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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 02.08.2001
Aktenzeichen: T-111/01 R
Rechtsgebiete: EGV, Beschluss 88/591/EGKS, EWG, Euratom, Entscheidung K(2001) 1028 endgültig der Kommission


Vorschriften:

EGV Art. 242
EGV Art. 243
Beschluss 88/591/EGKS, EWG, Euratom Art. 4
Entscheidung K(2001) 1028 endgültig der Kommission
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, so dass ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs zurückzuweisen ist, sofern eine Voraussetzung fehlt. Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor.

Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der Richter der einstweiligen Anordnung über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt.

( vgl. Randnrn. 11-12 )

2. Im Rahmen eines Verfahrens der einstweiligen Anordnung ist die Zulässigkeit der Klage grundsätzlich nicht zu untersuchen, damit der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgegriffen wird. Wird geltend gemacht, dass die dem Antrag auf einstweilige Anordnung zugrunde liegende Klage offensichtlich unzulässig sei, kann es sich jedoch als erforderlich erweisen, das Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte festzustellen, aus denen auf den ersten Blick auf die Zulässigkeit der Klage geschlossen werden kann.

( vgl. Randnr. 16 )

3. Die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung bemisst sich danach, ob eine vorläufige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, dass der Antragsteller einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden erleidet. Der Antragsteller trägt die Beweislast dafür, dass er den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen derartigen Schaden zu erleiden. Zwar ist für den Nachweis eines solchen Schadens nicht erforderlich, dass der Eintritt des Schadens mit absoluter Sicherheit belegt wird, sondern es genügt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist; es obliegt jedoch dem Antragsteller, die Tatsachen zu beweisen, die die Erwartung eines solchen schweren und irreparablen Schadens begründen sollen.

( vgl. Randnrn. 21-22 )

4. Bei der Beurteilung eines Antrags auf Aussetzung des Vollzugs durch den Richter der einstweiligen Anordnung kann ein Schaden finanzieller Art grundsätzlich nicht als ein nicht oder auch nur schwer wieder gutzumachender Schaden angesehen werden, da er Gegenstand eines späteren finanziellen Ausgleichs sein kann. Nach diesen Grundsätzen wäre eine Aussetzung des Vollzugs nur gerechtfertigt, wenn das Fehlen einer solchen Maßnahme den Antragsteller in eine Lage brächte, in der möglicherweise seine Existenz gefährdet wäre. Insoweit können bei der Beurteilung seiner materiellen Lage insbesondere die Merkmale des Konzerns berücksichtigt werden, zu dem er über seine Gesellschafter gehört.

( vgl. Randnrn. 23-24, 27 )


Beschluss des Präsidenten des Gerichts Erster Instanz vom 2. August 2001. - Saxonia Edelmetalle GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Aussetzung des Vollzugs - Staatliche Beihilfen - Rechtsschutzinteresse - Dringlichkeit. - Rechtssache T-111/01 R.

Parteien:

In der Rechtssache T-111/01 R

Saxonia Edelmetalle GmbH mit Sitz in Halsbrücke (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. von Woedtke,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und V. Di Bucci als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung K(2001) 1028 endgültig der Kommission vom 28. März 2001 über die staatlichen Beihilfen, die Deutschland zugunsten von EFBE Verwaltungs GmbH & Co. Management KG (jetzt Lintra Beteiligungsholding GmbH, gemeinsam mit Zeitzer Maschinen, Anlagen Geräte GmbH, LandTechnik Schlüter GmbH, ILKA MAFA Kältetechnik GmbH, SKL Motoren- und Systembautechnik GmbH, SKL Spezialapparatebau GmbH, Magdeburger Eisengießerei GmbH, Saxonia Edelmetalle GmbH und Gothaer Fahrzeugwerk GmbH) gewährt hat,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Nach Durchführung des in Artikel 88 EG vorgesehenen Verfahrens erließ die Kommission am 28. März 2001 die Entscheidung K(2001) 1028 endgültig über die staatlichen Beihilfen, die Deutschland zugunsten von EFBE Verwaltungs GmbH & Co. Management KG (jetzt Lintra Beteiligungsholding GmbH, gemeinsam mit Zeitzer Maschinen, Anlagen Geräte GmbH, LandTechnik Schlüter GmbH, ILKA MAFA Kältetechnik GmbH, SKL Motoren- und Systembautechnik GmbH, SKL Spezialapparatebau GmbH, Magdeburger Eisengießerei GmbH, Saxonia Edelmetalle GmbH und Gothaer Fahrzeugwerk GmbH) gewährt hat (im Folgenden: Entscheidung), mit der ein Teil der genannten Beihilfen für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wurde.

2 Nach Artikel 2 der Entscheidung beläuft sich dieser Teil der Beihilfen auf 34,978 Millionen DM.

3 In Artikel 3 der Entscheidung verpflichtet die Kommission die Bundesrepublik Deutschland, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Betrag von 34,978 Millionen DM von der Lintra Beteiligungsholding GmbH und ihren Tochtergesellschaften, zu denen auch die Antragstellerin gehört, zurückzufordern. Speziell die Antragstellerin wird als Gesamtschuldnerin mit der Lintra Beteiligungsholding GmbH zur Erstattung von 3 195 559 DM zuzüglich Zinsen verpflichtet.

4 Die Bundesrepublik Deutschland leitete das Verfahren zur Rückforderung der fraglichen Beträge ein. So verlangte sie von der Antragstellerin mit Schreiben vom 17. April 2001 und vom 9. Mai 2001 die Rückzahlung von 3 195 559 DM zuzüglich 907 406,47 DM Zinsen.

5 Am 23. Mai 2001 hat die Antragstellerin beim Gericht gemäß Artikel 230 EG Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben.

6 Mit besonderem Schriftsatz, der am 14. Juni 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat sie ferner den vorliegenden Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung gestellt. Der Antrag wird auf Artikel 243 EU-Vertrag" gestützt.

7 Am 2. Juli 2001 hat die Kommission zu diesem Antrag Stellung genommen.

8 Obwohl sie nicht dazu aufgefordert worden war, hat die Antragstellerin am 10. Juli 2001 mit ergänzenden schriftlichen Erklärungen auf die Stellungnahme der Kommission geantwortet. Der Richter der einstweiligen Anordnung hat beschlossen, diese neuen Erklärungen der Klägerin, auf die die Kommission am 12. Juli 2001 mit der Einreichung eines ergänzenden Schriftsatzes reagiert hat, zu den Akten zu nehmen.

9 Die Akten enthalten nach Ansicht des Richters der einstweiligen Anordnung alle für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Gesichtspunkte, so dass es keiner mündlichen Anhörung der Parteien bedarf.

Rechtliche Würdigung

10 Nach den Artikeln 242 EG und 243 EG in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der durch den Beschluss 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) geänderten Fassung kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

11 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, so dass ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs zurückzuweisen ist, sofern eine Voraussetzung fehlt (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 10. Februar 1999 in der Rechtssache T-211/98 R, Willeme/Kommission, Slg. ÖD 1999, I-A-15 und II-57, Randnr. 18). Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-107/99 R, Italien/Kommission, Slg. 1999, I-4011, Randnr. 59).

12 Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der Richter der einstweiligen Anordnung über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-363/98 P[R], Emesa Sugar/Rat, Slg. 1998, I-8787, Randnr. 50).

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

13 Die Kommission weist - in Form einer Vorbemerkung und ohne eine förmliche Einrede der Unzulässigkeit zu erheben - darauf hin, dass die Antragstellerin ihren Antrag auf Artikel 243 EU statt auf Artikel 242 EG gestützt habe. Die Bezugnahme auf den EU-Vertrag sei offensichtlich fehlerhaft, da dieser Vertrag keinen Artikel 243 habe, so dass wohl nur Artikel 243 EG gemeint sein könne. Auch Artikel 243 EG regele allerdings nicht die Aussetzung einer mit gesonderter Klage angefochtenen Handlung, sondern ermächtige den Gerichtshof, einstweilige Anordnungen zu treffen. Der fragliche Antrag lasse eher darauf schließen, dass die Antragstellerin in Wirklichkeit gemäß Artikel 242 EG die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung erreichen wolle.

14 Sodann trägt die Kommission vor, die Antragstellerin habe im Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache kein Interesse an der Nichtigerklärung der Entscheidung. Wenn das Gericht ihrer Klage stattgeben würde, müsste die Kommission nämlich eine neue Entscheidung erlassen, in der sie nur die gesamtschuldnerische Haftung aller Tochtergesellschaften der Lintra Beteiligungsholding GmbH für die gesamte Forderung feststellen könnte, so dass sich die Antragstellerin mit einem wesentlich höheren Betrag an der Rückerstattung der Beihilfen beteiligen müsste. Folglich müsse der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen werden, da die Klage, auf der er beruhe, unzulässig sei.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

15 Wie die Kommission ausgeführt hat, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung offensichtlich dahin zu verstehen, dass er sich statt auf Artikel 243 EU, den es nicht gibt, auf Artikel 243 EG stützt. Im Übrigen ist es ungeachtet dessen, dass Artikel 242 EG dem Gerichtshof ausdrücklich die Zuständigkeit für die hier beantragte Aussetzung der Durchführung der angefochtenen Handlung überträgt, nicht ausgeschlossen, dass auch Artikel 243 EG als rechtliche Grundlage für einen solchen Antrag dienen könnte.

16 Nach ständiger Rechtsprechung ist im Rahmen eines Verfahrens der einstweiligen Anordnung die Zulässigkeit der Klage grundsätzlich nicht zu untersuchen, damit der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgegriffen wird. Wird wie im vorliegenden Fall geltend gemacht, dass die dem Antrag auf einstweilige Anordnung zugrunde liegende Klage offensichtlich unzulässig sei, kann es sich jedoch als erforderlich erweisen, das Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte festzustellen, aus denen auf den ersten Blick auf die Zulässigkeit der Klage geschlossen werden kann (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 16. Oktober 1986 in der Rechtssache 221/86 R, Fraktion der Europäischen Rechten und Front national/Parlament, Slg. 1986, 2969, Randnr. 19, und vom 27. Januar 1988 in der Rechtssache 376/87 R, Distrivet/Rat, Slg. 1988, 209, Randnr. 21; Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 25. November 1999 in der Rechtssache T-222/99 R, Martinez und de Gaulle/Parlament, Slg. 1999, II-3397, Randnr. 60).

17 Zur Frage, ob die Antragstellerin ein Rechtsschutzinteresse hat, genügt die Feststellung, dass sie in der Entscheidung gesamtschuldnerisch zur Rückerstattung von 3 195 559 DM zuzüglich Zinsen verpflichtet wird. Folglich hat sie ein Interesse an der Nichtigerklärung dieses Rechtsakts. Dem Argument der Kommission, dass die im Fall eines Erfolges der Klage zu treffende neue Entscheidung für die Antragstellerin zwangsläufig ungünstiger wäre, kann nicht gefolgt werden. Die Kommission kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ermessen, welchen Inhalt der Rechtsakt hätte, den sie zu erlassen haben könnte, falls der Klage stattgegeben würde.

18 Da die Zulässigkeit der Klage nicht ausgeschlossen ist, ist zu prüfen, ob die Voraussetzung der Dringlichkeit vorliegt.

Zur Dringlichkeit

Vorbringen der Parteien

19 Die Antragstellerin hat sich zur Stützung ihres Antrags auf Aussetzung des Vollzugs auf folgende Ausführungen beschränkt:

Die BVS [Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben] hat gestützt auf die angefochtene Entscheidung der Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 17. April 2001 (Anlage K 2) und mit Schreiben vom 9. Mai 2001 (Anlage K 1) aufgefordert, den Betrag von DM 3 159 559,00 zzgl. DM 907 406,47 an Zinsen unter Fristsetzung zurückzuzahlen.

Aufgrund der Anforderungsschreiben der BVS ist die für den Erlass des Aussetzungsbeschlusses erforderliche Dringlichkeit gegeben. Es besteht die dringende Gefahr, dass die BVS die von ihr geltend gemachte Forderung durchzusetzen versucht, sei es nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder im Rahmen eines gesonderten Klageverfahrens gegen die Antragstellerin. In beiden Fällen würde sich die Antragstellerin gegen das Rückforderungsverlangen zur Wehr setzen. Die Antragstellerin hat die Ansprüche bereits unmittelbar gegenüber der BVS durch Schreiben vom 16. Mai 2001 abgelehnt. Nicht zuletzt aus Gründen [der] Prozessökonomie ist ein weiteres Verfahren zu vermeiden.

2. Die Dringlichkeit wird durch die vorgelegten Schreiben der BVS indiziert.

Der Antragstellerin würde bei Vollzug der Maßnahmen der BVS auch ein schwerwiegender Schaden entstehen. Der Betrag von ca. DM 4 Millionen stellt die Antragstellerin vor ernsthafte Schwierigkeiten. Nach unseren Informationen kann die Antragstellerin den Betrag nicht aufbringen, ohne ihre wirtschaftliche Existenz zu gefährden. Damit liegt auch ein nicht wieder gutzumachender Schaden vor.

Die Zahlung des angeforderten Betrages führt zu einer konkreten Bedrohung der Existenz der Antragstellerin."

20 Die Kommission trägt vor, die Antragstellerin habe nicht dargetan, dass ihr ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden drohe, falls der Vollzug nicht wie beantragt ausgesetzt werde. In ihrer Antwort vom 12. Juli 2001 auf die Erklärungen der Antragstellerin vom 10. Juli 2001 weist sie u. a. darauf hin, dass die Antragstellerin die von ihr in ihrer Stellungnahme vom 2. Juli 2001 vorgenommene Analyse der Dringlichkeit nicht bestritten habe.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

21 Nach ständiger Rechtsprechung bemisst sich die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung danach, ob eine vorläufige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, dass der Antragsteller einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden erleidet. Der Antragsteller trägt die Beweislast dafür, dass er den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen derartigen Schaden zu erleiden (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. Juli 1998 in der Rechtssache T-73/98 R, Prayon-Rupel/Kommission, Slg. 1998, II-2769, Randnr. 36, und vom 20. Juli 2000 in der Rechtssache T-169/00 R, Esedra/Kommission, Slg. 2000, II-2951, Randnr. 43; Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 12. Oktober 2000 in der Rechtssache C-278/00 R, Griechenland/Kommission, Slg. 2000, I-8787, Randnr. 14).

22 Zwar ist für den Nachweis eines solchen Schadens nicht erforderlich, dass der Eintritt des Schadens mit absoluter Sicherheit belegt wird, sondern es genügt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist; es obliegt jedoch der Antragstellerin, die Tatsachen zu beweisen, die die Erwartung eines solchen schweren und irreparablen Schadens begründen sollen (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1999 in der Rechtssache C-335/99 P[R], HFB u. a./Kommission, Slg. 1999, I-8705, Randnr. 67, vom 25. Juli 2000 in der Rechtssache C-377/98 R, Niederlande/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-6229, Randnr. 51, und in der Rechtssache Griechenland/Kommission, Randnr. 15).

23 Im vorliegenden Fall ist der von der Antragstellerin geltend gemachte Schaden finanzieller Art. Wie die Kommission ausgeführt hat, kann ein solcher Schaden nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich nicht als ein nicht oder auch nur schwer wieder gutzumachender Schaden angesehen werden, da er Gegenstand eines späteren finanziellen Ausgleichs sein kann (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1991 in der Rechtssache C-213/91 R, Abertal u. a./Kommission, Slg. 1991, I-5109, Randnr. 24, und des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Slg. 1999, II-2027, Randnr. 128).

24 Nach diesen Grundsätzen wäre die beantragte Aussetzung des Vollzugs im vorliegenden Fall nur gerechtfertigt, wenn das Fehlen einer solchen Maßnahme die Antragstellerin in eine Lage brächte, in der möglicherweise ihre Existenz gefährdet wäre.

25 Die Antragstellerin hat keinerlei Nachweise betreffend ihre finanzielle Lage erbracht. Sie hat sich darauf beschränkt, ohne jede Begründung zu behaupten, wenn der Vollzug der Entscheidung nicht ausgesetzt werde, würde die Rückerstattung des fraglichen Teils der Beihilfen ihre Existenz gefährden. Die Unterlagen, die die Kommission ihrer Stellungnahme beigefügt hat, zeigen jedoch - wie die Antragstellerin in ihren Erklärungen vom 10. Juli 2001 nicht bestritten hat -, dass die Gruppe Vereinigte Deutsche Nickel-Werke AG, zu der die Antragstellerin seit 13. Juni 1997 gehört, erhebliche Finanzkraft besitzt, so dass der erste Anschein dafür spricht, dass sie den fraglichen Teil der Beihilfen zurückzahlen kann.

26 Wie aus den genannten Unterlagen hervorgeht, scheint sich weder die Antragstellerin noch diese Gruppe in einer schwierigen finanziellen Situation zu befinden. Dem Geschäftsbericht für das Jahr 2000 und einer Pressemitteilung der fraglichen Gruppe ist zu entnehmen, dass ihr Jahresüberschuss von 48,9 Millionen DM im Jahr 1999 auf 64,3 Millionen DM im Jahr 2000, also um 31,5 %, stieg. Ferner ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin im Jahr 2000 einen Umsatz von 312 Millionen DM erzielte, der um 86,8 % über dem Umsatz des Vorjahres von 167 Millionen DM lag.

27 Im Rahmen der Prüfung der finanziellen Lebensfähigkeit der Antragstellerin können bei der Beurteilung ihrer materiellen Lage insbesondere die Merkmale des Konzerns berücksichtigt werden, zu dem sie über ihre Gesellschafter gehört (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 15. April 1998 in der Rechtssache C-43/98 P[R], Camar/Kommission und Rat, Slg. 1998, I-1815, Randnr. 36; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 10. Dezember 1997 in der Rechtssache T-260/97 R, Camar/Kommission und Rat, Slg. 1997, II-2357, Randnr. 50, und vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-13/99 R, Pfizer Animal Health/Rat, Slg. 1999, II-1961, Randnr. 155, bestätigt durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-329/99 P[R], Pfizer Animal Health/Rat, Slg. 1999, I-8343, Randnr. 67).

28 Da das Vorbringen der Antragstellerin zum nicht wieder gutzumachenden Schaden, der sich aus dem Vollzug der Entscheidung ergeben soll, durch nichts gestützt wird, ist die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfuellt. Es ist nicht Sache des Richters der einstweiligen Anordnung, insoweit von Amts wegen Beweise zu erheben.

29 Folglich ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die Voraussetzung des Fumus boni iuris vorliegt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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