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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.03.2006
Aktenzeichen: C-94/05
Rechtsgebiete: Verordnung (EG) Nr. 97/95


Vorschriften:

Verordnung (EG) Nr. 97/95 Art. 13 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

16. März 2006

"Gemeinsame Agrarpolitik - Verordnung (EG) Nr. 97/95 - An Stärkeunternehmen gezahlte Prämien - Voraussetzungen für die Gewährung - Sanktionen - Verhältnismäßigkeit - Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 - Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften"

Parteien:

In der Rechtssache C-94/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Februar 2005, in dem Verfahren

Emsland-Stärke GmbH

gegen

Landwirtschaftskammer Hannover

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J. Makarczyk, R. Schintgen, P. Kuris und J. Klucka (Berichterstatter),

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Emsland-Stärke GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt L. Harings,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. C. Schieferer und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit und die Auslegung des Artikels 13 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 97/95 der Kommission vom 17. Januar 1995 mit den Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 des Rates hinsichtlich des Mindestpreises und des den Kartoffelerzeugern zu zahlenden Ausgleichsbetrags sowie zur Verordnung (EG) Nr. 1868/94 des Rates zur Einführung einer Kontingentierungsregelung für die Kartoffelstärkeerzeugung (ABl. L 16, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1125/96 der Kommission vom 24. Juni 1996 (ABl. L 150, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 97/95).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Emsland-Stärke GmbH, die 1997 die Kyritzer Stärke GmbH im Wege der Verschmelzung aufgenommen hatte (im Folgenden: Emsland-Stärke), und der Landwirtschaftskammer Hannover, vormals Bezirksregierung Weser-Ems (im Folgenden: Bezirksregierung), wegen der Verhängung von finanziellen Sanktionen, mit denen die einem Stärkeunternehmen gewährte Prämie gekürzt wird, wenn es Kartoffeln nicht von einem Erzeuger, sondern von einem Unternehmen bezogen hat, das seinerseits die Kartoffeln unmittelbar oder mittelbar von Erzeugern bezieht.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 97/95

3 In der vierten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 97/95 heißt es:

"Es ist genau festzulegen, worauf sich ein Anbauvertrag zwischen einem Stärkeunternehmen und einem Erzeuger beziehen muss, so dass keine Verträge für Mengen abgeschlossen werden können, die über das Unterkontingent des Unternehmens hinausgehen. Stärkeunternehmen sollte es untersagt sein, Kartoffellieferungen anzunehmen, die nicht durch einen Anbauvertrag gebunden sind, da dies die Wirksamkeit der Kontingentierungsregelung gefährden würde und die Anforderung, dass der Mindestpreis gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 für alle zur Stärkeerzeugung bestimmten Kartoffeln gezahlt werden muss, möglicherweise nicht eingehalten würde. ..."

4 Die achte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 97/95 hat folgenden Wortlaut:

"Es sind Kontrollmaßnahmen einzuführen, um sicherzustellen, dass ... die Prämie nur für gemäß dieser Verordnung erzeugte Stärke gewährt [wird]."

5 Die neunte Begründungserwägung der Verordnung lautet:

"Zum Schutz der Erzeuger von zur Stärkeherstellung bestimmten Kartoffeln ist es unerlässlich, dass der Mindestpreis gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 für alle Kartoffeln gezahlt wird. Deshalb müssen Sanktionen für die Fälle festgelegt werden, in denen der Mindestpreis nicht gezahlt wird und die Unternehmen Kartoffeln annehmen, die nicht durch einen Anbauvertrag gebunden sind."

6 In der zehnten Begründungserwägung der Verordnung heißt es:

"Es müssen Vorschriften erlassen werden, um zu gewährleisten, dass die über das Unterkontingent eines Unternehmens hinaus erzeugte Kartoffelstärke ohne Ausfuhrerstattung ausgeführt wird, wie dies in Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1868/94 vorgeschrieben ist. Im Fall eines Verstoßes sind Sanktionen anzuwenden."

7 Artikel 1 der Verordnung Nr. 97/95 sieht vor:

"Im Sinne dieser Verordnung sind

...

b) Unterkontingent: der Teil des Kontingents, den der Mitgliedstaat einem Stärkeunternehmen zuteilt;

...

d) Erzeuger: jede natürliche oder juristische Person oder Vereinigung dieser Personen, die selbst oder von ihren Mitgliedern erzeugte Kartoffeln in ihrem Namen und für ihre Rechnung im Rahmen eines von ihr oder in ihrem Namen geschlossenen Anbauvertrags an ein Stärkeunternehmen liefert;

e) Anbauvertrag: jeder zwischen einem Erzeuger oder einer Erzeugervereinigung einerseits und dem Stärkeunternehmen andererseits geschlossene Vertrag;

..."

8 Artikel 4 der Verordnung bestimmt:

"(1) Für jedes Wirtschaftsjahr wird ein Anbauvertrag geschlossen. ...

(2) Jedes Stärkeunternehmen muss der zuständigen Behörde spätestens am 31. Mai, der dem betreffenden Wirtschaftsjahr vorausgeht, ein zusammenfassendes Verzeichnis der Verträge übermitteln, in dem für jeden Vertrag ... der Name des Erzeugers und die Vertragsmenge in Tonnen, ausgedrückt in Stärkeäquivalent, genannt sind.

(3) Die in Stärkeäquivalent ausgedrückte Summe der in den Anbauverträgen vorgesehenen Mengen darf das für dieses Stärkeunternehmen festgesetzte Unterkontingent nicht überschreiten.

...

(5) Es ist dem Stärkeunternehmen untersagt, Kartoffellieferungen anzunehmen, die nicht durch einen Anbauvertrag gebunden sind."

9 In Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung heißt es:

"Die Prämie wird den Stärkeunternehmen im Rahmen der ihrem Unterkontingent entsprechenden Stärkemengen ... gewährt ...

..."

10 Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 97/95 sieht vor:

"Für die nachstehenden Zahlungen gelten folgende Voraussetzungen:

...

b) im Fall der Prämie gemäß Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 1868/94 muss das Stärkeunternehmen nachweisen, dass

- es die Kartoffel-/Erdäpfelstärke in dem betreffenden Wirtschaftsjahr erzeugt hat;

- es den Kartoffel-/Erdäpfelerzeugern für die in der Gemeinschaft erzeugte und zur Herstellung von Stärke verwendete Kartoffel-/Erdäpfelmenge insgesamt einen Preis gezahlt hat, der mindestens dem in Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 genannten Preis frei Fabrik entspricht;

- die betreffende Stärke aus Kartoffeln/Erdäpfeln gewonnen worden ist, die im Rahmen eines Anbauvertrags gemäß Artikel 4 erzeugt wurden."

11 Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 97/95 hat folgenden Wortlaut:

"Jeder Mitgliedstaat führt eine Kontrollregelung vor Ort ein, anhand derer die tatsächliche Durchführung der Maßnahmen, aus denen sich ein Anspruch auf die Prämie ... ergibt, und die Nichtüberschreitung des jedem Stärkeunternehmen zugeteilten Unterkontingents überwacht wird. ..."

12 Die Absätze 3 und 4 dieses Artikels sehen vor:

"(3) Stellt die zuständige Stelle fest, dass das Stärkeunternehmen die in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b) zweiter Gedankenstrich genannten Verpflichtungen nicht eingehalten hat, so wird dieses, ausgenommen im Falle höherer Gewalt, mit folgender Maßnahme ganz oder teilweise von der Gewährung der Prämie ausgeschlossen:

- Betrifft die Nichteinhaltung weniger als 20 % der gesamten von diesem Unternehmen erzeugten Stärkemenge, so wird die zu gewährende Prämie um das Fünffache des festgestellten Prozentsatzes gekürzt;

- liegt der betreffende Prozentsatz bei oder über 20 %, so wird keine Prämie gewährt.

(4) Wird festgestellt, dass das Verbot gemäß Artikel 4 Absatz 5 nicht eingehalten wurde, so wird die für das Unterkontingent gewährte Prämie folgendermaßen gekürzt:

- Ergibt sich aus der Kontrolle, dass die vom Stärkeunternehmen angenommene Menge 10 % ihres Unterkontingents nicht überschreitet, so wird der Gesamtbetrag der dem Stärkeunternehmen für das betreffende Wirtschaftsjahr zu zahlenden Prämien um das Zehnfache des festgestellten Prozentsatzes gekürzt;

- überschreitet die nicht durch Anbauverträge gebundene Menge den im ersten Gedankenstrich genannten Grenzwert, so wird für das betreffende Wirtschaftsjahr keine Prämie gewährt. Außerdem wird das Stärkeunternehmen im folgenden Wirtschaftsjahr von der Prämienzahlung ausgeschlossen."

Verordnung Nr. 2988/95

13 In der fünften Begründungserwägung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1) heißt es:

"Die Verhaltensweisen, die Unregelmäßigkeiten darstellen, sowie die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und die entsprechenden Sanktionen sind im Einklang mit dieser Verordnung in sektorbezogenen Regelungen vorgesehen."

14 Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung bestimmt:

"Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe."

15 Artikel 2 der Verordnung bestimmt:

"(1) Kontrollen und verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen werden eingeführt, soweit sie erforderlich sind, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Sie müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, um einen angemessenen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu gewährleisten.

...

(3) In den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts werden Art und Tragweite der verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen in dem für die ordnungsgemäße Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Maß und entsprechend der Art und Schwere der Unregelmäßigkeit, dem gewährten oder erlangten Vorteil und dem Grad des Verschuldens festgelegt.

..."

16 Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 sieht vor:

"Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, können zu folgenden verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen:

...

c) vollständiger oder teilweiser Entzug eines nach Gemeinschaftsrecht gewährten Vorteils auch dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer nur einen Teil dieses Vorteils rechtswidrig erlangt hat;

d) Ausschluss von einem Vorteil oder Entzug eines Vorteils für einen Zeitraum, der nach dem Zeitraum der Unregelmäßigkeit liegt;

..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17 Emsland-Stärke ist eine in Deutschland ansässige Herstellerin von Kartoffelstärke. Für die Wirtschaftsjahre 1995/96, 1996/97 und 1997/98 wurden dieser Gesellschaft Unterkontingente für die Verarbeitung von Stärkekartoffeln zu Kartoffelstärke in Höhe von 371 846 000 kg zugeteilt. Aus den Akten ergibt sich, dass diese Unterkontingente nicht überschritten wurden.

18 Emsland-Stärke bezog auf der Grundlage von Anbau- und Lieferverträgen von der Moormann GmbH (im Folgenden: Moormann) Kartoffeln. Nach Übermittlung dieser Verträge an die zuständigen Behörden erhielt sie von der Landwirtschaftsverwaltung des Landes Brandenburg (im Folgenden: Landwirtschaftsverwaltung) für das Wirtschaftsjahr 1995/96 und dann von der Bezirksregierung für die Wirtschaftsjahre 1996/97 und 1997/98 Prämien für die Stärkeerzeugung von insgesamt 61 500 DM.

19 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Landwirtschaftsverwaltung zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prämien für das Wirtschaftsjahr 1995/96 vollständig darüber informiert war, dass Moormann nicht selbst Kartoffeln erzeugte, sondern nur damit handelte. Die Bezirksregierung stellte dagegen erst im November 1997, d. h. nach Bewilligung der Prämien für die Wirtschaftsjahre 1996/97 und 1997/98 fest, dass Moormann kein Kartoffelerzeuger, sondern ein Händler war, der die Kartoffeln von verschiedenen Erzeugern oder anderen Händlern erwarb.

20 Nach der Darstellung des vorlegenden Gerichts verhängte die Bezirksregierung ferner mit Entscheidungen vom 15. April, 2. Juni und 14. Juli 1998 sowie vom 15. März 1999 u. a. gegen Emsland-Stärke eine Sanktion in Höhe von 614 487,47 DM (314 182,45 Euro) und begründete dies damit, dass Prämien nach dem Gemeinschaftsrecht nur für Kartoffeln gezahlt werden dürften, die ein Stärkehersteller auf der Grundlage von mit Erzeugern geschlossenen Anbau- und Lieferverträgen bezogen habe.

21 Emsland-Stärke focht diese Entscheidungen an.

22 Mit Urteil vom 17. Mai 2000 hob das Verwaltungsgericht Osnabrück die Bescheide auf, soweit in ihnen die gewährten Ausgleichszahlungen zurückgefordert wurden, und wies die Klage im Übrigen ab, soweit sie auf die Aufhebung der gegen Emsland-Stärke verhängten Sanktionen gerichtet war.

23 Beide Parteien des Ausgangsverfahrens legten Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ein. Dieses stellte mit Urteil vom 12. Dezember 2002 fest, dass es an einem ordnungsgemäßen Anbauvertrag fehle, und wies folglich die Berufung von Emsland-Stärke zurück.

24 Emsland-Stärke legte gegen dieses Urteil Revision an das Bundesverwaltungsgericht ein.

25 Da das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Gültigkeit und der Auslegung des Artikels 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 abhänge, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. a) Greift Artikel 13 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung Nr. 97/95 ein, wenn ein als Anbauvertrag bezeichneter Vertrag geschlossen und von der zuständigen Behörde nach Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Verordnung anerkannt worden ist, der Vertrag aber nicht mit einem Kartoffelerzeuger, sondern einem Händler geschlossen wurde, der die Kartoffeln seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezieht?

b) Setzt Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 voraus, dass der Stärkeunternehmer mit der Annahme der Kartoffellieferung sein Unterkontingent überschritten hat?

2. a) Genügt die Sanktionsregelung des Artikels 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 in Abgrenzung zu Artikel 13 Absatz 3 dieser Verordnung den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen?

b) Ist die in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehene Sanktion angesichts ihrer Höhe auch bei Fällen wie dem vorliegenden im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft erforderlich? Ist sie in Fällen wie dem vorliegenden zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft angemessen?

3. Ist die Unregelmäßigkeit, die Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 sanktioniert, auch dann im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 durch Fahrlässigkeit verursacht worden, wenn die Behörde die Prämie in voller Kenntnis des Sachverhalts bewilligt hat?

Zur ersten Frage

Zum ersten Teil der ersten Frage

26 Mit dem ersten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehene Sanktion Anwendung findet, wenn ein Vertrag, der als Anbauvertrag bezeichnet und von einer zuständigen nationalen Behörde nach Artikel 4 Absatz 2 dieser Verordnung anerkannt worden ist, nicht mit einem Kartoffelerzeuger, sondern einem Unternehmen geschlossen wurde, das die Kartoffeln unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezieht. 27 Ein Anbauvertrag nach Artikel 1 Buchstaben d und e der Verordnung Nr. 97/95 ist jeder zwischen einem Stärkeunternehmen und einem Erzeuger geschlossene Vertrag, wobei unter Erzeuger jede natürliche oder juristische Person oder Vereinigung dieser Personen zu verstehen ist, die von ihr selbst oder von ihren Mitgliedern erzeugte Kartoffeln in ihrem Namen und für ihre Rechnung an ein Stärkeunternehmen liefert.

28 Folglich kann ein Vertrag, der zwischen einem Stärkeunternehmen und einem Unternehmen geschlossen wurde, das die Kartoffeln unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezieht, nicht als Anbauvertrag im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden, auch wenn er als solcher bezeichnet worden ist.

29 Aus Artikel 4 Absatz 5 und Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95, die den Erzeugerschutz sicherstellen sollen, ergibt sich, dass ein Stärkeunternehmen, das Kartoffellieferungen annimmt, die nicht durch einen Anbauvertrag gebunden sind, gemäß Artikel 13 Absatz 4 mit Sanktionen belegt werden kann.

30 Der Umstand, dass eine Behörde den fraglichen Vertrag zu Unrecht als Anbauvertrag angesehen hat, ist entgegen dem, was Emsland-Stärke in ihren Erklärungen vorgetragen hat, nicht geeignet, diese Beurteilung in Frage zu stellen.

31 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes kann nämlich nicht gegen eine klare gemeinschaftsrechtliche Bestimmung angeführt werden, und das gemeinschaftsrechtswidrige Verhalten einer für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständigen nationalen Behörde kann kein berechtigtes Vertrauen eines Wirtschaftsteilnehmers darauf begründen, in den Genuss einer gemeinschaftsrechtswidrigen Behandlung zu kommen (Urteile vom 26. April 1988 in der Rechtssache 316/86, Krücken, Slg. 1988, 2213, Randnr. 24, und vom 1. April 1993 in den Rechtssachen C-31/91 bis C-44/91, Lageder u. a., Slg. 1993, I-1761, Randnr. 35).

32 Folglich kann ein Stärkeunternehmen kein schutzwürdiges Vertrauen darauf gründen, dass eine nationale Behörde einen Vertrag in Verkennung des Gemeinschaftsrechts als Anbauvertrag angesehen hat, obwohl er die in der Gemeinschaftsregelung festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllte.

Zum zweiten Teil der ersten Frage

33 Mit dem zweiten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Anwendung der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehenen Sanktion davon abhängt, dass das Stärkeunternehmen das ihm zugeteilte Unterkontingent überschritten hat.

34 Dazu ist zunächst festzustellen, dass aus dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht hervorgeht, dass die Anwendung dieser Sanktion im Grundsatz von der Überschreitung des Unterkontingents abhängt.

35 Ferner bezweckt das in Artikel 4 Absatz 5 der genannten Verordnung aufgestellte Verbot zwar, wie aus der vierten Begründungserwägung dieser Verordnung hervorgeht, das Kontingent zu schützen, indem es die Kontrolle der von den Stärkeunternehmen gekauften Kartoffelmenge durch die zuständigen nationalen Behörden erleichtert; dieser Umstand kann jedoch kein Hindernis für die Anwendung der in Artikel 13 Absatz 4 dieser Verordnung vorgesehenen Sanktion bei Nichtüberschreitung des Unterkontingents darstellen.

36 Laut derselben Begründungserwägung soll dieses Verbot nämlich auch sicherstellen, dass die Anforderung, dass ein Mindestpreis für alle zur Stärkeerzeugung bestimmten Kartoffeln gezahlt wird, eingehalten wird.

37 Allein die Tatsache, dass ein Stärkeunternehmen Kartoffeln von einem Unternehmen bezieht, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von den Kartoffelerzeugern bezieht, ist jedoch geeignet, diesen Zweck und damit das Ziel, diese Erzeuger zu schützen, zu gefährden.

38 Auch wenn das Stärkeunternehmen nachweist, dass es an ein solches Unternehmen den in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 97/95 genannten Mindestpreis gezahlt hat, ist durch nichts gewährleistet, dass dieser Preis vollständig an die Erzeuger weitergeleitet worden ist. Das Erfordernis eines unmittelbar mit den Erzeugern geschlossenen Anbauvertrags ist, wie die Kommission festgestellt hat, das einzige Mittel, um zu verhindern, dass ein Teil des Preises, der von dem Stärkeunternehmen tatsächlich gezahlt worden ist, von Zwischenhändlern vereinnahmt wird.

39 Schließlich ergibt sich aus der neunten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 97/95, dass zum Schutz der Kartoffelerzeuger und um die Zahlung des Mindestpreises an diese zu gewährleisten, Sanktionen nicht nur für den Fall festgelegt werden müssen, dass sich herausstellt, dass der Mindestpreis nicht gezahlt worden ist, sondern auch für den Fall, dass festgestellt wird, dass die Stärkeunternehmen Kartoffeln annehmen, deren Lieferung nicht durch einen Anbauvertrag gebunden ist.

40 Folglich kann die Anwendung der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehenen Sanktion nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Stärkeunternehmen sein Unterkontingent überschreitet.

41 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass gegenüber einem Stärkeunternehmen, das Kartoffeln von einem Unternehmen bezieht, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezieht, auch dann, wenn der Kauf- und Liefervertrag, der zwischen ihm und dem betreffenden Unternehmen geschlossen wurde, von diesen Vertragsparteien als "Anbauvertrag" bezeichnet und als solcher von einer zuständigen nationalen Behörde nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 97/95 anerkannt worden ist, obwohl er diese Qualifikation im Sinne von Artikel 1 Buchstaben d und e dieser Verordnung nicht erhalten kann, die in Artikel 13 Absatz 4 dieser Verordnung vorgesehene Sanktion angewandt werden kann, ohne dass dies voraussetzt, dass das Stärkeunternehmen das ihm zugeteilte Unterkontingent überschritten hat.

Zur zweiten Frage

Zum ersten Teil der zweiten Frage

42 Mit dem ersten Teil seiner zweiten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen um eine Entscheidung über die Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 in Verbindung mit Absatz 3 dieses Artikels im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit.

43 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Grundsatz der Rechtssicherheit ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts, das insbesondere verlangt, dass eine Regelung klar und bestimmt ist, damit der Abgabenpflichtige seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und dementsprechend seine Vorkehrungen treffen kann (vgl. u. a. Urteile vom 13. Februar 1996 in der RechtssacheC-143/93, Van Es Douane Agenten, Slg. 1996, I-431, Randnr. 27, und vom 14. April 2005 in der RechtssacheC-110/03, Belgien/Kommission, Slg. 2005, I-2801, Randnr. 30). Dieses Gebot der Rechtssicherheit gilt in besonderem Maße bei Vorschriften, die finanzielle Konsequenzen haben können (Urteil vom 15. Dezember 1987 in der Rechtssache 326/85, Niederlande/Kommission, Slg. 1987, 5091, Randnr. 24).

44 Zudem darf eine Sanktion, selbst wenn sie keinen strafrechtlichen Charakter besitzt, nur dann verhängt werden, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruht (vgl. u. a. Urteile vom 25. September 1984 in der Rechtssache 117/83, Könecke, Slg. 1984, 3291, Randnr. 11, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-210/00, Käserei Champignon Hofmeister, Slg. 2002, I-6453, Randnr. 52).

45 Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 in Verbindung mit Artikel 1 und Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung stellt, indem er die Anwendung einer Sanktion in allen Fällen vorsieht, in denen ein Stärkeunternehmen Kartoffellieferungen annimmt, die nicht durch einen Anbauvertrag gebunden sind, eine klare und bestimmte Regelung dar.

46 Zum Verhältnis zwischen den Absätzen 3 und 4 des Artikels 13 der Verordnung Nr. 97/95 ist, wie die Kommission zutreffend ausführt, festzustellen, dass die mit diesen Vorschriften geschaffenen Sanktionen zwei unterschiedliche Fallgestaltungen betreffen, nämlich zum einen die Nichteinhaltung der in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich dieser Verordnung vorgesehenen Pflichten und zum anderen die Nichteinhaltung von Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung.

47 Die Prüfung des ersten Teils der zweiten Frage hat folglich nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigen könnte.

Zum zweiten Teil der zweiten Frage

48 Mit dem zweiten Teil seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 gültig ist, soweit er die Verhängung einer Sanktion gegen Stärkeunternehmen zulässt, die nicht durch einen Anbauvertrag gebundene Kartoffellieferungen angenommen haben, ohne jedoch ihr Unterkontingent zu überschreiten.

49 Insoweit steht fest, dass ein Verstoß gegen das den Stärkeunternehmen auferlegte Verbot, Kartoffeln von einem Unternehmen zu beziehen, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezogen hat, eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 darstellt. Zudem stellt der vollständige oder teilweise Entzug einer Prämie für das laufende oder das folgende Wirtschaftsjahr eine verwaltungsrechtliche Sanktion im Sinne des Artikels 2 Absätze 1 und 3 und des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben c und d dieser Verordnung dar.

50 Es ist daran zu erinnern, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber im Bereich der Kontrollen und Sanktionen der auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts begangenen Unregelmäßigkeiten mit dem Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 eine Reihe allgemeiner Grundsätze aufgestellt und vorgeschrieben hat, dass grundsätzlich alle sektorbezogenen Verordnungen diese Grundsätze beachten müssen (Urteil vom 1. Juli 2004 in der Rechtssache C-295/02, Gerken, Slg. 2004, I-6369, Randnr. 56).

51 Demgemäß werden nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 verwaltungsrechtliche Sanktionen eingeführt, soweit sie erforderlich sind, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Sie müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, um einen angemessenen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu gewährleisten. Zudem sieht Absatz 3 dieses Artikels vor, dass die für die ordnungsgemäße Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Sanktionen der Art und Schwere der Unregelmäßigkeit, dem gewährten oder erlangten Vorteil und dem Grad des Verschuldens Rechnung tragen müssen.

52 Was erstens die Frage betrifft, ob die in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehene Sanktion zum Ziel hat, die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten und die finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu schützen, so ist anzuerkennen, dass die genannte Sanktion sehr wohl dieses Ziel verfolgt, da sie für den Fall gilt, dass Stärke nicht gemäß den Vorschriften der Verordnung Nr. 97/95 hergestellt wird. Die Zahlung einer Prämie an ein Stärkeunternehmen, das dadurch gegen Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung verstößt, dass es Kartoffeln von einem Unternehmen bezieht, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezogen hat, stellt eine ungerechtfertigte Ausgabe dar, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaft bewirkt.

53 Was zweitens die Frage betrifft, ob die in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehene Sanktion wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist, so ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung für die Frage, ob eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, darauf ankommt, ob die gewählten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind und das Maß des hierzu Erforderlichen nicht übersteigen (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-426/93, Deutschland/Rat, Slg. 1995, I-3723, Randnr. 42, und vom 14. Juli 2005 in der Rechtssache C-26/00, Niederlande/Kommission, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 126).

54 Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit solcher Voraussetzungen angeht, so verfügt der Gemeinschaftsgesetzgeber im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik über einen Ermessensspielraum, der seiner politischen Verantwortung entspricht, die ihm die Artikel 34 EG und 37 EG übertragen. Folglich kann die Rechtmäßigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese Maßnahme zur Erreichung des Zieles, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 22, und vom 13. November 1990 in der RechtssacheC-331/88, Fedesa, Slg. 1990, I-4023, Randnr. 14).

55 Es zeigt sich zunächst, dass der Gesamtbetrag der einem Stärkeunternehmen zu zahlenden Prämien nach Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95, wenn das betreffende Stärkeunternehmen eine nicht durch Anbauverträge gebundene Kartoffelmenge angenommen hat, die 10 % ihres Unterkontingents nicht überschreitet, um das Zehnfache des festgestellten Prozentsatzes gekürzt wird. Jede Prämiengewährung für das laufende sowie für das folgende Wirtschaftsjahr ist ausgeschlossen, wenn die Unregelmäßigkeit mehr als 10 % des Unterkontingents betrifft, das diesem Stärkeunternehmen gewährt worden ist. Somit kann davon ausgegangen werden, dass diese Vorschrift eine wirksame und abschreckende Sanktion schafft, die zur Verwirklichung der angestrebten Ziele geeignet ist. 56 Sodann ist festzustellen, dass die mit dieser Vorschrift geschaffene Sanktion nicht pauschaler Natur ist, sondern vom Umfang und von der Schwere der begangenen Unregelmäßigkeit abhängt, so wie es Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2988/95 vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-354/95, National Farmers' Union u. a., Slg. 1997, I-4559, Randnr. 53).

57 Im Hinblick schließlich auf die Bedeutung des mit Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 verfolgten Zieles des Schutzes der Erzeuger und angesichts des weiten Ermessens, über das die Gemeinschaftsorgane auf diesem Gebiet verfügen, kann es nicht als ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig angesehen werden, wenn eine abschreckende und wirksame Sanktion wie die in dem genannten Artikel vorgesehene in dem Fall verhängt wird, dass das Stärkeunternehmen, das eine Prämie beantragt, mit oder ohne Vorsatz eine unrichtige Erklärung bezüglich der Erzeugereigenschaft abgibt (vgl. in diesem Sinne Urteil National Farmers' Union u. a., Randnr. 53).

58 Demnach kann die Sanktion nach Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 als zur Erreichung der verfolgten Ziele geeignet und als nicht über das Maß des hierzu Erforderlichen hinausgehend angesehen werden.

59 Die Prüfung des zweiten Teils der zweiten Frage hat folglich nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne von Artikel 2 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 2988/95 beeinträchtigen könnte.

Zur dritten Frage

60 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich der Umstand, dass der zuständigen nationalen Behörde bekannt war, dass ein Stärkeunternehmen Kartoffeln von einem Unternehmen bezogen hatte, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Erzeugern bezogen hatte, auf die Feststellung einer Unregelmäßigkeit, die als "durch Fahrlässigkeit verursacht" im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 angesehen wird, und infolgedessen auf die Anwendung der in Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 vorgesehenen Sanktion gegenüber dem betreffenden Stärkeunternehmen auswirken kann.

61 Insoweit ist daran zu erinnern, dass dieses Stärkeunternehmen sich nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann, wenn eine nationale Behörde einen von dem Unternehmen mitgeteilten Vertrag bewusst oder aufgrund eines Irrtums in Verkennung des Gemeinschaftsrechts als Anbauvertrag angesehen hat, obwohl er die in der Gemeinschaftsregelung festgelegten Voraussetzungen für eine solche Einstufung nicht erfüllte.

62 Ferner erlaubt der Umstand, dass der zuständigen Behörde bekannt war, dass das Stärkeunternehmen Kartoffeln von einem Unternehmen bezogen hatte, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Erzeugern bezogen hatte, für sich genommen nicht, die fragliche Unregelmäßigkeit nicht als "durch Fahrlässigkeit verursacht" oder sogar "vorsätzlich begangen" im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 einzustufen.

63 Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2988/95 enthält im Übrigen - anders als Vorschriften wie Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. L 391, S. 36) - keine Ausnahme von der Anwendung der mit ihr geschaffenen Sanktion. Der besagte Artikel 9 Absatz 2, zu dem das Urteil vom 19. November 2002 in der Rechtssache C-304/00 (Strawson und Gagg & Sons, Slg. 2002, I-10737, Randnr. 62) ergangen ist und auf den sich Emsland-Stärke in ihren Erklärungen bezieht, sieht vor, dass die mit ihm geschaffene Sanktion nicht zur Anwendung kommt, wenn der Betriebsinhaber den Nachweis erbringt, dass er sich bei der Flächenbestimmung korrekt auf unrichtige Angaben gestützt hat, die von der zuständigen Behörde anerkannt worden sind.

64 Nach alledem ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass sich der Umstand, dass der zuständigen nationalen Behörde bekannt war, dass ein Stärkeunternehmen Kartoffeln von einem Unternehmen bezogen hatte, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Erzeugern bezogen hatte, weder auf die Feststellung einer Unregelmäßigkeit, die als "durch Fahrlässigkeit verursacht" im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 angesehen wird, noch infolgedessen auf die Anwendung der Sanktion gemäß Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 gegenüber dem betreffenden Stärkeunternehmen auswirken kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

65 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Gegenüber einem Stärkeunternehmen, das Kartoffeln von einem Unternehmen bezieht, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezieht, kann auch dann, wenn der Kauf- und Liefervertrag, der zwischen ihm und dem betreffenden Unternehmen geschlossen wurde, von diesen Vertragsparteien als "Anbauvertrag" bezeichnet und als solcher von einer zuständigen nationalen Behörde nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 97/95 der Kommission vom 17. Januar 1995 mit den Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 des Rates hinsichtlich des Mindestpreises und des den Kartoffelerzeugern zu zahlenden Ausgleichsbetrags sowie zur Verordnung (EG) Nr. 1868/94 des Rates zur Einführung einer Kontingentierungsregelung für die Kartoffelstärkeerzeugung in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1125/96 der Kommission vom 24. Juni 1996 geänderten Fassung anerkannt worden ist, obwohl er diese Qualifikation im Sinne von Artikel 1 Buchstaben d und e dieser Verordnung nicht erhalten kann, die in Artikel 13 Absatz 4 dieser Verordnung vorgesehene Sanktion angewandt werden, ohne dass dies voraussetzt, dass das Stärkeunternehmen das ihm zugeteilte Unterkontingent überschritten hat.

2. Die Prüfung des ersten Teils der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 in der durch die Verordnung Nr. 1125/96 geänderten Fassung im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigen könnte.

3. Die Prüfung des zweiten Teils der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 in der durch die Verordnung Nr. 1125/96 geänderten Fassung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne von Artikel 2 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtigen könnte.

4. Der Umstand, dass die zuständige nationale Behörde darüber informiert war, dass ein Stärkeunternehmen Kartoffeln von einem Unternehmen bezogen hatte, das diese seinerseits unmittelbar oder mittelbar von Kartoffelerzeugern bezogen hatte, kann sich weder auf die Feststellung einer Unregelmäßigkeit, die als "durch Fahrlässigkeit verursacht" im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 angesehen wird, noch infolgedessen auf die Anwendung der Sanktion gemäß Artikel 13 Absatz 4 der Verordnung Nr. 97/95 in der durch die Verordnung Nr. 1125/96 geänderten Fassung gegenüber dem betreffenden Stärkeunternehmen auswirken.



Ende der Entscheidung

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