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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 05.05.1994
Aktenzeichen: C-97/94 PR
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
EWG-Vertrag Art. 175
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung, der dann, wenn die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage geltend gemacht wird festzustellen hat, ob die Klage auf den ersten Blick Merkmale aufweist, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Schluß zulassen, daß sie zulässig ist, hat zu Recht einen Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig zurückgewiesen, der im Anschluß an eine Nichtigkeitsklage gegen die Weigerung der Kommission gestellt worden ist, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten. Das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Richters im Verfahren der einstweiligen Anordnung ist daher unbegründet und zurückzuweisen.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 5. MAI 1994. - ECKHARD SCHULZ GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSMITTEL - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - ZULAESSIGKEITSVORAUSSETZUNGEN - ZULAESSIGKEIT DER KLAGE. - RECHTSSACHE C-97/94 PR

Entscheidungsgründe:

1 Herr Eckhard Schulz hat mit Rechtsmittelschrift, die am 21. März 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 50 der EG-Satzung ein Rechtsmittel gegen den Beschluß des Gerichts vom 4. März 1994 in der Rechtssache T-5/94 R (Schulz/Kommission) eingelegt, mit dem sein im Verfahren der einstweiligen Anordnung gestellter Antrag, geeignete einstweilige Maßnahmen zu treffen, die zu einer Aussetzung des Vollzugs der derzeit von ihm in Deutschland verbüssten Freiheitsstrafe führen, als unzulässig zurückgewiesen worden ist.

2 Die Kommission hat am 11. April 1994 Erklärungen eingereicht, in denen sie die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt.

3 Aus dem angefochtenen Beschluß geht hervor, daß der Rechtssache folgender Sachverhalt zugrunde liegt.

4 Das Landgericht Dortmund hat den Rechtsmittelführer durch rechtskräftiges Urteil vom 23. Juli 1992 wegen Umsatzsteuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Mit dem Vollzug dieser Strafe ist Ende November 1993 begonnen worden.

5 Die Verurteilung beruht auf § 14 Absatz 3 des Umsatzsteuergesetzes.

6 Der Rechtsmittelführer war der Meinung, diese nationale Vorschrift sei mit der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG; ABl. L 145, S. 1) nicht vereinbar. Er hat deshalb mit Schreiben vom 7. September 1993 die Kommission aufgefordert, das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten, da sie gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen habe.

7 Mit Schreiben vom 19. Oktober 1993 antwortete die Kommission dem Rechtsmittelführer, die fragliche nationale Vorschrift sei ihres Erachtens mit Artikel 21 Nr. 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie zu vereinbaren; folglich sei ein Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag nicht einzuleiten.

8 Mit Klageschrift, die am 17. Dezember 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Rechtsmittelführer Klage mit dem Antrag erhoben, zum einen die Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten, für nichtig zu erklären und zum anderen die Kommission zu verurteilen, ein solches Verfahren einzuleiten. Da diese Klage gemäß dem Beschluß 93/350/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 144, S. 21) in die Zuständigkeit des Gerichts fällt, hat die Kanzlei des Gerichtshofes die Rechtssache mit Zustimmung des Rechtsmittelführers an das Gericht verwiesen (Rechtssache T-5/94).

9 Mit gesondertem Schriftsatz, der am 26. Januar 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Rechtsmittelführer beantragt, geeignete einstweilige Maßnahmen zu treffen, die zu einer Aussetzung des Vollzugs der derzeit von ihm verbüssten Strafe bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache führen (Rechtssache T-5/94 R).

10 Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Rechtsmittelführer, den angefochtenen Beschluß vom 4. März 1994, mit dem dieser Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen als unzulässig zurückgewiesen worden ist, wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts aufzuheben.

11 Der Rechtsmittelführer trägt vor, im Rahmen des Artikels 169 EG-Vertrag sei die Kommission grundsätzlich zur Erhebung einer Klage verpflichtet, wenn ein Mitgliedstaat seinen gemeinschaftsrechtlichen Pflichten nicht nachkomme. Ihr Ermessen beziehe sich nur auf den Zeitpunkt und die Bedingungen der Klageerhebung. Eine Privatperson, die unmittelbar und individuell betroffen sei, könne eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 oder eine Untätigkeitsklage nach Artikel 175 EG-Vertrag gegen die Kommission richten, wenn diese es ablehne oder unterlasse, eine Vertragsverletzungsklage zu erheben. Im vorliegenden Fall könne die Kommission die Bundesrepublik Deutschland zur Durchsetzung des EG-Rechts und damit die Gerichte zu einer erneuten Entscheidung über die Strafbarkeit des Verhaltens des Rechtsmittelführers veranlassen. Seine Klage im Hauptsacheverfahren sei somit zulässig und begründet. Folglich sei auch sein im Verfahren der einstweiligen Anordnung gestellter Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen zulässig.

12 Im angefochtenen Beschluß hat das Gericht darauf hingewiesen, daß der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung dann, wenn die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage geltend gemacht werde, festzustellen habe, ob die Klage auf den ersten Blick Merkmale aufweise, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Schluß zuließen, daß sie zulässig sei.

13 Dazu hat es ausgeführt, daß eine Klage von Privatpersonen gegen die Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, nicht zulässig sei. Da sich somit im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Zulässigkeit der Klage nicht mit gewisser Wahrscheinlichkeit feststellen lasse, sei der Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig zurückzuweisen.

14 Mit diesen Ausführungen hat das Gericht in keiner Weise das Gemeinschaftsrecht verletzt, sondern es, gestützt auf eine ständige Rechtsprechung über die Voraussetzungen für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage, zutreffend angewandt.

15 Das Rechtsmittel ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1) Das Rechtsmittel wird als unbegründet zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 5. Mai 1994.

Ende der Entscheidung

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