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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 10.03.1992
Aktenzeichen: T-10/89
Rechtsgebiete: EWG, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages


Vorschriften:

EWG Art. 85 Abs. 1
EWG Art. 190
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages Art. 15
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. In einer an ein Unternehmen gerichteten Entscheidung nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag können gegenüber diesem Unternehmen nur die Schriftstücke als Beweismittel verwendet werden, von denen schon im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte und aufgrund ihrer Erwähnung in dieser Mitteilung oder in deren Anlagen erkennbar war, daß die Kommission sich auf sie berufen wollte, und zu deren Beweiskraft sich das Unternehmen somit rechtzeitig äussern konnte.

2. Hat die Kommission - über das hinausgehend, was die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert - ein Verfahren zur Akteneinsicht in Wettbewerbssachen geschaffen und die entsprechenden Verfahrensregelungen in einem ihrer Berichte über die Wettbewerbspolitik aufgestellt und bekanntgemacht, so kann sie von den selbst auferlegten Regeln nicht abweichen und ist daher verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

3. Eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dies ist dann der Fall, wenn es zwischen mehreren Unternehmen eine Willensübereinstimmung zur Erreichung von Preis- und Verkaufsmengenzielen gab.

4. Artikel 85 EWG-Vertrag ist auch auf ausser Kraft getretene Kartelle anwendbar, deren Wirkungen über das formelle Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen.

5. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, anhand deren sich der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bestimmen lässt, sind im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht.

Die Teilnahme an Sitzungen, deren Zweck es ist, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen, und in denen die Wettbewerber Informationen über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigen, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen oder über ihre Verkaufszahlen austauschen, stellt eine abgestimmte Verhaltensweise dar, da die teilnehmenden Unternehmen die so weitergegebenen Informationen zwangsläufig bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

6. Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag sieht keine spezifische Subsumtion für eine Zuwiderhandlung vor, die zwar komplex, aber doch einheitlich ist, weil sie aus einem kontinuierlichen Verhalten besteht, das durch eine einzige Zielsetzung gekennzeichnet ist und sowohl Einzelakte aufweist, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" dargestellt haben. Daher kann eine solche Zuwiderhandlung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert werden, ohne daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt.

7. Die Kommission hat gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, sie braucht jedoch bei einer Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden.

8. Selbst wenn der Gemeinschaftsrichter die Frage der Existenz des angefochtenen Rechtsakts im Nichtigkeitsverfahren des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen zu prüfen hat, bedeutet dies aber nicht, daß in jedem Verfahren nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen Ermittlungen über eine eventuelle Inexistenz des angefochtenen Rechtsakts zu führen sind. Nur soweit die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz des angefochtenen Rechtsakts vortragen, ist der Gemeinschaftsrichter gehalten, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 10. MAERZ 1992. - HOECHST AG GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - BEGRIFF DER VEREINBARUNG UND DER ABGESTIMMTEN VERHALTENSWEISE - KOLLEKTIVE VERANTWORTLICHKEIT. - RECHTSSACHE T-10/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft eine Entscheidung der Kommission, mit der fünfzehn Herstellern von Polypropylen wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag eine Geldbusse auferlegt wurde. Das von der angefochtenen Entscheidung (nachstehend: Entscheidung) erfasste Erzeugnis ist eines der wichtigsten thermoplastischen Polymere. Polypropylen wird von den Herstellern an die Verarbeiter zur Weiterverarbeitung zu Fertig- und Halbfertigerzeugnissen verkauft. Die wichtigsten Hersteller von Polypropylen verfügen über eine Palette von mehr als hundert verschiedenen Sorten für einen breiten Fächer von Verwendungszwecken. Die wichtigsten Polypropylengrundsorten sind Raffia, Homopolymer für Spritzguß, Kopolymer für Spritzguß, hochschlagfestes Kopolymer und Folien. Alle Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, sind grosse Hersteller petrochemischer Erzeugnisse.

2 Der westeuropäische Polypropylenmarkt wird fast ausschließlich von europäischen Produktionsstätten beliefert. Vor 1977 wurde dieser Markt von zehn Herstellern beliefert, nämlich von den Unternehmen Montedison (jetzt Montepolimeri SpA), Hoechst AG, Imperial Chemical Industries PLC und Shell International Chemical Company Ltd (den sogenannten "grossen Vier"), die zusammen 64 % des Marktes innehatten, Enichem Anic SpA in Italien, Rhône-Poulenc SA in Frankreich, Alcudia in Spanien, Chemische Werke Hüls und BASF AG in Deutschland sowie Chemie Linz AG in Österreich. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente von Montedison traten 1977 in Westeuropa sieben neue Hersteller auf: Amoco und Hercules Chemicals NV in Belgien, ATO Chimie SA und Solvay & Cie SA in Frankreich, SIR in Italien, DSM NV in den Niederlanden und Taqsa in Spanien. Der norwegische Hersteller Saga Petrokjemi AS & Co. und die Petrofina SA nahmen ihre Tätigkeit Mitte 1978 bzw. im Jahre 1980 auf. Das Auftreten neuer Hersteller mit einer nominalen Kapazität von rund 480 000 t bewirkte ein erhebliches Anwachsen der Produktionskapazität in Westeuropa, die mehrere Jahre lang nicht durch einen entsprechenden Anstieg der Nachfrage ausgeglichen wurde. Dies hatte einen geringen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten zur Folge; zwischen 1977 und 1983 soll der Auslastungsgrad jedoch schrittweise von 60 % auf 90 % gestiegen sein. Nach der Entscheidung sollen sich Angebot und Nachfrage von 1982 an im grossen und ganzen im Gleichgewicht befunden haben. Während des grössten Teils des Untersuchungszeitraums (1977 bis 1983) sei der Polypropylenmarkt jedoch durch eine niedrige Rentabilität oder durch erhebliche Verluste gekennzeichnet gewesen, und zwar namentlich wegen der Bedeutung der fixen Kosten und des Anstiegs des Preises des Ausgangsstoffes Propylen. Nach Randnummer 8 der Entscheidung beliefen sich 1983 die europäischen Marktanteile der Montepolimeri SpA auf 18 %, der Imperial Chemical Industries, der Shell International Chemical Company Ltd und Hoechst AG auf jeweils 11 %, der Hercules Chemicals NV auf knapp 6 %, der ATO Chimie SA, der BASF AG, der DSM NV, der Chemische Werke Hüls, der Chemie Linz AG, der Solvay & Cie. SA und der Saga Petrokjemi AS & Co. auf jeweils 3 bis 5 % und der Petrofina SA auf etwa 2 %. Der Polypropylenhandel zwischen Mitgliedstaaten sei groß gewesen, da jeder der damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller in die meisten, wenn nicht in alle Mitgliedstaaten verkauft habe.

3 Die Klägerin gehörte zu den Herstellern, die den Markt vor 1977 belieferten, und war eine der "grossen Vier". Ihr Marktanteil betrug zwischen 10,5 % und 12,6 %.

4 Am 13. und 14. Oktober 1983 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, S. 204; nachstehend: Verordnung Nr. 17) gleichzeitig Nachprüfungen bei den folgenden, den Markt der Gemeinschaft beliefernden Herstellern von Polypropylen durch:

- ATO Chimie SA, jetzt Atochem (nachstehend: ATO),

- BASF AG (nachstehend: BASF),

- DSM NV (nachstehend: DSM),

- Hercules Chemicals NV (nachstehend: Hercules),

- Hoechst AG (nachstehend: Klägerin),

- Chemische Werke Hüls (nachstehend: Hüls),

- Imperial Chemical Industries PLC (nachstehend: ICI),

- Montepolimeri SpA, jetzt Montedipe (nachstehend: Monte),

- Shell International Chemical Company Ltd (nachstehend: Shell),

- SA Solvay & Cie. (nachstehend: Solvay),

- BP Chimie (nachstehend: BP).

Keine Nachprüfungen erfolgten bei Rhône-Poulenc SA (nachstehend: Rhône-Poulenc) und bei der Enichem Anic SpA.

5 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 (nachstehend: Auskunftsverlangen) nicht nur an die genannten, sondern auch an folgende Unternehmen:

- Amoco,

- Chemie Linz AG (nachstehend: Linz),

- Saga Petrokjemi AS & Co., jetzt Teil von Statoil (nachstehend: Statoil),

- SA Petrofina (nachstehend: Petrofina),

- Enichem Anic SpA (nachstehend: Anic).

Linz, ein österreichisches Unternehmen, bestritt die Zuständigkeit der Kommission und weigerte sich, dem Auskunftsverlangen nachzukommen. Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 führten Kommissionsbeamte anschließend Nachprüfungen bei Anic und bei der Saga Petrochemicals UK Ltd, der englischen Tochter von Saga, sowie bei den Verkaufsgesellschaften von Linz im Vereinigten Königreich und in der Bundesrepublik Deutschland durch. An Rhône-Poulenc erging kein Auskunftsverlangen.

6 Anhand des im Rahmen dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials gelangte die Kommission zu der vorläufigen Auffassung, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag durch eine Reihe von Preisinitiativen regelmässig Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich aufzuteilen. Am 30. April 1984 beschloß die Kommission deshalb, ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten. Im Mai 1984 übermittelte sie den genannten Unternehmen mit Ausnahme von Anic und Rhône-Poulenc die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte. Alle Adressaten äusserten sich dazu schriftlich.

7 Am 24. Oktober 1984 traf der von der Kommission ernannte Anhörungsbeauftragte mit den Rechtsberatern der Adressaten der Beschwerdepunkte zusammen, um Vereinbarungen über den Ablauf der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgesehenen Anhörung zu treffen, deren Beginn für den 12. November 1984 vorgesehen war. In dieser Sitzung teilte die Kommission den Unternehmen ausserdem zu den in den Antworten auf die Beschwerdepunkte vorgebrachten Argumenten mit, sie werde ihnen in Kürze ergänzende Unterlagen zu den bereits übermittelten Beweismitteln bezueglich der Durchsetzung der Preisinitiativen zuleiten. Demgemäß übersandte sie den Rechtsberatern der Unternehmen am 31. Oktober 1984 eine Reihe von Unterlagen, die Kopien der einschlägigen Preisinstruktionen der Hersteller für ihre Verkaufsstellen einschließlich der Tabellen enthielten, in denen diese Belege zusammengefasst waren. Um die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses zu gewährleisten, verband die Kommission diese Übermittlung mit bestimmten Auflagen; insbesondere durften die übersandten Unterlagen nicht an die kaufmännischen Abteilungen der Unternehmen weitergegeben werden. Die Anwälte einiger Unternehmen lehnten diese Auflagen ab und schickten die Unterlagen vor der mündlichen Anhörung zurück.

8 Aufgrund der Angaben in den schriftlichen Antworten auf die Beschwerdepunkte beschloß die Kommission, das Verfahren auf Anic und Rhône-Poulenc auszudehnen. Demgemäß übersandte sie diesen Unternehmen am 25. Oktober 1984 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die der den anderen fünfzehn Unternehmen übersandten Mitteilung ähnlich war.

9 Eine erste Reihe von Anhörungen fand vom 12. bis zum 20. November 1984 statt. In ihr wurden mit Ausnahme von Shell (die sich geweigert hatte, an einer Anhörung teilzunehmen) sowie Anic, ICI und Rhône-Poulenc (die sich nicht in der Lage sahen, ihre Unterlagen vorzubereiten) alle Unternehmen angehört.

10 Bei diesen Anhörungen weigerten sich mehrere Unternehmen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, die in den ihnen am 31. Oktober 1984 übersandten Unterlagen angeschnitten worden waren, da die Kommission die gesamte Bewertung des Falles geändert habe; sie müssten zumindest Gelegenheit erhalten, sich hierzu schriftlich zu äussern. Andere machten geltend, sie hätten nicht genügend Zeit gehabt, die betreffenden Unterlagen vor der Anhörung zu prüfen. Die Anwälte der Klägerin sowie von BASF, DSM, Hercules, ICI, Linz, Monte, Petrofina und Solvay übersandten der Kommission am 28. November 1984 ein gemeinsames Schreiben in diesem Sinne. In einem Schreiben vom 4. Dezember 1984 schloß sich Hüls dieser Linie an.

11 Daraufhin leitete die Kommission den Unternehmen am 29. März 1985 eine neue Serie von Dokumenten zu, die die Preisanweisungen der Unternehmen an ihre Verkaufsbüros wiedergaben, begleitet von Preistabellen, sowie eine Zusammenfassung der Beweise für alle Preisinitiativen, für die Unterlagen verfügbar waren. Die Unternehmen wurden aufgefordert, sich dazu schriftlich und in einer weiteren mündlichen Anhörung zu äussern. Die ursprünglichen Auflagen bezueglich der Weitergabe an die kaufmännischen Abteilungen hob die Kommission auf.

12 In einem weiteren Schreiben gleichen Datums ging die Kommission auf das Vorbringen der Anwälte ein, sie habe die Rechtsnatur des angeblichen Kartells nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht eindeutig definiert. Sie forderte die Unternehmen auf, sich hierzu schriftlich und mündlich zu äussern.

13 Eine zweite Reihe von Anhörungen fand vom 8. bis zum 11. Juli 1985 und am 25. Juli 1985 statt. Dabei äusserten sich Anic, ICI und Rhône-Poulenc; die anderen Unternehmen (mit Ausnahme von Shell) nahmen zu den von der Kommission in den beiden Schreiben vom 29. März 1985 angesprochenen Fragen Stellung.

14 Der Entwurf der Niederschrift über die Anhörungen sowie alle anderen entscheidungserheblichen Unterlagen wurden den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen (nachstehend: Beratender Ausschuß) am 19. November 1985 übergeben und den Unternehmen am 25. November 1985 zugesandt. Der Beratende Ausschuß gab seine Stellungnahme in seiner 170. Sitzung vom 5. und 6. Dezember 1985 ab.

15 Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission die streitige Entscheidung vom 23. April 1986. Der verfügende Teil dieser Entscheidung lautet wie folgt:

"Artikel 1

Anic SpA, ATO Chemie SA (heute Atochem), BASF AG, DSM NV, Hercules Chemicals NV, Hoechst AG, Chemische Werke Hüls (jetzt Hüls AG), ICI PLC, Chemische Werke Linz, Montepolimeri SpA (jetzt Montedipe), Petrofina SA, Rhône-Poulenc SA, Shell International Chemical Co. Ltd, Solvay & Cie und Saga Petrokjemi AG & Co. (jetzt Teil der Statoil) haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie

- im Fall von Anic von etwa November 1977 bzw. 1978 bis weit ins Jahr 1982 oder Anfang 1983,

- im Fall von Rhône-Poulenc von etwa November 1977 bis Ende 1980,

- im Fall von Petrofina von 1980 bis mindestens November 1983,

- im Fall von Hoechst, ICI, Montepolimeri und Shell von etwa Mitte 1977 bis mindestens November 1983,

- im Fall von Hercules, Linz, Saga und Solvay von etwa November 1977 bis mindestens November 1983,

- im Fall von ATO von mindestens 1978 bis mindestens November 1983,

- im Fall von BASF, DSM und Hüls von einem Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 bis mindestens November 1983,

an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller:

a) miteinander Verbindung hatten und sich regelmässig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen trafen, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;

b) von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EWG Ziel- (oder Mindest-)preise festlegten;

c) verschiedene Maßnahmen trafen, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) unter anderem durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der "Kundenführerschaft" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden;

d) gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen;

e) den Markt aufteilten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt wurde oder, falls es zu keiner endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr kam, die Hersteller aufgefordert wurden, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum einzuschränken (1981, 1982).

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen (falls sie es noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer Polypropylengeschäfte von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die die Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oder aufgrund deren sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum Austausch allgemeiner Informationen, dem sich die Hersteller anschließen (wie FIDES), muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt. Die Unternehmen dürfen insbesondere untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevanten Informationen austauschen, die ein solches System nicht erfasst.

Artikel 3

Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des in Artikel 1 festgestellten Verstosses folgende Geldbussen festgesetzt:

i) Anic SpA, eine Geldbusse von 750 000 ECU bzw. 1 103 692 500 LIT;

ii) Atochem, eine Geldbusse von 1 750 000 ECU bzw. 11 973 325 FF;

iii) BASF AG, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 5 362 225 DM;

iv) DSM NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 6 657 640 HFL;

v) Hercules Chemicals NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 120 569 620 BFR;

vi) Hoechst AG, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 19 304 010 DM;

vii) Hüls AG, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 5 898 447,50 DM;

viii) ICI Plc, eine Geldbusse von 10 000 000 ECU bzw. 6 447 970 UKL;

ix) Chemische Werke Linz, eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 1 471 590 000 LIT;

x) Montedipe, eine Geldbusse von 11 000 000 ECU bzw. 16 187 490 000 LIT;

xi) Petrofina SA, eine Geldbusse von 600 000 ECU bzw. 26 306 100 BFR;

xii) Rhône-Poulenc SA, eine Geldbusse von 500 000 ECU bzw. 3 420 950 FF;

xiii) Shell International Chemical Co. Ltd, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 5 803 173 UKL;

xiv) Solvay & Cie, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 109 608 750 BFR;

xv) Statoil Den Norske Stats Oljeselskap AS (nunmehr einschließlich Saga Petrokjemi), eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 644 797 UKL

Artikel 4 und 5

(nicht wiedergegeben)"

16 Am 8. Juli 1986 wurde den Unternehmen die endgültige Niederschrift über die Anhörungen mit den von ihnen verlangten Berichtigungen, Zusätzen und Streichungen übermittelt.

Verfahren

17 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 2. August 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Dreizehn der vierzehn übrigen Adressaten dieser Entscheidung haben ebenfalls Nichtigkeitsklage erhoben (Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89, T-6/89 bis T-9/89 und T-11/89 bis T-15/89).

18 Das gesamte schriftliche Verfahren ist vor dem Gerichtshof abgelaufen.

19 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof diese und die dreizehn übrigen Rechtssachen gemäß Artikel 14 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988, ABl. L 319, S. 1) an das Gericht verwiesen.

20 Gemäß Artikel 2 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 hat der Präsident des Gerichts einen Generalanwalt bestellt.

21 Mit Schreiben vom 3. Mai 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien zur Teilnahme an einer informellen Sitzung aufgefordert, um die Einzelheiten der Durchführung der mündlichen Verhandlung festzulegen. Diese Sitzung hat am 28. Juni 1990 stattgefunden.

22 Mit Schreiben vom 9. Juli 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien gebeten, sich zu einer eventuellen Verbindung der Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89 und T-6/89 bis T-15/89 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren zu äussern. Keine der Parteien hat hiergegen Einwände erhoben.

23 Mit Beschluß vom 25. September 1990 hat das Gericht die genannten Rechtssachen wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs nach Artikel 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend galt, zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden.

24 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat das Gericht über die von den Klägerinnen in den Rechtssachen T-2/89, T-3/89, T-9/89, T-11/89, T-12/89 und T-13/89 gestellten Anträge auf vertrauliche Behandlung entschieden und ihnen teilweise stattgegeben.

25 Mit Schreiben, die zwischen dem 9. Oktober und dem 29. November 1990 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Parteien die ihnen vom Gericht mit Schreiben des Kanzlers vom 19. Juli 1990 gestellten Fragen beantwortet.

26 In Anbetracht der Antworten auf diese Fragen hat das Gericht auf Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

27 Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung, die vom 10. bis 15. Dezember 1990 stattgefunden hat, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

28 Der Generalanwalt hat seine Schlussanträge in der Sitzung vom 10. Juli 1991 vorgetragen.

Anträge der Parteien

29 Die Klägerin beantragt,

1) die der Klägerin am 27. Mai 1986 zugestellte Entscheidung der Beklagten vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des Vertrages (IV/31.149 - Polypropylen) für nichtig zu erklären, soweit sie die Klägerin betrifft, hilfsweise, die Geldbusse herabzusetzen;

2) der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen,

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

30 Nach Auffassung des Gerichts sind zuerst die Rügen zu prüfen, mit denen die Klägerin eine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend macht, weil die Kommission ihr Schriftstücke nicht übermittelt habe, auf die die Entscheidung gestützt sei (1), weil die Kommission ihr keine vollständige Akteneinsicht gewährt habe (2) und weil die Kommission eine Reihe von Vorwürfen zum ersten Mal in der Entscheidung gegen die Klägerin erhoben habe (3); zweitens die Rügen bezueglich der Feststellung der Zuwiderhandlung, die sich zum einen auf die von der Kommission getroffenen Tatsachenfeststellungen (1) und zum anderen auf die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf diese Tatsachen (2) beziehen, da die Kommission die Zuwiderhandlung nicht richtig qualifiziert (A) und deren den Wettbewerb einschränkende Wirkung nicht zutreffend beurteilt habe (B); drittens die Rügen der Klägerin bezueglich der Begründung der Entscheidung; viertens die Rügen bezueglich der Festsetzung der Geldbusse, die teilweise von der Verjährung erfasst sei (1) und weder der Dauer (2) noch der Schwere (3) der behaupteten Zuwiderhandlung angemessen sei.

Zu den Verteidigungsrechten

1. Unterlassene Übermittlung von Schriftstücken anläßlich der Mitteilung der Beschwerdepunkte

31 Die Klägerin macht geltend, die Kommission dürfe gemäß Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63 der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, S. 2268, nachstehend: Verordnung Nr. 99/63) nur die Beschwerdepunkte in Betracht ziehen, zu denen sich zu äussern die Unternehmen Gelegenheit gehabt hätten. Dies setze voraus, daß die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte den Sachverhalt und die hieraus gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen hinreichend darstelle und die Unterlagen, auf die sie die endgültige Entscheidung zu stützen beabsichtige, dieser Mitteilung beifüge oder den Unternehmen zugänglich mache.

32 Im vorliegenden Fall stütze die Kommission die Entscheidung auf 28 Schriftstücke oder Reihen von Schriftstücken, die der Klägerin nicht übermittelt worden seien. Es handele sich um den von einem Hercules-Angestellten angefertigten Bericht über eine Sitzung vom 13. Mai 1982 (Entscheidung, Randnrn. 15b und 70), den von einem ICI-Angestellten angefertigten Bericht einer Sitzung vom 10. März 1982 (Entscheidung, Randnr. 15b), ein angeblich bei Solvay gefundenes Schriftstück vom 6. September 1977 (Entscheidung, Randnr. 16, vorletzter Absatz), die Antwort von Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte (Entscheidung, Randnr. 17), die Antworten von Amoco, ATO, BASF, DSM, Hüls, Linz, Monte, Petrofina, Rhône-Poulenc, Saga und Solvay (Entscheidung, Randnr. 18), Rundschreiben der nationalen Verkaufsstellen an Kunden wegen der Preiserhöhungen (Entscheidung, Randnr. 25), die Protokolle zweier Shell-interner Sitzungen vom 5. Juli und 12. September 1979 (Entscheidung, Randnrn. 29 und 31), ein internes Solvay-Dokument (Entscheidung, Randnr. 32), eine Erinnerung von Solvay an ihre Verkaufsabteilungen vom 17. Juli 1981 (Entscheidung, Randnr. 35), Berichte der Fachpresse über die Polypropylenpreise Ende 1981 (Entscheidung, Randnr. 36 Absatz 3), einen internen Vermerk von ICI über "gutes Klima" (Entscheidung, Randnr. 46), ein Shell-Papier mit der Bezeichnung "PP W. Europe-Pricing" (Festsetzung der PP-Preise W-Europa) (Entscheidung, Randnr. 49), Shell-Unterlagen bezueglich des Vereinigten Königreichs und Frankreichs (Entscheidung, Randnr. 49), einen internen ATO-Vermerk vom 28. September 1983 (Entscheidung, Randnr. 51), einen nicht datierten ICI-Vermerk, der als Sprechzettel für eine Sitzung mit Shell im Mai 1983 habe dienen sollen (Entscheidung, Randnr. 63 Absatz 2), ein bei Shell gefundenes Arbeitsdokument für das erste Quartal 1983 (Entscheidung, Randnr. 63 Absatz 3) und schließlich um Unterlagen von ATO, DSM und Shell über den Verlauf der Sitzungen (Entscheidung, Randnr. 70).

33 Die Klägerin macht geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100 bis 103/80, Musique Diffusion Française/Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 29, und vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG-Telefunken/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 27) genüge es, um Beweisunterlagen gegen ein Unternehmen verwerten zu können, nicht, daß sie diesem bei der Akteneinsicht zur Kenntnis gelangten. Die Kommission müsse diese Unterlagen den Unternehmen nicht nur übermitteln, sondern ausserdem auch darlegen, welchen Beweiswert und welche Bedeutung sie diesen Unterlagen für die zukünftige Entscheidung beimesse.

34 Selbst bloß bestätigende Unterlagen könnten für die Beweisführung eine entscheidende Bedeutung haben; der Kommission stehe nicht die Entscheidung zu, daß einige Unterlagen für das eine oder andere Unternehmen bedeutungslos seien, da sie selbst behaupte, jedes Unternehmen müsse sich das Verhalten der anderen Unternehmen uneingeschränkt zurechnen lassen.

35 Infolgedessen dürften die der Klägerin nicht übermittelten Beweisunterlagen nicht gegen sie verwendet werden.

36 Die Kommission macht geltend, die Behauptungen der Klägerin bezueglich einiger Unterlagen, von denen sie angeblich keine Kenntnis habe erlangen können, seien zum Teil unrichtig und darüber hinaus rechtlich völlig unerheblich.

37 Zunächst seien die in Randnummer 25 der Entscheidung genannten Unterlagen der Klägerin als Anlagen 19, 42, 46, 50 und 52 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte (nachstehend: gem. Bpkte., Anl.) sowie als Anlagen zum Schreiben vom 29. März 1985 (Anl. I 6 bis I 9) übermittelt worden; das in Randnummer 46 der Entscheidung genannte Schriftstück sei der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte als Anlage 35 beigefügt gewesen, und die in Randnummer 70 der Entscheidung angeführten ATO-Unterlagen seien die Anlagen 60 und 72 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte.

38 Sodann seien das in den Randnummern 15b und 70 der Entscheidung genannte Schriftstück, die in Randnummer 18 der Entscheidung angeführten Antworten der Unternehmen auf das Auskunftsverlangen der Kommission, das in Randnummer 40 der Entscheidung erwähnte Schriftstück sowie die in Randnummer 70 der Entscheidung genannten Unterlagen von DSM und Shell der Klägerin im Juni 1984 im Wege der Akteneinsicht zugänglich gemacht worden. Zudem sei das in den Randnummern 15b und 70 der Entscheidung genannte Schriftstück bloß die Bestätigung eines Schriftstücks, das den gemeinsamen Beschwerdepunkten als Anlage 24 beigefügt gewesen sei.

39 Die übrigen von der Klägerin angeführten Schriftstücke seien dieser nicht übermittelt worden, weil sie entweder für das Verfahren gegen sie bedeutungslos seien, denn sie beträfen nur die dort ausdrücklich erwähnten Unternehmen, oder aber nur eine Bestätigung anderer, der Klägerin bekannter Schriftstücke enthielten. Somit sei die Entscheidung, soweit sie sich an die Klägerin richte, nicht auf diese Schriftstücke gestützt.

40 Die Kommission räumt jedoch ein, daß ein in der Entscheidung (Randnr. 58) erwähnter Vermerk von ICI über eine Expertensitzung vom 10. März 1982 versehentlich nicht mitgeteilt worden sei. Dieser Vermerk enthalte jedoch nur eine Bestätigung eines Berichts von Hercules über diese Sitzung, der der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte beigefügt worden sei (gem. Bpkte., Anl. 23).

41 Das Gericht stellt fest, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht die Schriftstücke als solche entscheidend sind, sondern die Schlußfolgerungen, die die Kommission daraus gezogen hat. Wenn diese Schriftstücke in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt worden sind, so kann das betroffene Unternehmen zu Recht davon ausgehen, daß sie für das Verfahren bedeutungslos sind. Teilt die Kommission einem Unternehmen nicht mit, daß gewisse Schriftstücke in der Entscheidung verwendet werden sollen, so hindert sie es daran, sich rechtzeitig zur Beweiskraft dieser Schriftstücke zu äussern. Diese Schriftstücke können deshalb nicht als gültige Beweismittel gegen das Unternehmen angesehen werden (Urteil vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, a. a. O., Randnr. 27, und zuletzt Urteil vom 3. Juli 1991 in der Rechtssache C-62/86, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1991, I-3359, Randnr. 21).

42 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, daß nur die Schriftstücke, die in den Mitteilungen der gemeinsamen oder der individuellen Beschwerdepunkte oder im Schreiben vom 29. März 1985 erwähnt oder die diesen ohne besondere Erwähnung als Anlagen beigefügt waren, der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens als Beweismittel entgegengehalten werden können. Die den Mitteilungen der Beschwerdepunkte als Anlagen beigefügten, dort aber nicht erwähnten Schriftstücke können in der Entscheidung nur dann gegen die Klägerin verwendet werden, wenn diese den Mitteilungen der Beschwerdepunkte bei vernünftiger Betrachtung entnehmen konnte, welche Schlüsse die Kommission daraus ziehen wollte.

43 Demnach können von den von der Klägerin genannten Schriftstücken nur die Rundschreiben der nationalen Verkaufsstellen an Kunden (Entscheidung, Randnr. 25), der interne ICI-Vermerk über "gutes Klima" (Entscheidung, Randnr. 46) und die bei ATO aufgefundenen Unterlagen über die auf den Sitzungen erörterten Fragen (Entscheidung, Randnr. 70) als Beweismittel gegen die Klägerin verwendet werden, da sie in den Tabellen im Schreiben vom 29. März 1985 und in den Punkten 71, 94 und 102 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte erwähnt und darüber hinaus dem Schreiben vom 29. März 1985 als Anlagen A bis I und der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte als Anlagen 35, 60 und 72 beigefügt worden sind. Die übrigen von der Klägerin genannten Schriftstücke können ihr im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht als Beweismittel entgegengehalten werden.

44 Die Frage, ob die letztgenannten Schriftstücke eine unerläßliche Stütze für die tatsächlichen Feststellungen bilden, die die Kommission in der Entscheidung zu Lasten der Klägerin getroffen hat, gehört zur Prüfung der Begründetheit dieser Feststellungen durch das Gericht. Im übrigen hat die Klägerin nicht behauptet, daß diese Schriftstücke etwas zu ihrer Entlastung hätten enthalten können.

2. Unzureichende Akteneinsicht

45 Die Klägerin macht geltend, die Beschränkung ihrer Akteneinsicht verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör. Ihre Verfahrensbevollmächtigten hätten im Juni 1984 Einsicht in die Akten der Kommission genommen, es seien ihnen aber - auch nach dem Eingeständnis des zuständigen Berichterstatters der Kommission - lediglich Beweismittel vorgelegt worden, auf die sich die Kommission in den Beschwerdepunkten zum Nachweis eines rechtswidrigen Verhaltens gestützt habe oder im Laufe des weiteren Verfahrens berufen könnte. Die Kommission könne sich für diese Beschränkung der Akteneinsicht nicht auf das Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82 (VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19) stützen, das einen anderen Fall betroffen habe, nämlich die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag.

46 Diese Beschränkung der Akteneinsicht auf belastende Beweismittel und die dafür erforderliche Auswahl der Unterlagen könnten nicht hingenommen werden. Sie mache es den Rechtsberatern der Unternehmen unmöglich, die Bedeutung be- und entlastender Beweismittel zu beurteilen und nachzuprüfen, ob die Kommission die Beweismittel zutreffend gewürdigt habe. Auch das Gericht selbst bekomme in der Regel nicht die gesamte Akte zu sehen; entlastendes Material, das die Dienststellen der Kommission nicht oder nur unzureichend ausgewertet oder gewürdigt hätten, bleibe in deren Akten verschüttet.

47 Mangels Gewährung vollständiger Einsicht könne die Klägerin ebensowenig wie das Gericht prüfen, ob sich unter den Unterlagen, die der Akteneinsicht entzogen gewesen seien, tatsächlich entlastende Beweismittel befunden hätten. Die äusserst lückenhafte Beweisführung im vorliegenden Fall aber gebe nicht nur zu besonders sorgfältiger Abwägung aller Beweismittel Anlaß, sondern begründe auch die Besorgnis einseitiger Auswertung durch die Kommission.

48 Selbst wenn man die Behauptung der Kommission als richtig unterstelle, es sei in alle Unterlagen mit Ausnahme derer, die Geschäftsgeheimnisse enthielten, Einsicht gewährt worden, sei es Sache des Gerichts, sich davon zu überzeugen, daß in diesen Unterlagen keine entlastenden Beweismittel enthalten seien.

49 Die Kommission macht geltend, sie sei, wie der Gerichtshof in einem ähnlichen Fall entschieden habe (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, a. a. O., Randnr. 25), nicht verpflichtet, den Beteiligten den gesamten Akteninhalt bekanntzumachen. Im vorliegenden Fall habe sie über ihre Verpflichtungen hinaus bei der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Übersendung ihres Ergänzungsschreibens vom 29. März 1985 Zugang zu fast allen in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen (mit Ausnahme der Schriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse enthalten hätten) gewährt. Sie habe im Rahmen des Akteneinsichtsverfahrens im Juni 1984 den Zugang zu den anderen Unterlagen ermöglicht.

50 Zudem sei es unzutreffend, daß die Kommission nur belastende Unterlagen herangezogen und entlastende Unterlagen zurückbehalten habe. Die Kommission weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Klägerin nicht das geringste Schriftstück als Beleg für ihre Behauptungen angeführt habe.

51 Das Gericht weist darauf hin, daß der Klägerin zur Wahrung der Verteidigungsrechte Gelegenheit gegeben werden musste, zur Gesamtheit der Vorwürfe, die die Kommission in den an sie gerichteten Mitteilungen der Beschwerdepunkte erhoben hat, und zu den zur Stützung dieser Vorwürfe herangezogenen und von der Kommission in ihren Mitteilungen der Beschwerdepunkte erwähnten oder diesen als Anlagen beigefügten Beweismittel in der von ihr für angemessen erachteten Weise Stellung zu nehmen (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7).

52 Dagegen erfordert es die Wahrung der Verteidigungsrechte nicht, daß einem von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben wird, alle in den Akten der Kommission enthaltenen Schriftstücke zu kommentieren, da es keine Vorschrift gibt, die die Kommission dazu verpflichtet, den betroffenen Beteiligten den Inhalt ihrer Akten bekanntzugeben (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, a. a. O., Randnr. 25).

53 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Kommission durch die Schaffung eines Verfahrens zur Akteneinsicht in Wettbewerbssachen sich selbst Regeln auferlegt hat, die über die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen hinausgehen. In diesen im Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik (S. 40 und 41) aufgestellten Regeln heisst es:

"[Die Kommission erteilt] den am Verfahren beteiligten Unternehmen Akteneinsicht. Um die Beteiligten über den Inhalt der Verfahrensakte zu informieren, wird ihnen zusammen mit den Beschwerdepunkten oder dem ihre Beschwerde ablehnenden Bescheid eine Liste aller Unterlagen übersandt, die zu dieser Akte gehören. Dabei gibt die Kommission an, in welche Unterlagen oder Teile von ihnen Einsicht gewährt werden kann. Die Unternehmen können die zugänglichen Unterlagen an Ort und Stelle einsehen. Wünscht ein Unternehmen nur wenige Geschäftsunterlagen einzusehen, so kann die Kommission ihm Abschriften übermitteln. Die nachstehenden Schriftstücke werden von der Kommission als vertraulich betrachtet und können folglich nicht eingesehen werden: Schriftstücke oder Teile davon, die Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen enthalten; interne Schriftstücke der Kommission wie Vermerke, Entwürfe und sonstige Arbeitspapiere; andere vertrauliche Angaben, wie solche zur Person von Beschwerdeführern, die ihre Identität nicht gegenüber Dritten preisgeben möchten, oder Auskünfte, die der Kommission mit der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung übermittelt wurden".

Von Regeln, die sie sich auf diese Weise selbst gegeben hat, kann die Kommission nicht abweichen (Urteile des Gerichtshofes vom 5. Juni 1973 in der Rechtssache 81/72, Kommission/Rat, Slg. 1973, 575, Randnr. 9, und vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 148/73, Louwage/Kommission, Slg. 1974, 81).

54 Die Kommission ist folglich verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

55 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission kategorisch bestreitet, daß ihre Dienststellen es unterlassen hätten, der Klägerin Schriftstücke mit möglicherweise entlastendem Inhalt zugänglich zu machen.

56 Gegenüber diesem Bestreiten der Kommission hat die Klägerin keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß die Dienststellen der Kommission der Klägerin die sie betreffenden Schriftstücke selektiv zugänglich gemacht hätten, um sie daran zu hindern, die von der Kommission zum Beweis ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung angeführten Beweismittel zu entkräften. Die Klägerin bezieht sich zwar auf Äusserungen des Berichterstatters der Kommission gegenüber dem Rechtsberater der Klägerin, doch hat sie weder bewiesen noch Beweis dafür angeboten, daß diese Äusserungen gefallen sind und die Bedeutung gehabt haben, die sie ihnen beimisst.

57 Die Rüge ist folglich zurückzuweisen.

3. Neue Vorwürfe

58 Die Klägerin macht geltend, die Entscheidung (Artikel 1 und Randnr. 81) werfe den Unternehmen vor, eine umfassende Rahmenvereinbarung, die in mehreren abgesprochenen Einzelvereinbarungen ihren Niederschlag gefunden habe, oder eine einzige fortdauernde Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag eingegangen zu sein, obwohl von einer einzigen, umfassenden Rahmenvereinbarung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nie die Rede sei; die Mitteilung beziehe sich im Gegenteil auf eine Vielzahl von Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen. Für bestimmte Sachbereiche und Zeiträume sei das Vorliegen von Vereinbarungen in den Beschwerdepunkten sogar ausdrücklich ausgeschlossen worden. In ihrem Schreiben vom 29. März 1985 habe die Kommission zwar das Vorhandensein einer "Kernvereinbarung" ins Auge gefasst, diesen Punkt jedoch nicht weiter erläutert, sondern offengelassen; schließlich habe sie ohne Einschränkungen an ihrer ursprünglichen Beschuldigung festgehalten, die sie auch im zweiten Anhörungstermin bestätigt habe. Die in der Entscheidung erhobene zentrale Beschuldigung sei somit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht neu, und die Verfahrensbeteiligten hätten keine Gelegenheit gehabt, zu dieser Beschuldigung Stellung zu nehmen.

59 Die Kommission könne nicht einwenden, die mit den Beschwerdepunkten erhobene Beschuldigung der fortgesetzten Zuwiderhandlung sei aufgrund des Ergebnisses des Verwaltungsverfahrens durch die andere Beschuldigung einer Rahmenvereinbarung ersetzt worden, ohne daß hierdurch die Würdigung des Akteninhalts verändert worden sei. Diese beiden Beschuldigungen seien nämlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht völlig unterschiedlich. Nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209 bis 215 und 218/78 (Heintz Van Landewyck/Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 68) hätten die Beschwerdepunkte lediglich neu geordnet oder ergänzt werden dürfen. Daß die Beschuldigung völlig neu sei, liege an dem Begriff der "Rahmenvereinbarung" selbst, der ein völlig anderer als der der "fortgesetzten Zuwiderhandlung" sei.

60 Nach Ansicht der Klägerin ist eine "Rahmenvereinbarung" ein juristischer Begriff mit bestimmtem Inhalt, unter dem "ein Rechtsgeschäft" zu verstehen sei, "mit welchem die Beteiligten im voraus Bindungen eingehen und Regelungen treffen, die für zukünftig vorzunehmende Rechtsgeschäfte oder Rechtshandlungen bestimmte inhaltliche Elemente vorwegnehmen oder bestimmte Rahmenbedingungen setzen, die in jedem Einzelfall festzusetzen sind". Das Wesensmerkmal der Rahmenvereinbarung bestehe also in einem vorherigen, generellen Konsens, der einen Bindungswillen für zukünftige Einzelakte voraussetze. Ein Rahmenvertrag gehe daher notwendigerweise den Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen voraus. Die Kommission habe aber keinerlei Tatsachenfeststellung getroffen und erst recht keine Beweise vorgelegt, die darauf schließen ließen, daß 1977 eine solche Rahmenvereinbarung getroffen worden sei. Im Gegenteil widerlege die Begründung der Entscheidung die Vermutung einer Rahmenvereinbarung eher, als daß sie sie unterstütze. So werde in der Entscheidung bei der Darstellung des Sachverhalts für das Jahr 1977 nicht von einer Rahmenvereinbarung gesprochen und auch keine dahin gehende Tatsachenfeststellung getroffen. Die Kommission bemühe sich im Gegenteil, eine konkrete Preisabsprache nachzuweisen (die ursprüngliche Mindestpreisvereinbarung), ohne sie jedoch mit einer Rahmenvereinbarung in Verbindung zu bringen. Im übrigen bezeichne sie nicht einmal die Unternehmen, die diese Rahmenvereinbarung abgeschlossen haben sollten.

61 Man könne auch nicht aus etwaigen späteren Einzelvereinbarungen rückschauend auf eine Rahmenvereinbarung schließen. Wenn das Wesen der Rahmenvereinbarung darin bestehe, im voraus bestimmte Regelungen für spätere Einzelakte zu treffen, dann könne die nachträgliche Addition von Einzelvereinbarungen einen Schluß auf eine Rahmenvereinbarung nur unter der Voraussetzung zulassen, daß sich die Einzelakte ohne den vorherigen Abschluß einer Rahmenvereinbarung nicht erklären ließen. Die Kommission habe dies jedoch erst in ihrer Klagebeantwortung behauptet, und der festgestellte Sachverhalt enthalte keine Anhaltspunkte dafür, daß sich die für 1977 und die darauffolgenden Jahre behaupteten Einzelakte nach einem vorgegebenen Verhaltensmuster einheitlich oder regelmässig vollzogen hätten. So spreche die Kommission von einem "System der regelmässigen Sitzungen", doch werde diese Feststellung durch die Beweise nicht bestätigt, denen sich bei der Abhaltung der Sitzungen keinerlei Regelmässigkeit entnehmen lasse.

62 Die Kommission behaupte das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung jetzt nur, um durch eine zweckentfremdete rechtliche Konstruktion zu verschleiern, daß ihr der Nachweis von Einzelvereinbarungen und/oder einzelnen aufeinander abstimmten Verhaltensweisen nicht möglich sei, wie ihre Feststellung in der Klagebeantwortung zeige, "daß die Sitzungen, deren Inhalt sie im einzelnen nicht kennt (im wesentlichen die Sitzungen zwischen Ende 1977/Anfang 1978 und Ende 1981), im allgemeinen denselben Gegenstand hatten, wie diejenigen, deren Inhalt sie im einzelnen kennt".

63 Ebenso sei unbeachtlich, wenn die Kommission aus demselben Grund versuche, auf den Begriff der fortgesetzten Zuwiderhandlung zurückzugreifen. Da dieser Begriff nämlich dazu diene, aus der Summe von Einzeldelikten, die jedes für sich alle Voraussetzungen einer Zuwiderhandlung erfuellten, ein umfassendes Gesamtdelikt zu bilden, sei die Kommission keineswegs von ihrer Verpflichtung entbunden, für jeden in Betracht gezogenen Zeitraum und jeden einzelnen Vorwurf den konkreten Nachweis eines Verstosses gegen das Wettbewerbsrecht zu erbringen.

64 Schließlich hätte die Kommission sowohl im Fall der Rahmenvereinbarung als auch im Fall der fortgesetzten Vereinbarung ausführen müssen, für welche Einzelakte sie eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag als erwiesen ansehe, um dann auf dieser Grundlage die verschiedenen Zuwiderhandlungen zusammenzufassen. Sie sei jedoch den umgekehrten Weg gegangen und habe aus der Gesamtheit der Tatsachen auf die Existenz einer "einzigen globalen Rahmenvereinbarung" oder einer "einzigen fortdauernden Vereinbarung" geschlossen, ohne einzelne Zuwiderhandlungen festzustellen. Dies zeige Randnummer 81 der Entscheidung.

65 Dieser Rechtsfehler, der die angefochtene Entscheidung in ihrer tatsächlichen und rechtlichen Grundlage und sogar in ihrem verfügenden Teil betreffe, könne im gerichtlichen Verfahren nicht geheilt werden und müsse daher zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen. Zwar wäre es theoretisch möglich, daß das Gericht seinerseits prüfe, für welche Einzelakte es eine Zuwiderhandlung als erwiesen und begründet ansehe, doch würden dadurch die Verteidigungsrechte in Frage gestellt, da sich die betroffenen Unternehmen zu Beschuldigungen verteidigen müssten, die die Verfolgungsbehörde noch gar nicht erhoben habe.

66 Die Kommission vertritt die Auffassung, daß sie die Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209 bis 215 und 218/78, a. a. O.) genau befolgt habe, wonach sie berechtigt sei, die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens dazu zu benutzen, "um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen". Unter Hinweis auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und ihr späteres Schreiben vom 29. März 1985 meint sie, sie habe während des Verwaltungsverfahrens eine sehr ausführliche Debatte über den wahren Charakter des Kartells zugelassen. Die Entscheidung enthalte die Schlußfolgerungen der Kommission auf der Grundlage dieser Debatte.

67 Schon in der ursprünglichen Mitteilung der Beschwerdepunkte sei an mehreren Stellen (Punkte 128 und 132) der Vorwurf einer "fortdauernden und institutionalisierten Zusammenarbeit" erhoben worden. Darüber hinaus habe sie in ihrem Schreiben vom 29. März 1985 darauf hingewiesen, daß sie die Möglichkeit nicht ausschließe, "daß die vier grössten Hersteller eine Kernvereinbarung getroffen hatten" (S. 2) und, soweit es die übrigen Teilnehmer an den Sitzungen betreffe, die Vereinbarungen "einen so hinreichend detaillierten Plan dar[stellten], daß sie einer Vereinbarung oder Vereinbarungen im Sinne des Artikels 85 gleichkamen" (S. 4).

68 Die Kommission sieht die Rahmenvereinbarung in der Absprache über ein institutionalisiertes System von Herstellersitzungen zur Besprechung der Marktstrategien. Diese Rahmenvereinbarung sei jeweils durch Einzelvereinbarungen über konkrete Maßnahmen ergänzt worden. Es habe ein Gesamtplan durchgeführt werden sollen, der immer intensivere Formen angenommen habe und das Zusammenwirken der Polypropylenhersteller hinsichtlich der Preise, der Verkaufsmengenziele, der Marktanteile sowie flankierender Maßnahmen zum Zwecke einer Beeinflussung der Marktkräfte zum Inhalt gehabt habe. Dieser Gesamtplan habe trotz Unterschieden in seiner Durchführung wegen des gegenseitigen Misstrauens der Teilnehmer immer denselben Grundcharakter gehabt.

69 Die Kommission weist den Vorwurf zurück, eine Rahmenvereinbarung "erfunden" zu haben, um, wie ihr die Klägerin vorwerfe, Lücken in der Beweiskette zu überspielen.

70 Das Gericht stellt fest, daß die von der Klägerin beanstandeten Stellen in der Entscheidung in ihrer Bedeutung mit dem Tenor der Vorwürfe übereinstimmen, die die Kommission gegen die Klägerin und die anderen Adressaten der Entscheidung in der an diese gerichteten Mitteilungen der Beschwerdepunkte erhoben hat.

71 Entgegen den Behauptungen der Klägerin wird nämlich in Randnummer 81 der Entscheidung nicht lediglich festgestellt, daß die betroffenen Unternehmen "an einer umfassenden Rahmenvereinbarung teilgenommen [haben], die in mehreren von Zeit zu Zeit abgesprochenen Einzelvereinbarungen ihren Niederschlag fand", und daß damit "eine einzige fortdauernde 'Vereinbarung' im Sinne des Artikels 85 Absatz 1" vorgelegen habe. Dem ersten dieser Sätze gehen vielmehr die Worte "Im vorliegenden Fall haben die Hersteller dadurch, daß sie sich zu dem gemeinsamen Plan verbunden haben, die Preise und den Absatz auf dem Polypropylenmarkt zu regeln..." voraus, während der zweite Satz mit den Worten eingeleitet wird "Die Kommission ist der Auffassung, daß die Gesamtheit der Regelungen und Absprachen, die im Rahmen eines regelmässigen, institutionalisierten Sitzungssystems beschlossen wurden...". Folglich kommt den Begriffen "umfassende Rahmenvereinbarung" oder "einzige und fortdauernde 'Vereinbarung' ", die in der Entscheidung gebraucht werden, keine andere Bedeutung als diejenige zu, den Umstand zum Ausdruck zu bringen, daß die Kommission den Adressaten der Entscheidung eine einzige Zuwiderhandlung zur Last gelegt hat, deren verschiedene Einzelakte einen Komplex integrierter Systeme von regelmässigen Sitzungen von Polypropylenherstellern zur Festsetzung von Preis- und Quotenzielen darstellten, der durch eine einzige wirtschaftliche Zielsetzung gekennzeichnet war, nämlich die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen.

72 Genau dies ist jedoch auch der Tenor der gesamten an die Klägerin und die anderen Adressaten der Entscheidung gerichteten gemeinsamen Beschwerdepunkte und insbesondere ihrer Punkte 1, 5, 128, 132 und 151 Buchstabe a. So lautet Punkt 1 wie folgt:

"Diese Mitteilung der Beschwerdepunkte betrifft die Anwendung von Artikel 85 (1) des EWG-Vertrags auf eine Vielzahl von Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, durch die von etwa 1977 bis Oktober 1983 die Erzeuger, die den grössten Teil des thermoplastischen Polypropylens für den Gemeinsamen Markt liefern, ihre Verkaufs- und Preispolitik fortgesetzt und regelmässig durch Festsetzung und Verwirklichung von 'Ziel' - und/oder Mindestpreisen, durch Kontrolle der an den Markt gelieferten Mengen mit Hilfe vereinbarter 'Zielmengen' und/oder Quoten und durch regelmässige Zusammenkünfte zur Überwachung der Realisierung der angeführten restriktiv wirkenden Vereinbarungen koordiniert haben."

Des weiteren wird in Punkt 132 letzter Satz folgendes festgestellt:

"Die Hersteller wollten nämlich tatsächlich den Markt kontrollieren und setzten an die Stelle des normalen Wettbewerbs eine fortgesetzte, institutionalisierte Zusammenarbeit auf höherer Ebene."

73 Dieser Tenor der der Klägerin und den anderen Adressaten der Entscheidung zur Last gelegten Beschwerdepunkte wird durch das an sie gerichtete Schreiben vom 29. März 1985 bestätigt, in dem es auf Seite 4 heisst: "Diese Vereinbarungen stellten einen so hinreichend detaillierten Plan dar, daß sie einer 'Vereinbarung' oder 'Vereinbarungen' im Sinne des Artikels 85 gleichkamen, zumindest soweit es die an den Sitzungen beteiligten Hersteller betrifft."

74 Hieraus ist zu schließen, daß die Kommission die Argumentation, auf die sie die gegenüber den Unternehmen festgestellten Vorwürfe stützt, in der Entscheidung nur weiter ausgeführt und rechtlich verdeutlicht hat und daß sie daher die Klägerin nicht daran gehindert hat, vor Erlaß der Entscheidung zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

75 Zu Unrecht wirft die Klägerin daher der Kommission vor, sie habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, indem sie in der Entscheidung neue Vorwürfe gegen sie erhoben habe.

Zur Feststellung der Zuwiderhandlung

76 Nach Randnummer 80 Absatz 1 der Entscheidung haben sich die Polypropylenhersteller, die die Gemeinschaft beliefern, seit 1977 an einer ganzen Reihe von Plänen, Absprachen und Maßnahmen beteiligt, die im Rahmen eines Systems regelmässiger Sitzungen und ständiger Kontakte beschlossen worden seien. Der allgemeine Plan der Hersteller sei es gewesen, sich über spezifische Angelegenheiten zu einigen (Entscheidung, Randnr. 80 Absatz 2). FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0010.1

77 Unter diesen Umständen ist zunächst zu prüfen, ob der Kommission rechtlich der Beweis für ihre tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Mindestpreisvereinbarung (A), des Systems der regelmässigen Sitzungen (B), der Preisinitiativen (C), der Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen (D) und der Festsetzung von Absatzzielen und Quoten (E) gelungen ist; dabei sind jeweils zunächst die angefochtene Handlung (a) und das Vorbringen der Parteien (b) darzulegen und sodann zu würdigen (c). Danach ist die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf diese Tatsachen zu überprüfen.

1. Die tatsächlichen Feststellungen

A - Die Mindestpreisvereinbarung

a) Angefochtene Handlung

78 In der Entscheidung (Randnr. 16 Absätze 1, 2 und 3; siehe auch Randnr. 67 Absatz 1) heisst es, daß im Jahr 1977 die etablierten Hersteller, nachdem in Westeuropa sieben neue Polypropylenerzeuger die Produktion aufgenommen hätten, Gespräche miteinander aufgenommen hätten, um einen Preisverfall und damit verbundene Verluste zu vermeiden. Als Folge dieser Gespräche hätten die Haupthersteller - Monte, die Klägerin, ICI und Shell - eine "Mindestpreisvereinbarung" ("floor price agreement") getroffen, die am 1. August 1977 habe in Kraft treten sollen. Mit der ursprünglichen Vereinbarung sei keine Mengenkontrolle verbunden gewesen. Für den Fall, daß sich die Vereinbarung als erfolgreich erweisen sollte, seien für 1978 jedoch mengenmässige Beschränkungen vorgesehen worden. Die Vereinbarung habe zunächst für vier Monate gelten sollen; Einzelheiten der Vereinbarung seien den anderen Herstellern mitgeteilt worden, darunter auch Hercules, deren Marketingdirektor als Grundlage für die Mindestpreise der Hauptsorten in den einzelnen Mitgliedstaaten einen Raffia-Preis von 1,25 DM/kg genannt habe.

79 Laut der Entscheidung (Randnr. 16 Absatz 5) räumen ICI und Shell ein, daß es Kontakte mit anderen Herstellern gegeben habe, um zu prüfen, wie dem Preisverfall Einhalt geboten werden könne. Nach den Angaben von ICI sei möglicherweise ein Preisniveau vorgeschlagen worden, unter das die Preise nicht hätten abrutschen dürfen. Von ICI und Shell werde bestätigt, daß die Gespräche nicht auf die "grossen Vier" begrenzt gewesen seien. Genaue Einzelheiten der Handhabung der Mindestpreisvereinbarung hätten sich nicht ermitteln lassen. Jedoch habe im November 1977 Monte, nachdem der Raffia-Preis auf rund 1,00 DM/kg gesunken sei, eine Anhebung auf 1,30 DM/kg angekündigt, die am 1. Dezember habe wirksam werden sollen. Am 25. November habe es in der Fachpresse geheissen, daß die drei anderen Haupthersteller das Vorgehen von Monte mit ähnlichen Preiserhöhungen unterstützten, die für den gleichen Tag oder später im Dezember geplant seien.

80 In der Entscheidung (Randnr. 17 Absätze 1 und 2) wird darauf hingewiesen, daß etwa um die gleiche Zeit die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller begonnen hätten. ICI habe behauptet, daß erst im Dezember 1977 Sitzungen abgehalten worden seien, habe aber eingeräumt, daß es schon davor zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sei, vermutlich auf telefonischem Wege und auf einer Ad-hoc-Basis. Shell habe erklärt, daß ihre Geschäftsführer "vielleicht mit Montepolimeri im oder um November 1977 über Preise gesprochen haben und Montepolimeri die Möglichkeit von Preiserhöhungen erwähnt und (Shells) Ansichten zu ihren Reaktionen auf Erhöhungen eingeholt hat". Während es, wie es in der Entscheidung (Randnr. 17 Absatz 3) weiter heisst, keine unmittelbaren Beweise dafür gebe, daß vor Dezember 1977 Gruppensitzungen zur Preisfestsetzung stattgefunden hätten, hätten die Hersteller in den Sitzungen eines Fachverbands der Kunden, der "European Association for Textile Polyolefins" (nachstehend: EATP), die im Mai und November 1977 veranstaltet worden sei, bereits über die erkannte Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktion zur Anhebung des Preisniveaus gesprochen. Hercules habe im Mai 1977 betont, daß die "traditionellen Marktführer" die Initiative ergreifen sollten, während die Klägerin erklärt habe, daß die Preise ihres Erachtens um 30 bis 40 % höher sein müssten.

81 In diesem Zusammenhang wirft die Entscheidung (Randnrn. 17, Absatz 4, 78 Absatz 3 und 104 Absatz 2) der Klägerin vor, ebenso wie Hercules, Linz, Rhône-Poulenc, Saga und Solvay erklärt zu haben, die Ankündigung von Monte in einem Bericht der Fachpresse (European Chemical News, nachstehend: ECN) vom 18. November 1977, den Raffiapreis auf 1,30 DM/kg ab dem 1. Dezember anzuheben, zu unterstützen. Aus den bei dem EATP-Treffen vom 22. November 1977 abgegebenen verschiedenen Erklärungen ergebe sich laut Sitzungsprotokoll, daß der von Monte festgesetzte Preis von 1,30 DM/kg von den anderen Herstellern als allgemeiner "Zielpreis" angenommen worden sei.

b) Vorbringen der Parteien

82 Die Klägerin macht geltend, die Kommission führe für ihre Behauptung, daß 1977 eine Mindestpreisvereinbarung geschlossen worden sei, nur ein einziges Beweismittel an, nämlich den handschriftlichen Vermerk eines Angestellten von Hercules (gem. Bpkte., Anl. 2); dieser Angestellte sei nicht unmittelbarer Zeuge der in diesem Vermerk erwähnten Gespräche gewesen, und es sei auch nicht bewiesen, daß Hercules an dieser Vereinbarung beteiligt gewesen sei.

83 Ausserdem sei der in diesem Vermerk verwendete Begriff "agreement" ("Vereinbarung") mehrdeutig, da er Ausdruck einer blossen Meinungsübereinstimmung sein könne.

84 Die Klägerin beruft sich weiter darauf, daß die in dem Vermerk vorgesehene Preisanhebung zunächst nicht durchgeführt worden sei; nichts belege, daß sie später stattgefunden habe. Jedenfalls lasse sich die Verschiebung dieser Anhebung nicht aus dem Bericht über das EATP-Treffen vom 22. November 1977 (gem. Bpkte., Anl. 6) herleiten. Die dort wiedergegebene Ankündigung von Monte, ihre Preise zu erhöhen, könne die Behauptung der Kommission aus zwei Gründen nicht stützen: Zum einen sei die Ankündigung von Preiserhöhungen nicht durch Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verboten, und zum anderen spreche nichts dafür, daß diese Ankündigung auf einer Vereinbarung beruht habe, zumal Monte 1977 nicht Mitglied der EATP gewesen sei. Daß Monte auf einer EATP-Sitzung vom 26. Mai 1978 (gem. Bpkte., Anl. 7) ihre bereits getroffene Entscheidung einer Preiserhöhung bekanntgegeben habe, sei ohne jede Bedeutung.

85 Das bei Solvay gefundene Schriftstück, das in Randnummer 16 letzter Absatz der Entscheidung erwähnt sei, könne der Klägerin nicht entgegengehalten werden, da es ihr nicht zugänglich gemacht worden sei.

86 Die Kommission hält dem entgegen, die Klägerin bringe nichts vor, was den Inhalt des Vermerks von Hercules, wo die Mindestpreisvereinbarung beschrieben werde (gem. Bpkte., Anl. 2) in Frage stellen könne. Dieser Vermerk passe sehr gut zum Hintergrund der gleichförmigen Preisankündigungen, die verschiedene Hersteller zur gleichen Zeit im Rahmen der EATP-Sitzungen vom 22. November 1977 und vom 26. Mai 1978 (gem. Bpkte., Anl. 6 und 7) bekanntgegeben hätten.

c) Würdigung durch das Gericht

87 Das Gericht stellt fest, daß der von der Kommission herangezogene Vermerk des Angestellten von Hercules klar und eindeutig ist. Dort heisst es nämlich:

"Major producers have made agreement (Mont., Hoechst, Shell, ICI) 1. No tonnage control; 2. System floor prices - DOM leß for importers; 3. Floor prices from July 1. definitely Aug. 1st when present contracts expire; 4. Importers restrict to 20 % for 1 000 tonnes; 5. Floor prices for 4 month period only - alternative is for existing; 6. Com.[panies] to meet Oct. to review progreß; 7. Subject [of the] scheme working - Tonnage restrictions would operate next year."

("Haupthersteller [Mont., Hoechst, Shell, ICI] haben Vereinbarung geschlossen 1. Keine Mengenkontrolle; 2. Mindestpreissystem für einheimische Erzeuger, weniger für Importeure; 3. Mindestpreise ab 1. Juli, spätestens 1. August, wenn laufende Verträge auslaufen; 4. Importeure beschränken auf 20 % für 1 000 Tonnen; 5. Mindestpreise nur für vier Monate - Alternative für bestehende; 6. Treffen der Unternehmen Oktober zur Überprüfung des Fortschritts; 7. Vorausgesetzt Regelung funktioniert - dann Mengenbeschränkungen nächstes Jahr")

[Es folgt eine Preisliste für die drei Hauptsorten von Polypropylen in vier nationalen Währungen, u. a. 1,25 DM/kg für Raffia].

88 Diesem Beweismittel hält die Klägerin lediglich entgegen, daß es kein Beleg für den Abschluß einer Mindestpreisvereinbarung sei: Weil der Verfasser des Vermerks an dieser Vereinbarung nicht beteiligt gewesen sei, sei das Schriftstück wenig glaubhaft, und ferner sei der dort verwendete Begriff "agreement" (Vereinbarung) nur Ausdruck einer übereinstimmenden Sicht der Unternehmen bezueglich der Notwendigkeit einer Preiserhöhung.

89 Nach Auffassung des Gerichts können die Ausführungen der Klägerin den Beweiswert, den die Kommission diesem Vermerk beilegt, nicht erschüttern. Daß Hercules an der ursprünglichen Mindestpreisvereinbarung nicht beteiligt war, ist ohne Bedeutung, da die Kommission den Vermerk ausdrücklich als ein zur Zeit der Ereignisse schriftlich niedergelegtes Zeugnis dafür heranzieht, daß andere Hersteller als Hercules eine Vereinbarung geschlossen haben.

90 Ferner kann der Begriff "agreement" (Vereinbarung) zwar unter Umständen Ausdruck einer übereinstimmenden Sicht sein, doch ist er in dem Vermerk Teil der Wendung "made agreement", die im Englischen nur "haben eine Vereinbarung geschlossen" bedeuten kann; deshalb drückt dieser Begriff über die übereinstimmende Sicht hinaus eine Willensübereinstimmung zwischen der Klägerin und den anderen drei Herstellern über die Mindestpreise aus.

91 Daß die vereinbarten Mindestpreise nicht durchgesetzt werden konnten, spricht ebenfalls nicht gegen die Beteiligung der Klägerin an der Mindestpreisvereinbarung, da selbst in diesem Fall höchstens bewiesen wäre, daß die Mindestpreise nicht verwirklicht wurden, nicht aber, daß sie nicht vereinbart wurden. Die Entscheidung (Randnr. 16, letzter Absatz) enthält keineswegs die Behauptung, daß die Mindestpreise durchgesetzt worden seien, sondern vielmehr die Feststellung, daß der Raffia-Preis im November 1977 auf etwa 1,00 DM/kg gesunken sei.

92 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß es Mitte 1977 zwischen mehreren Polypropylenherstellern, zu denen die Klägerin gehört, zu einer Willensübereinstimmung über die Festlegung von Mindestpreisen gekommen ist, und daß sich die Kommission hierbei nicht auf Schriftstücke zu stützen brauchte, die sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt oder die sie der Klägerin nicht zugänglich gemacht hatte.

B - Das System der regelmässigen Sitzungen

a) Angefochtene Handlung

93 In der Entscheidung (Randnr. 17) wird darauf hingewiesen, daß die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller etwa Ende November 1977 begonnen hätten. ICI habe behauptet, daß erst im Dezember 1977 (d. h. nach der Ankündigung von Monte) Sitzungen abgehalten worden seien, habe aber eingeräumt, daß es schon davor zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sei.

94 Nach Randnummer 18 Absatz 1 der Entscheidung haben im Jahr 1978 zwischen den für die Gesamtausrichtung der Polypropylenaktivitäten einiger Hersteller zuständigen Topmanagern ("Chefs") mindestens sechs Sitzungen stattgefunden. Dieses System sei schon bald durch Sitzungen leitender Angestellte einer niedrigeren Führungsebene mit gründlichen Vertriebskenntnissen ("Experten") ergänzt worden (hierzu wird auf die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 Bezug genommen, gem. Bpkte., Anl. 8). In der Entscheidung wird der Klägerin vorgeworfen, an diesen Sitzungen regelmässig bis mindestens Ende September 1983 teilgenommen zu haben (Randnr. 105 Absatz 4).

95 Laut Randnummer 21 der Entscheidung waren Zweck dieser regelmässigen Sitzungen insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und Verkaufsmengenzielen sowie die Kontrolle ihrer Einhaltung durch die Hersteller.

96 In Randnummer 68 Absätze 2 und 3 der Entscheidung heisst es, daß Ende 1982 die "grossen Vier" begonnen hätten, in Sitzungen mit beschränktem Teilnehmerkreis am Tag vor jeder "Chef"-Sitzung zusammenzutreffen. Diese "Vorgespräche" seien das Forum der vier wichtigsten Unternehmer gewesen, um vor der Vollsitzung eine gemeinsame Haltung zu vereinbaren und durch ein gemeinsames Vorgehen Schritte in Richtung auf eine Preisstabilität zu unterstützen. ICI habe zugegeben, daß die in den Vorgesprächen erörterten Themen die gleichen Punkte eingeschlossen hätten, die in den darauffolgenden "Chef"-Sitzungen diskutiert worden seien; dagegen habe Shell bestritten, daß die Sitzungen der "grossen Vier" in irgendeiner Weise eine Vollversammlung vorbereitet hätten oder mit der Koordinierung einer gemeinsamen Position vor der Sitzung am nächsten Tag verbunden gewesen seien. Die Berichte über einige dieser Sitzungen (Oktober 1982 und Mai 1983) widerlegten jedoch diese Behauptung von Shell.

b) Vorbringen der Parteien

97 Die Klägerin macht geltend, die Kommission behaupte ein "System der regelmässigen Sitzungen", ohne den geringsten Beweis hierfür vorzulegen. Die Beweise, über die die Kommission verfüge, ließen nämlich nicht die geringste Regelmässigkeit bezueglich der Abhaltung oder des Zeitablaufs der Sitzungen oder der Namen ihrer Teilnehmer erkennen. So hätten nach der Tabelle 3 der Entscheidung 1978 nur sechs Sitzungen, 1979 keine, 1980 eine einzige und 1981 zehn Sitzungen stattgefunden.

98 Die Klägerin wiederholt ihren Vorwurf, daß die Kommission das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung behaupte, um die Lückenhaftigkeit ihrer Beweisführung zu überdecken, wie ihre Feststellung in der Klagebeantwortung zeige, "daß die Sitzungen, deren Inhalt sie im einzelnen nicht kennt (im wesentlichen die Sitzungen zwischen Ende 1977/Anfang 1978 und Ende 1981), im allgemeinen denselben Gegenstand hatten wie diejenigen, deren Inhalt sie im einzelnen kennt". Dem sei ausserdem zu entnehmen, daß die Kommission für ihre Behauptungen bezueglich des Gegenstands der Sitzungen zwischen 1977 und 1981 keine Beweise besitze.

99 Bei der Bestimmung des Gegenstands der Sitzungen stütze sich die Kommission auf Aufzeichnungen eines Angestellten von ICI über verschiedene Herstellersitzungen, in denen die Besprechungsergebnisse manchmal als "agreed" (vereinbart) bezeichnet worden seien. Diese Bezeichnung könne zum einen Übereinstimmung der Standpunkte bedeuten, zum anderen sei es möglich, daß diese Aufzeichnungen die Sitzungsergebnisse nicht objektiv wiedergäben, weil zum Beispiel ihr Verfasser ein persönliches Interesse daran gehabt habe, die Ergebnisse in einem günstigeren Licht darzustellen, als es der Wirklichkeit entsprochen habe.

100 Die Kommission trägt vor, aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) ergebe sich, daß die Sitzungen 1977 begonnen hätten und eine Fortsetzung auf einer Ad-hoc-Grundlage vorgeschlagen worden sei. Die Treffen seien im weiteren Verlauf stärker strukturiert worden und hätten häufiger und regelmässiger stattgefunden. Laut der Antwort von ICI sei die Klägerin eine regelmässige Teilnehmerin an diesen Sitzungen gewesen.

101 Im übrigen werde die Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen auch durch zahlreiche bei ICI aufgefundene Berichte belegt, die ihrerseits durch verschiedene bei ICI und ATO entdeckte Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61) bestätigt würden, die insbesondere die Verkaufszahlen verschiedener Hersteller wiedergäben, die laut der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen von den Herstellern selbst stammten.

102 Gegenstand dieser Sitzungen sei es gewesen, Zielpreise und Preisinitiativen festzusetzen, Verkaufsmengenziele miteinander abzustimmen, Marktanteile zu vergleichen und flankierende Maßnahmen wie zum Beispiel die "account leadership" zu vereinbaren. Es sei also darum gegangen, die Marktstrategien der Teilnehmer an diesen Sitzungen miteinander abzusprechen.

103 Die Klägerin habe nichts vorgetragen, was berechtigte Zweifel an der Verläßlichkeit der von der Kommission vorgelegten Unterlagen, insbesondere der von den Angestellten von ICI verfassten Sitzungsberichte, wecken könnte.

c) Würdigung durch das Gericht

104 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin in der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) im Unterschied zu zwei anderen Herstellern ohne zeitliche Einschränkung zu den regelmässigen Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen gezählt wird. Diese Antwort ist dahin auszulegen, daß die Klägerin an den Sitzungen seit dem Beginn des Systems der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen teilgenommen hat, das Ende 1978 oder Anfang 1979 eingeführt worden ist.

105 Die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen wird in diesem Punkt dadurch bestätigt, daß in verschiedenen bei ICI und ATO gefundenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61) neben dem Namen der Klägerin deren Verkaufszahlen für verschiedene Monate und Jahre aufgeführt sind. Die meisten Klägerinnen haben in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts aber eingeräumt, daß es nicht möglich gewesen wäre, die bei ICI, ATO und Hercules entdeckten Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des Informationsaustauschsystems FIDES zu erstellen. In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen hat ICI im übrigen zu einer dieser Tabellen erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Im übrigen hat die Klägerin im Verfahren vor dem Gericht, nachdem ihr diese gewichtigen Indizien vorgehalten worden sind, ihre Anwesenheit bei den von ihr nicht geleugneten Sitzungen niemals substantiiert bestritten.

106 Zu der Frage, ob die Klägerin an den Sitzungen des Jahres 1978 teilgenommen hat, weist das Gericht darauf hin, daß sich der gegen sie erhobene Vorwurf, daran teilgenommen zu haben, aus Randnummer 18 der Entscheidung in Verbindung mit den an sie gerichteten individuellen Beschwerdepunkten ergibt.

107 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin, statt ihre Teilnahme an den Sitzungen zwischen 1978 und 1982 zu bestreiten, behauptet, die Kommission habe bezueglich der Abhaltung und des Gegenstands der Sitzungen keine Beweise.

108 Die Abhaltung von Herstellersitzungen im Jahre 1978 wird aber belegt durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, wo es heisst:

"During the first year (1978) about six 'ad hoc' meetings took place at about two monthly intervals between the Senior-Managers responsible for the polypropylene busineß of some producers."

("Im ersten Jahr [1978] fanden etwa sechs Ad-hoc-Sitzungen jeweils im Abstand von etwa zwei Monaten zwischen den für das Polypropylengeschäft zuständigen Topmanagern einiger Hersteller statt.")

Aus der Antwort von ICI ergibt sich weiter, daß diese Sitzungen ungefähr im Dezember 1977 begonnen haben:

"Because of the problems facing the polypropylene industry..., a group of producers met in about December 1977 to discuß what, if any, measures could be pursüd in order to reduce the burden of the inevitable heavy losses about to be incurred by them."

("Wegen der Probleme für die Polypropylenindustrie... traf sich eine Gruppe von Herstellern etwa im Dezember 1977, um zu erörtern, ob und wenn ja welche Maßnahmen getroffen werden könnten, um die Last der ihnen unvermeidlich bevorstehenden schweren Verluste zu reduzieren.")

Dieser Zeitpunkt liegt unmittelbar nach der EATP-Sitzung vom 22. November 1977, an der die Klägerin teilnahm.

109 Darüber hinaus dienten die Sitzungen des Jahres 1978 und der folgenden Jahre demselben Zweck wie die EATP-Sitzungen, nämlich der Erörterung von Maßnahmen zur Begrenzung der Verluste der Polypropylenhersteller. So heisst es in der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen:

"It was felt to be essential for producers to consider appropriate means of alleviating this impending crisis which could, unleß controlled in some way, lead eventually to the collapse of the polypropylene industry. It was proposed that future meetings of those producers who wished to attend should be called on an 'ad hoc' basis in order to exchange and develop ideas to tackle these problems [...]. Generally speaking however, the concept of recommending 'Target Prices' was developed during the early meetings which took place in 1978...".

("Es wurde als entscheidend angesehen, daß die Hersteller angemessene Maßnahmen ins Auge fassten, um diese drohende Krise abzumildern, die, wenn sie nicht irgendwie unter Kontrolle gehalten würde, unter Umständen zum Zusammenbruch der Polypropylenindustrie führen könnte. Es wurde vorgeschlagen, in Zukunft Sitzungen der teilnahmewilligen Hersteller auf einer Ad-hoc-Basis einzuberufen, um Ideen zur Bewältigung dieser Probleme auszutauschen und zu entwickeln... Allgemein wurde aber der Plan, 'Zielpreise' zu empfehlen, in den ersten Sitzungen entwickelt, die 1978 stattfanden...")

110 In der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 wiesen die einzelnen Hersteller jedoch darauf hin, daß die Preise zu niedrig seien und sie dies nicht ewig hinnehmen könnten, wobei die Klägerin erklärte:

"Yesterday morning, Hoechst announced a European wide modest price increase. The price increase will not bring us to a level which suits us, but we hope that it is going to improve our critical situation.

We hope that this move will not be misinterpretated. We think that it cannot be in the interests of both polymer makers and processors to go on in the way in which we have been during recent months."

("Gestern morgen kündigte Hoechst eine maßvolle europaweite Anhebung der Preise an. Die Preisanhebung wird uns nicht auf ein uns befriedigendes Niveau bringen, doch hoffen wir, daß sie unsere kritische Situation verbessern wird.

Wir hoffen, daß dieser Schritt nicht falsch verstanden wird. Unseres Erachtens kann es weder im Interesse der Polymerhersteller noch der -verarbeiter liegen, so wie in den letzten Monaten weiterzumachen.")

Die Hersteller betonten ferner die Notwendigkeit, die Preise zu erhöhen, und unterstützten die Ankündigung von Monte, ihre Preise anzuheben.

111 Somit stellten die Sitzungen des Jahres 1978 und der folgenden Jahre für die Hersteller die Weiterführung ihrer Erklärungen in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 dar.

112 Im übrigen zeigt die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, daß diese Sitzungen der Ausgangspunkt für das System der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen waren, an denen die Klägerin sowohl in bezug auf die Organisation als auch in bezug auf die Thematik ab Ende 1978 oder Anfang 1979 beteiligt war. In der Antwort von ICI heisst es nämlich:

"By late 1978/early 1979 it was determined that the 'ad hoc' meetings of Senior-Managers [' Bosses' ] [of 1978] should be supplemented by meetings of lower level managers with more marketing knowledge [' Experts' ]."

("Ende 1978/Anfang 1979 wurde beschlossen, die Ad-hoc-Sitzungen der Senior-Manager [' Chefs' ] [von 1978] durch Sitzungen von rangniedrigeren Managern mit mehr Marketingkenntnis [' Experten' ] zu ergänzen.")

Wie bereits festgestellt, wurde zudem der Plan, Zielpreise zu empfehlen, der im Rahmen der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen in die Tat umgesetzt wurde, in den Sitzungen des Jahres 1978 entwickelt.

113 Das Gericht stellt folglich fest, daß die Kommission die Klägerin aufgrund ihrer Teilnahme an der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 und an dem System der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zu Recht als Teilnehmerin an den Sitzungen des Jahres 1978 angesehen hat, die für die Hersteller die Weiterführung ihrer Erklärungen in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 darstellten und ihnen die Möglichkeit gaben, das System der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen einzuführen.

114 Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission auf der Grundlage der Angaben von ICI in deren Antwort auf das Auskunftsverlangen, die durch zahlreiche Sitzungsberichte bestätigt worden sind, zu Recht angenommen, daß der Zweck der Sitzungen insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und von Verkaufsmengenzielen gewesen ist. So heisst es in dieser Antwort:

"Generally speaking however, the concept of recommending 'Target Prices' was developed during the early meetings which took place in 1978"; "' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule..."

und

"A number of proposals for the volume of invidual producers were discussed at meetings."

("Allgemein wurde aber der Plan, 'Zielpreise' zu empfehlen, in den frühen Sitzungen ausgearbeitet, die im Jahr 1978 stattfanden..."; "Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte jeder wichtigen Polypropylen-Kategorie vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt..."

und

"Eine Reihe von Vorschlägen zum Verkaufsvolumen der einzelnen Hersteller wurde in Sitzungen erörtert.")

115 Die Sitzungsberichte von ICI werden inhaltlich durch verschiedene Unterlagen bestätigt, so zum Beispiel durch eine Reihe von Tabellen mit Zahlen über das Absatzvolumen einzelner Hersteller und durch Preisinstruktionen, die bezueglich der Höhe und des Inkrafttretens mit den in diesen Sitzungsberichten genannten Preiszielen übereinstimmen. Ebenso bestätigen die Antworten verschiedener Hersteller auf das Auskunftsverlangen, das die Kommission an sie richtete, in ihrer Gesamtheit den Inhalt dieser Sitzungsberichte.

116 Die Kommission konnte deshalb davon ausgehen, daß die bei ICI gefundenen Sitzungsberichte hinreichend objektiv den Inhalt der Sitzungen wiedergaben, die von verschiedenen Angestellten von ICI geleitet wurden, was diese um so mehr dazu zwang, die Angestellten von ICI, die an der einen oder anderen Sitzung nicht teilnahmen, über diese Sitzungen durch die Erstellung von Sitzungsberichten zutreffend zu unterrichten.

117 Unter diesen Umständen obliegt es der Klägerin, durch die Vorlage konkreter Beweismittel, zum Beispiel der Aufzeichnungen ihrer Angestellten von den Sitzungen, an denen sie teilnahmen, oder durch deren Aussage als Zeugen, eine andere Erklärung für den Inhalt der Sitzungen zu geben, an denen sie beteiligt war. Die Klägerin hat in diesem Verfahren solche Beweismittel weder vorgelegt noch angeboten.

118 Darüber hinaus ergibt sich über die Organisation aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, in der von der Abhaltung von Sitzungen von "Experten" für den Vertrieb zusätzlich zu den "Chef"-Sitzungen von Ende 1978 oder Anfang 1979 an die Rede ist, daß die Gespräche über die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen immer konkreter und genauer wurden, während sich 1978 die "Chefs" auf die Entwicklung des Konzepts der Zielpreise selbst beschränkt hatten.

119 Über die vorstehend wiedergegebenen Abschnitte hinaus heisst es in der Antwort von ICI auf das Auskunftsersuchen: "Only 'Bosses' and 'Experts' meetings came to be held on a monthly basis" ("Nur die 'Chef' - und 'Experten' -Sitzungen wurden auf monatlicher Grundlage abgehalten"). Zu Recht hat die Kommission aus dieser Antwort sowie aus der Identität von Art und Zweck der Sitzungen geschlossen, daß diese Teil eines Systems regelmässiger Sitzungen waren.

120 Was die besondere Rolle der "grossen Vier" innerhalb des Systems der Sitzungen betrifft, so bestreitet die Klägerin nicht, daß am 15. Juni 1981 (in Abwesenheit der Klägerin), am 13. Oktober und 20. Dezember 1982, 12. Januar, 15. Februar, 13. April, 19. Mai und 22. August 1983 Sitzungen stattgefunden haben (Entscheidung, Tabelle 5, und gem. Bpkte., Anl. 64).

121 Diese Sitzungen der "grossen Vier" fanden ab Dezember 1982 jeweils am Tag vor den "Chef"-Sitzungen statt und dienten dazu, die Maßnahmen festzulegen, die sie dort gemeinsam für eine Preisanhebung treffen konnten, wie sich aus der schriftlichen Zusammenfassung eines Angestellten von ICI zur Unterrichtung eines seiner Kollegen über den Inhalt des Vorgesprächs der "grossen Vier" vom 19. Mai 1983 ergibt (gem. Bpkte., Anl. 101). In dieser Zusammenfassung ist von einem Vorschlag die Rede, der in der "Chef"-Sitzung vom 20. Mai vorgelegt werden solle.

122 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin regelmässig an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zwischen Ende 1977 und September 1983 teilgenommen hat, daß Zweck dieser Sitzungen namentlich die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen war und daß die Sitzungen Teil eines Systems waren.

C - Die Preisinitiativen

a) Angefochtene Handlung

123 Nach den Randnummern 28 bis 51 der Entscheidung wurde ein System zur Festsetzung von Preiszielen mittels Preisinitiativen angewandt, von denen sechs hätten festgestellt werden können; die erste habe von Juli bis Dezember 1979 gedauert, die zweite von Januar bis Mai 1981, die dritte von August bis Dezember 1981, die vierte von Juni bis Juli 1982, die fünfte von September bis November 1982 und die sechste von Juli bis November 1983.

124 Zur ersten dieser Preisinitiativen führt die Kommission (Entscheidung, Randnr. 29) aus, es liege kein eingehendes Beweismaterial über irgendwelche Sitzungen oder Preisinitiativen im ersten Halbjahr 1979 vor. Aus einem Vermerk über eine Sitzung vom 26. und 27. September 1979 gehe allerdings hervor, daß eine Preisinitiative auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 1,90 DM/kg ab 1. Juli und von 2,05 DM/kg ab 1. September geplant worden sei. Die Kommission habe Preisinstruktionen einiger Hersteller, so auch der Klägerin, sichergestellt, die die Anweisungen dieser Hersteller an ihre nationalen Verkaufsbüros zur Anwendung dieses Preises bzw. des entsprechenden Betrags in den anderen nationalen Währungen ab 1. September enthielten; diese Instruktionen seien fast alle erteilt worden, bevor die Fachpresse von der geplanten Preiserhöhung gesprochen habe (Entscheidung, Randnr. 30).

125 Wegen der Schwierigkeiten einer Preisanhebung hätten die Hersteller jedoch in ihrer Sitzung vom 26. und 27. September 1979 beschlossen, das Datum für die Erreichung des Preisziels um mehrere Monate auf den 1. Dezember 1979 zu verschieben, wobei die seinerzeit geltenden Preise im Oktober beibehalten werden sollten und die Möglichkeit für eine Zwischenerhöhung auf 1,90 oder 1,95 DM/kg im November bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 31 Absätze 1 und 2).

126 Zu der zweiten Preisinitiative heisst es in der Entscheidung (Randnr. 32), obwohl für 1980 keine Sitzungsberichte sichergestellt worden seien, stehe es fest, daß in diesem Jahr mindestens sieben Herstellersitzungen stattgefunden hätten (hierfür wird auf Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung verwiesen). Den Presseberichten vom Anfang des Jahres zufolge seien die Hersteller darauf aus gewesen, im Jahr 1980 einen starken Preisauftrieb zu begünstigen. Trotzdem seien die Preise in diesem Jahr drastisch auf 1,20 DM/kg und weniger gefallen, bevor sie sich etwa im September desselben Jahres wieder stabilisiert hätten. Von mehreren Herstellern (die Klägerin, DSM, Linz, Monte, Saga und ICI ausgenommen) erteilte Preisinstruktionen wiesen darauf hin, daß zum Zweck der Wiederanhebung der Preise die Ziele für Dezember 1980/Januar 1981 für Raffia auf 1,50 DM/kg, für Homopolymer auf 1,70 DM/kg und für Kopolymer auf 1,95 bis 2,00 DM/kg festgelegt worden seien. Ein internes Schriftstück von Solvay enthalte eine Tabelle, in der die "erzielten Preise" für Oktober und November 1980 mit den sogenannten "Listenpreisen" für Januar 1981 in Höhe von 1,50/1,70/2,00 DM/kg verglichen würden. Ursprünglich sei geplant gewesen, diese Preise ab 1. Dezember 1980 anzuwenden (vom 13. bis 15. Oktober habe in Zuerich eine Sitzung stattgefunden), doch sei diese Preisinitiative auf den 1. Januar 1981 verschoben worden.

127 Nach Randnummer 33 der Entscheidung nahm die Klägerin an den beiden Sitzungen vom Januar 1981 teil, in denen beschlossen worden sei, eine im Dezember 1980 für den 1. Februar 1981 festgelegte Preisanhebung auf 1,75 DM/kg für Raffia in zwei Stufen vorzunehmen: Die ab 1. Februar geltenden Zielpreise von 1,75 DM/kg seien aufrechterhalten worden, und die Zielpreise von 2,00 DM/kg hätten "ausnahmslos" ab 1. März eingeführt werden müssen. Für sechs Hauptsorten sei eine Tabelle der Zielpreise in sechs nationalen Währungen aufgestellt worden, die am 1. Februar bzw. 1. März 1981 habe in Kraft treten sollen.

128 In der Entscheidung (Randnr. 34) heisst es, daß die Absicht, die Preise ab 1. März auf 2,00 DM/kg anzuheben, jedoch anscheinend nicht zum Erfolg geführt habe. Die Hersteller hätten ihre Erwartungen ändern müssen und nun gehofft, bis März auf 1,75 DM/kg zu kommen. Am 25. März 1981 habe in Amsterdam eine "Experten-"Sitzung stattgefunden, über die Berichte nicht erhalten seien, doch hätten unmittelbar danach jedenfalls BASF, DSM, ICI, Monte und Shell Anweisungen zur Anhebung der Ziel- bzw. "Listenpreise" auf 2,15 DM/kg für Raffia mit Wirkung vom 1. Mai gegeben. Die Klägerin habe die gleichen Anweisungen für den 1. Mai, allerdings etwa vier Wochen später als die anderen erteilt. Einige Hersteller hätten ihren Verkaufsabteilungen die flexible Anwendung von "Mindest"- bzw. "Tiefst"-Preisen erlaubt, die etwas unter den vereinbarten Preiszielen gelegen hätten. Anfang 1981 sei es zu einem starken Preisauftrieb gekommen, der jedoch trotz der Tatsache, daß die Hersteller die Preisanhebung ab 1. Mai entschieden unterstützt hätten, nicht angehalten habe. Gegen Mitte des Jahres hätten die Hersteller eine Stabilisierung der Preise oder sogar eine gewisse Abwärtsbewegung der Preise verhindert, als die Nachfrage im Sommer zurückgegangen sei.

129 Zur dritten Preisinitiative heisst es in der Entscheidung (Randnr. 35), daß Shell und ICI eine weitere Preisinitiative für September/Oktober 1981 bereits im Juni dieses Jahres vorgesehen hätten, als ein Abklingen des Preisanstiegs des ersten Quartals deutlich geworden sei. Shell, ICI und Monte hätten sich am 15. Juni 1981 getroffen, um in Gesprächen festzulegen, wie höhere Preise auf dem Markt hätten durchgesetzt werden können. Einige Tage nach dieser Sitzung hätten ICI und Shell ihre Verkaufsabteilungen angewiesen, den Markt für eine erhebliche Erhöhung im September auf der Grundlage einer Raffiapreisanhebung auf 2,30 DM/kg vorzubereiten. Solvay habe ebenfalls seine Verkaufsabteilungen in den Benelux-Ländern am 17. Juli 1981 an die Notwendigkeit erinnert, die Abnehmer über eine wesentliche Preiserhöhung mit Wirkung vom 1. September zu unterrichten, deren genauer Betrag in der letzten Juli-Woche habe beschlossen werden sollen, für die, nämlich zum 28. Juli 1981, eine "Experten"-Sitzung angesetzt worden sei. Die geplante Anhebung auf 2,30 DM/kg im September 1981 sei wahrscheinlich in dieser Sitzung revidiert und für August auf 2,00 DM/kg für Raffia zurückgenommen worden. Der September-Preis habe 2,20 DM/kg betragen. Ein bei Hercules gefundener handschriftlicher Vermerk vom 29. Juli 1981 (einen Tag nach der Sitzung, an der Hercules wahrscheinlich nicht teilgenommen habe) enthalte diese Preise als "offizielle" Preise für August und September und verweise in verschlüsselter Form auf die Informationsquelle. Weitere Sitzungen hätten am 4. August in Genf und am 21. August 1981 in Wien stattgefunden. Nach diesen Sitzungen hätten die Hersteller neue Anweisungen erteilt, ab 1. Oktober einen Preis von 2,30 DM/kg zu praktizieren. Die Klägerin, BASF, DSM, ICI, Monte und Shell hätten fast identische Preisinstruktionen erteilt, um diese Preise im September und Oktober durchzugeben.

130 Nach der Entscheidung (Randnr. 36) war es nun beabsichtigt, sich im September und Oktober 1981 auf ein "Grundpreis"-Niveau für Raffia von 2,20 bis 2,30 DM/kg zuzubewegen. In einem Schriftstück von Shell sei der Hinweis enthalten, daß ursprünglich eine weitere Erhöhung auf 2,50 DM/kg ab 1. November zur Debatte gestanden habe. Berichte der verschiedenen Hersteller zeigten, daß die Preise im September 1981 bis in den folgenden Monat hinein gestiegen seien und die Preise für Raffia etwa 2,00 bis 2,10 DM/kg erreicht hätten. In einem Vermerk von Hercules stehe, daß das Preisziel von 2,30 DM/kg im Dezember auf einen etwas realistischeren Preis von 2,15 DM/kg zurückgeführt worden sei, daß aber "allgemeine Entschlossenheit die Preise auf 2,05 DM brachte und man noch nie so nah an die veröffentlichten (sic!) Zielpreise herangekommen ist". Ende 1981 habe die Fachpresse von Preisen auf dem Polypropylenmarkt gesprochen, die für Raffia bei 1,95 bis 2,10 DM/kg und somit etwa 20 Pfennig unter den Herstellerzielen gelegen hätten. Die Kapazitätsauslastung habe angeblich "gesunde" 80 % betragen.

131 Die vierte Preisinitiative (Juni bis Juli 1982) habe im Kontext einer Rückkehr des Marktes zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gestanden. Diese Initiative sei in der Herstellersitzung vom 13. Mai 1982 beschlossen worden, an der die Klägerin teilgenommen habe und in der eine ausführliche Tabelle der Preisziele zum 1. Juni für verschiedene Polypropylensorten in verschiedenen nationalen Währungen (2,00 DM/kg für Raffia) erarbeitet worden sei (Entscheidung, Randnrn. 37 bis 39 Absatz 1).

132 Auf die Sitzung vom 13. Mai 1982 seien Preisinstruktionen von der Klägerin, ATO, BASF, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Monte und Shell erfolgt, die, von einigen unerheblichen Ausnahmen abgesehen, den in dieser Sitzung festgelegten Zielpreisen entsprochen hätten (Entscheidung, Randnr. 39 Absatz 2). In der Sitzung vom 9. Juni 1982 hätten die Hersteller nur von bescheidenen Preisanhebungen berichten können.

133 Nach Randnummer 40 der Entscheidung nahm die Klägerin auch an der fünften Preisinitiative (September bis November 1982) teil, die in der Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 beschlossen worden sei und mit der ein Preis von 2,00 DM/kg zum 1. September und von 2,10 DM/kg zum 1. Oktober habe erreicht werden sollen, denn sie sei in den meisten, wenn nicht allen Sitzungen anwesend gewesen, die zwischen Juli und November 1982 stattgefunden hätten, als diese Initiative geplant und kontrolliert worden sei (Entscheidung, Randnr. 45). In der Sitzung vom 20. August 1982 sei die für den 1. September geplante Preisanhebung auf den 1. Oktober verschoben worden; dieser Beschluß sei in der Sitzung vom 2. September 1982 bestätigt worden (Entscheidung, Randnr. 41).

134 Nach den Sitzungen vom 20. August und 2. September 1982 hätten die Klägerin, ATO, DSM, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Monte und Shell Preisinstruktionen erteilt, die dem in diesen Sitzungen festgelegten Zielpreis entsprochen hätten (Entscheidung, Randnr. 43).

135 In der Sitzung vom 21. September 1982, an der die Klägerin teilgenommen habe, seien die Maßnahmen zur Erreichung des zuvor gesetzten Ziels geprüft worden, und die Unternehmen hätten generell einen Vorschlag zur Anhebung des Preises auf 2,10 DM/kg für November/Dezember 1982 unterstützt. Diese Anhebung sei in der Sitzung vom 6. Oktober 1982 bestätigt worden (Entscheidung, Randnr. 44).

136 Nach der Sitzung vom 6. Oktober 1982 hätten die Klägerin, BASF, DSM, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Monte, Shell und Saga Preisinstruktionen erteilt, um die beschlossene Anhebung durchzusetzen (Entscheidung, Randnr. 44 Absatz 2).

137 Wie ATO, BASF, DSM, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Monte und Saga habe auch die Klägerin der Kommission Preisinstruktionen vorgelegt, die sie ihren lokalen Verkaufsabteilungen für Oktober und November erteilt habe. Diese seien nicht nur in bezug auf Betrag und Zeit identisch, sondern entsprächen auch der Zielpreisliste, die dem Bericht von ICI über die "Experten"-Sitzung vom 2. September beigefügt sei (Entscheidung, Randnr. 45 Absatz 2).

138 Die Sitzung vom Dezember 1982 habe zu einer Vereinbarung geführt, der zufolge der November/Dezember-Stand von 2,10 DM/kg bis Ende Januar 1983 habe erreicht werden müssen (Entscheidung, Randnr. 46 Absatz 2).

139 Nach Randnummer 47 der Entscheidung hat die Klägerin schließlich auch an der sechsten Preisinitiative (Juli bis November 1983) teilgenommen. In der Sitzung vom 3. Mai 1983 sei vereinbart worden, nach Möglichkeit im Juni 1983 das Preisziel 2,00 DM/kg zu erreichen. In der Sitzung vom 20. Mai 1983 seien die Erreichung des festgelegten Ziels jedoch auf September verschoben und ein Zwischenziel für den 1. Juli (1,85 DM/kg) festgelegt worden. In einer Sitzung vom 1. Juni 1983 hätten die anwesenden Hersteller, darunter die Klägerin, sodann ihr Engagement zur Erhöhung auf 1,85 DM/kg bekräftigt. Bei dieser Gelegenheit sei vereinbart worden, daß Shell in den ECN öffentlich vorangehen werde.

140 Unmittelbar nach der Sitzung vom 20. Mai 1983 hätten die Klägerin, ICI, DSM, BASF, Linz, Shell, Hercules, ATO, Petrofina und Solvay ihren Verkaufsabteilungen Anweisungen erteilt, ab 1. Juli eine Preistabelle anzuwenden, in der Raffia mit 1,85 DM/kg ausgezeichnet gewesen sei (Entscheidung, Randnr. 49). Bei ATO und Petrofina hätten nur bruchstückhafte Preisanweisungen gefunden werden können, die allerdings bestätigten, daß diese Hersteller - Petrofina und Solvay etwas später - die neuen Preise praktiziert hätten. Mit Ausnahme von Hüls, für die für Juli 1983 keine Preisinstruktionen vorlägen, hätten also alle Hersteller, die an den Sitzungen teilgenommen bzw. ihre Unterstützung für das neue Preisziel von 1,85 DM/kg zugesagt hätten, Instruktionen erteilt, damit die neuen Preise praktiziert würden.

141 Weitere Sitzungen fanden nach Randnummer 50 der Entscheidung am 16. Juni, 6. und 21. Juli, 10. und 23. August sowie 5., 15. und 29. September 1983 statt; an ihnen hätten die üblichen Teilnehmer teilgenommen. Ende Juli und Anfang August 1983 hätten die Klägerin, BASF, DSM, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Solvay, Monte und Saga ihren verschiedenen nationalen Verkaufsabteilungen Preisinstruktionen mit Wirkung vom 1. September (auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 2,00 DM/kg) erteilt, während ein interner Vermerk von Shell vom 11. August über die Preise des Unternehmens im Vereinigten Königreich den Hinweis enthalte, daß die britische Tochter die ab 1. September geltenden Grundpreise "unterstützte", die den Preiszielen der anderen Hersteller entsprochen hätten. Ende des Monats habe Shell jedoch die britische Verkaufsabteilung angewiesen, mit der Erhöhung so lange zu warten, bis die anderen Hersteller die gewünschten Grundpreise aufgestellt hätten. Diese Instruktionen seien, abgesehen von einigen unerheblichen Ausnahmen, für jeden Typ und jede Währung identisch.

142 Die von den Herstellern erhaltenen Preisinstruktionen zeigten, daß später beschlossen worden sei, die Preisbewegung vom September aufrechtzuerhalten und für Raffia mit 2,10 DM/kg ab 1. Oktober und 2,25 DM/kg ab 1. November weitere Erhöhungen durchzuführen (Entscheidung, Randnr. 50, letzter Absatz). Die Klägerin, BASF, Hüls, ICI, Linz, Monte und Solvay hätten ihren Verkaufsabteilungen für die Monate Oktober und November identische Preise übermittelt, während Hercules zunächst etwas niedrigere Preise festgesetzt habe (Entscheidung, Randnr. 51 Absatz 1).

143 Ein bei ATO sichergestellter interner Vermerk vom 28. September 1983 enthalte eine Tabelle mit der Überschrift "Erinnerung des Cota-Preises (sic)", die für verschiedene Länder Preise für die drei Hauptpolypropylensorten im September und Oktober angebe, die mit den Preisen der Klägerin und denen von BASF, DSM, Hüls, ICI, Linz, Monte und Solvay übereinstimmten. Während der Nachprüfungen bei ATO im Oktober 1983 hätten die Vertreter des Unternehmens bestätigt, daß diese Preise den Verkaufsbüros mitgeteilt worden seien (Entscheidung, Randnr. 51 Absatz 3).

144 Die Zuwiderhandlung habe, wann immer die letzte Sitzung stattgefunden haben möge, bis zum November 1983 angedauert, da die Vereinbarung mindestens bis zu diesem Zeitpunkt ihre Wirkungen entfaltet habe; der November sei der letzte Monat, für den nachweislich Zielpreise vereinbart und Preisinstruktionen erteilt worden seien (Entscheidung, Randnr. 105 Absatz 4).

145 Abschließend wird in der Entscheidung (Randnr. 51, letzter Absatz) darauf hingewiesen, daß sich die Polypropylenpreise Ende 1983 laut Berichten der Fachpresse stabilisiert haben sollen, wobei für Raffia ein Preis von 2,08 bis 2,15 DM/kg (gegenüber dem Ziel 2,25 DM/kg) erreicht worden sei.

b) Vorbringen der Parteien

146 Die Klägerin macht im wesentlichen geltend, die Kommission bleibe den Beweis ihrer Teilnahme an den Preisinitiativen schuldig. Die von der Kommission vorgelegten Beweisstücke könnten ihre Vorwürfe nicht stützen und würden darüber hinaus durch das tatsächliche Marktverhalten der Klägerin widerlegt.

147 Für die Preisinitiative von 1979 habe die Kommission als Beweismittel nur den Bericht über eine Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) vorlegen können, dem sich nicht entnehmen lasse, ob das dort genannte Preisziel von 2,05 DM/kg das Ziel sei, das sich der Verfasser des Vermerks gesetzt habe, ob dieser Preis die allgemeine Auffassung wiedergebe oder aber ob dieser Preis - wie die Kommission behaupte - der Gegenstand einer Vereinbarung der Hersteller gewesen sei. Der Verfasser dieses Berichtes verweise jedenfalls zugleich darauf, daß ein solcher Preis weder zum 1. Oktober noch zum 1. November erreichbar sei. Trotzdem behaupte die Kommission, daß auf dieser Sitzung eine Preiserhöhung zum 1. September vereinbart worden sei.

148 Für das Jahr 1980 verfüge die Kommission über keinen einzigen Beweis für eine Preisvereinbarung.

149 Für die Preisinitiativen von 1981 habe die Kommission nur ein einziges Beweismittel vorlegen können, nämlich einen Bericht über zwei Sitzungen im Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17), in dem lediglich ein Zielpreis genannt werde, der nach dem Eingeständnis der Kommission (Entscheidung, Randnr. 34) nicht erreicht worden sei.

150 Für die Preisinitiativen der Jahre 1982 und 1983 habe die Kommission eine Reihe von Vermerken zu Sitzungen vorgelegt, die von den Vertretern einiger Hersteller verfasst worden seien. Zum einen habe die Klägerin bereits dargelegt, weshalb sie diese Vermerke für wenig verläßlich halte, und zum anderen sei der in einigen Vermerken verwendete Begriff "agreed" (vereinbart) durchaus mehrdeutig und müsse keineswegs im Sinne einer Einigung verstanden werden, da er Ausdruck einer blossen Meinungsübereinstimmung sein könne. Darüber hinaus enthalte die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) keinerlei Hinweis auf eine Einigung der Sitzungsteilnehmer. Schließlich nehme die Kommission angeblich parallele Instruktionen der einzelnen Hersteller an ihre Verkaufsabteilungen als Beleg für Vereinbarungen über Preiserhöhungen in Anspruch, doch seien diese Instruktionen den Unternehmen nicht mit dem Hinweis übermittelt worden, daß sie möglicherweise im vorliegenden Verfahren als Beweismittel verwendet werden könnten. Sie seien deshalb unzulässig und dürften nicht verwertet werden.

151 Angesichts der anfechtbaren und lückenhaften Beweise für die Preisvereinbarungen hätte die Kommission unter Berücksichtigung des Marktes prüfen müssen, ob die Unternehmen im Einklang mit den Vereinbarungen ein gemeinsames Vorgehen praktiziert hätten und insbesondere, ob von einem Bindungswillen der betroffenen Unternehmen ausgegangen werden könne. Gegen einen solchen Bindungswillen spreche die Tatsache, daß die Unternehmen jahrelang ein von den behaupteten Vereinbarungen abweichendes Marktverhalten praktiziert hätten.

152 Es wäre angebracht gewesen, auch wenn die Kommission sich dem widersetzt habe, das tatsächliche Marktverhalten der im Verfahren beschuldigten Unternehmen und insbesondere den ununterbrochen wirksamen Preiswettbewerb zu berücksichtigen. Die in den Untersuchungen der unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Coopers & Lybrand (nachstehend: Untersuchung Coopers & Lybrand) Kunde für Kunde und Monat für Monat festgestellten Netto-Verkaufserlöse wiesen eine individuell differenzierte Preisbildung in einer solchen Variationsbreite aus, daß die Behauptung der Kommission, es habe ein kollektiv-einheitliches Marktverhalten sowohl hinsichtlich der Anwendung einheitlicher Ziel- oder Mindestpreise als auch hinsichtlich angeblich vereinbarter Preiserhöhungen vorgelegen, positiv und zweifelsfrei widerlegt werde.

153 Die Klägerin kommt aufgrund von Tabellen über ihre Geschäftsbeziehungen mit drei Kunden im Jahr 1982 zu dem Ergebnis, daß die Nettopreise von den Listenpreisen je nach Kunde unterschiedlich, jedoch ganz erheblich abgewichen seien, da sie bis zu 30,7 % unter den Listenpreisen gelegen hätten. Die Nettopreise seien trotz steigender Listenpreise und angeblich vereinbarter Preiserhöhungen gefallen, da jeder Preiserhöhung um jeweils 0,10 DM oder 4,5 % ein Rückgang der Nettopreise je nach Kunde zwischen 19,7 % und 2,5 % gegenübergestanden habe.

154 Die Klägerin legt noch weitere Tabellen vor, aus denen sie folgende Schlußfolgerungen zieht: Nicht einmal 3 % der insgesamt erfassten Absatzmenge seien zu den jeweils geltenden Listenpreisen verkauft worden; knapp 23 % hätten über den Listenpreisen abgesetzt werden können, während nahezu 75 % des erfassten Absatzes unter den jeweils gültigen Listenpreisen hätten abgegeben werden müssen. Aus diesen Tabellen ergebe sich ausserdem, daß 6,8 % der über dem Listenpreis liegenden Verkäufe die Listenpreise um mehr als 5 % überschritten hätten, aber mehr als die Hälfte der Absatzmenge um mehr als 5 % und über ein Viertel um mehr als 10 % unter dem jeweils gültigen Listenpreis gelegen habe.

155 Die mikroökonomischen Ergebnisse der Untersuchung Coopers & Lybrand stimmten mit den Ergebnissen eines durch Wettbewerb gekennzeichneten Marktes überein, die eine makroökonomische Analyse unter Berücksichtigung der maßgeblichen volkswirtschaftlichen Basisdaten, Rahmenbedingungen und Indikatoren erwarten lasse. So ergebe sich aus einem Gutachten von Professor Albach von der Universität Bonn, daß die Marktergebnisse nicht von denjenigen Ergebnissen abwichen, die ein wirksamer Wettbewerb auf dem Markt für Polypropylen habe erwarten lassen. Vielmehr seien die Ergebnisse über Jahre hinweg die Folge eines ruinösen Preis- und Mengenwettbewerbs gewesen. Dieses Gutachten werde durch ein neues Gutachten von Professor Albach, das einen längeren Zeitraum betreffe und eine grössere Zahl von Unternehmen einbeziehe, bestätigt, in dem auch auf die Einwände der Kommission gegen das erste Gutachten eingegangen werde.

156 Für die Klägerin ergibt sich aus diesen Gutachten insgesamt, daß die Unternehmen zu keinem Zeitpunkt eine Vereinbarung über die Preisbildung geschlossen hätten und daher keine wettbewerbsbeschränkenden Preisvereinbarungen bewiesen seien. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0010.2

157 Bei dieser Sachlage sei es auch nicht möglich, in der behaupteten Gleichförmigkeit der Preisinstruktionen eine Verhaltensweise zu sehen, die auf einer Abstimmung beruhe. Bei diesen Instruktionen handele es sich lediglich um Rundschreiben zur unternehmensinternen Unterrichtung firmeneigener Verkaufsniederlassungen über Listenpreise. Die Klägerin habe solche Schreiben niemals an Kunden versandt. Diese unternehmensinternen Informationen hätten ebensowenig Auswirkung auf den tatsächlichen Wettbewerbsprozeß wie die behauptete Abstimmung selbst gehabt, weil auf dem Markt ein lebhafter Wettbewerb bestanden habe.

158 Ein Parallelverhalten habe es nicht gegeben, das Verhalten der Klägerin sei ausschließlich durch den am Markt herrschenden Wettbewerb bestimmt worden. Dies zwinge zu der Schlußfolgerung, daß im vorliegenden Fall ein auf einer unzulässigen Abstimmung beruhendes Marktverhalten nicht vorgelegen habe (siehe Urteil des Gerichtshofes vom 28. März 1984 in den verbundenen Rechtssachen 29 und 30/83, Compagnie royale asturienne des mines und Rheinzink/Kommission, Slg. 1984, 1679, Randnrn. 16 bis 20).

159 Die Kommission weist darauf hin, daß die Klägerin zu den regelmässigen Teilnehmern an den Sitzungen der Polypropylenhersteller gehöre. Den Berichten über die Sitzungen sei zu entnehmen, daß die in der Entscheidung beschriebenen Preisinitiativen in den Sitzungen beschlossen worden seien. Die Klägerin unterlasse es, neben den Sitzungsberichten die Übereinstimmung zwischen den von ihr und den anderen Herstellern im Anschluß an die Sitzungen erteilten Preisinstruktionen zu erwähnen. Diese Übereinstimmung sei ein weiteres Indiz für das Bestehen von Preisabsprachen. Die Kommission wendet sich gegen die Art, in der die Klägerin die vorgelegten Beweismittel prüft; diese seien nicht isoliert, sondern im Zusammenhang des Systems der Sitzungen zu würdigen.

160 Wegen der Teilnahme der Klägerin an den einzelnen Preisinitiativen verweist die Kommission auf die in der Entscheidung angeführten Beweismittel. Sie ergänzt jedoch ihre Ausführungen für das Jahr 1981 durch einen Hinweis auf eine handschriftliche Randbemerkung auf einem Schriftstück von Linz vom 15. Mai 1981 (gem. Bpkte., Anl. 21), wo es heisse: "Hoechst und BP und CL[inz] haben in Rom schon begonnen, die übrigen Halbzeug-natur Hersteller in Richtung 1.95-2, - zu bewegen!!", sowie bezueglich des Jahres 1982 durch einen Hinweis auf einen internen Vermerk von Hercules vom Frühjahr 1982 (gem. Bpkte., Anl. 22), wo man lesen könne, daß "general determination got prices up to 2,05 DM - the closest ever to published target prices" ("allgemeine Entschlossenheit die Preise auf 2,05 DM brachte und man noch nie so nah an die veröffentlichten Zielpreise herangekommen ist").

161 Die Kommission führt die Sitzungsberichte vom 2. September 1982 und 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 29 und 40) beispielhaft als Beweis dafür an, daß die Sitzungsteilnehmer sich gegenseitig versichert hätten, sich an die Sitzungsergebnisse halten zu wollen.

162 Die Kommission widerspricht der Argumentation der Klägerin, wonach die Tatsache, daß das Kartell keine Auswirkungen auf den Markt gehabt habe, beweise, daß es ein solches auf diesem Markt nicht gegeben habe. Sie bekräftigt, daß die Kartellabsprachen vor allem durch die Preisinitiativen ins Werk gesetzt worden seien und daß die Klägerin den Vorwurf der Kommission nicht richtig wiedergebe. Die Kommission habe nämlich niemals behauptet, daß alle Preisinitiativen und die von den Herstellern beschlossenen flankierenden Maßnahmen erfolgreich gewesen seien. Sie habe vielmehr in den Randnummern 74, 91 und 92 der Entscheidung ausdrücklich auf die Schwierigkeiten hingewiesen, denen sich die Hersteller bei der Durchsetzung der Zielpreise am Markt gegenübergesehen hätten. Die Behauptungen der Klägerin, daß das Kartell den Markt in keiner Weise beeinflusst und deshalb eine Absprache nicht bestanden habe, seien in zweifacher Hinsicht falsch: Erstens könne es durchaus auch erfolglose Absprachen geben, die dennoch unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag fielen; zweitens habe das von der Kommission festgestellte Kartell durchaus nicht so wenige Wirkungen gehabt, wie es die Klägerin behaupte.

163 Die der Untersuchung Coopers & Lybrand entnommenen Preistabellen ständen mit den Feststellungen der Kommission keineswegs im Widerspruch, sondern bestätigten diese sogar. Die Preisinitiativen von 1982 seien tatsächlich erfolgreich gewesen. Die Unterschiede zwischen den Preisinstruktionen der Klägerin und den 1982 tatsächlich erreichten Preisen stuenden keineswegs im Widerspruch zu den Feststellungen der Kommission. Die Gründe hierfür seien in Randnummer 74 der Entscheidung im Gegenteil eingehend erläutert worden. Solange es keine Preisinitiative gegeben habe, seien die Preisinstruktionen ("Listenpreise") der Hersteller verschiedentlich erheblich voneinander abgewichen. Zu dieser Zeit hätten die Instruktionen keine Funktion im Rahmen des Kartells gehabt, erst im Zusammenhang mit den Preisinitiativen hätten sie eine Bedeutung erworben. Für das Jahr 1982 seien der Kommission nur zwei Preisinitiativen bekanntgeworden: eine erfolglose im Juni und eine teilweise erfolgreiche im Oktober.

164 Schließlich bestreitet die Kommission den Beweiswert des neuen Gutachtens von Professor Albach aus den in der Entscheidung bereits genannten sowie aus drei weiteren Gründen: Es sei auf einer zu engen geographischen Basis erstellt worden, die Erkenntnismöglichkeiten ökonometrischer Methoden, Wettbewerbspreise zu ermitteln, seien begrenzt, und schließlich sei die Zurechnung eines Gemeinkostenanteils auf Einzelprodukte nicht möglich.

c) Würdigung durch das Gericht

165 Das Gericht stellt fest, daß die Berichte über die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zeigen, daß die Hersteller, die an diesen Sitzungen teilgenommen haben, dort die in der Entscheidung genannten Preisinitiativen vereinbart haben. So heisst es in dem Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24):

"Everyone felt that there was a very good opportunity to get a price rise through before the holidays + after some debate settled on DM 2.00 from 1st June (UK 14th June). Individual country figures are shown in the attached table."

("Alle glaubten, daß die Gelegenheit für die Durchsetzung einer Preiserhöhung vor den Ferien günstig war, und einigten sich nach Diskussion auf 2,00 DM mit Wirkung vom 1. Juni [14. Juni für das Vereinigte Königreich]. Die Zahlen nach Ländern finden sich in der beigefügten Tabelle.")

166 Da bewiesen ist, daß die Klägerin an diesen Sitzungen teilgenommen hat, kann sie nicht behaupten, den dort beschlossenen, organisierten und kontrollierten Preisinitiativen nicht zugestimmt zu haben, ohne Anhaltspunkte für die Erhärtung dieser Behauptung vorzutragen. Fehlen nämlich solche Anhaltspunkte, so gibt es keinen Grund für die Annahme, daß die Klägerin diesen Initiativen im Unterschied zu den anderen Teilnehmern der Sitzungen nicht zugestimmt hat.

167 Die Klägerin hat zwei Argumente angeführt, um allgemein darzutun, daß sie den vereinbarten Preisinitiativen in den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller nicht zugestimmt habe. Zum einen habe sie sich bei der Festlegung ihres völlig wettbewerbsorientierten Preisverhaltens auf dem Markt in keiner Weise von den Sitzungsergebnissen leiten lassen, und zum anderen könnten diese Preisinstruktionen wegen ihres rein unternehmensinternen Charakters nicht als ein Verhalten am Markt angesehen werden, zumal sie ohne Wirkung geblieben seien.

168 Diesen beiden Argumenten lässt sich nichts entnehmen, was die Behauptung der Klägerin erhärten könnte, daß sie den vereinbarten Preisinitiativen nicht zugestimmt habe. Selbst wenn das erste Argument durch Tatsachen untermauert würde, könnte es nämlich die Beteiligung der Klägerin an der Festlegung der Zielpreise in den Sitzungen nicht in Frage stellen, sondern diente höchstens dem Nachweis, daß die Klägerin das Ergebnis dieser Sitzungen nicht in die Tat umgesetzt hat. In der Entscheidung wird an keiner Stelle behauptet, daß die Klägerin Preise verlangt habe, die stets den in den Sitzungen vereinbarten Zielpreisen entsprochen hätten; dies zeigt, daß die angefochtene Handlung auch nicht auf die Durchführung der Sitzungsergebnisse durch die Klägerin gestützt wird, um deren Beteiligung an der Festlegung der Zielpreise zu beweisen.

169 Zum zweiten Argument der Klägerin ist festzustellen, daß der Wortlaut ihrer Preisinstruktionen (Schreiben vom 29. März 1985, Anlagen Hoechst 16, 17, 18 und 19) keinen Zweifel daran lässt, daß sie für ihre Kunden bestimmt waren. Dort heisst es nämlich: "Bitte informieren Sie Ihre Kunden umgehend und teilen Sie uns die Marktreaktion mit. Wir sind z. Zt. praktisch ausverkauft."

170 Jedenfalls kann die Klägerin sich nicht darauf berufen, daß ihre Preisinstruktionen rein interner Natur gewesen seien: Auch wenn sie sicherlich insofern rein interner Natur waren, als sie vom Hauptsitz an die Verkaufsabteilungen gerichtet waren, wurden sie doch erteilt, um ausgeführt zu werden und somit unmittelbar oder mittelbar Aussenwirkungen zu erzeugen, was ihnen ihren internen Charakter nimmt.

171 Im übrigen sind die Preisinstruktionen der einzelnen Hersteller im Schreiben der Kommission vom 29. März 1985 aufgeführt, das an die Klägerin gerichtet war und die Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte ergänzte. Folglich wurde die Klägerin durch die Übermittlung dieser Instruktionen in der Anlage dieses Schreibens durchaus darauf hingewiesen, daß diese als Beweise für die gegen sie erhobenen Vorwürfe verwendet werden könnten.

172 Zu der Beteiligung der Klägerin an der Preisinitiative von Juli bis Dezember 1979 hat das Gericht bereits festgestellt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin an den Sitzungen des Jahres 1979 teilgenommen hat. Darüber hinaus ergibt sich aus den übereinstimmenden Preisinstruktionen der Klägerin sowie von ATO, BASF, ICI, Linz und Shell, daß die Initiative für eine Anhebung auf 2,05 DM/kg zum 1. September 1979 Ende Juli beschlossen und bekanntgegeben wurde. Diese Initiative und ihre Verschiebung auf den 1. Dezember 1979 werden durch den Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) belegt, wo es heisst: "2.05 remains the target. Clearly 2.05 not achievable in Oct., not in Nov. Plan now is 2.05 on 1/12" ("2,05 bleibt das Ziel. 2,05 eindeutig im Oktober nicht erreichbar, auch nicht im November. Geplant ist jetzt 2,05 zum 1. Dezember.")

173 Zudem wirft die Entscheidung weder der Klägerin noch den anderen Herstellern eine Beteiligung an Preisinitiativen im Jahr 1980 vor, so daß der Hinweis der Klägerin, die Kommission verfüge insoweit über keine Beweise, unerheblich ist.

174 Im übrigen war die Klägerin als Teilnehmer an den Sitzungen des Jahres 1980 und an den Sitzungen im Januar 1981, in denen die Preisinitiative zum Beginn des Jahres 1981 beschlossen, organisiert und kontrolliert wurde, an dieser Preisinitiative beteiligt. In diesem Zusammenhang ist auf folgende Stelle des Berichts über die beiden Sitzungen im Januar 1981 hinzuweisen (gem. Bpkte., Anl. 17):

"Whilst all the evidence pointed to actual prices not reaching the previous target levels in February it was agreed that the DM 1.75 target should remain and that DM 2.00 should be introduced without exception in March."

("Obwohl alles eindeutig dafür sprach, daß die tatsächlichen Preise die früheren Ziele im Februar nicht erreichen würden, wurde beschlossen, an dem Ziel von 1,75 DM festzuhalten und im März ausnahmslos 2,00 DM einzuführen.")

175 Schließlich erlaubt die Übereinstimmung der Preisinstruktionen der einzelnen Hersteller die Feststellung, daß diese Preisinitiativen von den Herstellern in die Tat umgesetzt worden sind.

176 Ebenfalls zu Recht hat die Kommission aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, in der es heisst:

"' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule..."

("Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte der wichtigsten Polypropylen-Kategorien vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt..."),

abgeleitet, daß diese Initiativen Teil eines Systems zur Festsetzung von Preiszielen waren.

177 Das Gericht stellt schließlich fest, daß die letzte Herstellersitzung, die die Kommission nachgewiesen hat, zwar die Sitzung vom 29. September 1983 ist, daß jedoch verschiedene Hersteller (die Klägerin, BASF, Hercules, Hüls, ICI, Linz, Monte, Solvay und Saga) zwischen dem 20. September und dem 25. Oktober 1983 übereinstimmende Preisinstruktionen (Schreiben vom 29. März 1985, Anlage I) versandt haben, die am 1. November 1983 in Kraft treten sollten, und daß die Kommission deshalb vernünftigerweise davon ausgehen durfte, daß die Herstellersitzungen ihre Wirkungen bis zum November 1983 weiter entfaltet haben.

178 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zur Stützung der vorstehenden tatsächlichen Feststellungen nicht auf Schriftstücke zurückzugreifen brauchte, die sie in ihren Mitteilungen der Beschwerdepunkte nicht erwähnt oder der Klägerin nicht übermittelt hatte.

179 Folglich ist der Kommission rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen gekommen ist, die auf die in der Entscheidung genannten Preisinitiativen gerichtet waren, daß diese Preisinitiativen Teil eines Systems waren und daß deren Wirkungen bis zum November 1983 angehalten haben.

D - Die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen

a) Angefochtene Handlung

180 In der Entscheidung (Artikel 1 Buchstabe c und Randnr. 27; siehe auch Randnr. 42) wird der Klägerin vorgeworfen, sie habe mit den anderen Herstellern verschiedene Maßnahmen getroffen, um die Durchsetzung der Zielpreise zu erleichtern, wie vorübergehende Absatzeinschränkungen, Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab September 1982 ein System des "Kundenmanagements" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden.

181 Im System des "Kundenmanagements", das später (seit Dezember 1982) in weiterentwickelter Form als "Kundenführung" (account leadership) bezeichnet worden sei, sei die Klägerin wie alle Hersteller für mindestens einen Großkunden zum Koordinator oder Führer ernannt worden mit dem Auftrag, dessen Geschäfte mit seinen Lieferanten heimlich zu koordinieren. In Anwendung dieses Systems seien in Belgien, Italien, Deutschland und im Vereinigten Königreich Kunden bestimmt worden, für die jeweils ein "Koordinator" ernannt worden sei. Im Dezember 1982 sei eine umfassendere Annahme dieses Systems vorgeschlagen worden, wonach für jeden Großkunden ein Kundenführer ernannt worden sei, der "die Preisbewegungen [habe] lenken, erörtern und organisieren" sollen. Andere Hersteller, die in regelmässigen Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden gestanden hätten, seien als "Wettbewerber" bezeichnet worden und hätten mit dem Kundenführer bei der Preisfestsetzung für den betreffenden Kunden zusammenarbeiten sollen. Zum "Schutz" des Kundenführers und der Wettbewerber hätten andere Hersteller, an die sich die Kunden gewandt hätten, einen Preis fordern sollen, der über dem gewünschten Niveau gelegen habe. Entgegen den Behauptungen von ICI, das System sei nach nur wenigen Monaten, in denen es nur teilweise und ineffizient funktioniert habe, zusammengebrochen, werde aus dem Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983 deutlich, daß zu dieser Zeit über Einzelkunden und Preisangebote jedes einzelnen Herstellers an sie sowie Lieferungen und Bestellungen eingehend diskutiert worden sei.

182 In der Entscheidung (Randnr. 20) wird eingeräumt, daß es keine lokalen Sitzungen in Deutschland gegeben habe, doch wird der Klägerin vorgeworfen, engen Kontakt zu BASF und Hüls aufrechterhalten und in Fragen wie den Quoten mit ihnen eine gemeinsame Haltung eingenommen zu haben.

b) Vorbringen der Parteien

183 Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission weder das Bestehen des Systems der Kundenführerschaft noch ihre Teilnahme an einem solchen System bewiesen. Diese Vorwürfe fänden nämlich in den von der Kommission angeführten Beweismitteln keine Stütze. So sei in dem Bericht über die Sitzung vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29) allenfalls von einem Vorschlag die Rede, ebenso wie in dem Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte, Anl. 33), nach dessen Wortlaut es sich nur um einen Vorschlag handele, da es dort heisse: "The idea of account leadership was proposed." ("Der Plan einer Kundenführerschaft wurde vorgeschlagen.") Ausserdem seien die Schlußfolgerungen, die die Kommission aus der Tatsache ziehe, daß in diesem Schriftstück die Namen einiger Kunden angeführt würden, haltlos, weil dort nur ein Bruchteil der Kunden und keineswegs die wichtigsten der Klägerin erwähnt würden.

184 Ebenso sei der Bericht über eine ihrer Meinung nach am 3. Mai 1983 abgehaltene Sitzung (gem. Bpkte., Anl. 37) ohne Beweiswert, da es sich nur um einen wettbewerbsrechtlich unbedenklichen Informationsaustausch über den seinerzeit schon zurückliegenden Zeitraum von März bis April 1983 gehandelt habe.

185 Schließlich beweise eine Studie von Coopers & Lybrand mit dem Titel "Overlapping customers" (Kundenüberschneidungen), daß das System der Kundenführerschaft insbesondere gegenüber ihrem Kunden Steen nicht verwirklicht worden sei; die Studie zeige nämlich, daß dieser Kunde sich bei verschiedenen Herstellern zu unterschiedlichen Preisen eingedeckt habe. Schließlich ergebe sich auch aus der Untersuchung Coopers & Lybrand, daß die Umsatz- und Preisentwicklungen gegenüber den "Schlüsselkunden" keinen Anhaltspunkt für eine Durchsetzung der Zielpreise mittels des Systems der Kundenführerschaft böten.

186 Nach Ansicht der Kommission beweist der Bericht über die Sitzung vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29) entgegen dem Vorbringen der Klägerin sehr wohl, daß die Hersteller die Einführung des Systems der Kundenführerschaft beschlossen hätten; in dem Bericht heisse es nämlich, daß dieses System "generally agreed" (ihm allgemein zugestimmt) worden sei; im Anhang enthalte er eine Tabelle mit den Namen der Kundenführer für die einzelnen Kunden, in der die Klägerin als Kundenführer für ihren Kunden Steen aufgeführt sei.

187 Die Vereinbarung dieses Systems werde durch den Bericht über eine nach Ansicht der Kommission am 3. Mai 1983 abgehaltene Sitzung (gem. Bpkte., Anl. 37) erhärtet, in dem die Klägerin erneut als Hauptlieferant von Steen genannt werde. Die Durchführung dieses Systems werde durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen bestätigt (gem. Bpkte., Anl. 8), wonach dieses System zwei Monate funktioniert habe.

188 Schließlich bestreite die Klägerin nicht die Richtigkeit der von der Kommission vorgetragenen Tatsachen, sondern begnüge sich mit dem Hinweis auf die Untersuchungen von Coopers & Lybrand, die höchstens zeigten, daß die Klägerin bei Steen zeitweilig unterboten worden sei. Dies beweise nicht, daß es keine Vereinbarung über dieses System gegeben habe, sondern lediglich, daß die Durchführung dieser Vereinbarung auf Schwierigkeiten gestossen sei, was die Kommission niemals bestritten habe.

c) Würdigung durch das Gericht

189 Das Gericht ist der Ansicht, daß Randnummer 27 der Entscheidung im Lichte der Randnummer 26 Absatz 2 so auszulegen ist, daß dort nicht jedem einzelnen Hersteller vorgeworfen wird, sich individuell verpflichtet zu haben, alle dort genannten Maßnahmen zu treffen, sondern daß jedem einzelnen dieser Hersteller der Vorwurf gemacht wird, in den Sitzungen zu verschiedenen Zeiten mit den anderen Herstellern einen Komplex von in der Entscheidung aufgeführten Maßnahmen vereinbart zu haben, mit denen insbesondere durch eine künstliche Verknappung des Polypropylenangebots günstige Voraussetzungen für eine Preisanhebung geschaffen werden sollten, wobei die Durchführung der einzelnen Maßnahmen einvernehmlich auf die verschiedenen Hersteller nach Maßgabe ihrer spezifischen Lage verteilt worden sei.

190 Festzustellen ist, daß sich die Klägerin durch die Teilnahme an den Sitzungen, in denen dieser Komplex von Maßnahmen beschlossen worden ist (insbesondere den Sitzungen vom 13. Mai, 2. und 21. September 1982; gem. Bpkte., Anl. 24, 29, 30), an diesen Maßnahmen beteiligt hat, da sie nichts zum Beweis des Gegenteils vorträgt. Die Vereinbarung des Systems der Kundenführerschaft ergibt sich aus folgender Stelle des Sitzungsberichts vom 2. September 1982:

"About the dangers of everyone quoting exactly DM 2.00 A.' s point was accepted but rather than go below DM 2.00 it was suggested & generally agreed that others than the major producers at individual accounts should quote a few pfs higher. Whilst customers tourism was clearly to by avoided for the next month or two it was accepted that it would be very difficult for companies to refuse to quote at all when, as was likely, customers tried to avoid paying higher prices to the regular suppliers. In such cases producers would quote but at above the minimum levels for October."

("Dem Hinweis von A. auf die Gefahren, die sich ergäben, wenn alle genau 2,00 DM verlangten, wurde zugestimmt, doch wurde vorgeschlagen und allgemein vereinbart, daß, statt unter 2,00 DM zu gehen, andere als die Hauptlieferanten eines bestimmten Kunden einige Pfennige mehr verlangen sollten. Während klargestellt wurde, daß das Abwandern von Kunden im nächsten oder in den nächsten beiden Monaten zu vermeiden sei, wurde akzeptiert, daß es für die Unternehmen sehr schwer sein würde, überhaupt keine Preise zu nennen, wenn die Kunden, womit zu rechnen sei, versuchen würden, den höheren Preisen der regelmässigen Lieferer auszuweichen. In solchen Fällen sollten die Hersteller ein Preisangebot machen, das allerdings über den Mindestpreisen für Oktober liegen sollte.")

Ebenso wurde in der Sitzung vom 21. September 1982, an der die Klägerin teilgenommen hat, folgendes erklärt: "In support of the move BASF, Hercules and Hoechst said they would be taking plant off line temporarily" ("BASF, Hercules und Hoechst sagten, daß sie diesen Schritt durch eine zeitweilige Unterbrechung der Produktion bestimmter Anlagen unterstützen würden."), und in der Sitzung vom 13. Mai 1982 versicherte Fina: "Plant will be shut down for 20 days in August" ("Der Betrieb bleibt im August für 20 Tage geschlossen.").

191 Bezueglich der Kundenführerschaft ergibt sich aus den Berichten über die Sitzungen vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29), vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) und vom Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37), an denen die Klägerin teilgenommen hat, daß die in diesen Sitzungen anwesenden Hersteller sich diesem System angeschlossen haben.

192 Das Argument der Klägerin, daß sie an diesem System nicht habe beteiligt sein können, weil sie nicht zum Kundenführer mehrerer ihrer Kunden bestimmt worden sei, liegt neben der Sache. Die entscheidende Frage ist nämlich nicht, ob es sich aus der Sicht des Lieferanten um einen wichtigen Kunden handelt, sondern, ob der Lieferant, hier die Klägerin, aus der Sicht des Kunden, für den er als Kundenführer bestimmt worden ist, wichtig ist. Somit entkräftet die blosse Behauptung der Klägerin, sie sei nicht zum Kundenführer mehrerer ihrer wichtigsten Kunden bestimmt worden, nicht die Feststellung der Kommission, wonach sie der Hauptlieferant ihres Kunden Steen gewesen sei, für den sie zum Kundenführer bestimmt worden sei (siehe gem. Bpkte., Anl. 33, Tabelle 3). Im übrigen hat die Klägerin weder behauptet noch bewiesen, daß sie der Hauptlieferant eines ihrer wichtigen Kunden gewesen sei, ohne jedoch für diesen als Kundenführer bestimmt worden zu sein.

193 Die zumindest teilweise Durchführung dieses Systems wird belegt durch den Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983 (gem. Bpkte., Anl. 38), in dem es heisst:

"Belgium. A long discussion took place on the 5 Belgian A/Cs. (...) Generally speaking raffia prices appeared to be from (BFr) 32.50 to 34.50 an fibre prices from 37 to 37.50. The point was made that some other accounts were lower than the target customers. It was agreed that contenders would quote BFr 36 in May with non-contenders offering 38."

("Belgien. Es wurde ausführlich über die fünf belgischen A/Kunden diskutiert. [...] Allgemein lagen die Preise für Raffia zwischen 32,50 und 34,50 [BFR] und für Fasern zwischen 37 und 37,50. Es wurde darauf hingewiesen, daß einige andere Kunden niedriger lägen als die Zielkunden. Es wurde vereinbart, daß die Wettbewerber im Mai 36 BFR verlangten, während die Nichtwettbewerber zu 38 anböten.")

"Denmark. A long discussion took place on Jacob Holm who is asking for quotations for the 3rd quarter. It was agreed not to do this and to restrict offers to the end of June, April/May levels were at Dkr 6.30 (DM 1.72). Hercules were definitely in and should not habe been so. To protect BASF, it was agreed that CWH[üls] + ICI would quote Dkr 6.75 from now to end June (DM 1.85)..."

("Dänemark. Es wurde lang über Jacob Holm diskutiert, der Preisangebote für das dritte Quartal wünscht. Es wurde vereinbart, dies nicht zu tun und Angebote auf Ende Juni zu beschränken, das April/Mai-Niveau lag bei 6,30 DKR [1,72 DM]. Hercules war klar dabei und hätte es nicht sein sollen. Zum Schutz von BASF wurde vereinbart, daß CWH[üls] und ICI ab sofort bis Ende Juni 6,75 DKR [1,85 DM] verlangen sollen...")

Diese Durchführung wird durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) bestätigt, in der zu dieser letzten Stelle ausgeführt wird:

"In the Spring of 1983 there was a partial attempt by some producers to operate the 'Account Leadership' scheme [...] Since Hercules had not declared to the 'Account Leader' its interest in supplying Jacob Holm, the statement was made at this meeting in relation to Jacob Holm that 'Hercules were definitely in and should not habe been so'. It should be made clear that this statement refers only to the Jacob Holm account and not to the Danish market. It was because of such action by Hercules and others that the 'Account Leadership' scheme collapsed after at most two months of partial and ineffective operation.

The method by which Hüls and ICI should have protected BASF was by quoting a price of DK 6.75 for the supply of raffia grade polypropylene to Jacob Holm until the end of June."

("Im Frühjahr 1983 versuchten einige Hersteller das System der Kundenführerschaft teilweise in Gang zu bringen... Da Hercules dem Kundenführer sein Interesse an einer Belieferung von Jacob Holm nicht mitgeteilt hatte, wurde in dieser Sitzung zu Jacob Holm festgestellt: 'Hercules war klar dabei und hätte es nicht sein sollen.' Es wurde klargestellt, daß diese Feststellung sich nur auf den Kunden Jacob Holm und nicht auf den dänischen Markt bezieht. Aufgrund dieses Verhaltens von Hercules und anderer brach das System der Kundenführerschaft nach höchstens zwei Monaten, in denen es nur teilweise und ineffizient funktionierte, zusammen.

Das Vorgehen von Hüls und ICI, durch das sie BASF hätten schützen sollen, bestand darin, einen Preis von 6,75 DKR für die Lieferung von Polypropylen der Sorte Raffia an Jacob Holm bis Ende Juni zu verlangen.")

194 Im übrigen ist festzustellen, daß die Klägerin ihre Beteiligung an der Entscheidung über andere Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen nicht substantiiert bestreitet.

195 Folglich ist der Kommission rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehört, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen gekommen ist, die auf die Maßnahmen gerichtet waren, mit denen die Durchführung der in der Entscheidung genannten Preisinitiativen gefördert werden sollte.

E - Absatzziele und Quoten

a) Angefochtene Handlung

196 Nach Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung wurde in der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 "ein straffes Quotensystem als wesentlich erachtet"; in dem Bericht über diese Sitzung werde eine Regelung erwähnt, die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart worden sei, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken.

197 In Randnummer 52 der Entscheidung heisst es ausserdem, es seien bereits vor August 1982 verschiedene Marktteilungssysteme angewandt worden. Während jeder Hersteller einen prozentualen Anteil an den voraussichtlichen Geschäftsabschlüssen erhalten habe, habe es in dieser Phase noch keine systematische Beschränkung der Gesamtproduktion im voraus gegeben. Marktschätzungen hätten also regelmässig revidiert und die Verkäufe jedes Herstellers in absoluten Tonnen-Zahlen entsprechend dem prozentualen Anteil angepasst werden müssen.

198 Für 1979 seien für jeden Hersteller Absatzziele (in Tonnen) aufgestellt worden, die zumindest teilweise auf den in den drei vorangegangenen Jahren erzielten Absatzergebnissen beruht hätten. Bei ICI sichergestellte Tabellen enthielten Angaben über das "revidierte Ziel" für jeden Hersteller für 1979 im Vergleich zu den tatsächlich in diesem Jahr in Westeuropa erzielten Absatzergebnissen (Entscheidung, Randnr. 54).

199 Ende Februar 1980 hätten die Hersteller für 1980 - wiederum in Tonnen ausgedrückte - Ziele auf der Grundlage eines voraussichtlichen Marktes von 1 390 000 Tonnen vereinbart. Nach Randnummer 55 der Entscheidung wurden bei ATO und ICI mehrere Tabellen sichergestellt, die die für jeden Hersteller für 1980 "vereinbarten Ziele" enthielten. Da sich diese ursprüngliche Marktschätzung als zu optimistisch herausgestellt habe, habe die Quote der Hersteller auf eine jährliche Gesamtnachfrage von nur 1 200 000 Tonnen nach unten revidiert werden müssen. Ausser im Falle von ICI und DSM hätten die Verkaufsergebnisse der einzelnen Hersteller weitgehend ihrem Ziel entsprochen.

200 Nach Randnummer 56 der Entscheidung war die Marktteilung für 1981 Gegenstand langer, komplizierter Verhandlungen. In den Sitzungen vom Anfang des Jahres sei vereinbart worden, daß jeder Hersteller als einstweilige Maßnahme zur Durchsetzung der Preisinitiative im Februar und März seine monatlichen Verkäufe auf ein Zwölftel von 85 % des Ziels von 1980 habe beschränken sollen. Um ein längerfristiges System vorzubereiten, habe jeder Hersteller in der Sitzung mitgeteilt, wieviel Tonnen er 1981 habe verkaufen wollen. Diese "Zielvorstellungen" sämtlicher Hersteller hätten die voraussichtliche Gesamtnachfrage weit überschritten. Obwohl Shell und ICI verschiedene Kompromißformeln vorgeschlagen hätten, habe keine endgültige Quotenvereinbarung für 1981 geschlossen werden können. Als Notbehelf hätten die Hersteller auf ihre Vorjahresquote zurückgegriffen und in der Sitzung über ihre tatsächlichen monatlichen Absatzergebnisse berichtet. So seien die tatsächlichen Verkäufe vor dem Hintergrund einer theoretischen Teilung des verfügbaren Marktes auf der Grundlage der Quoten von 1980 überwacht worden (Entscheidung, Randnr. 57).

201 Nach Randnummer 58 der Entscheidung unterbreiteten die Hersteller für 1982 komplizierte Quotenvorschläge, bei denen versucht worden sei, unterschiedliche Faktoren wie frühere Leistungen, Marktziele und vorhandene Kapazität in Einklang zu bringen. Der aufzuteilende Gesamtmarkt sei auf 1 450 000 Tonnen geschätzt worden. Einige Hersteller hätten ausgeklügelte Pläne für eine Marktteilung vorgelegt, während sich andere damit zufriedengegeben hätten, lediglich ihre Zielvorstellungen mitzuteilen. In der Sitzung vom 10. März 1982 hätten Monte und ICI versucht, eine Einigung zu erzielen. Wie 1981 sei es jedoch auch 1982 nicht zu einer endgültigen Vereinbarung gekommen, so daß im ersten Halbjahr die monatlichen Verkäufe der Hersteller in den Sitzungen mitgeteilt und anhand der Vorjahresanteile überwacht worden seien (Entscheidung, Randnr. 58, letzter Absatz). In der Sitzung vom August 1982 seien die Gespräche zur Erreichung einer Vereinbarung über die Quoten für 1983 fortgesetzt worden; ICI habe mit jedem Hersteller bilaterale Gespräche über das neue System geführt. Bis zur Einführung eines solchen Quotensystems hätten die Hersteller jedoch im zweiten Halbjahr 1982 versuchen sollen, ihre monatlichen Verkäufe auf dieselben prozentualen Anteile am Gesamtmarkt zu beschränken, die jeder von ihnen im ersten Halbjahr 1982 erreicht habe. So hätten sich 1982 die Marktanteile in einem relativen Gleichgewicht befunden, das von ATO als "Quasi-Konsens" bezeichnet worden sei; unter den Grossen hätten ICI und Shell weiterhin über einen Anteil von etwa 11 % verfügt, während der Anteil der Klägerin bei 10,5 % gelegen habe. Monte, das noch immer der grösste Hersteller gewesen sei, habe seinen Marktanteil auf 15 % ausgebaut gegenüber 14,2 % im Vorjahr (Entscheidung, Randnr. 59).

202 Nach Randnummer 60 der Entscheidung forderte ICI für 1983 die Hersteller auf, ihre Quotenvorstellungen mitzuteilen und Vorschläge für die prozentualen Zuteilungen an die anderen Hersteller zu unterbreiten. Monte, Anic, ATO, DSM, Linz, Saga und Solvay sowie die deutschen Hersteller (letztere durch BASF) hätten ausführliche Vorschläge gemacht. Die verschiedenen Vorschläge seien in einen Rechner eingegeben worden, um einen Durchschnitt zu ermitteln, der mit den durchschnittlichen Bestrebungen ("aspirations") der einzelnen Hersteller verglichen worden sei. Anhand dieser Vorarbeiten habe ICI Leitlinien für eine neue Rahmenvereinbarung für 1983 angeregt. ICI habe es, um den Erfolg jedes neuen Plans für die "grossen Vier" zu gewährleisten, für wesentlich gehalten, gegen die übrigen Hersteller eine geschlossene Front zu bilden. Nach Shells Auffassung, die ICI übermittelt worden sei, habe Shell, ICI und der Klägerin jeweils eine Quote von 11 % zugewiesen werden sollen. Der Vorschlag von ICI für 1983 hätte den italienischen Herstellern 19,8 %, der Klägerin und Shell jeweils 10,9 % und ICI selbst 11,1 % zugewiesen (Entscheidung, Randnr. 62). Diese Vorschläge seien in den Sitzungen vom November und Dezember 1982 diskutiert worden. Ein zunächst auf das erste Quartal des Jahres beschränkter Vorschlag sei in der Sitzung vom 2. Dezember 1982 erörtert worden. Aus dem von ICI erstellten Bericht über diese Sitzung gehe hervor, daß die Klägerin, ATO, DSM, Hüls, ICI, Monte und Solvay sowie Hercules die ihnen zugeteilte Quote als "akzeptabel" angesehen hätten (Entscheidung, Randnr. 63). Dies werde durch den Vermerk über ein Telefongespräch zwischen ICI und Hercules vom 3. Dezember 1982 bestätigt.

203 Nach Randnummer 63 Absatz 3 der Entscheidung bestätigt ein bei Shell gefundenes Schriftstück, daß eine Vereinbarung zustande gekommen sei, da sich dieses Unternehmen bemüht habe, seine Quote nicht zu überschreiten. Dieses Dokument bestätige auch, daß ein Mengenkontrollsystem im zweiten Quartal 1983 fortgesetzt worden sei, denn die nationalen Verkaufsunternehmen in der Shell-Gruppe seien angewiesen worden, ihre Verkäufe zu reduzieren, um ihre Marktanteile im zweiten Quartal bei 11 % zu halten. Das Bestehen dieser Vereinbarung werde durch den Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 bestätigt, der zwar keinen besonderen Hinweis auf Quoten enthalte, aber erwähne, daß die Experten Einzelheiten über die von ihnen im Vormonat verkauften Mengen ausgetauscht hätten, was darauf hindeuten würde, daß irgendeine Quotenregelung bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 64).

204 Obwohl zu keiner Zeit ein System zur Sanktionierung von Quotenüberschreitungen eingeführt worden sei, habe die Regelung, wonach jeder Hersteller in den Sitzungen die im vorangegangenen Monat verkaufte Menge habe melden müssen - wobei das Risiko bestanden habe, daß die übrigen Hersteller Kritik äusserten, wenn diese Menge als unangemessen angesehen worden sei -, dazu geführt, daß das dem Hersteller zugewiesene Ziel eingehalten worden sei (Entscheidung, Randnr. 65).

b) Vorbringen der Parteien

205 Die Klägerin macht geltend, daß die von der Kommission vorgelegten Unterlagen kein Beweis für Quotenvereinbarungen seien. Offensichtlich sei eine Vielzahl dieser Unterlagen nach Ablauf des Zeitraums, auf den sie sich bezögen, auf der Grundlage nachträglich verfügbarer Daten erstellt worden. Dies sei der Fall bei den Schriftstücken, die die Kommission zum Nachweis der Quotenvereinbarungen für das Jahr 1979 und das Jahr 1980 vorgelegt habe (gem. Bpkte., Anl. 17, 55 und 59). Ausserdem lasse der in mehreren Schriftstücken verwendete Begriff "proposal" ("Vorschlag") keine Zweifel daran, daß es sich um Vorschläge und nicht um Vereinbarungen handele. Dies sei der Fall bei den Tabellen für die Jahre 1980, 1981 und 1983 (gem. Bpkte., Anl. 56, 62 und 33). Der Begriff "agreed" ("zugestimmt"), der in verschiedenen Sitzungsberichten und Tabellen auftauche, sei mehrdeutig, da er sich nicht nur auf eine Einigung, sondern auch auf eine Meinungsübereinstimmung beziehen könne, wie die Klägerin bereits ausgeführt habe. Auch bedeute der Begriff "acceptable" in einer dem Sitzungsbericht vom 2. Dezember 1982 beigefügten Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 33) nicht "angenommen". Schließlich lege die Kommission zum Nachweis dafür, daß in bestimmten Zeiträumen Quotenvereinbarungen bestanden hätten, Unterlagen vor, die sich in Wirklichkeit auf andere Zeiträume bezögen (gem. Bpkte., Anl. 17, 40, 55 und 59).

206 Da für die Jahre 1979 und 1980 keine überzeugenden Beweise vorlägen und die Kommission nicht behaupte, daß 1981 und 1982 Quotenabsprachen bestanden hätten, brauche die Klägerin somit nur darzutun, daß für das erste Halbjahr 1983 keine Vereinbarung nachgewiesen sei. Sie habe bereits gezeigt, warum der Sitzungsbericht vom 2. Dezember 1982 nicht beweiskräftig sei. Auch das von der Kommission vorgelegte interne Shell-Papier (gem. Bpkte., Anl. 90) könne den Beweis einer Quotenvereinbarung nicht erbringen, da es sich um ein unternehmensinternes Schriftstück handele. Der Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40) liefere ebenfalls keinen Beweis für eine Quotenvereinbarung für das zweite Quartal dieses Jahres, da er am Ende des Quartals erstellt worden sei und die in dieser Sitzung mitgeteilten Zahlen sich ausschließlich auf den zurückliegenden Zeitraum bezögen.

207 Die Kommission hätte angesichts der Brüchigkeit ihrer Beweisführung prüfen müssen, ob die Unternehmen auf dem Markt ein gemeinsames Vorgehen gezeigt hätten, das den angeblich in den Sitzungen vereinbarten Quoten entsprochen habe. Den Tabellen 1 und 8 der Entscheidung selbst sei zu entnehmen, daß sich die Unternehmen, bezogen auf die angeblich vereinbarten Quoten, unterschiedlich verhalten hätten, da die Hersteller sehr oft hinter der angeblich vereinbarten Quote zurückgeblieben seien.

208 So zeige die in der Tabelle 1 der Entscheidung dargestellte Marktanteilsentwicklung von 1979 bis 1983, wie wenig wahrscheinlich der Vorwurf einer Quotenabsprache sei. Aus dieser Tabelle ergebe sich für die Klägerin für 1979 bis 1983 ein Marktanteilsverlust von 2,1 %, dies entspreche bezogen auf den Marktanteil von 1979 einem Verlust von 17 %. Für die Zeit von 1977 bis 1983 seien die Marktanteilsverluste noch höher ausgefallen. Die Einbussen ließen sich entgegen der Ansicht der Kommission (Randnr. 91 der Entscheidung) auch nicht mit Zugeständnissen an die Neuankömmlinge begründen. Es entbehre der Logik und widerspreche der gegebenen Interessenlage, der Klägerin einen einseitigen Verzicht zu unterstellen, während ICI und Shell ihre Position im wesentlichen gehalten oder ihren Verlust auf allenfalls 0,5 % begrenzt hätten und der grösste Hersteller, Monte, seinen Anteil sogar gesteigert habe, immer nach den eigenen Angaben der Kommission in der Tabelle 1 der Entscheidung.

209 Ebenso führt die Klägerin als Beispiel an, daß nach der Tabelle 8 der Entscheidung, in der die tatsächlichen Verkäufe der einzelnen Hersteller für 1980 angegeben seien, alle Hersteller bis auf einen weit hinter der angeblich vereinbarten Quote zurückgeblieben seien. In keiner einzigen Tabelle stuenden die tatsächlichen Umsätze mit den angeblich vereinbarten Zielen im Einklang, und die Marktanteile der einzelnen Unternehmen seien ständigen Schwankungen unterworfen gewesen. Nach einer Entscheidung des Gerichtshofes sei die Abweichung der tatsächlichen Marktanteile von angeblich vereinbarten Quoten in besonderem Masse beweiserheblich, wenn die Beschuldigung eine Quotenabsprache zum Gegenstand habe (Urteil vom 17. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnrn. 150 f.).

210 Die Klägerin kommt aufgrund dieser Würdigung zu dem Ergebnis, daß die Schlüsse, die die Kommission aus den Tabellen 1 und 8 der Entscheidung gezogen habe, falsch seien, da diese Tabellen in Wirklichkeit bewiesen, daß keine Quotenvereinbarungen geschlossen worden seien.

211 Schließlich bemüht sich die Klägerin hauptsächlich auf der Grundlage des Gutachtens von Professor Albach um den Nachweis, daß auf dem Markt ein sehr harter Wettbewerb geherrscht habe. Angesichts der grossen Intensität des Preiswettbewerbs sei für die Klägerin kein vernünftiger Grund ersichtlich, der sie hätte veranlassen können, einerseits freiwillig auf Marktanteile zu verzichten, ohne andererseits von diesem Verzicht durch geringeren Preiswettbewerb zu profitieren. Der Verlust von Marktanteilen stelle sich als ein durch den Wettbewerb erzwungener Ausstieg aus bestimmten Marktpositionen dar.

212 Die Kommission ist dagegen der Ansicht, daß für die Jahre 1979, 1980 und 1983 Quotenvereinbarungen geschlossen worden seien. Für 1981 und 1982 sei dagegen keine endgültige Vereinbarung getroffen worden, doch habe man sich auf vorläufige Maßnahmen geeinigt.

213 Für 1979 lasse die Tabelle mit der Überschrift "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropa") (gem. Bpkte., Anl. 55) keine Zweifel an der Beteiligung der Klägerin an einer Quotenregelung. Diese Tabelle enthalte nämlich für die einzelnen Hersteller die Absatzzahlen für die Jahre 1976, 1977 und 1978, die der Marktaufteilung für 1979 zugrunde gelegt worden seien. Ausserdem enthalte die Tabelle eine Rubrik "revidiertes Ziel" für dasselbe Jahr. Die Quotenziele für 1979 seien 1979 und nicht 1980 ausgearbeitet worden. Zudem werde dieses Schriftstück durch den Bericht über eine Herstellersitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) bestätigt, wonach die Hersteller die Frage der Absatzziele dort erörtert und ein straffes Quotensystem für entscheidend gehalten hätten.

214 Für 1980 sei eine Quotenvereinbarung geschlossen worden. Dies ergebe sich vor allem aus einer bei ATO gefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 mit der Bezeichnung "Polypropylen - Sales target 1980 (kt)" ("Polypropylen-Verkaufsziel 1980 [kt]"), in der für alle westeuropäischen Hersteller ein "1980 target" ("Ziel 1980"), "opening suggestions" ("Ausgangsvorschläge"), "proposed adjustments" ("vorgeschlagene Berichtigungen") und "agreed targets 1980" ("vereinbarte Ziele 1980") verglichen würden. Dieses Schriftstück zeige, wie die Quoten ausgearbeitet worden seien. Bestätigt werde diese Würdigung durch den Bericht über zwei Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17), in denen die Verkaufszielmengen und die von den verschiedenen Herstellern tatsächlich verkauften Mengen verglichen worden seien. Zweck des Quotensystems sei die Stabilisierung der Marktanteile gewesen. Deshalb hätten sich die Vereinbarungen auf die Marktanteile gerichtet, die dann in Mengen als Bezugsgrössen umgerechnet worden seien, da ohne die Umrechnung nicht feststellbar gewesen wäre, ab welchem Zeitpunkt ein Kartellteilnehmer seine Verkaufstätigkeit absprachegemäß hätte drosseln sollen. Zu diesem Zweck sei eine Vorausschätzung des Gesamtvolumens der zu erwartenden Verkäufe unerläßlich gewesen. Da sich die anfänglichen Vorausschätzungen für das Jahr 1980 als zu optimistisch erwiesen hätten, habe der ursprüngliche Ansatz des Gesamtvolumens der Verkäufe mehrfach angepasst werden müssen, mit der Folge, daß die den einzelnen Unternehmen zugewiesenen Mengen ebenfalls hätten angepasst werden müssen. Somit sei für 1980 der Beweis einer Quotenvereinbarung erbracht.

215 Für 1981 räumt die Kommission ein, daß es keine Vereinbarung für das ganze Jahr gegeben habe. Die Hersteller hätten sich jedoch vorläufig darauf geeinigt, ihre Verkäufe in den Monaten Februar und März auf ein Zwölftel von 85 % der für das Vorjahr vereinbarten Ziele zu begrenzen, wie sich aus dem Bericht über die beiden Sitzungen vom Januar 1981 ergebe. Während der übrigen Monate des Jahres 1981 habe ein System der laufenden Überwachung der von den einzelnen Herstellern auf den Markt gebrachten Mengen bestanden.

216 1982 sei die Lage genauso gewesen wie 1981. Obwohl keine Quotenvereinbarung geschlossen worden sei, sei die Kontrolle der Marktanteile der einzelnen Hersteller in den Sitzungen vom 9. Juni und 20. August 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25 und 28) sowie in den Sitzungen vom Oktober, November und Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 31 bis 33) fortgeführt worden. Die Marktanteile hätten sich in diesem Zeitraum in einem relativen Gleichgewicht befunden. Dies zeige ein Schriftstück von ATO (gem. Bpkte., Anl. 72), in dem die Situation als "Quasi-Konsens" bezeichnet werde. Die Kommission verweist ausserdem auf ihre Feststellungen in den Randnummern 58 und 59 der Entscheidung.

217 Die Kommission verfüge über die von den einzelnen Herstellern angestrebten Verkaufszahlen und über die Vorschläge, die sie insoweit für sich selbst und die anderen Hersteller auf Anfrage von ICI gemacht und dieser im Hinblick auf den Abschluß einer Quotenvereinbarung für 1983 übermittelt hätten (gem. Bpkte., Anl. 74 bis 84). Die Vorschläge seien in einen Rechner eingegeben worden, um einen Durchschnitt zu ermitteln, der dann mit den Bestrebungen der einzelnen Hersteller verglichen worden sei (gem. Bpkte., Anl. 85). Neben diesen Schriftstücken legt die Kommission einen internen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene framework 1983" ("Polypropylen-Rahmen 1983") (gem. Bpkte., Anl. 86) vor, in der ICI die Leitlinien für eine künftige Quotenvereinbarung darlege, sowie einen weiteren internen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene framework" ("Polypropylen-Rahmen") (gem. Bpkte., Anl. 87), aus dem sich ergebe, daß letztere eine Quotenvereinbarung für unerläßlich gehalten habe.

218 Für eine Quotenvereinbarung für das erste Quartal gebe es zahlreiche übereinstimmende Indizien. Die Kommission stützt sich dabei zunächst auf die Tabelle 2 im Anhang zum Sitzungsbericht vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33). Die Tabelle enthalte für jeden Hersteller eine Quote, die in der Mehrzahl der Fälle mit einem Häkchen versehen sei, das auf das Wort "acceptable" am Fuß der Tabelle verweise. Hieraus lasse sich ein wesentlicher Fortschritt auf dem Weg zu einer Quotenvereinbarung ableiten, da alle Hersteller dem Prinzip einer Quotenvereinbarung zugestimmt hätten und die meisten mit der ihnen zugedachten individuellen Quote einverstanden gewesen seien. Zudem ergebe sich aus dem internen ICI-Vermerk vom Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 35), daß ICI die Ausarbeitung einer Quotenvereinbarung für den Beginn des Jahres 1983 als unerläßlich für ein erfolgreiches Funktionieren des Kartells betrachtet habe. Diese Unterlagen zeigten, welch erhebliche Anstrengungen unternommen worden seien, um zu einer Quotenvereinbarung für das erste Quartal 1983 zu gelangen.

219 Die Kommission stützt ihre Ansicht, daß die Vorschläge zu einer Vereinbarung geführt hätten, für das erste Quartal auf ein internes Schriftstück von Shell (gem. Bpkte., Anl. 90), das beweise, daß letztere einer Quotenvereinbarung für 1983 zugestimmt habe, da sie ihre Tochtergesellschaften angewiesen habe, ihre Verkäufe zur Einhaltung der Quote zu reduzieren ("This compares with W.E. Sales in 1Q of 43 kt: and would lead to a market share of approaching 12 % and well above the agreed SHELL target of 11 %" ["Dem stehen im ersten Quartal Verkäufe in Westeuropa von 43 kt gegenüber; dies würde zu einem Marktanteil von nahezu 12 % und damit deutlich über dem vereinbarten Shell-Ziel von 11 % führen"]). Eine solche Quotenvereinbarung müsse sich notwendigerweise auf alle Unternehmen eines Sektors erstrecken, um funktions- und konsensfähig zu sein. Auch die Klägerin müsse daher an dieser Vereinbarung beteiligt gewesen sein.

220 Für das zweite Quartal 1983 gelte dieselbe Überlegung, die durch den Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40) und eine Tabelle bestätigt werde, in der die "1983 aspirations" auf der Grundlage der Verkaufszahlen für das erste Semester 1982 dargestellt würden (gem. Bpkte., Anl. 84), die nach Ansicht der Kommission zeigen, daß der Informationsaustausch über die verkauften Mengen der Kontrolle der Quoten gedient habe.

221 Das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich der Verringerung ihres Marktanteils erschüttere die Feststellungen der Kommission nicht, da in einem ICI-Dokument (gem. Bpkte., Anl. 98) sehr deutlich die Strategie der "grossen Vier" hinsichtlich der Marktanteile beschrieben werde. Diese hätten nämlich ausdrücklich in Kauf genommen, daß der Abschluß einer Absprache zur Marktaufteilung nicht in jeder Beziehung Erfolg versprochen hätte. Nach der Tabelle 8 der Entscheidung seien ausserdem die Marktanteile für Polypropylen auf dem westeuropäischen Markt während des Zeitraums, für den Quotenabsprachen bestanden hätten, bemerkenswert stabil geblieben. Insoweit seien die in dem Gutachten von Professor Albach genannten Verschiebungen auf dem Markt der Bundesrepublik Deutschland durch entsprechende Verschiebungen in anderen Mitgliedstaaten ausgeglichen worden.

c) Würdigung durch das Gericht

222 Das Gericht erinnert daran, daß die Klägerin von Anfang an an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller teilgenommen hat, in denen die Verkaufsmengen der verschiedenen Hersteller diskutiert und Informationen hierüber ausgetauscht worden sind.

223 Parallel zur Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen wird ihr Name in verschiedenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61) genannt, deren Inhalt eindeutig darauf hinweist, daß sie zur Festlegung von Verkaufsmengenzielen bestimmt waren. Die meisten Klägerinnen haben in ihren Antworten auf eine schriftliche Frage des Gerichts eingeräumt, daß es nicht möglich gewesen sei, die bei ICI, ATO und Hercules aufgefundenen Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des FIDES-Systems zu erstellen. ICI hat im übrigen in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu einer dieser Tabellen erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Die Kommission ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß die in diesen Tabellen enthaltenen Angaben, die die Klägerin betreffen, von ihr selbst im Rahmen der Sitzungen gemacht worden waren, an denen sie teilgenommen hatte. Deshalb ist die Behauptung der Klägerin, die genannten Tabellen seien interne Unterlagen gewesen, die aufgrund der FIDES-Statistiken erstellt worden seien, zurückzuweisen. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0010.3

224 Die in den Tabellen für die Jahre 1979 und 1980 benutzte Terminologie (wie "revised target" ["revidiertes Ziel"], "opening suggestions" ["Ausgangsvorschläge"], "proposed adjustments" ["vorgeschlagene Berichtigungen"] und "agreed targets" ["vereinbarte Ziele"]) lässt den Schluß zu, daß es zwischen den Herstellern zu Willensübereinstimmungen gekommen ist.

225 Für das Jahr 1979 ist auf der Grundlage des gesamten Berichts über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) und der bei ICI sichergestellten, nicht datierten Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 55) mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropa"), in der für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 sowie unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979"), "revised target" ("revidiertes Ziel") und "79" weitere Zahlen genannt werden, festzustellen, daß in dieser Sitzung die Notwendigkeit anerkannt wurde, das für 1979 vereinbarte Quotensystem für die letzten drei Monate dieses Jahres zu verschärfen. Der Ausdruck "tight" ("strikt") in Verbindung mit der Begrenzung auf 80 % von einem Zwölftel der vorgesehenen jährlichen Verkäufe weist darauf hin, daß die für 1979 ursprünglich geplante Regelung für diese letzten drei Monate verschärft werden sollte. Diese Auslegung des Sitzungsberichts wird durch die genannte Tabelle bestätigt, denn diese enthält unter der Überschrift "79" in der letzten Spalte rechts von der Spalte mit der Überschrift "revised target" Zahlen, die den ursprünglich festgelegten Quoten entsprechen müssen. Diese müssen im Sinne einer Verschärfung revidiert worden sein, da sie auf der Grundlage einer zu optimistischen Marktschätzung festgelegt worden waren, wie dies auch 1980 der Fall war. Diese Feststellungen werden nicht dadurch entkräftet, daß in Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung eine Regelung erwähnt wird, "die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart wurde, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken". Dieser Hinweis ist in Verbindung mit Randnummer 54 der Entscheidung so zu verstehen, daß ursprünglich schon für die monatlichen Verkäufe der ersten acht Monate des Jahres 1979 Verkaufsmengenziele festgelegt worden waren.

226 Für das Jahr 1980 stellt das Gericht fest, daß die Festlegung von Verkaufsmengenzielen für das gesamte Jahr aus der bei ATO aufgefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 (gem. Bpkte., Anl. 60) hervorgeht, die eine Spalte "agreed targets 1980" ("vereinbarte Ziele 1980") enthält, und aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17), in denen Hersteller, unter ihnen die Klägerin, die tatsächlich verkauften Mengen ("Actual kt") mit den festgelegten Zielen ("Target kt") verglichen haben. Dazu ist festzustellen, daß der Unterschied bei den für die Klägerin als "Ziel" für 1980 genannten Zahlen zwischen der Tabelle vom 26. Februar 1980, wo 165 kt aufgeführt sind, und dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981, wo 142,8 kt aufgeführt sind, diese Feststellung nicht widerlegen kann, da die Vorausschätzungen der Hersteller bezueglich des Marktvolumens für 1980 im Laufe dieses Jahres nach unten korrigiert werden mussten, was zu einer - anteiligen - Verringerung der der Klägerin und den anderen Herstellern zugeteilten Quoten führte. Im Februar 1980 waren die Quoten in der Rubrik "agreed targets 1980" ("vereinbarte Ziele 1980") dementsprechend auf der Grundlage eines Marktes von 1 390 kt festgelegt worden, während sich im Januar 1981 zeigte, daß der Markt nur 1 200 kt aufgenommen hatte.

227 Nach dem genannten Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 teilte die Klägerin ausserdem ihre Absatzzahlen für 1980 für einen Vergleich mit den Verkaufsmengenzielen mit, die für 1980 festgelegt und angenommen worden waren.

228 Für 1981 weist das Gericht darauf hin, daß den Herstellern vorgeworfen wird, daß sie an den Verhandlungen teilgenommen hätten, um zu einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr zu kommen, sowie daß sie in diesem Rahmen ihre "Bestrebungen" mitgeteilt hätten und in Erwartung einer solchen Vereinbarung übereingekommen seien, ihre monatlichen Verkäufe während der Monate Februar und März 1981 vorübergehend auf ein Zwölftel von 85 % des für 1980 vereinbarten "Ziels" zu reduzieren, daß sie sich für den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen hätten, daß sie jeden Monat in den Sitzungen ihre Verkäufe bekanntgegeben hätten und daß sie schließlich überprüft hätten, ob ihre Verkäufe die zugeteilte theoretische Quote einhielten.

229 Daß zwischen den Herstellern Verhandlungen im Hinblick auf die Einführung einer Quotenregelung stattgefunden haben und daß die Hersteller in diesen Verhandlungen ihre "Bestrebungen" mitgeteilt haben, wird durch verschiedene Beweismittel belegt, wie Tabellen, die für jeden Hersteller dessen Zahlen für die Jahre 1979 und 1980 als "actual" und "targets" sowie seine "aspirations" für 1981 ausweisen (gem. Bpkte., Anl. 59 und 61), eine in italienischer Sprache abgefasste Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 62), die für jeden Hersteller dessen Quote für 1980, die Vorschläge anderer Hersteller bezueglich der ihm für 1981 zuzuteilenden Quoten und seine eigenen "Bestrebungen" für 1981 ausweist, sowie einen internen Vermerk von ICI (gem. Bpkte., Anl. 63) über den Verlauf dieser Verhandlungen, in dem es heisst:

"Taking the various alternatives discussed at yesterday' s meeting we would prefer to limit the volume to be shared to no more than the market is expected to reach in 1981, say 1.35 million tons. Although there has been no further discussion with Shell, the four majors could set the lead by accepting a reduction in their 1980 target market share of about 0.35 % provided the more ambitious smaller producers such as Solvay, Saga, DSM, Chemie Linz, Anic/SIR also tempered their demands. Provided the majors are in agreement the anomalies could probably be best handled by individual discussions at Senior level, if possible before the meeting in Zuerich."

("Unter den verschiedenen in der gestrigen Sitzung erörterten Möglichkeiten bevorzugen wir diejenige, die aufzuteilende Menge auf das Volumen zu begrenzen, das der Markt 1981 voraussichtlich erreichen wird, also etwa 1,35 Millionen Tonnen. Obwohl keine weitere Diskussion mit Shell stattgefunden hat, könnten die vier Grossen die Richtung weisen, indem sie ihren Zielmarktanteil für 1980 um etwa 0,35 % reduzieren, sofern die ehrgeizigeren kleineren Hersteller wie Solvay, Saga, DSM, Chemie Linz, Anic/SIR ihre Forderungen ebenfalls zuegeln. Vorausgesetzt, die Grossen sind sich einig, könnten die Anomalien möglicherweise durch individuelle Diskussionen auf Chefebene möglichst vor der Sitzung in Zuerich bewältigt werden.")

Diesem Dokument ist ein bezifferter Kompromißvorschlag beigefügt, in dem das von jedem Hersteller erzielte Ergebnis mit 1980 verglichen wird ("% of 1980 target").

230 Die Annahme vorläufiger Maßnahmen in Form einer Reduzierung der monatlichen Verkäufe in den Monaten Februar und März 1981 auf ein Zwölftel von 85 % des für das Vorjahr vereinbarten Ziels ergibt sich aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981, in dem es heisst:

"In the meantime [february-march] monthly volume would be restricted to 1/12 of 85 % of the 1980 target with a freeze on customers."

("In der Zwischenzeit [Februar/März] soll die monatliche Menge auf 1/12 von 85 % des Ziels 1980 mit einem Einfrieren der Kunden reduziert werden.")

231 Die Tatsache, daß sich die Hersteller für den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen und durch den monatlichen Austausch ihrer Verkaufszahlen überprüft haben, ob die Verkäufe diese Quote einhielten, wird durch drei im Zusammenhang zu sehende Schriftstücke bewiesen. Es handelt sich erstens um eine Tabelle vom 21. Dezember 1989 (gem. Bpkte., Anl. 67), in der für jeden Hersteller die nach Monaten aufgeschlüsselten Verkäufe angegeben werden und deren letzte drei Spalten bezueglich der Monate November und Dezember sowie für das gesamte Jahr handschriftlich hinzugefügt worden sind. Zweitens handelt es sich um eine bei ICI gefundene, in italienischer Sprache abgefasste Tabelle ohne Datum mit der Bezeichnung "Scarti per società" ("Abweichungen, aufgeschlüsselt nach Gesellschaften") (gem. Bpkte., Anl. 65), in der für jeden Hersteller für die Zeit von Januar bis Dezember 1981 die Verkaufszahlen "actual" mit den Zahlen "theoretic[al]" ("theoretisch") verglichen werden. Es handelt sich drittens um eine bei ICI gefundene, nicht datierte Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 68), in der für jeden Hersteller für die Zeit von Januar bis November 1981 die Verkaufszahlen und die Marktanteile mit denjenigen von 1979 und von 1980 verglichen werden, wobei eine Vorausberechnung für das Jahresende vorgenommen wird.

232 Die erste Tabelle zeigt, daß die Hersteller ihre monatlichen Verkaufszahlen ausgetauscht haben. Verbindet man sie mit den - in den beiden anderen, auf denselben Zeitraum bezogenen Tabellen angestellten - Vergleichen zwischen diesen Zahlen und denjenigen von 1980, so erhärtet ein solcher Austausch von Informationen, die ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer streng als Betriebsgeheimnisse hütet, die Schlußfolgerungen, zu denen die Kommission in der Entscheidung gekommen ist.

233 Die Teilnahme der Klägerin an diesen verschiedenen Aktivitäten ergibt sich zum einen aus ihrer Teilnahme an den Sitzungen, in denen diese Aktionen stattgefunden haben, namentlich an den Sitzungen vom Januar 1981, und zum anderen daraus, daß ihr Name in den erwähnten Schriftstücken genannt wird. Diese Schriftstücke enthalten im übrigen Zahlen, die nach der Antwort von ICI auf eine schriftliche Frage des Gerichts - auf die andere Klägerinnen in ihrer eigenen Antwort Bezug nehmen - nicht auf der Grundlage der Statistiken des FIDES-Systems hätten erstellt werden können.

234 Für 1982 weist das Gericht darauf hin, daß den Herstellern vorgeworfen wird, daß sie an den Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluß einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr teilgenommen hätten, daß sie in diesem Rahmen ihre Bestrebungen im Hinblick auf die Verkaufsmengen mitgeteilt hätten, daß sie in Ermangelung einer endgültigen Vereinbarung in den Sitzungen ihre monatlichen Verkaufszahlen für das erste Halbjahr mitgeteilt und mit dem im Vorjahr erzielten prozentualen Anteil verglichen hätten und daß sie sich während des zweiten Halbjahrs bemüht hätten, ihre monatlichen Verkäufe auf den prozentualen Anteil des Gesamtmarkts zu beschränken, den sie in der ersten Hälfte dieses Jahres erzielt hätten.

235 Daß zwischen den Herstellern Verhandlungen im Hinblick auf die Einführung einer Quotenregelung stattgefunden haben und daß die Hersteller in diesem Rahmen ihre Bestrebungen mitgeteilt haben, wird belegt erstens durch ein Schriftstück mit der Bezeichnung "Scheme for discussions 'quota system 1982' " ("Diskussionsschema für ein Quotensystem 1982") (gem. Bpkte., Anl. 69), in dem für alle Adressaten der Entscheidung mit Ausnahme von Hercules die Menge, auf die jeder Anspruch zu haben glaubte, und ausserdem für einige (alle ausser Anic, Linz, Petrofina, Shell und Solvay) die Menge angegeben wird, die ihrer Ansicht nach den anderen Herstellern zugeteilt werden sollte; zweitens durch einen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene 1982, Guidelines" ("Polypropylen 1982, Leitlinien") (gem. Bpkte., Anl. 70, a), in dem ICI die laufenden Verhandlungen analysiert; drittens durch eine Tabelle vom 17. Februar 1982 (gem. Bpkte., Anl. 70, b), in der verschiedene Vorschläge zur Aufteilung der Verkäufe verglichen werden, von denen einer mit der Bezeichnung "ICI Original Scheme" ("ursprüngliches Schema ICI") in einer anderen, handgeschriebenen Tabelle von Monte in einer Spalte mit der Überschrift "Milliavacca 27/1/82" (es handelt sich um den Namen eines Angestellten von Monte) geringfügig angepasst worden ist (gem. Bpkte., Anl. 70, c); schließlich durch eine in italienischer Sprache abgefasste Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 71), die einen komplexen Vorschlag darstellt (beschrieben in der Entscheidung, Randnr. 58 Absatz 2 am Ende).

236 Die für das erste Halbjahr getroffenen Maßnahmen werden durch den Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24) bewiesen, in dem es unter anderem heisst:

"To support the move a number of other actions are needed a) limit sales volume to some agreed prop. of normal sales."

("Zur Unterstützung dieses Schritts ist eine Reihe weiterer Maßnahmen erforderlich a) Begrenzung des Verkaufsvolumen auf einen bestimmten, vereinbarten Teil der üblichen Verkäufe.")

Ausserdem erklärte die Klägerin selbst folgendes in dieser Sitzung:

"Trying to stabilise German market by selling extra tonnage in ROW markets - already have achieved 50 % of 1982 target for overseas sales. In 1982 will not sell more in total than in 1981, might possibly be leß. Stocks currently 1.5 months + living from hand to mouth on copolymers. Don' t expect too much of a drop in demand in Germany in Summer months + therefore no pressure to seek volume for next 3-5 months or even for remainder of year."

("Versuchen den deutschen Markt durch Verkauf von Extramenge auf Märkten der restlichen Welt zu stabilisieren - haben bereits 50 % des Ziels 1982 für Überseeverkäufe erreicht. Werden 1982 insgesamt nicht mehr als 1981 verkaufen, möglicherweise weniger. Lagerbestände derzeit 1,5 Monate + leben bei Kopolymeren von der Hand in den Mund. Erwarten keinen zu grossen Nachfragerückgang in Deutschland in den Sommermonaten + deshalb kein Druck, in den nächsten drei bis fünf Monaten oder sogar für den Rest des Jahres eine Erhöhung der Menge anzustreben.")

237 Die Durchführung dieser Maßnahmen wird bewiesen durch den Bericht über die Sitzung vom 9. Juni 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25), dem eine Tabelle beigefügt ist, in der für jeden Hersteller die Verkaufszahlen "actual" für die Monate Januar bis April 1982, verglichen mit einer als "theoretical based on 1981 av[erage] market share" ("theoretisch, gestützt auf den durchschnittlichen Marktanteil 1981") bezeichneten Zahl genannt wird, sowie durch den Bericht über die Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 (gem. Bpkte., Anl. 26) für den Zeitraum Januar bis Mai 1982 und durch den Bericht über die Sitzung vom 20. August 1982 (gem. Bpkte., Anl. 28) für den Zeitraum Januar bis Juli 1982.

238 Die für das zweite Halbjahr getroffenen Maßnahmen werden bewiesen durch den Bericht über die Sitzung vom 6. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 31), in dem es zum einen heisst: "In October this would also mean restraining sales to the Jan/June achieved market share of a market estimated at 100 kt" ("im Oktober würde dies auch eine Begrenzung der Verkäufe auf den Anteil bedeuten, der im Zeitraum Januar/Juni bei einem auf 100 kt geschätzten Markt erzielt wurde") und zum anderen: "Performance against target in September was reviewed" ("das Verhältnis zwischen erreichtem Ergebnis und Ziel im September wurde geprüft"). Diesem Bericht ist eine Tabelle mit der Bezeichnung "September provisional sales versus target (based on Jan-June market share applied to demand est[imated] at 120 kt)" ("voraussichtliche Verkäufe im September im Verhältnis zum Ziel [auf der Grundlage des Marktanteils Januar/Juni bei einer geschätzten Nachfrage von 120 kt"]) beigefügt. Die Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen wird durch den Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) bestätigt, dem eine Tabelle beigefügt ist, in der für den November 1982 die Verkäufe "Actual" mit den Zahlen "Theoretical", berechnet auf der Basis "J-June % of 125 Kt" ("J-Juni Prozentsatz von 125 kt"), verglichen werden. Diese Feststellung wird durch den internen ICI-Vermerk vom Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 35), in dem das Fehlen einer Quotenvereinbarung beklagt wird, nicht widerlegt, da dort das Fehlen einer Vereinbarung für das Jahr 1983 beklagt wird, wie sich aus folgender Stelle ergibt:

"I feel it is essential for the meeting to decide on the first quarter volume as any delay until January would mean that a very significant part of the agreement period will already have been committed... Also, the agreement must start in January if any benefits accruing from it will be recognized before the end of March."

("Es ist meiner Meinung nach für das Treffen entscheidend [ganz offensichtlich ist die Sitzung vom 21. Dezember 1982 gemeint], über die Mengen des ersten Quartals zu beschließen, da jeder Aufschub bis Januar bedeuten würde, daß für einen ganz erheblichen Teil des Vereinbarungszeitraums bereits Verpflichtungen bestehen... Deshalb muß die Vereinbarung im Januar beginnen, wenn sie irgendeinen spürbaren Nutzen vor Ende März bringen soll.")

239 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission für das Jahr 1981 und für die beiden Halbjahre des Jahres 1982 aus der Tatsache, daß in den regelmässigen Sitzungen eine gegenseitige Überwachung der Durchführung eines Systems zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum stattgefunden hat, zu Recht gefolgert hat, daß dieses System von den Teilnehmern an den Sitzungen angenommen worden war.

240 Für das Jahr 1983 stellt das Gericht fest, daß sich aus den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken (gem. Bpkte., Anl. 33, 85 und 87) ergibt, daß die Polypropylenhersteller Ende 1982 und Anfang 1983 eine Quotenregelung für das Jahr 1983 erörtert haben, daß die Klägerin an den Sitzungen, in denen diese Diskussionen stattgefunden haben, teilgenommen hat und daß sie bei dieser Gelegenheit Angaben über ihre Verkäufe gemacht hat; zudem steht in der dem Sitzungsbericht vom 2. Dezember 1982 beigefügten Tabelle 2 (gem. Bpkte., Anl. 33) das Wort "acceptable" neben der beim Namen der Klägerin aufgeführten Quote.

241 Folglich hat die Klägerin an den Verhandlungen zur Erreichung einer Quotenregelung für 1983 teilgenommen.

242 Zu der Frage, ob diese Verhandlungen für die ersten beiden Quartale des Jahres 1983 erfolgreich waren, wie in der Entscheidung behauptet wird (Randnrn. 63 Absatz 3 und 64), weist das Gericht darauf hin, daß sich aus dem Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40) ergibt, daß die Klägerin wie auch neun andere Unternehmen in dieser Sitzung ihre Verkaufszahlen für den Monat Mai genannt hat. Ferner heisst es in dem Bericht über eine interne Sitzung der Shell-Gruppe vom 17. März 1983 (gem. Bpkte., Anl. 90):

"... and would lead to a market share of approaching 12 % and well above the agreed Shell target of 11 %. Accordingly the following reduced sales targets were set and agreed by the integrated companies".

("... und würde zu einem Marktanteil führen, der nahe bei 12 % und damit deutlich über dem vereinbarten Shell-Ziel von 11 % läge. Demgemäß wurden die folgenden reduzierten Verkaufsziele von den Unternehmen der Gruppe festgelegt und vereinbart.")

Nach Angabe der neuen Mengen heisst es weiter:

"This would be 11.2 Pct of a market of 395 kt. The situation will be monitored carefully and any change from this agreed plan would need to be discussed beforehand with the other PIMS members."

("Das wären 11,2 % eines Marktes von 395 kt. Die Lage wird aufmerksam beobachtet, und jede Abweichung von diesem vereinbarten Plan muß im voraus mit den anderen PIMS-Mitgliedern erörtert werden.")

243 Hierzu stellt das Gericht fest, daß die Kommission aus diesen beiden, im Zusammenhang miteinander gesehenen Schriftstücken zu Recht gefolgert hat, daß die Verhandlungen zwischen den Herstellern zur Einführung einer Quotenregelung geführt haben. So zeigt der interne Vermerk der Shell-Gruppe, daß dieses Unternehmen seine nationalen Verkaufsgesellschaften aufgefordert hat, ihre Verkäufe zu reduzieren, und zwar nicht, um das Gesamtverkaufsvolumen der Shell-Gruppe zu verringern, sondern um den Gesamtmarktanteil dieser Gruppe auf 11 % zu begrenzen. Eine solche Begrenzung auf einen bestimmten Marktanteil lässt sich nur im Rahmen einer Quotenregelung erklären. Darüber hinaus stellt der Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 einen zusätzlichen Anhaltspunkt für das Bestehen einer solchen Regelung dar, denn ein Austausch von Informationen über die monatlichen Verkäufe der einzelnen Hersteller dient in erster Linie der Kontrolle der Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen.

244 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Zahl von 11 % als Marktanteil für Shell nicht nur in dem internen Vermerk von Shell, sondern auch in zwei anderen Schriftstücken genannt wird, nämlich zum einen in einem internen Vermerk von ICI, in dem diese darauf hinweist, daß Shell diese Zahl für sich selbst, für Hoechst und für ICI vorschlägt (gem. Bpkte., Anl. 87), und zum anderen in dem von ICI verfassten Bericht über ein Treffen vom 29. November 1982 zwischen ICI und Shell, bei dem an diesen Vorschlag erinnert worden ist (gem. Bpkte., Anl. 99).

245 Wie diese Ausführungen zeigen, erwiesen sich die von ICI in ihrem internen Vermerk vom Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 35) geäusserten Befürchtungen, es werde 1983 keine Quotenregelung zustande kommen, als nicht begründet; trotz der anfänglich sehr unterschiedlichen Verhandlungspositionen (gem. Bpkte., Anl. 74 bis 84) gelang es den Herstellern, eine solche Regelung zustande zu bringen, da die Kompromißvorschläge, die eine Reihe von Herstellern für annehmbar hielt (gem. Bpkte., Anl. 33, Tabelle 2), schließlich von allen akzeptiert wurden.

246 Im Fall der Klägerin zeigt die Bemerkung "acceptable" zu ihrem Namen in der Tabelle 2 des Sitzungsberichts vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) ihre Zustimmung zu der für das erste Quartal 1983 vorgeschlagenen Quote, da neben dem entsprechenden Häkchen der Zusatz steht: "OK für Q1 but 10.88 % too low for year as a whole" ("OK für Q1 [erstes Quartal], aber 10,88 % zu niedrig für das ganze Jahr").

247 Die Argumente der Klägerin, die sie zum einen aus der Verringerung ihres Marktanteils und zum anderen aus den Unterschieden zwischen den ihr angeblich zugeteilten Quoten und ihren tatsächlichen Verkäufen herleitet, sprechen nicht gegen ihre Beteiligung an der Festsetzung der Verkaufsmengenziele. In der Entscheidung wird den Herstellern nämlich nicht die Einhaltung der Quoten, sondern nur deren Vereinbarung vorgeworfen.

248 Zur Verringerung des Marktanteils der Klägerin ist im einzelnen festzustellen, daß die "grossen Vier" zu einer Verringerung ihres Marktanteils bereit waren, um eine Quotenregelung zu erreichen. Dies ergibt sich aus einem internen Vermerk von ICI (gem. Bpkte., Anl. 63), in dem die Verhandlungen zur Einführung einer Quotenregelung für 1981 wie folgt beschrieben werden:

"Although there has been no further discussion with Shell, the four majors could set the lead by accepting a reduction in their 1980 target market share of about 0.35 % provided the more ambitious smaller producers... also tempered their demands."

("Obwohl keine weitere Diskussion mit Shell stattgefunden hat, könnten die 'vier Grossen' die Richtung weisen, indem sie ihren Zielmarktanteil für 1980 um etwa 0,35 % reduzieren, sofern die ehrgeizigeren kleineren Hersteller... ihre Forderungen ebenfalls zuegeln.")

In diesem Sinn heisst es ferner in einem internen Vermerk von ICI, der mit "Polypropylen-Rahmen" überschrieben ist (gem. Bpkte., Anl. 87), wie folgt:

"The Big Four represent some 50 % of the total. So it is most important that they are settled + can present a united front to the rest. For this purpose it would be helpful if MP, Anic-SIR + Fina were regarded as a group. Hoechst should not expect to recover all the lost ground in one year + certainly not be ahead of ICI + Shell. Lane' s view is 11 % even for ICI, Shell + Hoechst."

("Die vier Grossen stellen etwa 50 % der Gesamtheit dar. Deshalb ist es äusserst wichtig, daß sie sich einigen und gegen die übrigen Hersteller eine geschlossene Front bilden können. Zu diesem Zweck wäre es hilfreich, wenn MP, Anic/SIR und Fina als eine Gruppe behandelt würden. Hoechst kann nicht erwarten, in einem Jahr das ganze verlorene Terrain zurückzugewinnen + schon gar nicht ICI und Shell zu überholen. Lanes Ansicht ist 11 % sogar für ICI, Shell und Hoechst.")

249 Da mit den verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung der Verkaufsmengen dasselbe Ziel verfolgt wurde, nämlich den durch das Überangebot hervorgerufenen Druck auf die Preise zu mindern, konnte die Kommission diese Maßnahmen zu Recht als Teil einer Quotenregelung ansehen.

250 Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zur Stützung der vorstehenden tatsächlichen Feststellungen nicht auf Schriftstücke zurückzugreifen brauchte, die sie in ihren Mitteilungen der Beschwerdepunkte nicht erwähnt oder der Klägerin nicht übermittelt hatte.

251 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die in der Entscheidung genannten Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 sowie für die erste Hälfte des Jahres 1983 und über die dort genannte Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gekommen ist, die Teil eines Quotensystems waren.

F - Ergebnis

252 Nach alledem ist der Kommission für sämtliche tatsächlichen Feststellungen, die sie in der angefochtenen Entscheidung zu Lasten der Klägerin getroffen hat, rechtlich der Beweis gelungen; demzufolge hat sie entgegen dem Vorbringen der Klägerin die Regeln über die Beweislast beachtet. Weiterhin ergibt sich, daß die Kommission nicht gegen die Unschuldsvermutung gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstossen hat.

2. Die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag

A - Rechtliche Qualifizierung

a) Angefochtene Handlung

253 Nach Randnummer 81 Absatz 1 der Entscheidung stellt die Gesamtheit der Regelungen und Absprachen, die im Rahmen eines regelmässigen, institutionalisierten Sitzungssystems beschlossen wurden, eine einzige fortdauernde "Vereinbarung" im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 dar.

254 Im vorliegenden Fall hätten die Hersteller dadurch, daß sie sich zu dem gemeinsamen Plan verbunden hätten, die Preise und den Absatz auf dem Polypropylenmarkt zu regeln, an einer umfassenden Rahmenvereinbarung teilgenommen, die in mehreren von Zeit zu Zeit abgesprochenen Einzelvereinbarungen ihren Niederschlag gefunden habe (Entscheidung, Randnr. 81 Absatz 3).

255 Bei der eingehenden Ausarbeitung des Gesamtplans sei es in vielen Bereichen zu einer ausdrücklichen Vereinbarung wie den einzelnen Preisinitiativen und jährlichen Quotensystemen gekommen (Entscheidung, Randnr. 82 Absatz 1). In einigen Fällen hätten die Hersteller möglicherweise keinen Konsens über ein endgültiges Schema - wie über die Quoten für 1981 und 1982 - erzielt. Doch die Verabschiedung von flankierenden Maßnahmen, einschließlich des Informationsaustauschs und der Überwachung der tatsächlichen monatlichen Verkäufe im Verhältnis zum Verkaufsergebnis in einigen vorausgegangenen Referenzperioden, sei nicht nur ein Zeichen für eine ausdrückliche Vereinbarung darüber, derartige Maßnahmen zu konzipieren und durchzuführen, sondern auch ein Zeichen für eine stillschweigende Vereinbarung darüber, die jeweilige Stellung der Hersteller nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten.

256 Die Kommission vertritt in Randnummer 82 Absatz 2 der Entscheidung die Auffassung, daß die angeblich von dem einen oder anderen Hersteller geführten und von den anderen Herstellern befolgten verschiedenen Preisinitiativen vor 1979 ebenfalls das Ergebnis einer zwischen ihnen abgeschlossenen Vereinbarung gewesen seien.

257 Zu der Initiative vom Dezember 1977 wird in Randnummer 82 Absatz 3 der Entscheidung ausgeführt, daß Hersteller wie die Klägerin, Hercules, ICI, Linz, Rhône-Poulenc, Saga und Solvay auf EATP-Sitzungen gegenüber Kunden die Notwendigkeit abgestimmter Preisanhebungsaktionen hervorgehoben hätten. Ausserdem hätten sich die Hersteller ausserhalb der EATP-Sitzungen über Preise abgesprochen. Angesichts dieser von den Herstellern zugegebenen Kontakte vertritt die Kommission die Auffassung, daß hinter dem Vorgehen eines oder mehrerer Hersteller, die sich wegen ungenügender Gewinne beschwert und gemeinsame Aktionen vorgeschlagen hätten, während die anderen hierzu ihre Unterstützung angeboten hätten, eine Preisvereinbarung gestanden habe. Zudem könne auch bei Fehlen weiterer Kontakte ein solches Vorgehen allein einen Hinweis dafür bieten, daß ein ausreichender Konsens für eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 vorgelegen habe.

258 An der Schlußfolgerung, daß eine fortdauernde Vereinbarung vorliege, ändere auch die Tatsache nichts, daß einige Hersteller nicht notwendigerweise an jeder Sitzung teilgenommen hätten. Jede Initiative und die Erarbeitung und Durchführung eines jeden Plans erstreckten sich über mehrere Monate, so daß das gelegentliche Fernbleiben des einen oder anderen Herstellers wenig ausmache (Entscheidung, Randnr. 83 Absatz 1).

259 Das Funktionieren des Kartells auf der Grundlage eines gemeinsamen und ausführlichen Plans stelle eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 dar (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 1).

260 Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise seien unterschiedliche Begriffe, doch gebe es Fälle, in denen Absprachen Elemente beider Formen verbotener Zusammenarbeit enthielten (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 2).

261 Eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise beziehe sich auf eine Form der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die zwar nicht den Grad einer Vereinbarung im eigentlichen Sinne erreicht habe, aber dennoch bewusst die Risiken des Wettbewerbs ausschalte und durch eine praktische Zusammenarbeit ersetze (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 3).

262 In Randnummer 87 Absatz 1 der Entscheidung heisst es, das durch den Vertrag geschaffene getrennte Konzept der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen solle verhindern, daß Unternehmen sich der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 entzögen, indem sie in einer wettbewerbswidrigen Weise ohne eine endgültige Vereinbarung absprächen, sich zum Beispiel gegenseitig im voraus über ihr künftiges Verhalten in Kenntnis zu setzen, so daß jeder seine Geschäftspolitik in der Gewißheit regele, daß sich die Wettbewerber entsprechend verhielten (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619).

263 Der Gerichtshof habe im Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663) festgestellt, daß die in seiner Rechtsprechung niedergelegten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die keineswegs die Ausarbeitung eines eigentlichen Plans voraussetzten, im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen seien, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen habe, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenke. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitige nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Wettbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es stehe jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 2). Ein Verhalten könne also als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise unter Artikel 85 Absatz 1 fallen, auch wenn sich die Partner vorher nicht über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hätten, sondern lediglich Absprachen träfen oder sich an Absprachen beteiligten, die die Koordinierung kommerziellen Verhaltens erleichterten (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 3 Satz 1).

264 Ausserdem wird in der Entscheidung (Randnr. 87 Absatz 3 Satz 3) darauf hingewiesen, daß es in einem komplexen Kartell möglich sei, daß einige Hersteller zeitweise einem von den anderen Herstellern vereinbarten besonderen Verhalten nicht uneingeschränkt zustimmten, aber dennoch die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. In mancher Hinsicht trügen die fortgesetzte Zusammenarbeit und Absprache der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung Zuege einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 3 Satz 5).

265 Die Bedeutung des Konzepts einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ergebe sich also nicht so sehr aus der Unterscheidung zwischen dieser Verhaltensweise und einer Vereinbarung als vielmehr aus der Unterscheidung zwischen den Formen der Absprache, die unter Artikel 85 Absatz 1 fielen, und einem rein parallelen Verhalten ohne jedwedes Element der Absprache. Nichts hänge daher im vorliegenden Fall von der genauen Form ab, die die abgesprochenen Vereinbarungen angenommen hätten (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 4).

266 In der Entscheidung (Randnr. 88 Absätze 1 und 2) wird festgestellt, daß die meisten Hersteller, die während des Verwaltungsverfahrens behauptet hätten, daß ihr Verhalten in bezug auf die angeblichen Preisinitiativen nicht das Ergebnis irgendeiner Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 gewesen sei (siehe Randnr. 82 der Entscheidung), ausserdem behaupteten, daß dieses Verhalten nicht die Grundlage sein könne, um eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise festzustellen, weil dieses Konzept irgendeinen offenen Akt am Markt voraussetze, der im vorliegenden Fall völlig fehle; Preislisten oder Zielpreise seien den Kunden nie mitgeteilt worden. In der Entscheidung wird dieses Vorbringen mit der Begründung zurückgewiesen, daß, wäre es im vorliegenden Fall notwendig, eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise zu beweisen, dieses Erfordernis für einige Schritte der Teilnehmer zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Zielsetzung tatsächlich gegeben sei. Die verschiedenen Preisinitiativen seien Gegenstand von Aufzeichnungen. Ausserdem sei unbestreitbar, daß die einzelnen Hersteller gleichzeitige Aktionen unternommen hätten, um die Preisinitiativen durchzuführen. Die von den Herstellern sowohl einzeln als auch gemeinsam getroffenen Maßnahmen ergäben sich aus Dokumenten: Sitzungsberichten, internen Vermerken, Anweisungen und Rundschreiben an Verkaufsabteilungen und Schreiben an Kunden. Dabei sei irrelevant, ob sie Preislisten veröffentlicht hätten. Die Preisinstruktionen als solche seien nicht nur das beste verfügbare Beweismittel für die von jedem Hersteller durchgeführte Aktion zur Verwirklichung des gemeinsamen Ziels, sondern erhärteten aufgrund ihres Inhalts und ihrer zeitlichen Abfolge den Beweis der Absprache.

b) Vorbringen der Parteien

267 Die Klägerin trägt vor, die Kommission lasse in der Entscheidung offen, ob die den Unternehmen vorgeworfenen Einzelakte eine Vereinbarung oder eine abgestimmte Verhaltensweise darstellten, beweise weder das eine noch das andere und treffe eine Wahlfeststellung. Die Abgrenzung zwischen "Einzelvereinbarungen" und "abgestimmter Verhaltensweise" sei nicht, wie die Kommission behaupte, "ein unwichtiger Qualifikationsstreit", da es sich um zwei Begriffe handele, die zwei in ihren Voraussetzungen unterschiedliche Alternativen des Artikels 85 Absatz 1 beträfen, wie Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission, Urteil des Gerichtshofes vom 27. Januar 1987, Slg. 1987, 405) und Generalanwalt Reischl in seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen 209 bis 215 und 218/78 (Van Landewyck, Urteil vom 29. Oktober 1980, a. a. O.) ausgeführt hätten.

268 Die Entscheidung leide unter einer inneren rechtlichen Widersprüchlichkeit, da sie den Unternehmen für ein und dasselbe tatsächliche Verhalten eine Vereinbarung und zugleich eine abgestimmte Verhaltensweise zum Vorwurf mache, gerade so, als hätten diese beiden Tatbestandsalternativen denselben Inhalt und wären mithin beliebig gegeneinander austauschbar. Dadurch habe sich die Kommission jeder Verpflichtung entledigt, entweder die eine Zuwiderhandlung oder die andere oder beide zu beweisen, obwohl sie materiell unterschiedliche Tatbestandsmerkmale aufwiesen und es sich sachlich um verschiedene Erscheinungsformen von Wettbewerbsbeschränkungen handele.

269 Die "Vereinbarung" setze eine Willenseinigung oder zumindest einen quasi-rechtlichen Bindungswillen der Vertragsbeteiligten voraus. Die Wettbewerbswidrigkeit der Vereinbarung folge aus ihrer auf Beschränkung des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung selbst.

270 Der Begriff der "abgestimmten Verhaltensweise" erfasse eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die "bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt und zu Wettbewerbsbedingungen führt, die im Hinblick auf die Art der Waren, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen" (Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, a. a. O., Randnr. 174). Die abgestimmte Verhaltensweise enthalte also zwei Elemente, die "Verhaltensweise" und die "Abstimmung", die eine eigenständige Bedeutung hätten. Zu der Abstimmung müsse mithin ein Verhalten am Markt hinzukommen.

271 Darüber hinaus sei zwischen der angeblichen Abstimmung und den an den Tag gelegten Verhaltensweisen ein ursächlicher Zusammenhang erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei dem Begriff der abgestimmten Verhaltensweise gerade ein den beteiligten Unternehmen gemeinsames tatsächliches Verhalten wesentlich. Die abgestimmte Verhaltensweise könne schon rein begrifflich nicht völlig von der tatsächlichen Wirkung losgelöst werden, die sie auf die Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes habe (Urteile vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnrn. 65 f., vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, a. a. O., Randnr. 180, und vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Zuechner, Slg. 1981, 2021, Randnr. 21).

272 Entgegen der Ansicht der Kommission handele es sich bei der Feststellung eines Parallelverhaltens nicht lediglich darum, gewisse Erleichterungen hinsichtlich der Beweisführung der Kommission für die vorherige Abstimmung zu rechtfertigen. Nach der recht verstandenen Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, a. a. O., Randnr. 180, vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, a. a. O., Randnr. 21, und vom 28. März 1984 in den verbundenen Rechtssachen 29 und 30/83, a. a. O., Randnr. 20) sei das Parallelverhalten der Unternehmen am Markt ein selbständiges Tatbestandsmerkmal der abgestimmten Verhaltensweise. Es sei keine Entscheidung bekannt, in der der Gerichtshof, ohne ein entsprechendes Verhalten am Markt feststellen zu können, einzig aufgrund der Abstimmung abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angenommen habe. Deshalb gewinne das abgestimmte Verhalten erst durch seine Umsetzung am Markt wettbewerbsrechtliche Bedeutung. Diesem Mehr an Marktrelevanz entspreche, wie Generalanwalt Mayras in dem Farbenfall (Rechtssache 48/69, Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972, a. a. O., S. 675 f.) festgestellt habe, ein Weniger hinsichtlich der Anforderungen an Konsens und Bindungswillen.

273 Das Vorbringen der Kommission, daß der Nachweis einer abgestimmten Verhaltensweise nicht die Feststellung eines aus der Abstimmung folgenden Verhaltens am Markt voraussetze und eine auf Wettbewerbsbeschränkung gerichtete "Fühlungnahme" im Sinne eines Informationsaustausches genüge, stimme weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn von Artikel 85 Absatz 1 überein. Vertrete man - wie die Kommission - die Auffassung, diese Bestimmung verbiete bereits die Abstimmung zwischen Unternehmen, so würde dies zum einen die speziellen Regelungen über Vereinbarungen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen - denen eine Abstimmung notwendig vorausgehe - überfluessig machen und hätte zum anderen zur Folge, daß bereits der Versuch der Herbeiführung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung und die damit zwangsläufig einhergehende Koordinierung sanktioniert würden. Der Wortlaut des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag setze aber gerade den Abschluß einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung voraus.

274 Die Kommission könne nicht einwenden, daß mit dieser Auslegung die wirksame Wettbewerbsbeschränkung selbst zum Inhalt und zur Voraussetzung für ein abgestimmtes Verhalten gemacht werde. Daß die Vereinbarung oder die Verhaltensweise eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecke oder bewirke, stelle eine zusätzliche Voraussetzung für einen Verstoß dar, die zu der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise hinzutrete. Das Verhalten am Markt selbst müsse mithin eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken.

275 Die Kommission sei einem grundlegenden Mißverständnis erlegen, indem sie aus einem vereinbarten oder abgestimmten Informationsaustausch über Preise und/oder Marktanteile auf das Vorliegen einer Vereinbarung und/oder abgestimmten Verhaltensweise bezueglich der Preise und Marktanteile geschlossen habe. Es sei sehr zweifelhaft, ob die auf den Sitzungen ausgetauschten Informationen, soweit sie sich überhaupt auf künftiges Verhalten bezogen hätten, tatsächlich geeignet gewesen seien, den Teilnehmern die Ungewißheit über das Marktverhalten ihrer Konkurrenten zu nehmen und damit die mit dem Wettbewerb verbundenen Risiken auszuschalten. Da das tatsächliche Marktgeschehen durch ein individuell-differenziertes Verhalten der Hersteller gegenüber der Konkurrenz geprägt und diese Tatsache allen Sitzungsteilnehmern bewusst gewesen sei, könne keiner von ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt die Erwartung oder auch nur die vage Hoffnung gehegt haben, es werde "eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten". Selbst wenn eine Abstimmung im Sinn des Gerichtshofes vorläge, würde es dennoch an einer Verhaltensweise fehlen, die der Abstimmung entspräche. Da ein Parallelverhalten nicht vorliege, habe sich das Verhalten der Klägerin ausschließlich an dem Wettbewerb auf dem Markt orientiert. Die sich aufzwingende Schlußfolgerung sei somit, daß im vorliegenden Fall ein auf einer unzulässigen Abstimmung beruhendes Verhalten am Markt nicht vorgelegen habe (Urteil des Gerichtshofes vom 28. März 1984 in den verbundenen Rechtssachen 29 und 30/83, a. a. O., Randnrn. 16 bis 20).

276 Nach Ansicht der Kommission ist dagegen die Frage, ob es sich bei einer Absprache oder einem Kartell rechtlich um eine Vereinbarung oder um eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 EWG-Vertrag handele oder ob die Absprache Elemente einer Vereinbarung sowie einer abgestimmten Verhaltensweise enthalte, von untergeordneter Bedeutung. Die Begriffe "Vereinbarung" und "abgestimmte Verhaltensweise" umfassten nämlich alle Arten von Absprachen, durch die Konkurrenten aufgrund von direkten oder indirekten Kontakten untereinander sich gegenseitig die Aktionsfreiheit am Markt beschnitten, statt völlig unabhängig voneinander ihr künftiges Wettbewerbsverhalten zu bestimmen.

277 Die Verwendung der verschiedenen in Artikel 85 EWG-Vertrag enthaltenen Begriffe verfolge das Ziel, die gesamte Bandbreite wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zu erfassen, ohne für die verschiedenen Tatbestandsmerkmale unterschiedliche Rechtsfolgen vorzusehen. Es sei deshalb belanglos, wo genau die Grenze zwischen diesen Begriffen verlaufe, deren Sinn allein darin liege, in ihrer Gesamtheit die ganze Skala verbotener Wettbewerbsbeschränkungen zu erfassen. Der mit der Aufnahme des Begriffs "abgestimmte Verhaltensweise" in Artikel 85 verfolgte Gesetzeszweck sei nämlich, neben den Vereinbarungen Arten der Absprachen zu erfassen, die lediglich als tatsächliche Koordinierung oder als praktische Zusammenarbeit in Erscheinung träten, aber dennoch geeignet seien, den Wettbewerb zu verfälschen (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnrn. 64 bis 66).

278 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174) gehe es darum, jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Unternehmen zu verhindern, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe. Eine abgestimmte Verhaltensweise liege also immer schon dann vor, wenn zwischen den Wettbewerbern eine Fühlungnahme stattfinde, die ihrem Verhalten auf dem Markt vorangehe.

279 Eine abgestimmte Verhaltensweise sei gegeben, wenn die Unabhängigkeit der Unternehmen voneinander durch eine Abstimmung eingeschränkt werden solle, selbst wenn sich auf dem Markt kein tatsächliches Verhalten feststellen lasse. Der Streit drehe sich in Wirklichkeit um den Begriff "Verhalten". Die Kommission widerspricht der Ansicht der Klägerin, daß dieser Begriff in dem engen Sinne von "Verhalten am Markt" zu verstehen sei. Der Begriff könne die blosse Beteiligung an Kontakten erfassen, sofern mit diesen eine Beschränkung der Selbständigkeit der Unternehmen bezweckt werde.

280 Verlangte man für eine abgestimmte Verhaltensweise beides, Abstimmung und Marktverhalten, so fiele ein ganzes Spektrum von Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des Artikels 85 heraus, die eine Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckten, aber nicht unbedingt bewirkten. Insoweit würde Artikel 85 unanwendbar. Ausserdem stehe diese Auffassung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff der abgestimmten Verhaltensweise (Urteile vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnr. 66, vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, a. a. O. Randnr. 26, und vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Zuechner, Slg. 1981, 2021, Randnr. 14). Wenn in dieser Rechtsprechung immer von Verhaltensweisen am Markt die Rede sei, so handele es sich dabei nicht um ein Tatbestandsmerkmal der Zuwiderhandlung, wie die Klägerin meine, sondern um einen tatsächlichen Umstand, der den Schluß auf eine Abstimmung zulasse. Nach dieser Rechtsprechung sei ein tatsächliches Verhalten am Markt nicht erforderlich. Erforderlich sei nur die Fühlungnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern als wesentliches Merkmal für ihren Verzicht auf die notwendige Selbständigkeit.

281 Somit sei es für einen Verstoß gegen Artikel 85 nicht erforderlich, daß die Unternehmen in der Praxis auch durchgeführt hätten, worüber sie sich abgestimmt hätten. Der Tatbestand des Artikels 85 Absatz 1 sei in vollem Umfang erfuellt, wenn die Absicht, den mit Risiken verbundenen Wettbewerb durch eine Zusammenarbeit zu ersetzen, in einer Abstimmung zutage trete, auch wenn sich anschließend nicht unbedingt Verhaltensweisen am Markt feststellen ließen.

282 Folglich könnten die Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise sowohl durch direkte Beweise als auch durch Indizienbeweise bewiesen werden. Im vorliegenden Fall brauche die Kommission nicht auf Indizienbeweise wie das Parallelverhalten auf dem Markt zurückzugreifen, da sie insbesondere mit den Sitzungsberichten über unmittelbare Beweise für die Absprache verfüge.

283 Nach Ansicht der Kommission geht aus der Begründung der Entscheidung klar hervor, daß sie eine Rahmenvereinbarung festgestellt habe, die ergänzt werde durch Elemente von Einzelvereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die zusammen einen Gesamtkomplex bildeten, der in Artikel 1 der Entscheidung mit "Vereinbarung" und "abgestimmter Verhaltensweise" umschrieben werde.

284 Die Kommission stellt abschließend fest, daß sie berechtigt gewesen sei, den Verstoß in erster Linie als Vereinbarung und hilfsweise, soweit notwendig, als abgestimmte Verhaltensweise zu bezeichnen.

c) Würdigung durch das Gericht

285 Es ist festzustellen, daß die Kommission entgegen den Behauptungen der Klägerin jeden der Klägerin zur Last gelegten tatsächlichen Einzelakt entweder unter den Begriff der Vereinbarung oder den der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag subsumiert hat. Wie sich nämlich aus Randnummer 80 Absatz 2 in Verbindung mit den Randnummern 81 Absatz 3 und 82 Absatz 1 der Entscheidung ergibt, hat die Kommission jeden dieser verschiedenen Einzelakte in erster Linie als "Vereinbarung" gewertet.

286 Ebenso ergibt sich aus Randnummer 86 Absätze 2 und 3 in Verbindung mit Randnummer 87 Absätze 3 und 4 und Randnummer 88 der Entscheidung, daß die Kommission die Einzelakte der Zuwiderhandlung hilfsweise unter den Begriff der "abgestimmten Verhaltensweise" subsumiert hat, wenn sie entweder nicht den Schluß zuließen, daß sich die Partner vorher über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hatten, sondern nur, daß sie Absprachen getroffen oder sich an Absprachen beteiligt hatten, die die Koordinierung ihrer Geschäftspolitik erleichterten, oder wenn sie wegen des komplexen Charakters des Kartells nicht die Feststellung erlaubten, daß einige Hersteller einem von den anderen Herstellern vereinbarten Verhalten uneingeschränkt zugestimmt hatten, sondern nur, daß diese die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. Daraus wird in der Entscheidung der Schluß gezogen, daß die fortgesetzte Zusammenarbeit und Kollusion der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung in mancher Hinsicht Zuege einer aufeinander abgestimmten Vehaltensweise trügen.

287 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (siehe Urteile vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, a. a. O., Randnr. 112, und vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209 bis 215 und 218/78, a. a. O., Randnr. 86). Das Gericht stellt deshalb fest, daß die Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen der Klägerin und anderen Polypropylenherstellern, für die sie den Beweis erbracht hat, und die auf Mindestpreise im Jahr 1977, auf Preisinitiativen, auf Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen, auf Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 sowie für das erste Halbjahr 1983 und auf Maßnahmen zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gerichtet waren, zu Recht als Vereinbarungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen hat. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0010.4

288 Da der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Wirkungen der Preisinitiativen bis November 1983 angehalten haben, ist sie auch zu Recht davon ausgegangen, daß die Zuwiderhandlung mindestens bis November 1983 angedauert hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist Artikel 85 nämlich auch auf ausser Kraft getretene Kartelle anwendbar, deren Wirkungen über das formelle Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen (Urteil vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 243/83, Binon, Slg. 1985, 2015, Randnr. 17).

289 Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise ist anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu bestimmen. Hiernach sind die von ihr zuvor aufgestellten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174).

290 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin an Sitzungen teilgenommen, deren Zweck es war, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen; in diesen Sitzungen tauschten die Wettbewerber Informationen über die Preise aus, die nach ihren Wünschen auf dem Markt praktiziert werden sollten, über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigten, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen, über ihre Verkaufszahlen oder über die Identität ihrer Kunden. Durch ihre Teilnahme an diesen Sitzungen hat sich die Klägerin mit ihren Wettbewerbern an einer Abstimmung beteiligt, deren Zweck es war, deren Marktverhalten zu beeinflussen und offenzulegen, welches Marktverhalten die einzelnen Hersteller selbst in Erwägung zogen.

291 Damit hat die Klägerin nicht nur das Ziel verfolgt, im voraus die Ungewißheit über das künftige Verhalten ihrer Wettbewerber zu beseitigen, sondern sie musste bei der Festlegung der Politik, die sie auf dem Markt verfolgen wollte, zwangsläufig auch unmittelbar oder mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen Informationen berücksichtigen. Auch ihre Wettbewerber mussten bei der Festlegung der Politik, die sie verfolgen wollten, zwangsläufig unmittelbar oder mittelbar die Informationen berücksichtigen, die ihnen die Klägerin über das Marktverhalten gegeben hatte, das sie selbst für sich beschlossen hatte oder in Erwägung zog.

292 Folglich hat die Kommission die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller, an denen die Klägerin zwischen Ende 1977 und September 1983 teilgenommen hat, wegen ihres Zwecks zu Recht hilfsweise als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen.

293 Zu der Frage, ob die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß eine einzige, in Artikel 1 der Entscheidung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" bezeichnete Zuwiderhandlung vorliegt, weist das Gericht darauf hin, daß die verschiedenen abgestimmten Verhaltensweisen und Vereinbarungen, die von den Beteiligten eingehalten und abgeschlossen wurden, wegen ihres übereinstimmenden Zwecks Teil von Systemen regelmässiger Sitzungen zur Festsetzung von Preis- und Quotenzielen waren.

294 Diese Systeme waren wiederum Teil einer Reihe von Bemühungen der betroffenen Unternehmen, mit denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt wurde, nämlich die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen. Es wäre daher gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und aus ihm mehrere selbständige Zuwiderhandlungen zu konstruieren. Tatsächlich hat sich die Klägerin - jahrelang - an einem Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen. Diese einheitliche Zuwiderhandlung hat sich nach und nach sowohl durch rechtswidrige Vereinbarungen als auch durch rechtswidrige abgestimmte Verhaltensweisen entwickelt.

295 Die Kommission hat diese einheitliche Zuwiderhandlung auch zu Recht als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert, da diese Zuwiderhandlung sowohl Einzelakte aufwies, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" dargestellt haben. Angesichts einer komplexen Zuwiderhandlung ist die von der Kommission in Artikel 1 der Entscheidung vorgenommene doppelte Subsumtion nicht so zu verstehen, daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt. Sie bezieht sich vielmehr auf einen Komplex von Einzelakten, von denen einige als Vereinbarungen und andere als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag anzusehen sind, der ja für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine spezifische Subsumtion vorschreibt.

296 Die von der Klägerin erhobene Rüge ist daher zurückzuweisen.

B - Wettbewerbsbeschränkende Wirkung

a) Angefochtene Handlung

297 In Randnummer 90 Absätze 1 und 2 der Entscheidung heisst es, daß es für die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 nicht unbedingt notwendig sei, die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Vereinbarung nachzuweisen, da die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt habe. Im vorliegenden Fall zeige aber das Beweismaterial, daß sich die Vereinbarung auf die Wettbewerbsbedingungen tatsächlich spürbar ausgewirkt habe.

b) Vorbringen der Parteien

298 Die Klägerin macht geltend, die von ihr vorgelegten Untersuchungen zeigten, daß sich die angeblichen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen nicht auf den Wettbewerb ausgewirkt hätten, der während deren Dauer uneingeschränkt funktioniert habe, und daß sie selbst sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhalten habe.

299 Die Kommission bestreitet, daß die Polypropylenhersteller, die an dem Kartell beteiligt gewesen seien, ihr Marktverhalten nicht nach Maßgabe der Vereinbarungen und der zwischen ihnen bestehenden Kontakte angepasst und daß diese sich nicht auf den Wettbewerb ausgewirkt hätten. So sei auf die Gleichförmigkeit aller verfügbaren Preisinstruktionen der Klägerin mit den in den Sitzungen geschlossenen Vereinbarungen hinzuweisen; nichts deute darauf hin, daß dies für die Zeiträume, für die man nicht über solche Instruktionen verfüge, anders sei. Es sei möglich, daß dieses Verhalten nicht immer zum erwarteten Ergebnis geführt habe, doch hätten die Hersteller selbst in diesen Fällen die vereinbarten Preise ihren Verhandlungen mit den Kunden zugrunde gelegt. Wesentlich sei nicht der Erfolg der vereinbarten Initiativen, sondern das Ziel einer Wettbewerbsbeschränkung, die mit diesen Initiativen habe verwirklicht werden sollen. Das gleiche gelte für die Quotenvereinbarungen, wie sich aus der Tabelle 8 der Entscheidung ergebe. Wenn die Kommission einräume, daß das Kartell nicht immer wettbewerbsbeschränkende Wirkung gehabt habe, so sei dies für die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ohne Belang, da es ausreiche, daß mit dem Kartell eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt worden sei.

c) Würdigung durch das Gericht

300 Das Gericht stellt fest, daß die Argumentation der Klägerin im Kern dahin geht, daß ihre Beteiligung an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag falle, da sowohl ihr eigenes Verhalten auf dem Markt als auch das der anderen Hersteller zeigten, daß diese Teilnahme keine wettbewerbswidrige Wirkung gehabt habe.

301 Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verbietet als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise und sonstiger Geschäftsbedingungen und die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen.

302 Das Gericht weist darauf hin, daß die Würdigung der von der Kommission vorgenommenen tatsächlichen Feststellungen ergeben hat, daß die regelmässigen Sitzungen, an denen die Klägerin mit Wettbewerbern teilgenommen hat, die Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes namentlich durch die Festlegung von Preis- und Verkaufsmengenzielen bezweckten und daß ihre Teilnahme an diesen Sitzungen folglich eines wettbewerbswidrigen Zwecks im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht entbehrte.

303 Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

3. Ergebnis

304 Aus alledem ergibt sich, daß sämtliche Rügen der Klägerin gegen die von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und gegen die dort vorgenommene Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zurückzuweisen sind.

Zur Begründung

305 Die Klägerin macht geltend, daß die Kommission nach Artikel 190 EWG-Vertrag ihre Entscheidungen begründen müsse. Diese Pflicht diene sowohl dem Schutz des Betroffenen als auch der ordnungsgemässen Rechtspflege (Urteil des Gerichtshofes vom 20. März 1959 in der Rechtssache 18/57, Nold/Hohe Behörde der EGKS, Slg. 1959, 89). So müsse die Begründung ausführlich und genau die die Entscheidung tragenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen wiedergeben, um dem Gemeinschaftsrichter die Nachprüfung in vollem Umfang zu gestatten. Dazu müsse die Kommission klar darlegen, weshalb begründete und relevante Einwendungen ihrer Meinung nach zurückzuweisen seien.

306 Im vorliegenden Fall habe die Kommission dadurch gegen ihre Begründungspflicht verstossen, daß sie das gesamte tatsächliche Vorbringen der Klägerin und der anderen Unternehmen unberücksichtigt gelassen habe, das aufgrund umfassender, unanfechtbarer Gutachten bewiesen habe, daß die angeblichen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen keinen spürbaren Einfluß auf die Marktentwicklung gehabt hätten. So habe sich die Kommission ihrer Pflicht entzogen, das Gutachten von Professor Albach zu widerlegen, das für den deutschen Markt, auf dem die Klägerin tätig sei, ein wichtiges Mittel der Information darstelle; ebenso habe sie die Untersuchungen von Coopers & Lybrand sowie eine weitere Studie dieser Gesellschaft über die von den einzelnen Abnehmern bei den verschiedenen Herstellern bezogenen Lieferungen und die dafür gezahlten Nettopreise nicht widerlegt.

307 Da die Kommission sich in ihrer Entscheidung auf entgegengesetzte Schlußfolgerungen gestützt habe, könne sie nicht behaupten, daß die Ergebnisse der Studie unerheblich seien. Sie hätte deshalb die Ergebnisse im Rahmen der Beweiswürdigung untersuchen und darlegen müssen, aufgrund welcher tatsächlichen Feststellungen sie sie für widerlegt halte.

308 Die Kommission könne diesen Begründungsmangel auch nicht unter Hinweis auf eine etwaige Unerheblichkeit dieser Berichte rechtfertigen, da sie die wirklichen Marktpreise nicht für irrelevant gehalten habe, sondern im Gegenteil selbst in der Entscheidung (Randnrn. 74, 90, 91 und Tabelle 9) einen Vergleich der angeblich vereinbarten Zielpreise mit den tatsächlich erzielten Preisen vorgelegt und das Ausmaß und die Häufigkeit der Abweichungen von den Zielpreisen zu bagatellisieren versucht habe.

309 Nach Ansicht der Kommission geht die Klägerin von einem grundlegend irrigen Konzept aus, wenn sie meine, daß ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nur vorliege, wenn die Zuwiderhandlung Auswirkungen auf den Markt habe. Es genüge vielmehr für einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, daß die Vereinbarung oder die abgestimmte Verhaltensweise eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecke. Die Untersuchung von Coopers & Lybrand über die Auswirkungen des Kartells auf dem Markt sei deshalb nur hinsichtlich der Bußgelder erheblich; daher sei die Kommission auf sie in den Randnummern 72 bis 74 und 90 bis 92 ihrer Entscheidung eingegangen.

310 Ausserdem habe die Kommission sich zu dem Gutachten von Professor Albach eingehend geäussert (Entscheidung, Randnr. 69).

311 Die Kommission weist in ihrer Gegenerwiderung schließlich darauf hin, ihre Entscheidung gehe von Kartellabsprachen aus, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, aber nur in eingeschränktem Umfang erreicht hätten. Da die Entscheidung nicht die Marktauswirkungen des Kartells, sondern den Zweck der Absprachen in den Mittelpunkt stelle, sei der Aussagewert der genannten Untersuchungen beschränkt.

312 Das Gericht verweist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe u. a. die Urteile vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209 bis 215 und 218/78, a. a. O., Randnr. 66, und vom 10. Dezember 1985 in den verbundenen Rechtssachen 240 bis 242, 261, 262, 268 und 269/82, Stichting Sigarettenindustrie/Kommission, Slg. 1985, 3831, Randnr. 88), wonach die Kommission gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag zwar ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen hat, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, jedoch nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen braucht, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden. Folglich ist die Kommission nicht verpflichtet, auf die Fragen einzugehen, die sie für völlig unerheblich hält.

313 Das Gericht stellt fest, daß sich aus seiner Würdigung der tatsächlichen Feststellungen, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, und der dort vorgenommenen Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ergibt, daß die Kommission die Argumente der Klägerin bezueglich der Auswirkungen des Kartells auf den Markt voll berücksichtigt und in der Entscheidung (Randnrn. 72 bis 74 und 89 bis 92) überzeugend dargelegt hat, weshalb sie die Schlußfolgerungen der Klägerin aus der Untersuchung von Coopers & Lybrand und dem Gutachten von Professor Albach für unbegründet hält.

314 Die Rüge ist somit zurückzuweisen.

Zur Geldbusse

315 Die Klägerin rügt, daß die Entscheidung Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verletze, weil die Dauer und die Schwere der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht zutreffend gewürdigt worden seien.

1. Die Verjährung

316 Die Klägerin macht geltend, daß die Ermittlungen der Kommission am 13. Oktober 1983 begonnen hätten und eventuelle Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, die vor dem 13. Oktober 1978 begangen worden seien, somit verjährt seien. Nur um die Verjährungsvorschrift nicht anwenden zu müssen, behaupte die Kommission - zu Unrecht -, daß es eine einzige fortdauernde Vereinbarung gegeben habe, die ihren Niederschlag in einer 1977 geschlossenen Rahmenvereinbarung gefunden habe.

317 Nach Ansicht der Kommission liegt eine fortgesetzte Zuwiderhandlung vor, deren Verjährung erst mit dem Tag beginne, an dem die Zuwiderhandlung beendet sei.

318 Das Gericht stellt fest, daß nach Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1974, L 319, S. 1) die fünfjährige Verjährungsfrist für die Befugnis der Kommission zur Festsetzung von Geldbussen bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen erst mit dem Tag beginnt, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist.

319 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vom Gericht vorgenommenen Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung, daß die Klägerin ohne Unterbrechung vom Abschluß der Mindestpreisvereinbarung Mitte 1977 bis November 1983 an einer einzigen "dauernden" Zuwiderhandlung beteiligt gewesen ist.

320 Deshalb kann die Klägerin sich gegenüber der Festsetzung der Geldbusse nicht auf Verjährung berufen.

2. Die Dauer der Zuwiderhandlung

321 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe die Dauer der Zuwiderhandlung nicht zutreffend beurteilt, da sie davon ausgehe, daß diese bis Mitte 1977 zurückreiche und im Dezember 1983 beendet worden sei. Die Kommission habe nämlich bei der Dauer der Zuwiderhandlung die Zeit von Ende 1977 bis Ende 1979 nicht einbeziehen können, da für diesen Zweijahreszeitraum ein substantiierter, auf überzeugende Beweise gestützter Tatvorwurf fehle. Zum anderen sei auch für den Zeitraum von 1979 bis 1983 zu berücksichtigen, daß nach den in der Entscheidung selbst niedergelegten Feststellungen nur für 26 von 72 Monaten Preisinitiativen beobachtet worden seien.

322 Die Kommission führt aus, sie habe die Dauer der Zuwiderhandlung zutreffend beurteilt; im Fall der Klägerin sei diese besonders lang gewesen. Die Zuwiderhandlung sei auch fortgesetzt worden, als ihre Auswirkungen auf den Markt nicht spürbar gewesen seien; deshalb bestehe kein Grund, sich bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung auf die Dauer der einzelnen Preisinitiativen zu beschränken.

323 Das Gericht hat bereits festgestellt, daß die Kommission den Zeitraum, in dem die Klägerin gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen hat, zutreffend beurteilt hat.

324 Diese Rüge ist deshalb zurückzuweisen.

3. Die Schwere der Zuwiderhandlung

A - Die begrenzte Rolle der Klägerin

325 Die Klägerin behauptet, die Begründung der Kommission für die Bemessung der Geldbusse enthalte keinerlei Feststellung, die speziell die Klägerin betreffe. Sie werde aus der Gesamtheit der Verfahrensbeteiligten nur als Mitglied der Gruppe der "grossen Vier" hervorgehoben. Die Kommission verkenne jedoch die Bedeutung dieser Zugehörigkeit. Auch wenn nämlich die "grossen Vier" die Hälfte der Produktion auf sich vereinigt hätten, so hätten sie doch nicht über einen Verhaltensspielraum verfügt, der es ihnen erlaubt hätte, sich über die Wettbewerbsbedingungen hinwegzusetzen, oder der ihnen eine bestimmende Einflußnahme auf das Verhalten ihrer Wettbewerber eröffnet hätte. Die Kommission unterstelle ihnen eine Parallelität ihrer Interessen und eine Solidarität ihres Verhaltens, ohne dafür Beweise anzuführen.

326 Die Kommission könne nicht von der falschen Prämisse, daß 1977 eine Mindestpreisvereinbarung geschlossen worden sei, auf eine Initiative der "grossen Vier" zu einem umfassenden Kartell schließen. Die Behauptung der Kommission, in den Vorgesprächen der "grossen Vier" seien die folgenden Sitzungen inhaltlich vorbereitet und eine gemeinsame Haltung dieser vier Hersteller vereinbart worden, sei eine blosse Vermutung, die sich auf keinen Beweis stütze. Die wenigen Unterlagen über diese Sitzungen belegten vielmehr, daß die "grossen Vier" keine Leitungsfunktion ausgeuebt hätten, wie die Feststellungen der Kommission im Zusammenhang mit dem Vorschlag der "account leadership", der nicht von einem der "grossen Vier" ausgegangen sei, bestätigten (Entscheidung, Randnr. 27, Absatz 2).

327 Ausserdem sei die Klägerin an dem System der "account leadership" nicht beteiligt gewesen, was die Schwere der Zuwiderhandlung mindere.

328 Zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Höhe der gegen die Unternehmen festgesetzten Geldbussen verweist die Kommission darauf, daß die Klägerin zu den "grossen Vier" gehört habe, die im Rahmen des Kartells eine besonders aktive Rolle gespielt und sich selbst eine besondere Verantwortung für das Funktionieren des Kartells zugeschrieben hätten. Gegen die Klägerin sei deshalb die gleiche Geldbusse wie gegen Shell verhängt worden, die jedoch niedriger gewesen sei als die von ICI und Monte, die innerhalb des Kartells eine noch grössere Rolle gespielt hätten.

329 Schließlich sei der Einwand der Klägerin, ihre Beteiligung an dem Kartell reiche zur Rechtfertigung der verhängten Geldbusse nicht aus, unbegründet: Der Gerichtshof habe nämlich erklärt, daß jede tatsächliche Beteiligung an einer Zuwiderhandlung - auch die passive Einwilligung, die eine Zuwiderhandlung erleichtere - für die Verhängung einer Geldbusse ausreiche (Urteile vom 12. Juli 1979 in den verbundenen Rechtssachen 32, 36 bis 82/78, BMW Belgium/Kommission, Slg. 1979, 2435, und vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission, Slg. 1978, 131). Ausserdem sei die Kommission bei der Bemessung jeder einzelnen Geldbusse ausdrücklich vom Umfang der Teilnahme jedes Unternehmens ausgegangen und habe sich auf Verhältnismässigkeitserwägungen gestützt (Entscheidung, Randnr. 109).

330 Nach Ansicht der Kommission hat die Klägerin die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, deren sie sich schuldig gemacht habe, kalkuliert und vorsätzlich begangen. Horizontale Preisfestsetzungen und Marktaufteilungen zählten schon seit langem zu den schwersten Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht. Der Verstoß werde dadurch erschwert, daß praktisch alle Polypropylenhersteller in der Gemeinschaft beteiligt gewesen seien und folglich der Umfang, die Wirtschaftskraft und der Marktanteil der beteiligten Unternehmen insgesamt ungewöhnlich groß gewesen sei.

331 Das Gericht stellt zu der besonderen Rolle der "grossen Vier" bei der Zuwiderhandlung fest, daß Sitzungen der "grossen Vier" unbestritten am 15. Juni 1981 (in Abwesenheit der Klägerin), am 13. Oktober und 20. Dezember 1982, am 12. Januar, 15. Februar, 13. April, 19. Mai und 22. August 1983 stattgefunden haben (Entscheidung, Tabelle 5, sowie gem. Bpkte., Anl. 64).

332 Diese Sitzungen der "grossen Vier" fanden ab Dezember 1982 jeweils am Tag vor den "Chef"-Sitzungen statt und dienten dazu, die Maßnahmen festzulegen, die sie gemeinsam für eine Anhebung der Preise im Anschluß an die Mitte 1977 geschlossene Mindestpreisvereinbarung würden treffen können.

333 So heisst es in einem Vermerk von ICI über die Sitzung der Vertreter von ICI, Shell und Monte vom 15. Juni 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64), daß die Hersteller angesichts der Schwierigkeiten auf dem Markt folgende Lösung ins Auge gefasst hätten:

"Possible solutions included (a) sanctions (not a great succeß so far on PVC), (b) control production which is within the power of the bosses (Lane thought propylene availability might scupper this), (c) quotas which Zacchi favoured but Lane discounted, (d) new initiative by the 4 majors whereby they accommodated the hooligans in Europe and made up the loß by sales in ROW markets. Given that W European sales would probably not exceed 105 kt/month for the next few months and then not over 125 kt for the remainder of the year say 115 kt average for July-Sept and exports continüd at 30 kt/month there would still be a surplus of capacity of 10 kt/month. Shared by the Big Four each would have to drop 2.5 kt/m in Europe equivalent to 30 kt/yr of say 2.3 % market share. I said that despite Lane' s contention about ROW prices that such a proposal would be totally unacceptable to us, (e) a flat price increase of say 20 pf/kg wef 1st July - this avoids unrealistic requirements for the lowest priced busineß."

("Die möglichen Lösungen beinhalten (a) Sanktionen [kein grosser Erfolg bisher bei PVC], (b) Produktionskontrolle, was in der Macht der Chefs steht [Lane meinte, daß die Verfügbarkeit von Polypropylen dies versenken könnte], (c) Quoten, wofür sich Zacchi aussprach, Lane aber weniger begeisterte, (d) eine neue Initiative der vier Grossen, durch die sie die Störenfriede in Europa zur Ruhe bringen und die Verluste durch den Absatz auf Märkten der übrigen Welt ausgleichen würden. Da der Absatz in Westeuropa in den nächsten Monaten 105 kt/Monat und dann für den Rest des Jahres 125 kt nicht übersteigen wird, d. h. 115 kt durchschnittlich für Juli bis September, bei Exporten von weiterhin 30 kt/Monat, würde noch ein Kapazitätsüberschuß von 10 kt/Monat übrig bleiben. Geteilt durch die grossen Vier müsste jeder von ihnen auf 2,5 kt/Monat, entsprechend 30 kt/Jahr, in Europa verzichten, d. h. auf 2,3 % Marktanteil. Ich erklärte, daß trotz der Behauptungen von Lane zu den Preisen auf Märkten der restlichen Welt ein solcher Vorschlag für uns völlig inakzeptabel sei; (e) eine einheitliche Nettopreisanhebung auf etwa 20 Pf/kg mit Wirkung ab 1. Juli - dadurch werden unrealistische Forderungen für Niedrigstpreisgeschäfte vermieden.")

Ebenso wird in einem Vermerk eines Angestellten von ICI mit der Überschrift "Sharing the pain" ("das Opfer teilen") vom Anfang der zweiten Jahreshälfte 1982 (gem. Bpkte., Anl. 98) ausgeführt, daß eine Regelung zum Ausgleich für die Verringerung der Verkaufsmengen "might provide useful elements for the understanding between the 'Big Four' " ("für das Einvernehmen zwischen den 'vier Grossen' nützlich sein könnte.") ICI hat in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu diesem Schriftstück folgendes erklärt:

"The 'understanding' between the 'Big Four' was recognition that if the prices were to be increased then the 'Big Four' producers would have to give a strong lead, even at the expense of their own sales volume. It was thought that a 'Compensation Arrangement' between these four producers might have made it easier for them to contemplate the possibility of a commitment on 'Target Prices'."

("Das 'Einvernehmen' zwischen den 'grossen Vier' bestand in der Einsicht, daß die 'vier grossen' Hersteller bei Preisanhebungen sogar auf Kosten ihres eigenen Absatzvolumens entschlossen vorangehen müssten. Man meinte, daß eine 'Ausgleichsregelung' zwischen diesen vier Herstellern es ihnen erleichtern könnte, sich auf 'Zielpreise' festzulegen.")

Dies zeigt, daß die "grossen Vier" sich der besonderen Rolle bewusst waren, die sie bei den Initiativen zur Anhebung der Preise spielen sollten. So wird auch in einem internen Vermerk von Shell vom Oktober 1982 auf die Preisinitiativen der "grossen Vier" Bezug genommen (gem. Bpkte., Anl. 94).

334 Das Gericht stellt fest, daß sich aus alledem und aus seiner Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung ergibt, daß die Kommission die Rolle der Klägerin bei der Zuwiderhandlung zutreffend festgestellt hat und laut Randnummer 109 Absatz 1 der Entscheidung dieser Rolle bei der Bemessung der Geldbusse Rechnung getragen hat. Dabei besteht zwischen den ersten drei Absätzen der Randnummer 109 und dem sechsten Absatz dieser Randnummer kein Widerspruch, da der letztgenannte Absatz nur die kleineren Hersteller betrifft.

335 Zudem zeigt die Schwere, die die festgestellten Handlungen charakterisiert - insbesondere die Festsetzung von Zielpreisen und Verkaufsmengen -, daß die Klägerin nicht leichtfertig oder auch nur fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt hat.

336 Folglich ist die Rüge zurückzuweisen.

B - Keine Individualisierung der Kriterien für die Festsetzung der Geldbussen

337 Nach Auffassung der Klägerin verfügt die Kommission bei der Festsetzung der Geldbusse nicht über ein Ermessen, das der Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter entzogen sei. In diesem Zusammenhang sei die Behauptung der Kommission zurückzuweisen, sie verfüge hinsichtlich der Beurteilung der Höhe der Geldbusse über eine besondere Qualifikation.

338 Zudem enthalte die Begründung der Entscheidung keine wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, die die Bemessung der Geldbussen rechtfertigen könnten. Die Entscheidung gebe keinen Aufschluß über die Maßstäbe, die der Abstufung der zwischen den Unternehmen aufgeteilten Geldbusse zugrunde gelegt worden seien. Die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbusse mache 15,8 % der Gesamtbusse aus und liege damit 50 % höher, als es einer Aufteilung unter Zugrundelegung der von der Kommission bestimmten Marktanteile entsprechen würde. Bei zwei anderen Unternehmen lägen die festgesetzten Bussen nur 28,6 % bzw. 41 % über den Marktanteilen, obgleich die für die Bußgeldbemessung maßgeblichen Umstände für diese drei Unternehmen die gleichen seien. Das Fehlen einer Begründung und Individualisierung der Kriterien für die Bemessung der Geldbusse wiege um so schwerer, als das Gericht bei Klagen gegen Bußgeldentscheidungen die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung besitze. Die Kommission hätte in der Entscheidung die Kriterien angeben müssen, die sie bei der Bemessung der gegen das einzelne Unternehmen festgesetzten Geldbusse zugrunde gelegt habe.

339 Die Kommission erklärt, die Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung im Bereich der Geldbussen nicht in Zweifel zu ziehen. Im übrigen könne das Gericht von dieser Befugnis auch Gebrauch machen, um die Geldbusse im vorliegenden Fall zu erhöhen.

340 Die Entscheidung sei ordnungsgemäß begründet, da in den Randnummern 108 und 109 sämtliche als mildernd oder erschwerend berücksichtigten Umstände aufgeführt seien und die Rolle des jeweils betroffenen Herstellers innerhalb des Kartells angegeben sei. Da Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nur von mehreren Unternehmen gemeinsam begangen werden könnten, sei es darüber hinaus normal, daß die Begründung für die Geldbussen, die gegen die einzelnen Mitglieder der Gruppe verhängt worden seien, meistens gleich sei. Gegen die Klägerin sei wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe der "grossen Vier", die bei der Zuwiderhandlung eine besondere Rolle gespielt habe, eine höhere Geldbusse verhängt worden, als eine Aufteilung ausschließlich unter Zugrundelegung der jeweiligen Marktanteile der einzelnen Hersteller ergeben hätte.

341 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission bei der Bemessung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbusse zum einen die Kriterien für die Bestimmung des allgemeinen Niveaus der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 108) und zum anderen die Kriterien für die gerechte Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 109) festgelegt hat.

342 Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen die in Randnummer 108 der Entscheidung aufgeführten Kriterien bei weitem das allgemeine Niveau der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen. Insoweit ist besonders die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und insbesondere seine Buchstaben a, b und c hervorzuheben, die den vorsätzlich und unter grösster Geheimhaltung handelnden Polypropylenherstellern nicht unbekannt war.

343 Das Gericht hält auch die in Randnummer 109 der Entscheidung genannten vier Kriterien für sachgerecht und genügend, um zu einer gerechten Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen zu gelangen.

344 In diesem Zusammenhang ist der Einwand der Klägerin zurückzuweisen, daß die Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen bei ihr ungerecht sei, da die gegen sie festgesetzte Geldbusse letztlich 50 % höher liege, als es einer Aufteilung der Geldbussen unter Zugrundelegung der in der Tabelle 1 der Entscheidung wiedergegebenen Marktanteile entsprechen würde. Dies sei bei zwei anderen Unternehmen - die sie nicht nennt, deren Situation sie aber im übrigen in jeder Beziehung mit der ihrigen für vergleichbar hält - nicht der Fall, da deren Geldbussen nur 28,6 % bzw. 41 % über den genannten Marktanteilen lägen. Die "Marktanteile der einzelnen Hersteller in Westeuropa" (Entscheidung, Tabelle 1) gehören nicht zu den in Randnummer 109 Absatz 1 der Entscheidung genannten vier Zumessungskriterien für die Geldbussen, da weder der jeweilige Polypropylenabsatz in der Gemeinschaft (und nicht in Westeuropa) noch der jeweilige Gesamtumsatz der einzelnen Unternehmen mit den Zahlen in der Tabelle 1 der Entscheidung übereinstimmt. Infolgedessen beruht das Kriterium, das die Klägerin für ihren Vergleich gewählt hat, auf einer fehlerhaften Analyse der angefochtenen Handlung.

345 Hinzuzufügen ist, daß die Klägerin, nachdem ihr in der Sitzung die von der Kommission auf Aufforderung des Gerichts vorgelegten Zahlen für jedes einzelne Unternehmen, das Adressat der Entscheidung ist, über den Polypropylenabsatz in der Gemeinschaft vorgehalten worden sind, auf der Grundlage dieser Zahlen, deren Richtigkeit sie im übrigen nicht bestreitet, ihren Einwand nicht wiederholt hat.

346 Schließlich müssen die vier in Randnummer 109 Absatz 1 der Entscheidung aufgeführten Kriterien zusammen betrachtet werden, um zu einer gerechten Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen zu gelangen; dies macht den Vergleich bedeutungslos, den die Klägerin zwischen ihrer Situation und der von zwei anderen, nicht genannten Unternehmen auf der Grundlage nur eines dieser Kriterien anstellt, statt die jeweilige Situation der von ihr verglichenen Unternehmen auf der Grundlage der vier Kriterien zusammen konkret und umfassend zu prüfen. Das Gericht stellt deshalb fest, daß die Kommission die vier genannten Kriterien zutreffend angewandt hat, insbesondere wenn man die Rolle berücksichtigt, die die Klägerin als eine der "grossen Vier" gespielt hat (Entscheidung, Randnr. 109, Absatz 2).

347 Folglich ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

C - Fehlerhafte Abgrenzung des relevanten Marktes

348 Die Klägerin wirft der Kommission eine fehlerhafte Abgrenzung des relevanten Marktes vor. Sie macht geltend, daß der verfügende Teil der Entscheidung den gesamten Polypropylenmarkt betreffe, während sich die Begründung nur auf die Grunderzeugnisse beziehe. So habe die Kommission für die Bemessung der Geldbusse die Marktanteile und den Umsatz der Klägerin bezueglich des gesamten Polypropylenmarkts zugrunde gelegt, statt nur die Zahlen für den Markt der Grunderzeugnisse zu berücksichtigen, die lediglich 29 % ihres Absatzes auf dem Gemeinschaftsmarkt ausmachten. Deshalb sei die Geldbusse unverhältnismässig. Entgegen den Behauptungen der Kommission sei der Markt der Grunderzeugnisse von dem der Spezialerzeugnisse unabhängig, so daß Vereinbarungen über die Preise der Grunderzeugnisse keinen Einfluß auf den Markt der Spezialerzeugnisse hätten.

349 Die Kommission macht geltend, daß mit der Absprache der Preise für die Grunderzeugnisse auch die Preise für die Spezialerzeugnisse beeinflusst würden. Es seien nicht nur die Grunderzeugnisse von den Preisabsprachen erfasst worden. So enthalte eine nach der Sitzung vom 13. Mai 1982 erstellte Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 24) die Preise in zehn verschiedenen Währungen für zehn verschiedene Sorten. Wie die Preisinstruktionen der einzelnen Hersteller zeigten (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. C) bestehe eine enge Preisabhängigkeit zwischen den Grund- und den Spezialerzeugnissen. Die neuen Kartellpreise hätten als Grundlage der Verhandlungen mit den Kunden bei der Verlängerung der Verträge über die Spezialerzeugnisse gedient.

350 Zudem hätten die Quotenvereinbarungen einen globalen Charakter gehabt und sich nicht allein auf bestimmte Sorten von Erzeugnissen bezogen. Da diese Vereinbarungen zur Unterstützung der Preisabsprache gedient hätten, habe letztere notwendig den gesamten Polypropylenmarkt abgedeckt.

351 Das Gericht stellt fest, daß die Quoten sämtliche Polypropylensorten betrafen. Die Klägerin hat nämlich in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts angegeben, daß ihr Absatz für 1980 und 1983 in der Gemeinschaft, ihrem Hauptabsatzgebiet, für alle Sorten zusammen 92 713 Tonnen bzw. 103 912 Tonnen betragen habe, wovon nur 29 % auf die Grunderzeugnisse entfallen seien. Die Quote, die der Klägerin 1980 für Westeuropa zugeteilt worden war, belief sich auf 165 000 Tonnen (gem. Bpkte., Anl. 60) und lag 1983 zwischen 155 000 Tonnen bei einem geschätzten Markt von 1 470 kt (Vorschlag von Saga, gem. Bpkte., Anl. 81) und 169 050 Tonnen (11,5 % desselben Marktes, Vorschlag der deutschen Hersteller (gem. Bpkte., Anl. 83)).

352 Somit hat die Kommission für die Bemessung der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse zu Recht den gesamten Polypropylenmarkt berücksichtigt. Die Rüge ist zurückzuweisen.

D - Die Berücksichtigung der Verlustsituation auf dem Markt

353 Die Klägerin macht geltend, ihre Verluste seien nicht nur erheblich, sondern dramatisch gewesen. Dieser Umstand, der im wesentlichen auf die von einigen Staaten gewährten rechtswidrigen Beihilfen zurückzuführen sei, die bestimmten Herstellern den Ausgleich ihrer Verluste ermöglicht hätten, hätte als mildernder Umstand berücksichtigt werden müssen. Die Kommission habe nicht einmal ansatzweise die Verluste berechnet, die die Klägerin auf mehr als 250 Mio. DM veranschlage.

354 Die Kommission verweist auf ihre Beschreibung in der Entscheidung, die im übrigen mit der von der Klägerin gegebenen Darstellung der Überkapazitäten und Verluste der Hersteller im wesentlichen übereinstimme. Die Feststellungen der Klägerin zu den staatlichen Beihilfen seien jedoch ohne Belang. Selbst wenn die Behauptungen der Klägerin insoweit richtig wären, könnten sie nach Ansicht der Kommission einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht rechtfertigen.

355 Die Kommission habe die Verluste der Unternehmen als mildernden Umstand anerkannt, doch habe der eventuelle Einfluß der staatlichen Beihilfen ausser Betracht bleiben müssen.

356 Das Gericht weist darauf hin, daß entgegen den Behauptungen der Klägerin die Kommission in Randnummer 108 letzter Gedankenstrich der Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß sie dem Umstand Rechnung getragen habe, daß die Unternehmen für einen grossen Zeitraum erhebliche Verluste im Polypropylensektor hätten hinnehmen müssen; dies zeigt, daß die Kommission nicht nur den Verlusten, sondern damit auch den ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen des Sektors Rechnung getragen hat (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, a. a. O., Randnrn. 111 ff.), um bei gleichzeitiger Berücksichtigung der anderen in Randnummer 108 aufgeführten Kriterien das allgemeine Niveau der gegen die beteiligten Unternehmen zu verhängenden Geldbussen festzusetzen.

357 Wie das Gericht bereits festgestellt hat, sind die in Randnummer 109 der Entscheidung genannten vier Kriterien sachgerecht und genügend, um zu einer gerechten Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen zu gelangen.

358 Die staatlichen Beihilfen, die bestimmte Unternehmen erhalten haben sollen, sind nach Ansicht des Gerichts nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Klägerin zu beseitigen, denn die Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell kann nicht als ein Mittel der Notwehr anerkannt werden.

359 Soweit die Klägerin anregt, das Gericht möge seine Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung ausüben, ist festzustellen, daß die Klägerin keinerlei Tatsachen vorgetragen hat, aus denen sich das Bestehen dieser Beihilfen, ihr Wesen, ihr Umfang sowie ihre Wirkungen auf den Wettbewerb und insbesondere auf die Geschäftsergebnisse der Klägerin ergeben. Ausserdem ist daran zu erinnern, daß die Klägerin die Kommission im Zeitpunkt der Geschehnisse nicht aufgefordert hat, ihre Befugnisse nach Artikel 93 EWG-Vertrag auszuüben. Unter diesen Umständen ist das Gericht der Ansicht, daß es nicht über die Angaben verfügt, die zur Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung im Hinblick auf die von der Klägerin behaupteten staatlichen Beihilfen unerläßlich wären.

360 Die Rüge ist somit zurückzuweisen.

E - Die Berücksichtigung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung

361 Die Klägerin macht geltend, aus den von ihr vorgelegten Gutachten ergebe sich, daß die angeblichen Verstösse entgegen der unbewiesenen Behauptung der Kommission keine Auswirkung auf den Markt gehabt und es daher keinem Hersteller ermöglicht hätten, Mehrerlöse zu erzielen. Dieser Fehler der Kommission müsse zu einer Herabsetzung der Geldbusse führen, da dem Umstand Rechnung zu tragen sei, daß es auf dem Markt kein gegen das Wettbewerbsrecht verstossendes Verhalten gegeben habe und die Unternehmen aus dem Kartell deshalb keine Vorteile auf Kosten des Marktes hätten ziehen können.

362 Die Kommission hebt hervor, sie habe die Marktauswirkungen des Kartells sehr differenziert beurteilt. Ihre Feststellungen erlaubten jedoch die Schlußfolgerung, daß eine klare Wettbewerbsbeschränkung bezweckt und - zumindest teilweise - ins Werk gesetzt worden sei. Wenn ausserdem die Hersteller ihre Sitzungen häufig und regelmässig fortgesetzt hätten, dann deshalb, weil sie selbst das Kartell nicht als völlig wirkungslos angesehen hätten. Die Kommission räumt ein, daß die Auswirkungen des Kartells auf den Markt bei der Festsetzung der Höhe der Geldbussen eine gewisse Rolle gespielt hätten.

363 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission zwei Arten von Wirkungen der Zuwiderhandlung unterschieden hat. Die erste habe darin bestanden, daß sämtliche Hersteller, nachdem sie in den Sitzungen Zielpreise vereinbart hätten, ihre Verkaufsabteilungen angewiesen hätten, dieses Preisniveau durchzusetzen; die Ziele hätten so als Unterlage für die Preisverhandlungen mit den Kunden gedient. Daraus hat die Kommission den Schluß gezogen, im vorliegenden Fall deute alles darauf hin, daß sich die Vereinbarung auf die Wettbewerbsbedingungen tatsächlich spürbar ausgewirkt habe (Entscheidung, Randnr. 74 Absatz 2 und Randnr. 90). Die zweite Art von Wirkungen der Zuwiderhandlung habe darin bestanden, daß die Entwicklung der Preise gegenüber Einzelkunden im Vergleich zu den im Laufe besonderer Preisinitiativen aufgestellten Zielpreisen mit der Darstellung übereinstimme, die hiervon in den bei ICI und anderen Herstellern über die Durchsetzung der Preisinitiativen gefundenen Schriftstücken gegeben werde (Entscheidung, Randnr. 74 Absatz 6).

364 Es ist darauf hinzuweisen, daß der Kommission rechtlich der Beweis für den Eintritt der Wirkungen der ersten Art aufgrund der zahlreichen von den einzelnen Herstellern erteilten Preisinstruktionen gelungen ist, die miteinander und mit den in den Sitzungen festgelegten Preiszielen übereinstimmen, die ihrerseits offenkundig dazu bestimmt waren, als Grundlage für die Preisverhandlungen mit den Kunden zu dienen.

365 Zu den Wirkungen der zweiten Art ist zum einen darauf hinzuweisen, daß die Kommission keinen Anlaß hatte, an der Richtigkeit der von den Herstellern selbst in ihren Sitzungen vorgenommenen Analysen (siehe insbesondere die Berichte über die Sitzungen vom 21. September, 6. Oktober, 2. November und 2. Dezember 1982, gem. Bpkte., Anl. 30 bis 33) zu zweifeln, aus denen hervorgeht, daß die in den Sitzungen festgelegten Preisziele auf dem Markt weitgehend umgesetzt wurden. Wenn zum anderen die Untersuchung von Coopers & Lybrand sowie die im Auftrag einiger Hersteller durchgeführten wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen ergeben sollten, daß die von den Herstellern selbst in ihren Sitzungen vorgenommenen Analysen unrichtig waren, so wäre diese Feststellung nicht geeignet, zu einer Herabsetzung der Geldbusse zu führen, da die Kommission in Randnummer 108, letzter Gedankenstrich, der Entscheidung darauf hingewiesen hat, daß sie bei der Festsetzung der Geldbussen mildernd berücksichtigt habe, daß die Preisinitiativen im allgemeinen nicht ihr ganzes Ziel erreicht hätten und daß keine Maßnahmen vorgesehen gewesen seien, um die Befolgung der Quoten bzw. anderer Maßnahmen zu erzwingen.

366 Da die Begründung der Entscheidung bezueglich der Festsetzung der Geldbussen im Lichte der übrigen Begründung der Entscheidung zu sehen ist, ergibt sich, daß die Kommission zu Recht die Wirkungen der ersten Art in vollem Umfang berücksichtigt und der begrenzten Natur der Wirkungen der zweiten Art Rechnung getragen hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nicht dargetan hat, inwieweit im Hinblick auf eine Milderung der Geldbussen nicht ausreichend berücksichtigt worden sein soll, daß diese Wirkungen der zweiten Art begrenzt waren.

367 Die Rüge ist folglich zurückzuweisen.

F - Verschärfung der Geldbusse aufgrund des nationalen Rechts

368 Die Klägerin macht geltend, die ihr auferlegte Geldbusse von 19,3 Mio. DM sei aus dem versteuerten Unternehmensgewinn zu leisten. Sie entspreche somit in Wahrheit einer Belastung des Unternehmensergebnisses mit rund 55 Mio. DM, die zu den Verlusten von über 250 Mio. DM, die das Unternehmen aus dem Polypropylengeschäft erlitten habe, hinzukämen.

369 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission bei der Bemessung der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse dem Umstand hat Rechnung tragen müssen, daß die Geldbusse aus dem versteuerten Gewinn zu leisten war. Wäre die Geldbusse aus dem zu versteuernden Gewinn zu leisten, müsste nämlich der Staat, in dem das Unternehmen zur Steuer veranlagt wird, einen Teil der Geldbusse tragen, weil die Besteuerungsgrundlage des Unternehmens durch die Geldbusse verringert würde. Hiervon konnte die Kommission bei der Bemessung der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse nicht ausgehen.

370 Die Rüge ist deshalb zurückzuweisen.

371 Aus alldem ergibt sich, daß die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse der Dauer und der Schwere des zu Lasten der Klägerin festgestellten Verstosses gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln angemessen ist.

Zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

372 Mit gesondertem Schriftsatz vom 2. März 1992 hat die Klägerin beantragt, die mündliche Verhandlung für eine Beweisaufnahme wiederzueröffnen. In seinem Urteil vom 27. Februar 1992 in den verbundenen Verfahren T-79/89 u. a. (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315, nachfolgend "PVC") habe das Gericht erster Instanz Mängel festgestellt, die zur Inexistenz der dort angefochtenen Entscheidung geführt hätten. Durch das Zeugnis der Verfahrensbevollmächtigten der Kommission in dieser Rechtssache und die Tonbandaufzeichnung über die mündliche Verhandlung werde unter Beweis gestellt, daß die Vertreter der Kommission ausdrücklich erklärt hätten, die dort festgestellte Verfahrensweise entspreche der ständigen Praxis der Kommission (II ihres Schriftsatzes vom 2. März 1992). Die Klägerin ist der Ansicht, damit glaubhaft gemacht zu haben, daß entsprechend der ständigen Praxis der Kommission auch in diesem Verfahren keine Urschriften der angefochtenen Entscheidung in den fünf verbindlichen Sprachen existierten, die durch die Urschriften des Präsidenten der Kommission und des Exekutivsekretärs festgestellt worden seien. Daher sei der Beklagten aufzugeben, alle Urkunden und Schriftstücke der Kommission über deren Beschlußfassung und die ausgefertigten Entscheidungen in den verbindlichen Sprachen vorzulegen. Unter III ihres Schriftsatzes vom 2. März 1992 bringt die Klägerin weiter vor, es bestehe Anlaß zu der Annahme, daß die Kommission - wie in den "PVC"-Verfahren - so auch im vorliegenden Fall die Entscheidung nicht in allen verbindlichen Sprachen festgestellt habe und daß die Entscheidungen nachträglich unbefugt abgeändert worden seien.

373 Das Gericht hält es nach erneuter Anhörung des Generalanwalts weder für angezeigt, gemäß Artikel 62 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, noch, in eine Beweisaufnahme einzutreten.

374 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das zitierte Urteil vom 27. Februar 1992 als solches keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren rechtfertigt. Im übrigen hat die Klägerin abweichend von ihrem Vorbringen in den PVC-Verfahren (vgl. Randnr. 14 des Urteils des Gerichts vom 27. Februar 1992) in diesem Verfahren bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht einmal andeutungsweise vorgetragen, daß die angefochtene Entscheidung wegen der behaupteten Mängel inexistent sei. Es fragt sich daher schon, ob die Klägerin hinreichend dargelegt hat, warum sie die angeblichen Mängel, die ja vor der Klageerhebung bestanden haben sollen, anders als in den PVC-Verfahren nicht eher in dieses Verfahren eingeführt hat. Selbst wenn der Gemeinschaftsrichter die Frage der Existenz der angefochtenen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen zu prüfen hat, bedeutet dies aber nicht, daß in jedem Verfahren nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen Ermittlungen über eine eventuelle Inexistenz der angefochtenen Entscheidung zu führen sind. Nur soweit die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz der angefochtenen Entscheidung vortragen, ist das Gericht gehalten, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen. Im vorliegenden Fall ergibt das Vorbringen der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine derartige Inexistenz der Entscheidung: Unter III ihres Schriftsatzes vom 2. März 1992 hat die Klägerin lediglich vorgetragen, es bestehe "begründeter Anlaß" zu der Annahme von bestimmten Verfahrensverstössen der Kommission. Der angebliche Verstoß gegen die Sprachenregelung der Geschäftsordnung der Kommission kann jedoch nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung führen, sondern allenfalls - nach rechtzeitiger Rüge - zur Nichtigkeit. Im übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt, warum die Kommission im Jahr 1986, also in einer normalen Situation, die sich von den besonderen Umständen der PVC-Verfahren beim Ablauf ihres Mandats im Januar 1989 erheblich unterschied, nachträgliche Änderungen an der Entscheidung vorgenommen haben soll. Die diesbezuegliche pauschale Vermutung der Klägerin gibt keinen hinreichenden Anlaß zu einer Beweisaufnahme nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

375 Unter II ihres Schriftsatzes hat die Klägerin allerdings konkret behauptet, es fehlten die durch die Unterschriften des Präsidenten der Kommission und des Exekutivsekretärs festgestellten Urschriften der angefochtenen Entscheidung in allen verbindlichen Sprachen. Dieser angebliche Mangel, selbst wenn er bestehen sollte, führt jedoch für sich genommen noch nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung. Anders als in den bereits mehrfach erwähnten PVC-Verfahren hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren, wie bereits festgestellt, keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung der Grundsatz der Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts verletzt worden ist und damit die angefochtene Entscheidung - zugunsten der Klägerin - die Vermutung ihrer Rechtmässigkeit verloren hat, die ihr aufgrund des Anscheins zukommt. Dann aber führt das blosse Fehlen einer ausgefertigten Urschrift noch nicht zur Inexistenz des angefochtenen Aktes. Auch insoweit war die mündliche Verhandlung daher nicht für eine nachträgliche Beweisaufnahme wiederzueröffnen. Da das Vorbringen der Klägerin auch keine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen würde, war ihrer Anregung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, nicht stattzugeben.

Kostenentscheidung:

Kosten

376 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission beantragt hat, der Klägerin die Kosten aufzuerlegen, hat diese die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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