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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 18.02.1993
Aktenzeichen: T-1/92
Rechtsgebiete: Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten


Vorschriften:

Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten Art. 19
Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten Art. 23
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen des mit den Artikeln 19 und 23 der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten eingeführten Systems werden die Interessen des Beamten durch eine doppelte Untersuchung gewahrt, nämlich zunächst die durch einen Vertrauensarzt des Organs und, wenn keine Einigung erzielt wird, die durch einen Ärzteausschuß, für den jede der Parteien einen Arzt ihres Vertrauens als Mitglied benennt und dessen drittes Mitglied von den beiden anderen einvernehmlich bestimmt wird.

Der Umstand, daß der vom Organ ausgewählte Arzt auch von der Versicherungsgesellschaft des Organs anerkannt ist, kann für den betroffenen Beamten nicht abträglich sein. Auch spricht nichts dagegen, daß das Organ als Mitglied des Ärzteausschusses nach Artikel 23 der genannten Regelung den Arzt benennt, den es für die erste Stellungnahme ausgewählt hatte.

2. Es ist Sache des im Rahmen von Artikel 23 der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten befassten Ärzteausschusses, zu entscheiden, inwieweit zuvor erstellte ärztliche Gutachten zu berücksichtigen und andere Dokumente als die ihm vorgelegten zu prüfen sind.

Die Tatsache, daß sich das Gutachten des Ärzteausschusses nicht ausdrücklich auf ärztliche Dokumente bezieht, die auf Ersuchen des Beamten erstellt wurden und von denen er davon ausgehen konnte, daß sie dem Ärzteausschuß übermittelt worden seien, kann für sich allein die Gültigkeit des Gutachtens dieses Ausschusses nicht beeinträchtigen, wenn mindestens zwei seiner Mitglieder Kenntnis von diesen Dokumenten hatten und dem dritten der Gesundheitszustand des Beamten bekannt war.

Jedenfalls zieht eine Unregelmässigkeit des Verfahrens die vollständige oder teilweise Aufhebung einer Entscheidung nur dann nach sich, wenn nachgewiesen ist, daß die angefochtene Entscheidung ohne diese Unregelmässigkeit einen anderen Inhalt hätte haben können.

3. Die Entscheidungen der Anstellungsbehörde nach Artikel 19 der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten sind ausschließlich auf die Schlußfolgerungen des oder der vom Organ benannten Ärzte und gegebenenfalls auf die Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses nach Artikel 23 dieser Regelung zu stützen. Daraus folgt, daß die Anstellungsbehörde beim Erlaß einer Entscheidung über die Festsetzung des Grades der Invalidität eines Beamten nicht verpflichtet sein kann, ärztliche Gutachten zu berücksichtigen, die von dem Beamten nach den Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses vorgelegt wurden, die, wenn sie unter ordnungsgemässen Umständen abgegeben wurden, als endgültig zu betrachten sind und nur beanstandet werden können, wenn eine neue Tatsache eingetreten ist. Eine solche neue Tatsache kann nicht in der Vorlage von ärztlichen Attesten durch den Beamten bestehen, in denen die Schlußfolgerungen des Ausschusses in Frage gestellt werden, die aber keinen Grund erkennen lassen, der die Annahme rechtfertigen würde, daß dem Ausschuß nicht die Hauptelemente seiner Akte bekannt waren.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 18. FEBRUAR 1993. - SANTO TALLARICO GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - UNFALL - DAUERNDE TEILINVALIDITAET - GUTACHTEN DES MEDIZINISCHEN SACHVERSTAENDIGEN UND DES AERZTEAUSSCHUSSES - PFLICHTEN DES ORGANS. - RECHTSSACHE T-1/92.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Santo Tallarico (Kläger) ist Beamter des Europäischen Parlaments (nachstehend: Parlament). Infolge einer Kinderlähmung, die er sich in der frühen Kindheit zuzog, leidet er in einem gewissen Umfang an einer dauernden Teilinvalidität (nachstehend: Teilinvalidität), die mit der im vorliegenden Verfahren streitigen nicht in Verbindung steht.

2 Am 6. August 1985 wurde der Kläger bei einem Verkehrsunfall verletzt und bis zum 8. August 1985 im Krankenhaus behandelt. Folgen des Unfalls waren mehrere Prellungen und Blutergüsse, eine Verrenkung der Halswirbelsäule sowie ein Bruch der Mittelhandknochen der linken Hand.

3 Am 11. Januar 1988 erstattete der Ärzteausschuß, der auf Antrag des Klägers nach den Artikeln 21 und 23 der gemäß Artikel 73 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Statut) erlassenen Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten (nachstehend: Regelung) einberufen worden war, sein Gutachten. Der Ausschuß, der sich aus den Ärzten Dr. Daro, Dr. Bleser und Dr. Lamy zusammensetzte, stellte eine auf den 5. Januar 1987 festgesetzte Konsolidierung der Folgen des Unfalls vom 6. August 1985 mit einer Teilinvalidität von 3 % unter Berücksichtigung sichtbarer Schäden fest.

4 Am 16. Mai 1988 erlitt der Kläger infolge eines Sturzes einen zweiten Unfall; er wurde daraufhin von Dr. De Wilde und Dr. Olinger untersucht, die Knöchel- und Knieschmerzen am linken Bein aufgrund einer Verstauchung und von Blutergüssen feststellten.

5 Am 20. Februar 1989 gab das Parlament seinem Personal eine Note bekannt, die u. a. die Bestellung der medizinischen Sachverständigen durch die Anstellungsbehörde betraf. Nach dieser Note sollten vom 1. Februar 1989 an die medizinischen Sachverständigen im Gegensatz zu früher nur noch von der Anstellungsbehörde mit Zustimmung der Versicherer bestellt werden.

6 Am 18. August und 13. September 1989 wurden dem Kläger zwei neue ärztliche Bescheinigungen übermittelt, die von Dr. Morelli und Prof. Heß stammten und jeweils eine Invalidität von 15 % als Folge des Unfalls vom 6. August 1985 feststellten.

7 Nachdem der Kläger am 16. Oktober 1989 beantragt hatte, das Verfahren betreffend seinen Unfall vom 6. August 1985 wiederzueröffnen und den Bericht über die Konsolidierung in bezug auf seinen zweiten Unfall vom 16. Mai 1988 zu erstellen, legte Dr. De Meersman dem Parlament gemäß Artikel 19 der Regelung ein ärztliches Gutachten vom 17. Januar 1990 vor, das aber die Dienststellen des Parlaments offenbar erst am 13. März 1990 erreichte.

8 In diesem Gutachten werden die medizinische Vorgeschichte des Klägers, die Umstände der beiden streitigen Unfälle sowie die Bescheinigungen von Prof. Heß und Dr. Morelli zusammengefasst. Weiterhin werden die Beschwerden, über die sich der Kläger beklagte, und die Ergebnisse seiner klinischen Untersuchung wiedergegeben und sodann mehrere Röntgenaufnahmen untersucht, von denen einige das Datum des 1. September 1989 und eine das Datum des 5. Februar 1990 tragen. Schließlich wird in dem Gutachten der gegenwärtige Stand der Folgen des Unfalls vom 6. August 1985 mit dem im Gutachten des Ärzteausschusses vom 11. Januar 1988 dargestellten verglichen und folgendes Ergebnis festgestellt:

"Weder die klinische Untersuchung noch die erneuten Röntgenaufnahmen lassen die Feststellung einer Verschlimmerung der im Gutachten des Ärzteausschusses vom 11. Januar 1988 beschriebenen Unfallfolgen zu, deren Konsolidierung am 5. Januar 1987 mit einer Teilinvalidität von drei Prozent (3 %) angenommen wurde.

...

Weder die klinische noch die röntgenologische Untersuchung lassen eine auf den Unfall vom 16. Mai 1988 zurückzuführende Folge erkennen."

9 Am 26. März 1990 wurden dem Kläger nach den Artikeln 19 und 21 der Regelung zwei auf der Grundlage der Schlußfolgerungen dieses Gutachtens erstellte Entscheidungsentwürfe zugestellt. Am 15. Mai 1990 verlangte er gemäß Artikel 19 letzter Gedankenstrich die Einholung eines Gutachtens des Ärzteausschusses.

10 Am 19. Juni 1990 fertigte Dr. Vandresse eine Röntgenaufnahme der linken Hand des Klägers an und übersandte Dr. Di Paolantonio, dem Vertrauensarzt des Parlaments in Brüssel, einen Bericht über diese Untersuchung. Am 18. Dezember 1990 fertigte Dr. Vandresse eine Röntgenaufnahme des rechten Knies des Klägers an und übersandte auch hierüber einen Bericht an Dr. Di Paolantonio.

11 Das Gutachten des zweiten gemäß Artikel 23 der Regelung bestellten Ärzteausschusses, dem der vom Beklagten benannte Dr. De Meersman, der vom Kläger benannte Prof. Heß und der von diesen beiden Ärzten einvernehmlich benannte Prof. Van der Ghinst angehörten, stammt vom 23. April 1991.

12 In diesem Gutachten stellt der Ärzteausschuß einstimmt fest,

"daß keine Verschlimmerung der im Gutachten des Ärzteausschusses vom 10. Januar 1988 (sic) beschriebenen Unfallfolgen vorliegt.

Die Beschwerden im rechten Knie und im Nacken sind nicht unfallbedingt.

Folgen des Unfalls vom 16. Mai 1988 sind nicht vorhanden.

Unfall vom 6. August 1985: Die Kosten nach der Konsolidierung zum 5. Januar 1987 sind nicht unfallbedingt.

Kosten, die auf mit der linken Hand zusammenhängende Folgen zurückzuführen wären, sind mangels solcher Folgen nicht vorhanden."

13 In dem Gutachten wird zur Stützung dieser Ergebnisse erläutert, daß der Ärzteausschuß den Kläger kontradiktorisch befragt und untersucht sowie verschiedene Gutachten und ärztliche Bescheinigungen geprüft habe, nämlich im einzelnen:

"Zum Unfall vom 6. August 1985:

Konsolidierungsbericht von Dr. Lamy vom 5. Januar 1987. Gutachten des Ärzteausschusses vom 11. Januar 1988, unterzeichnet von Dr. Bleser, Dr. Lamy und Dr. Daro, mit dem Ergebnis einer Konsolidierung zum 5. Januar 1987, wobei eine weitere medizinische Betreuung nicht erforderlich ist, mit Anerkennung einer Invalidität, die auf 3 % geschätzt wurde. Gutachten von Dr. De Meersman vom 17. Januar 1990 mit dem Ergebnis, daß keine Verschlimmerung der Folgen dieses Unfalls seit dem Gutachten des Ärzteausschusses festzustellen sind.

Zum Unfall vom 16. Mai 1988:

Gutachten von Dr. De Meersman vom 17. Januar 1990 mit dem Ergebnis, daß keine Unfallfolgen vorliegen."

Aus dem Gutachten ergibt sich ausserdem, daß der Ärzteausschuß eine klinische Untersuchung des Klägers vorgenommen und einzelne Röntgenaufnahmen geprüft hat.

14 Am 27. Mai 1991 erließ die Anstellungsbehörde gemäß Artikel 19 der Regelung aufgrund dieses Gutachtens zwei Entscheidungen; in der ersten (Nr. 005922) wurde eine auf den Unfall vom 6. August 1985 zurückzuführende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers verneint und die fehlende Unfallbedingtheit der im Anschluß an die Konsolidierung zum 5. Januar 1987 entstandenen Kosten festgestellt, in der zweiten (Nr. 005921) wurde die Genesung des Klägers nach seinem Unfall vom 16. Mai 1988 ohne weitere Folgen festgestellt.

15 Am 8. Juli 1991 legte der Kläger gegen die beiden Entscheidungen vom 27. Mai Beschwerde ein. Er machte darin u. a. geltend, der Ärzteausschuß vom 23. April 1991 habe "auf der Grundlage einer höchst unvollständigen Akte" entschieden, da drei ärztliche Unterlagen, nämlich die Note von Dr. Di Paolantonio an Dr. Vandresse vom 18. Dezember 1990 und die beiden Berichte von Dr. Vandresse über eine röntgenologische Untersuchung vom 19. Juni 1990 und 18. Dezember 1990 nebst den entsprechenden Kopien der Röntgenaufnahmen (vgl. oben, Randnr. 10) dem Ärzteausschuß nicht übermittelt worden seien. Für eine solche Übermittlung sei das Organ verantwortlich.

16 Der Kläger machte weiterhin geltend, das Gutachten von Dr. De Meersman vom 17. Januar 1990 müsse "rechtlich als null und nichtig" betrachtet werden, da es nur 24 Stunden nach einer Anfrage des gleichen Dr. De Meersman vom 16. Januar 1990 nach Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule, der beiden Knie und des linken Knöchels des Klägers erstellt worden sei. Dieses Gutachten sei daher nicht glaubhaft, da feststehe, daß seinem Urheber die von ihm selbst angeforderten Unterlagen der Arztakte nicht vorgelegen hätten.

17 Am 17. Oktober 1991 übersandte der Kläger dem Parlament, das sie am 18. Oktober erhielt, drei weitere Unterlagen zu seinen Akten, namentlich eine ärztliche Bescheinigung von Dr. Ruhland vom 29. Juli 1991, daß der Kläger infolge des Unfalls vom 6. August 1985 an einer Invalidität von 20 % leide, sowie einen von Dr. Ruhland unterzeichneten Klinikschlußbericht vom gleichen Tag.

18 Mit Schreiben vom 18. Oktober 1991 ° dem gleichen Tag, an dem die genannten Unterlagen die Dienststellen des Parlaments erreichten ° wies die Anstellungsbehörde die Beschwerde des Klägers vom 8. Juli 1991 zurück und berief sich hierbei insbesondere darauf, daß es nicht Aufgabe der Mitglieder der medizinischen Abteilung des Organs sei, die Akten des Ärzteausschusses um Unterlagen zu ergänzen, und daß nichts vorliege, was die Glaubhaftigkeit des Gutachtens von Dr. De Meersman in Frage stellen könne.

19 Am 21. November 1991 beantragte der Kläger von neuem die Wiedereröffnung des Verfahrens nach Artikel 73 des Statuts. Dieser beim Parlament am 19. Dezember 1991 eingegangene Antrag wurde mit Schreiben vom 4. Februar 1992 abgelehnt. Darin wurde insbesondere festgestellt, daß ein Antrag auf erneute Prüfung des Vorgangs gemäß Artikel 22 der Regelung nur zulässig sei, wenn der Beamte eine weitere Minderung seiner Erwerbsfähigkeit nach der Untersuchung durch den Ärzteausschuß anzeige, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe.

20 In der Zwischenzeit hatte die Verwaltung dem Kläger am 25. November 1991 die am 17. Oktober 1991 zu den Akten gereichten Unterlagen mit dem Hinweis zurückgesandt, daß das Verwaltungsverfahren beendet sei.

Verfahren

21 Daraufhin hat der Kläger mit am 17. Januar 1992 eingegangener Klageschrift die vorliegende Klage auf Aufhebung des Gutachtens des Ärzteausschusses vom 23. April 1991 und, soweit erforderlich, der Entscheidung der Anstellungsbehörde über die Zurückweisung der Beschwerde des Klägers sowie auf Aufhebung der beiden Entscheidungen der Anstellungsbehörde vom 27. Mai 1991 erhoben.

22 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Der Beklagte ist jedoch um nähere Angaben insbesondere zu den Daten der verschiedenen Abschnitte des Vorverfahrens gebeten worden, die er dem Gericht mit Schreiben vom 1. Oktober 1992 übermittelt hat.

23 Die Vertreter der Parteien haben in der Sitzung vom 6. Oktober 1992 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Bei dieser Gelegenheit hat der Beklagte bestimmte Schriftstücke, u. a. ein Schreiben der Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments vom 14. Februar 1991 an Dr. De Meersman sowie die diesem beigefügten beiden Berichte von Dr. Vandresse vom 19. Juni und 18. Dezember 1990, vorgelegt.

24 Das Gericht hat mit Beschluß vom 4. Dezember 1992 die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und das Parlament um Auskunft darüber gebeten, ob die Untersuchungsberichte von Dr. Vandresse vom 19. Juni und 18. Dezember 1990 in den Unterlagen enthalten waren, über die die drei Ärzte verfügten, aus denen sich der Ärzteausschuß, der am 23. April 1991 sein Gutachten abgab, zusammensetzte. Der Beklagte hat am 8. Dezember 1992 ein Schreiben vorgelegt, das die Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments am 14. Februar 1991 an Prof. Van der Ghinst gerichtet hatte und dem die beiden Berichte von Dr. Vandresse beigefügt waren.

25 Am 14. Januar 1993 hat nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung eine zweite Sitzung stattgefunden, in der sich die Vertreter der Parteien zu den vorgelegten Schriftstücken geäussert und Fragen des Gerichts beantwortet haben.

Anträge der Parteien

26 Der Kläger beantragt,

° das Gutachten des Ärzteausschusses vom 23. April 1991 und, soweit erforderlich, die Entscheidung der Anstellungsbehörde über seine Beschwerde für rechtswidrig, gegebenenfalls für null und nichtig zu erklären sowie die beiden Entscheidungen der Anstellungsbehörde vom 27. Mai 1991 aufzuheben;

° hilfsweise, festzustellen, daß die angefochtenen Entscheidungen auf der Grundlage eines offensichtlichen Tatsachen- oder Rechtsirrtums getroffen wurden, und sie daher mit allen rechtlichen Konsequenzen zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen;

° höchst hilfsweise, ein Sachverständigengutachten über die vom Kläger infolge der Unfälle vom 6. August 1985 und 16. Mai 1988 erlittenen Schäden einzuholen;

° dem Beklagten sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Beklagte beantragt,

° festzustellen, daß der auf das am 17. Oktober 1991 übermittelte Schreiben von Dr. Ruhland gestützte Klagegrund unzulässig, aber auf jeden Fall unbegründet ist;

° die Klage wegen der anderen Klagegründe als unbegründet abzuweisen;

° über die Kosten nach Rechtslage und unter Berücksichtigung des Umstands zu entscheiden, daß eine Klageerhebung angesichts der klaren Begründung der Zurückweisung der Beschwerde durch die Anstellungsbehörde nicht geboten war.

Zur Zulässigkeit

27 Der Beklagte nimmt zur Zulässigkeit der Klage insgesamt nicht Stellung. Er ist jedoch der Auffassung, da die Bescheinigungen von Dr. Ruhland vom 29. Juli 1991 beim Parlament erst am 18. Oktober 1991 und damit genau am Tag des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen durch die Anstellungsbehörde angelangt seien, könnten sie nicht berücksichtigt werden. Somit sei der dritte Klagegrund unzulässig, soweit er sich auf diese Bescheinigungen stütze.

28 Nach Auffassung des Gerichts betrifft dieses Vorbringen nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit des dritten vom Kläger vorgebrachten Klagegrundes. Es ist daher im Rahmen der Würdigung der Begründetheit des dritten Klagegrundes durch das Gericht zu prüfen (siehe unten).

Zur Begründetheit

29 Zur Stützung seiner Anträge macht der Kläger vier Klagegründe geltend. Die ersten beiden Klagegründe betreffen die Ordnungsmässigkeit des Verfahrens, da der mit der Erstellung des Gutachtens betraute Sachverständige nicht über die erforderliche Unabhängigkeit verfügt habe und der Ärzteausschuß aufgrund einer unvollständigen Akte entschieden habe. Die beiden anderen Klagegründe betreffen den Inhalt des Ausschußgutachtens, das mit einem offensichtlichen Irrtum behaftet und mangelhaft begründet sei.

Zur fehlenden Unabhängigkeit des mit der Erstellung des Gutachtens betrauten Sachverständigen

Vorbringen der Parteien

30 Der Kläger macht geltend, ein Sachverständiger müsse sich objektiv und unparteiisch gegenüber allen Beteiligten verhalten, also auch gegenüber demjenigen, der ihn bestellt habe. Da der medizinische Sachverständige seit dem 1. Februar 1989 von der Anstellungsbehörde mit Zustimmung der Versicherer (und nicht umgekehrt wie früher) bestellt werde, habe Dr. De Meersman nicht mehr die zur Erfuellung einer solchen Aufgabe erforderliche Unabhängigkeit besessen. Die vom Beklagten angeführte Rechtsprechung sei nicht mehr von Bedeutung, seitdem die Anstellungsbehörde die medizinischen Sachverständigen ohne vorherige Zustimmung der Versicherer bestelle.

31 Der Beklagte weist darauf hin, daß Auswahl und Bestellung des medizinischen Sachverständigen durch die Anstellungsbehörde auf der Grundlage des Artikels 19 der Regelung erfolgten. Dies sei mithin ein Verfahren, das dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers entspreche. Der Kläger habe überdies keinen Beweis dafür erbracht, daß der Arzt bei der ursprünglichen Begutachtung nicht völlig unabhängig gehandelt habe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 186/80, Suß/Kommission, Slg. 1981, 2041) seien die Interessen des Beamten dadurch gewahrt, daß dem Ärzteausschuß ein Arzt seines Vertrauens angehöre und das dritte Mitglied dieses Ausschusses vom Arzt seines Vertrauens und dem Mitglied, das das Organ benannt habe, einvernehmlich bestimmt werde. Der blosse Umstand, daß das vom Organ benannte Mitglied eines Ärzteausschusses zugleich von seinem Versicherer anerkannt sei, könne dem Beamten nicht abträglich sein.

Würdigung durch das Gericht

32 Das Gericht stellt fest, daß die Artikel 19 und 23 der Regelung, wie der Beklagte zu Recht dargelegt hat, ausdrücklich bestimmen, daß der medizinische Sachverständige, der die erste Stellungnahme abzugeben hat, sowie eines der Mitglieder des Ärzteausschusses vom Organ benannt werden. Im Rahmen des mit diesen Bestimmungen eingeführten Systems werden die Interessen des Beamten durch eine doppelte Untersuchung gewahrt, nämlich zunächst die durch einen Vertrauensarzt des Organs und, wenn keine Einigung erzielt wird, die durch einen Ärzteausschuß, für den jede der Parteien einen Arzt ihres Vertrauens als Mitglied benennt und dessen drittes Mitglied einvernehmlich bestimmt wird (vgl. zuletzt Urteil des Gerichtshofes vom 19. Januar 1988 in der Rechtssache 2/87, Biedermann/Rechnungshof, Slg. 1988, 143, Randnr. 10). Ferner kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts der Umstand, daß der vom Organ ausgewählte Arzt auch von der Versicherungsgesellschaft anerkannt ist, für den Beamten in keiner Weise abträglich sein (vgl. Urteil Biedermann, a. a. O., Randnr. 12, sowie Urteil des Gerichts vom 21. Juni 1990 in der Rechtssache T-31/89, Sabbatucci/Parlament, Slg. 1990, II-265, Nr. 3 der Leitsätze). Nach Auffassung des Gerichts wird dieser Grundsatz durch die Änderung der bisherigen Praxis des Parlaments, die mit seiner Note vom 20. Februar 1989 angekündigt wurde, keineswegs beeinträchtigt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil Biedermann, a. a. O., Randnr. 11) spricht nichts dagegen, daß das Organ im Rahmen des Artikels 23 der Regelung den Arzt benennt, den es bereits gemäß Artikel 19 für die erste Stellungnahme ausgewählt hatte. Ausserdem hat der Kläger seine Behauptungen durch nichts gestützt, was dem Gericht die Feststellung erlauben würde, daß der medizinische Sachverständige im vorliegenden Fall nicht unparteiisch war.

33 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zur Unvollständigkeit der Akte, die der Beschlußfassung durch den Ärzteausschuß zugrunde lag

34 Das Gericht legt diesen Klagegrund so aus, daß er sich auf das angebliche Fehlen dreier vom Kläger angeführter medizinischer Unterlagen in der dem Ärzteausschuß vorgelegten Akte bezieht. Soweit der Kläger zugleich einige Mängel des zuvor abgegebenen Gutachtens von Dr. De Meersman vom 17. Januar 1990 rügt, werden diese gemeinsam mit dem dritten Klagegrund des Klägers geprüft.

Vorbringen der Parteien

35 Der Kläger trägt vor, der Ärzteausschuß habe eine Note von Dr. Di Paolantonio vom 18. Dezember 1990 sowie zwei Berichte und Röntgenaufnahmen von Dr. Vandresse vom 19. Juni und 18. Dezember 1990 nicht geprüft, da sie ihm nicht übermittelt worden seien. Es handele sich um die röntgenologische Untersuchung des linken Handgelenks des Klägers vom 19. Juni 1990 und um eine weitere seiner beiden Knie vom 18. Dezember 1990. Die Untersuchungen beträfen nicht seinen linken Knöchel, der bei dem Unfall vom 16. Mai 1988 verstaucht worden sei.

36 Da er keinen Auftrag zur Übermittlung der betreffenden Unterlagen gehabt habe, sei es nicht seine, sondern ausschließlich Sache der Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments gewesen, für die Vollständigkeit der dem Ärzteausschuß vorgelegten Akte Sorge zu tragen. Dies sei auch nicht Aufgabe des Arztes gewesen, den er als Mitglied des Ärzteausschusses benannt habe. Nach dem Urteil Biedermann, a. a. O., sei es dem Ärzteausschuß keineswegs gestattet, auf der Grundlage einer unvollständigen Akte zu entscheiden.

37 In seiner Klagebeantwortung räumt der Beklagte ein, daß das Gutachten von Dr. Vandresse weder dem mit der ersten Stellungnahme betrauten Arzt, Dr. De Meersman, noch dem Ärzteausschuß vorgelegen habe. Die betreffenden Röntgenaufnahmen seien auf Ersuchen der medizinischen Abteilung des Organs angefertigt worden, für die sie bestimmt gewesen seien. Die medizinische Abteilung sei eine von der Dienststelle Sozialversicherungen unabhängige Einheit, die sich bei einem Verfahren zur Feststellung der Ansprüche nach einem Unfall, der ihr gänzlich unbekannt sein könne, nicht automatisch einschalte.

38 Es sei aber Sache des vom Beamten benannten Arztes, dafür Sorge zu tragen, daß die Akte alle für den Beamten günstigen Unterlagen enthalte. Das Organ und der Beamte seien nämlich zugleich berechtigt und verpflichtet, den von ihnen benannten Ärzten alle Unterlagen zu übermitteln, die sie als für sich günstig betrachteten. Ausserdem habe der Kläger nicht dargelegt, inwieweit die fehlenden Unterlagen im vorliegenden Fall den Standpunkt des Ärzteausschusses hätten ändern können, der im übrigen nicht verpflichtet sei, ausser seinen eigenen andere Sachverständigenmeinungen zu berücksichtigen.

39 In der Sitzung vom 6. Oktober 1992, in der der Beklagte zum ersten Mal ein Schreiben der Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments vom 14. Februar 1991 an Dr. De Meersman neben den beiden Berichten von Dr. Vandresse vom 19. Juni und 18. Dezember 1990 vorgelegt hat (siehe oben, Randnr. 23), hat sich ergeben, daß in diesem Schreiben ausdrücklich vermerkt war, daß die übersandten Unterlagen "der Akte des Ärzteausschusses beizufügen" seien. Der Kläger hat in dieser Sitzung erklärt, er selbst habe diese Unterlagen der genannten Dienststelle des Parlaments in der Annahme übergeben, daß diese sie zu der Akte des Ärzteausschusses reichen werde.

40 In einem weiteren, vom Beklagten am 8. Dezember 1992 nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (vgl. oben, Randnr. 24) vorgelegten Schreiben vom 14. Februar 1991, das die Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments an Prof. Van der Ghinst, das von den beiden anderen Mitgliedern einvernehmlich bestimmte Mitglied des Ärzteausschusses, gerichtet hatte, heisst es, wie sich später ergeben hat, daß die betreffenden Unterlagen gleichfalls übersandt worden seien.

41 In der zweiten Sitzung vom 14. Januar 1993 hat der Beklagte auf die Frage des Gerichts erklärt, er habe die Unterlagen dem vom Kläger benannten Mitglied des Ausschusses, Prof. Heß, nicht übersandt. Der Kläger will sie ihm ebenfalls nicht übermittelt haben. Zu den Röntgenaufnahmen selbst, auf die sich die Berichte von Dr. Vandresse beziehen, haben die Parteien erklärt, sie seien der Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments vom Kläger übermittelt worden, der sie von dieser Abteilung auch zurückerhalten habe, ohne daß festgestellt werden könne, ob diese Rückgabe vor oder nach der Sitzung des Ärzteausschusses stattgefunden habe. Der Kläger selbst will sie dem Ärzteausschuß nicht übermittelt haben.

Würdigung durch das Gericht

42 Aufgrund der Erklärungen der Parteien in den Sitzungen stellt das Gericht fest, daß die beiden Berichte von Dr. Vandresse vom 19. Juni und 18. Dezember 1990 vom Kläger der Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments übermittelt worden sind, die sie ihrerseits am 14. Februar 1991 Dr. De Meersman und Prof. Van der Ghinst zwecks Beifügung zur Akte des Ärzteausschusses übersandt hat. Der Beklagte hat daher in seiner Klagebeantwortung zu Unrecht eingeräumt, daß diese Übermittlung nicht stattgefunden habe (siehe oben, Randnr. 37).

43 Das Gericht ist daher der Auffassung, daß der Kläger zu Recht davon ausgegangen ist, daß diese Unterlagen in die Akte des Ärzteausschusses gelangen würden. Das Argument des Beklagten, daß die medizinische Abteilung eines Organs für diese Übermittlung nicht verantwortlich sei ° dies war einer der Gründe für die Zurückweisung der Beschwerde °, ist in Unkenntnis der Umstände des vorliegenden Falles vorgebracht worden und für die Entscheidung der Rechtssache unerheblich.

44 Es ist daher festzustellen, daß sich das Gutachten des Ärzteausschusses zwar nicht auf die beiden Berichte von Dr. Vandresse bezieht, daß aber bewiesen ist, daß Dr. De Meersman und Prof. Van der Ghinst durch die genannten Schreiben vom 14. Februar 1991 Kenntnis von diesen Unterlagen erhalten haben.

45 Folglich haben mindestens zwei Mitglieder des Ärzteausschusses die in diesen Berichten geäusserten Ansichten von Dr. Vandresse gekannt. Das dritte Mitglied, Prof. Heß, war der vom Kläger benannte Arzt, der den Kläger bereits untersucht und bestimmte Röntgenaufnahmen von ihm angefertigt hatte (siehe oben, Randnr. 6, und unten, Randnr. 54). Selbst wenn die betreffenden Unterlagen ihm nicht zur Kenntnis gelangt wären, ist doch zumindest anzunehmen, daß ihm der Gesundheitszustand des Klägers bekannt war.

46 Unter diesen Umständen kann die Tatsache, daß sich das Gutachten des Ärzteausschusses vom 23. April 1991 nicht ausdrücklich auf die Berichte von Dr. Vandresse bezieht, für sich allein die Gültigkeit dieses Gutachtens nicht beeinträchtigen, zumal es Sache des Ärzteausschusses ist, zu entscheiden, inwieweit zuvor erstellte ärztliche Gutachten zu berücksichtigen sind (Urteil Biedermann, a. a. O., Randnr. 19). Was die Röntgenaufnahmen angeht, so hatte der Ärzteausschuß ebenfalls zu entscheiden, welche Aufnahmen erheblich waren und ob andere Aufnahmen zu prüfen waren.

47 Ausserdem zieht grundsätzlich eine Unregelmässigkeit des Verfahrens die vollständige oder teilweise Aufhebung einer Entscheidung nur dann nach sich, wenn nachgewiesen ist, daß die angefochtene Entscheidung ohne diese Unregelmässigkeit einen anderen Inhalt hätte haben können (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 23. April 1986 in der Rechtssache 150/84, Bernardi/Parlament, Slg. 1986, 1375, Randnr. 28, unter Bezugnahme auf das Urteil vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck/Kommission, Slg. 1980, 3125). Der Kläger hat aber nichts vorgetragen, was zu der Annahme führen könnte, daß die beiden röntgenologischen Untersuchungen von Dr. Vandresse die Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses bezueglich eines Kausalzusammenhangs zwischen den vom Kläger geltend gemachten Beschwerden und den vom ihm am 6. August 1985 und 16. Mai 1988 erlittenen Unfällen hätten beeinflussen können. Das gleiche gilt für die Note von Dr. Di Paolantonio, die von keiner der beiden Parteien vorgelegt worden ist.

48 Ausserdem ergibt sich aus dem Gutachten des Ärzteausschusses, daß seine Mitglieder den Kläger am 23. April 1991 klinisch untersucht und einige Röntgenaufnahmen u. a. seiner linken Hand geprüft haben. Nach diesen Arbeiten hat der Ärzteausschuß festgestellt, daß keine Verschlimmerung der im Gutachten des Ärzteausschusses vom 11. Januar 1988 festgestellten Unfallfolgen vorliege und keine Folgen des Unfalls vom 16. Mai 1988 gegeben seien. Diese Ergebnisse wurden einstimmig festgelegt, da der vom Kläger benannte Arzt, Prof. Heß, sein Einverständnis erklärt hatte.

49 Weiterhin ist darauf hinzuweisen, daß der Ärzteausschuß, dem Dr. Bleser, Dr. Lamy und Dr. Daro angehörten und der das erwähnte Gutachten vom 11. Januar 1988 erstellt hatte, ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt ist, daß keine Verschlimmerung der Folgen des Unfalls vom 6. August 1985 nach der Konsolidierung vom 5. Januar 1987 festzustellen sei. Angesichts dieser Feststellungen, die 1988 und erneut 1991 von zwei Ärzteausschüssen einstimmig getroffen worden sind, an denen insgesamt sechs Ärzte (darunter zwei vom Kläger selbst benannte) beteiligt waren, die den Kläger untersucht haben, gelangt das Gericht zu der Auffassung, daß der Kläger nichts vorgetragen hat, was die Annahme zuließe, daß das Gutachten des Ärzteausschusses in regelwidriger Weise erstellt worden sei. Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum offensichtlichen Irrtum im Gutachten des Ärzteausschusses

50 Zur Stützung dieses Klagegrundes beruft sich der Kläger zum einen auf die angebliche Unglaubhaftigkeit des Gutachtens von Dr. De Meersman, auf der das Gutachten des Ärzteausschusses beruhe, und zum anderen auf einen tatsächlichen Irrtum des Ärzteausschusses, den die nicht berücksichtigten Berichte von Dr. Ruhland vom 29. Juli 1991 belegten. Diese beiden Argumente sind getrennt zu prüfen.

Zum ersten Argument, der angeblichen Unglaubhaftigkeit des Gutachtens von Dr. De Meersman

Vorbringen der Parteien

51 Der Kläger macht geltend, das Gutachten des Ärzteausschusses beruhe weitgehend auf dem Gutachten von Dr. De Meersman vom 17. Januar 1990. Dieses sei aber keineswegs glaubhaft, weil es einen Tag nach der Nachfrage von Dr. De Meersman nach Röntgenaufnahmen abgegeben worden sei, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm diese Unterlagen nicht hätten vorliegen können. Das Gutachten vom 17. Januar 1990 müsse daher rechtlich als null und nichtig gelten. Selbst wenn das Datum des Gutachtens unrichtig sei, wie der Beklagte behaupte, lasse eine solche Vorgehensweise doch eine offenbare Missachtung des Verfahrens erkennen. Die Erstellung eines Sachverständigengutachtens setze ein Mindestmaß an Förmlichkeit und Genauigkeit voraus; wenn dies nicht beachtet werde, beeinträchtige dies die Glaubhaftigkeit des Gutachtens schwerwiegend. Er beanstandet weiter, daß Dr. De Meersman nicht über eine vollständige Akte bezueglich des Unfalls vom 6. August 1985 verfügt habe und daß die Bescheinigung von Dr. Morelli darin unvollständig zitiert werde.

52 Der Beklagte weist die Rügen bezueglich des Gutachtens von Dr. De Meersman zurück. Er bedauert, daß dieser nicht das Datum seines Gutachtens geändert oder den Zeitpunkt seiner Unterschrift angegeben habe, doch ergebe sich aus dem in dem Gutachten enthaltenen Hinweis auf die Ergebnisse der am 5. Februar 1990 durchgeführten röntgenologischen Untersuchung, daß zumindest der letzte Teil und die Ergebnisse des Gutachtens nach dem 17. Januar 1990 verfasst seien und das Gutachten von Dr. De Meersman erst vervollständigt worden sei, als er im Besitz der Ergebnisse der angeforderten zusätzlichen Röntgenaufnahmen gewesen sei. Der Eingangsstempel der Dienststelle Sozialversicherungen zeige, daß das Schriftstück am 13. März 1990 beim Parlament eingegangen sei.

Würdigung durch das Gericht

53 In der Sitzung haben die Parteien auf die Fragen des Gerichts weitere Einzelheiten zu den auf den Seiten 5 und 6 des Gutachtens von Dr. De Meersman genannten Röntgenaufnahmen mitgeteilt. Auf der Grundlage dieser zusätzlichen Auskünfte stellt das Gericht unter Berücksichtigung der den Schriftsätzen der Parteien beigefügten Schriftstücke folgenden Sachverhalt fest.

54 Dr. De Meersman untersuchte den Kläger am 16. Januar 1990 und überreichte ihm ein Formular, das das Datum dieses Tages trug und ohne nähere Angaben an die "Röntgenabteilung" gerichtet war. Mit diesem Formular wurde um eine röntgenologische Untersuchung der Halswirbelsäule, der beiden Knie und des linken Knöchels mit dynamischen Proben ersucht. Der Kläger legte dieses Formular nach seiner Bekundung in der Sitzung Prof. Heß vor, der bereits am 1. September 1989 einige Röntgenaufnahmen des Klägers angefertigt hatte. Im Hinblick auf das Vorliegen dieser Röntgenaufnahmen ging Prof. Heß davon aus, daß nur eine neue Aufnahme des linken Knöchels erforderlich sei. Diese Röntgenaufnahme führte Prof. Heß am 5. Februar 1990 durch. Der Kläger übergab dann Dr. De Meersman die von Prof. Heß am 1. September 1989 angefertigten Aufnahmen sowie die neue Aufnahme vom 5. Februar 1990. Der Kläger bestreitet nicht, daß es sich bei den auf den Seiten 5 und 6 des Gutachtens von Dr. De Meersman genannten Röntgenaufnahmen um die von Prof. Heß angefertigten handelt.

55 Das Gericht stellt daher fest, daß das Gutachten von Dr. De Meersman, obwohl es das Datum des 17. Januar 1990 trägt, notwendigerweise zu einem Zeitpunkt nach dem 5. Februar 1990 vervollständigt worden sein muß, nachdem Dr. De Meersman die von Prof. Heß angefertigten Röntgenaufnahmen vom Kläger erhalten hatte. Nach dem Eingangsstempel ist das Gutachten bei der Dienststelle Sozialversicherungen des Parlaments am 13. März 1990 eingegangen.

56 Ausserdem ergibt sich aus dem Hinweis auf Seite 6 dieses Gutachtens, daß entgegen der Behauptung des Klägers Dr. De Meersman vor der Vervollständigung seines eigenen Gutachtens sehr wohl das frühere Gutachten des Ärzteausschusses vom 11. Januar 1988 über den Unfall vom 6. August 1986 erhalten hatte.

57 Nach alledem ist das Vorbringen des Klägers, daß das Gutachten von Dr. De Meersman am 17. Januar 1990, am Tag nach der klinischen Untersuchung, erstellt worden sei, ohne daß die von ihm selbst angeforderten Röntgenaufnahmen berücksichtigt worden seien, zurückzuweisen. Im übrigen ist durch nichts belegt, daß die Akte von Dr. De Meersman zu dem Zeitpunkt, zu dem er zu seinen Schlußfolgerungen gelangt ist, materiell unvollständig war.

58 Bezueglich der Bescheinigung von Dr. Morelli hat das Gericht keinen Irrtum bei der Übernahme in das Gutachten von Dr. De Meersman feststellen können.

59 Das Gericht stellt daher, obgleich die Verwirrung um die Datierung des Gutachtens von Dr. De Meersman zu bedauern ist, im Licht der Erläuterungen der Parteien während des Verfahrens fest, daß der Kläger nichts vorgebracht hat, was beweisen würde, daß dieses Gutachten mit einer Unregelmässigkeit behaftet ist, die seine Gültigkeit beeinträchtigt.

60 Nach alledem kann dem Argument des Klägers, daß das Gutachten des Ärzteausschusses auf einem Gutachten beruhe, das seinerseits unglaubhaft sei, nicht gefolgt werden.

Zum zweiten Argument, dem angeblichen tatsächlichen Irrtum des Ärzteausschusses, der durch die Berichte von Dr. Ruhland belegt werde

Vorbringen der Parteien

61 Der Kläger trägt vor, das Gutachten des Ärzteausschusses, das einen Teilinvaliditätssatz von 3 % bestätige, weise, wenn man die beiden Arztberichte von Dr. Ruhland vom 29. Juli 1991 zugrunde lege, nach denen der Unfall des Klägers vom 6. August 1985 Folgen gehabt habe, die eine Teilinvalidität von mindestens 20 % rechtfertigten, einen offensichtlichen Tatsachenirrtum auf. Diese Berichte seien der Anstellungsbehörde am 17. Oktober 1991 vorgelegt worden, also einen Tag, bevor diese ihre Entscheidung erlassen habe, mit der seine Beschwerde zurückgewiesen worden sei. Die Entscheidung habe durchaus verschoben werden können, bis die Akte vervollständigt gewesen sei. Wenn man nicht mehr zulasse, daß er ärztliche Unterlagen, die den Ergebnissen des Gutachtens widersprächen, zu den Akten reiche, so nehme man ihm jede noch so geringe Möglichkeit der Kritik an dem Gutachten und beeinträchtige damit seine Verteidigungsrechte.

62 Der Beklagte hält dieses Vorbringen für unzulässig, auf jeden Fall aber für unbegründet. Das an den Generaldirektor für Personal, Haushalt und Finanzen des Parlaments gerichtete Schreiben des Klägers vom 17. Oktober 1991, das den Berichten von Dr. Ruhland beigefügt gewesen sei, sei bei der Postverteilungsstelle des Parlaments erst am 18. Oktober 1991 angelangt und habe daher der Anstellungsbehörde vor Erlaß der Entscheidung vom 18. Oktober 1991 nicht mehr übermittelt werden können. Diese Unterlagen hätten daher nicht berücksichtigt werden können. Da es sich um Gutachten gehandelt habe, die nach den Entscheidungen der Anstellungsbehörde vom 27. Mai 1991 erstellt worden seien, hätten sie diese auf keinen Fall in Frage stellen können. Sie hätten lediglich als Feststellung einer Verschlimmerung bewertet werden können, die Anlaß für eine Anzeige gemäß Artikel 22 der Regelung hätte sein können. In der Sitzung hat der Beklagte erklärt, diese Berichte seien in der Tat in einem Verfahren zur Anerkennung einer solchen Verschlimmerung geprüft worden und Gegenstand einer späteren Antwort an den Kläger gewesen.

63 Ausserdem stütze sich das Gutachten des Ärzteausschusses vom 23. April 1991 auf eine kontradiktorische Untersuchung durch drei Ärzte und sei einstimmig, mithin auch durch den vom Kläger benannten Arzt, beschlossen worden. Damit könne die Möglichkeit eines Irrtums, der notwendigerweise ein gemeinsamer gewesen wäre, ausgeschlossen werden.

Würdigung durch das Gericht

64 Mit seinem Argument will der Kläger zum einen geltend machen, daß die Anstellungsbehörde, als sie am 18. Oktober 1991 die Entscheidung getroffen habe, seine Beschwerde zurückzuweisen, die Berichte von Dr. Ruhland hätte berücksichtigen müssen, und zum anderen, daß diese Berichte einen offensichtlichen tatsächlichen Irrtum des Ärzteausschusses bewiesen.

65 Es steht fest, daß die beiden Berichte von Dr. Ruhland nach der Unterzeichnung sowohl des Gutachtens des Ärzteausschusses als auch der beiden Entscheidungen der Anstellungsbehörde vom 27. Mai 1991 erstellt worden sind. Zu den Pflichten der Anstellungsbehörde unter solchen Umständen bestimmt Artikel 19 der Regelung im einzelnen:

"Die Entscheidung... über den Grad einer dauernden Invalidität trifft die Anstellungsbehörde nach dem Verfahren des Artikels 21

° aufgrund der Stellungnahme des oder der von den Organen bestellten Ärzte;

° und, falls der Beamte dies verlangt, nach Einholung eines Gutachtens des in Artikel 23 genannten Ärzteausschusses."

Die Anstellungsbehörde hatte daher, sobald sie im Besitz der Gutachten von Dr. De Meersman und des Ärzteausschusses war, ihre Entscheidung allein auf der Grundlage dieser Schriftstücke zu treffen, ohne hierbei die vom Kläger vorgelegten späteren Berichte zu berücksichtigen.

66 Folglich war die Anstellungsbehörde, selbst wenn ihr die Berichte von Dr. Ruhland vor dem Erlaß ihrer Entscheidung vom 18. Oktober 1991 übermittelt worden sein sollten, nicht verpflichtet, sie zu berücksichtigen.

67 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Schlußfolgerungen eines Ärzteausschusses, der ordnungsgemäß über die ihm vorgelegten Fragen entschieden hat, als endgültig zu betrachten sind und nur beanstandet werden können, wenn eine neue Tatsache eingetreten ist. Eine solche neue Tatsache kann nicht in der Vorlage von ärztlichen Attesten durch den Kläger bestehen, in denen die Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses in Frage gestellt werden, die aber keinen Grund erkennen lassen, der die Annahme rechtfertigen würde, daß dem Ausschuß nicht die Hauptelemente der Akte des Betroffenen bekannt waren (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juni 1980 in der Rechtssache 107/79, Schürer/Kommission, Slg. 1980, 1845, Randnrn. 10 und 11). Die Berichte von Dr. Ruhland lassen keinen solchen Grund erkennen.

68 Dem Argument des Klägers, daß das Gutachten des Ärzteausschusses einen tatsächlichen Irrtum aufweise, den die nicht berücksichtigten Berichte von Dr. Ruhland belegten, ist daher nicht zu folgen.

69 Der dritte Klagegrund ist folglich zurückzuweisen.

Zur fehlenden Begründung

Vorbringen der Parteien

70 Der Kläger macht geltend, das Gutachten des Ärzteausschusses lasse den nach gefestigter Rechtsprechung erforderlichen verständlichen Zusammenhang zwischen den in ihm enthaltenen medizinischen Befunden und den Schlußfolgerungen, zu denen es gelange, vermissen. Er verweist hierzu auf das Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1987 in der Rechtssache 277/84 (Jänsch/Kommission, Slg. 1987, 4923, Randnr. 15).

71 Der Beklagte weist darauf hin, daß es bei dieser Rechtsprechung darum gehe, daß es nicht Sache des Gerichts sei, sich zu den eigentlichen medizinischen Beurteilungen des Ärzteausschusses zu äussern, es sei denn, dessen Gutachten weise keinen solchen Zusammenhang auf. Das Parlament könne die Beurteilung der Ärzte nicht durch seine eigene ersetzen. Nach seiner Auffassung lässt sich in den Grenzen, die der Gemeinschaftsrichter seiner Kontrollbefugnis gesetzt habe, dem Gutachten des Ärzteausschusses nichts entnehmen, was der Anstellungsbehörde die Feststellung eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers erlaubt hätte.

Würdigung durch das Gericht

72 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, namentlich in seinem Urteil Jänsch, a. a. O., kann das Gericht nur die Entscheidungen eines Ärzteausschusses aufheben, die wegen fehlender Schlüssigkeit rechtswidrig sind. Hierzu genügt die Feststellung, daß entgegen der nicht substantiierten Behauptung des Klägers die Durchsicht des Gutachtens des Ärzteausschusses vom 23. April 1991 keineswegs erkennen lässt, daß kein Zusammenhang zwischen den medizinischen Befunden und den Schlußfolgerungen, zu denen der Ausschuß gelangt ist, besteht.

73 Auch dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

74 Da die Prüfung der Klagegründe nichts ergeben hat, was eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen rechtfertigen würde oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens angezeigt erscheinen ließe, ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

75 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 87 § 3 Absatz 2 dieser Verfahrensordnung kann das Gericht auch einer obsiegenden Partei die Kosten auferlegen, die sie der Gegenpartei ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat. Gemäß Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen überdies die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit ihren Bediensteten ihre Kosten selbst.

76 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß der Kläger gewisse Einzelheiten bezueglich der Berücksichtigung bestimmter ärztlicher Gutachten erst während des Verfahrens hat in Erfahrung bringen können. Ausserdem ist das Verfahren durch eine falsche Darstellung seitens des Beklagten in seiner Klagebeantwortung (siehe oben, Randnr. 42), deren Aufklärung die Abhaltung einer zweiten Sitzung erforderlich gemacht hat, verlängert worden. Nach Auffassung des Gerichts ist unter diesen Umständen daher dem Beklagten nach den Vorschriften der Verfahrensordnung ein Viertel der Kosten des Klägers aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Der Beklagte trägt seine eigenen Kosten und ein Viertel der Kosten des Klägers.

3) Im übrigen trägt der Kläger seine Kosten selbst.

Ende der Entscheidung

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