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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.09.1997
Aktenzeichen: C-98/96
Rechtsgebiete: EWGAssRBes 1/80, AAV


Vorschriften:

EWGAssRBes 1/80 Art. 6 Abs. 1
EWGAssRBes 1/80 Art. 6 Abs. 2
EWGAssRBes 1/80 Art. 6 Abs. 3
AAV § 4 Abs. 4
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

4 Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei ist so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat nicht den Erlaß einer nationalen Regelung gestattet, durch die ganze Kategorien von türkischen Wanderarbeitnehmern, wie z. B. Spezialitätenköche, von vornherein von der Inanspruchnahme der durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte ausgeschlossen werden.

5 Ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über ein Jahr lang rechtmässig eine Tätigkeit als Spezialitätenkoch im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeuebt hat, gehört im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates an und ist dort ordnungsgemäß beschäftigt. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger hat somit einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, obwohl er bei der Erteilung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse darauf hingewiesen worden ist, daß ihm diese nur für maximal drei Jahre und ausschließlich zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, hier: als Spezialitätenkoch, bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt würden.

6 Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei ist so auszulegen, daß bei der Berechnung der Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift kurze Zeiträume zu berücksichtigen sind, in denen der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß und die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 6 Absatz 2 dieses Beschlusses fallen, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nicht deswegen die Ordnungsmässigkeit des Aufenthalts des Betroffenen im Inland in Frage gestellt, sondern ihm vielmehr eine neue Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erteilt haben.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 30. September 1997. - Kasim Ertanir gegen Land Hessen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Darmstadt - Deutschland. - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Beschluß des Assoziationsrates - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Begriffe der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats und der ordnungsgemäßen Beschäftigung - Nur zur zeitlich begrenzten Ausübung der Tätigkeit als Spezialitätenkoch bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilte Aufenthaltserlaubnis - Nicht durch eine Arbeits- und/oder Aufenthaltserlaubnis gedeckte Zeiten - Berechnung der Beschäftigungszeiten. - Rechtssache C-98/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat mit Beschluß vom 29. Februar 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im folgenden: Beschluß Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei auf der einen und den Mitgliedstaaten der EWG sowie der Gemeinschaft auf der anderen Seite unterzeichnet und durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem türkischen Staatsangehörigen Ertanir (im folgenden: Kläger) und dem Land Hessen über dessen Weigerung, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers in Deutschland zu verlängern.

3 Wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, wurde dem Kläger im April 1991 die Einreise nach Deutschland gestattet, wo er eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung mit Wirkung bis 1. August 1991 erhielt, um eine Tätigkeit als Spezialitätenkoch für türkische Küche im Restaurant "Ratskeller" in Weinheim (Deutschland) ausüben zu können.

4 Obwohl der Kläger Inhaber einer Arbeitserlaubnis war, die erst im April 1992 ablief, versagten ihm die zuständigen Behörden die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung, daß Spezialitätenköche, denen die Ausübung einer Tätigkeit in Deutschland gestattet werde, nach § 4 Absatz 4 der Arbeitsaufenthaltsverordnung vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2994) die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen müssten, auf dessen Küche das Restaurant spezialisiert sei, und daß das fragliche Restaurant vorwiegend auf griechische Küche ausgerichtet gewesen sei.

5 In der Folgezeit erklärten sich die deutschen Behörden dennoch damit einverstanden, daß der Kläger erneut als Spezialitätenkoch in demselben Restaurant beschäftigt wurde. Der Kläger, der in der Zwischenzeit in sein Herkunftsland zurückgekehrt war, reiste daher am 14. April 1992 erneut nach Deutschland ein. Es ist unstreitig, daß er wiederholt darauf hingewiesen worden ist, daß nach der deutschen Regelung die Aufenthaltsdauer von Spezialitätenköchen in Deutschland drei Jahre nicht übersteigen darf.

6 Der Kläger hielt sich zunächst aufgrund eines für drei Monate geltenden Einreisevisums und dann aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis, die am 13. April 1993 ablief und bis zum 13. April 1994 verlängert wurde, in Deutschland auf. Er beantragte jedoch erst am 19. April 1994 eine weitere Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

7 Trotz dieser Verspätung um sechs Tage bewilligten die zuständigen Behörden die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bis zum 14. April 1995, wobei sie jedoch darauf hinwiesen, daß die Gesamtaufenthaltsdauer des Klägers die in der deutschen Regelung für Spezialitätenköche vorgesehene Hoechstgrenze von drei Jahren nicht überschreiten dürfe.

8 Alle dem Kläger in Deutschland erteilten Aufenthaltserlaubnisse erhielten den Vermerk, daß sie mit der Beendigung seiner Beschäftigung als Spezialitätenkoch in dem Restaurant, das ihn eingestellt hatte, erlöschen.

9 Der Kläger übte seine Tätigkeit im Restaurant "Ratskeller" in Weinheim aufgrund einer zunächst bis zum 23. April 1993 befristeten Arbeitserlaubnis aus. Am 13. Mai 1993 wurde diese Erlaubnis für die Zeit vom 24. April 1993 bis zum 23. April 1994 und am 6. Mai 1994 erneut für die Zeit vom 24. April 1994 bis zum 23. April 1996 verlängert.

10 Am 13. April 1995 beantragte der Kläger, seine Aufenthaltserlaubnis für weitere zwei Jahre zu verlängern.

11 Dieser Antrag wurde am 17. Juli 1995 mit der Begründung abgelehnt, daß die Aufenthaltserlaubnis für Spezialitätenköche nach deutschem Recht nur für eine Hoechstdauer von drei Jahren erteilt werden könne und daß der Beschluß Nr. 1/80 gemäß einem Erlaß des Hessischen Ministeriums des Innern vom 3. Februar 1995 auf Spezialitätenköche nicht anwendbar sei.

12 Das in dem Rechtsstreit angerufene Verwaltungsgericht Darmstadt ist der Ansicht, daß der Kläger das in § 4 Absatz 4 der Aufenthaltsverordnung vom 18. Dezember 1990 für Spezialitätenköche vorgesehene maximale Aufenthaltsrecht ausgeschöpft habe und daß auch aufgrund anderer Vorschriften des deutschen Rechts eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nicht möglich sei. Fraglich sei jedoch, ob der Kläger nicht aus Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ein Aufenthaltsrecht herleiten könne.

13 Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80, der im Abschnitt 1 (Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer) des Kapitels II (Soziale Bestimmungen) dieses Beschlusses steht, lautet:

"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemässer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

14 Insofern möchte das Verwaltungsgericht Darmstadt zunächst wissen, ob im Falle von Zeiten des ungenehmigten Aufenthalts oder von Zeiten ohne Arbeitserlaubnis nach Erreichen der in Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen ersten Stufe, die nicht gemäß Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt sind, die Phase der Anwartschaftszeit gemäß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 mit dem Tag des Wiedereintritts eines genehmigten Aufenthalts oder mit der Verlängerung der Arbeitserlaubnis weiterläuft, ohne daß bereits entstandene Rechte davon berührt werden, oder ob solche Fehlzeiten zum Erlöschen der bis dahin entstandenen Rechte führen. Die Arbeitserlaubnis des Klägers sei nämlich zweimal erst im nachhinein rückwirkend verlängert worden, und der Kläger habe es überdies im April 1994 unterlassen, rechtzeitig eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. In diesem Zusammenhang weist das Verwaltungsgericht Darmstadt darauf hin, daß es in Deutschland der Arbeitgeber in der Hand habe, dafür zu sorgen, daß Anträge auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis rechtzeitig bei den zuständigen Behörden gestellt würden, und daß es üblich sei, auch bei ordnungsgemässer Antragstellung die Arbeitserlaubnis erst nach Ablauf des bisher genehmigten Zeitraums rückwirkend zu verlängern. Dagegen sei es alleinige Angelegenheit des Ausländers, für die rechtzeitige Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis Sorge zu tragen.

15 Das Verwaltungsgericht Darmstadt stellt sich weiter die Frage, ob ein türkischer Arbeitnehmer, der Inhaber einer Arbeits- und einer Aufenthaltserlaubnis ist, die ihm zum Zweck der Ausübung einer Tätigkeit als Spezialitätenkoch erteilt worden sind, im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört und dort ordnungsgemäß beschäftigt ist, wenn er vom Beginn seines Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat an wusste, daß ihm die Aufenthaltserlaubnis nur für eine berufliche Tätigkeit bei einem bestimmten namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt wird, und ihn die zuständigen Behörden darauf hinwiesen, daß die Aufenthaltserlaubnis nur bis zu einer Gesamtgeltungsdauer von drei Jahren verlängert werden kann.

16 Schließlich fragt sich das Gericht im Hinblick auf die Randnummer 25 des Urteils vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-237/91 (Kus, Slg. 1992, I-6781), wonach der Beschluß Nr. 1/80 die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, unberührt lässt, ob Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 den Mitgliedstaaten das Recht einräumt, Aufenthaltsrechte zu schaffen, die an den Vergünstigungen von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 von vornherein nicht teilhaben.

17 Da das Verwaltungsgericht Darmstadt für die Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung des genannten Artikels für erforderlich hält, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Welche Folgen hinsichtlich des Fortbestands der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis haben Unterbrechungen des rechtmässigen Aufenthalts oder Zeiten der Beschäftigung ohne Arbeitserlaubnis in bezug auf bereits entstandene Ansprüche nach Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation, soweit solche Fehlzeiten nicht gemäß Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt sind?

2. Gehört ein türkischer Arbeitnehmer, der Inhaber einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis ist, die zur Ausübung einer Tätigkeit als Spezialitätenkoch berechtigt, auch dann dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 an, wenn er von Anbeginn seines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat an wusste, daß ihm eine Aufenthaltserlaubnis nur bis zu einer Gesamtgeltungsdauer von drei Jahren und nur zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt wird?

3. Für den Fall, daß der Gerichtshof die Auffassung vertritt, daß der in Frage 2 genannte Personenkreis dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört: Räumt die Ermächtigung des Artikels 6 Absatz 3 des Beschlusses den Mitgliedstaaten das Recht ein, Aufenthaltsrechte zu schaffen, die an den Vergünstigungen des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 von vornherein nicht teilnehmen?

18 Die erste Vorabentscheidungsfrage setzt voraus, daß ein türkischer Wanderarbeitnehmer in der Lage des Klägers in den Anwendungsbereich des Artikels 6 des Beschlusses Nr. 1/80 fällt. Da dies Gegenstand der zweiten und der dritten Frage ist, sind zunächst diese Fragen zu beantworten. Wegen des Zusammenhangs zwischen der zweiten und der dritten Frage sind diese im übrigen zusammen zu prüfen.

Zur zweiten und zur dritten Frage

19 Die zweite und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts gehen zunächst dahin, ob Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß er einem Mitgliedstaat den Erlaß einer nationalen Regelung gestattet, durch die ganze Kategorien von türkischen Wanderarbeitnehmern, wie z. B. Spezialitätenköche, von vornherein von der Inanspruchnahme der durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte ausgeschlossen werden. Das vorlegende Gericht fragt ferner, ob ein türkischer Staatsangehöriger im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört und dort ordnungsgemäß beschäftigt ist, so daß er einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat hat, obwohl er bei der Erteilung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse darauf hingewiesen worden ist, daß ihm diese nur für maximal drei Jahre und ausschließlich zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, hier: als Spezialitätenkoch, bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt würden.

20 Durch den Beschluß Nr. 1/80 sollte laut seiner dritten Begründungserwägung im sozialen Bereich die Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen verbessert werden, die durch den am 20. Dezember 1976 erlassenen Beschluß Nr. 2/76 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates getroffen worden war.

21 Die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt 1 des Beschlusses Nr. 1/80, zu denen Artikel 6 gehört, bilden somit einen weiteren durch die Artikel 48, 49 und 50 EG-Vertrag geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer. Der Gerichtshof hat es daher für unabdingbar erachtet, daß auf die türkischen Arbeitnehmer, die ein im Beschluß Nr. 1/80 eingeräumtes Recht besitzen, soweit wie möglich die im Rahmen der genannten Vertragsvorschriften geltenden Grundsätze übertragen werden (Urteile vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Bozkurt, Slg. 1995, I-1475, Randnrn. 14, 19 und 20, und vom 23. Januar 1997 in der Rechtssache C-171/95, Tetik, Slg. 1997, I-329, Randnr. 20).

22 Jedoch genießen die türkischen Staatsangehörigen beim derzeitigen Stand des Rechts keine Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern haben nur bestimmte Rechte in dem Aufnahmemitgliedstaat, in den sie rechtmässig eingereist sind und in dem sie eine bestimmte Zeit lang eine ordnungsgemässe Beschäftigung ausgeuebt haben (Urteil Tetik, a. a. O., Randnr. 29).

23 Ferner lässt der Beschluß Nr. 1/80 nach ständiger Rechtsprechung (u. a. Urteil Kus, a. a. O., Randnr. 25) die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, und er regelt in seinem Artikel 6 lediglich die Stellung der türkischen Arbeitnehmer, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats eingegliedert sind.

24 Erstens ist es seit Erlaß des Urteils vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89 (Sevince, Slg. 1990, I-3461) ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung hat, so daß türkische Staatsangehörige, die seine Voraussetzungen erfuellen, sich unmittelbar auf die Rechte berufen können, die ihnen die einzelnen Gedankenstriche der Bestimmung verleihen (Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-355/93, Eroglu, Slg. 1994, I-5113, Randnr. 11).

25 Wie sich aus Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, sind diese Rechte unterschiedlich und hängen von Voraussetzungen ab, die je nach der Dauer einer ordnungsgemässen Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat verschieden sind (Urteil Eroglu, a. a. O., Randnr. 12).

26 Zweitens setzen nach ständiger Rechtsprechung die Rechte, die Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 dem türkischen Arbeitnehmer im Bereich der Beschäftigung verleiht, zwangsläufig voraus, daß dem Betroffenen ein Aufenthaltsrecht zusteht, weil sonst das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf Ausübung einer Beschäftigung völlig wirkungslos wäre (Urteile Sevince, a. a. O., Randnr. 29, Kus, a. a. O., Randnrn. 29 f., und Bozkurt, a. a. O., Randnr. 28).

27 Anhand dieser Grundsätze sind die zweite und die dritte Frage des Verwaltungsgerichts Darmstadt zu prüfen.

28 Die erste dieser Vorabentscheidungsfragen, wie sie in Randnummer 19 dieses Urteils umformuliert worden sind, betrifft die Bedeutung des Artikels 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80, wonach die Einzelheiten der Durchführung von Artikel 6 Absatz 1 dieses Beschlusses durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt werden. Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung (Urteile Sevince, a. a. O., Randnr. 22, und Kus, a. a. O., Randnr. 31), daß Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 die den Mitgliedstaaten obliegende Verpflichtung zum Erlaß derjenigen Verwaltungsmaßnahmen, die zur Durchführung des Artikels 6 gegebenenfalls erforderlich sind, nur konkretisiert, ohne daß die Mitgliedstaaten dadurch ermächtigt würden, die Ausübung des genau bestimmten und nicht an Bedingungen geknüpften Rechts, das den türkischen Arbeitnehmern aufgrund dieser Bestimmung zusteht, an Bedingungen zu binden oder einzuschränken.

29 Wie der Gerichtshof ferner im Urteil Kus (a. a. O., Randnr. 25) festgestellt hat, regelt der Beschluß Nr. 1/80 in seinem Artikel 6 lediglich die Stellung türkischer Arbeitnehmer, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten eingegliedert sind, und kann es daher nicht rechtfertigen, türkischen Arbeitnehmern, die nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats bereits eine Arbeitserlaubnis und, falls ein solches erforderlich ist, ein Aufenthaltsrecht besitzen, die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Rechte zu entziehen.

30 Wenngleich somit der Beschluß Nr. 1/80 beim derzeitigen Stand des Rechts die Befugnis der Mitgliedstaaten, einem türkischen Staatsangehörigen die Einreise in sein Hoheitsgebiet und die Ausübung einer ersten unselbständigen Erwerbstätigkeit in diesem Gebiet nicht zu gestatten, in keiner Weise berührt, wie er auch grundsätzlich nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegensteht, die Bedingungen seiner Beschäftigung bis zum Ablauf des in Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich dieses Beschlusses vorgesehenen einen Jahres zu regeln, begründet Artikel 6 Absatz 3 lediglich ein Recht der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zum Erlaß der nationalen Vorschriften, die eventuell für die Durchführung der den türkischen Arbeitnehmern durch Artikel 6 Absätze 1 und 2 verliehenen Rechte erforderlich sind.

31 Dagegen kann Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht dahin ausgelegt werden, daß er den Mitgliedstaaten gestattet, einseitig Maßnahmen zu erlassen, durch die bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern daran gehindert werden, bei Erfuellung der Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 die in Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 niedergelegten, sich schrittweise erweiternden Rechte in Anspruch zu nehmen, und ihnen damit die Befugnis vorbehält, die Rechtsstellung der schon in ihren Arbeitsmarkt eingegliederten türkischen Arbeitnehmer nach ihrem Gutdünken auszugestalten.

32 Durch eine solche Auslegung würde letztlich der Beschluß Nr. 1/80 ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt. Denn der Zweck dieses Beschlusses würde nicht erreicht, wenn den türkischen Arbeitnehmern durch von einem Mitgliedstaat auferlegte Beschränkungen im Ergebnis die Rechte vorenthalten werden könnten, die ihnen Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 in abgestufter Weise aufgrund der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit von bestimmter Dauer in einem Mitgliedstaat zuerkennt.

33 Im übrigen ist Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 allgemein und unbedingt gefasst, denn er sieht keine Befugnis der Mitgliedstaaten vor, bestimmte Kategorien von türkischen Arbeitnehmern von der Inanspruchnahme der Rechte auszuschließen, die ihnen diese Vorschrift unmittelbar verleiht, oder diese Rechte Einschränkungen oder Bedingungen zu unterwerfen.

34 Daher ist eine nationale Regelung, durch die die Arbeitstätigkeit und der Aufenthalt bestimmter türkischer Staatsangehöriger im betreffenden Aufnahmemitgliedstaat auf die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber beschränkt werden und nach der sie keinesfalls drei Jahre überschreiten dürfen, als unvereinbar mit der Systematik und dem Zweck des Beschlusses Nr. 1/80 anzusehen und kann daher nicht auf der Grundlage des Artikels 6 Absatz 3 dieses Beschlusses erlassen werden.

35 Durch eine solche Regelung wird nämlich der innere Zusammenhang des durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 geschaffenen Systems der schrittweisen Eingliederung der türkischen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats in Frage gestellt, da sie bestimmten türkischen Arbeitnehmern, die wie der Kläger im Ausgangsverfahren rechtmässig in das Hoheitsgebiet dieses Staates eingereist sind und dort die Erlaubnis zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit erhalten haben, nicht nur die Möglichkeit nimmt, über die vom betreffenden Mitgliedstaat einseitig auferlegte zeitliche Beschränkung hinaus weiter bei demselben Arbeitgeber zu arbeiten, sondern auch das Recht, sich nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung für den gleichen Beruf auf ein Stellenangebot eines anderen Arbeitgebers zu bewerben (zweiter Gedankenstrich) und nach vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung jede frei von ihnen gewählte Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aufzunehmen (dritter Gedankenstrich).

36 Dies gilt um so mehr in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die maßgebliche nationale Regelung nicht nur bestimmte Beschränkungen vorsieht, durch die türkischen Arbeitnehmern die ihnen durch Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte vorenthalten werden, sondern darüber hinaus bestimmt, daß dieser Beschluß auf einen ganzen Berufszweig, hier: auf Spezialitätenköche, nicht anwendbar ist.

37 Somit ist auf die erste der umformulierten Fragen zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß er einem Mitgliedstaat nicht den Erlaß einer nationalen Regelung gestattet, durch die ganze Kategorien von türkischen Wanderarbeitnehmern, wie z. B. Spezialitätenköche, von vornherein von der Inanspruchnahme der durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte ausgeschlossen werden.

38 Die zweite dieser Fragen betrifft die Auslegung der Begriffe der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats und der ordnungsgemässen Beschäftigung im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 im Hinblick auf den Fall, daß einem türkischen Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat nur für maximal drei Jahre die Ausübung einer Tätigkeit als Spezialitätenkoch in einem bestimmten Restaurant gestattet und dieser Arbeitnehmer ausdrücklich auf diese Einschränkungen hingewiesen worden ist. Insoweit ist vorab festzustellen, daß dem Betroffenen die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat gestattet worden ist und daß er dort tatsächlich mit den erforderlichen nationalen Erlaubnissen ohne Unterbrechung über ein Jahr lang eine unselbständige Erwerbstätigkeit bei ein und demselben Arbeitgeber ausgeuebt hat.

39 Für die Zugehörigkeit eines solchen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats kommt es nach ständiger Rechtsprechung (Urteil Bozkurt, a. a. O., Randnrn. 22 f.) zunächst darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist, wobei insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeuebt wurde, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen sind.

40 Es ist unstreitig, daß diese Voraussetzungen in einer Situation wie derjenigen des Klägers erfuellt sind.

41 Entgegen der Ansicht der deutschen Regierung lässt sich die Zugehörigkeit von Spezialitätenköchen zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats, in dem ihnen eine Arbeitstätigkeit gestattet worden ist, nicht mit der Begründung bestreiten, daß Spezialitätenköche sich von der Allgemeinheit der Arbeitnehmer dadurch unterschieden, daß sie Staatsangehörige des Landes sein müssten, auf dessen Küche das Restaurant, das sie beschäftige, spezialisiert sei.

42 Wie die Kommission in überzeugender Weise vorgetragen hat, weist der Beruf des Spezialitätenkochs gegenüber den Berufen anderer Wirtschaftszweige keine objektiven Besonderheiten auf, aufgrund deren türkische Arbeitnehmer, die diesen Beruf im Aufnahmemitgliedstaat rechtmässig ausüben, allein deshalb, weil sie als Spezialitätenköche arbeiten, vom regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ausgeschlossen werden dürften.

43 Denn ein Spezialitätenkoch, der für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält, steht in einem Arbeitsverhältnis, das die Ausübung einer tatsächlichen und echten wirtschaftlichen Tätigkeit zum Gegenstand hat.

44 Somit unterscheidet sich die Rechtsstellung eines Spezialitätenkochs wie des Klägers in keiner Weise von der aller türkischen Arbeitnehmer, die im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats beschäftigt sind.

45 Dieser Auslegung steht nicht entgegen, daß ein Mitgliedstaat - wie in dem Fall, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt - allen türkischen Staatsangehörigen, die den Beruf des Spezialitätenkochs ausüben, eine Beschränkung hinsichtlich der Dauer ihres Aufenthalts in seinem Hoheitsgebiet und ein Verbot, den Arbeitgeber zu wechseln, auferlegt.

46 Wie sich aus den Randnummern 31 bis 35 dieses Urteils ergibt, sind solche Einschränkungen der durch den Beschluß Nr. 1/80 verliehenen Rechte nämlich als unvereinbar mit diesem Beschluß anzusehen und daher für dessen Auslegung ohne Belang.

47 Zum Begriff der ordnungsgemässen Beschäftigung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung (Urteile Sevince, a. a. O., Randnr. 30, Kus, a. a. O., Randnrn. 12 und 22, und Bozkurt, a. a. O., Randnr. 26), daß die Ordnungsmässigkeit der Beschäftigung eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraussetzt.

48 So hat der Gerichtshof im Urteil Sevince (a. a. O., Randnr. 31) ausgeführt, daß sich ein türkischer Arbeitnehmer während eines Zeitraums, in dem er infolge der aufschiebenden Wirkung einer von ihm erhobenen Klage gegen eine ihm das Aufenthaltsrecht versagende Entscheidung bis zum Ende des Rechtsstreits vorläufig in dem betreffenden Mitgliedstaat bleiben und dort eine Beschäftigung ausüben durfte, nicht in einer gesicherten und mehr als nur vorläufigen Position auf dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats befand.

49 Desgleichen hat der Gerichtshof im Urteil Kus (a. a. O.) entschieden, daß auch ein Arbeitnehmer, dem ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung zuerkannt worden ist, die den Verbleib im Aufnahmeland während der Dauer des Verfahrens für die Gewährung der Aufenthaltserlaubnis gestattete, die genannte Voraussetzung nicht erfuellte, weil er das Recht, sich in diesem Land aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht erworben hatte (Randnr. 13).

50 Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt, daß Beschäftigungszeiten so lange nicht als ordnungsgemäß im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 angesehen werden können, wie nicht endgültig feststeht, daß dem Betroffenen während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand; andernfalls würde einer Gerichtsentscheidung, durch die ihm dieses Recht endgültig abgesprochen wird, jede Bedeutung genommen und es ihm damit ermöglicht, für sich die in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Rechte während eines Zeitraums zu begründen, in dem er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfuellte (Urteil Kus, a. a. O., Randnr. 16).

51 Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-285/95 (Kol, Slg. 1997, I-0000, Randnr. 27) entschieden, daß Beschäftigungszeiten, die ein türkischer Arbeitnehmer während der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, die ihm nur aufgrund einer Täuschung der Behörden durch ihn erteilt worden ist, nicht auf einer gesicherten Position beruhen, sondern als in einer nur vorläufigen Position zurückgelegt zu betrachten sind, da ihm während dieser Zeiten von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zustand.

52 Dagegen ist in einem Fall, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, festzustellen, daß das Aufenthaltsrecht des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat in keiner Weise streitig war und daß er sich nicht in einer Situation befand, die nur vorläufig war und jederzeit hätte in Frage gestellt werden können, denn ihm war im April 1992 gestattet worden, in diesem Staat ohne Unterbrechung drei Jahre lang eine tatsächliche und echte unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, so daß seine Rechtsstellung während dieses gesamten Zeitraums gesichert war.

53 Von einem Arbeitnehmer, der unter solchen Bedingungen in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, ist daher anzunehmen, daß er dort einer ordnungsgemässen Beschäftigung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nachgeht, so daß er die durch die verschiedenen Gedankenstriche dieser Vorschrift verliehenen Rechte für sich in Anspruch nehmen kann, soweit er deren jeweilige sonstigen Voraussetzungen erfuellt.

54 Hiergegen lässt sich nicht einwenden, daß der betroffene Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat gemäß der nationalen Regelung nur befristete oder mit Bedingungen versehene Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnisse erhalten habe.

55 Nach ständiger Rechtsprechung stehen den türkischen Arbeitnehmern die durch Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nämlich unabhängig davon zu, daß die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein spezielles Verwaltungsdokument wie eine Arbeits- oder eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen (vgl. in diesem Sinn Urteil Bozkurt, a. a. O., Randnrn. 29 f.).

56 Zudem könnten die Mitgliedstaaten den türkischen Wanderarbeitnehmern, denen sie die Einreise in ihr Hoheitsgebiet gestattet haben und die dort mindestens ein Jahr lang ohne Unterbrechung ordnungsgemäß eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeuebt haben, die ihnen unmittelbar aufgrund von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 zustehenden Rechte zu Unrecht vorenthalten, wenn eine Beschäftigung, der ein türkischer Staatsangehöriger im Aufnahmemitgliedstaat rechtmässig nachgeht, schon dann nicht mehr ordnungsgemäß wäre, wenn der betreffende Mitgliedstaat den Aufenthalt und/oder die Arbeitstätigkeit dieses türkischen Staatsangehörigen bestimmten Bedingungen oder Einschränkungen unterwirft (siehe Randnrn. 31 bis 35 dieses Urteils).

57 Wie sich aus dem Wortlaut, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift ergibt, sind die Mitgliedstaaten nicht befugt, die Ausübung der genau bestimmten und nicht an Bedingungen geknüpften Rechte, die den türkischen Arbeitnehmern aufgrund des Beschlusses Nr. 1/80 zustehen, wenn sie dessen Voraussetzungen erfuellen, Bedingungen oder Einschränkungen zu unterwerfen (siehe Randnrn. 28, 32, 33 und 35 dieses Urteils).

58 Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, daß der Arbeitnehmer schon bei der Gestattung seiner Einreise in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats darüber unterrichtet wurde, daß sein Aufenthalt und seine Beschäftigung von der Einhaltung bestimmter zeitlicher und sachlicher Bedingungen abhängig sind.

59 Bei dem in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verwendeten Ausdruck "ordnungsgemässe Beschäftigung" handelt es sich nämlich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der objektiv und einheitlich unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der fraglichen Vorschrift auszulegen ist.

60 Die den türkischen Arbeitnehmern durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen, sich schrittweise erweiternden Rechte ergeben sich unmittelbar aus diesem Beschluß, so daß sie ihren Inhabern nicht vorenthalten werden dürfen und diesen aus ihrer Geltendmachung unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen, kein Vorwurf gemacht werden kann.

61 Die Auslegung des fraglichen Begriffes hängt somit nicht von subjektiven Umständen wie etwa davon ab, daß der Betroffene weiß, daß die nationalen Behörden seinen Aufenthalt und/oder seine Arbeitstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat Beschränkungen unterworfen haben, die ihm Rechte entziehen, die ihm aufgrund des Beschlusses Nr. 1/80 zustehen.

62 Nach alledem ist auf die zweite der in Randnummer 19 umformulierten Fragen zu antworten, daß ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über ein Jahr lang rechtmässig eine Tätigkeit als Spezialitätenkoch im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeuebt hat, im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört und dort ordnungsgemäß beschäftigt ist. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger hat somit einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, obwohl er bei der Erteilung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse darauf hingewiesen worden ist, daß ihm diese nur für maximal drei Jahre und ausschließlich zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, hier: als Spezialitätenkoch, bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt würden.

Zur ersten Frage

63 Diese Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß bei der Berechnung der Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift kurze Zeiträume zu berücksichtigen sind, in denen der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß und die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 6 Absatz 2 dieses Beschlusses fallen.

64 Der Beschluß Nr. 1/80 besagt nichts darüber, ob Beschäftigungszeiten, die der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ohne gültige Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, Einfluß auf die Berechnung der Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich haben.

65 Dieser Beschluß regelt in Artikel 6 Absatz 2 lediglich, wie sich bestimmte Zeiten, in denen der türkische Arbeitnehmer keiner Beschäftigung nachgeht, auf die Berechnung der in Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich genannten Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung auswirken; dabei werden die betreffenden Zeiten entweder Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 gleichgestellt, oder der Arbeitnehmer verliert nicht ihretwegen die durch die vorherigen Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung erworbenen Ansprüche (vgl. dazu im einzelnen Urteil Tetik, a. a. O., Randnrn. 36 bis 39).

66 Zwar lässt der Beschluß Nr. 1/80 die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen (Randnrn. 23 und 30 dieses Urteils), doch stehen die in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 genannten Rechte den Begünstigten nach ständiger Rechtsprechung unabhängig davon zu, daß die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein spezielles Verwaltungsdokument wie eine Arbeitserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen (Randnr. 55 dieses Urteils).

67 In einem Fall, wie er dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, umfassten zudem die Zeiten, in denen der betroffene türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß, nur einige Tage, und dem Betroffenen wurde jedesmal eine neue Erlaubnis erteilt, deren Geltungsdauer zweimal mit Rückwirkung zum Tag des Ablaufs der vorangehenden Erlaubnis verlängert wurde, ohne daß die zuständigen Behörden deswegen die Ordnungsmässigkeit des Aufenthalts des Arbeitnehmers im Inland in Abrede stellten.

68 Unter diesen Umständen beeinträchtigt der kurze Zeitraum, in dem der Betroffene nicht im Besitz einer gültigen Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis war, den Lauf der in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 genannten Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung nicht.

69 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß bei der Berechnung der Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift kurze Zeiträume zu berücksichtigen sind, in denen der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß und die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 6 Absatz 2 dieses Beschlusses fallen, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nicht deswegen die Ordnungsmässigkeit des Aufenthalts des Betroffenen im Inland in Frage gestellt, sondern ihm vielmehr eine neue Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erteilt haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

70 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Darmstadt mit Beschluß vom 29. Februar 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, ist so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat nicht den Erlaß einer nationalen Regelung gestattet, durch die ganze Kategorien von türkischen Wanderarbeitnehmern, wie z. B. Spezialitätenköche, von vornherein von der Inanspruchnahme der durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte ausgeschlossen werden.

2. Ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über ein Jahr lang rechtmässig eine Tätigkeit als Spezialitätenkoch im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeuebt hat, gehört im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates an und ist dort ordnungsgemäß beschäftigt. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger hat somit einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, obwohl er bei der Erteilung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse darauf hingewiesen worden ist, daß ihm diese nur für maximal drei Jahre und ausschließlich zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, hier: als Spezialitätenkoch, bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt würden.

3. Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ist so auszulegen, daß bei der Berechnung der Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift kurze Zeiträume zu berücksichtigen sind, in denen der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß und die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 6 Absatz 2 dieses Beschlusses fallen, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nicht deswegen die Ordnungsmässigkeit des Aufenthalts des Betroffenen im Inland in Frage gestellt, sondern ihm vielmehr eine neue Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erteilt haben.

Ende der Entscheidung

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