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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 07.07.1999
Aktenzeichen: T-106/96
Rechtsgebiete: EGKS-Vertrag, Entscheidung 96/315/EGKS


Vorschriften:

EGKS-Vertrag Art. 4 Buchst. c
EGKS-Vertrag Art. 95 Abs. 1
Entscheidung 96/315/EGKS
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 In Ermangelung einer Bekanntgabe oder Mitteilung obliegt es demjenigen, der von dem Vorliegen einer ihn betreffenden Handlung erfährt, binnen angemessener Frist ihren vollständigen Wortlaut anzufordern. Von dieser Einschränkung abgesehen, beginnt die Klagefrist erst von dem Zeitpunkt an zu laufen, zu dem der betroffene Dritte genaue Kenntnis vom Inhalt und von der Begründung der fraglichen Handlung erlangt, so daß er sein Klagerecht ausüben kann.

Gleichwohl hat das Kriterium des Zeitpunkts der Kenntniserlangung von der Handlung als Beginn der Klagefrist subsidiären Charakter gegenüber den Zeitpunkten der Bekanntgabe oder der Mitteilung der Handlung.

2 Der Fünfte gemeinschaftliche Kodex über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie bildet einen abschließenden und verbindlichen rechtlichen Rahmen nur für die Beihilfen, die in ihm aufgezählt und als mit dem EGKS-Vertrag vereinbar angesehen werden. In diesem Bereich führt er eine umfassende Regelung ein, die eine einheitliche Behandlung aller in die festgelegten, befreiten Kategorien fallenden Beihilfen im Rahmen eines einzigen Verfahrens gewährleisten soll. Die Kommission ist durch diese Regelung demnach nur gebunden, wenn sie die Vereinbarkeit von Beihilfen, für die dieser Kodex gilt, mit dem Vertrag beurteilt. Sie darf daher solche Beihilfen nicht unter Verstoß gegen die allgemeinen Vorschriften des Kodex durch eine Einzelfallentscheidung genehmigen.

Dagegen kann bei Beihilfen, die nicht zu den durch den Kodex vom Verbot befreiten Kategorien gehören, eine individuelle Ausnahme von diesem Verbot gewährt werden, wenn die Kommission im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 95 des EGKS-Vertrags der Ansicht ist, daß solche Beihilfen zur Erreichung der Ziele des Vertrages erforderlich sind. Der Beihilfenkodex kann nämlich nicht das Verbot von Beihilfen bezwecken, die nicht in die abschließend aufgezählten Kategorien fallen.

3 Nach Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag sind staatliche Beihilfen grundsätzlich untersagt, da sie die Verwirklichung der im Vertrag festgelegten wesentlichen Ziele der Gemeinschaft, insbesondere die Einführung eines Systems des freien Wettbewerbs, beeinträchtigen können.

Es steht jedoch nicht im Widerspruch zu dieser Bestimmung, wenn die Kommission auf der Grundlage des Artikels 95 Absätze 1 und 2 dieses Vertrages von den Mitgliedstaaten geplante Beihilfen, die mit den Zielen des Vertrages vereinbar sind, ausnahmsweise genehmigt, um unvorhergesehenen Situationen zu begegnen. Die Kommission ist ermächtigt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Ziele des Vertrages zu erreichen, und somit nach dem in dieser Vorschrift vorgesehenen Verfahren die Beihilfen zu genehmigen, die ihr zur Erreichung dieser Ziele erforderlich erscheinen. Die Voraussetzung der Erforderlichkeit ist vor allem dann erfuellt, wenn der betreffende Sektor mit aussergewöhnlichen Krisensituationen konfrontiert ist. Insoweit besteht im Rahmen der Anwendung des Vertrages in Krisenzeiten zwischen der Gewährung von Beihilfen für die Stahlindustrie und den dieser Industrie auferlegten Umstrukturierungsbemühungen ein enger Zusammenhang. Die Kommission beurteilt im Rahmen dieser Anwendung nach ihrem Ermessen, ob die Beihilfen, die die Umstrukturierungsmaßnahmen begleiten sollen, mit den Grundprinzipien des Vertrages vereinbar sind. In diesem Bereich hat sich die Rechtmässigkeitskontrolle auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob die Kommission die Grenzen ihres Ermessens nicht dadurch überschritten hat, daß sie die Tatsachen entstellt oder offensichtlich unrichtig beurteilt oder einen Ermessens- oder Verfahrensmißbrauch begangen hat.

In Anbetracht der Verschiedenartigkeit der im Vertrag festgelegten Ziele besteht die Rolle der Kommission darin, diese verschiedenen Ziele ständig miteinander in Einklang zu bringen, wobei sie von ihrem Ermessen Gebrauch macht, um zu einer Wahrung des gemeinsamen Interesses zu gelangen. Die Kommission hat dann, wenn sie Widersprüche zwischen den einzelnen Zielen sieht, einem der Ziele des Artikels 3 dieses Vertrages den Vorrang einzuräumen, den sie aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten, die zu der Entscheidung Anlaß gegeben haben, für angebracht hält.

Insoweit tragen die Privatisierung eines Unternehmens, um dessen Lebensfähigkeit zu sichern, und der Abbau von Arbeitsplätzen in einem vertretbaren Maß zur Erreichung der Ziele des Vertrages bei, berücksichtigt man die Sensibilität des Stahlsektors und den Umstand, daß bei einer Verschärfung der Krise die Gefahr aussergewöhnlich schwerer und anhaltender Störungen im Wirtschaftsleben des betreffenden Mitgliedstaats bestanden hätte.

4 Das Fehlen der vorherigen Mitteilung von staatlichen Beihilfen im EGKS-Bereich genügt nicht, die Kommission von der Verpflichtung zu befreien oder sie gar daran zu hindern, auf der Grundlage von Artikel 95 EGKS-Vertrag tätig zu werden und die Beihilfe gegebenenfalls für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären.

Da die Kommission zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Beihilfen für die Umstrukturierung eines Stahlunternehmens für das ordnungsgemässe Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich gewesen seien und daß sie nicht zu nicht hinnehmbaren Wettbewerbsverzerrungen führten, kann die fehlende Mitteilung die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung weder insgesamt noch insoweit beeinträchtigen, als sie die nicht zuvor notifizierte Beihilfe betrifft.

Ausserdem hindert diese Stellungnahme die von der vorweggenommenen Zahlung der Beihilfe Betroffenen nicht daran, sich an die staatlichen Gerichte zu wenden und die Ungültigkeit der zur Durchführung der regelwidrigen Beihilfe getroffenen Maßnahmen geltend zu machen oder die Gewährung eines Ausgleichs für den möglicherweise erlittenen Schaden zu beantragen, selbst wenn die Beihilfe nachträglich für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden ist.

5 Der Kommission kann eine Diskriminierung nur vorgeworfen werden, wenn sie vergleichbare Sachverhalte in unterschiedlicher Weise behandelt und dadurch bestimmte Betroffene gegenüber anderen benachteiligt hat, ohne daß diese Ungleichbehandlung durch das Vorliegen objektiver Unterschiede von einigem Gewicht gerechtfertigt wäre.

6 Die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts kann nicht allein davon abhängen, welches nach der Überzeugung eines Organs das angestrebte Ziel ist, sondern muß sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts.

Der Rückgriff auf eine Bestimmung mit dem Charakter eines "letzten Mittels" wie Artikel 95 EGKS-Vertrag, der Artikel 235 EG-Vertrag entspricht (jetzt Artikel 308 EG) als Rechtsgrundlage eines Rechtsakts ist nur gerechtfertigt, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlaß dieses Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht.

7 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gehört zwar zu den Grundprinzipien der Gemeinschaft, jedoch dürfen die Marktbürger nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können.

Für das einwandfreie Funktionieren des gemeinsamen Stahlmarktes ist zweifellos eine ständige Anpassung nach Maßgabe der Veränderungen der Wirtschaftslage erforderlich, und die Wirtschaftsteilnehmer können sich nicht auf ein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Rechtslage berufen. Sobald im übrigen ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer den Erlaß von gemeinschaftlichen Maßnahmen, die offensichtlichen Krisensituationen entgegenwirken sollen, vorhersehen kann, ist eine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht möglich.

8 Gemäß Artikel 95 Absatz 1 EGKS-Vertrag müssen die Entscheidungen, die die Kommission erlässt, um im Vertrag nicht vorgesehene Fälle zu bewältigen, die Bestimmungen des Artikels 5 des Vertrages beachten, wonach die Kommission ihre Aufgabe nur "durch begrenzte Eingriffe" erfuellen darf. Die letztgenannte Vorschrift ist als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit auszulegen.

Im Bereich der staatlichen Beihilfen verlangt der Verhältnismässigkeitsgrundsatz keine mengenmässige Relation zwischen den Beihilfebeträgen und dem Ausmaß des auferlegten Abbaus der Produktionskapazitäten. Ebensowenig fordert er, daß bei der Genehmigung von Beihilfen nur Kapazitätsverringerungen als angemessene Gegenleistung verlangt werden können. In den Fällen, in denen die Kommission einen Kapazitätsabbau nicht für möglich hält oder in denen ein solcher nicht das geeignetste Mittel zur Erreichung der verfolgten Ziele darstellt, kann sie stets andere Gegenleistungen verlangen, nämlich Produktions- und Verkaufsbeschränkungen, wenn diese geeignet sind, die Auswirkungen der Beihilfe auf den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten. Die Beurteilung der Kommission kann nicht allein anhand wirtschaftlicher Kriterien nachgeprüft werden. Die Kommission kann im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 95 des Vertrages einem weiten Spektrum politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Erwägungen Rechnung tragen.

9 Die Begründung eines Rechtsakts muß der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gemeinschaftsrichter seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen jedoch nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden. Sie ist nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften, die auf dem betreffenden Gebiet gelten. Ausserdem ist die Begründung eines Rechtsakts u. a. anhand des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von der Maßnahme betroffene Personen im Sinne von Artikel 33 Absatz 2 EGKS-Vertrag an der Begründung haben können. Darüber hinaus ist die Rüge eines Begründungsmangels um so weniger begründet, als das betreffende Unternehmen im Verfahren der Ausarbeitung der angefochtenen Entscheidung durch seinen Vertreter im Beratenden Ausschuß eine aktive Rolle gespielt und die tatsächlichen und rechtlichen Gründe gekannt hat, die die Kommission veranlasst haben, die Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu halten.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte erweiterte Kammer) vom 7. Juli 1999. - Wirtschaftsvereinigung Stahl gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - EGKS - Nichtigkeitsklage - Zulässigkeit - Staatliche Beihilfen - Einzelfallentscheidung über die Genehmigung der Gewährung staatlicher Beihilfen an ein Stahlunternehmen - Rechtsgrundlage - Artikel 4 Buchstabe c und 95 Absatz 1 des Vertrages - Unvereinbarkeit mit den Bestimmungen des Vertrages - Gleichheitssatz - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - Berechtigtes Vertrauen - Gegenleistungen für die Gewährung einer staatlichen Beihilfe - Keine Kapazitätsverringerung - Verletzung wesentlicher Formvorschriften. - Rechtssache T-106/96.

Parteien:

In der Rechtssache T-106/96

Wirtschaftsvereinigung Stahl, Vereinigung deutschen Rechts mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Jochim Sedemund, Berlin, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Aloyse May, 31, Grand-rue, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Paul F. Nemitz und Frank Paul, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

unterstützt durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch Guus Houttuin und Stephan Marquardt, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Alessandro Morbilli, Generaldirektor der Direktion für Rechtsfragen der Europäischen Investitionsbank, 100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 96/315/EGKS der Kommission vom 7. Februar 1996 über Beihilfen, die Irland dem Stahlunternehmen Irish Steel gewähren will (ABl. L 121, S. 16),

erläßtDAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Vierte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. M. Moura Ramos sowie des Richters R. García-Valdecasas, der Richterinnen V. Tiili und P. Lindh sowie des Richters P. Mengozzi,

Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 1998,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (im folgenden: Vertrag) verbietet grundsätzlich die Gewährung staatlicher Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie. Artikel 4 Buchstabe c des Vertrages erklärt "von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht", für unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl.

2 Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Vertrages lautet:

"In allen in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidung oder Empfehlung der Kommission erforderlich erscheint, um eines der in Artikel 2, 3 und 4 näher bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, kann diese Entscheidung oder Empfehlung mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses ergehen.

Die gleiche, in derselben Form erlassene Entscheidung oder Empfehlung bestimmt gegebenenfalls die anzuwendenden Sanktionen."

3 Um den Erfordernissen einer Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie gerecht zu werden, erließ die Kommission auf der Grundlage der zitierten Bestimmungen des Artikels 95 des Vertrages zu Beginn der achtziger Jahre eine gemeinschaftliche Beihilferegelung, mit der in bestimmten, abschließend aufgezählten Fällen staatliche Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie genehmigt wurden. Diese Regelung wurde später mehrfach geändert, um den konjunkturellen Schwierigkeiten der Eisen- und Stahlindustrie zu begegnen. Daher ist der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltende gemeinschaftliche Kodex über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie, der durch die Entscheidung Nr. 3855/91/EGKS der Kommission vom 27. November 1991 zur Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie (ABl. L 362, S. 57; im folgenden: Beihilfenkodex oder Fünfter Kodex) erlassen wurde, bereits der fünfte seiner Art. Der Fünfte Kodex war bis zum 31. Dezember 1996 in Kraft. Er wurde am 1. Januar 1997 durch die Entscheidung Nr. 2496/96/EGKS der Kommission vom 18. Dezember 1996 zur Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie (ABl. L 338, S. 42) ersetzt, die den Sechsten Stahlbeihilfenkodex darstellt. Aus den Begründungserwägungen des Fünften Kodex ergibt sich, daß mit ihm ebenso wie mit seinen Vorgängern ein Gemeinschaftssystem eingeführt wurde, das für allgemeine oder besondere Beihilfen gelten sollte, die die Mitgliedstaaten, in welcher Form auch immer, gewähren. Nach diesem Kodex waren Betriebs- oder Investitionshilfen - mit Ausnahme der Schließungsbeihilfen - untersagt (Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1997 in der Rechtssache T-243/94, British Steel/Kommission, Slg. 1997, II-1887, Randnr. 3; im folgenden: Urteil British Steel).

4 Parallel zum Beihilfenkodex, bei dem es sich um eine allgemeine Entscheidung handelte, griff die Kommission mehrfach auf Artikel 95 des Vertrages zurück, um Einzelfallentscheidungen über die Genehmigung der Gewährung von Sonderbeihilfen in Ausnahmefällen zu erlassen. Unter diesen Umständen erließ die Kommission am 12. April 1994 sechs Einzelfallentscheidungen über die Genehmigung staatlicher Beihilfen an verschiedene Stahlunternehmen. Diese Entscheidungen waren Gegenstand dreier Nichtigkeitsklagen vor dem Gericht, die zu den Urteilen vom 24. Oktober 1997 in den Rechtssachen T-239/94 (EISA/Kommission, Slg. 1997, II-1843; im folgenden: Urteil EISA), British Steel und T-244/94 (Wirtschaftsvereinigung Stahl u. a./Kommission, Slg. 1997, II-1963; im folgenden: Urteil Wirtschaftsvereinigung Stahl) führten.

Sachverhalt

5 Die Irish Steel Ltd (im folgenden: Irish Steel) ist ein zu 100 % in staatlichem Besitz befindliches Unternehmen mit Sitz in Haulbowline, Cobh, County Cork, das Irlands einziges Stahl- und Walzwerk betreibt. Irish Steel verfügt über jährliche Flüssigstahlkapazitäten von 500 000 Tonnen und Warmwalzkapazitäten von 343 000 Tonnen für Fertigerzeugnisse (Profileisen). In den fünf Geschäftsjahren von 1990 bis 1995 betrug ihre tatsächliche Produktion von warmgewalzten Fertigerzeugnissen 278 000, 248 000, 272 000, 276 000 und 258 000 Tonnen und lag somit erheblich unter ihren Kapazitäten.

6 In den Jahren 1980 bis 1985 erhielt Irish Steel nach Genehmigung durch die Kommission von der irischen Regierung Zuwendungen im Wert von 183 Mio. IRL. Danach machte das Unternehmen eine Periode anhaltender finanzieller Schwierigkeiten durch; Ende des Geschäftsjahres 1994/95 betrugen die Gesamtverluste über 138 Mio. IRL.

7 1993 übernahm die irische Regierung die Bürgschaft für zwei zu einem unter dem marktüblichen Satz liegenden Zinssatz gewährte Darlehen (in Höhe von 10 Mio. IRL und von 2 Mio. IRL). Diese Darlehen wurden als erforderlich angesehen, um die Fortführung des Betriebes zu gewährleisten. Der Kommission wurde dieses Beihilfeelement seinerzeit nicht mitgeteilt.

8 Die Verschlechterung der finanziellen Lage von Irish Steel veranlaßte die irische Regierung, der Kommission mit Schreiben vom 1. März 1995 einen Umstrukturierungsplan für das Unternehmen und die staatlichen Hilfen mitzuteilen, mit denen sie die Umstrukturierung zu unterstützen beabsichtigte. Dieser Plan sah einen Eigenkapitalbeitrag von 40 Mio. IRL und die in der vorstehenden Randnummer genannte staatliche Kreditbürgschaft von 10 Mio. IRL vor (im folgenden: erster Umstrukturierungsplan). Zur gleichen Zeit nahmen die irischen Behörden Verhandlungen auf mit dem Ziel, Irish Steel zu privatisieren.

9 Mit der Mitteilung der Kommission 95/C 284/04 gemäß Artikel 6 Absatz 4 des Beihilfenkodex an die Mitgliedstaaten und Drittbetroffenen über Beihilfen der irischen Regierung an Irish Steel (ABl. C 284, S. 5; im folgenden: Mitteilung 95/C) forderte die Kommission am 4. April 1995 die Betroffenen auf, zur Vereinbarkeit der notifizierten Maßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt Stellung zu nehmen. Die irische Regierung zog jedoch die Notifizierung vom 1. März 1995 mit Schreiben vom 7. September 1995 zurück und legte der Kommission eine geänderte Mitteilung vor. Diese Mitteilung umfaßte ein neues Vorhaben staatlicher Finanzhilfemaßnahmen, die als Gegenleistung für den im Anschluß an ein Ausschreibungsverfahren erfolgten Erwerb von Irish Steel durch die (in Indonesien ansässige, von indischem Kapital kontrollierte und in verschiedenen Ländern tätige) private Gesellschaft Ispat International gedacht waren. Über dieses zweite Vorhaben gab es keine Mitteilung an Drittbetroffene.

10 Nach Schätzungen der Kommission belief sich die mit der Veräußerung von Irish Steel verbundene staatliche Finanzhilfe auf einen Hoechstbetrag von 38,298 Mio. IRL für folgende Zwecke:

- bis zu 17 Mio. IRL für die Abschreibung des unverzinslichen staatlichen Kredits,

- eine Bareinlage von bis zu 2,831 Mio. IRL zur Deckung eines Bilanzdefizits,

- eine Bareinlage von bis zu 2,36 Mio. IRL zur Deckung besonderer Sanierungsarbeiten im Umweltbereich,

- eine Bareinlage von bis zu 4,617 Mio. IRL für Schuldendienstkosten,

- eine Bareinlage von bis zu 0,628 Mio. IRL zur Deckung eines Defizits in der Altersversicherung,

- eine weitere Bareinlage von bis zu 7,2 Mio. IRL zur Berücksichtigung der als Auflage für die Zustimmung des Rates erforderlichen Änderungen des Umstrukturierungsplans,

- Entschädigungen von bis zu 2,445 Mio. IRL für eine mögliche Restbesteuerung und sonstige Kosten und Forderungen aus der Vergangenheit,

- bis zu 1,217 Mio. IRL, die das in den staatlichen Bürgschaften für zwei Darlehen in Höhe von 12 Mio. IRL enthaltene Beihilfeelement darstellten (die in das nach Artikel 6 Absatz 4 des Beihilfenkodex eröffnete Verfahren einbezogen gewesen seien und jetzt im Rahmen des Kaufvertrags von dem Investor übernommen würden, der die Deckung übernehme und den Staat für die mit den Bürgschaften verbundenen Risiken entschädige).

11 Nach dem zweiten Umstrukturierungsplan sollte Ispat International sämtliche Aktien der Irish Steel für 1 IRL erwerben und - mit Ausnahme des laufenden unverzinslichen staatlichen Darlehens in Höhe von 17 Mio. IRL, das abgeschrieben werden sollte - alle Schulden und Verbindlichkeiten übernehmen. Außerdem verpflichtete sich Ispat International, Irish Steel Kapital in Höhe von 5 Mio. IRL zuzuführen und in den folgenden fünf Jahren Investitionen von insgesamt 25 Mio. IRL vorzunehmen.

12 Mit Schreiben vom 11. Oktober 1995 übermittelte die Kommission dieses zweite Vorhaben dem Rat (im folgenden: Mitteilung vom 11. Oktober 1995), der es am 22. Dezember 1995 billigte. Mit ihrer am 21. Mai 1996 veröffentlichten Entscheidung 96/315/EGKS vom 7. Februar 1996 über Beihilfen, die Irland dem Stahlunternehmen Irish Steel gewähren will (ABl. L 121, S. 16; im folgenden: angefochtene Entscheidung), genehmigte die Kommission die Gewährung der geplanten staatlichen Beihilfen.

13 Die Kommission machte ihre Genehmigung von der Einhaltung der in den Abschnitten V bis VII der angefochtenen Entscheidung erläuterten und in deren Artikeln 2 bis 5 niedergelegten Bedingungen abhängig. In Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung heißt es u. a.: "Die derzeitigen Kapazitäten für Flüssigstahl und Walzwerkfertigerzeugnisse dürfen außer aufgrund von Produktivitätsverbesserungen mindestens fünf Jahre lang, gerechnet ab der letzten Beihilfezahlung... nicht erhöht werden."

14 Allerdings verlangte die angefochtene Entscheidung im Unterschied zu den Entscheidungen vom 12. April 1994 keine Verringerungen der Produktionskapazität, denn sie seien "nicht möglich, ohne die Anlage zu schließen, da Irish Steel nur über ein Warmwalzwerk verfügt" (Abschnitt V). Gleichwohl erlegte sie Irish Steel als weitere Bedingungen auf,

- das der Kommission im November 1995 mitgeteilte Angebot an Erzeugnissen in den fünf auf die Zahlung der Beihilfen folgenden Jahren nicht auszudehnen,

- keine größeren Träger als die ihres damaligen Sortiments zu erzeugen,

- die jährlichen Produktionsniveaus für warmgewalzte Fertig- und Halbfertigerzeugnisse (Knüppel) in jedem Geschäftsjahr bis zum 30. Juni 2000 nicht zu überschreiten und

- ihre europäischen Verkäufe (in der Gemeinschaft sowie in der Schweiz und in Norwegen) von Fertigerzeugnissen im gleichen Zeitraum auf ein bestimmtes Niveau zu begrenzen.

15 Durch Rechtsakt vom 18. Juni 1996 wurde die Firma von Irish Steel in Irish Ispat Ltd (im folgenden: Ispat) geändert.

Verfahren

16 Die Wirtschaftsvereinigung Stahl hat mit Klageschrift, die am 10. Juli 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, nach Artikel 33 des Vertrages die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

17 Parallel dazu hat das Unternehmen British Steel am 11. Juni 1996 ebenfalls Klage gegen dieselbe Entscheidung erhoben. Sie ist unter der Nummer T-89/96 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden.

18 In der vorliegenden Rechtssache hat der Rat am 13. Dezember 1996 bei der Kanzlei des Gerichts einen Antrag auf Zulassung als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten eingereicht. Mit Beschluß vom 5. Februar 1997 hat der Präsident der Ersten erweiterten Kammer des Gerichts diesem Antrag stattgegeben.

19 Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift das Gericht ersucht, der Kommission durch prozeßleitende Maßnahme aufzugeben, ihr sämtliche Unterlagen betreffend den Erlaß der angefochtenen Entscheidung durch die Mitglieder der Kommission zu übermitteln.

20 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte erweiterte Kammer) die Eröffnung der mündlichen Verhandlung beschlossen, die Verfahrensbeteiligten gebeten, schriftlich einige Fragen zu beantworten, und die Kommission aufgefordert, beglaubigte Kopien des Dokuments SEC (96) 199 sowie der festgestellten Fassung des Protokolls der Sitzung der Kommission vom 7. Februar 1996 vorzulegen. Die Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung vom 25. November 1998 mündlich verhandelt und die mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

21 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- hilfsweise, diese Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als sie Irish Steel eine Erhöhung des Produktionsniveaus über die Gesamtproduktion des Geschäftsjahres 1994/95 gestattet;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

22 Die Beklagte, unterstützt durch den Rat, beantragt,

- die Klage abzuweisen; - der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

23 Die Kommission bestreitet die Zulässigkeit der Klage. Sie führt aus, nach Artikel 33 des Vertrages sei die Nichtigkeitsklage "innerhalb eines Monats nach Zustellung der individuellen Entscheidung... oder nach Veröffentlichung der allgemeinen Entscheidung... zu erheben". Außerdem habe der Gerichtshof Artikel 33 EGKS-Vertrag im Zusammenhang mit Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) ausgelegt, der vorsehe, daß in Ermangelung der Bekanntgabe oder Mitteilung der angefochtenen Handlung die Frist von dem Zeitpunkt an laufe, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt habe (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Juli 1988 in der Rechtssache 236/86, Dillinger Hüttenwerke/Kommission, Slg. 1988, 3761).

24 Die angefochtene Entscheidung, die eine an Irland gerichtete individuelle Entscheidung sei, sei der Klägerin weder zugestellt noch mitgeteilt worden. Die Klägerin habe gleichwohl am Tag der Sitzung des Beratenden EGKS-Ausschusses (im folgenden: Ausschuß), in dem sie vertreten gewesen sei, d. h. am 25. Oktober 1995, von ihr Kenntnis erlangt. Jedenfalls zeigten die Erklärungen der Klägerin, die in zwei Zeitungsartikeln, im Engineer vom 21. März 1996 und in der Irish Times vom 28. März 1996, veröffentlicht worden seien, daß sie bereits zu jener Zeit den vollständigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung gekannt habe. Die Monatsfrist habe somit spätestens Ende März 1996 zu laufen begonnen, so daß die am 10. Juli 1996 erhobene Klage verspätet sei.

25 Die Kommission führt weiter aus, entgegen der Behauptung der Klägerin lasse es Artikel 33 nicht zu, zwischen dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Handlung und dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung zu wählen. Diese Auslegung ergebe sich aus einer ganzen Reihe von Erwägungen, insbesondere aus Sinn und Zweck der Frist, die dem Rechtsfrieden diene, aus der Bedeutung, die die Möglichkeit zu raschem Vorgehen für die Betroffenen habe, sowie insbesondere aus dem Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94 (AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 42).

26 Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellte, daß sie zu jener Zeit die angefochtene Entscheidung nicht in vollem Umfang gekannt habe, obliege es nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls demjenigen, der vom Vorliegen einer ihn betreffenden Handlung erfahre, "deren vollständigen Wortlaut binnen angemessener Frist anzufordern" (Beschluß des Gerichtshofes vom 5. März 1993 in der Rechtssache C-102/92, Ferriere Acciaierie Sarde/Kommission, Slg. 1993, I-801, Randnrn. 18 f.). Die Klägerin sei dem nicht nachgekommen.

27 Die Klägerin bestreitet, daß die Klage verspätet erhoben worden sei. Nach Artikel 33 des Vertrages sei die Veröffentlichung das maßgebende Ereignis, durch das die Frist in Lauf gesetzt werde. Die Klägerin führt ferner aus, sie habe vor der Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung keine Kenntnis von ihrem vollständigen Inhalt gehabt. Jedenfalls lasse ihr Artikel 33 des Vertrages die Wahl, die Klage unmittelbar nach Erlangung der Kenntnis der angefochtenen Entscheidung oder nach deren Veröffentlichung zu erheben.

Würdigung durch das Gericht

28 Nach dem Wortlaut des Artikels 33 Absatz 3 des Vertrages sind Nichtigkeitsklagen innerhalb eines Monats nach Zustellung der individuellen Entscheidung oder Empfehlung oder nach Veröffentlichung der allgemeinen Entscheidung oder Empfehlung zu erheben. Indem er diese Bestimmung im Licht des Artikels 173 Absatz 5 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 5 EG) ausgelegt hat, hat der Gerichtshof entschieden, daß es in Ermangelung einer Bekanntgabe oder Mitteilung - und nur in diesem Fall - demjenigen, der von dem Vorliegen einer ihn betreffenden Handlung erfährt, obliegt, binnen angemessener Frist ihren vollständigen Wortlaut anzufordern; von dieser Einschränkung abgesehen, kann jedoch die Klagefrist erst von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnen, zu dem der betroffene Dritte genaue Kenntnis vom Inhalt und von der Begründung der fraglichen Handlung erlangt, so daß er sein Klagerecht ausüben kann (Urteile des Gerichtshofes Dillinger Hüttenwerke/Kommission, Randnr. 14, sowie die angeführte Rechtsprechung, und vom 6. Dezember 1990 in der Rechtssache C-180/88, Wirtschaftsvereinigung Stahl Eisen- und Stahlindustrie/Kommission, Slg. 1990, I-4413, Randnrn. 22 bis 24).

29 Ferner hat das Gericht im Zusammenhang mit dem EG-Vertrag bereits entschieden, daß das Kriterium des Zeitpunkts der Kenntniserlangung von der Handlung als Beginn der Klagefrist subsidiären Charakter gegenüber den Zeitpunkten der Bekanntgabe oder der Mitteilung der Handlung hat (Urteil des Gerichts vom 15. September 1998 in der Rechtssache T-11/95, BP Chemicals/Kommission, Slg. 1998, II-3235, Randnr. 47, sowie die angeführte Rechtsprechung).

30 Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung am 21. Mai 1996 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden. Da die Klage am 10. Juli 1996 eingereicht wurde, ist daher festzustellen, daß sie innerhalb der in Artikel 33 Absatz 3 des Vertrages vorgesehenen Frist von einem Monat eingereicht worden ist, die gemäß den Artikeln 102 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung des Gerichts und nach Artikel 1 der Anlage II zur Verfahrensordnung des Gerichtshofes am fünfzehnten Tag nach der Veröffentlichung begonnen hat und mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung um sechs Tage verlängert worden ist.

31 Da unter diesen Umständen das Hilfskriterium nicht anzuwenden ist, geht das Vorbringen der Kommission, die Klägerin habe von der angefochtenen Entscheidung vor deren Veröffentlichung Kenntnis gehabt oder sie hätte binnen angemessener Frist ihren vollständigen Wortlaut anfordern müssen, ins Leere.

32 Folglich ist die Einrede der Unzulässigkeit der Klage zurückzuweisen.

Begründetheit

33 Die Klägerin stützt ihre Klage auf verschiedene Rügen, die zu zwei Klagegründen zusammengefaßt werden können, nämlich erstens eine Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm und zweitens eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften.

34 Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung und im Anschluß an die Vorlage bestimmter Unterlagen durch die Kommission einen Teil des letzten Klagegrundes fallenlassen, und zwar den Vorwurf eines Verstoßes gegen das Kollegialprinzip.

Zum Klagegrund einer Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm

35 Dieser Klagegrund umfaßt im wesentlichen neun Rügen. Die angefochtene Entscheidung sei rechtswidrig, denn sie stehe nicht im Einklang mit dem Fünften Kodex, die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 95 des Vertrages seien nicht erfuellt, sie verstoße gegen die innere Systematik des Artikels 3 des Vertrages, sie verstoße gegen den Grundsatz der restriktiven Auslegung, sie legalisiere nicht notifizierte Beihilfen, sie verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, sie verstoße gegen Artikel 56 § 2 des Vertrages, sie verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und sie verstoße schließlich gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Zum Verstoß gegen den Fünften Kodex

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

36 Die Klägerin trägt vor, der Fünfte Kodex sei eine höherrangige Rechtsnorm mit allgemeinem Charakter, die die Kommission beim Erlaß von Einzelfallentscheidungen zu beachten habe. Nach Artikel 14 Absatz 2 des Vertrages sei der Beihilfenkodex in allen Teilen und für alle, die der Gemeinschaftsrechtsordnung unterworfen seien, einschließlich der Organe, verbindlich. Da er die Stahlbeihilfenpolitik im Detail regele, habe die Kommission dadurch, daß sie von seinen Bestimmungen abgewichen sei, gegen die Grundsätze der Normenhierarchie und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen. Die Klägerin beruft sich hierzu auf die Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in den Rechtssachen T-7/93 (Langnese-Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533, Randnr. 208) und T-9/93 (Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611).

37 Außerdem sehe der Fünfte Kodex im Gegensatz zu den vorherigen Kodizes keinerlei Ausnahmemöglichkeit vor. Daher könnten nur die Beihilfen als mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des gemeinsamen Marktes vereinbar angesehen und folglich von der Kommission genehmigt werden, die die Voraussetzungen der Artikel 2 bis 5 des Beihilfenkodex erfuellten.

38 Zudem hätten der Rat und die Kommission bei der Annahme des Fünften Kodex in Kenntnis der prekären finanziellen Situation von Irish Steel ausdrücklich die Absicht bekundet, das Verbot staatlicher Beihilfen im Stahlsektor strikt durchzusetzen und Ausnahmen davon zu beseitigen. Daher stelle die für die Eisen- und Stahlindustrie typische Krise, die Irish Steel durchgemacht habe, keinesfalls eine unerwartete Entwicklung dar.

39 Die Kommission bestreitet, daß der Fünfte Kodex den von der Klägerin behaupteten verbindlichen und abschließenden Charakter habe. Dies hätte bedeutet, daß der Beschluß, mit dem die Kommission diesen Kodex angenommen habe, den Vertrag geändert hätte, indem er die Tragweite des Artikels 95 verbindlich festgelegt hätte. Die Auslegung jedoch, wonach eine Vorschrift des Sekundärrechts unter Umgehung des gesamten Verfahrens zur Vertragsänderung eine Vorschrift des Primärrechts ändern könne, könne nicht akzeptiert werden. Die Kommission vertritt die Auffassung, daß Artikel 95 des Vertrages, falls die Voraussetzungen für seine Anwendung erfuellt seien, stets als Rechtsgrundlage für den Erlaß von Ad-hoc-Entscheidungen über die Gewährung von Beihilfen in bestimmten Situationen dienen könne.

40 Der Rat macht geltend, daß die förmliche Rechtsgrundlage sowohl für den Beihilfenkodex als auch für die angefochtene Entscheidung Artikel 95 Absatz 1 des Vertrages sei. Folglich seien beide Rechtsakte rechtlich gleichartig und gleichrangig. Demnach sei der Beihilfenkodex keine höherrangige Rechtsnorm als die streitige Entscheidung, nach der sich diese richten müßte.

- Würdigung durch das Gericht

41 Nach der Begründung des Beihilfenkodex (vgl. insbesondere Abschnitt I) sollten der "Eisen- und Stahlindustrie... vor allem nicht die Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen und diejenigen Beihilfen entzogen werden, mit deren Hilfe sie ihre Anlagen an die neuen Umweltschutznormen anpassen kann". Zur Verringerung der Überkapazitäten bei der Produktion und zur Wiederherstellung des Marktgleichgewichts wurden außerdem unter bestimmten Voraussetzungen "soziale Beihilfen [genehmigt], um die teilweise Schließung von Stahlwerksanlagen zu fördern, und Beihilfen, um die endgültige Einstellung der EGKS-Tätigkeit der am wenigsten konkurrenzfähigen Unternehmen zu finanzieren". Wie das Gericht u. a. bereits im Urteil British Steel entschieden hat, führte der Beihilfenkodex allgemein bestimmte Kategorien von Beihilfen auf, die als mit dem Vertrag vereinbar angesehen wurden (Randnrn. 47 und 49). Er führte allgemein geltende Ausnahmen ein vom Verbot staatlicher Beihilfen ausschließlich zugunsten von Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen, Umweltschutzbeihilfen, Schließungsbeihilfen sowie Regionalbeihilfen für Eisen- und Stahlunternehmen, die im Hoheitsgebiet oder einem Teilgebiet bestimmter Mitgliedstaaten niedergelassen sind, sofern diese Beihilfen bestimmte Voraussetzungen erfuellen.

42 Demnach bildet der Beihilfenkodex einen abschließenden und verbindlichen rechtlichen Rahmen nur für die Beihilfen, die in ihm aufgezählt und als mit dem Vertrag vereinbar angesehen werden. In diesem Bereich führt er eine umfassende Regelung ein, die eine einheitliche Behandlung aller in die festgelegten, befreiten Kategorien fallenden Beihilfen im Rahmen eines einzigen Verfahrens gewährleisten soll. Die Kommission ist durch diese Regelung demnach nur gebunden, wenn sie die Vereinbarkeit von Beihilfen, für die dieser Kodex gilt, mit dem Vertrag beurteilt. Sie darf daher solche Beihilfen nicht unter Verstoß gegen die allgemeinen Vorschriften des Kodex durch eine Einzelfallentscheidung genehmigen (vgl. Urteile EISA, Randnr. 71, British Steel, Randnr. 50, und Wirtschaftsvereinigung Stahl, Randnr. 42).

43 Dagegen kann bei Beihilfen, die nicht zu den durch den Kodex vom Verbot befreiten Kategorien gehören, eine individuelle Ausnahme von diesem Verbot gewährt werden, wenn die Kommission im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 95 des Vertrages der Ansicht ist, daß solche Beihilfen zur Erreichung der Ziele des Vertrages erforderlich sind. Der Beihilfenkodex kann nämlich nicht das Verbot von Beihilfen bezwecken, die nicht in die abschließend aufgezählten Kategorien fallen. Die Kommission ist nach Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Vertrages, der nur auf die im Vertrag nicht vorgesehenen Fälle abstellt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1962 in der Rechtssache 9/61, Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1962, 435, Randnr. 2), nicht befugt, bestimmte Kategorien von Beihilfen zu verbieten, da ein solches Verbot bereits im Vertrag selbst, nämlich in Artikel 4 Buchstabe c, vorgesehen ist. Die Beihilfen, die nicht zu den Kategorien gehören, die der Kodex von diesem Verbot ausnimmt, fallen somit weiterhin ausschließlich unter Artikel 4 Buchstabe c. Erweisen sich also derartige Beihilfen zur Erreichung der Ziele des Vertrages gleichwohl als erforderlich, so kann die Kommission von Artikel 95 des Vertrages Gebrauch machen, um dieser unvorhergesehenen Situation gegebenenfalls durch eine Einzelfallentscheidung zu begegnen (vgl. Urteile EISA, Randnr. 72, British Steel, Randnr. 51, und Wirtschaftsvereinigung Stahl, Randnr. 43).

44 Die durch die angefochtene Entscheidung erfaßten Beihilfen, die die Umstrukturierung und dadurch die Privatisierung von Irish Steel ermöglichen, fallen nicht in den Anwendungsbereich des Beihilfenkodex. Die Kommission durfte diese Beihilfen daher durch eine auf der Grundlage von Artikel 95 des Vertrages getroffene Einzelfallentscheidung genehmigen, falls die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfuellt waren.

45 Die Klägerin hat in der Sitzung, gestützt auf die Urteile EISA, British Steel und Wirtschaftsvereinigung Stahl, geltend gemacht, daß die Bareinlage von 2,36 Mio. IRL zur Deckung besonderer Sanierungsarbeiten im Umweltbereich sowie diejenige von 0,628 Mio. IRL zur Deckung eines Defizits in der Altersversicherung zu den im Beihilfenkodex aufgeführten Kategorien zählten und die Kommission sie folglich nicht außerhalb des dort vorgesehenen Verfahrens hätte genehmigen dürfen.

46 Artikel 3 des Beihilfenkodex befreit grundsätzlich "Beihilfen, mit denen die Anpassung von Anlagen, die mindestens zwei Jahre vor Inkraftsetzung der neuen gesetzlichen Umweltschutznormen in Betrieb genommen würden, an diese Normen erleichtert werden soll", wenn der Betrag der Beihilfen "ein Nettobeihilfeaequivalent von 15 % der unmittelbar mit der betreffenden Umweltschutzmaßnahme verbundenen Investitionskosten" nicht übersteigt.

47 Das Beihilfeelement zur Deckung besonderer Sanierungsarbeiten im Umweltbereich (vgl. oben, Randnr. 10), fällt nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 3 des Kodex. Es zielt zwar auf die Anpassung von Anlagen an die gesetzlichen Umweltschutzanforderungen ab, doch übersteigt sein Betrag ein Nettobeihilfeaequivalent von 15 % der darauf bezogenen Investitionskosten. Diese Beihilfe ist demnach nicht durch diese Bestimmung vom generellen Verbot des Artikels 4 Buchstabe c des Vertrages befreit.

48 Gleichermaßen befreit Artikel 4 des Beihilfenkodex im Fall der teilweisen Schließung oder endgültigen Einstellung jeder Tätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfen "für die Zahlungen an freigesetzte oder vorzeitig in den Ruhestand getretene Arbeitnehmer" grundsätzlich vom Verbot des Artikels 4 Buchstabe c des Vertrages.

49 Der oben genannte Zuschuß von 0,628 Mio. IRL ist jedoch in einem Beihilfenprogramm zur Umstrukturierung von Irish Steel enthalten und dient nicht der teilweisen Schließung des Unternehmens oder endgültigen Einstellung seiner Tätigkeit.

50 Demnach konnten diese Beihilfen durch eine unmittelbar auf Artikel 95 des Vertrages gestützte Einzelfallentscheidung genehmigt werden, da die Voraussetzungen dieses Artikels erfuellt waren (vgl. oben, Randnrn. 43 f.). Die angefochtene Entscheidung hat einen anderen Anwendungsbereich als der Beihilfenkodex, weil sie aus außergewöhnlichen Gründen und ein für allemal Beihilfen billigt, die grundsätzlich nicht mit dem Vertrag vereinbar wären; die von ihr genehmigte Ausnahme ist daher vom Beihilfenkodex völlig unabhängig. Somit ist sie nicht den in diesem Kodex genannten Bedingungen unterworfen und hat daher für die Zwecke der Verfolgung der vom Vertrag festgelegten Ziele ergänzenden Charakter gegenüber dem Kodex.

51 Nach alledem kann die angefochtene Entscheidung nicht als eine ungerechtfertigte Ausnahme vom Fünften Kodex angesehen werden, sondern sie stellt vielmehr eine Handlung dar, die ebenso wie jener ihre Grundlage in Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Vertrages findet. Daher ist der Hinweis auf die Urteile Langnese-Iglo/Kommission und Schöller/Kommission im vorliegenden Fall ohne Belang, da die angefochtene Entscheidung nicht im Rahmen des Fünften Kodex erlassen worden ist.

52 Folglich ist die angefochtene Entscheidung nicht wegen Verstoßes gegen den Beihilfenkodex rechtswidrig.

Zum Fehlen der Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 95 des Vertrages

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

53 Die Klägerin führt aus, die Kommission stütze sich für den Erlaß der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht auf Artikel 95 des Vertrages. Artikel 4 Buchstabe c des Vertrages verbiete "von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht". Daher handele es sich bei staatlichen Beihilfen nicht um einen "in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fall", in dem es gerechtfertigt wäre, auf Artikel 95 des Vertrages zurückzugreifen. Ferner sei die Wendung "in diesem Vertrag nicht vorgesehene Fälle" im Sinne von "nicht geregelt" gemeint, was angesichts des Verbotes des Artikels 4 Buchstabe c bei staatlichen Beihilfen nicht der Fall sei. Staatliche Beihilfen seien im Gegenteil gerade im Vertrag vorgesehen und verboten worden. Im übrigen handele es sich bei dieser Frage um eine reine Rechtsfrage, bei der die Kommission keinerlei Ermessensspielraum habe.

54 Auch wenn die Kommission in Abschnitt IV Absatz 1 der angefochtenen Entscheidung erklärt habe, die Subventionierung von Irish Steel trage zur Erreichung der Ziele des Vertrages, insbesondere der in den Artikeln 2 und 3 genannten, bei, werde außerdem nicht klar, um welche Ziele es gehe. Im übrigen lege Artikel 2 Absatz 1 des Vertrages fest, daß die Ziele der Gemeinschaft "auf der Grundlage eines gemeinsamen Marktes, wie er in Artikel 4 näher bestimmt ist", zu verfolgen seien. Angesichts des in Artikel 4 Buchstabe c vorgesehenen Verbotes sei es nicht zulässig, Maßnahmen im Widerstreit mit dieser Vorschrift zu ergreifen und sie mit der Verfolgung der Ziele der Artikel 2 bis 4 des Vertrages zu rechtfertigen.

55 Darüber hinaus dienten die fraglichen Beihilfen nicht der Erreichung eines der in den Artikeln 2 und 3 genannten Ziele. Keines ihrer Elemente trage zur "Modernisierung der Erzeugung" oder zur "Verbesserung der Qualität" bei, da sie darauf gerichtet seien, frühere Verluste auszugleichen. Berücksichtige man ferner das Überangebot im Stahlsektor, könnten die fraglichen Beihilfen auch nicht dazu beitragen, "die Entwicklung des zwischenstaatlichen Austausches" zu fördern. Was das in Artikel 3 Buchstabe d genannte Ziel angehe, wonach die Gemeinschaft verpflichtet sei, "darauf zu achten, daß die Voraussetzungen erhalten bleiben, die einen Anreiz für die Unternehmen bieten, ihr Produktionspotential auszubauen und zu verbessern", so befreie die Gewißheit eines Unternehmens, Verluste immer wieder durch staatliche Beihilfen ausgleichen zu können, dieses Unternehmen von der Verpflichtung, sich durch Innovation und Rationalisierung den Bedingungen des Wettbewerbs zu stellen. Dies gelte in gleicher Weise in bezug auf die Interessen der Verbraucher. Die Beihilfe sei nämlich weder "auf eine geordnete Versorgung des gemeinsamen Marktes unter Berücksichtigung des Bedarfs dritter Länder" noch darauf gerichtet, "allen... Verbrauchern des gemeinsamen Marktes gleichen Zugang zu der Produktion zu sichern", denn die Versorgung könne durch rentabel arbeitende Stahlproduzenten in der Gemeinschaft sichergestellt werden. Auch die "Steigerung der Beschäftigung", die eine der Aufgaben der Gemeinschaft nach Artikel 2 Absatz 1 des Vertrages sei, könne nach dem Verbot des Artikels 4 Buchstabe c weder durch staatliche Beihilfen noch durch Einzelmaßnahmen verfolgt werden.

56 Schließlich sei die angefochtene Entscheidung auch insoweit rechtswidrig, als sie zur Verfolgung der Vertragsziele nicht unerläßlich sei. Die Klägerin beruft sich hierzu auf das Urteil des Gerichtshofes vom 3. Oktober 1985 in der Rechtssache 214/83 (Deutschland/Kommission, Slg. 1985, 3053, Randnr. 30).

57 Die Kommission weist zu der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 95 des Vertrages vorliegen, darauf hin, daß es Zweck dieser Bestimmung sei, ihr zu ermöglichen, auf unvorhergesehene Situationen, die die Erreichung der Vertragsziele gefährdeten, rasch, wirksam und angemessen zu reagieren. Die Kommission habe folglich entgegen den Behauptungen der Klägerin einen weiten Ermessensspielraum bei der Prüfung, ob ein Sachverhalt einen "in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fall" darstelle, der den Rückgriff auf Artikel 95 des Vertrages rechtfertige. Zudem habe die Klägerin nicht dargelegt, inwieweit die Kommission einen Ermessensmißbrauch begangen haben solle, als sie die Situation von Irish Steel als außergewöhnlich und als nicht im Vertrag vorgesehen bewertet und die angefochtene Entscheidung getroffen habe. Dies gelte auch für die Voraussetzungen der Erforderlichkeit und der Unerläßlichkeit der Beihilfen.

- Würdigung durch das Gericht

58 Nach Artikel 4 Buchstabe c des Vertrages sind staatliche Beihilfen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl grundsätzlich untersagt, da sie die Verwirklichung der im Vertrag festgelegten wesentlichen Ziele der Gemeinschaft, insbesondere die Einführung eines Systems des freien Wettbewerbs, beeinträchtigen können.

59 Ein solches Verbot bedeutet jedoch nicht, daß jede staatliche Beihilfe im EGKS-Bereich als mit den Zielen des Vertrages unvereinbar anzusehen wäre. Artikel 4 Buchstabe c - ausgelegt im Licht sämtlicher Ziele des Vertrages, wie sie in dessen Artikeln 2 bis 4 festgelegt sind - soll nicht die Gewährung staatlicher Beihilfen verhindern, die zur Erreichung dieser Ziele beitragen können. Er behält den Gemeinschaftsorganen im Bereich des Vertrages die Befugnis vor, die Vereinbarkeit solcher Beihilfen mit dem Vertrag zu beurteilen und gegebenenfalls deren Gewährung zu genehmigen. Diese Feststellung wird durch das Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1961 in der Rechtssache 30/59 (De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, Slg. 1961, 3, 47) und das Urteil British Steel (Randnr. 41) bestätigt: So wie bestimmte nichtstaatliche finanzielle Zuwendungen an Montanunternehmen, die nach den Artikeln 55 § 2 und 58 § 2 des Vertrages zulässig sind, nur durch die Kommission oder mit deren ausdrücklicher Genehmigung gewährt werden können, ist auch Artikel 4 Buchstabe c dahin auszulegen, daß er den Gemeinschaftsorganen innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Beihilfen eine ausschließliche Zuständigkeit einräumt.

60 Nach der Systematik des Vertrages steht es somit nicht im Widerspruch zu Artikel 4 Buchstabe c, wenn die Kommission auf der Grundlage des Artikels 95 Absätze 1 und 2 von den Mitgliedstaaten geplante Beihilfen, die mit den Zielen des Vertrages vereinbar sind, ausnahmsweise genehmigt, um unvorhergesehenen Situationen zu begegnen (vgl. die Urteile Niederlande/Hohe Behörde, und British Steel, Randnr. 42).

61 Da zudem der EGKS-Vertrag anders als der EG-Vertrag der Kommission oder dem Rat keine spezifische Befugnis zur Genehmigung staatlicher Beihilfen verleiht, ist die Kommission nach Artikel 95 Absätze 1 und 2 ermächtigt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Ziele des Vertrages zu erreichen, und somit nach dem in dieser Vorschrift vorgesehenen Verfahren die Beihilfen zu genehmigen, die ihr zur Erreichung dieser Ziele erforderlich erscheinen (vgl. u. a. Urteil EISA, Randnrn. 61 bis 64 und die angeführte Rechtsprechung). Entgegen dem Vorbringen der Klägerin stellt die Beihilfe, nachdem sie als für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Stahlmarktes erforderlich beurteilt worden ist, keine vom Vertrag untersagte staatliche Beihilfe mehr dar.

62 Die Voraussetzung der Erforderlichkeit ist vor allem dann erfuellt, wenn der betreffende Sektor mit außergewöhnlichen Krisensituationen konfrontiert ist. Insoweit hat der Gerichtshof in seinem Urteil Deutschland/Kommission (Randnr. 30) "den engen Zusammenhang [betont], der im Rahmen der Anwendung des EGKS-Vertrags in Krisenzeiten zwischen der Gewährung von Beihilfen für die Stahlindustrie und den dieser Industrie auferlegten Umstrukturierungsbemühungen besteht". Die Kommission beurteilt im Rahmen dieser Anwendung nach ihrem Ermessen, ob die Beihilfen, die die Umstrukturierungsmaßnahmen begleiten sollen, mit den Grundprinzipien des Vertrages vereinbar sind (Urteil EISA, Randnrn. 77 f.).

63 In diesem Bereich hat sich die Rechtmäßigkeitskontrolle auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob die Kommission die Grenzen ihres Ermessens nicht dadurch überschritten hat, daß sie die Tatsachen entstellt oder offensichtlich unrichtig beurteilt oder einen Ermessens- oder Verfahrensmißbrauch begangen hat (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203, Randnr. 25).

64 Die angefochtene Entscheidung strebt nach ihrem Abschnitt IV an, "die irische Stahlindustrie mit einer soliden und wirtschaftlich lebensfähigen Struktur auszustatten". Es ist daher erstens zu prüfen, ob ein solcher Zweck gegen die in den Artikeln 2 und 3 des Vertrages genannten Ziele verstößt, und zweitens, ob die angefochtene Entscheidung zur Erreichung dieser Ziele erforderlich war.

65 Nach ständiger Rechtsprechung besteht die Rolle der Kommission in Anbetracht der Verschiedenartigkeit der im Vertrag festgelegten Ziele darin, diese verschiedenen Ziele ständig miteinander in Einklang zu bringen, wobei sie von ihrem Ermessen Gebrauch macht, um zu einer Wahrung des gemeinsamen Interesses zu gelangen (Urteile des Gerichtshofes vom 13. Juni 1958 in der Rechtssache 9/56, Meroni/Hohe Behörde, Slg. 1958, 11, 43, vom 21. Juni 1958 in der Rechtssache 8/57, Groupement des hauts fourneaux et aciéries belges/Hohe Behörde, Slg. 1958, 233, 252, und vom 29. September 1987 in den Rechtssachen 351/85 und 360/85, Fabrique de fer de Charleroi und Dillinger Hüttenwerke/Kommission, Slg. 1987, 3639, Randnr. 15). Insbesondere im Urteil vom 18. März 1980 in den Rechtssachen 154/78, 205/78, 206/78, 226/78, 227/78, 228/78, 263/78, 264/78, 31/79, 39/79, 83/79 und 85/79 (Valsabbia u. a./Kommission, Slg. 1980, 907, Randnr. 54) hat der Gerichtshof ausgeführt, daß die Kommission dann, wenn sie Widersprüche zwischen den einzelnen Zielen sieht, einem der Ziele des Artikels 3 den Vorrang einzuräumen hat, den sie aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten, die zu der Entscheidung Anlaß gegeben haben, für angebracht hält.

66 Was die Frage angeht, ob die Sanierung des begünstigten Unternehmens der Erreichung der Vertragsziele dient, so trägt, wie das Gericht in seinen Urteilen EISA, British Steel und Wirtschaftsvereinigung Stahl ausgeführt hat, die Privatisierung eines Unternehmens, um dessen Lebensfähigkeit zu sichern, und der Abbau von Arbeitsplätzen in einem vertretbaren Maß zur Erreichung der Ziele des Vertrages bei, berücksichtigt man die Sensibilität des Stahlsektors und den Umstand, daß bei einer Verschärfung der Krise die Gefahr außergewöhnlich schwerer und anhaltender Störungen im Wirtschaftsleben des Mitgliedstaats bestanden hätte. Es ist jedoch unstreitig, daß die betreffende Beihilfe die Privatisierung des begünstigten öffentlichen Unternehmens, die Umstrukturierung bestehender Einrichtungen und den Abbau von Arbeitsplätzen in einem vertretbaren Maß erleichtern soll (vgl. Abschnitt II der angefochtenen Entscheidung). Unstreitig ist auch, daß dem Stahlsektor in mehreren Mitgliedstaaten wegen des Standorts der Stahlanlagen in Regionen, die durch Unterbeschäftigung gekennzeichnet sind, und des Ausmaßes der in Frage stehenden wirtschaftlichen Interessen wesentliche Bedeutung zukommt. Unter diesen Umständen hätten Entscheidungen über Stillegungen und den Abbau von Arbeitsplätzen ohne unterstützende staatliche Maßnahmen sehr ernste Schwierigkeiten für die öffentliche Ordnung hervorrufen können, insbesondere durch eine Verschärfung des Problems der Arbeitslosigkeit und die Gefahr der Schaffung einer größeren wirtschaftlichen und sozialen Krisensituation (Urteil British Steel, Randnr. 107). Da Irish Steel das einzige Eisen- und Stahlunternehmen in Irland ist, hätte eine eventuelle Stillegung zwangsläufig noch stärkere Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigungssituation dieses Mitgliedstaats haben müssen.

67 Somit genügt die angefochtene Entscheidung, die derartige Schwierigkeiten durch die Sanierung von Irish Steel lösen will, dadurch den Anforderungen des Vertrages, daß sie unbestreitbar darauf abzielt, dafür zu sorgen, daß "keine Unterbrechung in der Beschäftigung eintritt", wie es Artikel 2 Absatz 2 verlangt. Außerdem verfolgt die Entscheidung die in Artikel 3 verankerten Ziele insbesondere in bezug darauf, "Voraussetzungen [zu] erhalten, die einen Anreiz für die Unternehmen bieten, ihr Produktionspotential auszubauen und zu verbessern" (Buchstabe d), und "die geordnete Ausweitung und Modernisierung der Erzeugung sowie die Verbesserung der Qualität in einer Weise zu fördern, die jede Schutzmaßnahme gegen Konkurrenzindustrien ausschließt" (Buchstabe g) (vgl. Urteil British Steel, Randnr. 108).

68 Folglich bringt die angefochtene Entscheidung verschiedene Vertragsziele miteinander in Einklang, um für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu sorgen.

69 Zu prüfen ist weiter, ob die angefochtene Entscheidung zu diesem Zweck erforderlich war. Wie der Gerichtshof in Randnummer 30 seines Urteils Deutschland/Kommission ausgeführt hat, könnte die Kommission "keinesfalls die Gewährung staatlicher Beihilfen gestatten, die nicht zur Erreichung der im EGKS-Vertrag aufgestellten Ziele unerläßlich sind und die zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem gemeinsamen Stahlmarkt führen würden" (Urteil British Steel, Randnr. 110).

70 Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen verfügt die Kommission nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes "über ein Ermessen, das sie nach Maßgabe wirtschaftlicher und sozialer Wertungen ausübt, die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind" (Urteile des Gerichtshofes vom 17. September 1980 in der Rechtssache 730/79, Philip Morris/Kommission, Slg. 1980, 2671, Randnr. 24, und Matra/Kommission, sowie Urteile des Gerichts vom 13. September 1995 in den Rechtssachen T-244/93 und T-486/93, TWD/Kommission, Slg. 1995, II-2265, Randnr. 82, und British Steel, Randnr. 112).

71 Aus der angefochtenen Entscheidung (vgl. Abschnitt III) wie auch aus der Mitteilung vom 11. Oktober 1995 geht hervor, daß sich der Umstrukturierungsplan zusammen mit der Privatisierung von Irish Steel der Kommission als einzige Lösung darstellte, die die Neuausrichtung der Gesellschaft mit einem Minimum an sozioökonomischen Kosten ermöglichte (vgl. insbesondere die Nrn. 5 ff. der Mitteilung). Der Verkauf der Gesellschaft an einen international tätigen privaten Investor mit weitreichender Erfahrung im Eisen- und Stahlsektor sowie dessen Fähigkeit, unrentable Eisen- und Stahlunternehmen zu sanieren, gehörten zu den Bewertungsfaktoren, die die Kommission veranlaßt haben, die angefochtene Entscheidung zu erlassen. Außerdem wurde die Durchführbarkeit des mit der Privatisierung von Irish Steel verknüpften Umstrukturierungsplans von unabhängigen Fachleuten bestätigt, die zu dem Urteil gelangt waren, daß die von Ispat International vorgeschlagenen Investitionen es erlaubten, die erforderlichen Produktivitätsgewinne zu verwirklichen und die Kosten zu senken (vgl. insbesondere die Nrn. 7.15 bis 7.18 und 13.1 der Mitteilung vom 11. Oktober 1995).

72 Demnach hat die Klägerin keinen konkreten Anhaltspunkt dafür vorgetragen, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 95 des Vertrages durch die Kommission nicht erfuellt gewesen wären.

Zum Verstoß gegen die innere Systematik des Artikels 3 des Vertrages

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

73 Die Klägerin trägt vor, die angefochtene Entscheidung diene weder der Erreichung der in Artikel 3 des Vertrages genannten Ziele, noch, da sie diese Ziele nicht miteinander in Einklang bringen könne, der Erreichung eines von ihnen; jedenfalls sei sie zur Erreichung der angeblich verfolgten Ziele nicht erforderlich. Das von der Kommission genannte Ziel einer "verbrauchernahen Versorgung" sei erstens kein Vertragsziel und zweitens völlig bedeutungslos, da das Hauptziel in diesem Bereich darin bestehe, sicherzustellen, daß die Verbraucher gleichen und nicht nahen Marktzugang hätten. Die Klägerin verweist im übrigen darauf, daß Irish Steel nur 6 % seines Umsatzes in Irland erziele.

74 Die Kommission bestreitet die Behauptung, die angefochtene Entscheidung könne nicht zur Erreichung der in Artikel 3 des Vertrages genannten Ziele beitragen.

- Würdigung durch das Gericht

75 Mit diesem Teil des ersten Klagegrundes wiederholt die Klägerin letztlich ihr Vorbringen zu der Frage, ob die Beihilfe für die Erreichung der Vertragsziele erforderlich ist (vgl. oben, Randnrn. 55 bis 57). Diese Rüge ist somit bereits als nicht begründet beurteilt worden. Jedenfalls scheint darüber hinaus der Hinweis angebracht, daß der Gerichtshof im Urteil Groupement des hauts fourneaux et aciéries belges/Hohe Behörde (S. 252) ausgeführt hat, "daß in der Praxis die verschiedenen Ziele des Artikels 3 aufeinander abgestimmt werden müssen, da es offensichtlich unmöglich ist, sie alle gleichzeitig und jedes einzelne bis zur äußersten Konsequenz zu verwirklichen; sie enthalten allgemeine Grundsätze, die es im weitestmöglichen Umfang zu verwirklichen und miteinander in Einklang zu bringen gilt".

76 Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Ausübung ihres Ermessens festgestellt, daß das Sanierungsvorhaben von Irish Steel in der (in Abschnitt I der angefochtenen Entscheidung erwähnten) Krisensituation des Sektors ein geeignetes Mittel zur Erreichung bestimmter Vertragsziele, insbesondere der oben in Randnummer 67 genannten, darstellte. Das Vorbringen der Klägerin insbesondere zum Ziel einer "verbrauchernahen Versorgung" reiche für den Nachweis eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers der Kommission nicht aus, da dieses Ziel nur eines der Ziele sei, die beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung gegeneinander abgewogen worden seien.

77 Somit trägt die Klägerin keinen Anhaltspunkt dafür vor, daß die Kommission einen Beurteilungsfehler begangen hätte, indem sie die Auffassung vertreten hat, daß die betreffenden Beihilfen zur Erreichung bestimmter Vertragsziele nützlich und erforderlich gewesen seien. Folglich ist auch die Rüge des Verstoßes gegen die innere Systematik des Artikels 3 des Vertrages zurückzuweisen.

Zum Verstoß gegen den Grundsatz der restriktiven Auslegung

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

78 Die Klägerin führt aus, daß die angefochtene Entscheidung gegen den Grundsatz der restriktiven Auslegung verstoße, wie er in der Rechtsprechung des Gerichtshofes in bezug auf die Auslegung der Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG), 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG) entwickelt worden sei. Die Kommission habe diesen Grundsatz auch im Rahmen der Anwendung des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) betont und ausgeführt, daß "die in Artikel 92 Absatz 3 genannten Ausnahmen vom Grundsatz des Absatzes 1 bei der Prüfung aller Beihilferegelungen bzw. aller Einzelbeihilfemaßnahmen restriktiv auszulegen" seien (Entscheidung Nr. 89/348/EWG der Kommission vom 23. November 1988 über die von der französischen Regierung einem Kraftfahrzeugmaterial herstellenden Unternehmen [Valéo] gewährten Beihilfen, ABl. 1989, L 143, S. 44, Abschnitt VI, Absatz 2).

79 Daraus sei abzuleiten, daß die Ausnahmen von Artikel 4 Buchstabe c des Vertrages auf der Grundlage von Artikel 95 des Vertrages zeitlich und ihrem Umfang nach auf das unbedingt Erforderliche zu begrenzen seien, lediglich übergangsweise erlaubt sein könnten und jedenfalls für alle Unternehmen gleichermaßen gälten. Demnach erfuelle allenfalls der Beihilfenkodex diese Anforderungen. Der Rückgriff auf Artikel 95 des Vertrages, wie er in der angefochtenen Entscheidung erfolgt sei, diene lediglich dazu, Unternehmen auf Dauer zu subventionieren, ohne sie je zur Rentabilität zu führen.

80 Die Klägerin weist darauf hin, daß Irish Steel wiederholt in den Genuß staatlicher Beihilfen gekommen sei. Das Unternehmen habe nämlich in den Jahren 1980 bis 1985 Beihilfen in Höhe von 183 Mio. IRL erhalten (Mitteilung 95/C). Dieser Beitrag habe das eingezahlte Eigenkapital von 125 Mio. IRL erheblich überschritten. Die Anwendung des Grundsatzes der restriktiven Auslegung bei der Gewährung staatlicher Subventionen habe zur Folge, daß ein Unternehmen nur ein einziges Mal unter vollständiger Ersetzung seines Eigenkapitals subventioniert werden dürfe.

81 Die Kommission vertritt die Meinung, die Klägerin stelle Artikel 95 des Vertrages fälschlicherweise einer Ausnahmeregelung gleich. Diese Bestimmung nehme nicht speziell auf irgendeinen Grundsatz des Vertrages Bezug, sondern solle wie Artikel 235 EG-Vertrag (jetzt Artikel 308 EG) die Verwirklichung der Ziele des Vertrages in unvorhergesehenen Fällen ermöglichen.

- Würdigung durch das Gericht

82 Das Vorbringen der Klägerin stützt sich auf die bereits als unrichtig beurteilte Annahme, allein der Beihilfenkodex vereine die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 95 des Vertrages auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen. Das Gericht hat ferner entschieden, daß die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 95 des Vertrages in bezug auf die Erforderlichkeit der Beihilfe für die Erreichung bestimmter Vertragsziele im vorliegenden Fall erfuellt sind (vgl. oben Randnrn. 70 bis 72).

83 Jedenfalls liegt kein Verstoß gegen den genannten Grundsatz vor. Aus den Abschnitten IV, zweiter Absatz, und VI der angefochtenen Entscheidung geht nämlich hervor, daß die betreffenden Beihilfen zeitlich begrenzt waren. So räumte die angefochtene Entscheidung dem begünstigten Unternehmen zur Wiederherstellung seiner Rentabilität eine Frist bis zum 30. Juni 1998 ein (Artikel 1 Absatz 2). Außerdem stellte sie eine Reihe von Bedingungen auf (vgl. oben, Randnrn. 13 f.), so daß die Beschränkung der Beihilfe auf das unbedingt Erforderliche gewährleistet wird. Vor allem setzte sie die Höhe der Nettofinanzierungskosten entsprechend dem Durchschnitt im Eisen- und Stahlsektor der Gemeinschaft von Anfang an auf mindestens 3,5 % des Jahresumsatzes fest (Artikel 2 und 3).

84 Der Umstand, daß Irish Steel in der Vergangenheit Beihilfen erhalten hat und daß diese Beiträge das eingezahlte Eigenkapital von 125 Mio. IRL überschritten, ist nur einer der Gesichtspunkte bei der zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung vorgenommenen Beurteilung insbesondere der Fähigkeit des Unternehmens, binnen angemessener Frist die Rentabilität wiederzuerlangen. Wie bereits erwähnt (vgl. oben, Randnr. 71), ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung und genauer noch aus der Mitteilung vom 11. Oktober 1995, daß ein ganzes Bündel von Faktoren, insbesondere das Eingreifen von Ispat International, gegeben, Berücksichtigung gefunden hat. Außerdem kann der Umstand, daß in der Vergangenheit Beihilfen gewährt worden sind, entgegen der Ansicht der Klägerin kein Hinderungsgrund sein.

85 Folglich ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der restriktiven Auslegung zurückzuweisen.

Zur rechtswidrigen Legalisierung nicht notifizierter Beihilfen

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

86 Die Klägerin erklärt, ohne daß dies von der Beklagten bestritten worden ist, daß der irische Staat im Jahr 1993 eine Darlehensbürgschaft in Höhe von 10 Mio. IRL zur Sicherung eines Darlehens an Irish Steel übernommen habe. Dieses Darlehen sei zu einem nicht marktgerechten günstigen Zinssatz vergeben worden. Die darin liegende Beihilfe sei der Kommission nicht gemäß Artikel 6 Absatz 4 des Beihilfenkodex angezeigt worden (vgl. oben, Randnr. 7).

87 Diese formell illegale Beihilfe lasse sich nicht nachträglich durch eine Genehmigungsentscheidung der Kommission legalisieren. Dies habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I-5505, Randnr. 16; im folgenden: Urteil FNCE) bestätigt.

88 Die Klägerin trägt in ihrer Erwiderung ergänzend vor, aus der streitigen Entscheidung gehe nicht hervor, daß die Kommission die Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfe mit dem gemeinsamen Markt geprüft hätte. Außerdem könne die Kommission die ihr nicht notifizierte Beihilfe nicht unter Rückgriff auf Artikel 95 des Vertrages nachträglich legalisieren, weil sich diese Bestimmung nur auf die Annahme von Entscheidungen zur Regelung künftiger Fälle beziehe.

89 Die Kommission macht geltend, daß die Nichteinhaltung des Notifizierungsverfahrens weder im Fall des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 EG) noch im Fall des Artikels 6 des Fünften Beihilfenkodex, der die gleiche Verpflichtung zur vorherigen Notifizierung und das Verbot vorweggenommener Zahlungen vorsehe, einen Einfluß auf die materielle Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem gemeinsamen Markt habe.

- Würdigung durch das Gericht

90 Das durch den EGKS-Vertrag auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen eingeführte System ermöglicht es der Kommission, unter bestimmten Voraussetzungen und unter Beachtung des Verfahrens nach Artikel 95 des Vertrages die Gewährung staatlicher Beihilfen zu genehmigen, die zum ordnungsgemäßen Funktionieren des gemeinsamen Stahlmarktes erforderlich sind. Demnach ist das Verbot nach Artikel 4 Buchstabe c weder unbedingt noch absolut.

91 Der innere Aufbau dieses Systems der Beihilfengenehmigung setzt für Einzelfallentscheidungen zunächst voraus, daß der Mitgliedstaat einen Antrag auf Anwendung des Verfahrens nach Artikel 95 des Vertrages an die Kommission richtet, und weiter, daß die Erforderlichkeit der Beihilfe im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele des Vertrages geprüft wird. Dementsprechend besteht das im EGKS-Vertrag festgeschriebene System wie das des Artikels 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) aus zwei getrennten Abschnitten. Der erste hat instrumentalen Charakter und umfaßt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, der Kommission alle geplanten Beihilfen mitzuteilen, sowie das (schlicht aus Artikel 4 Buchstabe c) folgende Verbot, diese Beihilfen vor ihrer Genehmigung durch die Kommission zu zahlen; der zweite hat substantiellen Charakter und besteht in der Prüfung der Erforderlichkeit der Beihilfe im Hinblick auf die Verwirklichung bestimmter Vertragsziele. Im übrigen führt Artikel 6 des Beihilfenkodex für die Beihilfen, die er vom Verbot des Artikels 4 Buchstabe c ausnimmt, ein völlig vergleichbares Verfahren der Mitteilung und Prüfung ihrer Vereinbarkeit vor.

92 Nach den Akten wurde die in Rede stehende Beihilfe von 1,217 Mio. IRL, die der staatlichen Bürgschaft für zwei Darlehen in Höhe von 12 Mio. IRL entsprach (vgl. oben, Randnr. 7), ohne vorherige Mitteilung an die Kommission gewährt (vgl. u. a. Nr. 9 der Mitteilung 95/C). Es bleibt daher zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung unter Berücksichtigung dieser fehlenden vorherigen Mitteilung eine - wie die Klägerin behauptet - rechtswidrige Legalisierung dieser Beihilfe darstellt.

93 Zum EG-Vertrag hat der Gerichtshof entschieden, daß der Verstoß gegen die in Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag genannten Verpflichtungen die Kommission nicht von der Verpflichtung befreien kann, die Vereinbarkeit der Beihilfe im Hinblick auf Artikel 92 EG-Vertrag zu prüfen, und daß die Kommission sie nicht für rechtswidrig erklären kann, ohne geprüft zu haben, ob die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist (vgl. Urteil FNCE, Randnr. 13).

94 Da jedoch das Verbot des Artikels 4 Buchstabe c des Vertrages nur ein grundsätzliches Verbot ist und die Kommission befugt ist, staatliche Beihilfen zu genehmigen, die für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Marktes für erforderlich gehalten werden, kommt der vorherigen Mitteilung instrumenteller Charakter auch für die abschließende Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe sowie darüber zu, ob diese im Hinblick auf die Verwirklichung bestimmter Vertragsziele erforderlich ist. Das Fehlen dieser Mitteilung genügt nicht, die Kommission von der Verpflichtung zu befreien oder sie gar daran zu hindern, auf der Grundlage von Artikel 95 tätig zu werden und die Beihilfen gegebenenfalls für mit dem gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären. Im vorliegenden Fall ist die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beihilfen für die Umstrukturierung von Irish Steel einschließlich der streitigen Beihilfe für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Marktes erforderlich gewesen seien und daß sie nicht zu nicht hinnehmbaren Wettbewerbsverzerrungen führten. Folglich kann die fehlende Mitteilung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung weder insgesamt noch insoweit beeinträchtigen, als sie die nicht zuvor notifizierte Beihilfe betrifft.

95 Außerdem hindert diese Stellungnahme die von der vorweggenommenen Zahlung der Beihilfe Betroffenen nicht daran, sich an die staatlichen Gerichte zu wenden und die Ungültigkeit der zur Durchführung der regelwidrigen Beihilfe getroffenen Maßnahmen geltend zu machen oder die Gewährung eines Ausgleichs für den möglicherweise erlittenen Schaden zu beantragen, selbst wenn die Beihilfe nachträglich für mit dem gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden ist. Der Gerichtshof hat nämlich die unmittelbare Wirkung des in Artikel 4 Buchstabe c des Vertrages ausgesprochenen Beihilfenverbots bereits anerkannt (Urteile vom 23. April 1956 in den Rechtssachen 7/54 und 9/54, Groupement des industries sidérurgiques luxembourgeoises/Hohe Behörde, Slg. 1956, 55, 93). Außerdem hat der Gerichtshof, wie die Kommission zu Recht erwähnt, im Urteil FNCE die unmittelbare Wirkung von Artikel 93 Absatz 3 EG-£ertrag und die Verpflichtung der nationalen Gerichte hervorgehoben, daraus die gebotenen Konsequenzen dergestalt zu ziehen, daß die Rechtmäßigkeit wiederhergestellt wird und die einzelnen gegebenenfalls für den aufgrund der rechtswidrigen Gewährung einer staatlichen Beihilfe entstandenen Schaden einen Ausgleich erhalten. Allerdings wirkt sich der Umstand, daß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag unmittelbare Wirkung zukommt, nicht notwendig auf die sachliche Prüfung der Beihilfe aus und führt auch nicht zur Rechtswidrigkeit der von der Kommission erlassenen Entscheidung über die Vereinbarkeit (Randnrn. 13 und 14).

96 Darüber hinaus ist das Vorbringen der Klägerin zum Fehlen einer Prüfung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem gemeinsamen Markt unbegründet. Aus Abschnitt II, siebter Absatz, achter Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung geht nämlich klar hervor, daß die beanstandete Beihilfe zu dem Bündel geplanter Beihilfen gehörte und daß sie von der Kommission geprüft wurde. Ferner ergibt sich aus der Mitteilung vom 11. Oktober 1995 (vgl. insbesondere die Nrn. 11.8 bis 11.11), daß die Kommission den Betrag von 1,217 Mio. IRL folgendermaßen berechnet hat:

"Die Kommission ist der Ansicht, daß in der Bürgschaft ein Beihilfeelement vorhanden ist und weiter vorhanden sein wird, da diese Bürgschaft mit keinerlei Provision verbunden war und dem neuen Unternehmen die so empfangenen Vergünstigungen weiterhin zugute kommen werden. Unter Berücksichtigung der Laufzeit der Darlehen (etwa zwölf Monate bzw. zehn Jahre) und ausgehend davon, daß normalerweise eine Provision von 3 % zu zahlen gewesen wäre, nimmt die Kommission an, daß die Bürgschaft ein Beihilfeelement von 1,217 Mio. IRL (1,502 Mio. Ecu), also annähernd 10 % des Darlehensbetrages darstellt" (Nr. 11.10).

97 Demnach ist die Rüge einer rechtswidrigen Legalisierung der Beihilfen unbegründet.

Zum Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

98 Die Klägerin trägt vor, daß die Kommission durch den Beihilfenkodex die Grundsätze für ihr Vorgehen in diesem Bereich festgelegt habe. Damit stelle jedes Abweichen von diesen Grundsätzen, sofern es nicht hinreichend begründet sei, einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar (Urteile des Gerichtshofes vom 1. Dezember 1983 in der Rechtssache 190/82, Blomefield/Kommission, Slg. 1983, 3981, Randnr. 20, und vom 29. März 1984 in der Rechtssache 25/83, Buick/Kommission, Slg. 1984, 1773, Randnr. 15).

99 Die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung nicht angegeben, warum die Situation von Irish Steel die Nichtanwendung des Beihilfenkodex gerechtfertigt habe. So erläutere die angefochtene Entscheidung nur ganz allgemein die Krisensituation der Stahlindustrie in der Gemeinschaft insgesamt. Diese Situation, die der Kommission bereits zur Zeit des Erlasses des Beihilfenkodex bekannt gewesen sei, könne ein Abweichen von den darin vorgesehenen Regeln nicht ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz rechtfertigen.

100 Die Klägerin führt aus, die Beklagte habe auch dadurch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, daß sie vergleichbare Situationen unterschiedlich behandelt habe. Die Kommission habe es nämlich in Anwendung des Fünften Kodex abgelehnt, staatliche Beihilfen an Stahlunternehmen zu genehmigen, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Irish Steel befunden hätten wie die Hamburger Stahlwerke GmbH und die Neue Maxhütte GmbH. Gleichwohl weist die Klägerin darauf hin, daß die deutsche Bundesregierung in diesen beiden Fällen keinen Ausnahmeantrag gemäß Artikel 95 des Vertrages gestellt habe.

101 Die Kommission bestreitet, die Genehmigung von Beihilfen in vergleichbaren Situationen verweigert zu haben. Die von der Klägerin herangezogenen Beispiele könnten keine Berücksichtigung finden, da in diesen Fällen kein Ausnahmeantrag gemäß Artikel 95 des Vertrages vorgelegen habe. Folglich habe sich die Frage einer Anwendung dieser Bestimmung nicht gestellt. Die Fälle Neue Maxhütte GmbH und Hamburger Stahlwerke GmbH wiesen zudem im Vergleich zur Situation von Irish Steel weitere bedeutende Unterschiede auf, insbesondere habe in jenen Fällen ein ordnungsgemäßer Umstrukturierungsplan gefehlt.

- Würdigung durch das Gericht

102 Diese Rüge beruht zum Teil auf der bereits zurückgewiesenen Annahme, daß die Kommission im vorliegenden Fall die Regeln des Fünften Kodex hätte anwenden müssen. Indem sie sich auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz beruft, scheint die Klägerin jedoch einzuräumen, daß die Kommission selbst in Fällen, in denen der Fünfte Kodex die anwendbare rechtliche Regelung ist, von dessen Regeln abweichen kann, wenn diese Abweichung objektiv und hinreichend begründet ist. Wie bereits ausgeführt, kann diesen Überlegungen jedoch nicht gefolgt werden. In der vorliegenden Rechtssache ist die Kommission nicht vom Fünften Kodex abgewichen, sondern war schlicht der zutreffenden Auffassung, daß dieser nicht anwendbar sei.

103 Was die Rüge betrifft, die Kommission habe dadurch gegen den Gleichheitssatz verstoßen, daß sie die Situation von Irish Steel anders behandele als die der Neuen Maxhütte GmbH und die der Hamburger Stahlwerke GmbH, so kann nach der Rechtsprechung "der Kommission eine Diskriminierung nur vorgeworfen werden, wenn sie vergleichbare Sachverhalte in unterschiedlicher Weise behandelt und dadurch bestimmte Betroffene gegenüber anderen benachteiligt hat, ohne daß diese Ungleichbehandlung durch das Vorliegen objektiver Unterschiede von einigem Gewicht gerechtfertigt wäre" (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 13. Juli 1962 in den Rechtssachen 17/61 und 20/61, Klöckner Werke und Hoesch/Hohe Behörde, Slg. 1962, 655, 692, und vom 15. Januar 1985 in der Rechtssache 250/83, Finsider/Kommission, Slg. 1985, 131, Randnr. 8). Um zu beurteilen, ob die der Kommission vorgeworfene Behandlung der Situation von Irish Steel einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellt, ist zu prüfen, ob diese Behandlung auf objektiven Unterschieden beruht.

104 Wie die Kommission vorträgt, war die Situation von Irish Steel mit der der anderen erwähnten Unternehmen nicht zu vergleichen. In den Fällen Neue Maxhütte GmbH und Hamburger Stahlwerke GmbH gab es weder einen Ausnahmeantrag nach Artikel 95 des Vertrages seitens der deutschen Regierung noch einen Umstrukturierungsplan, der es der Kommission ermöglicht hätte, die Durchführbarkeit der vorgelegten Beihilfeprogramme zu beurteilen. Diese beiden Umstände, deren Vorliegen von der Klägerin nicht bestritten wird, unterscheiden die Situation dieser beiden Unternehmen objektiv von der von Irish Steel.

105 Demnach ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zurückzuweisen.

Zum Verstoß gegen Artikel 56 § 2 des Vertrages

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

106 Die Klägerin wirft der Kommission vor, nicht von Artikel 56 § 2 Buchstaben a und b des Vertrages Gebrauch gemacht zu haben, um auf die Situation von Irish Steel zu reagieren. Nach dieser Vorschrift hätte die irische Regierung bei der Kommission die Genehmigung von Schließungsbeihilfen beantragen müssen.

107 Daß der Vertrag eine Bestimmung enthalte, die es ermögliche, wirksam den Bedürfnissen unrentabler Stahlunternehmen zu entsprechen, insbesondere den mit der notwendigen Schließung verbundenen sozialen Folgen zu begegnen, lasse die Grundvoraussetzung für einen Rückgriff auf Artikel 95 entfallen, da die Situation, auf die die Kommission habe reagieren wollen, ein im Vertrag vorgesehener Fall sei.

108 Die Kommission bestreitet das Vorbringen der Klägerin.

- Würdigung durch das Gericht

109 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere dem Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 45/86 (Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493, Randnr. 11) geht hervor, daß die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nicht allein davon abhängen kann, welches nach der Überzeugung eines Organs das angestrebte Ziel ist, sondern sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muß. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (vgl. Urteil vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, 2867, Randnr. 10). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht ferner hervor, daß der Rückgriff auf eine Bestimmung mit dem Charakter eines "letzten Mittels" wie Artikel 95 des Vertrages (der Artikel 235 EG-Vertrag entspreche) als Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nur gerechtfertigt ist, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlaß dieses Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht (Urteil vom 26. März 1987, Kommission/Rat, Randnr. 13).

110 Es ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Gewährung der Beihilfen an Irish Steel nicht unter Artikel 56 § 2 des Vertrages fiel, sondern - wie die Kommission behauptet - diesen Rahmen überschritt, so daß sich die Anwendung von Artikel 95 als erforderlich erwies.

111 Die in Artikel 56 § 2 vorgesehenen Beihilfeprogramme dienen dazu, die Beschäftigten von Unternehmen, die ihre Produktion einstellen mußten, auf neue Tätigkeiten hinzulenken. Dabei geht es u. a. um Umschulung, Wiederbeschäftigung und Weitervermittlung von Arbeitnehmern, die infolge von Absatzschwierigkeiten bei Kohle und Stahl freigesetzt wurden. Demnach erlaubte es Artikel 56 § 2 eventuell, einen Teil der durch die Umstrukturierung von Irish Steel hervorgerufenen Probleme zu bewältigen. Der von diesem Artikel vorgegebene Rahmen ermöglichte jedoch nicht die Bewältigung des Grundproblems, das in der Rentabilität der Gesellschaft bestand. Die gewählte Lösung, einen durch ein Programm staatlicher Beihilfen flankierten Plan der Umstrukturierung mittels Privatisierung der Gesellschaft zu beschließen, geht offensichtlich über den Rahmen der mit Artikel 56 § 2 getroffenen Regelung hinaus.

112 Außerdem hat die Kommission zu Recht darauf hingewiesen, daß sie um eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit des Hilfsprogramms, das die irische Regierung Irish Steel gewähren wollte, ersucht worden war. Artikel 56 sieht jedoch unmittelbar aus dem Gemeinschaftshaushalt finanzierte Hilfsprogramme vor und keine staatlichen Beihilfen. Das Nebeneinander und die mögliche Verknüpfung der beiden Verfahren (staatliche Beihilfen/Gemeinschaftsbeihilfen) ergibt sich aus folgender Passage der Mitteilung vom 11. Oktober 1995: "Die Umschulungsbeihilfe von 0,2 Mio. IRL (0,247 Mio. Ecu) stellt nach Angaben der irischen Behörden den Beitrag dar, den die irische Regierung im Gegenzug zu einer gemäß Artikel 56 § 2 Buchstabe b EGKS-Vertrag zur Finanzierung der Umschulung von 134 Arbeitnehmern gewährten Beihilfe geleistet hat. Im Einklang mit der von der Kommission insoweit üblicherweise verfolgten Politik geht sie davon aus, daß diese Beihilfe als eine mit dem gemeinsamen Markt vereinbare staatliche Beihilfe anzusehen ist, da es sich um die nationale Mitfinanzierung handelt, durch die die Gemeinschaftsbeihilfe nach Artikel 56 § 2 Buchstabe b zu ergänzen ist" (Nr. 11.6).

113 Demnach gingen die von der Kommission beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung angestrebten Ziele über den Rahmen des Artikels 56 § 2 hinaus; folglich ist die Entscheidung nicht deshalb rechtswidrig, weil sie Artikel 95 zur Rechtsgrundlage hat.

114 Daher ist die Rüge eines Verstoßes gegen Artikel 56 § 2 des Vertrages zurückzuweisen.

Zum Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

115 Die Klägerin vertritt die Meinung, die Kommission sei mit der Genehmigung der fraglichen Beihilfen von den Grundsätzen abgewichen, die sie und der Rat in diesem Bereich selbst festgelegt hätten. Demnach hätten sie die Erwartungen der Unternehmen des Sektors enttäuscht, die geglaubt hätten, daß über den Fünften Kodex hinaus keine staatliche Beihilfe genehmigt werde.

116 Um berechtigtes Vertrauen geltend machen zu können, sei es nicht erforderlich, daß einem Unternehmen durch einen förmlichen Rechtsakt zugesichert worden sei, es würden keine weiteren Beihilfen für seine Wettbewerber genehmigt. Es reiche jedes Verhalten der Gemeinschaftsorgane in diesem Sinne aus, auf dessen Richtigkeit und Eindeutigkeit dieses Unternehmen habe vertrauen können und von dem jene nicht ohne objektive Rechtfertigung abweichen könnten (Schlußanträge des Generalanwalts Trabucchi zum Urteil des Gerichtshofes vom 4. Februar 1975 in der Rechtssache 169/73, Compagnie Continentale/Rat, Slg. 1975, 117, 137, und Urteil des Gerichtshofes vom 24. November 1987 in der Rechtssache 223/85, RSV/Kommission, Slg. 1987, 4617).

117 Diese Erwartung gründe sich nicht allein auf den Wortlaut des Fünften Kodex, der abschließend und zwingend sei, sondern auch auf einige Erklärungen der Kommission und des Rates, in denen diese sich verpflichtet hätten, in diesem Sektor eine strenge Beihilfendisziplin anzuwenden und nur solche Beihilfen zu genehmigen, die mit dem Fünften Kodex vereinbar seien.

118 Daher seien die Stahlunternehmen der Überzeugung gewesen, daß bis 1996 (Datum des Auslaufens des Fünften Kodex) ihre eigenen Investitionen nicht dadurch entwertet würden, daß Preisunterbietungen der Konkurrenten durch Betriebsbeihilfen finanziert würden. Dieses Vertrauen sei durch die angefochtene Entscheidung verletzt worden, ohne daß eine Rechtfertigung erkennbar wäre.

119 Der Umstand, daß die Kommission in der Vergangenheit gleichartige Entscheidungen erlassen habe, könne das Entstehen eines berechtigten Vertrauens bei der Klägerin nicht verhindern, da derartige Entscheidungen wie auch die angefochtene Entscheidung rechtswidrig seien.

120 Die Beklagte bestreitet, daß die von der Klägerin erwähnten Rechtsakte geeignet seien, ein berechtigtes Vertrauen zu schaffen, und erklärt darüber hinaus, jedenfalls könne die angefochtene Entscheidung ein solches Vertrauen nicht verletzen.

121 Die Kommission weist darauf hin, daß Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung Artikel 95 des Vertrages gewesen sei, der es ihr ermögliche, im Vertrag nicht vorgesehenen Situationen zu begegnen. Daher seien die so begründeten Entscheidungen definitionsgemäß nicht geeignet, berechtigtes Vertrauen zu verletzen.

122 Unabhängig davon, ob die Rechtsakte und Äußerungen bei der Klägerin ein berechtigtes Vertrauen hätten schaffen können, könne die angefochtene Entscheidung dieses Vertrauen nicht verletzt haben, da schon früher gleichartige Entscheidungen getroffen worden seien.

123 Der Rat fügt hinzu, daß die angefochtene Entscheidung erlassen worden sei, um einer "Veränderung der Wirtschaftslage" in einem besonderen Fall Rechnung zu tragen. Es liege somit in der Natur und Zweckbestimmung der auf der Grundlage des Artikels 95 erlassenen Maßnahmen einschließlich des Fünften Kodex, daß sie keine für alle Wirtschaftsteilnehmer verbindliche und unveränderliche Rechtslage schaffen könnten.

- Würdigung durch das Gericht

124 Ausgangspunkt dieses Klagegrundes ist die bereits zurückgewiesene Annahme, daß nur die vom Fünften Kodex freigestellten Beihilfen genehmigt werden könnten. Wie das Gericht jedoch in seinen Urteilen EISA, British Steel und Wirtschaftsvereinigung Stahl bereits festgestellt hat, hat der Beihilfenkodex nicht den gleichen Zweck wie die angefochtene Entscheidung, die erlassen wurde, um einer Ausnahmesituation zu begegnen. Dieser Kodex konnte daher keinesfalls berechtigte Erwartungen in bezug auf die Frage entstehen lassen, ob in einer unvorhergesehenen Situation, wie sie zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung geführt hat, die Gewährung individueller Ausnahmen vom Verbot staatlicher Beihilfen auf der Grundlage von Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Vertrages möglich sein würde (Urteil British Steel, Randnr. 75).

125 Außerdem ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß zwar "der Grundsatz des Vertrauensschutzes... zu den Grundprinzipien der Gemeinschaft gehört, [daß aber] die Marktbürger... nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen [dürfen], die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können" (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-350/88, Delacre u. a./Kommission, Slg. 1990, I-395, Randnr. 33, und Urteil British Steel, Randnr. 76).

126 Für das einwandfreie Funktionieren des gemeinsamen Stahlmarktes ist zweifellos eine ständige Anpassung nach Maßgabe der Veränderungen der Wirtschaftslage erforderlich, und die Wirtschaftsteilnehmer können sich nicht auf ein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Rechtslage berufen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 27. September 1979 in der Rechtssache 230/78, Eridania und Società italiana per l'industria degli zuccheri, Slg. 1979, 2749, Randnr. 22, und Urteil des Gerichts vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-472/93, Campo Ebro u. a./Rat, Slg. 1995, II-421, Randnr. 52). Zudem hat der Gerichtshof unter Verwendung des Begriffes des "umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers" darauf hingewiesen, daß es in bestimmten Fällen möglich ist, den Erlaß spezifischer Maßnahmen, die offensichtlichen Krisensituationen entgegenwirken sollen, vorherzusehen, so daß eine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht möglich ist (vgl. u. a. Urteil British Steel, Randnr. 77, und die angeführte Rechtsprechung).

127 Nach dem Erlaß der erwähnten Einzelfallentscheidungen vom 12. April 1994, die die Klägerin im übrigen vor dem Gericht angefochten hat, wußte diese zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung jedoch unbestreitbar, daß sich die Kommission auf Artikel 95 des Vertrages stützte, um Einzelfallentscheidungen zu erlassen, durch die staatliche Beihilfen im Hinblick auf die Verwirklichung bestimmter Vertragsziele genehmigt wurden.

128 Folglich ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes zurückzuweisen.

Zum Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

129 Die Klägerin wirft der Kommission vor, insoweit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen zu haben, als die sich aus der fraglichen Beihilfe ergebenden Vorteile nicht durch Forderungen nach einem Abbau der Produktionskapazität ausgeglichen worden seien.

130 Die Anwendung dieses Grundsatzes ergebe sich aus Artikel 5 des Vertrages, auf den Artikel 95 Absatz 1 Bezug nehme. Nach dem Wortlaut des Artikels 5 dürfe die Kommission ihre Aufgaben nur durch begrenzte Eingriffe erfuellen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juni 1958 in der Rechtssache 2/57, Compagnie des hauts fourneaux de Chasse/Hohe Behörde, Slg. 1958, 133).

131 Nach ständiger Rechtsprechung dürfe eine auf Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Vertrages gestützte Beihilfengenehmigung keinesfalls zu einer Wettbewerbsverzerrung auf dem gemeinsamen Stahlmarkt führen (Urteil Deutschland/Kommission, Randnr. 30). Gleichwohl verschaffe jede Beihilfegewährung als solche dem begünstigten Unternehmen einen Vorteil gegenüber den anderen Unternehmen, was die Wettbewerbsverhältnisse immer beeinflusse (Urteil des Gerichtshofes vom 24. Februar 1987 in der Rechtssache 304/85, Falck/Kommission, Slg. 1987, 871, Randnr. 24).

132 Unter diesen Umständen könnten nur solche Beihilfen genehmigt werden, die "für eine begrenzte Zeit" gewährt würden und mit denen ein "deutlicher Abbau der Produktionskapazitäten" verbunden sei (Urteil Deutschland/Kommission, Randnr. 31), da nur dann die durch sie eintretenden Nachteile für die Wettbewerber in einem angemessenen Verhältnis zu den erzielten Vorteilen für den gemeinsamen Markt stuenden.

133 Im vorliegenden Fall gestatte die angefochtene Entscheidung ausdrücklich eine massive Produktionsausweitung; die Produktionsbegrenzungen, die die Kommission festgesetzt habe, um "sicherzustellen, daß mögliche Marktverzerrungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden" (Artikel 2 Absätze 3 und 4 der angefochtenen Entscheidung), seien nicht ausreichend.

134 Nach den dem Rat übermittelten Daten (vgl. Nr. 4 der Mitteilung vom 11. Oktober 1995) verfüge Irish Steel über Produktionskapazitäten von 500 000 Tonnen Flüssigstahl und von 343 000 Tonnen warmgewalztem Langstahl. Im Geschäftsjahr 1994/95 habe die Produktion von warmgewalztem Stahl 258 000 Tonnen betragen. Dagegen sehe der Umstrukturierungsplan die volle Auslastung der bestehenden Produktionskapazitäten für Flüssigstahl für die Herstellung von Knüppeln und Warmwalzerzeugnissen vor. Nach den in der angefochtenen Entscheidung festgelegten Produktionsobergrenzen habe sich die Gesamtproduktion schon im Geschäftsjahr 1995/96 auf 350 000 Tonnen, gegenüber dem vorangegangenen Geschäftsjahr also um etwa 40 %, erhöhen können.

135 Die von der Kommission verlangten Gegenleistungen reichten nicht aus, um zu verhindern, daß die genehmigte Beihilfe zu unverhältnismäßigen Wettbewerbsverzerrungen führe. Dies zeige sich insbesondere auf dem Markt für Knüppel aus legiertem Stahl, auf dem in der Gemeinschaft Überkapazitäten bestuenden und von dem sich einige deutsche Produzenten 1993 zurückgezogen hätten.

136 Die Klägerin führt ferner aus, daß der relevante Markt für die Berechnung des Marktanteils von Irish Steel auf dem Markt für Knüppel der Markt für Knüppel aus legiertem Stahl und nicht der Halbzeugmarkt sei, wie die Kommission behaupte. Demnach liege der Marktanteil von Irish Steel nicht wie die Kommission angebe bei 0,2 %, sondern bei 10 %.

137 Die Kommission erklärt, die verlangten Gegenleistungen, insbesondere die Produktions- und Verkaufsbeschränkungen, seien verhältnismäßig und verursachten keine Wettbewerbsverzerrung. Im übrigen werde diese Verzerrung von der Klägerin zwar behauptet, nicht aber nachgewiesen. Außerdem mache die Knüppelproduktion von Irish Steel am Ende des von der angefochtenen Entscheidung erfaßten Zeitraums (90 000 Tonnen) lediglich 0,2 % des gegenwärtigen Verbrauchs in der Gemeinschaft von etwa 40 000 000 Tonnen aus, was praktisch jede Wettbewerbsverzerrung ausschließe.

138 Sie vertritt ferner die Auffassung, daß eine Kapazitätsreduzierung, die im übrigen im Fall von Irish Steel nicht möglich sei, keine zwingend erforderliche Gegenleistung sei, sondern daß nach dem Ermessen der Kommission auch andere Gegenleistungen in Betracht kämen.

139 Außerdem seien die von der Klägerin verwendeten Zahlen irreführend, weil es im Geschäftsjahr 1994/95 wegen umfangreicher Arbeitsniederlegungen zu einem anomalen Rückgang der Gesamtproduktion gekommen sei. Ferner sei der relevante Markt, wie sie ihn zugrunde gelegt habe, der für Knüppel und nicht der für Knüppel aus legiertem Stahl, da die Erzeuger ihre Produktion ohne weiteres von einer Knüppelsorte auf die andere umstellen könnten.

- Würdigung durch das Gericht

140 Das Vorbringen der Klägerin läuft darauf hinaus, daß die angefochtene Entscheidung unverhältnismäßig sei, weil sie keine Kapazitätsverringerungen vorschreibe und weil die verlangten Gegenleistungen nicht ausreichten, um die Auswirkungen der Beihilfe auf den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten.

141 Gemäß Artikel 95 Absatz 1 des Vertrages müssen die Entscheidungen, die die Kommission erläßt, um im Vertrag nicht vorgesehene Fälle zu bewältigen, die Bestimmungen des Artikels 5 des Vertrages beachten, wonach die Kommission ihre Aufgabe nur "durch begrenzte Eingriffe" erfuellen darf. Die letztgenannte Vorschrift ist als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen (vgl. Schlußanträge des Generalanwalts Roemer in der Rechtssache 31/59, Acciaieria e Tubificio di Brescia/Hohe Behörde, Urteil des Gerichtshofes vom 4. April 1960, Slg. 1960, 161, 187 f.).

142 Im Bereich der staatlichen Beihilfen hat der Gerichtshof im Urteil Deutschland/Kommission entschieden, daß die Kommission nicht die Gewährung von Beihilfen genehmigen darf, "die zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem gemeinsamen Stahlmarkt führen würden" (Randnr. 30). Im gleichen Sinne hat er im Urteil vom 13. Juni 1958 in der Rechtssache 15/57 (Compagnie des hauts fourneaux de Chasse/Hohe Behörde, Slg. 1958, 161, 194) ausgeführt, daß die Kommission "verpflichtet [ist], mit Umsicht zu handeln, erst nach sorgfältiger Abwägung aller betroffenen Interessen einzugreifen und eine vorhersehbare Benachteiligung Dritter - soweit möglich - in Grenzen zu halten".

143 Im übrigen verfügt die Kommission nach gefestigter Rechtsprechung in diesem Bereich über einen "weiten Ermessensspielraum..., der [ihrer] politischen Verantwortung... entspricht" (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-8/89, Zardi, Slg. 1990, I-2515, Randnr. 11). Folglich kann die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Kommission nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese Entscheidung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles offensichtlich unangemessen ist oder außer Verhältnis steht (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 9. Juli 1985 in der Rechtssache 179/84, Bozzetti, Slg. 1985, 2301, und vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder HS Kraftfutter, Slg. 1989, 2237, Randnr. 22).

144 Die Gemeinschaftsrechtsprechung hat zwar, u. a. im Urteil Deutschland/Kommission, stets den engen Zusammenhang hervorgehoben, der zwischen der Gewährung von Beihilfen für die Stahlindustrie und den dieser Industrie auferlegten Umstrukturierungsbemühungen besteht (Randnr. 30). Ferner hat der Gemeinschaftsrichter mehrfach betont, daß diese Umstrukturierungsanstrengung insbesondere einen Abbau der Produktionskapazitäten der begünstigten Unternehmen umfaßt. Allerdings sind als Faktoren, die die genauen Beträge der zu genehmigenden Beihilfen beeinflussen können, nicht nur die Anzahl der Tonnen abzubauender Produktionskapazität zu berücksichtigen; es kommen vielmehr noch andere Aspekte hinzu, die von einer Region der Gemeinschaft zur anderen unterschiedlich sind, wie z. B. die in der Vergangenheit unternommenen Umstrukturierungsbemühungen, die durch die Krise der Stahlindustrie hervorgerufenen regionalen und sozialen Probleme, die technische Entwicklung sowie die Anpassung der Unternehmen an die Markterfordernisse (Urteile Deutschland/Kommission, Randnrn. 31 und 34, und British Steel, Randnr. 136).

145 Folglich besagt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Bereich, ebensowenig wie er eine mengenmäßige Relation zwischen den Beihilfebeträgen und dem Ausmaß des auferlegten Abbaus der Produktionskapazitäten fordert, nicht, daß bei der Genehmigung von Beihilfen nur Kapazitätsverringerungen als angemessene Gegenleistung verlangt werden können. In den Fällen, in denen die Kommission wie hier einen Kapazitätsabbau nicht für möglich hält oder in denen ein solcher nicht das geeignetste Mittel zur Erreichung der verfolgten Ziele darstellt, kann sie stets andere Gegenleistungen verlangen, nämlich Produktions- und Verkaufsbeschränkungen, wenn diese geeignet sind, die Auswirkungen der Beihilfe auf den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten. Wie das Gericht bereits entschieden hat, kann die Beurteilung der Kommission nicht allein anhand wirtschaftlicher Kriterien nachgeprüft werden. Die Kommission kann im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 95 des Vertrages einem weiten Spektrum politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Erwägungen Rechnung tragen (Urteil British Steel, Randnr. 136).

146 In Artikel 2 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission Irish Steel mehrere Verpflichtungen auferlegt:

"(1) Mindestens fünf Jahre lang, gerechnet ab der letzten Beihilfezahlung im Rahmen der Regelung, erhöht das Empfängerunternehmen - außer im Wege von Produktivitätsverbesserungen - nicht seine gegenwärtigen Flüssigstahlkapazitäten von 500 000 Tonnen pro Jahr sowie die derzeitigen Warmwalzkapazitäten von 343 000 Tonnen pro Jahr für Fertigerzeugnisse.

(2) Das Empfängerunternehmen dehnt sein der Kommission im November 1995 mitgeteiltes derzeitiges Angebot an Fertigerzeugnissen in den ersten fünf Jahren nicht aus und erzeugt im gleichen Zeitraum keine größeren Träger als die seines jetzigen Angebots. Innerhalb seines derzeitigen Sortiments an Trägern beschränkt das Unternehmen die Produktion seiner größten U-Träger (britisches System - imperial), HE-Träger (metrisches System) und IPE-Träger zusammen auf 35 000 Tonnen pro Jahr für den Gemeinschaftsmarkt.

(3) Das Empfängerunternehmen überschreitet nicht die nachfolgenden Produktionsniveaus je Geschäftsjahr:

(in 1 000 Tonnen)

1995/96

1996/97

1997/98

1998/99

1999/2000

Warmgewalzte Fertigerzeugnisse

320

335

350

356

361

Knüppel

30

50

70

80

90

(4) Das Empfängerunternehmen überschreitet nicht die nachfolgenden Niveaus europäischer Verkäufe (Gemeinschaft, Schweiz und Norwegen) an warmgewalzten Fertigerzeugnissen je Geschäftsjahr:

(in 1 000 Tonnen)

1995/96

1996/97

1997/98

1998/99

1999/2000

298

302

312

320

320

..."

147 Diese Irish Steel auferlegten Produktions- und Verkaufsbeschränkungen sind das Ergebnis einer Gewichtung und Abwägung mehrerer Faktoren, nämlich der spezifischen Lage auf dem Stahlsektor, insbesondere der Überkapazität (Abschnitt I der angefochtenen Entscheidung), der Stellung von Irish Steel auf dem betreffenden Markt (vgl. Nr. 4.3 der Mitteilung vom 11. Oktober 1995), der Fähigkeit von Ispat International, das Empfängerunternehmen wieder rentabel zu machen (Abschnitt III der angefochtenen Entscheidung), sowie des Erfordernisses, bestimmte Gegenleistungen zu verlangen, um die Auswirkungen der mit den Beihilfen gewährten Vergünstigungen auf dem Markt zu beschränken und dem Unternehmen gleichzeitig zu erlauben, seine Produktivität zu erhöhen (Abschnitt V). Die Klägerin hat jedoch keinen konkreten Anhaltspunkt dafür vorgetragen, daß die Festlegung von Obergrenzen für Produktion und Verkäufe als Gegenleistung für die Genehmigung der Beihilfen offensichtlich unangemessen oder unverhältnismäßig wäre.

148 Was den relevanten Produktmarkt und den von der Kommission auf 0,2 % angesetzten Marktanteil von Irish Steel betrifft, so gestattet keiner der von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte die Schlußfolgerung, daß der Kommission ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen wäre, als sie den Markt für Knüppel und nicht den für Knüppel aus legiertem Stahl gewählt hat. Das sehr allgemeine Vorbringen, daß sich die Knüppel aus legiertem Stahl hinsichtlich ihrer Verwendung deutlich von den anderen Fertigerzeugnissen unterschieden, ist nicht ausreichend, um die Bewertung der Kommission in Frage zu stellen, wonach die von der Klägerin behauptete Trennung der Märkte auf der Produktionsstufe nicht bestehe.

149 Die gleiche Feststellung gilt für die Rüge, die auf die von der angefochtenen Entscheidung zugelassene Produktionssteigerung gestützt ist (warmgewalzte Fertigerzeugnisse: von 320 000 Tonnen 1995/96 auf 361 000 Tonnen 1999/2000; Knüppel: von 30 000 Tonnen 1995/96 auf 90 000 Tonnen 1999/2000), da die von der Klägerin vorgetragenen Prozentsätze auf anomal niedrige Vergleichswerte gestützt sind, nämlich auf die Zahlen des Geschäftsjahres 1994/95 (258 000 Tonnen, während die Verkäufe in manchen Geschäftsjahren 281 000 Tonnen erreicht haben - Nr. 4.4 der Mitteilung vom 11. Oktober 1995).

150 Folglich weisen die Schußfolgerungen der Kommission, daß die von der angefochtenen Entscheidung vorgesehene Steigerung der Verkäufe nur geringe Auswirkungen auf den Wettbewerb haben werde (0,15 % des Marktanteils für den Markt der Knüppel aus legiertem Stahl = [90 000 - 30 000] : 40 000 000, vgl. oben, Randnr. 137) und daß die Festlegung von Grenzen für Produktion und Verkäufe durch Irish Steel für einen Zeitraum von fünf Jahren eine wirkungsvolle und angemessene Alternative zum Abbau ihrer Kapazitäten darstellte, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler auf.

151 Nach alledem ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückzuweisen.

152 Dementsprechend ist der erste Klagegrund eines Verstoßes gegen den Vertrag oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm zurückzuweisen.

Zum Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften

153 Die Klägerin stützt diesen Klagegrund auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht.

Zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

154 Nach Auffassung der Klägerin ist die Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt 88 Absatz 2 EG) und Artikel 6 Absatz 4 des Fünften Beihilfenkodex verpflichtet, Drittbetroffene von dem Antrag auf Genehmigung so in Kenntnis zu setzen, daß sie Stellung nehmen könnten.

155 Im vorliegenden Fall habe die Kommission das ursprüngliche Vorhaben der irischen Regierung im Amtsblatt veröffentlichen lassen (Mitteilung 95/C), nicht jedoch den zweiten Umstrukturierungsplan. Daher habe die Kommission den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör und auf Abgabe einer rechtzeitigen Stellungnahme zu dem in der Prüfung befindlichen Vorhaben nicht beachtet.

156 Die Klägerin führt weiter aus, die Wahrung des rechtlichen Gehörs stelle eine objektive Verfahrenspflicht dar, die gegenüber allen Unternehmen bestehe, die ein rechtlich begründbares Interesse hätten. Demnach könne dieser Anspruch nicht einfach deshalb unberücksichtigt bleiben, weil die Unternehmen im Ausschuß vertreten seien.

157 Die Kommission weist darauf hin, daß Artikel 95 des Vertrages keine Vorschrift über die Anhörung von Wettbewerbern enthalte und daß angesichts des außergewöhnlichen Charakters dieser Art von auf den EGKS-Vertrag beschränkten Entscheidungen die Rechtsprechung zu Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag nicht anwendbar sein dürfte. Sie erinnert jedoch daran, daß die Klägerin Gelegenheit gehabt habe, den Ablauf des Verfahrens zu verfolgen und sich zum zweiten Umstrukturierungsplan zu äußern, da sie im Ausschuß vertreten sei, der gemäß Artikel 95 des Vertrages angehört worden sei.

- Würdigung durch das Gericht

158 Die angefochtene Entscheidung wurde auf der Grundlage von Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Vertrages erlassen. Diese Vorschrift sieht die Zustimmung des Rates und die obligatorische Anhörung des Ausschusses vor. Sie begründet keinen Anspruch der Adressaten der Entscheidungen und der Beteiligten auf rechtliches Gehör. Artikel 6 Absatz 4 des Beihilfenkodex führt dagegen einen solchen Anspruch wie folgt ein: "Stellt die Kommission, nachdem sie die Beteiligten zur Stellungnahme aufgefordert hat, fest, daß eine Beihilfe nicht mit den Bestimmungen der vorliegenden Entscheidung vereinbar ist, so unterrichtet sie den betreffenden Mitgliedstaat von ihrer Entscheidung." Diese Vorschrift war in allen dem Fünften Kodex vorausgegangenen Beihilfenkodizes (vgl. Entscheidung Nr. 257/80/EGKS der Kommission vom 1. Februar 1980 zur Einführung von gemeinschaftlichen Regeln über spezifische Beihilfen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie, ABl. L 29, S. 5) enthalten.

159 Die Klägerin hatte im Rahmen des Verfahrens zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung jedenfalls Gelegenheit, ihren Standpunkt im Ausschuß geltend zu machen. Gemäß Artikel 18 des Vertrages besteht der Ausschuß nämlich aus Vertretern der Erzeuger, der Arbeitnehmer, der Verbraucher und der Händler. Unstreitig war die Klägerin als Vertreterin der deutschen Eisen- und Stahlindustrie dort vertreten. So wurde in der 324. Sitzung dieses Ausschusses am 24. November 1995 die Genehmigung der Beihilfen für Irish Steel erörtert, und der Vertreter der Klägerin hatte Gelegenheit, zu den von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen Stellung zu nehmen (vgl. Urteil British Steel, Randnr. 176).

160 Jedenfalls kann die Veröffentlichung der Mitteilung 95/C im Amtsblatt bei der Klägerin keinen Irrtum über den Vorschlag hervorgerufen haben, der dem Rat vorlag und zu dem der Ausschuß angehört worden ist. Die Klägerin konnte nämlich bereits vor der Veröffentlichung dieser Mitteilung am 28. Oktober 1995 durch ihre Teilnahme an der Sitzung des Ausschusses, die am 25. Oktober 1995 stattfand, wissen, daß die irische Regierung den ersten Umstrukturierungsplan zurückgezogen und einen zweiten, geänderten Plan vorgelegt hatte.

161 Demnach hatte die Klägerin Gelegenheit, gemäß dem Verfahren nach Artikel 95 des Vertrages ihren Standpunkt zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung zu Gehör zu bringen. Unter diesen Umständen ist die Rüge zurückzuweisen, daß die angefochtene Entscheidung den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt habe.

Zum Verstoß gegen die Begründungspflicht

- Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

162 Die Klägerin vertritt die Ansicht, daß die angefochtene Entscheidung gegen die in Artikel 15 des Vertrages niedergelegte Begründungspflicht verstoße.

163 Nach ständiger Rechtsprechung müsse die Begründung den Gedankengang der Beklagten verständlich machen und die rechtlichen Erwägungen enthalten, die für Aufbau und Inhalt der Entscheidung von Bedeutung seien (vgl. Urteil vom 4. Juli 1963 in der Rechtssache 24/62, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143, 155, und Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnr. 31).

164 Im vorliegenden Fall sei diese Verpflichtung um so zwingender, als es um eine auf Artikel 95 des Vertrages gestützte Ausnahmeregelung gehe, wonach ganz besondere Voraussetzungen erfuellt sein müßten. Aus der angefochtenen Entscheidung gehe jedoch nicht hervor, weshalb die Situation von Irish Steel im Hinblick auf die Artikel 4 Buchstabe c und 56 § 2 des Vertrages eine "im Vertrag nicht vorgesehene" Situation darstellen solle, welche der in den Artikeln 2 und 3 des Vertrages festgeschriebenen Ziele verfolgt würden und warum die Kommission nicht die Schließung von Irish Steel in Aussicht genommen habe.

165 Die Kommission führt aus, die angefochtene Entscheidung genüge der Begründungspflicht, weil sie klar und deutlich die Erwägungen darlege, die für das Verständnis der Rechtshandlung erforderlich seien, indem sie die wichtigsten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erläutere (Urteil vom 4. Juli 1963, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143).

- Würdigung durch das Gericht

166 Gemäß Artikel 5 Absatz 2 vierter Gedankenstrich des Vertrages "gibt [die Gemeinschaft] die Gründe für ihr Handeln bekannt". In Artikel 15 Absatz 1 heißt es: "Die Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen der Kommission sind mit Gründen zu versehen und haben auf die pflichtgemäß eingeholten Stellungnahmen Bezug zu nehmen." Aus diesen Vorschriften sowie aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages ergibt sich, daß für die Kommission eine Begründungspflicht besteht, wenn sie allgemeine oder individuelle Entscheidungen erläßt, unabhängig von der Rechtsgrundlage, die sie dafür wählt.

167 Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepaßt sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gemeinschaftsrichter seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen jedoch nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden. Sie ist nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften, die auf dem betreffenden Gebiet gelten (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnr. 86, und Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-266/94, Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnr. 230). Außerdem ist die Begründung eines Rechtsakts u. a. anhand "des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von der Maßnahme betroffene Personen im Sinne von Artikel 33 Absatz 2 EGKS-Vertrag an der Begründung haben können" (Urteil des Gerichtshofes vom 19. September 1985 in den Rechtssachen 172/83 und 226/83, Hoogovens Groep/Kommission, Slg. 1985, 2831, Randnr. 24, und Urteil British Steel, Randnr. 160).

168 Erstens ergibt sich zur Einschätzung der spezifischen Situation von Irish Steel durch die Kommission als "im Vertrag nicht vorgesehene" Situation aus den Abschnitten IV, erster und dritter Absatz, und VIII der angefochtenen Entscheidung, daß die geplanten staatlichen Beihilfen gemäß Artikel 4 Buchstabe c des Vertrages nur ausnahmsweise, auf der Grundlage von Artikel 95 des Vertrages genehmigt werden konnten. Ferner geht aus Abschnitt I hervor, daß in der angefochtenen Entscheidung der Ausnahmecharakter begründet wird, indem die besonders schwierige Situation beschrieben wird, die die Stahlindustrie seit einigen Jahren durchgemacht habe, und aus Abschnitt IV, daß diese Krise "den Sektor in mehreren Mitgliedstaaten, darunter auch in Irland, gefährdet [hat]".

169 Zweitens ergibt sich aus Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung, daß die Kommission im vorliegenden Fall einen Kapazitätsabbau deshalb nicht in Aussicht genommen hat, weil er "nicht möglich [war], ohne die Anlage zu schließen, da Irish Steel nur über ein Warmwalzwerk verfügt"; eine solche Lösung hätte darüber hinaus mit "[d]em Bestreben, die irische Stahlindustrie mit einer soliden und wirtschaftlich lebensfähigen Struktur auszustatten" (Abschnitt IV), nicht im Einklang gestanden.

170 Was drittens die von der Kommission mit der angefochtenen Entscheidung verfolgten, in den Artikeln 2 und 3 des Vertrages vorgesehenen Ziele angeht, so wird in Abschnitt IV dieser Entscheidung außerdem dargelegt, inwiefern die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der von Irland vorgeschlagenen Finanzhilfe im Rahmen eines Programms zur Umstrukturierung des Unternehmens, das von unabhängigen Fachleuten für durchführbar gehalten wurde, die in diesen Artikeln genannten Ziele erfuellten (vgl. oben, Randnr. 67).

171 Jedenfalls kann die Tatsache, daß eine genauere Bestimmung der in den Artikeln 2 und 3 bezeichneten Ziele fehlte, nicht als Begründungsmangel angesehen werden (Urteil Wirtschaftsvereinigung Stahl, Randnr. 145).

172 Schließlich ist diese Rüge nach gefestigter Rechtsprechung um so weniger begründet, als die Klägerin im Verfahren der Ausarbeitung der angefochtenen Entscheidung unstreitig durch ihren Vertreter im Ausschuß eine aktive Rolle gespielt und die tatsächlichen und rechtlichen Gründe gekannt hat, die die Kommission veranlaßt haben, die Beihilfen für mit dem gemeinsamen Markt vereinbar zu halten und keinen Kapazitätsabbau als Gegenleistung zu verlangen (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 11. Januar 1973 in der Rechtssache 13/72, Niederlande/Kommission, Slg. 1973, 27, Randnr. 12, und Urteil British Steel, Randnr. 168).

173 Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß die angefochtene Entscheidung nicht wegen Verstoßes gegen die Begründungspflicht rechtswidrig ist.

174 Folglich ist der zweite Klagegrund, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, zurückzuweisen.

175 Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

176 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

177 Gemäß Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Gemeinschaftsorgane, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich hat der Rat als Streithelfer seine eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt ihren eigenen Kosten und die Kosten der Beklagten.

3. Der Rat trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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