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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 02.04.1993
Aktenzeichen: T-12/93 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, VO (EWG) Nr. 4064/89


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 185
EWG-Vertrag Art. 186
VO (EWG) Nr. 4064/89 Art. 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 2. APRIL 1993. - COMITE CENTRAL D'ENTREPRISE DE LA SA VITTEL UND COMITE D'ETABLISSEMENT DE PIERVAL GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VERFAHREN DER EINSTWEILIGEN ANORDNUNG - AUSSETZUNG DES VOLLZUGS - EINSTWEILIGE ANORDNUNGEN. - RECHTSSACHE T-12/93 R.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Das Comité central d' entreprise der Vittel SA, das Comité d' établissement de Pierval und die Fédération générale agroalimentaire CFDT haben mit Klageschrift, die am 3. Februar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 22. Juli 1992 betreffend ein Verfahren nach der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates (Fall IV/M.190 ° Nestlé/Perrier; im folgenden: Entscheidung) erhoben.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am 2. März 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen wurde, haben das Comité central d' entreprise der Vittel SA und das Comité d' établissement de Pierval (im folgenden: Antragsteller) ferner gemäß den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung, hilfsweise auf Aussetzung der Entscheidung, soweit diese die Veräusserung von Pierval verlangt, bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache gestellt.

3 Die Kommission hat am 17. März 1993 zu dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung schriftlich Stellung genommen. Die Parteien haben am 23. März 1993 mündlich verhandelt.

4 Der wesentliche Sachverhalt, der dem beim Gericht anhängigen Rechtsstreit zugrunde liegt, wie er sich aus den Schriftsätzen der Parteien und den mündlichen Ausführungen in der Sitzung ergibt, lässt sich wie folgt zusammenfassen.

5 Am 25. Februar 1992 meldete die Nestlé SA gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 395, S. 1) bei der Kommission ein öffentliches Übernahmeangebot betreffend die Anteile der Source Perrier SA (im folgenden: Perrier SA) an. Nach Prüfung der Anmeldung beschloß die Kommission am 25. März 1992 gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 4064/89, das Verfahren nach dieser Verordnung zu eröffnen, weil ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des angemeldeten Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt bestuenden.

6 Insbesondere im Hinblick auf die von der Nestlé SA ihr gegenüber eingegangenen Verpflichtungen erließ die Kommission am 22. Juli 1992 eine Entscheidung, die den Zusammenschluß für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärte. Die Entscheidung enthält Bedingungen und Auflagen, die sicherstellen sollen, daß die Nestlé SA die von ihr eingegangenen Verpflichtungen erfuellt. Als eine dieser Bedingungen sieht die Entscheidung vor, daß die Nestlé SA die Marken und Brunnen Vichy, Thonon, Pierval, Saint-Yorre und eine Reihe anderer lokaler Brunnen sowie die für diese Brunnen ausreichenden Kapazitäten zum Abfuellen von Wasser binnen einer in der Entscheidung selbst festgelegten Frist an einen von der Kommission zu billigenden Wettbewerber zu verkaufen hat.

7 Am 26. Januar 1993 benannte die Nestlé SA den Castel-Konzern, der im Getränkesektor bereits tätig ist, der Kommission als Käufer. Dieser Käufer erklärte, daß er an der Übernahme von drei grossen Brunnen, zu deren Wiederverkauf sich die Nestlé SA verpflichtete (Vichy, Thonon, Saint-Yorre), sowie von einigen Brunnen von geringerer Bedeutung interessiert sei. Da diese Veräusserung nach Ansicht der Kommission die Bedingungen der Entscheidung nicht vollständig erfuellte, trafen die Konzerne Nestlé und Castel am 18. Februar 1993 eine weitere Vereinbarung, die sich ausser auf die bereits erwähnten Brunnen auch auf die Veräusserung der Source Pierval erstreckte.

8 Am 3. März 1993 veröffentlichte die Kommission ein Pressekommuniqué, in dem sie mitteilte, daß der vom Castel-Konzern unterbreitete Kaufvorschlag einen entscheidenden Faktor zur Erfuellung der insgesamt vorgesehenen Bedingungen darstelle, und kündigte an, daß sie diese Angelegenheit endgültig regeln werde, sobald die Hindernisse für die tatsächliche Veräusserung der Brunnen, insbesondere bezueglich der Übertragung der sich im Besitz des französischen Staates bzw. der Stadt Thonon-les-Bains befindlichen Nutzungsrechte von Vichy und Thonon an den Castel-Konzern, beseitigt seien.

Entscheidungsgründe

9 Nach den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag und Artikel 4 der Entscheidung des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

10 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen die Anträge auf einstweilige Anordnung im Sinne der Artikel 185 und 186 EWG-Vertrag die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Anordnungen müssen vorläufig in dem Sinne sein, daß sie der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgreifen (vgl. zuletzt Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 19. Februar 1993 in den Rechtssachen T-7/93 R und T-9/93 R, Langnese-Iglo und Schöller/Kommission, Slg. 1993, II-131).

Vorbringen der Parteien

11 Nach Ansicht der Antragsteller sind alle rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnungen im vorliegenden Falle gegeben.

12 Zur Dringlichkeit machen die Antragsteller geltend, daß die Veräusserung der Firma Pierval ihnen einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen werde, der unverzueglich und mit Bestimmtheit eintrete und in unmittelbarem Zusammenhang mit der streitigen Entscheidung stehe. Die Veräusserung der Anteile von Pierval verstosse gegen das Interesse der Arbeitnehmer dieser Firma im besonderen und der Arbeitnehmer der Vittel SA im allgemeinen insoweit, als eine derartige Veräusserung ihren Anspruch auf Wahrung des Vermögens des Unternehmens beeinträchtige, zumal der finanzielle Gegenwert dieser Veräusserung lächerlich gering sei. Die Antragsteller heben ferner hervor, daß infolge der Veräusserung den Arbeitnehmern von Pierval die bedeutenden sozialen Vergünstigungen, die ihnen entweder gemäß Einzelvertrag oder gemäß dem innerhalb der Vittel SA geltenden Tarifvertrag zustuenden, nicht mehr gewährt werden könnten. Ein derartiger Schaden sei nicht wieder gutzumachen, da die Veräusserung im Falle ihrer Verwirklichung Rechtswirkungen haben werde, die ungeachtet der bestehenden aufschiebenden oder auflösenden Bedingungen unmöglich rückgängig gemacht werden könnten. Im übrigen sei dieser Schaden eine unmittelbare Folge der Entscheidung der Kommission, die die Veräusserung verschiedener Brunnen, darunter Pierval, zur Bedingung dafür gemacht habe, daß der Zusammenschluß der Nestlé SA und der Perrier SA für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werde.

13 Zur Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verweisen die Antragsteller auf ihre in der Klageschrift erhobenen Rügen, in der sie der Kommission hauptsächlich vorwerfen,

° die Verordnung Nr. 4064/89 dadurch verletzt zu haben, daß sie Artikel 2 Absatz 3 auf eine oligopolistische Marktbeherrschung angewandt habe;

° einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem sie ihre Entscheidung nicht auf die Notwendigkeit der Erhaltung einer zuvor bestehenden Wettbewerbssituation, sondern auf die Suche nach Mitteln zur Sicherung eines verstärkten Wettbewerbs gestützt habe;

° ihre Befugnisse überschritten zu haben;

° einen Tatsachenfehler begangen zu haben, indem sie die erteilte Genehmigung des gemeldeten Zusammenschlusses von unerfuellbaren Bedingungen wie der Veräusserung bestimmter Marken und Brunnen, u. a. Thonon und Vichy, von denen weder die Perrier SA noch die Nestlé SA Anteile hielten, abhängig gemacht habe; und

° einen Ermessensmißbrauch begangen zu haben, indem sie sich auf der Grundlage einer nicht zu erfuellenden Bedingung die Möglichkeit vorbehalten habe, ihre Entscheidung zu widerrufen und auf diese Weise den geplanten Zusammenschluß für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären.

14 Demgegenüber vertritt die Kommission die Auffassung, daß die Klage offensichtlich unzulässig sei und mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung jedenfalls weder Umstände angeführt würden, aus denen sich die Dringlichkeit ergebe, noch die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht werde.

15 Zur offensichtlichen Unzulässigkeit der Klage macht die Kommission geltend, daß die Kläger nicht von den in der Verordnung Nr. 4064/89 eingeräumten prozessualen Rechten Gebrauch gemacht hätten und daß sie daher von der streitigen Entscheidung im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag nicht individuell betroffen sein könnten. Demgemäß müsse der vorliegende Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig abgewiesen werden. Nach Ansicht der Kommission wird diese Schlußfolgerung nicht berührt durch den Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 15. Dezember 1992 in der Rechtssache T-96/92 R (CCE Grandes Sources u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2579), wonach die Frage, inwieweit die anerkannten Vertreter der Arbeitnehmer eines an einem Zusammenschluß beteiligten Unternehmens zum Schutz ihrer berechtigten Interessen über ein Klagerecht verfügen, einer eingehenden Prüfung bedürfe und der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung daher nicht auf die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage erkennen könne. Keiner der Antragsteller im vorliegenden Verfahren erfuelle nämlich im Gegensatz zu den Antragstellern im Rechtsstreit CCE Grandes Sources u. a./Kommission die nicht nur wesentliche, sondern sogar unerläßliche Voraussetzung, an dem von der Verordnung vorgesehenen Verfahren beteiligt gewesen zu sein.

16 Zur Dringlichkeit vertritt die Kommission die Auffassung, daß die Antragsteller nicht dargetan hätten, daß ihnen infolge der streitigen Entscheidung ein mit Bestimmtheit eintretender und unmittelbar bevorstehender Schaden erwachse. Insbesondere sei nicht dargetan worden, inwiefern die Veräusserung von Pierval durch die Nestlé SA unbedingt eine Schwächung von der Vittel SA bedeuten würde, da die Kapazität dieses Unternehmens künftig im Zusammenhang mit dem Nestlé-Konzern, dem es seit 1987 angehört, beurteilt werden müsse. Dieser könne jedoch aus dem Zusammenschluß nur gestärkt hervorgehen, da er andernfalls auf den Kauf der Perrier SA verzichtet hätte. Wenn sich im übrigen, wie die Antragsteller anscheinend behaupteten, herausstellen sollte, daß der Verkaufspreis von Pierval den in Frankreich geltenden Handelsvorschriften zuwiderlaufe, sei es ihre Sache, die zuständigen nationalen Gerichte anzurufen.

17 Die Kommission ist ferner der Ansicht, daß die Veräusserung eines Teils des Vermögens eines Unternehmens für sich allein nur dann einen Schaden für die Arbeitnehmer bedeuten könne, wenn dies für sie zwangsläufig die Gefährdung eines spezifischen Eigeninteresses, wie den Verlust des Arbeitsplatzes, zur Folge hätte; dies treffe im vorliegenden Falle nicht zu. Zu der Rüge betreffend den Schaden, den insbesondere die Arbeitnehmer von Pierval infolge der Veräusserung erleiden würden, betont die Kommission, daß es nicht sicher sei, daß die Veräusserung des Unternehmens unbedingt die Gefährdung des Tarifvertrags zur Folge hätte, und daß jedenfalls ein solcher Vertrag ein Jahr lang oder bis zum Inkrafttreten eines Ersatzvertrags weiter gelten würde. Werde im Verlaufe eines Jahres nach der Veräusserung des Unternehmens kein Abkommen geschlossen, so behielten die Arbeitnehmer selbstverständlich die individuellen Vergünstigungen, die sie aufgrund des vor der Veräusserung geschlossenen Vertrages erworben hätten. Darüber hinaus hätten die Tarifverträge ebensogut von der Geschäftsleitung von der Vittel SA gekündigt werden können, auch für den Fall, daß Pierval nicht verkauft worden wäre. Demgemäß stehe die Kündigung dieser Verträge in keinem kausalen Zusammenhang mit der Veräusserung von Pierval, und der Schaden für die Arbeitnehmer dieses Unternehmens sei daher weder gewiß noch unmittelbar bevorstehend.

18 Die Kommission bestreitet einen kausalen Zusammenhang zwischen dem behaupteten Schaden und der Entscheidung, macht aber ferner geltend, daß selbst dann, wenn nach Ansicht des Gerichts die Antragsteller die die Dringlichkeit begründenden Umstände nachgewiesen hätten, die Abwägung der jeweiligen Interessen der Parteien zu einer Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung führen müsste, da diese Anordnung nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Interessen des Nestlé-Konzerns und des künftigen Käufers von Pierval, die am Gerichtsverfahren nicht beteiligt seien, berühren würde.

19 Zum "fumus boni iuris" führt die Kommission aus, die von den Antragstellern geltend gemachten Nichtigkeitsgründe seien unzulässig oder zumindest unbegründet. Sie analysiert eingehend jede einzelne Rüge der Antragsteller und weist darauf hin, daß diese Rügen grösstenteils in der Verordnung Nr. 4064/89 oder im Wortlaut der Entscheidung selbst beantwortet würden. Insbesondere hinsichtlich des Klagegrunds eines von der Kommission begangenen Tatsachenfehlers, weil weder Source Thonon noch Source Vichy der Nestlé SA gehörten, bestreitet die Kommission das Rechtsschutzinteresse der Antragsteller, da, wenn sich herausstellen sollte, daß die gestellten Bedingungen unmöglich zu erfuellen seien, dies zur Folge hätte, daß der gemeldete Zusammenschluß für unvereinbar erklärt würde, wodurch sich der Verkauf von Pierval erübrigte. Im übrigen hätten sie es nicht zu vertreten, wenn die in Rede stehende Bedingung nicht zu verwirklichen sei, da der Verkauf dieser Brunnen von der Nestlé SA vorgeschlagen worden sei, die zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt habe, daß diese Brunnen ihr gar nicht gehörten. Jedenfalls könne die Bedingung nicht als unmöglich zu erfuellen betrachtet werden, da die Nestlé SA in der Lage sei, auf ihre Nutzungsrechte zu verzichten, und die für die Gewährung dieser Rechte zuständigen Behörden durchaus daran interessiert seien, daß die Brunnen Thonon und Vichy von einem neuen Unternehmen genutzt würden, wie übrigens die laufenden Verhandlungen zwischen diesen Behörden und dem Castel-Konzern belegten.

Rechtliche Würdigung

A ° Zur Frage der offensichtlichen Unzulässigkeit der Klage

20 Nach ständiger Rechtsprechung hat, "wenn die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage geltend gemacht wird,... der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung festzustellen, ob die Klage auf den ersten Blick Merkmale aufweist, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Schluß zulassen, daß sie zulässig ist" (vgl. zuletzt Beschluß CCE Grandes Sources u. a./Kommission, a. a. O.).

21 Wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur dann geltend machen, von ihr im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn dadurch in ähnlicher Weise wie den Adressaten individualisiert (Urteil des Gerichtshofes vom 22. Oktober 1986 in der Rechtssache 75/84, Metro/Kommission, Slg. 1986, 3021).

22 Wie der Präsident des Gerichts in dem Beschluß CCE Grandes Sources u. a./Kommission festgestellt hat, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Klagebefugnis Dritter sowohl im Bereich von Wettbewerb und staatlichen Hilfen als auch von Dumping und Subventionen (Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76, Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875, vom 4. Oktober 1983 in der Rechtssache 191/82, Fediol/Kommission, Slg. 1983, 2913, und vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84, Cofaz/Kommission, Slg. 1986, 391), daß das Erfordernis des Schutzes berechtigter Interessen ein ausschlaggebender Faktor für die Beantwortung der Frage sein kann, ob eine natürliche oder juristische Person, die im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur Stellungnahme berechtigt ist, in ähnlicher Weise wie ein Adressat von einer Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist.

23 Anders als die entsprechenden Bestimmungen der Verordnungen über die Verfahren zur Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages räumt Artikel 18 Absatz 4 der Verordnung Nr 4064/89 den rechtlich anerkannten Vertretern der betroffenen Unternehmen ausdrücklich das Recht ein, in gleicher Weise angehört zu werden wie andere natürliche oder juristische Personen.

24 Die Antragsteller haben zwar, wie die Kommission dargetan hat, im Verlauf des Verwaltungsverfahrens ihre Anhörung nicht beantragt, doch ist die Veräusserung einiger Brunnen, darunter Pierval, unstreitig erst in einer weit fortgeschrittenen Phase des Verfahrens ins Auge gefasst worden. Unstreitig ist ferner, daß die Antragsteller von der geplanten Veräusserung erst nach dem Erlaß der Entscheidung vom 22. Juli 1992 Kenntnis erhalten haben. Den Antragstellern kann demnach grundsätzlich nicht vorgeworfen werden, daß sie ihre Anhörung nicht beantragt haben, da dem ersten Anschein nach nichts darauf hindeutet, daß die Genehmigung des Zusammenschlusses an die Erfuellung einer Reihe von Bedingungen, darunter die Veräusserung von Pierval, geknüpft sein würde.

25 Bei dieser Sachlage bedarf die Frage, inwieweit die rechtlich anerkannten Vertreter der Arbeitnehmer eines Unternehmens, dessen Veräusserung eine Bedingung für die Genehmigung eines Zusammenschlusses ist, über ein Klagerecht zum Schutz ihrer berechtigten Interessen verfügen, einer eingehenden Prüfung.

26 Nach alledem kann der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung beim derzeitigen Verfahrensstand nicht feststellen, daß die Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung offensichtlich unzulässig ist.

B ° Zum Antrag auf einstweilige Anordnung

27 Der vorliegende Antrag auf einstweilige Anordnung zielt in erster Linie auf die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung ab, mit der die Kommission die Übernahme durch die Nestlé SA genehmigt hat; hilfsweise wird begehrt, die Aussetzung der Entscheidung, soweit diese die Veräusserung von Pierval verlangt, bis zur Beendigung des Rechtsstreits anzuordnen.

28 Vorab ist zu dem Antrag auf Aussetzung der angefochtenen Entscheidung festzustellen, daß, wie der Präsident des Gerichts im Beschluß CCE-Grandes Sources erklärt hat, eine derartige Aussetzung darauf hinausliefe, während der gesamten Dauer des Rechtsstreits die von der Kommission erteilte Genehmigung für den gemeldeten Zusammenschluß und demzufolge die Ausübung der Stimmrechte durch die Nestlé SA innerhalb des Perrier-Konzerns auszusetzen, so daß die Geschäftstätigkeit der Unternehmen des Konzerns stark behindert würde.

29 Zum Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung die Aussetzung der Entscheidung, soweit sie die Veräusserung von Pierval verlangt, bis zur Beendigung des Rechtsstreits zu verfügen, ist festzustellen, daß die Kommission nach ihren eigenen Erklärungen (vgl. in Randnr. 8 erwähntes Pressekommuniqué vom 3. März 1993) beabsichtigt, "diese Angelegenheit endgültig zu bereinigen, sobald die Hindernisse für die tatsächliche Veräusserung der Brunnen, insbesondere für die Übertragung der Nutzungsrechte von Vichy und von Thonon auf den Castel-Konzern durch den französischen Staat und die Stadt Thonon-les-Bains, beseitigt sind". Daraus ergibt sich, daß die Erfuellung der Bedingungen, an die die Genehmigung des gemeldeten Zusammenschlusses geknüpft worden ist, noch von einer Stellungnahme des französischen Staates und der Stadt Thonon-les-Bains abhängt.

30 Bei dieser Sach- und Rechtslage muß der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht nur das Interesse der Antragsteller einerseits und das Interesse der Kommission auf Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs andererseits, sondern auch die Interessen von Dritten wie der Nestlé SA und Castel gegeneinander abwägen, um die Schaffung einer unumkehrbaren Situation und zugleich die Entstehung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für eine der Prozessparteien oder für einen Dritten oder auch für das Allgemeininteresse zu vermeiden (Beschluß CCE Grandes Sources/Kommission, a. a. O.).

31 Unabhängig von der Frage, ob die Veräusserung eines Teils des Vermögens eines Unternehmens einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für seine Arbeitnehmer darstellen kann, ruft eine derartige Veräusserung in der Regel, wie die Kommission bei der Anhörung eingeräumt hat, unumkehrbare rechtliche und wirtschaftliche Wirkungen hervor. Zwar kann die Unumkehrbarkeit einer Situation allein das Entstehen eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Antragsteller nicht bewirken, doch muß unter den gegebenen Umständen der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung berücksichtigen, daß die Wirkungen der Veräusserung von Pierval möglicherweise unumkehrbar wären, während die Erfuellung aller Bedingungen, an die die Entscheidung die Gewährung des Zusammenschlusses geknüpft hat, noch von der Zustimmung von am vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligten Stellen, nämlich des französischen Staates und der Stadt Thonon-les-Bains, abhängt. Es muß nämlich vermieden werden, daß die Bedingung bezueglich der Veräusserung der Vermögenswerte von Pierval erfuellt wird, bevor nicht hinreichend feststeht, daß alle anderen in der Entscheidung gestellten Bedingungen tatsächlich erfuellt werden können, und daß folglich eine derartige Veräusserung sich später als unzweckmässig erweist.

32 Diese Schlußfolgerung kann beim derzeitigen Verfahrensstand nicht vom Vorbringen der Kommission entkräftet werden, die Antragsteller hätten kein Klageinteresse, da die eventuelle Feststellung, daß die besagten Bedingungen unmöglich zu erfuellen seien, dazu führen würde, daß der Zusammenschluß für unvereinbar erklärt würde, und daß diese Feststellung mithin den Verkauf von Pierval zwecklos machen würde. Tatsächlich setzt dieses Vorbringen voraus, daß die Veräusserung von Pierval keinesfalls vor einer derartigen Feststellung eintritt. Die Entscheidung enthält jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Veräusserung bestimmter Vermögenswerte und jedenfalls die Veräusserung von Pierval erst erfolgen darf, wenn alle gestellten Bedingungen erfuellt sind. In Wirklichkeit begnügt sich die Entscheidung mit der Erklärung (Ziffer 136): "Nestlé agrees to sell the assets concerned by... Nestlé shall be deemed to have complied with this obligation if, by..., it has entered into a binding contract for the sale of the divestiture assets to a purchaser approved by the Commission, provided that such sale is completed within a time limit agreed to by the Commission." ("Nestlé verpflichtet sich, die betreffenden Vermögenswerte bis... zu verkaufen. Diese Zusage gilt als erfuellt, wenn Nestlé bis... den Verkauf mit einem Käufer vertraglich vereinbart hat, der die Zustimmung der Kommission gefunden hat, sofern der Verkauf innerhalb einer von der Kommission gebilligten Frist vollzogen wird.")

33 Bei dieser Sachlage und im Bestreben, die Schaffung einer unumkehrbaren Situation für die Prozessparteien und für betroffene Dritte zu vermeiden, erscheint es gerechtfertigt, der Kommission im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Gericht, sobald sie über die einschlägigen Unterlagen verfügt, mitzuteilen, daß alle in der Entscheidung vorgesehenen Bedingungen bezueglich der Veräusserung der Vermögenswerte erfuellt sind und daß insbesondere die Hindernisse, die der Übertragung der Nutzungsrechte von Vichy und Thonon entgegenstehen, beseitigt sind. Ferner ist vorsorglich die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung anzuordnen, soweit sie die Erklärung, daß der gemeldete Zusammenschluß vereinbar ist, an die Erfuellung der Bedingung betreffend die Veräusserung von Pierval knüpft, bis der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung in der Lage ist, im Lichte der ihm von der Kommission zu erteilenden Informationen eine Entscheidung zu treffen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Sobald die Kommission über die entsprechenden Unterlagen verfügt, teilt sie dem Gericht mit, daß alle Bedingungen bezueglich der Veräusserung der Vermögenswerte, die in ihrer Entscheidung vom 22. Juli 1992 betreffend ein Verfahren nach der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fall IV/M.190 ° Nestlé/Perrier) gestellt wurden, erfuellt und daß insbesondere die Hindernisse, die der Übertragung der Nutzungsrechte von Vichy und Thonon entgegenstehen, beseitigt sind.

2) Der Vollzug der genannten Entscheidung der Kommission wird, soweit sie die Veräusserung von Pierval verfügt, ausgesetzt, bis der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung im Lichte der ihm von der Kommission gemäß Nummer 1 der vorliegenden Beschlußformel zu übermittelnden Informationen über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs entscheidet.

Luxemburg, den 2. April 1993

Ende der Entscheidung

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