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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 17.07.1998
Aktenzeichen: T-111/96
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 86
EG Art. 190
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Die Befugnis, seine Rechte gerichtlich geltend zu machen, und die darauf beruhende gerichtliche Kontrolle sind Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt und auch in den Artikeln 6 und 13 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist. Da der Zugang zu den Gerichten ein Grundrecht ist und ein allgemeines Prinzip darstellt, das die Wahrung des Rechts sicherstellt, kann die Erhebung einer Klage nur unter ganz aussergewöhnlichen Umständen als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 des Vertrages zu beurteilen sein.

Zwar hat die Kommission in diesem Zusammenhang zwei Kriterien für die Ermittlung der Fälle, in denen eine Klage im Sinne von Artikel 86 des Vertrages mißbräuchlich ist, aufgestellt, die kumulativ vorliegen müssen, nämlich, daß die Klage vernünftigerweise nicht als Geltendmachung der Rechte des betreffenden Unternehmens verstanden werden und daher nur dazu dienen kann, den Gegner zu belästigen, und zweitens Teil eines Planes sein muß, mit dem der Wettbewerb beseitigt werden soll, doch müssen diese beiden Kriterien eng ausgelegt und angewandt werden, um die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des freien Zugangs zu den Gerichten nicht zu beeinträchtigen. Bei der Anwendung des ersten Kriteriums ist die Situation zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu berücksichtigen. Ausserdem geht es nicht um die Feststellung, ob die Rechte, die das Unternehmen zum Zeitpunkt der Klageerhebung ins Feld geführt hat, tatsächlich bestanden oder ob die Klage begründet war, sondern allein um die Feststellung, ob mit dieser Klage etwas geltend gemacht wurde, was das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt vernünftigerweise als seine Rechte betrachten konnte.

2 Hat die Kommission bei einer Beschwerde nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 eine Einstellungsverfügung getroffen, ohne eine Untersuchung zu eröffnen, so umfasst die Rechtmässigkeitskontrolle durch das Gericht die Prüfung der Frage, ob die streitige Entscheidung auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder einen Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweist.

3 Die Begründung einer Einzelfallentscheidung soll es ihrem Adressaten ermöglichen, die Gründe für die erlassene Maßnahme zu erfahren, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und die Berechtigung der Entscheidung prüfen kann, und den Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des betreffenden Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde. Da eine Entscheidung ein Ganzes darstellt, ist jeder ihrer Bestandteile im Licht der anderen Bestandteile zu sehen.

Dabei braucht die Kommission in der Begründung von Entscheidungen, die sie erlässt, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente einzugehen, die die Betroffenen für ihren Antrag vorbringen, sondern es reicht aus, daß sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach Sinn und Zweck der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt.

4 Im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf die Verhaltensweisen von Unternehmen, die sich diesen Vorschriften entsprechend verhalten, kann die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit den Wettbewerbsregeln des Vertrages nicht als ausschlaggebend angesehen werden. Im Rahmen einer solchen von der Kommission vorgenommenen Prüfung bezieht sich die vorherige Bewertung nationaler Rechtsvorschriften, die Auswirkungen auf diese Verhaltensweisen haben, nur auf die Frage, ob diese Vorschriften die Möglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbständige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschränkt oder verfälscht werden kann. Ist dies nicht der Fall, so sind die Artikel 85 und 86 des Vertrages nicht anwendbar

5 Die Ausübung des nach Artikel 90 Absatz 3 eingeräumten Ermessens bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahmen mit den Vorschriften des Vertrages ist nicht mit einer Verpflichtung der Kommission zum Einschreiten verknüpft, so daß natürliche oder juristische Personen, die die Kommission zum Tätigwerden gemäß Artikel 90 Absatz 3 auffordern, nicht das Recht haben, gegen die Entscheidung der Kommission, von den ihr insoweit eingeräumten Befugnissen keinen Gebrauch zu machen, Klage zu erheben

6 Der Begriff der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages ist nach der Rechtsprechung ein objektiver Begriff, der solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung erfasst, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, daß die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert wird, die sich von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger unterscheiden.

Aus der Natur der in Artikel 86 des Vertrages verankerten Pflichten folgt, daß Unternehmen in beherrschender Stellung unter besonderen Umständen das Recht zu bestimmten Verhaltensweisen und Maßnahmen abzusprechen ist, die für sich genommen nicht mißbräuchlich sind und die sogar nicht zu beanstanden wären, wenn sie von nichtbeherrschenden Unternehmen an den Tag gelegt oder vorgenommen würden. So kann der Abschluß einer Vereinbarung oder der Erwerb eines Rechts eine mißbräuchliche Ausnutzung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages sein, wenn er durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung erfolgt.

Ein Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 des Vertrages kann auch die Forderung auf Durchführung einer Vertragsklausel sein, wenn sie über das hinausgeht, was die Parteien vernünftigerweise von diesem Vertrag erwarten durften, oder wenn sich die bei Abschluß des Vertrages bestehenden Umstände in der Zwischenzeit geändert haben.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte erweiterte Kammer) vom 17. Juli 1998. - ITT Promedia NV gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Nichtigkeitsklage - Zurückweisung einer Beschwerde - Artikel 86 EG-Vertrag - Mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung - Klagen vor den nationalen Gerichten - Rechtsschutzanspruch - Antrag auf Durchführung einer Vereinbarung - Offensichtlicher Beurteilungsfehler - Prüfungspflicht - Qualifizierungsfehler - Unzureichende Begründung. - Rechtssache T-111/96.

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher und tatsächlicher Rahmen des Rechtsstreits

1 Die Klägerin ITT Promedia NV, früher NV Promedia, ist eine Gesellschaft belgischen Rechts, deren Haupttätigkeit in der Herausgabe von Branchentelefonbüchern in Belgien besteht. Sie ist eine 99,95%ige Tochtergesellschaft der ITT World Directories Inc., einer Gesellschaft nach dem Recht der USA, deren Haupttätigkeit die Herausgabe von Branchentelefonbüchern in der gesamten Welt ist. Die ITT World Directories Inc. ist eine 80%ige Tochtergesellschaft der ITT World Directories Enterprises Inc., die wiederum eine 100%ige Tochtergesellschaft der ITT Corporation und wie diese eine Gesellschaft nach dem Recht der USA ist.

Nationales Recht

2 Das belgische Gesetz vom 13. Oktober 1930 zur Koordinierung der gesetzlichen Bestimmungen über das leitungsgebundene Fernschreib- und Fernsprechwesen übertrug einem öffentlichen Unternehmen, der Régie des télégraphes et téléphones (RTT) das ausschließliche Recht zur Verwaltung der Telekommunikation einschließlich der Herausgabe und des Vertriebs von Telefonbüchern für Belgien. Aufgrund dieses Gesetzes war die RTT auch befugt, Dritten die Herausgabe von Telefonbüchern zu gestatten.

3 Durch Gesetz vom 21. März 1991 zur Reform bestimmter öffentlicher Wirtschaftsunternehmen wurde die RTT zunächst in ein selbständiges öffentliches Unternehmen, Belgacom, umgewandelt. Sodann wurde Belgacom durch Gesetz vom 12. Dezember 1994 zur Änderung des Gesetzes vom 21. März 1991 in eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft, die Belgacom SA (nachstehend: Belgacom), umgewandelt. Deren Mehrheitsaktionär ist der belgische Staat. Bis zum 1. Januar 1998 hatte Belgacom ein gesetzliches Monopol für Fernsprecheinrichtungen in Belgien.

4 Das ausschließliche Recht von Belgacom zur Herausgabe von Telefonbüchern wurde mit Wirkung vom 10. Januar 1994 durch Artikel 45 des Gesetzes vom 24. Dezember 1993 zur Änderung des Artikels 113 Absatz 2 des Gesetzes vom 21. März 1991 aufgehoben. Der geänderten Bestimmung (Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991) ist zu entnehmen, daß nicht nur Belgacom, sondern auch andere Personen, die vom belgischen Institut für Post- und Telekommunikationsdienste (nachstehend: IBPT) zugelassen worden sind, das Recht zur Herausgabe von Telefonbüchern zu den Bedingungen und nach den Modalitäten haben, die vom König festzulegen sind.

5 Die Bedingungen und Modalitäten für diese Zulassung wurden durch die am 26. August 1994 in Kraft getretene Königliche Verordnung vom 15. Juli 1994 zur Reform bestimmter öffentlicher Wirtschaftsunternehmen für die Telefonbücher der Kunden der von Belgacom betriebenen und ihr vorbehaltenen Telekommunikationsdienste festgelegt. Den Artikeln 1 Absatz 2 und 3 Absatz 1 dieser Verordnung ist zu entnehmen, daß die Zulassung in Form einer vom IBPT ausgestellten Erklärung erfolgt, nach der die endgültige Fassung einer Vereinbarung über die Lieferung der für die Herstellung, den Verkauf oder den Vertrieb eines Telefonbuchs erforderlichen Daten, in der sämtliche technischen, finanziellen und kommerziellen Rechte und Pflichten von Belgacom und der zuzulassenden Person festgelegt sind, dieser Verordnung entspricht. Die Vereinbarung ist vor ihrer Unterzeichnung von Belgacom und der betreffenden Person gemeinsam zu übermitteln. Gemäß Artikel 2 dieser Verordnung hat "[j]ede zugelassene Person... Zugang zu allen für die Herstellung, den Verkauf oder den Vertrieb eines Telefonbuchs erforderlichen Daten zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden kommerziellen, finanziellen und technischen Bedingungen". Diese Bedingungen werden von Belgacom festgelegt und von ihr im Moniteur belge veröffentlicht. Gemäß Artikel 3 Absatz 2 ist Belgacom verpflichtet, dem IBPT auf dessen Wunsch alle Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um den fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Charakter dieser Bedingungen zu beurteilen. In Artikel 9 heisst es, daß Zulassungen für die Herausgabe von Telefonbüchern ab 1. Januar 1995 erfolgen.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

6 Aufgrund einer 1969 getroffenen ersten Übereinkunft übertrug die RTT der NV Promedia das ausschließliche Recht zur Herausgabe von Telefonbüchern anhand der von ihr gelieferten Daten. Diese Konzession wurde aufgrund einer zweiten Übereinkunft vom 9. Mai 1984 erneuert, mit der der NV Promedia für einen Zeitraum von zehn Jahren ab 1. Januar 1985 bis zur Veröffentlichung der zehnten vollständigen Ausgabe der amtlichen Telefonbücher das ausschließliche Recht zur Veröffentlichung und zum Vertrieb des amtlichen Telefonbuchs im Namen der RTT und der Branchentelefonbücher im eigenen Namen übertragen wurde. Aufgrund dieser beiden Übereinkünfte, deren letzte am 15. Februar 1995 ablief, veröffentlichte die Klägerin Branchentelefonbücher unter der Marke "Gouden Gids/Pages d'or" ("Goldene Seiten").

7 1993 nahmen Belgacom und die Klägerin Verhandlungen über eine neue Übereinkunft auf. Nach Unterbrechung der Verhandlungen im September 1993 und Veröffentlichung einer Ausschreibung für die Herausgabe von Telefonbüchern nach dem 1. Januar 1995 beschloß Belgacom am 22. Dezember 1993, die Verhandlungen mit der Klägerin wiederaufzunehmen. Da sich die beiden Parteien nicht einigen konnten, beschloß Belgacom am 12. Juli 1994, ihre Zusammenarbeit mit der Klägerin zu beenden und nach einem neuen Partner für die Veröffentlichung von Telefonbüchern ab 1. Januar 1995 zu suchen.

8 In der Zwischenzeit, am 29. Juni 1994, erhob die Klägerin bei der belgischen Cour d'arbitrage Klage auf Nichtigerklärung des Artikels 45 des Gesetzes vom 24. Dezember 1993. Dieser Klage schloß sich am 25. Oktober 1994 die Einreichung eines Antrags auf Aussetzung der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 beim belgischen Conseil d'Etat an. Klage und Antrag wurden abgewiesen.

9 Am 13. Juli 1994 gab die Klägerin in einer Pressemitteilung ihre Entscheidung bekannt, die Herausgabe ihrer "Gouden Gids/Pages d'or" fortzusetzen. Zugleich vergrösserte sie ihre Anstrengungen für die Kundenwerbung und den Verkauf von Werbeanzeigen zur Vorbereitung der Ausgabe 1995 ihrer Telefonbücher.

10 Am gleichen Tag gab Belgacom ihren Kunden in einer Pressemitteilung bekannt, daß jede Kundenwerbungs- oder Verkaufsbemühung der Klägerin für die Ausgabe 1995 ihrer Telefonbücher ohne Genehmigung von Belgacom und ausserhalb jeder Vertragsbeziehung erfolge. Belgacom teilte ihren Kunden ebenfalls ihren Entschluß mit, die weissen und gelben Seiten ihres amtlichen Telefonbuchs in Zusammenarbeit mit einem für diesen Bereich spezialisierten Partner selbst herauszugeben. Sie ließ sie wissen, daß ihre mit den notwendigen Genehmigungen versehenen Verkaufsberater ununterbrochen mit ihnen in Kontakt bleiben würden, um ihnen die Modalitäten für die Veröffentlichung von Anzeigen in der nächsten Ausgabe der weissen und gelben Seiten des amtlichen Telefonbuchs bekanntzugeben.

11 Am 22. Juli 1994 beantragte die Klägerin gegen Belgacom beim Präsidenten des Tribunal de commerce Brüssel in seiner Eigenschaft als Richter der einstweiligen Verfügung im Rahmen einer Unterlassungsklage, für Recht zu erkennen, daß Belgacom gegen die belgischen Gesetze über Handelspraktiken und Wettbewerb sowie gegen Artikel 86 des Vertrages verstossen habe, und ihr aufzugeben, die Verbreitung falscher, irreführender und abfälliger Informationen über sie einzustellen. Im Rahmen dieses Verfahrens erhob Belgacom Widerklage (nachstehend: erste Widerklage oder erste Klage von Belgacom) und beantragte beim Präsidenten des Tribunal de commerce, für Recht zu erkennen, daß wegen des Fehlens einer Zulassung durch das IBPT nach Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 Kundenwerbung oder Verkauf von Anzeigenfläche durch die Klägerin für die Ausgabe 1995 ihrer Telefonbücher gegen die belgischen Gesetze über Handelspraktiken und Wettbewerb sowie gegen Artikel 86 des Vertrages verstosse. Zugleich beantragte sie, der Klägerin jede Kundenwerbung und jeden Verkauf bis zur Erlangung dieser Zulassung zu untersagen.

12 Mit Urteil vom 5. Oktober 1994 gab der Präsident des Tribunal de commerce Brüssel dem Antrag der Klägerin auf der Grundlage der belgischen Gesetze über Handelspraktiken und Wettbewerb und des Artikels 86 des Vertrages statt und wies auf der gleichen Grundlage die Widerklage von Belgacom als unbegründet ab. Mit Urteil vom 19. Oktober 1995 bestätigte die Cour d'appel Brüssel dieses Urteil und stellte fest, daß das Verhalten von Belgacom gegen das belgische Gesetz über die Handelspraktiken verstosse. Zugleich bestätigte sie die Abweisung der ersten Widerklage von Belgacom mit der Begründung, daß die von Belgacom zur Begründung ihrer Widerklage herangezogenen nationalen Rechtsvorschriften - insbesondere die Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 und die Königliche Verordnung vom 15. Juli 1994 - gegen die Artikel 86 und 90 Absatz 1 des Vertrages verstießen und mithin im vorliegenden Fall nicht angewandt werden könnten.

13 Nachdem sie Belgacom mit Schreiben vom 10. Mai, 1. Juli und 27. Juli 1994 aufgefordert hatte, ihr ein faires, angemessenes und nichtdiskriminierendes Angebot über die Lieferung von Kundendaten vorzulegen, ging die Klägerin am 16. August 1994 beim Präsidenten des Tribunal de commerce Brüssel als Richter der einstweiligen Verfügung im Rahmen einer Unterlassungsklage erneut gegen Belgacom vor. Sie beantragte, festzustellen, daß die Weigerung von Belgacom, ihr zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen Kundendaten zu liefern, eine wettbewerbswidrige Praxis darstelle, die gegen die belgischen Gesetze über Handelspraktiken und Wettbewerb sowie gegen Artikel 86 des Vertrages verstosse, und Belgacom aufzugeben, diese Praxis einzustellen und ihr diese Daten zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen zu liefern. Belgacom erhob ihrerseits gegen diese neue Klage der Klägerin Widerklage (nachstehend: zweite Widerklage oder zweite Klage von Belgacom) mit dem Antrag, festzustellen, daß die Forderung der Klägerin auf Zugang zu den Kundendaten, wie sie in den Schreiben vom 10. Mai, 1. Juli und 27. Juli 1994 formuliert worden sei, eine Praxis darstelle, die gegen die belgischen Rechtsvorschriften über die Handelspraktiken und den Wettbewerb sowie gegen Artikel 86 des Vertrages verstosse.

14 Nach Beauftragung eines Sachverständigen mit der Ermittlung eines fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Preises gab der Präsident des Tribunal de commerce mit Urteil vom 11. Juni 1996 dem Antrag der Klägerin statt und stellte fest, daß der Preis nach Maßgabe des Gutachtens des Sachverständigen vorbehaltlich einer automatischen Anpassung an den niedrigeren Preis, den die Kommission in ihrer anstehenden Entscheidung über die Beschwerde der Klägerin (siehe unten, Randnrn. 22 und 23) möglicherweise festsetzen werde, festzulegen sei. Aus den gleichen Gründen wies er die zweite Widerklage von Belgacom als unbegründet ab. Zugleich wies der Präsident einen Schadensersatzantrag der Klägerin, die die zweite Widerklage als voreilig und böswillig erhoben behandelt wissen wollte, mit der Begründung ab, es sei nicht nachgewiesen, daß Belgacom ihr Recht auf Erhebung von Klagen mißbraucht habe.

15 Gemäß Artikel 2 der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 veröffentlichte Belgacom am 24. September 1994 im Moniteur belge

eine Mitteilung über die kommerziellen, finanziellen und technischen Bedingungen für den Zugang zu allen für die Herstellung, den Verkauf und den Vertrieb der Telefonbücher erforderlichen Daten der Kunden, die an die von Belgacom betriebenen und ihr vorbehaltenen Telekommunikationsdienste angeschlossen waren. Artikel 3 Absatz 1 der Mitteilung legte eine Jahresgebühr von 200 BFR je Kundendatei zuzueglich 34 % des Umsatzes an Werbeeinnahmen der zugelassenen Person fest. Am 20. April 1995 empfahl das IBTP, das diese Gebühr nicht für fair, angemessen und nichtdiskriminierend hielt, Belgacom, sie abzuändern und auf 67 BFR je Kundendatei zuzueglich 16 % des Umsatzes an Werbeeinnahmen der zugelassenen Person festzulegen. Artikel 3 Absatz 1 der erwähnten Mitteilung wurde durch die Mitteilung vom 20. Juni 1995 im Moniteur belge ersetzt, in der die Gebühr entsprechend der Empfehlung des IBPT festgelegt wurde.

16 Am 21. Oktober 1994 gründeten Belgacom und die GTE Information Services Inc. eine Gesellschaft nach dem Recht der USA, ein gemeinsames Unternehmen für die Herausgabe von Telefonbüchern in Belgien, die Belgacom Directory Services SA (nachstehend: BDS), wobei die beiden Partner 80 % und 20 % des Kapitals besitzen. BDS, eine Gesellschaft belgischen Rechts, nahm ihre Tätigkeit 1995 auf.

17 Am 16. März 1995 schlossen Belgacom und die Klägerin eine Übereinkunft über die Lieferung von Kundendaten. Mit Schreiben vom 24. März 1995 teilte das IBPT, das eine Kopie dieser Übereinkunft erhalten hatte, der Klägerin die Erteilung einer vorläufigen Zulassung mit. In dem Schreiben hieß es, die Zulassung werde endgültig, sobald die finanziellen Bedingungen der Übereinkunft so abgeändert worden seien, daß sie den vom IBPT festzulegenden fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen entsprächen.

18 Mit Mahnschreiben vom 29. März 1995 forderte Belgacom die Klägerin auf, die vertraglichen Verpflichtungen nach Artikel XVI Absatz 2 der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 zu erfuellen. Diesem Mahnschreiben war eine Liste mit Punkten beigefügt, die Belgacom von der Klägerin nach Maßgabe dieses Artikels forderte. Am 7. April 1995 übermittelte die Klägerin dieses Mahnschreiben der Kommission.

19 Artikel XVI Absatz 2 der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 bestimmte:

"Ten einde de Regie in staat te stellen de continuiteit van de uitgaven te verzekeren, dient de contractant:

a) ten laatste één maand na de uitreikingsperiode van elk bökdeel van de 10de uitgave alle abonneebestanden, tekeningen, specificaties en andere gegevens die nodig zijn voor de publikatie en de uitreiking van de OTG en de HBG zonder enige vergöding aan de Regie af te staan;

b) uiterlijk één maand na het uitreiken van het laatste bökdeel van de 10de uitgave zonder enige vergöding bovendien af te staan: de licenties, voortvlöiend uit octrooien of uit soortgelijke wettelijke vormen van bescherming, naar aanleiding van werken uitgevörd of in verband met onderhavige overeenkomst alsmede de know how nodig voor de uitgave en de uitreiking van de OTG en de HBG."

("Damit die Regie die Kontinuität der Veröffentlichung sicherstellen kann, hat der Vertragspartner

a) der Regie spätestens einen Monat nach Ablauf des Vertriebszeitraums für jeden Band der zehnten Ausgabe alle Kundendateien, Zeichnungen, Spezifikationen und andere für die Veröffentlichung und den Vertrieb des amtlichen Telefonbuchs und des Branchentelefonbuchs erforderlichen Informationen völlig unentgeltlich zu überlassen;

b) der Regie spätestens einen Monat nach Vertrieb des letzten Bandes der zehnten Ausgabe ausserdem völlig unentgeltlich zu überlassen: die Lizenzen aufgrund von Patenten oder sonstigen Formen des Rechtsschutzes für Arbeiten, die im Rahmen der vorliegenden Übereinkunft oder im Zusammenhang damit durchgeführt wurden, sowie das für die Herausgabe und den Vertrieb des amtlichen Telefonbuchs und des Branchentelefonbuchs erforderliche Know-how.")

20 Diese Forderung nach Erfuellung der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 führte zu einem dritten Rechtsstreit zwischen Belgacom und der Klägerin (nachstehend: dritte Klage von Belgacom). Am 14. April 1995 reichte Belgacom beim Präsidenten des Tribunal de commerce Brüssel einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Klägerin ein, um diese gemäß Artikel XVI Absatz 2 der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 zu zwingen, ihr eine bestimmte Anzahl von Daten, geschäftliches Know-how sowie gewerbliche Schutzrechte zu überlassen. Mit Urteil vom 19. Juni 1995 stellte der Präsident des Tribunal de commerce Brüssel fest, daß der Antrag nicht die für eine einstweilige Verfügung erforderlichen Voraussetzungen erfuelle, und wies ihn als unbegründet ab.

21 Im Anschluß an das Verfahren der einstweiligen Verfügung erhoben Belgacom und BDS beim Präsidenten des Tribunal de commerce Klage gegen die Klägerin und beantragten, sie wegen Nichtdurchführung von Artikel XVI Absatz 2 der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 zur Zahlung von Schadensersatz nach Absatz 3 dieses Artikels zu verurteilen. Mit Urteil vom 11. Dezember 1996 stellte der Präsident des Tribunal de commerce Brüssel fest, daß die Ausschließlichkeitsklausel in der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstosse und daß die Übereinkunft daher, weil diese Klausel ihr eigentlicher Kern sei, insgesamt gemäß Artikel 85 Absatz 2 des Vertrages nichtig sei. Er wies die Klage folglich als unbegründet ab. Die von der Klägerin erhobene Widerklage wurde ebenfalls als unbegründet abgewiesen, weil nicht nachgewiesen sei, daß die Erhebung der Klage voreilig und böswillig gewesen sei. Die unzutreffende Würdigung eines Vertrages stelle für sich genommen nicht ein so schweres Verschulden dar, daß sie als Beweis für eine Bösgläubigkeit betrachtet werden könne.

Verwaltungsverfahren vor der Kommission

22 Am 20. Oktober 1994 reichte die Klägerin bei der Kommission eine Beschwerde ein, die zum einen gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), wegen des Verstosses gegen Artikel 86 des Vertrages gegen das Verhalten von Belgacom und zum anderen gegen die belgischen Rechtsvorschriften wegen Unvereinbarkeit mit Artikel 86 und 90 Absatz 1 des Vertrages gerichtet war. Die Kommission teilte diese Beschwerde in zwei Teile: Die Beschwerde wegen des Verhaltens von Belgacom wurde unter der Nummer IV/35.268 und die wegen der belgischen Rechtsvorschriften wurde unter der Nummer 94/5103 SG(94) A/23203 registriert.

23 In der Beschwerde IV/35.268 behauptete die Klägerin, Belgacom habe unter Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages ihre beherrschende Stellung mißbraucht, indem sie

a) aktuellen oder potentiellen Kunden der Klägerin falsche, irreführende und abfällige Informationen über sie erteilt habe;

b) sich geweigert habe, der Klägerin zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen die für die Herstellung von Telefonbüchern erforderlichen Kundendaten zu liefern;

c) für den Verkauf dieser Kundendaten übertriebene und/oder diskriminierende Preise vorgeschrieben habe;

d) gegen die Klägerin bei den belgischen Gerichten böswillig Klagen erhoben habe;

e) die Klägerin aufgrund der zwischen ihnen getroffenen vertraglichen Vereinbarungen aufgefordert habe, ihr deren gewerbliches und kommerzielles Know-how zu überlassen.

24 Mit Schreiben vom 7. März 1995 teilte die Kommission der Klägerin ihre vorläufige Stellungnahme zu den fünf Aspekten ihrer Beschwerde IV/35.268 mit und bat sie, dazu Stellung zu nehmen. Die Klägerin entsprach dieser Aufforderung mit Schreiben vom 6., 18., 25. und 27. April und 16. Juni 1995.

25 Am 6. Dezember 1995 legte die Klägerin bei der Kommission eine weitere Beschwerde gegen die belgischen Rechtsvorschriften für Telefonbücher wegen deren Unvereinbarkeit mit den Artikeln 59 und 90 des Vertrages ein; sie wurde unter Nr. 96/4067 SG(95) A/19911/2 registriert.

26 Am 20. Dezember 1995 richtete die Kommission wegen des dritten Aspekts der Beschwerde IV/35.268 (Verkaufspreis der Kundendaten) eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an Belgacom (nachstehend: Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995). Am 10. April 1996 folgte auf diese Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Anhörung. Im April 1997 traf die Kommission eine Vereinbarung mit Belgacom über die Bedingungen des Zugangs zu Kundendaten, worauf die Klägerin diesen Aspekt ihrer Beschwerde zurücknahm (vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 11. April 1997).

27 Mit Schreiben vom 21. Dezember 1995 teilte die Kommission der Klägerin die endgültige Zurückweisung des ersten und zweiten Aspekts ihrer Beschwerde IV/35.268 (siehe oben, Randnr. 23) mit; die Zurückweisung dieser Aspekte ist nicht mit einer Klage beim Gericht angefochten worden. Zugleich unterrichtete sie sie von der Übersendung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte an Belgacom (siehe oben, Randnr. 26) sowie von ihrer vorläufigen Stellungnahme nach Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) zum vierten und fünften Aspekt der Beschwerde IV/35.268 (siehe oben, Randnr. 23) mit.

28 Mit Schreiben vom 9. Februar 1996 übermittelte die Klägerin ihre Bemerkungen zur vorläufigen Stellungnahme der Kommission zu den letzten beiden Aspekten ihrer Beschwerde IV/35.268.

Angefochtene Entscheidung

29 Mit Entscheidung vom 21. Mai 1996, die der Klägerin am gleichen Tag übermittelt wurde, wies die Kommission den vierten und fünften Aspekt der Beschwerde IV/35.268 (siehe oben, Randnr. 23) bezueglich der angeblich böswillig erhobenen Klagen von Belgacom und der Aufforderung zur Übertragung des gewerblichen Know-how der Klägerin an Belgacom gemäß Artikel XVI Absatz 2 der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 endgültig zurück (nachstehend: angefochtene Entscheidung).

Gerichtsverfahren

30 Die Kommission weist darauf hin, daß sie grundsätzlich auf dem Standpunkt stehe, daß "die Erhebung einer Klage als Ausdruck des Grundrechts auf Zugang zu den Gerichten nicht als Mißbrauch angesehen werden kann", es sei denn, daß "ein Unternehmen in beherrschender Stellung Klagen erhebt, die i) vernünftigerweise nicht als Geltendmachung ihrer Rechte verstanden werden und daher nur dazu dienen können, den Gegner zu belästigen, und ii) Teil eines Planes sind, mit dem der Wettbewerb beseitigt werden soll" (Nr. 11 der angefochtenen Entscheidung).

31 Bezueglich der ersten Widerklage von Belgacom habe sie in ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1995 darauf hingewiesen, daß diese Klage "eine Verteidigung gegenüber einem Angriff [der Klägerin] war und der Geltendmachung dessen diente, was Belgacom als ihr Recht [betrachtete], das sich aus der Rechtsposition [der Klägerin] vor Erhalt der gesetzlich vorgeschriebenen Zulassung ergab". Dem habe die Klägerin in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 zwei Argumente entgegengehalten (Nrn. 14 und 15 der angefochtenen Entscheidung).

32 Das erste Argument, wonach der Klägerin wegen der Tarifpraktiken von Belgacom, die Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission vom 20. Dezember 1995 gewesen sei, nicht möglich gewesen sei, eine Zulassung durch das IBPT zu erhalten, habe die Kommission zu der Feststellung veranlasst, daß "die Mitteilung der Beschwerdepunkte sich auf die immer noch aktuellen Praktiken übertriebener und diskriminierender Preise bezieht, obwohl inzwischen eine Zulassung [der Klägerin] vorliegt. Daraus folgt, daß die Unmöglichkeit [für die Klägerin], eine Zulassung zu erhalten, nicht auf die Praktiken zurückzuführen ist, die Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission an Belgacom waren" (Nrn. 15 und 16 der angefochtenen Entscheidung).

33 Das zweite Argument, wonach die Kommission den rechtlichen Rahmen der Klage von Belgacom nicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Vertrag, insbesondere mit dessen Artikeln 59, 86 und 90, untersucht habe, habe die Kommission zu dem Hinweis bewogen, daß dieses Vorbringen die Handlungen des belgischen Staates und nicht die Praktiken von Belgacom betreffe, so daß Belgacom sich, solange dieser rechtliche Rahmen nicht durch ein zuständiges Gericht für unwirksam erklärt worden sei, in ihren Klagen rechtmässig auf diesen Rahmen habe stützen können (Nrn. 15 und 17 der angefochtenen Entscheidung).

34 Ausserdem hätte Belgacom, wenn ihre Klage wirklich Teil einer bewussten Strategie zur Beseitigung des Wettbewerbs gewesen wäre, nicht eine Klage der Klägerin abgewartet, um dann ihre Forderung in Form einer Widerklage zum Ausdruck zu bringen. Sie hätte vielmehr unmittelbar Klage gegen die Klägerin erhoben (Nr. 18 der angefochtenen Entscheidung).

35 Bezueglich der zweiten Widerklage von Belgacom verweist die Kommission erneut darauf, daß sie in ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1995 festgestellt habe, daß diese Klage ein Verteidigungsmittel gegenüber einem Angriff der Klägerin gewesen sei und der Geltendmachung dessen gedient habe, was Belgacom diesmal angesichts der Rechtslage in Belgien vor der Veröffentlichung der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 als ihr Recht betrachtet habe. Gegen diese Erklärung habe die Klägerin in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 zwei Einwände erhoben (Nr. 19 der angefochtenen Entscheidung).

36 Zum ersten Einwand, Artikel 86 des Vertrages habe Belgacom gezwungen, die Kundendaten zu liefern, habe sie darauf hingewiesen, daß Artikel 86 für sich genommen ein Unternehmen in beherrschender Stellung lediglich verpflichten könne, einem anderen Unternehmen Daten zu liefern, wenn dieses tatsächlich in der Lage sei, die Daten im Rahmen einer Wirtschaftstätigkeit zu nutzen. Ohne eine Durchführungsverordnung, in der die Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit eines Herausgebers von Telefonbüchern festgelegt worden seien, hätte die Klägerin die gewünschten Daten, selbst wenn sie von Belgacom geliefert worden wären, nicht verwenden können, ohne gegen belgisches Recht zu verstossen. Auch wenn die Unmöglichkeit, als Herausgeber von Telefonbüchern tätig zu werden, auf ein Versäumnis des belgischen Staates zurückzuführen gewesen sei, der nicht rechtzeitig eine Verordnung über die Ausübung dieser Tätigkeit erlassen habe, habe Belgacom sich rechtmässig in ihren Klagen darauf stützen können, solange das Fehlen einer Durchführungsverordnung nicht durch ein zuständiges Gericht geahndet worden sei (Nrn. 20 und 21 der angefochtenen Entscheidung).

37 Der zweite Einwand, wonach die Weigerung, die Daten zu liefern, nicht auf die Bemühung von Belgacom zurückgeführt werden könne, ihre Rechte zu wahren, da die Lieferung dieser Daten ihr Recht auf Ausübung der Tätigkeit als Herausgeber von Telefonbüchern nach Artikel 113 des Gesetzes vom 21. März 1991 nicht beeinträchtigt hätte, habe sie zu dem Hinweis veranlasst, daß, selbst wenn die Lieferung von Daten an die Klägerin das Recht von Belgacom zur Ausübung dieser Tätigkeit nicht beeinträchtigt hätte, Belgacom doch "zu Recht besorgt sein durfte, daß [die Klägerin] diese Daten benutzen würde, um Kunden für die Werbung über die Telefonbücher zu gewinnen, was das gesetzliche Monopol von Belgacom auf diesem Markt beeinträchtigt hätte" (Nrn. 20 und 22 der angefochtenen Entscheidung).

38 In Nummer 23 der angefochtenen Entscheidung wiederholt die Kommission ferner die bereits in Nummer 18 getroffene Feststellung (siehe oben, Randnr. 34).

39 Bezueglich der dritten Klage von Belgacom, mit der ein Verstoß der Klägerin gegen Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 gerügt wurde, legt die Kommission dar, sie habe in ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1995 festgestellt, daß Belgacom mit dieser Klage das habe geltend machen wollen, was sie aufgrund der von der Klägerin übernommenen vertraglichen Verpflichtungen als ihr Recht betrachtet habe (Nr. 24 der angefochtenen Entscheidung).

40 In ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 habe die Klägerin vorgebracht, daß die Klage, mit der Forderungen hätten untermauert werden sollen, die den Rahmen der von den beiden Parteien übernommenen vertraglichen Verpflichtungen überschritten hätten, über das hinausgegangen sei, was als rechtmässige Wahrnehmung eines Belgacom aufgrund dieser Verpflichtungen zustehenden Rechts betrachtet werden könne. Die Kommission sei davon ausgegangen, daß die Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht schlüssig dargelegt habe, inwieweit die Anträge von Belgacom inhaltlich über die Übereinkunft vom 9. Mai 1984 hinausgegangen seien (Nrn. 25 und 26 der angefochtenen Entscheidung).

41 Als Ergebnis stellt die Kommission fest, daß die drei Klagen von Belgacom, weil sie vernünftigerweise als Maßnahmen zur Geltendmachung ihrer Rechte zu verstehen gewesen seien, keinen Mißbrauch im Sinne des Artikels 86 des Vertrages hätten darstellen können (Nr. 27 der angefochtenen Entscheidung).

42 Ausserdem verweist die Kommission darauf, daß die ersten beiden Klagen von Belgacom Widerklagen gewesen seien, mit der sie ihre Rechte habe verteidigen wollen, und keine selbständigen Klagen, die der Belästigung der Klägerin hätten dienen sollen, so daß sie nicht als Teil eines Planes zur Beseitigung des Wettbewerbs hätten gedacht sein können. Sie hätten daher kein Mißbrauch im Sinne des Artikels 86 des Vertrages sein können (Nr. 28 der angefochtenen Entscheidung).

Forderung auf Erfuellung eines Vertrages

43 Die Kommission weist darauf hin, daß die Forderung von Belgacom bezueglich des Artikels XVI Absatz 2 der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 die Erfuellung und nicht den Abschluß eines Vertrages betroffen habe. Sie habe in ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1995 darauf aufmerksam gemacht, daß die Forderung auf Erfuellung eines Vertrages für sich genommen keinen Mißbrauch im Sinne des Artikels 86 darstellen könne. Hiergegen habe die Klägerin in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 drei Argumente vorgebracht (Nrn. 30 bis 32 der angefochtenen Entscheidung).

44 Zum ersten Argument, wonach die Unterscheidung zwischen Vereinbarung und Erfuellung einer Vertragsklausel bei der Anwendung des Artikels 86 des Vertrages nicht gerechtfertigt sei, führt die Kommission aus, daß der Begriff des Mißbrauchs im Sinne dieses Artikels ein objektiver Begriff sei, der insbesondere Verhaltensweisen voraussetze, die der Wettbewerbsstruktur abträglich seien. Die Forderung auf Erfuellung eines Vertrages gehe indessen nicht über die Wirkungen hinaus, die sich bereits aus seinem Abschluß ergäben, da dieser gleichbedeutend mit dessen Erfuellung durch die Vertragspartner oder aber mit einem Erfuellungsbegehren der Partei sei, die ihre Rechte wahren wolle. Anderes gelte nur, wenn ein solches Begehren den Rahmen des Vertrages überschreite und eine besondere Auswirkung auf die Wettbewerbsstruktur haben könne. Die Klägerin habe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nichts vorgebracht, was schlüssig belege, daß die Forderung von Belgacom eine besondere Auswirkung auf die Wettbewerbsstruktur gehabt habe und damit über die Wirkungen hinausgegangen sei, die den Parteien aufgrund der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 ohnehin bekannt gewesen seien (Nrn. 32 bis 34 der angefochtenen Entscheidung).

45 Zum zweiten Argument, daß Belgacom mit ihrer Forderung bezweckt habe, die Klägerin vom Telefonbuchmarkt auszuschließen, weist die Kommission darauf hin, daß die Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht belegt habe, inwieweit die Forderung von Belgacom nicht die Verteidigung der Rechte bezwecke, die sie bei Abschluß der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 erworben habe. Daß diese Forderung, wenn ihr entsprochen würde, die von der Klägerin beschriebenen Auswirkungen auf den Wettbewerb auf dem Telefonbuchmarkt hätte, sei nur eine Folge der Umstände, die bei Abschluß der Übereinkunft und damit zu einer Zeit vorgelegen hätten, als die Herausgabe von Telefonbüchern eine der Belgacom durch ausschließliche Rechte vorbehaltenen Tätigkeiten gewesen sei (Nrn. 32 und 35 der angefochtenen Entscheidung).

46 Zum dritten Argument, wonach die Kommission Artikel 89 des Vertrages verletzt habe, weil sie keine Untersuchung der Vereinbarkeit der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 mit den Artikeln 85 und 86 des Vertrages durchgeführt habe, verweist die Kommission darauf, daß sie nirgendwo ihren Standpunkt zur Vereinbarkeit dieser Übereinkunft mit den Artikeln 85 und 86 des Vertrages kundgetan habe. Die angefochtene Entscheidung greife in keiner Weise einer etwaigen Einleitung eines Verfahrens in diesem Punkt und auch nicht der Möglichkeit vor, daß die Klägerin insoweit eine Beschwerde gegen die Übereinkunft nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einreiche (Nrn. 32 bis 36 der angefochtenen Entscheidung).

Verfahren

47 Mit Klageschrift, die am 22. Juli 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

48 Am 6. Dezember 1996 hat Belgacom beantragt, dem Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission beizutreten. Der Präsident der Vierten erweiterten Kammer hat diesem Antrag mit Beschluß vom 19. Februar 1997 stattgegeben.

Anträge der Beteiligten

49 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

50 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

51 Belgacom als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

52 Die Klägerin stützt ihre Klage auf sieben Gründe. Mit dem ersten Klagegrund macht sie eine offensichtliche Fehlbeurteilung der Tarifpraktiken von Belgacom geltend, die sich in der unzureichenden Begründung der angefochtenen Entscheidung zeige, mit dem zweiten eine offensichtliche Fehlbeurteilung der belgischen Rechtsvorschriften über die Herausgabe von Telefonbüchern, mit dem dritten eine fehlerhafte Qualifizierung der Rechte von Belgacom und mit dem vierten eine offensichtliche Fehlbeurteilung der Weigerung von Belgacom, Kundendaten zu überlassen. Mit dem fünften Klagegrund rügt sie eine offensichtliche Fehlbeurteilung der Strategie von Belgacom zur Eliminierung der Klägerin, mit dem sechsten einen Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages bezueglich des Teils der Beschwerde IV/35.268, der die dritte Klage von Belgacom betrifft, und mit dem siebten schließlich einen Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages bezueglich der Einstufung der Forderung auf Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984.

53 Die ersten fünf Klagegründe beziehen sich auf die beiden Widerklagen von Belgacom, der sechste Klagegrund auf die dritte Klage von Belgacom und der siebte auf die Klage auf Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984.

54 Die ersten sechs Klagegründe werfen somit die Frage auf, ob es einen Mißbrauch im Sinne des Artikels 86 des Vertrages sein kann, wenn ein Unternehmen in beherrschender Stellung auf einem bestimmten Markt gegen ein konkurrierendes Unternehmen Klage erhebt.

55 Hierzu erläutert zum einen die Kommission, daß sie für die Ermittlung der Fälle, in denen eine solche Klage mißbräuchlich sei, in der angefochtenen Entscheidung zwei Kriterien aufgestellt habe, die kumulativ vorliegen müssten: Erstens dürfe die Klage vernünftigerweise nicht als Geltendmachung der Rechte des betreffenden Unternehmens verstanden werden und daher nur dazu dienen können, den Gegner zu belästigen, und zweitens Teil eines Planes sein, mit dem der Wettbewerb beseitigt werden solle (nachstehend: die beiden kumulativen Kriterien).

56 Das erste der beiden kumulativen Kriterien bedeute, daß die Klage objektiv betrachtet offensichtlich völlig unbegründet sein müsse. Das zweite Kriterium müsse seinerseits erkennen lassen, daß Ziel der Klage die Beseitigung des Wettbewerbs sei. Die blosse Erhebung einer unbegründeten Klage könne für sich genommen keinen Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages darstellen, falls diese Klage nicht zugleich ein wettbewerbswidriges Ziel verfolge. Ebenso könne eine Klage, die vernünftigerweise als Versuch angesehen werden könne, Rechte gegenüber Konkurrenten geltend zu machen, nicht unabhängig von der Tatsache einen Mißbrauch darstellen, daß sie Teil eines Planes sein könne, den Wettbewerb zu beseitigen.

57 Zum anderen rügt die Klägerin, wie sich den Akten entnehmen lässt, die Anwendung der beiden kumulativen Kriterien auf den vorliegenden Sachverhalt, ohne die Vereinbarkeit dieser Kriterien als solcher mit Artikel 86 des Vertrages in Abrede zu stellen.

58 Das Gericht hat daher im vorliegenden Fall lediglich zu prüfen, ob die Kommission diese beiden kumulativen Kriterien ordnungsgemäß angewandt hat, ohne daß es sich dazu zu äussern hätte, ob die Kommission in der angefochtenen Entscheidung diese Kriterien zu Recht zugrunde gelegt hat.

59 Hierzu ist festzustellen, daß die Klägerin mit ihren ersten vier Klagegründen den Nachweis unternimmt, daß das erste der beiden kumulativen Kriterien, und mit ihrem fünften Klagegrund, daß auch das zweite Kriterium erfuellt gewesen sei. Da beide Kriterien gemeinsam erfuellt sein müssen, bedarf es einer Prüfung des fünften Klagegrundes nur, wenn das Gericht aufgrund der Prüfung der ersten vier Klagegründe zu der Überzeugung gelangen sollte, daß das erste Kriterium tatsächlich erfuellt war.

60 Vor der Prüfung dieser einzelnen Klagegründe ist auf drei Gesichtspunkte hinzuweisen. Zunächst ist hervorzuheben, wie dies die Kommission zu Recht getan hat, daß die Befugnis, seine Rechte gerichtlich geltend zu machen, und die darauf beruhende gerichtliche Kontrolle Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes sind, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt und auch in den Artikeln 6 und 13 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 verankert ist (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnrn. 17 und 18). Da der Zugang zu den Gerichten ein Grundrecht ist und ein allgemeines Prinzip darstellt, das die Wahrung des Rechts sicherstellt, kann die Erhebung einer Klage nur unter ganz aussergewöhnlichen Umständen als Mißbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 des Vertrages zu beurteilen sein.

61 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die beiden kumulativen Kriterien als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des freien Zugangs zu den Gerichten, der die Wahrung des Rechts sicherstellt, eng ausgelegt und angewandt werden müssen, um die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes nicht zu beeinträchtigen (vgl. insbesondere Urteil des Gerichts vom 5. März 1997 in der Rechtssache T-105/95, WWF UK/Kommission, Slg. 1997, II-313, Randnr. 56).

62 Hat schließlich die Kommission bei einer Beschwerde nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 eine Einstellungsverfügung getroffen, ohne eine Untersuchung zu eröffnen, so umfasst nach ständiger Rechtsprechung die Rechtmässigkeitskontrolle durch das Gericht die Prüfung der Frage, ob die streitige Entscheidung auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder einen Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweist (vgl. Urteil des Gerichts vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache T-37/92, BEUC und NCC/Kommission, Slg. 1994, II-285, Randnr. 45).

Zum ersten Klagegrund: Offensichtliche Fehlbeurteilung der Tarifpraktiken von Belgacom, die sich in der unzureichenden Begründung der angefochtenen Entscheidung zeige

Vorbringen der Beteiligten

63 Die Klägerin legt dar, sie habe in ihrer Beschwerde IV/35.268 gerügt, daß Belgacom versucht habe, ihren Geschäftstätigkeiten dadurch ein Ende zu setzen, daß sie beim Tribunal de commerce auf der Grundlage

der - im übrigen mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbaren - belgischen Rechtsvorschriften über die Herausgabe von Telefonbüchern beantragt habe, ihr aufzugeben, ihre Kundenwerbungs- und Verkaufsbemühungen für die Ausgabe 1995/1996 ihrer Branchentelefonbücher einzustellen, und ihr dabei vorgeworfen habe, vom IBPT nicht die nach Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 erforderliche Zulassung erhalten zu haben. In ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1995 habe die Kommission geantwortet, daß die erste Widerklage von Belgacom keinen Mißbrauch darstelle, weil diese lediglich ein Recht geltend gemacht habe, "das sich aus der Rechtsposition [der Klägerin] vor Erhalt der gesetzlich vorgeschriebenen Zulassung ergab". In ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 habe sie erwidert, daß diese Stellungnahme völlig ausser acht lasse, daß ursprünglich die Tarifpraktiken von Belgacom die Erteilung einer Zulassung für sie verhindert hätten und daß diese Praktiken in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 sorgfältig untersucht worden seien.

64 Die Antwort der Kommission in Nummer 16 der angefochtenen Entscheidung (siehe oben, Randnr. 32) beruhe auf einer unzutreffenden Würdigung der Tatsachen. Zum einen seien die ursprünglichen Tarifpraktiken, die sie bewogen hätten, keine Übereinkunft mit Belgacom über die Lieferung von Kundendaten zu treffen, d. h. 200 BFR je Kundendatei zuzueglich 34 % des Umsatzes an Werbeeinnahme der zugelassenen Person, zum Zeitpunkt der Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht mehr üblich und auch nicht Gegenstand der zwischen Belgacom und ihr am 16. März 1995 getroffenen Übereinkunft gewesen, aufgrund deren sie die Zulassung durch das IBPT erhalten habe. Zum anderen habe die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 die ursprünglichen Tarifpraktiken von Belgacom als übertrieben und mißbräuchlich beurteilt. Da genau diese Praktiken sie daran gehindert hätten, eine Zulassung durch das IBPT zu erhalten, sei die Kommission in Nummer 16 der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht zu dem Schluß gelangt, daß die Tarifpraktiken von Belgacom, die Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 gewesen seien, nicht damit zusammengehangen hätten, daß sie eine solche Zulassung nicht habe erhalten können.

65 Wegen dieser falschen Würdigung der Tatsachen sei es ihr nicht gelungen, die Gründe in Erfahrung zu bringen, die die Kommission dazu bewogen hätten, ihr Hauptargument zurückzuweisen, daß die Tarifpraktiken von Belgacom sie daran gehindert hätten, eine Zulassung zu erhalten, und folglich Belgacom in die Lage versetzt hätten, ihr aufgrund der Behauptung, sie habe rechtswidrige Maßnahmen der Kundenwerbung und des Verkaufs durchgeführt, durch den Präsidenten des Tribunal de commerce untersagen zu lassen, ihren Tätigkeiten der Herausgabe von Telefonbüchern nachzugehen. Die in tatsächlicher Hinsicht unrichtige Würdigung dieses Vorbringens berühre daher auch die Begründung der angefochtenen Entscheidung. Belgacom habe mit anderen Worten versucht, sie unter Ausnutzung ihrer Weigerung, einen überzogenen Preis für die Kundendateien zu zahlen, gerichtlich zur Aufgabe ihrer Tätigkeiten zu zwingen. Die Haltung der Kommission sei im übrigen widersprüchlich, da sie zwar die mißbräuchlichen Tarifpraktiken von Belgacom, nicht aber das damit verbundene mißbräuchliche und böswillige Verfahren beanstandet habe.

66 Die Kommission macht geltend, sie habe in der angefochtenen Entscheidung die Gründe für die Zurückweisung der Beschwerde IV/35.268 klar dargelegt. So habe sie in Nummer 11 der angefochtenen Entscheidung zwei kumulative Kriterien definiert, die erfuellt sein müssten, wenn die Klage eines Unternehmens in beherrschender Stellung als mißbräuchlich betrachtet werden solle. In Nummer 14 habe sie die Gründe dafür angegeben, weshalb im vorliegenden Fall das erste, und in Nummer 18 die Gründe dafür, weshalb das zweite Kriterium nicht erfuellt sei.

67 Sie habe in der angefochtenen Entscheidung ebenfalls darauf hingewiesen, daß die Berufung von Belgacom auf das Fehlen einer Zulassung der Klägerin in ihrer ersten Widerklage vernünftigerweise als ein Versuch von Belgacom verstanden werden könne, ihre Rechte geltend zu machen, und folglich das erste Kriterium für die Feststellung eines Verstosses gegen Artikel 86 des Vertrages nicht erfuellt gewesen sei. Die Gründe dafür, daß die Klägerin nicht über diese Zulassung verfügt habe, stellten ein anderes Problem dar. Auf jeden Fall habe sie auf den Vorwurf der Widersprüchlichkeit ausdrücklich durch den Hinweis geantwortet, daß die Tarifpraktiken, die Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 gewesen seien, bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung immer noch üblich gewesen seien, was die Klägerin aber nicht daran gehindert habe, beim IBPT eine Zulassung zu erhalten. Die Behauptung der Klägerin, sie habe eine Übereinkunft mit Belgacom nur auf der Grundlage geänderter Tarifpraktiken treffen können, stehe nicht in Beziehung zu diesem Argument der Kommission. Diese Tarifpraktiken seien zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung immer noch Gegenstand einer Mitteilung der Beschwerdepunkte gewesen und stellten einen Mißbrauch dar.

Würdigung durch das Gericht

68 Der erste Klagegrund gliedert sich in Wirklichkeit in zwei Teile; mit dem ersten Teil wird eine offensichtliche Fehlbeurteilung, mit dem zweiten eine unzureichende Begründung geltend gemacht.

69 Mit dem ersten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin im wesentlichen geltend, daß Nummer 16 der angefochtenen Entscheidung auf einer offensichtlich fehlerhaften Beurteilung beruhe. Insoweit ist zunächst das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, wonach die Kommission zu Unrecht die Feststellung getroffen habe, daß die Tarifpraktiken, die Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 gewesen seien, nicht damit zusammengehangen hätten, daß die Klägerin keine Zulassung habe erhalten können.

70 Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 waren nämlich sowohl die im Moniteur belge vom 24. September 1994 veröffentlichten Tarife, d. h. 200 BFR je Kundendatei zuzueglich 34 % des Umsatzes an Werbeeinnahmen der zugelassenen Person, als auch die im Moniteur belge vom 20. Juni 1995 veröffentlichten Tarife, d. h. 67 BFR je Kundendatei zuzueglich 16 % des Umsatzes an Werbeeinnahmen der zugelassenen Person (siehe oben, Randnr. 15). Die Klägerin hat am 16. März 1995 eine Übereinkunft mit Belgacom getroffen und mit Schreiben vom 24. März 1995 vom IBPT die Nachricht erhalten, daß sie eine vorläufige Zulassung besitze (siehe oben, Randnr. 17). Folglich haben die Tarifpraktiken, die Gegenstand der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Dezember 1995 waren, die Klägerin nicht daran gehindert, eine Zulassung für die Herausgabe von Telefonbüchern zu erhalten.

71 Dem Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission nicht berücksichtigt habe, daß die fehlende Zulassung der Klägerin gerade auf die mißbräuchlichen Tarifpraktiken von Belgacom zurückzuführen gewesen sei, kann ebenfalls nicht gefolgt werden.

72 Aufgrund des ersten der von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung herangezogenen kumulativen Kriterien kann eine Klage als mißbräuchlich im Sinne von Artikel 86 des Vertrages nur dann angesehen werden, wenn sie vernünftigerweise nicht als Geltendmachung der Rechte des betreffenden Unternehmens verstanden werden und daher nur dazu dienen kann, den Gegner zu belästigen. Mithin ist bei der Feststellung, ob dieses Kriterium erfuellt ist, die Situation zum Zeitpunkt der Erhebung der betreffenden Klage zu berücksichtigen.

73 Ausserdem geht es bei der Anwendung dieses Kriteriums nicht um die Feststellung, ob die Rechte, die das Unternehmen zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage ins Feld geführt hat, tatsächlich bestanden oder ob die Klage begründet war, sondern allein um die Feststellung, ob mit dieser Klage etwas geltend gemacht wurde, was das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt vernünftigerweise als seine Rechte betrachten konnte. Dem letzten Teil der Formulierung dieses Kriteriums lässt sich entnehmen, daß es nur erfuellt ist, wenn die Klage nicht dieses Ziel hatte, und damit der einzige Fall vorliegt, in dem davon ausgegangen werden kann, daß eine solche Klage lediglich dazu diente, den Gegner zu belästigen.

74 Gemäß Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 hatten indessen nur Belgacom und die vom IBPT zugelassenen Personen das Recht zur Herausgabe von Telefonbüchern. Nach der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 erfolgt die Zulassung in Form einer vom IBPT ausgestellten Bescheinigung über die Übereinstimmung der endgültigen Fassung einer Vereinbarung über die Lieferung der Kundendaten zwischen Belgacom und der betreffenden Person mit dieser Verordnung. Es war Sache von Belgacom, die Bedingungen für den Zugang zu den Kundendaten, die fair, angemessen und nichtdiskriminierend zu sein hatten, festzulegen und im Moniteur belge zu veröffentlichen (siehe oben, Randnrn. 4 und 5).

75 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß im vorliegenden Fall Belgacom im Moniteur belge vom 24. September 1994 eine Mitteilung über die Bedingungen für den Zugang zu den Kundendaten veröffentlicht und hierbei eine Jahresgebühr von 200 BFR je Kundendatei zuzueglich 34 % des Umsatzes an Werbeeinnahmen der zugelassenen Person festgelegt hat, daß das IBTP Belgacom erst am 20. April 1995 empfohlen hat, die Gebühr abzuändern und auf 67 BFR je Kundendatei zuzueglich 16 % des Umsatzes an Werbeeinnahmen der zugelassenen Person festzulegen, daß Belgacom dem durch eine Mitteilung vom 20. Juni 1995 im Moniteur belge gefolgt ist und daß die erste Widerklage von Belgacom durch Urteil des Präsidenten des Tribunal de commerce Brüssel vom 5. Oktober 1994 abgewiesen worden ist.

76 Unter diesen Umständen hätte eine Prüfung der Frage, ob die fehlende Zulassung der Klägerin auf die Tarifpraktiken von Belgacom zurückzuführen sei, nicht den Nachweis dafür erbringen können, daß die erste Klage von Belgacom nicht das Ziel gehabt hätte, das geltend zu machen, was sie zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Klage vernünftigerweise als ihre Rechte betrachten könnte, und nur dazu gedient hätte, die Klägerin zu belästigen. Für die Feststellung, ob das erste Kriterium erfuellt war, war diese Frage mithin nicht erheblich. Sie gehörte vielmehr zur Prüfung der Begründetheit und lag damit in der Zuständigkeit des nationalen Gerichts, bei dem die erste Klage der Klägerin anhängig war.

77 Da die Klägerin die von ihr behauptete offensichtliche Fehlbeurteilung nicht nachgewiesen hat, ist der erste Teil dieses Klagegrundes zurückzuweisen.

78 Mit dem zweiten Teil ihres ersten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die angefochtene Entscheidung sei unzureichend begründet.

79 Nach ständiger Rechtsprechung soll die Begründung einer individuellen Einzelfallentscheidung es ihrem Adressaten ermöglichen, die Gründe für die erlassene Maßnahme zu erfahren, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und die Berechtigung der Entscheidung prüfen kann, und den Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Dabei braucht die Kommission in der Begründung von Entscheidungen, die sie erlässt, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente einzugehen, die die Betroffenen für ihren Antrag vorbringen, sondern es reicht aus, daß sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach Sinn und Zweck der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. Urteil des Gerichts vom 18. September 1996 in der Rechtssache T-387/94, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1996, II-961, Randnrn. 103 und 104).

80 Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung die beiden kumulativen Kriterien aufgestellt, die die Feststellung erlauben, wann das Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung aus Anlaß einer Klageerhebung mißbräuchlich ist (Nr. 11); sie hat festgestellt, daß ihrer Ansicht nach das erste der beiden kumulativen Kriterien nicht erfuellt sei, weil die erste Klage von Belgacom der "Geltendmachung dessen diente, was Belgacom als ihr Recht [betrachtete], das sich aus der Rechtsposition [der Klägerin] vor Erhalt der gesetzlich vorgeschriebenen Zulassung ergab" (Nr. 14), und sie hat zum Vorbringen der Klägerin zur angeblichen Widersprüchlichkeit des im Schreiben vom 21. Dezember 1995 eingenommenen Standpunkts Stellung genommen (Nr. 16).

81 Die angefochtene Entscheidung lässt demnach alle Gesichtspunkte erkennen, auf denen der Standpunkt der Kommission beruht, und erlaubt somit der Klägerin, die Berechtigung dieses Teils der angefochtenen Entscheidung anzugreifen, und dem Gericht, seine Rechtmässigkeitskontrolle auszuüben. Auch dieser Teil des Klagegrundes kann daher nicht durchgreifen.

82 Demnach ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Offensichtliche Fehlbeurteilung der belgischen Rechtsvorschriften über die Herausgabe von Telefonbüchern

Vorbringen der Beteiligten

83 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe sich auf eine Schlußfolgerung gestützt, die erst nach einer sachgerechten und förmlichen Untersuchung der Beschwerden der Klägerin gegen die belgischen Rechtsvorschriften über die Ausübung der Tätigkeit eines Herausgebers von Telefonbüchern hätte gezogen werden dürfen, und damit einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen.

84 So sei die Kommission in den Nummern 17 und 21 der angefochtenen Entscheidung zu der Feststellung gelangt, daß Belgacom sich im Rahmen ihrer Klagen auf die sogar unvollständigen belgischen Rechtsvorschriften habe stützen dürfen, solange diese nicht durch die zuständige Stelle für ungültig erklärt worden seien. Die Kommission habe es indessen unterlassen, zuvor die unter den Nummern 94/5103 SG(94) A/23203 und 96/4067 SG(95) A/19911/2 registrierten Beschwerden der Klägerin über diese Vorschriften zu prüfen (siehe oben, Randnrn. 22 und 25), obwohl die Klägerin in ihrer Beschwerde und in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 klar darauf hingewiesen habe, daß eine solche Untersuchung belegen werde, daß Belgacom keinen ihrer Anträge auf diese Vorschriften stützen könne.

85 Die Kommission habe ferner nicht davon ausgehen können, daß diese belgischen Rechtsvorschriften Rechte für Belgacom geschaffen hätten, auf die sie sich vor Gericht berufen könne, solange sie diese Vorschriften nicht untersucht habe, um sicherzugehen, daß solche Rechte danach mindestens dem Anschein nach bestuenden. Damit habe die Kommission ihre Pflicht verletzt, alle ihr von der Klägerin vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufmerksam zu prüfen (vgl. Urteile des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90, Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223, Randnr. 79, und vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache T-7/92, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1993, II-669, Randnr. 34). Dieser Grundsatz sei vom Gericht in seinem Urteil vom 18. September 1995 in der Rechtssache T-548/93 (Ladbroke Racing/Kommission, Slg. 1995, II-2565, Randnr. 50) angewandt worden, in dem entschieden worden sei, daß die Frage der Vereinbarkeit eines nationalen Rechtsetzungsakts mit dem Gemeinschaftsrecht für eine Rechtssache entscheidungserheblich sein könne.

86 Der Kern des Mißbrauchs, der den beiden Widerklagen von Belgacom zugrunde liege, bestehe darin, daß die belgischen Rechtsvorschriften keine Rechtsgrundlage für die Klageanträge von Belgacom darstellten. Diese habe weder das Recht gehabt, übertriebene und diskriminierende Preise zu verlangen, dies aber aufgrund der lückenhaften Regelung tun können, noch das Recht, die Lieferung der Kundendaten zu verweigern, aber gleichwohl versucht, sich hinter dem Fehlen einer Königlichen Durchführungsverordnung zu verschanzen, um ihre Ausschließlichkeitsrechte im Zusammenhang mit Telefonbüchern zu schützen, die durch Artikel 45 des Gesetzes vom 24. Dezember 1993 abgeschafft worden seien. Die mißbräuchliche und wettbewerbswidrige Haltung von Belgacom sei durch das Inkrafttreten der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 fast neun Monate nach Veröffentlichung des Gesetzes vom 24. Dezember 1993 bestärkt worden. Die Unvereinbarkeit der belgischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht stelle also einen erheblichen Aspekt der Beschwerde IV/35.268 dar, den die Kommission nach der Rechtsprechung hätte beachten müssen.

87 Was insbesondere die zweite Widerklage angehe, so ergebe sich eindeutig aus Nummer 21 der angefochtenen Entscheidung, daß die Kommission die Implikationen der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 oder des zeitweiligen Fehlens dieser Verordnung nicht vollständig geprüft habe. Die Kommission habe eindeutig anerkannt, daß die Klägerin an einem erfolgreichen Abschluß ihrer Tätigkeiten nicht deshalb gehindert worden sei, weil die belgischen Rechtsvorschriften Belgacom ein ausschließliches Recht gewährt hätten, sondern weil diese Vorschriften unvollständig geblieben seien. Trotzdem sei sie zu dem Ergebnis gelangt, daß Belgacom sich bei ihren Klagen auf diese Gesetzeslücke habe berufen können.

88 Die Kommission behaupte, daß die Feststellung der Mißbräuchlichkeit einer Klage nicht davon abhängig sei, ob diese rechtlich korrekt sei oder nicht. Gleichwohl begründe sie ihre Weigerung, die Vereinbarkeit der belgischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen ihrer Untersuchung der Mißbräuchlichkeit der Klage von Belgacom zu prüfen, mit der Prüfung der Begründetheit der Klage durch die nationalen Gerichte. Für die Kommission bedeute das, daß die Unvereinbarkeit der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht als Indiz für die Mißbräuchlichkeit einer Klage nur dienen könne, wenn zuvor die Begründetheit dieser Klage geprüft worden sei. Diese Schlußfolgerung beruhe auf einer unzutreffenden Anwendung der Kriterien, die die Kommission für den Nachweis der Mißbräuchlichkeit einer Klage im Sinne des Artikels 86 des Vertrages selbst aufgestellt habe. Während eine Entscheidung über die Begründetheit einer solchen Klage sich mit der Frage befasse, ob die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften das geltend gemachte Recht begründeten, befasse sich eine Entscheidung über die Mißbräuchlichkeit einer solchen Klage mit der Frage, ob diese Vorschriften das Bestehen dieses Rechts glaubhaft machten. Alle rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte einschließlich der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrechts könnten für die Feststellung erheblich sein, ob ein Recht oder nur der Anschein eines Rechts bestehe.

89 Die Kommission wendet hiergegen ein, daß sie in der angefochtenen Entscheidung nicht die Auffassung vertreten habe, die Feststellung der Mißbräuchlichkeit einer von einem Unternehmen in beherrschender Stellung erhobenen Klage hänge davon ab, ob die Klage rechtlich korrekt sei oder nicht; sie hänge vielmehr davon ab, ob die beiden in Nummer 11 der angefochtenen Entscheidung angeführten Kriterien erfuellt seien. Im übrigen habe sie darauf hingewiesen, daß sich die Behauptung der Klägerin, der rechtliche Rahmen der Klage von Belgacom sei nicht geprüft worden, auf Akte der belgischen Regierung und nicht auf die Praktiken von Belgacom beziehe. Sie habe festgestellt, daß die Berufung von Belgacom in ihren Widerklagen auf eine nationale Vorschrift, die nicht für ungültig erklärt worden sei, vernünftigerweise als ein Versuch betrachtet werden könne, ihre Rechte geltend zu machen, und nicht Teil eines Planes gewesen sei, den Wettbewerb zu beseitigen.

90 Wenn sie diesen Standpunkt vertreten habe, ohne zuvor selbst die Vereinbarkeit der belgischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen, könne dies nicht als offensichtlicher Beurteilungsfehler gewertet werden. Die erste Klage der Klägerin sei bei einem nationalen Gericht anhängig gemacht worden, das selbst dafür zuständig sei, die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935, Randnr. 45, und des Gerichts vom 18. September 1996 in der Rechtssache T-353/94, Postbank/Kommission, T-353/94, Slg. 1996, II-921, Randnrn. 65 bis 67). Im übrigen habe die Cour d'appel Brüssel die Auffassung vertreten, daß die belgischen Rechtsvorschriften gegen die Artikel 86 und 90 des Vertrages verstießen, und die Widerklage von Belgacom abgewiesen.

91 Belgacom vertritt die Auffassung, die Kommission sei nicht verpflichtet gewesen, festzustellen, daß die belgischen Rechtsvorschriften nicht einmal die Grundlage für einen Anschein der von Belgacom geltend gemachten Rechte lieferten, und sich damit notwendig zum Inhalt und zur Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts zu äussern, deren Geltung von der Klägerin nicht bestritten worden sei. Wenn die Kommission aber ein mißbräuchliches Verhalten von Belgacom festgestellt hätte, hätte dies bedeutet, daß sie die Art und Weise beurteilt hätte, in der die belgische Regierung einen Akt des belgischen Parlaments durchgeführt hätte; eine solche Beurteilung stehe der Kommission jedoch nur nach Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages in einem nach Artikel 90 Absatz 3 gegen das Königreich Belgien eingeleiteten Verfahren zu.

Würdigung durch das Gericht

92 Im vorliegenden Fall steht gemäß Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 ausser Belgacom nur den vom IBPT zugelassenen Personen das Recht zur Herausgabe von Telefonbüchern nach den vom König festzulegenden Kriterien und Modalitäten zu. Unstreitig konnte eine solche Zulassung erst nach Inkrafttreten der Regelung zur Festlegung dieser Kriterien und Modalitäten erteilt werden. Diese Regelung, die Königliche Verordnung vom 15. Juli 1994, ist am 26. August 1994 in Kraft getreten (siehe oben, Randnrn. 4 und 5). Vor diesem Zeitpunkt konnte nach den belgischen Rechtsvorschriften niemand die notwendige Zulassung für die Herausgabe von Telefonbüchern erhalten und war daher Belgacom aufgrund des Gesetzes die einzige, der das Recht zur Herausgabe solcher Telefonbücher zustand.

93 Damit sind die ersten beiden Klagen von Belgacom als Versuch anzusehen, das geltend zu machen, was diese zum Zeitpunkt der Erhebung dieser beiden Klagen vernünftigerweise auf der Grundlage der belgischen Rechtsvorschriften über die Herausgabe von Telefonbüchern als ihre Rechte betrachten konnte. Folglich war das erste der beiden kumulativen Kriterien der Kommission nicht erfuellt.

94 Unter diesen Umständen hätte eine Prüfung der Frage, ob die belgischen Rechtsvorschriften über die Herausgabe von Telefonbüchern mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar waren, nicht den Nachweis erbringen können, daß die ersten beiden Klagen von Belgacom nicht darauf abzielten, das geltend zu machen, was diese zum Zeitpunkt ihrer Erhebung gemäß diesen Rechtsvorschriften vernünftigerweise als ihre Rechte betrachten konnte, und damit nur dazu dienten, die Klägerin zu belästigen. Diese Frage gehörte somit zur Prüfung der Begründetheit, für die das mit den ersten beiden Klagen von Belgacom befasste nationale Gericht zuständig war.

95 Zurückzuweisen ist in diesem Zusammenhang das Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission hätte prüfen müssen, ob die belgischen Rechtsvorschriften zumindest dem Anschein nach mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar seien. Eine solche Auslegung des ersten der beiden kumulativen Kriterien würde nämlich den Zugang von Unternehmen in beherrschender Stellung zu den Gerichten praktisch unmöglich machen, denn sie müssten sich vor Erhebung einer Klage, wollen sie nicht Gefahr laufen, sich einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 86 des Vertrages nur deshalb schuldig zu machen, weil sie diese Klage anhängig machen, stets vergewissern, ob die Rechtsvorschriften, aus denen sie ihre Rechte ableiten, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

96 Ausserdem kann nach der Rechtsprechung im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf die Verhaltensweisen von Unternehmen, die sich diesen Vorschriften entsprechend verhalten, die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit den Wettbewerbsregeln des Vertrages nicht als ausschlaggebend angesehen werden. Im Rahmen einer solchen von der Kommission vorgenommenen Prüfung bezieht sich die vorherige Bewertung nationaler Rechtsvorschriften, die Auswirkungen auf diese Verhaltensweisen haben, nur auf die Frage, ob diese Vorschriften die Möglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbständige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschränkt oder verfälscht werden kann. Ist dies nicht der Fall, so sind die Artikel 85 und 86 des Vertrages nicht anwendbar (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1997 in den Rechtssachen C-359/95 P und C-379/95 P, Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing, Slg. 1997, I-6265, Randnrn. 31, 33 und 35).

97 Im übrigen ist, soweit die Klägerin mit diesem Klagegrund rügt, die Kommission habe die unter den Nummern 94/5103 SG(94) A/23203 und 96/4067 SG(95) A/19911/2 registrierten Beschwerden in bezug auf die belgischen Rechtsvorschriften und damit auf Handlungen des belgischen Staates nicht zuvor untersucht, darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung die Ausübung des nach Artikel 90 Absatz 3 eingeräumten Ermessens bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahmen mit den Vorschriften des Vertrages nicht mit einer Verpflichtung der Kommission zum Einschreiten verknüpft ist, so daß natürliche oder juristische Personen, die die Kommission zum Tätigwerden gemäß Artikel 90 Absatz 3 auffordern, nicht das Recht haben, gegen die Entscheidung der Kommission, von den ihr insoweit eingeräumten Befugnissen keinen Gebrauch zu machen, Klage zu erheben (vgl. Urteil des Gerichts vom 9. Januar 1996 in der Rechtssache T-575/93, Kölman/Kommission, Slg. 1996, II-1, Randnr. 71).

98 Zu Recht hat daher die Kommission bei der Anwendung des ersten der beiden kumulativen Kriterien, ohne zuvor die Vereinbarkeit der belgischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht geprüft zu haben, in den Nummern 17 und 21 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, daß sich Belgacom in ihren beiden Klagen auf diese Vorschriften habe stützen können, solange diese bezueglich der ersten Klage von Belgacom nicht für ungültig erklärt seien und bezueglich der zweiten Klage das Fehlen einer Durchführungsverordnung nicht gerichtlich beanstandet worden sei.

99 Demgemäß ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

Zum dritten Klagegrund: Fehlerhafte Qualifizierung der Rechte von Belgacom

Vorbringen der Beteiligten

100 Die Klägerin wendet sich gegen die Schlußfolgerung der Kommission in Nummer 22 der angefochtenen Entscheidung, weil sie auf einer falschen rechtlichen Qualifizierung beruhe. Da nämlich Artikel 45 des Gesetzes vom 24. Dezember 1993 alle ausschließlichen Rechte von Belgacom für Tätigkeiten im Zusammenhang mit Telefonbüchern ab 10. Januar 1994 aufgehoben habe, könne das mit dem Monopol verbundene Recht nicht mehr zur Rechtfertigung der Weigerung herangezogen werden, Kundendaten zu liefern. Die Kommission habe daher das erste der beiden Kriterien, die der Feststellung dienten, ob mit einer Klage ein Recht, also ein vom Gesetz anerkannter und geschützter Rechtstitel, geltend gemacht werden solle, ausser acht gelassen, weil nach Abschaffung der ausschließlichen Rechte von Belgacom zum 10. Januar 1994 ihre spätere Klage, mit der die Klägerin an der Kundensuche für und am Verkauf von Werbespalten gehindert werden sollte, definitionsgemäß nicht der Geltendmachung eines rechtmässigen Ausschließlichkeitstitels habe dienen können, der vom belgischen oder vom Gemeinschaftsrecht geschützt und anerkannt wäre.

101 Die Kommission weist darauf hin, daß nach Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 in seiner ursprünglichen Fassung ausschließlich Belgacom oder andere zur Zusammenarbeit mit ihr berechtigte Personen zur Herausgabe von Telefonbüchern befugt gewesen seien; erst Artikel 45 des Gesetzes vom 24. Dezember 1993 habe eine Öffnung dieser Tätigkeit auch für andere, vom IBPT zugelassene Personen unter bestimmten durch Königliche Verordnung festzulegenden Bedingungen vorgesehen. Sie habe in Nummer 19 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, daß davon ausgegangen werden könne, daß sich Belgacom auf ein Recht berufe, das sie aufgrund der in Belgien geltenden Rechtslage vor Erlaß der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 zu besitzen geglaubt habe. Belgacom habe daher zu Recht befürchtet, daß die Klägerin die verlangten Daten so gebrauchen werde, daß dadurch die Rechtsstellung, die sie vor Erlaß dieser Verordnung innezuhaben glaubte, beeinträchtigt würde.

102 Belgacom legt dar, daß sie nicht nur zu Recht befürchtet habe, daß die Klägerin die verlangten Daten so gebrauchen werde, daß dadurch die Rechtsstellung, die sie vor Erlaß der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 innezuhaben glaubte, beeinträchtigt würde, sondern daß sie ausserdem als öffentliches Unternehmen keine andere Wahl gehabt habe, als gemäß den geltenden Rechtsvorschriften vorzugehen, deren Ungültigkeit bis dahin nicht durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil festgestellt worden sei. Bis zum Inkrafttreten der Königlichen Verordnung sei sie verpflichtet gewesen, der Klägerin eine Lieferung von Kundendaten zu verweigern.

Würdigung durch das Gericht

103 Die Kommission stellt in Nummer 19 der angefochtenen Entscheidung fest, daß Belgacom mit ihrer zweiten Klage ein Recht habe geltend machen wollen, das sie aufgrund der in Belgien geltenden Rechtsvorschriften vor Inkrafttreten der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 zu besitzen geglaubt habe.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 696A0111.1

104 Im Licht dieser Feststellung ist Nummer 22 der angefochtenen Entscheidung zu lesen, in der die Kommission erklärt, daß Belgacom zu Recht befürchtet habe, daß die Klägerin die Daten von Belgacom dazu verwenden werde, Kunden für den Markt der Werbung mit Telefonbüchern zu gewinnen, "was das gesetzliche Monopol von Belgacom auf diesem Markt beeinträchtigt hätte".

105 Obwohl nämlich Artikel 45 des Gesetzes vom 24. Dezember 1993 zur Änderung des Artikels 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 die ausschließlichen Rechte von Belgacom zur Herausgabe von Telefonbüchern am 10. Januar 1994 aufgehoben hat, sind doch nach der gleichen Vorschrift ausser Belgacom nur die vom IBPT zugelassenen Personen zu den Bedingungen und Modalitäten, die vom König festzulegen sind, ebenfalls zur Herausgabe von Telefonbüchern befugt (siehe oben, Randnr. 4). Mithin war Belgacom, solange niemand diese Zulassung erhalten hatte - und unstreitig konnte diese Zulassung nicht erteilt werden, bevor nicht der König die Bedingungen und Modalitäten festgelegt hatte -, aufgrund der belgischen Rechtsvorschriften allein zur Herausgabe von Telefonbüchern befugt.

106 Liest man somit Nummer 19 in Verbindung mit Nummer 22 der angefochtenen Entscheidung, so ist der Ausdruck "gesetzliches Monopol von Belgacom auf diesem Markt" dahin zu verstehen, daß die Rechtsposition von Belgacom auf dem Markt für Telefonbücher, wie sie sich unmittelbar aus Artikel 113 Absatz 2 des Gesetzes von 1991 und dem Fehlen einer Königlichen Verordnung zur Festlegung der Bedingungen und Modalitäten für die Erteilung von Zulassungen ergab, in der Tat die eines Monopols war.

107 Dieser Klagegrund geht jedoch auf jeden Fall fehl. Selbst wenn der Kommission mit der Qualifizierung der Stellung von Belgacom auf dem belgischen Markt für Telefonbücher als gesetzlichem Monopol ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen wäre, so folgt doch aus dem Vorstehenden, daß Belgacom faktisch ein Monopol auf diesem Markt besaß, das sich aus den belgischen Rechtsvorschriften ergab. Aus Nummer 19 der angefochtenen Entscheidung ergibt sich aber, daß gerade dies die Kommission annehmen ließ, daß die zweite Klage von Belgacom das erste der beiden kumulativen Kriterien nicht erfuelle.

108 Da die angefochtene Entscheidung nicht auf dem von der Klägerin gerügten Qualifizierungsfehler beruht, ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

Zum vierten Klagegrund: Offensichtliche Fehlbeurteilung der Weigerung von Belgacom, Kundendaten zu überlassen

Vorbringen der Beteiligten

109 Die Klägerin macht geltend, Artikel 86 des Vertrages verbiete es Unternehmen in beherrschender Stellung, eine Warenlieferung oder Dienstleistung zu verweigern, wenn die Weigerung nicht objektiv gerechtfertigt sei. Im vorliegenden Fall habe die Weigerung von Belgacom, ihr die verlangten Kundendaten zu überlassen, sie bei der Vorbereitung ihrer Tätigkeit als Herausgeber von Telefonbüchern wesentlich beeinträchtigt. Dagegen wäre die Tätigkeit von Belgacom als Herausgeber von Telefonbüchern durch die Entscheidung, die Kundendaten zu überlassen, nicht beeinträchtigt worden. Die Weigerung von Belgacom sei also nicht gerechtfertigt und habe nichts anderes bezweckt, als das Monopol von Belgacom zu schützen (Nr. 22 der angefochtenen Entscheidung), das aber durch das Gesetz vom 24. Dezember 1993 abgeschafft worden sei. Die Kommission habe daher die Weigerung von Belgacom, die verlangten Kundendaten zu überlassen, offensichtlich fehlerhaft beurteilt. Entgegen ihrer Behauptung könnten die belgischen Rechtsvorschriften diese Weigerung nicht rechtfertigen.

110 Ausserdem wende die Kommission, wenn sie erkläre, daß sie nicht untersuchen könne, ob eine Klage begründet sei, ihre eigenen Kriterien dafür, wann eine von einem Unternehmen in beherrschender Stellung erhobene Klage mißbräuchlich sei, nicht richtig an. Wenn man nämlich der Argumentation in den Nummern 19 bis 23 der angefochtenen Entscheidung folgte, könnte die Kommission nie die Mißbräuchlichkeit einer böswilligen Klage feststellen, weil sie sonst die Beurteilung durch die nationalen Gerichte durch ihre eigene ersetzen würde. In der angefochtenen Entscheidung habe die Kommission aber festgestellt, daß die zweite Klage von Belgacom nicht mißbräuchlich gewesen sei, weil ihre Weigerung, die Kundendaten zu überlassen, aufgrund der belgischen Rechtsvorschriften gerechtfertigt gewesen sei. Folglich müsse die Kommission wohl auch in der Lage sein, die gegenteilige Feststellung zu treffen.

111 Die Kommission entgegnet, sie habe sich nicht mit der Frage befasst, ob die zweite Widerklage von Belgacom letztlich erfolgreich sein werde. Es wäre nämlich unannehmbar, Unternehmen in beherrschender Stellung den Zugang zu den Gerichten nur für die Fälle zuzugestehen, in denen die Grundlage ihrer Klagen nach Auffassung der Kommission rechtlich tragfähig sei. Eine solche Auffassung würde diese Unternehmen um Grundrechte bringen, die nur dann versagt werden dürften, wenn sie mißbräuchlich verwendet würden. Mit Äusserungen zur Begründetheit einer bei den nationalen Gerichten anhängigen Klage würde die Kommission sowohl in Fragen des nationalen Rechts als auch des Gemeinschaftsrechts die Auffassung des nationalen Gerichts durch ihre eigene Auffassung ersetzen, was zur Verneinung der gemeinsamen Zuständigkeit der Kommission und der nationalen Gerichte bei der Anwendung von Artikel 86 des Vertrages führen würde (vgl. Urteile Delimitis und Postbank/Kommission, a. a. O.). Sie habe daher in der angefochtenen Entscheidung zu Recht angenommen, daß davon ausgegangen werden könne, daß Belgacom mit der zweiten Widerklage ein Recht geltend gemacht habe, das sie vor dem Erlaß der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994 zu besitzen glaubte.

112 Belgacom weist darauf hin, daß die Kommission nicht geprüft und nicht zu prüfen gehabt habe, ob ihre Weigerung, der Klägerin Kundendaten zu überlassen, gerechtfertigt gewesen sei. Sie habe sich vielmehr auf die Prüfung beschränkt, ob ihre zweite Widerklage mißbräuchlich gewesen sei. Abzulehnen sei das Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission, wenn sie schon feststellen könne, daß eine Klage nicht mißbräuchlich sei, auch in der Lage sein müsse, deren Mißbräuchlichkeit festzustellen. Die von der Kommission festgelegten Kriterien für die Feststellung, daß die von einem Unternehmen in beherrschender Stellung erhobene Klage einen Mißbrauch darstelle, bedeuteten notwendig, daß die Kommission nur eine beiläufige Kontrolle durchführe, um festzustellen, ob die Klage mißbräuchlich sei. Wenn dies nicht zutreffe, sehe die Kommission von einer vollständigen Prüfung der Begründetheit der Klage ab. Diese Prüfung obliege den nationalen Gerichten, bei denen die Klage anhängig sei.

Würdigung durch das Gericht

113 Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, ist der vierte Klagegrund dahin zu verstehen, daß die Kommission bei der Anwendung des ersten der beiden kumulativen Kriterien auf die zweite Klage von Belgacom in Nummer 22 der angefochtenen Entscheidung einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen haben soll, weil sie ausser acht gelassen habe, daß die Weigerung von Belgacom, Kundendaten zu überlassen, gegen Artikel 86 des Vertrages verstossen habe.

114 Vor dem Inkrafttreten der Königlichen Verordnung vom 15. Juli 1994

war indessen aufgrund der Besonderheiten der belgischen Rechtsvorschriften niemand in der Lage, die für die Herausgabe von Telefonbüchern erforderliche Zulassung zu erhalten, und demzufolge war Belgacom aufgrund des Gesetzes allein zur Herausgabe der Telefonbücher befugt.

115 Zutreffend hat daher die Kommission in Nummer 22 der angefochtenen Entscheidung bei der Anwendung des ersten der beiden kumulativen Kriterien die Auffassung vertreten, daß Belgacom zu Recht befürchtet habe, daß die Klägerin die Kundendaten dazu verwenden werde, Kunden für den Markt der Werbung mit Telefonbüchern zu gewinnen, und dies die Rechtsposition beeinträchtigen werde, die Belgacom aufgrund der belgischen Rechtsvorschriften auf diesem Markt innehatte (siehe oben, Randnr. 104).

116 Desgleichen sollte mit der ersten wie mit der zweiten Klage von Belgacom das geltend gemacht werden, was diese vernünftigerweise auf der Grundlage der belgischen Rechtsvorschriften als ihre Rechte betrachten konnte (siehe oben, Randnr. 104), so daß das erste der beiden kumulativen Kriterien, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung festgelegt hat, nicht erfuellt war.

117 Dieses Ergebnis kann nicht durch die Antwort auf die Frage entkräftet werden, ob die Weigerung von Belgacom, Kundendaten zu überlassen, gegen Artikel 86 des Vertrages verstieß. Eine Prüfung dieser Frage hätte nämlich nicht belegen können, daß die zweite Klage von Belgacom nicht darauf abzielte, das geltend zu machen, was diese zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage vernünftigerweise als ihre Rechte betrachten konnte, und daß die Klage folglich nur dazu diente, die Klägerin zu belästigen. Diese Frage gehörte daher zur Prüfung der Begründetheit, für die das mit der zweiten Klage befasste nationale Gericht zuständig war.

118 Demgemäß ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen.

119 Da die ersten vier Klagegründe bezueglich der Anwendung des ersten von der Kommission festgelegten Kriteriums auf die ersten beiden Klagen von Belgacom zurückzuweisen sind und die beiden Kriterien kumulativ erfuellt sein müssen (siehe oben, Randnr. 59), geht der fünfte Klagegrund bezueglich der Anwendung des zweiten Kriteriums auf diese beiden Klagen fehl. Er braucht daher vom Gericht nicht geprüft zu werden.

Zum sechsten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages bezueglich des Teils der Beschwerde IV/35.268, der die dritte Klage von Belgacom betrifft

Vorbringen der Beteiligten

120 Die Klägerin rügt, die Kommission habe dadurch gegen Artikel 190 des Vertrages verstossen, daß sie sich in Nummer 26 der angefochtenen Entscheidung mit der Feststellung begnügt habe, die Klägerin habe keine tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte dafür vorgetragen, daß die Forderungen von Belgacom im Hinblick auf Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 überzogen seien.

121 Sie habe in ihrer Beschwerde darauf hingewiesen, daß Belgacom unter dem Vorwand, lediglich ihre Rechte nach Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 auszuüben, den Versuch unternommen habe, sich ihre Tätigkeiten anzueignen. Diese Übereinkunft sei aber zu einer Zeit geschlossen worden, als Belgacom noch ein gesetzliches Monopol für die Herausgabe von Telefonbüchern gehabt habe. In ihrem Schreiben vom 21. Dezember 1995 habe die Kommission erklärt, mit der dritten Klage habe Belgacom "das geltend machen wollen, was sie aufgrund der von der Klägerin übernommenen vertraglichen Verpflichtungen als ihr Recht betrachtet hat". Daraufhin habe sie der Kommission in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 erläutert, daß die lange Liste von Punkten, die Belgacom verlangt habe, in der Fassung der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 keine Grundlage finden könne. Als kennzeichnendes Beispiel habe sie die Forderung auf Übertragung der Marke "Gouden Gids/Pages d'or" angeführt, die nicht auf Artikel XVI der Übereinkunft habe gestützt werden können, die aber, wenn ihr entsprochen worden wäre, eine Katastrophe für das Überleben der Klägerin bedeutet hätte. Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 enthalte nicht den geringsten Hinweis auf Markenrechte. Die wettbewerbswidrige Absicht, die der Forderung nach einer Lizenz zugrunde liege, sei offensichtlich, zumal eine Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung einer Lizenz für ihre Marke sich verheerend auf ihre Tätigkeiten auswirken würde, während ihre Konkurrenten durch eine solche Lizenz lediglich infolge der Schwächung der Position der Klägerin gestärkt würden. Nach einer solchen Transaktion verliere nämlich die Marke jede Daseinsberechtigung und insbesondere ihre Unterscheidungskraft.

122 Ferner habe sie in ihrer Beschwerde darauf hingewiesen, daß Belgacom Marken beansprucht habe, die ihrer Schwestergesellschaft, der ITT World Directories Netherlands, gehört hätten, die nicht einmal Partei der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 gewesen sei. Da Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 nicht den geringsten Hinweis auf Markenrechte enthalte und sie sich auf keinen Fall zur Übertragung von Marken habe verpflichten können, die ihr als blossem Lizenznehmer nicht gehörten, überschreite die Forderung von Belgacom wiederum offensichtlich den Rahmen dieser Übereinkunft; wenn ihr entsprochen worden wäre, wäre dies für ihre Tätigkeiten verheerend gewesen.

123 Ausserdem habe sie am 7. April 1995 der Kommission das Mahnschreiben von Belgacom vom 29. März 1995 mit der Liste von Punkten übermittelt, die diese auf der Grundlage von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 gefordert habe. Im übrigen habe sie in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 darauf hingewiesen, daß das Zugeständnis von Belgacom in ihrer Stellungnahme zu der Beschwerde, wonach sie jetzt Artikel XVI der Übereinkunft im Licht der Änderungen der belgischen Rechtsvorschriften einen anderen Sinn beilege, die Mißbräuchlichkeit ihrer Forderung belege. Der neue Sinn, den Belgacom diesem Artikel beilege, führe nämlich möglicherweise zu einer entschädigungslosen Konfiskation ihrer Tätigkeiten zugunsten ihres eigenen Konkurrenten, der BDS.

124 Alle diese Beweise für die Mißbräuchlichkeit der Forderung von Belgacom seien der Kommission zur Kenntnis gebracht worden, die es aber vorgezogen habe, sie einfach zu übergehen.

125 Die Kommission trägt vor, die Gründe für die Zurückweisung der Beschwerde in diesem Punkt ergäben sich klar aus den Nummern 24 bis 26 der angefochtenen Entscheidung; dort habe sie festgestellt, daß die Klage, die Belgacom angestrengt habe, um die Erfuellung der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 zu erzwingen, das erste der beiden in Nummer 11 der angefochtenen Entscheidung definierten Kriterien nicht erfuelle, weil sie vernünftigerweise so verstanden werden könne, daß mit ihr das Recht von Belgacom aufgrund dieser Übereinkunft durchgesetzt werden solle.

126 Zur Antwort der Klägerin in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 weist die Kommission darauf hin, daß es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Beschwerdeführers sei, der Kommission die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zur Kenntnis zu bringen, auf die sich seine Beschwerde stütze (vgl. Urteile des Gerichts Automec/Kommission, a. a. O., Randnr. 79, und vom 24. September 1996 in der Rechtssache T-57/91, NALOO/Kommission, Slg. 1996, II-1019, Randnr. 258). Das von Belgacom angerufene belgische Gericht sei zuständig, um über das Vorbringen der Klägerin in ihrer Klageschrift zur Auslegung des Artikels XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 zu befinden. Die Klägerin habe der Kommission keinen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zur Kenntnis gebracht, der belegt hätte, daß die Klage von Belgacom über das hinausgegangen sei, was diese als ihre Rechte aufgrund der Übereinkunft habe betrachten können, so daß ihre Klage, mit der die Erfuellung der Übereinkunft erzwungen werden sollte, keinen Mißbrauch einer beherrschenden Stellung dargestellt habe.

127 Belgacom weist darauf hin, daß der Umfang der Verpflichtung zur Begründung von Entscheidungen im Kontext der Sache beurteilt werden müsse (vgl. insbesondere Urteile des Gerichts vom 9. November 1994 in der Rechtssache T-46/92, Scottish Football/Kommission, Slg. 1994, II-1039, vom 11. Dezember 1996 in der Rechtssache T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, und vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-16/91 RV, Rendo u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1827). Ebenso sei die Kommission, wenn sie bei einer Beschwerde aufgrund der Verordnung Nr. 17 festzustellen habe, ob eine Klageerhebung bei einem nationalen Gericht einen Mißbrauch einer beherrschenden Stellung darstelle, nicht verpflichtet, alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu prüfen, die der Beschwerdeführer bei dem nationalen Gericht vorgetragen und der Kommission zur Kenntnis gebracht habe.

Würdigung durch das Gericht

128 Nach ständiger Rechtsprechung soll die Begründung einer individuellen Entscheidung es ihrem Adressaten ermöglichen, die Gründe für die getroffene Maßnahme zu erfahren, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und die Begründetheit der Entscheidung prüfen kann, und den Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des betreffenden Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde. Da eine Entscheidung ein Ganzes darstellt, ist jeder ihrer Bestandteile im Licht der anderen Bestandteile zu sehen (vgl. Urteile vom 18. September 1996, Asia Motor France u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 103, und Van Megen Sports/Kommission, a. a. O., Randnr. 51).

129 Im vorliegenden Fall heisst es in der angefochtenen Entscheidung (Nr. 24), daß nach Auffassung der Kommission Belgacom mit der dritten Klage das habe geltend machen wollen, was sie aufgrund der von der Klägerin übernommenen vertraglichen Verpflichtungen als ihr Recht betrachtet habe. Nach der Feststellung, daß die Klägerin in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 darauf hingewiesen habe, daß die dritte Klage von Belgacom Forderungen habe untermauern sollen, die den Rahmen der von den beiden Parteien übernommenen vertraglichen Verpflichtungen überschritten hätten (Nr. 25), wird in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, daß die Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht dargelegt habe, inwieweit die Anträge von Belgacom inhaltlich über diese Übereinkunft hinausgegangen seien (Nr. 26). Der angefochtenen Entscheidung ist ausserdem zu entnehmen, daß die dritte Klage von Belgacom nach Auffassung der Kommission nicht das erste der beiden in Nummer 11 definierten kumulativen Kriterien erfuellte (Nr. 27).

130 Die angefochtene Entscheidung nennt somit die Gesichtspunkte, auf die der Standpunkt der Kommission bezueglich der Anwendung der beiden kumulativen Kriterien auf die dritte Klage von Belgacom gestützt war.

131 Zu dem Vorbringen, die Kommission habe die von der Klägerin vorgelegten Beweise für die Mißbräuchlichkeit der Forderung von Belgacom auf Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 übergangen, heisst es in der angefochtenen Entscheidung (Nr. 26), daß bei der Anwendung des ersten Kriteriums die Klägerin nach Auffassung der Kommission in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht dargelegt habe, inwieweit die Anträge von Belgacom inhaltlich über diese Übereinkunft hinausgegangen seien. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in der Begründung von Entscheidungen, die sie erlässt, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente einzugehen braucht, die die Betroffenen für ihren Antrag vorbringen, sondern daß es ausreicht, daß sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. Urteil vom 18. September 1996, Asia Motor France u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 104).

132 Damit hat die Kommission die angefochtene Entscheidung bezueglich der dritten Klage von Belgacom ausreichend begründet. Der sechste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum siebten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages bezueglich der Einstufung der Forderung auf Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 durch die Kommission

Vorbringen der Beteiligten

133 Die Klägerin macht erstens geltend, die Kommission habe dadurch gegen Artikel 86 des Vertrages verstossen, daß sie in den Nummern 33 und 34 der angefochtenen Entscheidung erklärt habe, daß die Forderung auf Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 nicht mißbräuchlich sei, weil sie keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen auf die Struktur des Marktes habe, die über die Wirkungen hinausgingen, die die Parteien aufgrund der Übereinkunft hätten erwarten dürfen.

134 Sie habe in ihrem Schreiben vom 9. Februar 1996 darauf hingewiesen, daß der Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 des Vertrages nach der Rechtsprechung ein objektiver Begriff sei. Es gehe um ein Verhalten, das die Verfälschung einer tatsächlich am Wettbewerb orientierten Marktstruktur bezwecke oder bewirke. Ausserdem habe sie darin klar belegt, wie die überzogene Forderung von Belgacom auf der Grundlage des Artikels XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 infolge der Verdrängung der Klägerin als Konkurrentin die Marktstruktur beeinträchtigen könne. Die Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 hätte folglich die tatsächliche Marktstruktur nachhaltig verfälscht, während deren Abschluß ohne Durchführung dieses Artikels keine Auswirkung gehabt hätte.

135 Ausserdem unterscheide die Rechtsprechung bei der Anwendung des Artikels 86 des Vertrages nicht zwischen Abschluß und Durchführung einer Vereinbarung. Jedes Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung einschließlich der Durchführung besonderer Klauseln einer Vereinbarung könne daher als mißbräuchlich eingestuft werden. Als Beispiel verweist die Klägerin auf das Urteil des Gerichtshofes vom 11. April 1989 in der Rechtssache 66/86 (Ahmed Säed Flugreisen u. a., Slg. 1989, 803, Randnrn. 34 ff.), in dem dieser entschieden habe, daß die Anwendung eines Tarifs, die das Ergebnis einer Absprache sei, die als solche unter das Verbot des Artikels 85 des Vertrages fallen könne, eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 darstellen könne (vgl. auch Entscheidung 92/262/EWG der Kommission vom 1. April 1992 in einem Verfahren nach den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag [IV/32.450 - Reederausschüsse in der Frankreich-Westafrika-Fahrt; ABl. L 134, S. 1]).

136 Zweitens weist die Klägerin darauf hin, daß die Kommission dadurch gegen Artikel 86 des Vertrages verstossen habe, daß sie in Nummer 35 der angefochtenen Entscheidung vorgegeben habe, eine Rechtfertigung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Forderung von Belgacom auf Durchführung von Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 darin zu sehen, daß deren Abschluß zu einer Zeit erfolgt sei, als Belgacom ein gesetzliches Monopol gehabt habe. Anders als bei einem Verstoß gegen Artikel 85 des Vertrages könne eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 86 weder freigestellt noch gerechtfertigt werden. Die Auffassung der Kommission habe daher keine Rechtsgrundlage und lasse ausserdem völlig die Entwicklung ausser acht, die die belgischen Rechtsvorschriften seit Abschluß der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 genommen hätten.

137 Die Kommission verweist darauf, daß sich die Beschwerde IV/35.268 ausschließlich mit der Forderung von Belgacom auf Durchführung der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 befasst habe. Demgegenüber sei sie nicht ersucht worden, sich zur Vereinbarkeit der Übereinkunft mit dem Gemeinschaftsrecht zu äussern. Die Klägerin habe daher die angefochtene Entscheidung mißverstanden, die lediglich besage (Nr. 31), daß eine Forderung auf Durchführung einer Vereinbarung für sich genommen keinen Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages darstelle. In Nummer 36 der angefochtenen Entscheidung habe sie ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie in keiner Weise der Möglichkeit vorgreife, ein Verfahren wegen Verletzung der Vertragsbestimmungen durch diese Übereinkunft einzuleiten, oder der Möglichkeit, daß die Klägerin gegen die Klauseln der Übereinkunft Beschwerde einlege. Ausserdem habe die Klägerin später gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 eine Beschwerde eingelegt, die die Rechtmässigkeit der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 als solcher betroffen habe.

Würdigung durch das Gericht

138 Der Begriff der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages ist nach der Rechtsprechung ein objektiver Begriff, der solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung erfasst, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, daß die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert wird, die sich von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger unterscheiden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 91).

139 Aus der Natur der in Artikel 86 des Vertrages verankerten Pflichten folgt, daß Unternehmen in beherrschender Stellung unter besonderen Umständen das Recht zu bestimmten Verhaltensweisen und Maßnahmen abzusprechen ist, die für sich genommen nicht mißbräuchlich sind und die sogar nicht zu beanstanden wären, wenn sie von nichtbeherrschenden Unternehmen an den Tag gelegt oder vorgenommen würden (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 57). So kann der Abschluß einer Vereinbarung oder der Erwerb eines Rechts eine mißbräuchliche Ausnutzung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages sein, wenn er durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung erfolgt (in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 10. Juli 1990 in der Rechtssache T-51/89, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1990, II-309, Randnr. 23).

140 Einen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 des Vertrages kann auch die Forderung auf Durchführung einer Vertragsklausel sein, wenn sie über das hinausgeht, was die Parteien vernünftigerweise von diesem Vertrag erwarten durften, oder wenn sich die bei Abschluß des Vertrages bestehenden Umstände in der Zwischenzeit geändert haben.

141 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die Klägerin nichts dafür vorgebracht hat, daß diese Voraussetzungen erfuellt wären.

142 Zum einen ergibt sich bezueglich der Frage, ob die Forderung von Belgacom über das hinausgeht, was die Parteien vernünftigerweise von der Übereinkunft erwarten durften, aus dem Vorbringen der Klägerin zu ihrem sechsten Klagegrund, daß sie sich im wesentlichen auf drei verschiedene Argumente stützt. Sie meint zunächst, die Forderung von Belgacom auf Übertragung der Marke "Gouden Gids/Pages d'or" gehe über den Rahmen des Artikels XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 hinaus, der nicht den geringsten Hinweis auf Markenrechte enthalte. Sie wirft sodann Belgacom vor, Marken von ITT World Directories Netherlands zu beanspruchen, die nicht einmal an der Übereinkunft beteiligt sei. Schließlich macht sie geltend, Belgacom habe in ihrer Stellungnahme zu ihrer Beschwerde eingestanden, daß sie Artikel XVI der Übereinkunft einen neuen Sinn beilege.

143 Zunächst ist festzustellen, daß Artikel XVI Absatz 2 Buchstabe b der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 bestimmt, daß die Klägerin, "[d]amit die Regie die Kontinuität der Veröffentlichung sicherstellen kann", dieser "ausserdem völlig unentgeltlich zu überlassen [hat]: die Lizenzen aufgrund von Patenten oder sonstigen Formen des Rechtsschutzes für Arbeiten, die im Rahmen der vorliegenden Übereinkunft oder im Zusammenhang damit durchgeführt wurden". Angesichts der Formulierung dieser Passage kann im Licht der übrigen Teile der Übereinkunft nicht ausgeschlossen werden, daß diese Passage auch Marken erfasst. Ferner ergibt sich aus den Akten, daß Belgacom nur die Übertragung der Marken verlangt hat, die in den Beneluxländern für die Klägerin oder ihren Rechtsvorgänger eingetragen sind. Schließlich hat die Klägerin lediglich behauptet, daß Belgacom eingestanden habe, dem Artikel XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 einen neuen Sinn beigelegt zu haben, ohne allerdings diese Behauptung näher zu belegen. Denn das angebliche "Eingeständnis" von Belgacom in ihrer Stellungnahme zur Beschwerde ist nichts anderes als eine Erläuterung der Gründe dafür, daß nach Meinung von Belgacom die Öffnung des Marktes für die Herausgabe von Telefonbüchern nichts daran ändert, daß Belgacom die Kontinuität der Veröffentlichung von Telefonbüchern sicherstellen müsse.

144 Zum anderen legt die Klägerin auch nicht dar, weshalb der Umstand, daß das ausschließliche Recht zur Herausgabe von Telefonbüchern einschließlich des Rechts zur Genehmigung der Herausgabe durch Dritte, das Belgacom zum Zeitpunkt des Abschlusses der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 besaß und seit dem 10. Januar 1994 Belgacom und die vom IBPT zugelassenen Unternehmen besitzen, sich dahin auswirken sollte, daß sich die Forderung auf Durchführung von Artikel XVI dieser Übereinkunft als Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 des Vertrages darstellte.

145 In diesem Zusammenhang ist im übrigen zu bemerken, daß die Klägerin dank der ausschließlichen Rechte von Belgacom während 25 Jahren frei von jedem Wettbewerb eine einmalige Erfahrung erwerben, ihre Tätigkeiten entwickeln und ihre Marken aufwerten konnte.

146 Dem Vorbringen der Klägerin, daß die Feststellungen der Kommission in den Nummern 33 und 34 der angefochtenen Entscheidung gegen Artikel 86 des Vertrages verstießen, kann daher nicht gefolgt werden.

147 Den Akten lässt sich entnehmen, daß die Klägerin am 25. Juli 1996 eine Beschwerde gegen Belgacom erhoben hat, weil diese mit dem Abschluß und der Forderung auf Durchführung der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 gegen die Artikel 85 Absatz 1 und 86 des Vertrages verstossen habe. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Kommission dem Gericht eine Abschrift der Entscheidung der Kommission vom 29. April 1997 überreicht, mit der diese Beschwerde wegen fehlenden Gemeinschaftsinteresses zurückgewiesen wurde. Diese Entscheidung ist nicht mit einer Klage beim Gericht angefochten worden.

148 Im übrigen beruht das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Forderung auf Durchführung des Artikels XVI der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 damit gerechtfertigt, daß deren Abschluß auf die Zeit zurückgehe, in der Belgacom ein gesetzliches Monopol gehabt habe, auf einem falschen Verständnis des zweiten Satzes von Nummer 35 der angefochtenen Entscheidung. Die Kommission begnügt sich nämlich in Nummer 35 damit, auf das Argument der Klägerin zu antworten, daß die Forderung von Belgacom bezweckt habe, die Klägerin vom Markt für Telefonbücher zu verdrängen. Sie bemerkt dazu, daß die Klägerin keine tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte anführe, die zeigten, weshalb diese Forderung nicht die Rechte von Belgacom aufgrund der Übereinkunft vom 9. Mai 1984 wahrnehmen sollte, und betont im zweiten Satz, daß die angeblichen Auswirkungen auf den Wettbewerb, den die Forderung von Belgacom hätte, wenn ihr entsprochen würde, eine Folge des Abschlusses dieser Übereinkunft zu einer Zeit seien, in der die Herausgabe von Telefonbüchern Gegenstand Belgacom vorbehaltener ausschließlicher Rechte gewesen sei. Es handelt sich daher nicht um eine Rechtfertigung, sondern um eine blosse Feststellung, mit der deutlich gemacht wird, daß nicht die Forderung von Belgacom, sondern der Abschluß der Übereinkunft der tatsächliche Ursprung der betreffenden Wirkungen sei.

149 Demgemäß ist auch dieser Klagegrund zurückzuweisen.

150 Nach alldem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

151 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission sowie Belgacom als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission Kostenantrag gestellt haben, sind der Klägerin deren Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission und der Streithelferin Belgacom.

Ende der Entscheidung

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