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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 13.01.1999
Aktenzeichen: T-1/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Verordnung (EWG) Nr. 857/84, Verordnung (EWG) Nr. 804/68


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 178
EG-Vertrag Art. 215 Abs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 857/84
Verordnung (EWG) Nr. 804/68 Art. 5c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Gemeinschaft haftet nicht aufgrund der Verordnung Nr. 857/84, mit der im Rahmen der Regelung über die Zusatzabgabe für Milch und Milcherzeugnisse für jeden Erzeuger auf der Grundlage der in einem Referenzjahr gelieferten Erzeugung die Referenzmenge festgesetzt wurde, gegenüber einem Erzeuger, der, nachdem seine gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangene Nichtvermarktungsverpflichtung im Referenzjahr abgelaufen war, seine Milcherzeugung zu diesem Zeitpunkt aus Gründen, die mit seiner Nichtvermarktungsverpflichtung nichts zu tun haben, nicht wiederaufgenommen und seine dahin gehende Absicht erst einige Jahre später zum Ausdruck gebracht hat.

Ein solcher Erzeuger, der nach Ende des Nichtvermarktungszeitraums nicht rechtswidrig an der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit gehindert war, kann nicht geltend machen, er habe darauf vertraut, sie irgendwann in der Zukunft wiederaufnehmen zu können. Die Marktbürger dürfen nämlich auf dem Gebiet der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderung der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt, nicht darauf vertrauen, daß sie nicht Beschränkungen unterworfen werden, die sich aus markt- oder strukturpolitischen Bestimmungen ergeben.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 13. Januar 1999. - Bernhard Böcker-Lensing und Ludger Schulze-Beiering gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Schadensersatzklage - Außervertragliche Haftung - Milch - Zusatzabgabe - Referenzmenge - Erzeuger, die Nichtvermarktungsverpflichtungen eingegangen sind - Freiwillige Nichtwiederaufnahme der Erzeugung nach Ende der Verpflichtung - Handlungen der nationalen Behörden. - Rechtssache T-1/96.

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Angesichts eines Überschusses bei der Milcherzeugung in der Gemeinschaft erließ der Rat 1977 die Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 vom 17. Mai 1977 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände (ABl. L 131, S. 1). In dieser Verordnung wurde den Erzeugern die Möglichkeit geboten, gegen Erhalt einer Prämie für einen Zeitraum von fünf Jahren eine Verpflichtung zur Nichtvermarktung oder Umstellung der Bestände einzugehen.

2 Obwohl viele Erzeuger solche Verpflichtungen eingingen, kam es 1983 erneut zu einer Überproduktion. Der Rat erließ daher die Verordnung (EWG) Nr. 856/84 vom 31. März 1984 (ABl. L 90, S. 10) zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13). Durch den neuen Artikel 5c der Verordnung Nr. 804/68 wurde eine "Zusatzabgabe" auf die von den Erzeugern gelieferten Milchmengen eingeführt, die über eine "Referenzmenge" hinausgehen.

3 In der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 13) wurde für jeden Erzeuger auf der Grundlage der in einem Referenzjahr - und zwar dem Kalenderjahr 1981, wobei die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hatten, statt dessen das Kalenderjahr 1982 oder das Kalenderjahr 1983 zu wählen - gelieferten Erzeugung die Referenzmenge festgesetzt. Die Bundesrepublik Deutschland wählte das Kalenderjahr 1983 als Referenzjahr.

4 Die von einigen Erzeugern im Rahmen der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangenen Nichtvermarktungsverpflichtungen galten auch während der gewählten Referenzjahre. Da die Kläger während dieser Jahre keine Milch erzeugt hatten, konnten sie keine Referenzmenge erhalten und infolgedessen auch keine von der Zusatzabgabe freie Milchmenge vermarkten.

5 Mit Urteilen vom 28. April 1988 in den Rechtssachen 120/86 (Mulder, Slg. 1988, 2321; im folgenden: Urteil Mulder I) und 170/86 (Von Deetzen, Slg. 1988, 2355) erklärte der Gerichtshof die Verordnung Nr. 857/84 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 mit den Durchführungsbestimmungen für die Zusatzabgabe nach Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 (ABl. L 132, S. 11) ergänzten Fassung wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes für ungültig.

6 Um den genannten Urteilen nachzukommen, erließ der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 764/89 vom 20. März 1989 zur Änderung der Verordnung Nr. 857/84 (ABl. L 84, S. 2). Nach dieser Änderungsverordnung erhielten die Erzeuger, die Nichtvermarktungsverpflichtungen eingegangen waren, eine (auch "Quote" genannte) "spezifische" Referenzmenge.

7 Die Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge war von mehreren Voraussetzungen abhängig. Einige dieser Voraussetzungen, die sich insbesondere auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Nichtvermarktungsverpflichtung bezogen, wurden vom Gerichtshof mit Urteilen vom 11. Dezember 1990 in den Rechtssachen C-189/89 (Spagl, Slg. 1990, I-4539) und C-217/89 (Pastätter, Slg. 1990, I-4585) für ungültig erklärt.

8 Im Anschluß an diese Urteile erließ der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 1639/91 vom 13. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung Nr. 857/84 (ABl. L 150, S. 35), nach der den betroffenen Erzeugern durch Abschaffung der für ungültig erklärten Voraussetzungen eine spezifische Referenzmenge zugeteilt werden konnte.

9 Mit Urteil vom 19. Mai 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-104/89 und C-37/90 (Mulder u. a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061; im folgenden: Urteil Mulder II) entschied der Gerichtshof, daß die Gemeinschaft für die Schäden haftet, die bestimmte Milcherzeuger, die durch die Anwendung der Verordnung Nr. 857/84 an der Vermarktung von Milch gehindert waren, erlitten hatten, weil sie Verpflichtungen gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangen waren.

10 Im Anschluß an dieses Urteil veröffentlichten der Rat und die Kommission am 5. August 1992 die Mitteilung 92/C 198/04 (ABl. C 198, S. 4). Unter Hinweis auf die Auswirkungen des Urteils Mulder II und um dessen volle Wirksamkeit zu gewährleisten, brachten die Organe ihren Willen zum Ausdruck, die praktischen Modalitäten für die Entschädigung der betroffenen Erzeuger zu erlassen. Sie verpflichteten sich, bis zum Erlaß dieser Modalitäten gegenüber allen entschädigungsberechtigten Erzeugern von der Geltendmachung der Verjährung gemäß Artikel 43 der EWG-Satzung des Gerichtshofes abzusehen, soweit der Entschädigungsanspruch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Mitteilung oder zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Erzeuger an eines der Organe wandte, noch nicht verjährt war.

11 Später erließ der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 vom 22. Juli 1993 über das Angebot einer Entschädigung an bestimmte Erzeuger von Milch oder Milcherzeugnissen, die vorübergehend an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert waren (ABl. L 196, S. 6). Mit dieser Verordnung wird den Erzeugern, denen unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund der Anwendung der im Urteil Mulder II genannten Regelung ein Schaden entstanden ist, eine pauschale Entschädigung angeboten.

Sachverhalt

12 Der Kläger Böcker-Lensing, Landwirt in Borken (Deutschland), ging im Rahmen der Verordnung Nr. 1078/77 eine Nichtvermarktungsverpflichtung ein. Die Verpflichtung endete am 18. März 1983. Der Kläger nahm die Milcherzeugung nach Ende dieser Verpflichtung nicht wieder auf.

13 Durch Vertrag vom 13. September 1988 gründete er zusammen mit dem Landwirt Schulze-Beiering zum 15. September 1988 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Zweck die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes war. In diese Gesellschaft brachte er die landwirtschaftliche Nutzfläche ein, für die er die Nichtvermarktungsverpflichtung eingegangen war.

14 Mit Schreiben vom 28. Juni 1989 beantragte er bei den nationalen Behörden die Zuteilung einer Referenzmenge.

15 Mit Schreiben vom 21. Dezember 1990 an den Rat und die Kommission forderte er Ersatz der entstandenen Schäden. In ihren Antwortschreiben vom 11. Januar 1991 und vom 19. Februar 1991 erklärten sich die Organe bereit, die Einrede der Verjährung bis zum Ablauf von drei Monaten nach Veröffentlichung des Urteils Mulder II im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften nicht geltend zu machen, sofern seine Ansprüche nicht bereits verjährt seien.

16 Nach Erlaß der Verordnung Nr. 1639/91 lehnten die nationalen Behörden die Zuteilung einer Referenzmenge an den Kläger Böcker-Lensing mit der Begründung ab, er sei infolge der Einbringung des Nichtvermarktungsbetriebs in die GbR nicht mehr als "Erzeuger" im Sinne des Artikels 12 Buchstabe c der Verordnung Nr. 857/84 anzusehen.

17 Nach Erlaß der Verordnung Nr. 2187/93 vom 22. Juli 1993 beantragte der Kläger Böcker-Lensing, ihm die darin vorgesehene Entschädigung anzubieten. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, daß entgegen dem Erfordernis in der Verordnung keinem der Kläger eine endgültige Referenzmenge zugeteilt worden sei.

18 Nach Erlaß des Urteils des Gerichtshofes vom 27. Januar 1994 in der Rechtssache C-98/91 (Herbrink, Slg. 1994, I-223), in dem der Anspruch einer GbR auf eine spezifische Referenzmenge anerkannt wurde, teilten die nationalen Behörden der Gesellschaft Böcker-Beiering am 10. April 1995 eine vorläufige spezifische Referenzmenge zu, die am 5. Juli 1996 endgültig wurde.

19 Mit Schreiben vom 5. April 1995 erhoben die Kläger bei der Kommission Anspruch auf Schadensersatz. Mit Schreiben vom 30. Mai 1995 antwortete die Kommission, es werde zur Zeit geprüft, in welchem Umfang ihnen Schadensersatz geleistet werden könne. Daraufhin erfolgte nichts mehr.

20 Mit Vertrag vom 27. Juni 1996 trat der Kläger Böcker-Lensing seine Schadensersatzansprüche gegen die Gemeinschaft an die GbR ab.

Verfahren und Anträge der Parteien

21 Die Kläger haben mit Klageschrift, die am 2. Januar 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben. Zusätzlich zu den nachstehend angeführten Anträgen haben sie die Aussetzung des Verfahrens beantragt.

22 Mit am 5. Februar 1996 eingegangenem Schriftsatz haben der Rat und die Kommission dem Aussetzungsantrag widersprochen. Mit Beschluß vom 27. Februar 1996 hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts diesen Antrag zurückgewiesen.

23 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste Kammer) beschlossen, das mündliche Verfahren ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Das Gericht hat die Parteien jedoch aufgefordert, einige Fragen schriftlich zu beantworten.

24 Die Kläger beantragen,

- die Beklagten zu verurteilen, an sie eine Entschädigung für die Zeit vom 2. April 1984 bis zum 13. Juni 1991 in Höhe von 118 436,52 DM sowie 8 % Zinsen für den Zeitraum ab 19. Mai 1992 zu zahlen;

- die Beklagten zur Übernahme der Kosten des Verfahrens sowie der Gutachterkosten in Höhe von 1 961,90 DM zu verpflichten.

25 Die Beklagten beantragen,

- die Klage als unzulässig abzuweisen;

- hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

- den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

26 Die Kläger machen geltend, daß die Voraussetzungen für den Eintritt der Haftung der Gemeinschaft für die Schäden, die ihnen entstanden seien, vorlägen. Die Beklagten bestreiten das Vorliegen dieser Voraussetzungen und machen geltend, daß die Klage unzulässig sei, weil sie nicht den Anforderungen des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung genüge und die erhobenen Ansprüche verjährt seien.

Zur Zulässigkeit

27 Nach Auffassung der Beklagten entspricht die Klageschrift nicht den Anforderungen des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung. In ihr sei nicht dargelegt, wie der Kläger Böcker-Lensing seine geltend gemachten Schadensersatzansprüche in die GbR eingebracht habe.

28 Ferner seien diese Ansprüche verjährt. Die Schreiben des Klägers Böcker-Lensing vom 21. Dezember 1990 an den Rat und die Kommission hätten die Verjährung nicht unterbrechen können, da die Kläger es versäumt hätten, innerhalb der in Artikel 173 EG-Vertrag vorgesehenen Frist von zwei Monaten, auf die Artikel 43 Satz 3 der Satzung des Gerichtshofes verweise, Klage zu erheben. Daher seien bei Klageerhebung am 2. Januar 1996 alle vor diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche verjährt gewesen.

29 Gemäß Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung muß die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten.

30 In der vorliegenden Rechtssache wird die Abtretung der Schadensersatzansprüche des Klägers Böcker-Lensing an die Gesellschaft durch den am 27. Juni 1996 zwischen den beiden Parteien geschlossenen Vertrag nachgewiesen, den die Kläger mit der Erwiderung zu den Akten gegeben haben. Aus diesem Schriftstück geht hervor, daß der Kläger Böcker-Lensing die Schadensersatzansprüche, die ihm vor Gründung der Gesellschaft zustanden, an diese abgetreten hat.

31 Was die Verjährung anbelangt, so kann sich daraus im vorliegenden Fall eine Beschränkung des von den Klägern geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ergeben. Es ist daher angebracht, zuerst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Eintritt der Haftung der Gemeinschaft nach Artikel 215 EG-Vertrag vorliegen.

32 Nach alledem ist die Klage zulässig.

Zur Haftung der Gemeinschaft

Vorbringen der Parteien

33 Die Kläger behaupten, daß ihnen durch die Nichtzuteilung einer Referenzmenge durch die Verordnung Nr. 857/84, deren Rechtswidrigkeit vom Gerichtshof festgestellt worden sei, ein Schaden entstanden sei. Sie machen unter Berufung auf das Urteil Mulder II geltend, daß die Organe diesen Schaden zu ersetzen hätten.

34 Die Hinderung an der Milcherzeugung habe bis zu dem Zeitpunkt gedauert, zu dem den Klägern im Jahr 1995 im Anschluß an das Urteil Herbrink eine vorläufige Referenzmenge zugeteilt worden sei. Jedoch liege seit Erlaß der Verordnung Nr. 1639/91, durch die Erzeugern in einer entsprechenden Lage eine Referenzmenge gewährt worden sei, die Haftung für die Vorenthaltung dieser Referenzmenge bei den nationalen Behörden. Folglich erstrecke sich der zu entschädigende Zeitraum nur bis zum 13. Juni 1991, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1639/91.

35 Dem Vorbringen der Beklagten zum angeblich fehlenden Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und der Gemeinschaftshandlung halten die Kläger entgegen, daß der Gerichtshof in seinen Urteilen Spagl und Pastätter festgestellt habe, daß von Erzeugern, die eine Nichtvermarktungsverpflichtung eingegangen seien, nicht habe verlangt werden können, daß sie ihre Milcherzeugung sofort nach Ablauf des Nichtvermarktungszeitraums wiederaufnahmen. Daher habe jeder Landwirt, dessen Nichtvermarktungsverpflichtung 1983 abgelaufen sei, vor Wiederaufnahme der Erzeugung Zeit zur Modernisierung seiner Anlagen und zur Nachzucht haben müssen.

36 Die Kläger tragen vor, sie hätten beabsichtigt, die Erzeugung nach erfolgter Nachzucht wiederaufzunehmen, hätten dies aber wegen der Verordnung Nr. 857/84 nicht tun können. Jedenfalls gehe aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 22. Oktober 1992 in der Rechtssache C-85/90 (Dowling, Slg. 1992, I-5305) hervor, daß den Erzeugern für die Wiederaufnahme der Milcherzeugung zumindest die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum Inkrafttreten der Verordnung Nr. 857/84 im Jahr 1984 zur Verfügung habe stehen müssen.

37 Zu der von den Beklagten bestrittenen Erzeugereigenschaft tragen die Kläger vor, daß ihnen die nationalen Behörden eine endgültige Referenzmenge zugeteilt und damit ihre Erzeugereigenschaft anerkannt hätten. Diese Anerkennung sei für die Gemeinschaftsorgane verbindlich.

38 Die Beklagten bestreiten, daß die Gemeinschaft gegenüber den Klägern hafte. Erstens habe der Kläger Böcker-Lensing am Ende seiner Nichtvermarktungsverpflichtung im Jahr 1983 freiwillig beschlossen, die Milcherzeugung nicht wiederaufzunehmen. Die Gründe für die Entscheidung, die Milcherzeugung aufzugeben, hätten folglich mit der Verpflichtung oder ihren Auswirkungen nichts zu tun, so daß nicht behauptet werden könne, es sei gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstossen worden. Zwischen dem behaupteten Einkommensverlust und der Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft bestehe kein Kausalzusammenhang.

Würdigung durch das Gericht

39 Die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft für einen durch ihre Organe verursachten Schaden setzt nach Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag voraus, daß ein Tatbestand erfuellt ist, dessen Merkmale die Rechtswidrigkeit des dem Gemeinschaftsorgan zur Last gelegten Verhaltens, das Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden sind (Urteile des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 in den verbundenen Rechtssachen 197/80, 198/80, 199/80, 200/80, 243/80, 245/80 und 247/80, Ludwigshafener Walzmühle u. a./Rat und Kommission, Slg. 1981, 3211, Randnr. 18, und des Gerichts vom 13. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen T-481/93 und T-484/93, Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2941, Randnr. 80).

40 Was die Lage der Milcherzeuger angeht, die eine Nichtvermarktungsverpflichtung eingegangen waren, so haftet die Gemeinschaft gegenüber jedem Erzeuger, der dadurch einen ersetzbaren Schaden erlitten hat, daß er durch Anwendung der Verordnung Nr. 857/84 an der Lieferung von Milch gehindert war (Urteil Mulder II, Randnr. 22).

41 Diese Haftung beruht auf der Verletzung des berechtigten Vertrauens, das die Erzeuger, die durch eine Handlung der Gemeinschaft dazu veranlasst worden sind, die Vermarktung von Milch im Allgemeininteresse und gegen Zahlung einer Prämie für eine begrenzte Zeit einzustellen, in die Begrenztheit ihrer Nichtvermarktungsverpflichtung setzen durften (Urteile Mulder I, Randnr. 24, und Von Deetzen, Randnr. 13). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verbietet es jedoch nicht, einen Erzeuger nach einer Regelung wie der über die Zusatzabgabe deswegen Beschränkungen zu unterwerfen, weil er in einem bestimmten Zeitraum vor dem Inkrafttreten dieser Regelung aus Gründen, die mit seiner Nichtvermarktungsverpflichtung nichts zu tun haben, keine Milch vermarktet hat.

42 Die Kläger machen gelten, ihnen sei vom 2. April 1984 bis zum 13. Juni 1991 rechtswidrig eine Referenzmenge vorenthalten worden, und dies sei eine Folge der Anwendung der Verordnung Nr. 857/84. Dadurch sei das Vertrauen des Klägers Böcker-Lensing, die Milcherzeugung nach Ende seines Nichtvermarktungszeitraums wiederaufnehmen zu können, enttäuscht worden.

43 Unter den hier gegebenen Umständen ist zunächst das Vorbringen der Kläger zur Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Organe und zum Vorliegen des behaupteten Schadens zu prüfen.

44 Der Kläger Böcker-Lensing hat die Milcherzeugung nicht zum Ende seines Nichtvermarktungszeitraums im März 1983 wiederaufgenommen und auch nicht die Absicht zum Ausdruck gebracht, sie einige Jahre später wiederaufzunehmen. Wie die Kommission zu Recht hervorhebt, ergibt sich aus dem von den Klägern vorgelegten Gutachten, daß der Kuhstall zwischen dem Beginn und dem Ende der Verpflichtung unverändert bestehen geblieben ist. Der Landwirt hätte also die Erzeugung 1983 wiederaufnehmen und damit bei Inkrafttreten der Zusatzabgabenregelung im Jahr 1984 eine Referenzmenge erhalten können.

45 Ausserdem hatten die Gründe für die Nichtwiederaufnahme der Milcherzeugung nach Ablauf der Nichtvermarktungsverpflichtung nichts damit zu tun, daß eine Verpflichtung gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangen worden war. Wie nämlich der Anwalt der Kläger in der Sitzung ausgeführt hat, wollte der Kläger Böcker-Lensing eine gewisse Zeit abwarten, um das für die Modernisierung des Kuhstalls erforderliche Kapital zu bilden.

46 Anders als die Kläger in den Rechtssachen, die zu den Urteilen Spagl und Pastätter führten, hat der Kläger Böcker-Lensing seine Absicht, die Erzeugung nach Ende des Nichtvermarktungszeitraums wiederaufzunehmen, durch nichts belegt.

47 Da er die Milcherzeugung freiwillig nicht wiederaufgenommen hat, kann er nicht geltend machen, er habe darauf vertraut, sie irgendwann in der Zukunft wiederaufnehmen zu können. Die Marktbürger dürfen nämlich auf dem Gebiet der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderung der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt, nicht darauf vertrauen, daß sie nicht Beschränkungen unterworfen werden, die sich aus markt- oder strukturpolitischen Bestimmungen ergeben (vgl. sinngemäß Urteile des Gerichtshofes vom 17. Juni 1987 in den verbundenen Rechtssachen, 424/85 und 425/85, Frico, Slg. 1987, 2755, Randnr. 33, Mulder I, Randnr. 23, und Von Deetzen, Randnr. 12).

48 Unter diesen Umständen gehörte der Kläger Böcker-Lensing nicht zu den Erzeugern, auf die die Verordnung Nr. 764/89 vom 20. März 1989 und die Verordnung Nr. 1639/91 anwendbar waren, da diese nur dazu dienten, dem Ausschluß derjenigen Erzeuger von der Zuteilung einer solchen Referenzmenge ein Ende zu setzen, die bei Auslaufen der von ihnen eingegangenen Verpflichtung an der Wiederaufnahme der Vermarktung gehindert waren.

49 Nach alledem haftet die Gemeinschaft gegenüber den Klägern nicht aufgrund der Anwendung der Verordnung Nr. 857/84.

50 Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß den Klägern am 10. April 1995 von den nationalen Behörden eine Referenzmenge zugeteilt wurde. Da das Verhalten der nationalen Behörden die Gemeinschaft nicht bindet, ist die Zuteilung einer Referenzmenge für die Frage, ob ein Schadensersatzanspruch nach Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag besteht, ohne Belang.

51 Überdies können die Kläger nicht geltend machen, sie seien während des Zeitraums vom 2. April 1984 bis zum 28. Juni 1989 dadurch geschädigt worden, daß sie an der Wiederaufnahme der Milcherzeugung gehindert gewesen seien. Der Kläger Böcker-Lensing hat nämlich erst am 28. Juni 1989 die Zuteilung einer Referenzmenge beantragt.

52 Da dem geltend gemachten Schaden kein rechtswidriges Handeln der Beklagten zugrunde liegt, ist eine Haftung der Gemeinschaft nicht gegeben. Folglich braucht nicht geprüft zu werden, ob die übrigen Voraussetzungen für eine solche Haftung erfuellt sind.

53 Daher erübrigt es sich auch, die Frage der Verjährung zu prüfen.

54 Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

55 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger mit ihrem Vorbringen unterlegen sind und der Rat und die Kommission beantragt haben, ihnen die Kosten aufzuerlegen, haben die Kläger die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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