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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 20.01.1995
Aktenzeichen: T-124/93
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 2187/93


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 2187/93 Art. 8
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Hat ein Milcherzeuger eine Klage gegen die Kommission auf Ersatz des ihm durch die Anwendung einzelner Bestimmungen der Milchquotenregelung entstandenen Schadens erhoben, bevor der Rat oder die Kommission durch eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ihre Haftung anerkannt und im Hinblick auf eine geplante Gesamtregelung auf die Einrede der Verjährung verzichtet hatten, d. h. in einem Zeitpunkt, in dem für ihn keineswegs feststand, ob er ohne eine Klage entschädigt werden würde, und hat er die Klage nach Annahme eines ihm später unterbreiteten Entschädigungsangebots aufgrund der Verordnung Nr. 2187/93 über das Angebot einer Entschädigung an bestimmte Milcherzeuger, die vorübergehend an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert waren, zurückgenommen, so sind seine Kosten gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 der Verfahrensordnung des Gerichts der Kommission aufzuerlegen.

Der Kläger hatte nämlich grundsätzlich Veranlassung zur Klageerhebung, und da Artikel 178 des Vertrages für die Klageerhebung kein vorheriges Verwaltungsverfahren vorsieht, kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, daß er die Kommission nicht vor Anrufung des Gerichts zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung aufgefordert hat. Es war Sache der Kommission, die erforderlichen Schritte früh genug zu ergreifen, um für alle Geschädigten Rechtsklarheit zu schaffen und so die Veranlassung zur Klageerhebung auszuräumen.

2. Die Kostenentscheidung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ist im Fall der Klagerücknahme ausschließlich auf der Grundlage der Vorschriften der Verfahrensordnung des Gerichts und vor allem des Artikels 87 § 5 zu treffen. Sonstige Rechtsvorschriften beeinflussen die sich daraus ergebende Kostenlast nicht. Insbesondere ist auch eine Einigung der Parteien über die Kosten nur dann erheblich, wenn sie von den Parteien dem Gericht gegenüber in ihren im Zusammenhang mit der Klagerücknahme abgegebenen Erklärungen ausdrücklich bestätigt wird. Es ist nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der Kostenentscheidung der Frage nachzugehen, ob möglicherweise unabhängig von diesen Erklärungen zwischen den Parteien sonstige Absprachen über die Kosten getroffen worden sind. Mit der Kostenentscheidung gemäß Artikel 87 der Verfahrensordnung wird nur über die Kostenlast als solche, nicht aber über die Höhe der erstattungsfähigen Kosten entschieden, über die im Fall von Streitigkeiten in dem Verfahren nach Artikel 92 § 1 der Verfahrensordnung zu entscheiden ist.

3. Bei Festsetzung der Kosten nach Artikel 92 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts hat der Gemeinschaftsrichter nicht die von den Parteien ihren eigenen Anwälten geschuldeten Vergütungen festzusetzen, sondern den Betrag zu bestimmen, bis zu dem die Erstattung dieser Vergütungen von der zur Tragung der Kosten verurteilten Partei verlangt werden kann. Folglich braucht das Gericht insbesondere weder eine nationale Gebührenordnung für Anwälte noch eine eventuell zwischen der betroffenen Partei und ihrem Bevollmächtigten getroffene Honorarvereinbarung zu berücksichtigen. Im Rahmen der freien Würdigung aller Umstände des Einzelfalles hat das Gericht unter anderem auch zu prüfen, ob zum einen die zur Tragung der gegnerischen Kosten verurteilte Partei an die Gegenpartei bereits einen bestimmten Betrag zur Deckung entstandener Anwaltskosten gezahlt hat, und ob dieser Betrag zum anderen hinsichtlich der in der Rechtssache erforderlichen Schritte angemessen war.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DER ERSTEN ERWEITERTEN KAMMER DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 20. JANUAR 1995. - GEORG WERNER GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STREICHUNG. - RECHTSSACHE T-124/93.

Entscheidungsgründe:

1 Mit der am 7. September 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen Klageschrift hat der Kläger gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag gegen die Kommission Klage auf Ersatz des Schadens erhoben, der ihm durch die Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl. 1984 L 90, S. 13) entstanden ist, soweit diese Verordnung keine Zuteilung einer repräsentativen Referenzmenge an die Erzeuger vorsah, die sich gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 des Rates vom 17. Mai 1977 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände (ABl. 1977, L 131, S. 1) verpflichtet hatten, für einen begrenzten Zeitraum keine Milch zu erzeugen.

2 Durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes ist das Verfahren bis zur Verkündung des Urteils in den verbundenen Rechtssachen C-104/89 (Mulder u. a./Rat und Kommission) und C-37/90 (Heinemann/Rat und Kommission) ausgesetzt worden. Durch Beschluß des Gerichtshofes vom 27. September 1993 ist die Rechtssache an das Gericht erster Instanz verwiesen worden.

3 Mit am 21. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat der Kläger, der in der Zwischenzeit das ihm aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 des Rates vom 22. Juli 1993 über das Angebot einer Entschädigung an bestimmte Erzeuger von Milch oder Milcherzeugnissen, die vorübergehend an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert waren (ABl. 1993, L 196, S. 6), unterbreitete Entschädigungsangebot angenommen hatte, die Klagerücknahme erklärt und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

4 Die Kommission hat gegen die Klagerücknahme keine Einwendungen erhoben und beantragt, gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 1 der Verfahrensordnung die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen. Zur Begründung hat die Kommission ausgeführt, eine Kostenlast der Kommission sei durch ihr Verhalten nicht gerechtfertigt, denn es habe dem Kläger klar sein müssen, daß er im Fall eines Obsiegens der Kläger in dem Musterverfahren "Mulder und Heinemann" auch ohne Klageerhebung Schadensersatz erhalten würde und daß die Kommission, sofern der Kläger mit einem solchen Begehren an sie herangetreten wäre, ihm gegenüber auf die Einrede der Verjährung verzichtet hätte. Ausserdem liege der vom Kläger auf der Grundlage der Verordnung Nr. 2187/93 erlangte Entschädigungsbetrag erheblich unter dem mit der Klage geltend gemachten Betrag. Ferner habe der Kläger aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2648/93 der Kommission vom 28. September 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 (ABl. 1993, L 243, S. 1) bereits einen Betrag von 500 ECU zur Abgeltung der ihm entstandenen Anwaltskosten erhalten, durch den auch Kostenerstattungsansprüche nach Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 2 der Verfahrensordnung für die gerichtliche Tätigkeit des Anwalts abgegolten seien. Schließlich habe der Kläger bei der Annahme des Entschädigungsangebots gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2187/93 auf alle weiteren Ansprüche einschließlich derjenigen bezueglich der den Pauschalbetrag von 500 ECU übersteigenden Anwaltskosten verzichtet.

5 Gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 1 der Verfahrensordnung wird diejenige Partei, die die Klage oder einen Antrag zurücknimmt, auf Antrag der Gegenpartei zur Kostentragung verurteilt. Die Kosten werden jedoch nach Satz 2 dieser Vorschrift auf Antrag der Partei, die die Rücknahme erklärt, der Gegenpartei auferlegt, wenn dies wegen des Verhaltens dieser Partei gerechtfertigt erscheint.

6 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß durch das dem Kläger nach der Klageerhebung unterbreitete Entschädigungsangebot aufgrund der Verordnung Nr. 2187/93 die Berechtigung des Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen die Gemeinschaft anerkannt worden ist. Daraus folgt, daß der Kläger grundsätzlich Veranlassung zur Klageerhebung hatte.

7 Der Kläger hat die Klage vor dem 5. August 1992 erhoben, also zu einer Zeit, als der Rat und die Kommission noch nicht mit der Veröffentlichung der Mitteilung vom 5. August 1992 (ABl. 1992, C 198, S. 4) ihre Haftung anerkannt und im Hinblick auf eine geplante Gesamtregelung auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung verzichtet hatten. Für den Kläger war zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar, welche Haltung die Kommission anderen Anspruchsstellern gegenüber einnehmen würde. Da Artikel 178 EG-Vertrag kein Vorverfahren auf der Verwaltungsebene vor der Klageerhebung vorschreibt, kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, daß er die Kommission nicht zunächst aussergerichtlich zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung aufgefordert hat. Es war Sache der Kommission, die erforderlichen Schritte zu ergreifen, um für alle Geschädigten Rechtsklarheit zu schaffen und die Veranlassung zur Klageerhebung auszuräumen, wie dies der Rat und die Kommission später mit der Mitteilung vom 5. August 1992 und der Verordnung Nr. 2187/93 dann auch tatsächlich unternommen haben.

8 Ausserdem ist zu bemerken, daß die Höhe des vom Kläger später akzeptierten Entschädigungsbetrages in diesem Zusammenhang nicht entscheidend ist. Vielmehr ist für die Kostenentscheidung maßgeblich, daß sich die Klageerhebung im wesentlichen als berechtigt erwiesen hat. Für eine Kostenteilung, wie sie nach Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung im Falle eines teilweisen Unterliegens des Klägers möglich wäre, besteht unter den gegebenen Umständen schon deshalb kein Anlaß, weil durch die Geltenmachung eines höheren Entschädigungsbetrages in der Klage keine zusätzlichen Kosten und kein zusätzlicher Arbeitsaufwand entstanden sind.

9 Soweit sich die Kommission ferner auf den in Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 2648/93 gezahlten Betrag von 500 ECU für Anwaltskosten beruft, ist festzustellen, daß die gerichtliche Kostenentscheidung im Fall der Klagerücknahme ausschließlich auf der Grundlage der Vorschriften der Verfahrensordnung und vor allem des Artikels 87 § 5 zu treffen ist. Sonstige Rechtsvorschriften beeinflussen die sich daraus ergebende Kostenlast nicht. Insbesondere ist auch eine Einigung der Parteien über die Kosten im Sinne von Artikel 87 § 5 Absatz 2 nur dann erheblich, wenn sie von den Parteien dem Gericht gegenüber in ihren im Zusammenhang mit der Klagerücknahme abgegebenen Erklärungen ausdrücklich bestätigt wird. Es ist nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der Kostenentscheidung nach Artikel 87 § 5 der Frage nachzugehen, ob möglicherweise unabhängig von diesen Erklärungen zwischen den Parteien sonstige Absprachen über die Kosten getroffen worden sind.

10 In diesem Zusammenhang ist schließlich noch darauf hinzuweisen, daß mit der Kostenentscheidung gemäß Artikel 87 der Verfahrensordnung nur über die Kostenlast als solche, nicht aber über die Höhe der erstattungsfähigen Kosten entschieden wird. Über letztere ist im Fall von Streitigkeiten in dem Verfahren nach Artikel 92 § 1 der Verfahrensordnung zu entscheiden. In einem solchen Verfahren hat dann der Gemeinschaftsrichter nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 26. November 1985 in der Rechtssache 318/82, Leeuwarder Papierwarenfabriek/Kommission, Slg. 1985, 3727, sowie die Beschlüsse des Gerichts vom 25. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-18/89 und T-24/89, Tagaras/Gerichtshof, Slg. 1992, II-153, und vom 5. Juli 1993 in der Rechtssache T-84/91, Meskens/Parlament, Slg. 1993, II-757) nicht die von den Parteien ihren eigenen Anwälten geschuldeten Vergütungen festzusetzen, sondern den Betrag zu bestimmen, bis zu dem die Erstattung dieser Vergütungen von der zur Tragung der Kosten verurteilten Partei verlangt werden kann. Dabei braucht das Gericht insbesondere weder eine nationale Gebührenordnung für Anwälte noch eine eventuell zwischen der betroffenen Partei und ihrem Bevollmächtigten getroffene Honorarvereinbarung zu berücksichtigen. Im Rahmen der nach dieser Rechtsprechung im Streitfall in einem Verfahren nach Artikel 92 § 1 vorzunehmenden freien Würdigungen aller Umstände des Einzelfalles wäre auch zu prüfen, ob der Kläger für eine anwaltliche Tätigkeit, die Gegenstand der Kostenentscheidung nach Artikel 87 § 5 war, bereits eine anderweitige Erstattung erhalten hat und ob und in welchem Ausmaß neben der bereits mit 500 ECU abgegoltenen normalen Tätigkeit eines Anwalts für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs der hier fraglichen Art im konkreten Fall ausnahmsweise noch ein zusätzlicher, ins Gewicht fallender Arbeitsaufwand des Anwalts des Klägers für die Abfassung der Klageschrift und die Vertretung im gerichtlichen Verfahren anerkannt werden kann.

11 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die von der Kommission gegen ihre Kostenlast angeführten Einwände unbegründet sind und es in Anbetracht der Umstände des Falles wegen des Verhaltens der Kommission gerechtfertigt ist, die Kosten des Verfahrens gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 2 der Verfahrensordnung der Kommission aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DER ERSTEN ERWEITERTEN KAMMER DES GERICHTS

beschlossen:

1) Die Rechtssache T-124/93 wird im Register des Gerichts gestrichen.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 20. Januar 1995

Ende der Entscheidung

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