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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 13.11.1995
Aktenzeichen: T-126/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 173
EG-Vertrag Art. 169
EG-Vertrag Art. 85
EG-Vertrag Art. 86
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Nichtigkeitsklage, die eine natürliche oder juristische Person gegen die Weigerung der Kommission erhebt, gegen einen Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, ist unzulässig.

Die Weigerung ist nämlich unanfechtbar, und zwar zum einen, weil Artikel 169 des Vertrages der Kommission hinsichtlich der Einleitung eines solchen Verfahrens ein Ermessen einräumt, und zum anderen, weil eine ablehnende Entscheidung nach der Art des Antrags zu beurteilen ist, den sie bescheidet, und der Antrag, den die Weigerung bescheidet, auf die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission gerichtet ist, die ihrerseits nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann.

2. Eine Untätigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person, die auf die Feststellung gerichtet ist, daß es die Kommission dadurch, daß sie gegen einen Mitgliedstaat kein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung eingeleitet hat, unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, einen Beschluß zu fassen, ist unzulässig.

Denn zum einen meint Artikel 175 die Untätigkeit durch Nichtbescheidung oder Nichtstellungnahme und nicht den Erlaß eines anderen als des von den Betroffenen gewünschten oder für notwendig erachteten Rechtsakts. Zum anderen setzt die Untätigkeitsklage voraus, daß eine Verpflichtung des betreffenden Organs zum Tätigwerden besteht, so daß die behauptete Unterlassung gegen den Vertrag verstösst.

Aus Artikel 169 des Vertrages ergibt sich aber, daß die Kommission nicht verpflichtet ist, ein Verfahren nach dieser Vorschrift einzuleiten, sondern insoweit im Gegenteil über ein Ermessen verfügt, das ein Recht einzelner ausschließt, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 13. NOVEMBER 1995. - DUMEZ GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WEIGERUNG DER KOMMISSION, EIN VERTRAGSVERLETZUNGSVERFAHREN EINZULEITEN - NICHTIGKEITSKLAGE - UNTAETIGKEITSKLAGE - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-126/95.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Am 20. Juni 1991 schrieb die griechische Regierung den Entwurf, Bau und Betrieb des neuen Athener Flughafens am Standort Spata aus. Diese Ausschreibung wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 10. August 1991 (ABl. S 151, S. 16) veröffentlicht.

2 In der Phase der Vorauswahl gingen neun Bewerbungen ein. Die griechische Regierung gestattete vier Gruppierungen, Angebote abzugeben. Nach den Verdingungsunterlagen (Request for proposals) umfasste der Auftrag über die Baukonzession die Gründung einer Gesellschaft, die den Flughafen betreiben und deren Kapital zu 65 % von einem privaten Konzessionär und zu 35 % vom griechischen Staat gehalten werden sollte. Die Konzession sollte für die Dauer von fünfzig Jahren erteilt werden. Nach dem vorgesehenen Verfahren sollten der griechische Staat und die beiden bestplazierten der ausgewählten Bewerber gemeinsame Vertragsdokumente erstellen, und im weiteren Verlauf sollte das "cash bid", d. h. der Betrag, der für den Erwerb des dem privaten Partner vorbehaltenen Anteils am Kapital der konzessionierten Gesellschaft geboten wird, als ausschlaggebendes Zuschlagskriterium dienen.

3 Bei den beiden Konsortien, die für die Teilnahme an der Endphase des Verfahrens ausgewählt wurden, handelt es sich um Hochtief und Athens Airports Associates (im folgenden: AAA). Die Klägerin gehört zum letztgenannten Konsortium.

4 Mit Schreiben vom 28. Juni 1993 teilten die griechischen Behörden den beiden Bewerbern mit, daß sie die Kriterien für die Vergabe des Auftrags geändert hätten.

5 In einem ersten Bericht zur Bewertung der inzwischen von den beiden Konsortien abgegebenen Angebote, der gegen Ende Juli 1993 erstellt wurde, wurde die Vergabe des Auftrags an Hochtief vorgeschlagen. Wegen des Sturzes der griechischen Regierung wurde jedoch keine förmliche Entscheidung über die Vergabe des Auftrags getroffen.

6 Nach den Parlamentswahlen beschloß die neue Regierung, die Bedingungen für die Vergabe des Vorhabens von Spata zu überprüfen und zu ändern. Mit Schreiben vom 18. Februar 1994 bat sie die beiden Konkurrenten, ihr bis zum 18. März neue Angebote auf der Grundlage des Prinzips der "schlüsselfertigen Errichtung" zusammen mit einem Vertrag über den Betrieb des Flughafens für eine Dauer von zehn Jahren vorzulegen. Auf diesen Schritt reagierte nur das Konsortium AAA, während sich das Konsortium Hochtief bereits als Zuschlagsempfänger ansah.

7 Die griechischen Behörden scheinen dann unter Rückkehr zum Grundsatz der Konzession einen Plan gebilligt zu haben, der eine private Finanzierung in der Grössenordnung von 10 % vorsah. Wiederum antwortete nur AAA auf diesen Vorschlag.

8 In der Folgezeit, im Laufe des Monats Mai 1994, legte Hochtief den griechischen Behörden neue Vorschläge vor, nämlich eine öffentliche Mehrheitsbeteiligung (55 %) am Kapital der Betriebsgesellschaft des Flughafens, eine Herabsetzung der Dauer der Konzession von 50 auf 30 Jahre sowie den Verzicht auf jedes Sonderrecht in der Zone um den Flughafen.

9 Auf ein Schreiben des Konsortiums AAA vom 26. August 1994 hin intervenierte die Kommission bei den griechischen Behörden. Infolgedessen forderten diese die beiden Konkurrenten mit Schreiben vom 14. September 1994 auf, ihre Angebote bis zum 23. September zu präzisieren. Die Klägerin behauptet, daß die griechische Regierung trotz des Ablaufs der Frist für die Abgabe der Angebote noch ein Angebot der Hochtief vom 3. Oktober 1994 akzeptiert habe.

10 Die griechischen Behörden nahmen eine erneute Bewertung der Angebote vor. Wie die erste Bewertung rief auch die zweite Unruhe und Kritik bei der AAA hervor, die erneut die Kommission einschaltete.

11 Nach zahlreichen Kontakten zwischen den Dienststellen der Kommission und den griechischen Behörden schlugen diese ein Gegengutachten vor, um festzustellen, ob die Zuschlagskriterien in nichtdiskriminierender Weise angewandt worden seien. Im Dezember 1994 ernannten sie drei Sachverständige, die bei ihren Arbeiten zu dem Schluß kamen, daß die in Rede stehenden Kriterien korrekt angewandt worden seien.

12 Das Konsortium AAA äusserte erhebliche Zweifel an der Ordnungsmässigkeit des Berichts der drei Sachverständigen. Mit Schreiben vom 20. Februar 1995 wandte sich AAA wegen des Verhaltens der griechischen Behörden bei der Vergabe dieses Auftrags erneut an die Kommission.

13 Das zuständige Kommissionsmitglied befasste das Kommissionskollegium mit dem Fall Spata. In ihrer Sitzung vom 29. März 1995 beschloß die Kommission, gegen die Griechische Republik kein Verfahren einzuleiten.

14 Nach Angaben der Klägerin billigte das griechische Parlament die Erteilung der Konzession an das Konsortium Hochtief sowie die Vertragsdokumente der Konzession und verlieh diesen beiden Reihen von Rechtsakten damit im nationalen Recht den Rang von Gesetzgebungsakten.

Anträge der Parteien und Verfahren

15 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 5. Juni 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben, mit der sie beantragt,

° die Entscheidung der Kommission vom 29. März 1995 für nichtig zu erklären;

° hilfsweise, festzustellen, daß es die Kommission rechtswidrig unterlassen hat, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die griechische Regierung wegen der schweren und wiederholten Verletzungen von Gemeinschaftsrecht einzuleiten, die diese im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Konzession für den künftigen Flughafen der Stadt Athen begangen hat;

° der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

16 Mit Schriftsatz, der am 20. Juli 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Sie beantragt,

° die Klage für unzulässig zu erklären;

° der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17 In ihren am 19. September 1995 eingereichten Erklärungen zur Einrede der Unzulässigkeit beantragt die Klägerin, diese Einrede zurückzuweisen, hilfsweise, die Entscheidung über die Einrede dem Endurteil vorzubehalten.

18 Mit Schriftsatz, der am 7. November 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Griechische Republik beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

Entscheidungsgründe

19 Gemäß Artikel 114 § 3 der Verfahrensordnung wird über die Einrede der Unzulässigkeit mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Das Gericht (Dritte Kammer) hält sich im vorliegenden Fall für ausreichend unterrichtet und sieht keine Veranlassung zur Eröffnung der mündlichen Verhandlung.

Zulässigkeit

Zu dem auf Artikel 173 EG-Vertrag gestützten Antrag

° Vorbringen der Parteien

20 In ihrer Unzulässigkeitseinrede macht die Kommission zunächst geltend, daß ihre Entscheidung, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, keine Entscheidung im Sinne von Artikel 173 EG-Vertrag sei. Ein Vertragsverletzungsverfahren auf der Grundlage von Artikel 169 EG-Vertrag werde durch eine vorprozessuale Phase eingeleitet, die keine Maßnahmen mit bindender Kraft einschließe (Urteil des Gerichtshofes vom 1. März 1966 in der Rechtssache 48/65, Lütticke u. a./Kommission, Slg. 1966, 28, 39).

21 Die Kommission macht zweitens geltend, daß sie hinsichtlich der Einleitung eines Verfahrens gemäß Artikel 169 über ein Ermessen verfüge, was das Recht einzelner ausschließe, ihre Weigerung, ein solches Verfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, anzufechten (Urteile des Gerichtshofes in der Rechtssache Lütticke u. a./Kommission, a. a. O., S. 40, und vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87, Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Randnr. 13; Beschlüsse des Gerichts vom 14. Dezember 1993 in der Rechtssache T-29/93, Calvo Alonso-Cortés/Kommission, Slg. 1993, II-1389, Randnr. 55, vom 27. Mai 1994 in der Rechtssache T-5/94, J/Kommission, Slg. 1994, II-391, Randnr. 15, und vom 4. Juli 1994 in der Rechtssache T-13/94, Century Oils Hellas/Kommission, Slg. 1994, II-431, Randnr. 14).

22 Drittens vertritt die Kommission die Auffassung, daß die Entscheidung, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, selbst dann die Klägerin nicht unmittelbar und individuell beträfe, wenn sie eine anfechtbare Entscheidung darstellen würde. Die Rechtsprechung zu den staatlichen Beihilfen und zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, insbesondere die Urteile des Gerichtshofes vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84 (Cofaz u. a./Kommission, Slg. 1986, 391) und vom 16. Juni 1994 in der Rechtssache C-39/93 P (SFEI u. a./Kommission, Slg. 1994, I-2681), seien nicht auf die Vertragsverletzungsverfahren übertragbar, da Artikel 169 EG-Vertrag weder der Kommission die Befugnis verleihe, eine Zuwiderhandlung festzustellen, noch den betroffenen Dritten das Recht gebe, sich am Verwaltungsverfahren zu beteiligen.

23 Schließlich trägt die Kommission vor, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, eine effektive gerichtliche Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der anwendbaren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, und daß dieses Erfordernis im Bereich der öffentlichen Aufträge durch den Erlaß besonderer Richtlinien über die Nachprüfung verschärft worden sei (Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. L 395, S. 33, und Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. L 76, S. 14). Den von diesen Richtlinien betroffenen Wirtschaftsteilnehmern stuenden entsprechend der Rechtsweggarantie die Rechtsbehelfe zu Gebote, die das nationale Recht unter Beachtung und unter Einschluß der Garantien, die ihnen der Vertrag sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofes böten, kenne.

24 Die Klägerin trägt vor, daß die Erklärung eines Sprechers der Kommission einen ausreichenden Beweis für das Vorliegen einer von der Kommission getroffenen Entscheidung darstelle (Urteil des Gerichts vom 24. März 1994 in der Rechtssache T-3/93, Air France/Kommission, Slg. 1994, II-121). Somit habe die Kommission am 29. März 1995 die Entscheidung erlassen, gegen die Griechische Republik kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

25 Die Entscheidung vom 29. März 1995 stelle eine Handlung dar, die endgültige Rechtswirkungen erzeuge, da sie die Untersuchung, die die Kommission aufgrund der Beschwerde der Klägerin vom 26. August 1994 eingeleitet habe, endgültig abgeschlossen habe (Urteil SFEI u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 27). Unter Bezugnahme auf die Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76 (Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875) und vom 4. Oktober 1983 in der Rechtssache 191/82 (Fediol/Kommission, Slg. 1983, 2913) führt die Klägerin aus, daß die Entscheidung, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, einer Entscheidung gleichzustellen sei, mit der die aufgrund einer Beschwerde im Wettbewerbsbereich eingeleitete Untersuchung abgeschlossen werde. In ihren Erklärungen zur Unzulässigkeitseinrede fügt sie hinzu, der Umstand, daß die Kommission nicht verpflichtet sei, den Gerichtshof anzurufen, bedeute nicht, daß die im vorprozessualen Verfahren erlassenen Akte keine Rechtswirkungen hätten.

26 Die Klägerin macht sodann geltend, daß sie in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Konsortiums AAA durch die angefochtene Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen sei. Nur die Mitglieder des Konsortiums AAA hätten nämlich aufgrund der Verletzungen des Gemeinschaftsrechts durch die griechischen Behörden einen Schaden erlitten. Die Entscheidung, das Verfahren nicht einzuleiten, die auf die Beschwerde des Konsortiums hin ergangen sei, individualisiere demnach die Mitglieder dieses Konsortiums in ähnlicher Weise wie den Adressaten (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213). Da sich die Entscheidung der Kommission unmittelbar auf ihre Stellung als Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen des Vergabeverfahrens auswirke, seien sie auch unmittelbar betroffen.

27 Die Anwendung der von der Kommission angeführten Rechtsprechung (siehe oben, Randnr. 21) in dieser Rechtssache sei auf jeden Fall ausgeschlossen, weil i) die ins Auge gefasste nationale Maßnahme rein individueller Art sei, weil ii) die von dem betreffenden Mitgliedstaat verletzten Regeln des Gemeinschaftsrechts zur Kategorie der Verfassungsgrundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung gehörten und weil iii) es zu dieser Verletzung im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gekommen sei, für die erhebliche Finanzbeiträge der Gemeinschaft vorgesehen seien.

28 Die vorliegende Klage sei nicht auf die Änderung einer Regelung allgemeiner Art gerichtet, sondern auf die Rücknahme eines Rechtsakts, dessen Bedeutung individuell und begrenzt sei, nämlich der Vergabe eines Auftrags an einen Konkurrenten. Es gehe mithin darum, den Richter mit einer Entscheidung der Kommission zu befassen, eine Wettbewerbsverzerrung nicht zu ahnden, nicht aber um die Kontrolle der Zweckmässigkeit einer Entscheidung, die sich auf staatliche Rechtsnormen beziehe. Der "self-restraint" des Gemeinschaftsrichters betreffe nur den letztgenannten Fall.

29 Die Zulässigkeit der Klage ergebe sich auch zwingend aus dem grundlegenden und Verfassungscharakter der verletzten Rechtsnorm, nämlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Die Kommission habe im Bereich der öffentlichen Aufträge die besondere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß für die Teilnahme an Ausschreibungen gleiche Bedingungen bestuenden und daß Diskriminierungen beseitigt würden (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1985 in der Rechtssache 118/83, CMC u. a./Kommission, Slg. 1985, 2325, Randnr. 44). Die angefochtene Entscheidung greife auch der Beurteilung vor, die die Kommission im Zusammenhang mit der Bewilligung oder Genehmigung einer Gemeinschaftsfinanzierung über die Ordnungsmässigkeit des Auftrags abgeben werde.

30 Das der Kommission in Artikel 169 EG-Vertrag eingeräumte Ermessen könne nicht zur Folge haben, daß die Kommission jeder Form der gerichtlichen Kontrolle entzogen sei (Urteil Fediol/Kommission, a. a. O., Randnr. 30). Diese Lösung wäre unvereinbar mit der Rechtsweggarantie, wie sie im Urteil des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84 (Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18) niedergelegt worden sei, mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und mit Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union. Gegen Entscheidungen der Kommission über die Einstellung eines Verfahrens müsse der Rechtsweg eröffnet sein, soweit es um individuelle Maßnahmen gehe, die eines der Grundrechte beeinträchtigten, die den einzelnen und den Unternehmen durch den Vertrag zuerkannt seien.

31 Die Abweisung der Klage als unzulässig wäre eine Rechtsverweigerung. Die Klägerin könne ihre Ansprüche vor den nationalen Gerichten nicht durchsetzen, da das griechische Recht kein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kenne, das es dem unterlegenen Konkurrenten ermögliche, die Aussetzung der regelwidrigen Vergabe eines Auftrags zu erreichen. Ausserdem seien die von der Kommission erwähnten Richtlinien in Griechenland noch nicht umgesetzt worden. In ihren Erklärungen zur Unzulässigkeitseinrede fügt sie hinzu, daß die "legislative Anerkennung", die das griechische Parlament vorgenommen habe, jede Anrufung der nationalen Gerichte blockiere, da den griechischen Verwaltungsgerichten die Kontrolle von Gesetzen untersagt sei.

° Würdigung durch das Gericht

32 Die gemäß Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag erhobene Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission gerichtet, der Aufforderung des Konsortiums AAA (zu dem die Klägerin gehört), gegen die Griechische Republik ein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung einzuleiten, nicht nachzukommen.

33 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Klage unzulässig, mit der einzelne die Weigerung der Kommission angreifen, gegen einen Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten (Urteil Lütticke u. a./Kommission, a. a. O., S. 40; Beschluß des Gerichtshofes vom 12. Juni 1992 in der Rechtssache C-29/92, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1992, I-3935, Randnr. 21; Beschlüsse des Gerichts in der Rechtssache Calvo Alonso-Cortés/Kommission, a. a. O., Randnr. 55, und vom 29. November 1994 in den Rechtssachen T-479/93 und T-559/93, Bernardi/Kommission, Slg. 1994, II-1115, Randnr. 27).

34 Die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts zur Unanfechtbarkeit einer Weigerung der Kommission, das in Artikel 169 EG-Vertrag vorgesehene Verfahren einzuleiten, beruht nicht nur auf dem Ermessen, das der Kommission in Artikel 169 EG-Vertrag selbst eingeräumt wird, sondern auch auf dem Grundsatz, daß eine ablehnende Entscheidung der Kommission nach der Art des Antrags zu beurteilen ist, den sie bescheidet (Urteil des Gerichtshofes vom 8. März 1972 in der Rechtssache 42/71, Nordgetreide/Kommission, Slg. 1972, 105, Randnr. 5).

35 Für die Bestimmung der Art der in der Beschwerde des Konsortiums AAA beantragten Handlung ist Artikel 169 EG-Vertrag erheblich, der folgendermassen lautet: "Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstossen, so gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme hierzu ab; sie hat dem Staat zuvor Gelegenheit zur Äusserung zu geben. Kommt der Staat dieser Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen."

36 Da nach Artikel 169 EG-Vertrag allein der Gerichtshof für die Feststellung zuständig ist, daß die Griechische Republik, wie die Klägerin behauptet, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und andere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts verstossen hat, kann die mit der Beschwerde des Konsortiums AAA beantragte Handlung nur die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission sein (vgl. insbesondere Urteil Lütticke u. a./Kommission, a. a. O., S. 39, und die Schlussanträge von Generalanwalt Gand in dieser Rechtssache, S. 41 und 44).

37 Aus dem Regelungszusammenhang des Artikels 169 EG-Vertrag ergibt sich, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme nur eine der eventuellen Erhebung einer Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof vorgeschaltete Phase darstellt, die deshalb nicht als eine im Wege der Nichtigkeitsklage anfechtbare Handlung angesehen werden kann. Die Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, stellt demnach ebenfalls eine unanfechtbare Handlung dar, ohne daß geprüft werden müsste, ob die Weigerung der Kommission die Klägerin unmittelbar und individuell betrifft.

38 Die Schwere der behaupteten Verletzung des Gemeinschaftsrechts und der angeblich individuelle Charakter der in der Beschwerde bezeichneten Handlung der griechischen Regierung sowie das etwaige Fehlen effektiver interner Rechtsbehelfe sind im übrigen auf keinen Fall Faktoren, die die rechtliche Qualifizierung des von dem Beschwerdeführer beantragten Aktes ändern können.

39 Nach alledem ist der Antrag auf Nichtigerklärung unzulässig.

Zu dem auf Artikel 175 EG-Vertrag gestützten Hilfsantrag

° Vorbringen der Parteien

40 In ihrer Einrede der Unzulässigkeit trägt die Kommission vor, daß nach ständiger Rechtsprechung eine auf Artikel 175 EG-Vertrag gestützte Klage unzulässig sei, mit der festgestellt werden solle, daß es die Kommission dadurch unter Verletzung des Vertrages unterlassen habe, einen Beschluß zu fassen, daß sie gegen einen Mitgliedstaat kein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung eingeleitet habe, (Urteil Star Fruit/Kommission, a. a.O., Randnrn. 11 bis 14; Beschluß des Gerichtshofes vom 30. März 1990 in der Rechtssache C-371/89, Emrich/Kommission, Slg. 1990, I-1555, Randnrn. 5 bis 7; Beschluß Century Oils Hellas/Kommission, a. a. O., Randnrn. 12 bis 16).

41 Die Klägerin weist darauf hin, daß das Konsortium AAA die Kommission am 20. Februar 1995 aufgefordert habe, gegenüber der Griechischen Republik tätig zu werden. Falls das Gericht die Auffassung vertreten sollte, daß die Kommission bei ihrer Beratung am 29. März 1995 keine Entscheidung getroffen habe, befinde sich die Kommission seit dem 21. April 1995 im Zustand der Säumnis. In ihren Erklärungen zur Unzulässigkeitseinrede hat die Klägerin jedoch ausgeführt, daß der Antrag auf Feststellung der Untätigkeit in Anbetracht des Umstands, daß die Kommission nach eigenem Vorbringen Stellung genommen habe, gegenstandslos geworden sei.

° Würdigung durch das Gericht

42 Soweit die Klage auf Artikel 175 Absatz 3 EG-Vertrag gestützt wird, ist sie auf die Feststellung gerichtet, daß es die Kommission dadurch, daß sie gegen die Griechische Republik kein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung eingeleitet hat, unterlassen hat, einen Beschluß zu fassen, und somit den Vertrag verletzt hat.

43 Die Kommission hat jedoch durch den Erlaß der streitigen Entscheidung vom 29. März 1995 im Sinne von Artikel 175 Stellung genommen. Nach gefestigter Rechtsprechung (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1988 in den Rechtssachen 166/86 und 220/86, Irish Cement Ltd/Kommission, Slg. 1988, 6473, Randnr. 17) meint Artikel 175 aber die Untätigkeit durch Nichtbescheidung oder Nichtstellungnahme und nicht den Erlaß eines anderen als des von den Betroffenen gewünschten oder für notwendig erachteten Rechtsakts.

44 Ausserdem setzt die Untätigkeitsklage nach Artikel 175 EG-Vertrag voraus, daß eine Verpflichtung des betreffenden Organs zum Tätigwerden besteht, so daß die behauptete Unterlassung gegen den Vertrag verstösst. Aus Sinn und Wesen des Artikels 169 EG-Vertrag ergibt sich aber, daß die Kommission nicht verpflichtet ist, ein Verfahren nach dieser Vorschrift einzuleiten, sondern insoweit über ein Ermessen verfügt, das ein Recht einzelner ausschließt, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen (Urteil Star Fruit/Kommission, a. a. O., Randnr. 11; Beschluß Bernardi/Kommission, a. a. O., Randnr. 31).

45 Der vorliegende Antrag auf Feststellung der Untätigkeit ist folglich unzulässig.

46 Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang für unzulässig zu erklären. Unter diesen Umständen hat sich der Streithilfeantrag der Griechischen Republik erledigt.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, hat sie ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission zu tragen.

48 Nach Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Falls der Griechischen Republik aufgrund ihres Antrags auf Zulassung als Streithelferin in dem vorliegenden Rechtsstreit Kosten entstanden sind, hat sie diese selbst zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Der Streithilfeantrag hat sich erledigt.

3. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission. Die Griechische Republik trägt die Kosten, die ihr aufgrund der Einreichung ihres Streithilfeantrags entstanden sind.

Luxemburg, den 13. November 1995

Ende der Entscheidung

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