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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.10.1993
Aktenzeichen: C-93/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 30 EWG-Vertrag steht einer von der Rechtsprechung eines Mitgliedstaats aufgestellten Regel nicht entgegen, die eine Aufklärungspflicht im Rahmen vorvertraglicher Beziehungen vorsieht, nach der ein Parallelimporteur verpflichtet ist, die Käufer eines Markenerzeugnisses dahin aufzuklären, daß bestimmte Vertragshändler dieser Marke Garantieleistungen an denjenigen Erzeugnissen ablehnen, die parallel importiert wurden.

Zum einen gilt nämlich eine solche Verpflichtung ohne Unterschied für alle vertraglichen Beziehungen und soll nicht den Handelsverkehr regeln, und zum anderen würde ein Hindernis für den freien Warenverkehr nicht durch diese Pflicht verursacht, sondern durch die Praxis der Vertragshändler, so daß die restriktiven Wirkungen, die von ihr ausgehen könnten, zu ungewiß und zu mittelbar sind, als daß diese Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 13. OKTOBER 1993. - CMC MOTORRADCENTER GMBH GEGEN PELIN BASKICIOGULLARI. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT AUGSBURG - DEUTSCHLAND. - AUFKLAERUNGSPFLICHT - MASSNAHMEN GLEICHER WIRKUNG. - RECHTSSACHE C-93/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht Augsburg hat mit Beschluß vom 10. März 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 30 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Die Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der in Deutschland ansässigen CMC Motorradcenter GmbH (im folgenden: Klägerin) und Frau Pelin Baskiciogullari (im folgenden: Beklagte).

3 Die Klägerin, die einen Handel mit Motorrädern betreibt, aber keine Vertragshändlerin einer Marke ist, erwarb ein Motorrad der Marke Yamaha von einem deutschen Importeur, der es wiederum bei einem französischen Vertragshändler gekauft hatte. Bei diesem Kauf erhielt der deutsche Importeur die Zusage, daß die Käufer ihre Gewährleistungsansprüche bei jedem Vertragshändler der Firma Yamaha geltend machen könnten.

4 Die Klägerin verkaufte eines dieser Motorräder an die Beklagte. Die für den Kaufvertrag geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen sehen vor, daß der Käufer seine Gewährleistungsansprüche beim Verkäufer oder bei vom Hersteller oder vom Importeur anerkannten Betrieben geltend machen kann. Obwohl der Klägerin bekannt war, daß sich die deutschen Vertragshändler ungeachtet dieser Geschäftsbedingungen im allgemeinen weigern, Gewährleistungsreparaturen an parallel importierten Motorrädern durchzuführen, klärte sie die Beklagte nicht über diesen Umstand auf. Nach Ansicht der deutschen Vertragshändler schafft diese Einfuhrart nämlich einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil, da die Nettopreise in Frankreich niedriger als in Deutschland sind.

5 Nachdem die Beklagte von dieser Verhaltensweise erfahren hatte, lehnte sie die Abnahme des Motorrads ab. Die Klägerin erhob Klage beim Amtsgericht Nördlingen, das diese abwies. Daraufhin legte die Klägerin Berufung beim Landgericht Augsburg ein. Das Landgericht Augsburg ist der Ansicht, daß die Klägerin die Beklagte auf das Verhalten der deutschen Vertragshändler hätte hinweisen müssen, fragt sich jedoch, ob diese Verpflichtung keine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung darstellt. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Artikel 30 EWG-Vertrag vereinbar, wenn einem deutschen Importeur die Pflicht auferlegt wird, den Käufer eines Motorrads der Firma Yamaha dahin gehend aufzuklären, daß deutsche Vertragshändler dieser Firma Gewährleistungsreparaturen vielfach dann verweigern, wenn die Fahrzeuge aus dem grauen Import stammen?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Vorab ist festzustellen, daß nach deutschem Recht, wie sich aus den Akten ergibt, durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien entsteht. Dieses Vertrauensverhältnis begründet nach ständiger Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht in dem Sinn, daß jede Partei die andere Partei über ihr bekannte Umstände aufzuklären hat, die für die Entscheidung der anderen Partei von ausschlaggebender Bedeutung sind, selbst wenn diese Umstände keinen Bezug zu der Kaufsache oder deren Beschaffenheit aufweisen. Nach der deutschen Rechtsprechung führt ein Verschulden bei den Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo), durch das der anderen Partei ein Schaden entsteht, zur Schadensersatzpflicht.

8 Mit seiner Vorlagefrage begehrt das nationale Gericht im wesentlichen Auskunft darüber, ob eine solche Aufklärungspflicht eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag darstellt.

9 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837) jede Regelung eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellt, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

10 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, daß die vorvertragliche Aufklärungspflicht nach deutschem Schuldrecht zumindest bei Erzeugnissen aus der Gemeinschaft ohne Unterschied für alle diesem Recht unterliegenden vertraglichen Beziehungen gilt und nicht den Handelsverkehr regeln soll.

11 Zu der Frage, ob die Gefahr besteht, daß der freie Warenverkehr behindert wird, ist festzustellen, daß diese Gefahr keinesfalls durch die Aufklärungspflicht hervorgerufen wird, sondern dadurch, daß ein Teil der Vertragshändler der betroffenen Marke die Durchführung von Gewährleistungsarbeiten an parallel importierten Motorrädern verweigert.

12 Demnach sind die restriktiven Wirkungen, die von der Aufklärungspflicht auf den freien Warenverkehr ausgehen könnten, zu ungewiß und zu mittelbar, als daß diese Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern (vgl. Urteil vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-69/88, Krantz, Slg. 1990, I-583).

13 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er einer von der Rechtsprechung eines Mitgliedstaats aufgestellten Regel nicht entgegensteht, die eine Aufklärungspflicht im Rahmen vorvertraglicher Beziehungen vorsieht.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Landgericht Augsburg mit Beschluß vom 10. März 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er einer von der Rechtsprechung eines Mitgliedstaats aufgestellten Regel nicht entgegensteht, die eine Aufklärungspflicht im Rahmen vorvertraglicher Beziehungen vorsieht.

Ende der Entscheidung

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