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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1995
Aktenzeichen: C-96/94
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 3
EGV Art. 5
EGV Art. 85
EGV Art. 86
EGV Art. 90
EGV Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Artikel 3 Buchstabe g, 5, 30, 85, 86 und 90 stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der die Tarife des Güterkraftverkehrs behördlich auf der Grundlage von Vorschlägen eines Ausschusses festgelegt werden, wenn diesem neben einer Minderheit von Vertretern der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer eine Mehrheit von Vertretern öffentlicher Stellen angehört und er bei seinen Vorschlägen bestimmte Kriterien des Gemeinwohls beachten muß und wenn die öffentlichen Stellen überdies ihre Vorrechte nicht durch die Berücksichtigung der Stellungnahmen anderer öffentlicher und privater Einrichtungen vor der Genehmigung der Vorschläge aufgeben oder die Tarife sogar von Amts wegen festlegen.

Denn eine solche Regelung

° schreibt gegen Artikel 85 verstossende Kartellabsprachen weder vor noch erleichtert sie sie oder verstärkt die Auswirkungen solcher Absprachen oder überträgt die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern;

° verschafft den Wirtschaftsteilnehmern keine kollektive beherrschende Stellung, die durch das Fehlen von Wettbewerbsverhältnissen zwischen ihnen gekennzeichnet wäre;

° beschränkt sich auf die Festlegung der Bedingungen für den Marktzutritt und bestimmter Aspekte des Verhaltens der Unternehmen, insbesondere im Bereich der Preise, ohne ihnen den Charakter öffentlicher Unternehmen zu verleihen, ihnen ausschließliche oder besondere Rechte zu gewähren oder sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu betrauen;

° unterscheidet nicht nach dem Ursprung der beförderten Waren, soll nicht den Warenhandel mit den anderen Mitgliedstaaten regeln und kann nur zu ungewisse und zu mittelbare beschränkende Wirkungen auf den freien Warenverkehr haben, als daß die in ihr aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern.

2. Im Rahmen des in Artikel 177 des Vertrages vorgesehenen Verfahrens ist der Gerichtshof für die Erteilung einer Antwort an das Gericht, das ihm ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat, nicht zuständig, wenn die ihm vorgelegten Fragen keinen Zusammenhang mit dem Sachverhalt oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens aufweisen und folglich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht objektiv erforderlich sind.

3. Die Richtlinie 92/106 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten gilt nicht für Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Drittländern und Mitgliedstaaten, und die Verordnung Nr. 4055/86 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern gilt nicht für den Strassentransport vom Schiff entladener Güter.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 5. OKTOBER 1995. - CENTRO SERVIZI SPEDIPORTO SRL GEGEN SPEDIZIONI MARITTIMA DEL GOLFO SRL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNALE DI GENOVA - ITALIEN. - STRASSENVERKEHR - TARIFE - STAATLICHE REGELUNG - WETTBEWERB. - RECHTSSACHE C-96/94.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale Genua hat mit Beschluß vom 7. März 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 21. März 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 3 Buchstabe g, 5, 30, 85, 86 und 90 EG-Vertrag, der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern (ABl. L 378, S. 1) und der Richtlinie 92/106/EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten (ABl. L 368, S. 38) zur Vorabentscheidung vorgelegt, um über die Vereinbarkeit der italienischen Regelung über die Festlegung der Tarife des Güterkraftverkehrs mit diesen Bestimmungen entscheiden zu können.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Transportgesellschaft Centro Servizi Spediporto Srl (im folgenden: Centro Servizi) und der Spedizioni Marittima del Golfo Srl (im folgenden: Marittima del Golfo), von der sie die Zahlung des Entgelts für Beförderungen im Kraftverkehr verlangt, die für deren Rechnung durchgeführt wurden.

3 In Italien ist der Güterkraftverkehrssektor im Gesetz Nr. 298 vom 6. Juni 1974 zur Schaffung des nationalen Registers der gewerblichen Güterkraftverkehrsunternehmer, zur Regelung des Güterkraftverkehrs und zur Einführung eines Systems von Margentarifen für den Güterkraftverkehr (GURI Nr. 200 vom 31. Juli 1974; im folgenden: das italienische Gesetz) geregelt.

4 Die Führung dieses Registers obliegt einem Zentralausschuß; dieser setzt sich gemäß Artikel 3 zusammen aus

"a) einem Staatsratsmitglied, das das Amt des Präsidenten innehat;

b) vier Vertretern des Ministeriums für Verkehr und Zivilluftfahrt, je einem Vertreter der Ministerien für Industrie, für Handel und Handwerk, für staatliche Beteiligungen, für Aussenhandel, für Landwirtschaft und Forsten, des Inneren, für öffentliche Arbeiten, für Finanzen und des Schatzministeriums;

c) vier Vertretern der Regionen...

d) zwölf Vertretern der für die Gruppe der gewerblichen Güterkraftverkehrsunternehmer repräsentativsten nationalen Verbände sowie der nationalen Verbände zur Vertretung, zur Unterstützung und zum Schutz des Genossenschaftswesens, die vom Ministerium für Arbeit und Sozialfragen rechtlich anerkannt sind...

Die Mitglieder des Ausschusses werden durch Dekret des Ministers für Verkehr und Zivilluftfahrt ernannt. Die Ernennungen erfolgen auf Vorschlag

° des Präsidenten des Staatsrats für das in Buchstabe a genannte Mitglied;

° der jeweiligen Minister für die in Buchstabe b genannten Mitglieder;

° der jeweiligen nationalen Verbände für die in Buchstabe d genannten Mitglieder."

5 Gemäß den Artikeln 1 Absatz 3, 26 und 41 des italienischen Gesetzes ist Voraussetzung für die Tätigkeit im gewerblichen Güterkraftverkehr die Eintragung in das Register und der Besitz einer behördlichen Erlaubnis.

6 Durch die Artikel 50 ff. dieses Gesetzes wird ein System von Margentarifen mit einer Ober- und einer Untergrenze eingeführt.

7 In Artikel 52 heisst es:

"Jeder Tarif wird anhand eines Grundpreises berechnet, der sich in der Mitte der Marge befindet. Der Grundpreis wird unter Berücksichtigung der Durchschnittskosten der entsprechenden Beförderungsleistungen einschließlich der Geschäftsunkosten bei gut geführten Unternehmen mit normaler Auslastung ihrer Beförderungskapazität sowie unter Berücksichtigung der Marktlage und in einer Weise ermittelt, die es den Transportunternehmen erlaubt, ein angemessenes Entgelt zu erlangen."

8 Gemäß Artikel 53 des italienischen Gesetzes werden die Beförderungstarife und die speziellen Bedingungen für ihre Anwendung sowie ihre späteren Änderungen vom Zentralausschuß dem Minister für Verkehr und Zivilluftfahrt vorgeschlagen. Dieser genehmigt nach Anhörung der Regionen sowie der Vertreter der nationalen Verbände der unmittelbar betroffenen Wirtschaftssektoren auf der Grundlage der Richtlinien des interministeriellen Preisausschusses die Tarife, die Bedingungen und ihre Änderungen, indem er sie durch Dekret für anwendbar erklärt.

9 Stimmt der Minister den Vorschlägen nicht zu, so sendet er sie an den Zentralausschuß zurück, um neue Vorschläge oder Gegenvorschläge zu erhalten. Hält der Minister diese neuen Vorschläge oder Gegenvorschläge für unbefriedigend, so ist er berechtigt, die ursprünglichen Vorschläge zu ändern, und erklärt sie durch Dekret für anwendbar.

10 Die Missachtung der festgelegten Tarife durch die Wirtschaftsteilnehmer wird mit Verwaltungsstrafen und im Wiederholungsfall mit Disziplinarmaßnahmen geahndet.

11 Die Kriterien für die Berechnung der Margentarife wurden u. a. im Dekret Nr. 56 des Präsidenten der Italienischen Republik vom 9. Januar 1978 (GURI Nr. 77 vom 18. März 1978) näher geregelt.

12 Das Ministerialdekret vom 18. November 1982 (Supplement zur GURI Nr. 342 vom 14. Dezember 1982), in dem erstmals die Margentarife festgelegt wurden, lässt bestimmte Abweichungen vom verbindlichen Tarif zu. Gemäß Artikel 13 dieses Dekrets können

"einzelne Verträge... nur aufgrund von kollektiven Wirtschaftsvereinbarungen zwischen den repräsentativsten Verbänden der Transportunternehmer, die im Zentralausschuß für das Register vertreten sind, und Nutzern zu abweichenden Bedingungen geschlossen werden".

13 Das Decreto-legge Nr. 82 vom 29. März 1993 mit Sofortmaßnahmen zugunsten des gewerblichen Güterkraftverkehrssektors (GURI Nr. 73 vom 29. März 1993), nach Änderungen durch das Gesetz Nr. 162 vom 27. Mai 1993 (GURI Nr. 123 vom 28. Mai 1993) in ein Gesetz umgewandelt, sah in Artikel 3 durch authentische Auslegung vor, daß eine vertragliche Vereinbarung, durch die von den Tarifen abgewichen wird, die sich aus dem Gesetz und/oder den im Ministerialdekret vom 18. November 1982 vorgesehenen kollektiven Vereinbarungen ergeben, nicht zulässig ist.

14 Im Jahr 1993 wurde Centro Servizi von Marittima del Golfo mit der Durchführung verschiedener Beförderungen im Güterkraftverkehr innerhalb des italienischen Hoheitsgebiets betraut. Die Güter waren zum Teil per Schiff aus China oder Indonesien und zum Teil auf der Strasse aus Spanien gekommen.

15 Für diese Beförderungen berechnete Centro Servizi ihrem Auftraggeber die im Ministerialdekret festgelegten Tarife. Marittima del Golfo lehnte die Bezahlung mit der Begründung ab, daß die Preise überhöht seien.

16 Centro Servizi beantragte beim Tribunale Genua gegen Marittima del Golfo den Erlaß eines Mahnbescheids, um die Beförderungskosten zu erlangen.

17 Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat das Tribunale Genua das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Stehen die Artikel 3 Buchstabe f, 5, 30, 85, 86 (und möglicherweise 90) EWG-Vertrag einer nationalen Regelung entgegen,

a) nach der durch einen Ausschuß, dem (zur Wahrnehmung der Interessen ihrer eigenen Gruppe) Vertreter der Verbände der Kraftverkehrsunternehmen angehören, und/oder durch private Vereinbarungen die Tarife der gewerblichen Güterkraftverkehrsunternehmer festgelegt werden, die für alle Wirtschaftsteilnehmer verbindlich sind, nachdem sie die öffentliche Verwaltung in der im Gesetz Nr. 162/93, im Gesetz Nr. 298/74 und im Ministerialdekret vom 18. November 1982 vorgesehenen Weise genehmigt hat;

b) die zulässt, daß

° die freie Preisbildung verhindert wird;

° Vertragsbedingungen vorgeschrieben werden, die sich aus der Anwendung verbindlicher Tarife ergeben, die nicht anhand der tatsächlichen Kosten der Dienstleistung berechnet worden sind;

° die Verbindlichkeit des Tarifs auf jeden anderen Vertrag erstreckt wird, der eine Beförderungsleistung zum Gegenstand hat, und diese dadurch dem System der freien Preisbildung entzieht;

° die Nutzer der Dienstleistungen des Kraftverkehrs je nach dem angewandten Tarif diskriminiert werden;

° durch die Möglichkeit des Kraftverkehrsunternehmers, Verträge mit abweichenden Bedingungen abzuschließen, unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen angewandt werden;

° das Vertragsverhältnis zwischen dem Transportunternehmer und dem Auftraggeber verändert wird, indem letzterer einer eventuellen Klage der Kraftverkehrsunternehmer auf Ergänzung des Entgelts ausgesetzt wird;

° eine Neugestaltung des Kraftverkehrsangebots, die den Bedürfnissen des Nutzers besser entsprechen würde, eingeschränkt wird?

2) Fällt das gesetzliche Monopol für den gewerblichen Güterkraftverkehr unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff in Artikel 90 EWG-Vertrag?

Wenn ja,

können die den zugelassenen Unternehmen eingeräumten Rechte die mißbräuchliche Ausnutzung einer kollektiven beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag darstellen,

oder

kann dieses Monopol, so wie es durch die in der vorangegangenen Frage genannten nationalen Rechtsvorschriften ausgestaltet ist und sofern es Auswirkungen auf den Preis der eingeführten Erzeugnisse haben kann, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 des Vertrages darstellen?

3) Ist die Definition der Beförderung im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 92/106/EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten in dem Sinne auszulegen, daß der in Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 enthaltene Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in der Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern nicht seiner "praktischen Wirksamkeit" beraubt wird, und somit in dem Sinne, daß der Güterverkehr auch dann als liberalisiert anzusehen ist, wenn die Strecke auf See, die auf einem unter Gemeinschaftsflagge fahrenden Schiff zwischen einem Hafen eines Drittlandes und einem Hafen eines Mitgliedstaats zurückgelegt wird, eine Teilstrecke im Rahmen einer Beförderung im kombinierten Verkehr zwischen einem Drittland und einem Mitgliedstaat darstellt?

Erste Frage

18 Die erste Frage des Tribunale Genua ist im wesentlichen dahin zu verstehen, ob die Artikel 3 Buchstabe g, 5, 85, 86 und 90 sowie Artikel 30 des Vertrages einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die vorsieht, daß die Tarife des Güterkraftverkehrs vom Staat auf der Grundlage von Vorschlägen eines Ausschusses unter Bedingungen festgelegt werden, wie sie im italienischen Gesetz vorgesehen sind.

Zu den Artikeln 85, 86 und 90 des Vertrages

19 Zunächst ist festzustellen, daß die Wettbewerbsregeln des Vertrages auf den Verkehrssektor Anwendung finden (vgl. Urteile vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-185/91, Reiff, Slg. 1993, I-5801, Randnr. 12, und vom 9. Juni 1994 in der Rechtssache C-153/93, Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft, Slg. 1994, I-2517, Randnr. 12).

20 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß die Artikel 85 und 86 des Vertrages an sich nur das Verhalten von Unternehmen und nicht durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen der Mitgliedstaaten betreffen. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die Mitgliedstaaten jedoch aufgrund der Artikel 85 und 86 in Verbindung mit Artikel 5 des Vertrages keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten (vgl. zu Artikel 85 des Vertrages Urteile vom 21. September 1988 in der Rechtssache 267/86, Van Eycke, Slg. 1988, 4769, Randnr. 16, Reiff, Randnr. 14, und Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft, Randnr. 14; vgl. zu Artikel 86 des Vertrages Urteil vom 16. November 1977 in der Rechtssache 13/77, GB-Inno-BM, Slg. 1977, 2115, Randnr. 31).

21 Wie der Gerichtshof entschieden hat, liegt eine Verletzung der Artikel 5 und 85 vor, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstossende Kartellabsprachen vorschreibt oder erleichtert oder die Auswirkungen solcher Absprachen verstärkt oder wenn er seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, daß er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt (vgl. Urteile Van Eycke, Randnr. 16, Reiff, Randnr. 14, und Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft, Randnr. 14).

22 Der Gerichtshof hat hierzu in den Urteilen Reiff (Randnr. 15) und Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft (Randnr. 15), in denen er mit ähnlichen Fragen zur Festlegung der Tarife im Güterfernverkehr und im gewerblichen Binnenschiffahrtsverkehr in Deutschland befasst war, entschieden, daß, um dem nationalen Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, zunächst zu untersuchen ist, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende den Schluß auf das Vorliegen eines Kartells im Sinne von Artikel 85 des Vertrages zulässt.

23 Zu einer nationalen Regelung wie dem italienischen Gesetz ist zunächst festzustellen, daß der Zentralausschuß aus siebzehn Vertretern der öffentlichen Gewalt und einer Minderheit von zwölf Vertretern der Verbände der Wirtschaftsteilnehmer besteht.

24 Hinzu kommt, daß der Zentralausschuß bei der Abgabe seiner Vorschläge eine Reihe von Kriterien des Gemeinwohls beachten muß, die im Gesetz definiert und im oben genannten Dekret Nr. 56 des Präsidenten der Italienischen Republik näher geregelt sind.

25 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß bei einer Regelung über die Festlegung der Tarife des Güterkraftverkehrs, wie sie durch das italienische Gesetz geschaffen wurde, die im Ausschuß beratenen Vorschläge nicht als Kartellabsprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern angesehen werden können, die die öffentlichen Stellen vorgeschrieben oder erleichtert oder deren Auswirkungen sie verstärkt haben.

26 Sodann ist, wie der Gerichtshof in den Urteilen Reiff (Randnr. 20) und Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft (Randnr. 19) ausgeführt hat, zu prüfen, ob die öffentlichen Stellen ihre Zuständigkeiten im Bereich der Festlegung der Tarife nicht privaten Wirtschaftsteilnehmern übertragen haben.

27 Hierzu ist festzustellen, daß das italienische Gesetz vorsieht, daß der Zentralausschuß dem zuständigen Minister die Beförderungstarife und die speziellen Bedingungen für ihre Anwendung vorschlägt, und dem Minister die Befugnis verleiht, sie zu genehmigen, abzulehnen oder zu ändern, bevor er sie für anwendbar erklärt.

28 Hinzu kommt, daß der Minister, bevor er die Tarife genehmigt und für anwendbar erklärt, die Regionen und die Vertreter der betroffenen Wirtschaftssektoren anhören und den Richtlinien des interministeriellen Preisausschusses Rechnung tragen muß.

29 Die Möglichkeit, kollektive Vereinbarungen gemäß Artikel 13 des Ministerialdekrets vom 18. November 1982 zu schließen, führt nicht zur Beschränkung des Wettbewerbs, sondern erlaubt bestimmte Abweichungen von den verbindlichen Tarifen und ist damit geeignet, die Wettbewerbsmöglichkeiten zu erweitern.

30 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß die öffentlichen Stellen bei einer Regelung über die Festlegung der Tarife des Güterkraftverkehrs, wie sie durch das italienische Gesetz geschaffen wurde, ihre Zuständigkeiten nicht privaten Wirtschaftsteilnehmern übertragen haben.

31 Die Artikel 3 Buchstabe g, 5 und 86 des Vertrages könnten für eine Regelung, wie sie im italienischen Gesetz enthalten ist, nur dann gelten, wenn der Nachweis erbracht wäre, daß dieses Gesetz einem Unternehmen eine wirtschaftliche Machtstellung einräumt, die es in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem es ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Konkurrenten, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten (Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 38).

32 Der Gerichtshof hat entschieden, daß Artikel 86 des Vertrages mißbräuchliche Praktiken verbietet, die darin bestehen, daß ein oder mehrere Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben ausnutzen, sofern der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch diese Praktiken beeinträchtigt werden kann (Urteil vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92, Almelo u. a., Slg. 1994, I-1477, Randnr. 40).

33 Vom Vorliegen einer kollektiven beherrschenden Stellung könnte jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn die betreffenden Unternehmen so eng miteinander verbunden wären, daß sie auf dem Markt in gleicher Weise vorgehen könnten (Urteil Almelo u. a., Randnr. 42).

34 Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine nationale Regelung, nach der die Tarife des Güterkraftverkehrs von öffentlichen Stellen festgelegt werden, darauf hinausläuft, den Wirtschaftsteilnehmern eine kollektive beherrschende Stellung zu verschaffen, die durch das Fehlen von Wettbewerbsverhältnissen zwischen ihnen gekennzeichnet wäre.

35 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß Artikel 86 des Vertrages in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe g und 5 des Vertrages einer Regelung wie dem italienischen Gesetz nicht entgegensteht.

36 Das vorlegende Gericht fragt ausserdem nach der Vereinbarkeit des italienischen Gesetzes mit Artikel 90 des Vertrages.

37 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 90 Absatz 1 die öffentlichen Unternehmen und die Unternehmen betrifft, denen die Mitgliedstaaten besondere ausschließliche Rechte gewähren, und daß Absatz 2 für die Unternehmen gilt, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben.

38 Eine nationale Regelung wie das italienische Gesetz beschränkt sich aber auf die Festlegung der Bedingungen für den Marktzutritt und bestimmter Aspekte des Verhaltens der Unternehmen, insbesondere im Bereich der Preise, ohne ihnen jedoch den Charakter öffentlicher Unternehmen zu verleihen, ihnen ausschließliche oder besondere Rechte zu gewähren oder sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu betrauen.

39 Folglich steht Artikel 90 Rechtsvorschriften wie dem italienischen Gesetz nicht entgegen.

Zu Artikel 30 des Vertrages

40 Das vorlegende Gericht fragt ausserdem nach der Vereinbarkeit des italienischen Gesetzes mit Artikel 30, da es die Beförderungen verteuere und somit die Einfuhren von Waren aus anderen Mitgliedstaaten behindere.

41 Zu diesem Punkt genügt die Feststellung, daß Rechtsvorschriften wie das italienische Gesetz nicht nach dem Ursprung der beförderten Waren unterscheiden, daß sie nicht den Warenhandel mit den anderen Mitgliedstaaten regeln sollen und daß die beschränkenden Wirkungen, die sie auf den freien Warenverkehr haben könnten, zu ungewiß und zu mittelbar sind, als daß die in ihnen aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern (Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-379/92, Peralta, Slg. 1994, I-3453, Randnr. 24, und die zitierte Rechtsprechung).

42 Auf die erste Frage ist deshalb zu antworten, daß die Artikel 3 Buchstabe g, 5, 85, 86 und 90 sowie Artikel 30 des Vertrages einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der die Tarife des Güterkraftverkehrs behördlich auf der Grundlage von Vorschlägen eines Ausschusses festgelegt werden, wenn diesem neben einer Minderheit von Vertretern der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer eine Mehrheit von Vertretern öffentlicher Stellen angehört und er bei seinen Vorschlägen bestimmte Kriterien des Gemeinwohls beachten muß und wenn die öffentlichen Stellen überdies ihre Vorrechte nicht durch die Berücksichtigung der Stellungnahmen anderer öffentlicher und privater Einrichtungen vor der Genehmigung der Vorschläge aufgeben oder die Tarife sogar von Amts wegen festlegen.

Zweite Frage

43 Mit der zweiten Vorlagefrage fragt das vorlegende Gericht nach der Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den Artikeln 30, 86 und 90 des Vertrages, durch die mittels eines Systems der Gewährung kontingentierter Beförderungsgenehmigungen ein gesetzliches Monopol für den Kraftverkehr eingeführt wird.

44 Das vorlegende Gericht weist jedoch im Vorlagebeschluß darauf hin, daß das System der Kontingentierung der Beförderungsgenehmigungen für die Entscheidung des Rechtsstreits, der die Zahlung des Entgelts für durchgeführte Beförderungen betreffe, unerheblich sei.

45 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof aber für die Erteilung einer Antwort an das vorlegende Gericht nicht zuständig, wenn die ihm vorgelegten Fragen keinen Zusammenhang mit dem Sachverhalt oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens aufweisen und folglich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht objektiv erforderlich sind (vgl. Urteil vom 17. Mai 1994 in der Rechtssache C-18/93, Corsica Ferries, Slg. 1994, I-1783, Randnr. 14, und die zitierte Rechtsprechung).

46 Die zweite Frage braucht nicht beantwortet zu werden.

Dritte Frage

47 Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 4055/86 und die Richtlinie 92/106 auf Beförderungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art Anwendung finden, um die Vereinbarkeit des italienischen Gesetzes mit diesen Bestimmungen beurteilen zu können.

48 Hierzu ist festzustellen, daß die Richtlinie 92/106 gemäß Artikel 1 Absatz 2 für Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten gilt und nicht für Beförderungen im kombinierten Verkehr See/Strasse, die wie im Ausgangsverfahren von Drittländern ausgehen.

49 Die Verordnung Nr. 4055/86 bezieht sich gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 1 auf Beförderungen in der Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern.

50 Unter dem in Artikel 1 Absatz 4 näher erläuterten Begriff des Dienstleistungsverkehrs in der Seeschiffahrt ist die Beförderung von Personen oder Gütern auf dem Seewege zwischen dem Hafen eines Mitgliedstaats und dem Hafen oder der Offshore-Anlage eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittlandes zu verstehen.

51 Aus dieser Definition ergibt sich, daß der Dienstleistungsverkehr in der Seeschiffahrt im Sinne dieser Verordnung bei der Ankunft im Hafen oder auf der Offshore-Anlage endet und sich somit nicht auf den Strassentransport vom Schiff entladener Güter erstreckt.

52 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß die Richtlinie 92/106 nicht für Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Drittländern und Mitgliedstaaten gilt und daß die Verordnung Nr. 4055/86 nicht für den Strassentransport vom Schiff entladener Güter gilt.

Kostenentscheidung:

Kosten

53 Die Auslagen der italienischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunale Genua mit Beschluß vom 7. März 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Die Artikel 3 Buchstabe g, 5, 85, 86 und 90 sowie Artikel 30 EG-Vertrag stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der die Tarife des Güterkraftverkehrs behördlich auf der Grundlage von Vorschlägen eines Ausschusses festgelegt werden, wenn diesem neben einer Minderheit von Vertretern der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer eine Mehrheit von Vertretern öffentlicher Stellen angehört und er bei seinen Vorschlägen bestimmte Kriterien des Gemeinwohls beachten muß und wenn die öffentlichen Stellen überdies ihre Vorrechte nicht durch die Berücksichtigung der Stellungnahmen anderer öffentlicher und privater Einrichtungen vor der Genehmigung der Vorschläge aufgeben oder die Tarife sogar von Amts wegen festlegen.

2) Die Richtlinie 92/106/EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten gilt nicht für Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Drittländern und Mitgliedstaaten, und die Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern gilt nicht für den Strassentransport vom Schiff entladener Güter.

Ende der Entscheidung

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