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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.02.1997
Aktenzeichen: C-9/95
Rechtsgebiete: Verordnung (EG) Nr. 2791/94 vom 16. November 1994, Verordnung (EG) Nr. 510/95 vom 7. März 1995, Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen (ABl. L 47, S. 1)


Vorschriften:

Verordnung (EG) Nr. 2791/94 vom 16. November 1994
Verordnung Nr. 2791/94 Art. 1 Abs. 2
Verordnung Nr. 2791/94 Art. 2
Verordnung (EG) Nr. 510/95 vom 7. März 1995
Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen (ABl. L 47, S. 1) Art. 18 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen (ABl. L 47, S. 1) Art. 19 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Beim Erlaß der Verordnungen Nrn. 2791/94 und 510/95 über die ausserordentliche Zuteilung zusätzlicher Mengen zu dem 1994 bzw. für das erste Vierteljahr 1995 für Bananen eröffneten Einfuhrzollkontingent infolge des Wirbelsturms Debbie hat sich die Kommission zu Recht auf Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung Nr. 404/93 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen gestützt, der ihr ganz allgemein die Befugnis gibt, das Zollkontingent im Verlauf des Wirtschaftsjahres nach dem Verwaltungsausschußverfahren des Artikels 27 anzupassen, um Notsituationen zu begegnen, und zwar namentlich den Folgen aussergewöhnlicher Umstände, die sich auf die Produktions- oder Einfuhrbedingungen auswirken. Die fragliche Vorschrift erlaubte es ihr insbesondere, hinsichtlich des angepassten Teils von dem in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 404/93 enthaltenen Schlüssel für die Verteilung des Zollkontingents abzuweichen, da die Anwendung dieses Schlüssels zur Gewährung zusätzlicher Einfuhrberechtigungen an Marktbeteiligte führen würde, die keine Opfer aussergewöhnlicher Umstände waren, und der besonderen Situation der Marktbeteiligten, die Opfer dieser Geschehnisse waren, nicht gerecht würde.

Die der Kommission somit durch Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung Nr. 404/93 eingeräumten Befugnisse gehen überdies nicht über diejenigen hinaus, die ihr nach Artikel 155 vierter Gedankenstrich des Vertrages übertragen werden können. Auf dem Gebiet der Landwirtschaft ist die Kommission befugt, alle für die Durchführung der Grundverordnung erforderlichen oder zweckmässigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese nicht gegen die Grundverordnung oder die Anwendungsregeln des Rates verstossen, was vorliegend nicht der Fall war.

4 Die durch Artikel 190 des Vertrages vorgeschriebene Begründung muß der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein. Sie muß die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen die Gründe für die erlassene Maßnahme erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. Hält sich ein Rechtsakt im systematischen Rahmen der Gesamtregelung, zu der er gehört, so kann nicht verlangt werden, daß in seiner Begründung die verschiedenen tatsächlichen und rechtlichen Einzelheiten dargelegt werden, die er zum Gegenstand hat.


Urteil des Gerichtshofes vom 4. Februar 1997. - Königreich Belgien und Bundesrepublik Deutschland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Bananen - Gemeinsame Marktorganisation - Naturkatastrophe - Einfuhrkontingent - Anpassung und Aufteilung. - Verbundene Rechtssachen C-9/95, C-23/95 und C-156/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Königreich Belgien hat mit Klageschriften, die in der Rechtssache C-9/95 am 16. Januar 1995 und in der Rechtssache C-156/95 am 17. Mai 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 2791/94 der Kommission vom 16. November 1994 über die ausserordentliche Zuteilung zusätzlicher Mengen zu dem 1994 für Bananen eröffneten Einfuhrzollkontingent infolge des Wirbelsturms Debbie (ABl. L 296, S. 33) und der Verordnung (EG) Nr. 510/95 der Kommission vom 7. März 1995 über die ausserordentliche Zuteilung zusätzlicher Mengen zu dem für das erste Vierteljahr 1995 für Bananen eröffneten Einfuhrzollkontingent infolge des Wirbelsturms Debbie (ABl. L 51, S. 8) (nachstehend: die angefochtenen Verordnungen). Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Klageschrift, die in der Rechtssache C-23/95 am 2. Februar 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung von Artikel 1 Absatz 2 und Artikel 2 der Verordnung Nr. 2791/94.

2 Mit drei Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 6. Juli 1995 (C-9/95 und C-23/95) und vom 9. Januar 1996 (C-156/95) ist das Vereinigte Königreich in den drei Rechtssachen als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

3 Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 6. September 1995 ist die Französische Republik in der Rechtssache C-156/95 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

4 Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. Juni 1996 sind die drei Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

5 Die Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13. Februar 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen (ABl. L 47, S. 1, im folgenden: Verordnung des Rates) hat in ihrem Titel IV die verschiedenen vorhergehenden nationalen Regelungen durch eine gemeinsame Regelung für den Handel mit Drittländern ersetzt.

6 Artikel 18 Absatz 1 dieser Verordnung in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 3290/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 über erforderliche Anpassungen und Übergangsmaßnahmen im Agrarsektor zur Anwendung der im Rahmen der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde geschlossenen Übereinkünfte (ABl. L 349, S. 105) sieht vor, daß ein Zollkontingent in Höhe von 2,1 Millionen Tonnen (Eigengewicht) für das Jahr 1994 und in Höhe von 2,2 Millionen Tonnen (Eigengewicht) für die folgenden Jahre für Einfuhren von "Drittlandsbananen" und "nichttraditionellen AKP-Bananen" eröffnet wird.

7 Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung des Rates teilt das Zollkontingent auf und eröffnet es in Höhe von 66,5 v. H. für die Gruppe der Marktbeteiligten, die Drittlandsbananen oder nichttraditionelle AKP-Bananen vermarktet haben, in Höhe von 30 v. H. für die Gruppe der Marktbeteiligten, die Gemeinschaftsbananen oder traditionelle AKP-Bananen vermarktet haben, und in Höhe von 3,5 v. H. für in der Gemeinschaft niedergelassene Marktbeteiligte, die ab 1992 mit der Vermarktung von anderen als Gemeinschafts- oder traditionellen AKP-Bananen beginnen.

Artikel 19 Absatz 4 bestimmt:

"Im Fall einer Aufstockung des Zollkontingents wird die zusätzlich verfügbare Menge den Marktbeteiligten der in Absatz 1 genannten Kategorien... zugeteilt."

8 Nach Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung des Rates ist jährlich eine Bedarfsvorausschätzung über die Erzeugung und den Verbrauch in der Gemeinschaft sowie die voraussichtlichen Einfuhren und Ausfuhren zu erstellen.

Artikel 16 Absatz 3 dieser Verordnung lautet:

"Die Bedarfsvorausschätzung kann erforderlichenfalls im Verlauf des Wirtschaftsjahres revidiert werden, um insbesondere das Auftreten aussergewöhnlicher Umstände zu berücksichtigen, die sich auf die Produktions- oder Einfuhrbedingungen auswirken. In einem solchen Fall wird das in Artikel 18 vorgesehene Zollkontingent nach dem Verfahren des Artikels 27 angepasst."

9 Artikel 18 Absatz 1 Unterabsatz 4 der Verordnung des Rates sieht vor, daß der Umfang des jährlichen Kontingents erhöht wird, wenn die anhand der Bedarfsvorausschätzung ermittelte Nachfrage steigt, und verweist wegen der Modalitäten auf das Verfahren des Artikels 27.

10 Nach Artikel 20 der Verordnung des Rates nimmt die Kommission die in Artikel 16 genannte Bedarfsvorausschätzung und deren Überprüfung vor und erlässt die Durchführungsbestimmungen für Titel IV; diese Bestimmungen können sich insbesondere beziehen auf die ergänzenden Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ausstellung der Bescheinigungen, ihrer Gültigkeitsdauer und den Bedingungen für ihre Übertragbarkeit.

11 Artikel 30 dieser Verordnung bestimmt:

"Erweisen sich besondere Maßnahmen ab Juli 1993 als notwendig, um den Übergang von den vor Inkrafttreten dieser Verordnung gültigen Regelungen zu der durch diese Verordnung eingeführten Regelung zu erleichtern und insbesondere ernsthafte Schwierigkeiten zu überwinden, so trifft die Kommission nach dem Verfahren des Artikels 27 alle für erforderlich erachteten Übergangsmaßnahmen."

12 Artikel 27 der Verordnung des Rates, auf den die Artikel 16, 18 und 30 Bezug nehmen, ermächtigt die Kommission zum Erlaß von Maßnahmen nach dem sogenannten Verwaltungsausschußverfahren. Er sieht u. a. vor, daß der Ausschuß seine Stellungnahme zu den zu treffenden Maßnahmen innerhalb einer Frist abgibt, die der Vorsitzende unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der betreffenden Frage festsetzen kann, und daß die Kommission Maßnahmen erlässt, die unmittelbar gelten.

13 Artikel 12 der Verordnung, der zu Titel III (Beihilferegelung) gehört, führt eine Regelung über eine Beihilfe zum Ausgleich etwaiger Erlöseinbussen ein, die den Bananenerzeugern der Gemeinschaft gewährt wird.

14 Zur Durchführung der Verordnung des Rates hat die Kommission u. a. die Verordnung (EWG) Nr. 1442/93 vom 10. Juni 1993 mit Durchführungsbestimmungen zu der Einfuhrregelung für Bananen (ABl. L 142, S. 6) erlassen, die die Unterscheidung zwischen den in Randnummer 7 dieses Urteils angeführten drei Gruppen von Marktbeteiligten übernimmt und diese als Gruppen A, B und C bezeichnet.

15 Der Erlaß der Verordnungen Nrn. 2791/94 und 510/95 wird in der zweiten Begründungserwägung wie folgt begründet:

"Der Wirbelsturm Debbie hat am 10. September 1994 in den gemeinschaftlichen Bananenanbaugebieten von Martinique und Guadeloupe sowie in den AKP-Staaten St. Lucia und Dominica erhebliche Schäden angerichtet. Die Erzeugung in den geschädigten Gebieten wird durch diese aussergewöhnlichen Umstände bis Juli 1995 nachhaltig beeinträchtigt, ebenso erfahren die Einfuhr und die Versorgung des Gemeinschaftsmarktes im vierten Quartal 1994 [Verordnung Nr. 2791/94; Verordnung Nr. 510/95: im ersten Quartal 1995] starke Einschränkungen mit der Folge, daß die Marktpreise in mehreren Gebieten der Gemeinschaft stark anzusteigen drohen."

16 Die angefochtenen Verordnungen sind gestützt auf die Verordnung des Rates, insbesondere auf die Artikel 16 Absatz 3, 20 und 30, sowie auf die Verordnung Nr. 1442/93.

17 Zu Artikel 16 Absatz 3 hat die Kommission in der vierten Begründungserwägung der Verordnungen Nrn. 2791/94 und 510/95 ausgeführt:

"Dank einer solchen Anpassung muß es möglich sein, den Gemeinschaftsmarkt bis Ende 1994 [Verordnung Nr. 2791/94; Verordnung Nr. 510/95: während des ersten Vierteljahrs 1995] ausreichend zu versorgen. Für Einführer, denen geschädigte Bananenerzeuger angeschlossen sind oder die geschädigte Bananenerzeuger unmittelbar vertreten und darüber hinaus, wenn keine geeigneten Maßnahmen getroffen werden, ihre traditionellen Absatzmärkte in der Gemeinschaft auf Dauer verlieren würden, sollte eine Entschädigung vorgesehen werden."

18 Die angefochtenen Verordnungen sehen zusätzliche Mengen von 53 400 Tonnen bzw. 45 500 Tonnen vor, die den Einführern zugeteilt werden, die die Gemeinschaft mit Bananen von Martinique, Guadeloupe, St. Lucia und Dominica versorgen.

19 Die vor der Verordnung Nr. 2791/94 ergangene Entscheidung 94/654/EG der Kommission vom 29. September 1994 zur vorläufigen Bedarfsvorausschätzung von Erzeugung, Verbrauch, Ein- und Ausfuhr von Bananen für die Gemeinschaft für 1994 (ABl. L 254, S. 90) enthielt in der zweiten Begründungserwägung die Feststellung, diese Schätzung müsste frühestmöglich überprüft werden, "damit den Schäden Rechnung getragen wird, die der Sturm Debbie... auf Martinique und Guadeloupe sowie in bestimmten AKP-Staaten angerichtet hat".

20 Die nach der Verordnung Nr. 2791/94 ergangene Entscheidung 94/752/EG der Kommission vom 18. November 1994 zur Änderung der Entscheidung 94/654/EG (ABl. L 298, S. 48) enthielt eine Bedarfsvorausschätzung, die aufgrund der Prüfung der Lage und einer verläßlichen Abschätzung der Schäden angepasst worden war, die der Sturm Debbie bezueglich Erzeugung und Angebot an Bananen bestimmter Erzeugungsgebiete der Gemeinschaft sowie bestimmter AKP-Staaten angerichtet hatte, die Opfer dieses Sturms geworden waren.

Zum ersten Klagegrund

21 Das Königreich Belgien und die Bundesrepublik Deutschland machen geltend, weder nach Artikel 16 Absatz 3 noch nach Artikel 20 noch nach Artikel 30 der Verordnung des Rates könne bei einer Erhöhung des Zollkontingents vom Verteilungsschlüssel des Artikels 19 Absatz 1 abgewichen werden. Diese Vorschriften könnten daher keine Rechtsgrundlage für die angefochtenen Verordnungen sein.

22 Zu Artikel 30 der Verordnung des Rates hat der Gerichtshof festgestellt, daß ausweislich der zweiundzwanzigsten Begründungserwägung der Verordnung mit dieser Vorschrift Störungen des Binnenmarkts begegnet werden soll, die sich dadurch ergeben können, daß die gemeinsame Marktorganisation an die Stelle der verschiedenen nationalen Regelungen tritt. Zu diesem Zweck verpflichtet Artikel 30 die Kommission zum Erlaß aller für erforderlich erachteten Übergangsmaßnahmen (Beschluß vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnrn. 46 f., und Urteil vom 26. November 1996 in der Rechtssache C-68/95, T. Port, Slg. 1996, I-0000, Randnr. 34).

23 Artikel 30 setzt voraus, daß die von der Kommission zu erlassenden besonderen Maßnahmen dazu dienen, den Übergang von den nationalen Regelungen zur gemeinsamen Marktorganisation zu erleichtern, und daß sie hierzu erforderlich sind (Urteil T. Port, a. a. O., Randnr. 35).

24 Diese Übergangsmaßnahmen müssen die Lösung der Probleme ermöglichen, die nach Einführung der gemeinsamen Marktorganisation eingetreten sind, ihren Ursprung jedoch in dem Zustand der nationalen Märkte vor dem Erlaß der angefochtenen Verordnungen haben (Urteil T. Port, a. a. O., Randnr. 36).

25 Die klimatischen Probleme, die dem Erlaß der angefochtenen Verordnungen zugrunde lagen, gehören allerdings nicht zu der Kategorie von Problemen, denen Artikel 30 begegnen soll, so daß diese Vorschrift nicht als Grundlage für den Erlaß der angefochtenen Verordnungen herangezogen werden kann.

26 Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates gibt der Kommission ganz allgemein die Befugnis, das Zollkontingent im Falle aussergewöhnlicher Umstände, die sich auf die Produktions- oder Einfuhrbedingungen auswirken, nach dem Verfahren des Artikels 27 anzupassen.

27 Hierzu ist festzustellen, daß in wenigstens zwei Mitgliedstaaten, nämlich im Vereinigten Königreich und in Frankreich, Mechanismen vorhanden waren, um im Falle von Naturkatastrophen die unerläßlichen Maßnahmen treffen zu können. Statt selbst in der Verordnung Nr. 404/93 die Vorschriften festzulegen, durch die aussergewöhnlichen Umständen begegnet werden soll, die sich auf die Produktions- oder Einfuhrbedingungen auswirken, hat der Rat es vorgezogen, der Kommission die Befugnis zur Anpassung des Zollkontingents unter Berücksichtigung der Erfordernisse des jeweiligen Einzelfalls und nach dem Verfahren des Artikels 27 zu geben bzw. sich diese vorzubehalten.

28 Dem Vorbringen des Königreichs Belgien, die in Artikel 12 der Verordnung des Rates vorgesehene Zusatzbeihilfe sei das angemessene Instrument, um den durch Naturkatastrophen verursachten Schäden zu begegnen, kann nicht gefolgt werden.

29 Wie die Kommission nämlich zutreffend geltend gemacht hat, wird die Zusatzbeihilfe für die auf dem Gemeinschaftsmarkt abgesetzten Bananen gewährt und nach Maßgabe des durchschnittlichen Erlöses aus der Erzeugung eines Erzeugungsgebietes berechnet. Im Falle der Zerstörung der Bananenstauden durch einen Sturm werden jedoch keine Bananen mit Ursprung in dem betroffenen Gebiet vermarktet, und der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Erlös aus der Erzeugung eines Gebietes und dem durchschnittlichen Erlös in der Gemeinschaft ist nicht zum Ersatz der durch derartige Naturkatastrophen verursachten Schäden geeignet. Zudem kommen nur die Gemeinschaftserzeuger in den Genuß der Unterstützungsmaßnahmen nach Artikel 12.

30 Um zu entscheiden, ob bei einer solchen Anpassung des Zollkontingents nach Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates der Verteilungsschlüssel des Artikels 19 Absatz 1 zu beachten ist, ist auf den Wortlaut und den Zusammenhang dieser Vorschrift sowie des Artikels 19 Absatz 4 abzustellen.

31 Artikel 19 Absatz 4 der Verordnung des Rates ist in Verbindung mit Artikel 18 Absatz 1 Unterabsatz 4 dieser Verordnung zu lesen, der bei einem Anstieg der auf der Grundlage der Bedarfsvorausschätzung über den Verbrauch in der Gemeinschaft ermittelten Gemeinschaftsnachfrage im Verlauf des Wirtschaftsjahres die Erhöhung des Zollkontingents für das kommende Wirtschaftsjahr vorsieht.

32 Artikel 16 Absatz 3, der nach der Systematik des Titels IV der Verordnung des Rates den Artikeln 18 und 19 vorangestellt ist, betrifft demgegenüber nicht die jährliche und regelmässige Erhöhung des Kontingents, sondern die Anpassung dieses Kontingents im Verlaufe des Wirtschaftsjahres, um Notsituationen zu begegnen, und zwar namentlich den Folgen aussergewöhnlicher Umstände, die sich auf die Produktions- oder Einfuhrbedingungen auswirken, wie etwa die Naturkatastrophen, die dem Erlaß der angefochtenen Verordnungen zugrunde lagen. Im übrigen sieht die neunte Begründungserwägung der Verordnung des Rates ausdrücklich vor, daß die Bedarfsvorausschätzung im Jahresverlauf geändert werden können muß, wenn dies aufgrund besonderer Umstände, vor allem klimatischer Art, erforderlich erscheint.

33 Die Anwendung des in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung des Rates vorgesehenen Verteilungsschlüssels auf eine Anpassung des Zollkontingents nach Artikel 16 Absatz 3 würde dieses Ziel jedoch verkennen, da sie zur Gewährung zusätzlicher Einfuhrberechtigungen an Marktbeteiligte führen würde, die keine Opfer aussergewöhnlicher Umstände waren, und der besonderen Situation der Marktbeteiligten, die Opfer dieser Geschehnisse waren, nicht gerecht würde.

34 Daraus folgt, daß Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates es im Falle der Anpassung des Zollkontingents im Verlaufe des Wirtschaftsjahres aufgrund einer Notsituation erlaubt, hinsichtlich des angepassten Teils vom Verteilungsschlüssel des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung des Rates abzuweichen.

35 Die der Kommission somit durch Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates eingeräumten Befugnisse gehen nicht über diejenigen hinaus, die ihr nach Artikel 155 vierter Gedankenstrich EG-Vertrag übertragen werden können.

36 Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrages, in den Artikel 155 gestellt werden muß, und aus den Anforderungen der Praxis, daß der Begriff der Durchführung weit auszulegen ist. Da nur die Kommission in der Lage ist, die Entwicklung der Agrarmärkte ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der durch die Situation gebotenen Schnelligkeit zu handeln, kann sich der Rat veranlasst sehen, ihr auf diesem Gebiet weitgehende Befugnisse zu übertragen. Daher sind die Grenzen dieser Befugnisse nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation zu beurteilen (Urteil vom 29. Juni 1989 in der Rechtssache 22/88, Vreugdenhil u. a., Slg. 1989, 2049, Randnr. 16, und die dort genannte Rechtsprechung sowie Urteil vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache C-478/93, Niederlande/Kommission, Slg. 1995, I-3081, Randnr. 30).

37 So hat der Gerichtshof entschieden, daß die Kommission auf dem Gebiet der Landwirtschaft befugt ist, alle für die Durchführung der Grundverordnung erforderlichen oder zweckmässigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese nicht gegen die Grundverordnung oder die Anwendungsregeln des Rates verstossen (Urteil vom 15. Mai 1984 in der Rechtssache 121/83, Zuckerfabrik Franken, Slg. 1984, 2039, Randnr. 13, und Urteil Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 31).

38 Nach Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates erfolgt die Anpassung des Zollkontingents nach dem Verfahren des Artikels 27.

39 Wie sich aus der letzten Begründungserwägung der angefochtenen Verordnungen ergibt, hat der Verwaltungsausschuß für Bananen nicht innerhalb der ihm von seinem Vorsitzenden gesetzten Frist Stellung genommen.

40 Es oblag daher der Kommission, die durch die Dringlichkeit der Lage gebotenen Maßnahmen zu treffen.

41 Aufgrund dessen ist festzustellen, daß die Kommission die angefochtenen Verordnungen zu Recht auf Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates gestützt hat.

42 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund

43 Im Rahmen dieses Klagegrundes führt die Bundesrepublik Deutschland zunächst aus, die Verordnung Nr. 2791/94 enthalte keine näheren Angaben zum Ausmaß der Schäden. Die Bedarfsvorausschätzung vom 29. September 1994 lasse die Folgen des Wirbelsturms Debbie unberücksichtigt. Die am 18. November 1994, also nach Erlaß der Verordnung Nr. 2791/94 vorgelegte revidierte Bedarfsvorausschätzung lasse nur in bezug auf die gesamte Gemeinschaft und in bezug auf alle AKP-Länder Lieferausfälle erkennen. Selbst wenn der Ernteausfall, wie in der Verordnung Nr. 2791/94 angegeben, 53 400 Tonnen betragen sollte, so enthalte diese Verordnung doch keine Begründung für die von ihr gewährte Überkompensation in Form von Einfuhrberechtigungen für Drittlandsbananen.

44 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung die nach Artikel 190 des Vertrages vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein muß. Sie muß die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen die Gründe für die erlassene Maßnahme erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich ausserdem, daß nicht verlangt werden kann, daß in der Begründung eines Rechtsakts die verschiedenen tatsächlichen und rechtlichen Einzelheiten dargelegt werden, die Gegenstand des Rechtsakts sind, wenn dieser sich im systematischen Rahmen der Gesamtregelung hält, zu der er gehört (Urteile vom 13. Oktober 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-63/90 und C-67/90, Portugal und Spanien/Rat, Slg. 1992, I-5073, Randnr. 16, und vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-353/92, Griechenland/Rat, Slg. 1994, I-3411, Randnr. 19).

45 Wie in Randnummer 15 dieses Urteils erwähnt, hat die Kommission den Erlaß der angefochtenen Verordnungen mit den Wirbelstürmen, die bestimmte Gebiete der Gemeinschaft und bestimmte AKP-Staaten heimgesucht haben, mit den Schäden, die diese Naturkatastrophen in den betroffenen Erzeugergebieten angerichtet haben, und mit der Beeinträchtigung der Versorgung des Gemeinschaftsmarktes begründet; sie hat zudem auf die Gefahr eines Preisanstiegs in mehreren Gebieten der Gemeinschaft hingewiesen.

46 Die Kommission hat ferner - wie sich aus Randnummer 17 dieses Urteils ergibt - darauf verwiesen, daß die Anpassung des Zollkontingents nach Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung des Rates die ausreichende Versorgung des Gemeinschaftsmarktes sicherstellen und den von den Naturkatastrophen betroffenen Marktbeteiligten eine Entschädigung gewähren soll.

47 Mit der Entscheidung 94/654 hat die Kommission die vorläufige Schätzung von Erzeugung, Verbrauch sowie Ein- und Ausfuhr von Bananen für die Gemeinschaft für 1994 vorgelegt und festgestellt, diese Schätzung müsse überprüft werden, um den Naturkatastrophen Rechnung zu tragen, die bestimmte Gebiete der Gemeinschaft und bestimmte AKP-Staaten betroffen hätten.

48 In der Entscheidung 94/752 hat die Kommission die Anpassung der Bedarfsvorausschätzung veröffentlicht, die der Anpassung des Zollkontingents durch die Verordnung Nr. 2791/94 zugrunde lag.

49 Schließlich enthält Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2791/94 Zahlenangaben zu den auszugleichenden Lieferverlusten.

50 Die Bundesrepublik Deutschland rügt auch, daß die Kommission die Notwendigkeit, den betroffenen Marktbeteiligten Einfuhrrechte für Drittlandsbananen zu gewähren, und die durch die Erteilung dieser Einfuhrlizenzen bewirkte Überkompensation nicht begründet habe. Die betroffenen Marktbeteiligten hätten sich mit Gemeinschafts- und AKP-Bananen versorgen können; die Erteilung von Einfuhrlizenzen für Drittlandsbananen stelle für sie einen grösseren finanziellen Vorteil dar als die Vermarktung einer entsprechenden Menge Gemeinschafts- oder AKP-Bananen.

51 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß Verluste bei der Erzeugung von Gemeinschaftsbananen oder eine Verringerung der Ausfuhrmöglichkeiten für traditionelle AKP-Bananen die Kommission veranlassen mussten, Einfuhrrechte für Drittlandsbananen in grösserem Umfang zu erteilen, um ein ausreichendes Angebot von Bananen auf dem Gemeinsamen Markt sicherzustellen.

52 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß es - wie der Generalanwalt in Nummer 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat - für die Marktbeteiligten, die Opfer der fraglichen Naturkatastrophen waren, schwierig gewesen wäre, sich mit Gemeinschafts- oder traditionellen AKP-Bananen zu versorgen, da die Erzeugung dieser Bananen gerade infolge dieser Katastrophen zurückgegangen war.

53 Zur Möglichkeit des Verkaufs der Einfuhrlizenzen hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, diese Lizenzen seien von den Marktbeteiligten, die Opfer der Naturkatastrophen geworden seien, tatsächlich für den Kauf von Drittlandsbananen verwendet worden. Die angebliche Überkompensation der Schäden, die nach Auffassung der Klägerin einer besonderen Begründung bedurft hätte, ist daher nicht nachgewiesen.

54 Mithin ist festzustellen, daß die Kommission die Verordnung Nr. 2791/94 in Anbetracht der besonderen Umstände und insbesondere der Dringlichkeit ausreichend begründet hat und daß der von der Bundesrepublik Deutschland in der Rechtssache C-23/95 vorgebrachte Nichtigkeitsgrund eines Verstosses gegen Artikel 190 des Vertrages zurückzuweisen ist.

55 Die vom Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland in den drei Rechtssachen erhobenen Klagen sind daher abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

56 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien und die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Streithelfer tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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