeitslosenunterstützung für Empfänger, die älter als 52 Jahre sind. - Verbundene Rechtssachen C-88/95, C-102/95 und C-103/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Juzgado de lo Social Santiago de Compostela hat mit Beschlüssen vom 9. (C-88/95) und 13. März 1995 (C-102/95 und C-103/95), beim Gerichtshof eingegangen am 23. (C-88/95) und am 31. März 1995 (C-102/95 und C-103/95), gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 4, 48 und 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl. L 136, S. 7) (im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), sowie der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten der Kläger Martínez Losada (C-88/95), Fernández Balado (C-102/95) und Paredes (C-103/95) gegen das Instituto Nacional de Empleo (im folgenden: Inem) und das Instituto Nacional de la Seguridad Social; es geht dabei um die Zahlung einer Arbeitslosenunterstützung, die das spanische Recht für Empfänger vorsieht, die älter als 52 Jahre sind.

3 Nach Artikel 215.3 der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) in seiner durch das Königliche Decreto Legislativo Nr. 1/94 vom 20. Juni 1994 (BÖ Nr. 154 vom 29. Juni 1994) kodifizierten Fassung wird diese Unterstützung einem Arbeitslosen gewährt, der sechs Jahre lang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet hat und mit Ausnahme des Alters alle Voraussetzungen für den Empfang einer Altersrente der beitragsbezogenen Art im System der sozialen Sicherheit erfuellt.

4 Nach Artikel 161 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist eine solche Rente davon abhängig, daß eine Mindestbeitragszeit von fünfzehn Jahren zurückgelegt wurde, davon mindestens zwei Jahre im Laufe der acht Jahre unmittelbar vor der Erfuellung des Entstehungstatbestands des Leistungsanspruchs.

5 Im vorliegenden Fall waren die Kläger nach den Akten in mehreren Mitgliedstaaten im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt und haben dort einen Anspruch auf Altersrente erworben.

6 Hingegen haben sie niemals in Spanien gearbeitet und können daher keine Beitragszeit im Rahmen einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im spanischen Sozialversicherungssystem nachweisen. Alle drei Kläger erhielten jedoch nach dem spanischen Gesetz sechs Monate lang Arbeitslosenunterstützung. Im Falle der Klägerin Martínez Losada sollte diese Unterstützung die Familienlasten ausgleichen, während sie in den Fällen der Kläger Fernández Balado und Paredes zurückgekehrten Wanderarbeitnehmern gewährt wurde.

7 In dem Zeitraum von sechs Monaten, in dem die Kläger die Arbeitslosenunterstützung bezogen, entrichtete der nach dem spanischen Gesetz zuständige Träger in ihrem Namen Beiträge zum System der Krankenversicherung und zum System der Familienleistungen.

8 Mit Schreiben vom 30. Juli 1993, vom 10. September 1993 und vom 26. November 1993 beantragten die Kläger beim Inem die Arbeitslosenunterstützung, die für Empfänger vorgesehen ist, die älter als 52 Jahre sind. Diese Anträge wurden mit der Begründung abgelehnt, daß die Kläger nach dem zu diesem Zweck vom Instituto Nacional de la Seguridad Social erstellten Bericht nicht die erforderlichen Mindestbeitragszeiten zurückgelegt hätten, um Anspruch auf die im spanischen System der sozialen Sicherheit vorgesehene Altersrente zu haben.

9 Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts geht aus den nationalen Akten hervor, daß das Inem die Gewährung der in Rede stehenden Arbeitslosenunterstützung von der Voraussetzung abhängig macht, daß der Arbeitnehmer, der sie beantragt, Anspruch auf eine Altersrente zu Lasten des spanischen Systems der sozialen Sicherheit hat, wenn er das erforderliche Alter erreicht hat, und daß diese Unterstützung versagt wird, wenn die Rentenanwartschaft oder der Rentenanspruch in einem anderen Mitgliedstaat erworben wurde.

10 Die Kläger erhoben daraufhin Klage beim Juzgado de lo Social Santiago de Compostela; dieses Gericht fragt sich, ob Artikel 48 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 auf den Fall des Ausgangsverfahrens anzuwenden und wie Artikel 67 der Verordnung auszulegen ist.

11 Artikel 48 Absatz 1 entbindet den zuständigen Träger eines Mitgliedstaats von der Verpflichtung, den Anspruch auf eine Altersrente anzuerkennen, wenn die Dauer der nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zurückgelegten Beitragszeiten weniger als ein Jahr beträgt oder wenn kein Beitrag entrichtet worden ist.

12 Artikel 67, der für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit gilt, lautet wie folgt:

"(1) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind; für Beschäftigungszeiten gilt dies jedoch unter der Voraussetzung, daß sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

...

(3) Absätze 1 und 2 gelten... nur unter der Voraussetzung, daß die betreffende Person unmittelbar zuvor

- im Fall des Absatzes 1 Versicherungszeiten,

...

nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden.

..."

13 Das vorlegende Gericht hat Zweifel daran, wie die Verordnung Nr. 1408/71 anzuwenden ist. Es führt aus, daß das Tribunal Supremo mit Urteil vom 28. Februar 1994 entschieden habe, daß in den Genuß der Leistungen der spanischen sozialen Sicherheit nicht gelangen könne, wer diesem System weder angeschlossen sei noch Beiträge zu ihm entrichtet habe, da er ausserhalb dieses Systems stehe. Nach Ansicht dieses Gerichts müsse nach Artikel 48 der Verordnung Nr. 1408/71, wer eine Leistung begehre, für eine bestimmte Mindestzeit dem System der sozialen Sicherheit des Staates angehört haben, nach dem die Leistung gewährt werde.

14 Das vorlegende Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die vom Kläger beantragte Arbeitslosenunterstützung für Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, gemäß Artikel 13.2 des Gesetzes Nr. 31/84 vom 2. August 1984 in der Fassung des Königlichen Decreto Ley Nr. 3/89 vom 31. März 1989 (jetzt Artikel 215.3 des Königlichen Decreto Legislativo Nr. 1/94 vom 20. Juni 1994) eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71? (C-102/95 und C-103/95)

2. Verpflichtet Artikel 67 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (in seiner geltenden Fassung) zur Berücksichtigung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind, im Hinblick auf eine Arbeitslosenunterstützung für Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, gemäß Artikel 215.3 des Königlichen Decreto Legislativo Nr. 1/94 vom 20. Juni 1994, mit dem der neugefasste Wortlaut der Ley General de la Seguridad Social gebilligt wird, soweit mit solchen Beiträgen der Anspruch auf eine Altersrente - abgesehen vom Alter - in einem anderen Mitgliedstaat als dem des zuständigen Trägers erlangt werden kann? (C-88/95, C-102/95 und C-103/95)

3. Gilt dies gegebenenfalls auch dann, wenn der Arbeitnehmer in Spanien keine Beiträge oder Beiträge für weniger als ein Jahr entrichtet hat, sofern er einen Anspruch auf Altersversorgung in einem anderen Mitgliedstaat hat? (C-88/95, C-102/95 und C-103/95)

4. Verstösst es gegen Artikel 48 Absatz 2 und Artikel 51 EG-Vertrag, daß Wanderarbeitnehmer für das Entstehen des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung für Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, nachweisen müssen, daß sie - abgesehen vom Alter - Anspruch auf eine Altersrente zu Lasten des spanischen Systems der sozialen Sicherheit haben, wobei von deren Bewilligung diejenigen ausgeschlossen sind, die nachweisen, daß sie einen solchen Anspruch in einem anderen Mitgliedstaat haben? (C-88/95, C-102/95 und C-103/95)

15 Die Rechtssachen C-88/95, C-102/95 und C-103/05 sind mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 9. Juni 1995 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

16 Von den Vorlagefragen ist zunächst die erste, dann die dritte, die zweite und schließlich die vierte zu beantworten.

Zur ersten Frage

17 Mit seiner ersten Frage begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob eine Unterstützung, wie sie im spanischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz für Arbeitslose, die älter als 52 Jahre sind, vorgesehen ist, eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt.

18 Nach dieser Bestimmung gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" betreffen. Nach Artikel 4 Absatz 2 gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit.

19 Nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 geben die Mitgliedstaaten in Erklärungen, die gemäß Artikel 97 notifiziert und veröffentlicht werden, die Rechtsvorschriften und Systeme an, die unter Artikel 4 Absätze 1 und 2 fallen.

20 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juni 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-422/93, C-423/93 und C-424/93 (Zabala Erasun u. a., Slg. 1995, I-1567) festgestellt hat, hat die spanische Regierung ihre Erklärung gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin geändert, daß diese auch die in Rede stehende Unterstützung umfasst. Sie hat also ausdrücklich anerkannt, daß diese eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt.

21 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, wenn in den Erklärungen zu Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 ein Gesetz oder eine innerstaatliche Regelung nicht erwähnt wird, daraus nicht ohne weiteres, daß dieses Gesetz oder diese Regelung nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fällt; hat aber ein Mitgliedstaat in seiner Erklärung ein Gesetz genannt, so folgt daraus zwingend, daß die aufgrund dieses Gesetzes gewährten Leistungen solche der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 sind (insbesondere Urteil vom 29. November 1977 in der Rechtssache 35/77, Beerens, Slg. 1977, 2249).

22 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß eine Unterstützung, wie sie im spanischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz für Arbeitslose vorgesehen ist, die älter als 52 Jahre sind, eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt.

Zur dritten Frage

23 Mit seiner dritten Frage begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegte Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf eine Altersrente eröffnen, nach Artikel 48 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in einem anderen Mitgliedstaat bei der Gewährung einer Arbeitslosenunterstützung auch dann berücksichtigt werden können, wenn die Betroffenen in diesem Mitgliedstaat keine Beiträge oder Beiträge für weniger als ein Jahr entrichtet haben.

24 Artikel 48 Absatz 1 gehört zu den Bestimmungen des Kapitels 3 - Alter und Tod (Renten) - des Titels III der Verordnung Nr. 1408/71.

25 Nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1988 in der Rechtssache 269/87 (Ventura, Slg. 1988, 6411) ist Artikel 48 der Verordnung Nr. 1408/71 auf Waisenrenten nicht anwendbar, da keine der Bestimmungen des Kapitels 8 - Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für Waisen - des Titels III auf diesen Artikel verweist.

26 Das gleiche gilt für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Kapitel 6 - Arbeitslosigkeit - des Titels III, das ebenfalls nicht auf Artikel 48 verweist.

27 Dieser Artikel findet daher auf die Leistungen bei Arbeitslosigkeit wie diejenigen, um die es im Ausgangsverfahren geht, keine Anwendung, so daß sich die Berücksichtigung von Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten, die die Betroffenen nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt haben, durch einen Mitgliedstaat für die Zwecke der Gewährung einer Leistung bei Arbeitslosigkeit nur nach Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 richtet, der Gegenstand der zweiten Frage ist.

28 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß Artikel 48 der Verordnung Nr. 1408/71 auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit keine Anwendumg findet.

Zur zweiten Frage

29 Mit seiner zweiten Frage begehrt das nationale Gericht Auskunft darüber, ob eine Person, die Versicherungszeiten in einem ersten Mitgliedstaat zurückgelegt hat, diese Zeiten nach Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 beim Erwerb eines Anspruchs auf eine Leistung bei Arbeitslosigkeit in einem zweiten Mitgliedstaat geltend machen kann, wenn sie in dem letztgenannten Staat keiner Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgegangen ist, jedoch in ihrem Namen von dem bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger Beiträge zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet wurden.

30 Nach Ansicht der Kommission können die Betroffenen in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens Zeiten geltend machen, für die der zuständige spanische Träger ihnen Leistungen bei Arbeitslosigkeit gewährt und Beiträge zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet hat. Nach dem Urteil vom 12. Mai 1989 in der Rechtssache 388/87 (Warmerdam-Steggerda, Slg. 1989, 1203) sei es nämlich unerheblich, daß die Betroffenen Beiträge zu einem anderen Zweig der sozialen Sicherheit entrichtet hätten.

31 Die spanische Regierung ist dagegen der Ansicht, daß die Kläger, da sie niemals dem spanischen System der sozialen Sicherheit angeschlossen gewesen seien und niemals persönlich Beiträge entrichtet hätten, nicht die Voraussetzungen des Artikels 67 Absatz 3 erfuellt hätten, um in den anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten geltend machen zu können.

32 Es stehe mit Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie den Artikeln 48 Absatz 2 und 51 EG-Vertrag im Einklang, zu verlangen, daß die Kläger mindestens einen Beitrag zum spanischen System der sozialen Sicherheit in ihrem eigenen Namen entrichtet hätten und daß die letzte Beitragszeit in diesem Mitgliedstaat zurückgelegt worden sei. Es sei nämlich nicht akzeptabel, daß ein beliebiger Arbeitnehmer, der das 52. Lebensjahr vollendet und einen Rentenanspruch nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben habe, sich nach Spanien begeben könne, um dort Arbeitslosenunterstützung zu beziehen, ohne jemals Beiträge zum spanischen System der sozialen Sicherheit entrichtet zu haben.

33 Artikel 51 EG-Vertrag stellt den Grundsatz der Zusammenrechnung sämtlicher von den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigter Zeiten und den Grundsatz der Ausfuhr von Leistungen auf, enthält aber keine Definition des Begriffes "Versicherungszeiten".

34 Artikel 1 Buchstabe r der Verordnung Nr. 1408/71 definiert die Versicherungszeiten als "die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind".

35 Nach dem Urteil Warmerdam-Steggerda (a. a. O., Randnrn. 10, 17 und 19) regelt die Verordnung Nr. 1408/71 nicht, welche Zeiten Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten darstellen. Das richtet sich ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Leistungen beantragt werden.

36 Daher ist ein Mitgliedstaat berechtigt, die Gewährung einer Arbeitslosenunterstützung von der Voraussetzung abhängig zu machen, daß die Betroffenen zuletzt nach seinem eigenen Recht als "Versicherungszeiten" oder "Beschäftigungszeiten" eingestufte Zeiten zurückgelegt haben.

37 Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu entscheiden, ob die Zeiten, in denen der zuständige spanische Träger im Namen der Kläger Beiträge zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet hat, Versicherungszeiten im Sinne des nationalen Rechts darstellen.

38 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob das Tatbestandsmerkmal des Artikels 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71, daß eine Person, die Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt hat, diese Zeiten für die Gewährung einer Leistung bei Arbeitslosigkeit in dem betreffenden Staat nur dann geltend machen kann, wenn sie zuletzt dort Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zurückgelegt hat, erfuellt ist, wenn der Betroffene dort niemals einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgegangen ist, aber von dem bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger Beiträge in seinem Namen zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet wurden.

Zur vierten Frage

39 Die vierte Frage stellt sich nur dann, wenn das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Zeiten, in denen der zuständige spanische Träger im Namen der Kläger Beiträge zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet hat, Versicherungszeiten im Sinne des nationalen Rechts sind.

40 Da die Empfängern, die älter als 52 Jahre sind, gewährte Unterstützung als "Leistung bei Arbeitslosigkeit" und nicht als "Altersrentenleistung" einzustufen ist, ist weiter die vom spanischen Recht aufgestellte Voraussetzung für die Gewährung dieser Unterstützung nicht dahin aufzufassen, daß der Betroffene Anspruch auf eine Altersrente als solche haben muß, sondern dahin, daß er eine Beitragszeit von fünfzehn Jahren in einem Altersrentensystem zurückgelegt haben muß.

41 Im übrigen hat die spanische Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen ausdrücklich bestätigt, daß der Anspruch auf diese Unterstützung nicht voraussetzt, daß die Beiträge des Betroffenen für die erforderliche Zeit an das Altersrentensystem der spanischen sozialen Sicherheit entrichtet wurden. Vielmehr reiche es aus, daß die Betroffenen fünfzehn Jahre lang Beiträge zum System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats entrichtet hätten oder daß sie im gleichen Zeitraum Beiträge teilweise zum spanischen System und teilweise zum System eines anderen Mitgliedstaats entrichtet hätten.

42 Damit ist die vierte Frage als Frage danach zu verstehen, ob es die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag untersagen, daß nationales Recht die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung an Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, davon abhängig macht, daß der Betroffene fünfzehn Jahre lang Beiträge zu einem Altersrentensystem in einem oder mehreren Mitgliedstaaten entrichtet hat.

43 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten nach wie vor dafür zuständig, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit zu ändern und zu verschärfen, sofern diese Voraussetzungen keine offene oder versteckte Diskriminierung von Arbeitnehmern der Gemeinschaft bewirken (Urteil vom 20. September 1994 in der Rechtssache C-12/93, Drake, Slg. 1994, I-4337, Randnr. 27).

44 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, daß es die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag ebensowenig wie die Verordnung Nr. 1408/71 untersagen, daß nationales Recht die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung an Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, davon abhängig macht, daß der Betroffene fünfzehn Jahre lang Beiträge zu einem Altersrentensystem in einem oder mehreren Mitgliedstaaten entrichtet hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Die Auslagen der spanischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Juzgado de lo Social Santiago de Compostela mit Beschlüssen vom 9. und 13. März 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Eine Unterstützung, wie sie im spanischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz für Arbeitslose vorgesehen ist, die älter als 52 Jahre sind, stellt eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/93 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992, dar.

2. Artikel 48 der Verordnung Nr. 1408/71 findet auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit keine Anwendung.

3. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob das Tatbestandsmerkmal des Artikels 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71, daß eine Person, die Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt hat, diese Zeiten für die Gewährung einer Leistung bei Arbeitslosigkeit in dem betreffenden Staat nur dann geltend machen kann, wenn sie zuletzt dort Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zurückgelegt hat, erfuellt ist, wenn der Betroffene dort niemals einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgegangen ist, aber von dem bei Arbeitslosigkeit zuständigen Träger Beiträge in seinem Namen zu den Systemen der Krankenversicherung und der Familienleistungen entrichtet wurden.

4. Die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag untersagen es ebensowenig wie die Verordnung Nr. 1408/71, daß nationales Recht die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung an Empfänger, die älter als 52 Jahre sind, davon abhängig macht, daß der Betroffene fünfzehn Jahre lang Beiträge zu einem Altersrentensystem in einem oder mehreren Mitgliedstaaten entrichtet hat.

Ende der Entscheidung

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