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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 09.09.1999
Aktenzeichen: T-127/98
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 99/63, EG-Vertrag


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 99/63 Art. 6
EG-Vertrag Art. 86
EG-Vertrag Art. 90
EG-Vertrag Art. 92
EG-Vertrag Art. 93
EG-Vertrag Art. 175
EG-Vertrag Art. 176
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage ist zu prüfen, ob ein Organ zu der Zeit, als es nach Artikel 175 EG-Vertrag (jetzt Artikel 232 EG) zum Tätigwerden aufgefordert wurde, eine Verpflichtung zum Handeln hatte.

Wenn eine Beschwerde wegen Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln in ihre dritte Phase eintritt, in der der Beschwerdeführer seine Bemerkungen zu der Mitteilung gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 abgibt, ist die Kommission verpflichtet, innerhalb einer angemessenen Frist entweder ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die Beschwerde richtet, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu erlassen.

Die Angemessenheit der Dauer eines Verwaltungsverfahrens beurteilt sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere nach dessen Kontext, den verschiedenen Verfahrensabschnitten, die die Kommission zu durchlaufen hat, dem Verhalten der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie ihrer Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten. Im speziellen Rahmen eines Verfahrens zu Prüfung einer Beschwerde wegen Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln sind, wenn das Verfahren in seine dritte Phase eingetreten ist, die bereits abgelaufenen Untersuchungsjahre, der gegenwärtige Stand der Untersuchung und das Verhalten der Beteiligten insgesamt zu berücksichtigen.

2 Das Gericht ist nicht befugt, den Gemeinschaftsorganen Anweisungen zu erteilen. Folglich hat das Gericht gemäß Artikel 175 EG-Vertrag (jetzt Artikel 232 EG) nur die Möglichkeit, das Vorliegen einer rechtswidrigen Untätigkeit festzustellen. Anschließend obliegt es gemäß Artikel 176 EG-Vertrag (jetzt Artikel 233 EG) dem betroffenen Organ, die sich aus dem Urteil des Gerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte Kammer) vom 9. September 1999. - UPS Europe SA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Untätigkeitsklage - Untersuchungspflicht der Kommission - Angemessene Frist. - Rechtssache T-127/98.

Entscheidungsgründe:

Der Klage zugrunde liegender Sachverhalt

1 Die Klägerin ist eine der Gesellschaften der Gruppe United Parcel Service (im folgenden: UPS), die weltweit Pakete zustellt. Sie hat in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, darunter in Deutschland, Zweigniederlassungen.

2 Mit Schreiben vom 7. Juli 1994 legte die Klägerin bei der Kommission Beschwerde ein und beantragte, ein Verfahren einzuleiten, um u. a. festzustellen, daß das mißbräuchliche Verhalten der Deutschen Bundespost - jetzt Deutsche Post AG (im folgenden: Deutsche Post) - auf dem Markt für Postdienste und die Quersubventionierung des Postdienstes gegen die Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG), 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 EG), 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) und 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) verstießen.

3 Nach einem Treffen zwischen der Klägerin und der Kommission im August 1994 sandte die Kommission am 11. August 1994 die Beschwerde und ein erstes Schreiben gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204; im folgenden: Verordnung Nr. 17), an die Deutsche Post, die darauf am 24. November 1994 antwortete. Die nichtvertrauliche Fassung dieser Antwort wurde der Klägerin am 28. November 1994 durch die Kommission zugesandt. Sie war ausserdem Gegenstand einer Erörterung zwischen der Klägerin und der Kommission.

4 Mit Schreiben vom 21. März 1995 teilte die Kommission der Klägerin mit, daß ihre Beschwerde nur im Hinblick auf Artikel 86 des Vertrages geprüft werde und daß sie, wenn sie dies wünsche, eine gesonderte, im wesentlichen auf weitere Beweise gestützte Beschwerde auf der Grundlage von Artikel 92 des Vertrages einlegen könne.

5 Am 3. April 1995 nahm die Klägerin zur Antwort der Deutschen Post vom 24. November 1994 Stellung.

6 Am 10. Juli 1995 sandte die Kommission der Deutschen Post ein zweites Schreiben gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17. Die Deutsche Post antwortete darauf am 2. Oktober 1995.

7 Am 13. Dezember 1995 erkundigte sich die Klägerin bei der Kommission nach den Fortschritten bezueglich ihrer Beschwerde wegen Artikel 86 des Vertrages.

8 Am 30. April 1996 sandte die Kommission der Deutschen Post ein drittes Schreiben gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17. Die Deutsche Post antwortete darauf mit Schreiben vom 31. Mai, 27. Juni und 12. September 1996.

9 Am 19. November 1996 übermittelte der Anwalt der Klägerin der Kommission unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Artikel 175 EG-Vertrag (jetzt Artikel 232 EG) ein Mahnschreiben.

10 Auf dieses Schreiben sandte Herr Temple Lang, Direktor in der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission (GD IV), der Deutschen Post am 24. Januar 1997 eine Mitteilung, in der er erklärte:

"Die Generaldirektion Wettbewerb unterrichtet Sie hiermit davon, daß sie auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen beabsichtigt, ablehnend zu dem Verhalten, über das sich UPS beschwert hat, Stellung zu nehmen und eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zu verfassen, um der Kommission vorzuschlagen, den Erlaß einer negativen Entscheidung ins Auge zu fassen. Die Beschwerdepunkte der Kommission in bezug auf das genannte Verhalten werden Ihnen nach den gewöhnlichen Verfahren in einer umfassend begründeten Mitteilung übermittelt werden."

Weiter hieß es:

"Angesichts der derzeitigen Prioritäten der Kommission und ihrer augenblicklichen Arbeitslast gilt für das weitere Vorgehen in dieser Sache folgender vorläufiger Zeitplan:

- Mitteilung der Beschwerdepunkte im April 1997;

- schriftliche Bemerkungen der Parteien im Juni 1997;

- Anhörung im Juli 1997;

- Beratender Ausschuß im September 1997;

- endgültige Entscheidung im Herbst 1997."

11 Auf dieses Schreiben antwortete die Deutsche Post am 28. Februar 1997.

12 Am 3. Juli 1997 antwortete die Kommission auf eine erneute Anfrage der Klägerin nach den Fortschritten in der Sache und teilte ihr mit, daß die Prüfung der Angelegenheit aufgrund der am 23. Januar 1997 eingelegten Beschwerde eines weiteren Konkurrenten der Deutschen Post länger dauern werde.

13 Am 3. Juli 1997 beauftragte die Kommission darüber hinaus eine externe Beraterfirma, einen Bericht zu den von der Deutschen Post vorgelegten Studien zu erstellen. Diesen Bericht erhielt sie am 11. September 1997.

14 Mit Schreiben vom 25. August 1997 teilte Herr Temple Lang der Klägerin mit, daß die Kommission das Verfahren gemäß Artikel 86 des Vertrages bis auf weiteres einstellen und gemäß Artikel 92 des Vertrages fortführen werde.

15 Am 22. Oktober 1997 forderte die Klägerin die Kommission unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Artikel 175 des Vertrages offiziell auf, Stellung zu ihrer Beschwerde vom 7. Juli 1994 zu nehmen und den im Schreiben vom 25. August 1997 eingenommenen Standpunkt zum Verfahren gegen die Deutsche Post gemäß Artikel 86 des Vertrages zu überdenken.

16 Am 19. Dezember 1997 sandte der Generaldirektor der GD IV der Klägerin ein Schreiben, in dem auf Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268; im folgenden: Verordnung Nr. 99/63) Bezug genommen wurde. In diesem Schreiben führte der Generaldirektor aus:

"Wie oben dargelegt, ist die Kommission daher der Auffassung, daß Ihre Beschwerde im Moment nur insoweit zu prüfen ist, als mit ihr Verstösse gegen die Bestimmungen über staatliche Beihilfen geltend gemacht werden. Die Kommission wird Anfang des nächsten Jahres das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag einleiten... Aufgrund des Vorstehenden sind die Dienststellen der Kommission zu dem Ergebnis gelangt, daß es keine Gründe dafür gibt, Ihrem Antrag stattzugeben, soweit Artikel 86 EG-Vertrag betroffen ist."

Der Generaldirektor forderte die Klägerin zudem auf, ihre Bemerkungen mitzuteilen. Er schloß jedoch nicht aus, das Verfahren wegen Artikel 86 des Vertrages erneut einzuleiten.

17 Mit Schreiben vom 2. Februar 1998 teilte die Klägerin ihre Bemerkungen zu dem Schreiben vom 19. Dezember 1997 mit und wandte sich gegen die Absicht der Kommission, die Untersuchung bezueglich Artikel 86 des Vertrages nicht fortzusetzen. Sie forderte die Kommission auf, ihre Beschwerde, falls sie dies wolle, innerhalb angemessener Frist durch eine förmliche Entscheidung zurückzuweisen.

18 Am 2. Juni 1998 sandte die Klägerin der Kommission unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Artikel 175 des Vertrages ein Mahnschreiben mit der Aufforderung, eine endgültige Entscheidung bezueglich des Verfahrens gegen die Deutsche Post gemäß Artikel 86 des Vertrages zu erlassen.

Verfahren und Anträge der Parteien

19 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 7. August 1998 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

20 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen gemäß Artikel 64 der Verfahrensordnung ist jedoch die Klägerin aufgefordert worden, eine Frage schriftlich zu beantworten.

21 Die Parteien haben in der Sitzung vom 9. März 1999 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

22 Die Klägerin beantragt,

- gemäß Artikel 175 des Vertrages festzustellen, daß die Kommission untätig geblieben ist, da sie keine Entscheidung über die am 7. Juli 1994 von der Klägerin eingelegte Beschwerde erlassen hat;

- der Beklagten die Kosten aufzuerlegen;

- weitere Maßnahmen zu treffen, die das Gericht für geeignet hält.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ferner beantragt, der Kommission eine Frist von einem Monat zu setzen, um gemäß Artikel 176 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 233 EG) nach Urteilsverkündung die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

23 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zum Antrag auf Feststellung der Untätigkeit

Vorbringen der Parteien

24 Die Klägerin vertritt unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofes vom 18. März 1997 in der Rechtssache C-282/95 P (Guérin automobiles/Kommission, Slg. 1997, I-1503, Randnr. 36) die Auffassung, daß die Kommission nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet sei, entweder ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die Beschwerde richte, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu erlassen, wenn der Beschwerdeführer seine Bemerkungen zu dem Schreiben gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 mitgeteilt habe.

25 Die Entscheidung der Kommission müsse gemäß den Grundsätzen der ordnungsgemässen Verwaltung innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Eingang der Bemerkungen des Beschwerdeführers erlassen werden (Urteil Guérin automobiles/Kommission, a. a. O., Randnr. 37). Als sie die vorliegende Klage erhoben habe, also sechs Monate nach Abgabe ihrer Bemerkungen, habe die Kommission immer noch nicht ihre Entscheidung erlassen.

26 Im übrigen habe sie ihre Beschwerde ursprünglich im Juli 1994 eingelegt; die Kommission habe somit mehr als vier Jahre Zeit gehabt, um sie zu prüfen.

27 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ferner vorgetragen, daß die Artikel 86 und 92 des Vertrages einander nicht ausschlössen. Die Kommission sei daher verpflichtet gewesen, die Untersuchung auf der Grundlage dieser beiden Vorschriften auf die gleiche Art und Weise und gleichzeitig durchzuführen.

28 Die Beklagte macht geltend, mit der Beschwerde werde insbesondere beanstandet, daß die Deutsche Post Einkünfte aus ihrem Briefmarktmonopol für eine Quersubventionierung ihrer Paketdienste verwende. Die Beschwerde werfe komplexe Fragen der wirtschaftlichen Analyse auf, vor allem hinsichtlich der von der Deutschen Post verlangten Preise und ihrer Kostenstruktur. Sie verlange von der Kommission ausserdem, daß sie den Umfang der Verpflichtungen der Deutschen Post zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen untersuche. Die Kommission müsse auch noch eine Parallelbeschwerde gegen die Deutsche Post berücksichtigen.

29 Nach Eingang des Schreibens der Klägerin vom 2. Februar 1998 habe sie ihren Standpunkt überdacht und beschlossen, die Untersuchung im Hinblick auf Artikel 86 des Vertrages erneut einzuleiten und ihre Ermittlungen nach Artikel 92 des Vertrages einzustellen. Dieses neue Vorgehen erfordere jedoch eine gründliche Prüfung, die nicht innerhalb weniger Wochen abgeschlossen werden könne.

30 Unter diesen Umständen könne man vernünftigerweise nicht erwarten, daß sie ihre Untersuchung in diesem Stadium abgeschlossen habe, was ausschließe, daß sie sich einer Untätigkeit schuldig gemacht habe.

31 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erläutert, daß sie wahrscheinlich praktisch einen Verstoß gegen Artikel 175 des Vertrages begangen habe, daß sie aber im vorliegenden Fall nicht hätte anders handeln können. Die Klägerin habe einen Anspruch darauf, daß eine Entscheidung darüber ergehe, ob ein Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages vorliege, doch angesichts der Umstände habe sie die möglicherweise begründete Beschwerde nicht zurückweisen wollen.

32 Die Kommission räumt ein, daß die Artikel 86 und 92 des Vertrages einander nicht ausschlössen, sie fügt aber hinzu, daß es eine Verschwendung von Ressourcen wäre, wenn man den Verstoß gegen diese beiden Artikel gleichzeitig prüfen würde.

Würdigung durch das Gericht

33 Zunächst ist zu klären, welchen Gegenstand der Klageantrag auf Feststellung der Untätigkeit hat. Dieser Antrag ist auf die Feststellung gerichtet, daß die Kommission hinsichtlich der Beschwerde der Klägerin vom 7. Juli 1994 untätig geblieben ist, da sechs Monate verstrichen waren, seit die Klägerin am 2. Februar 1998 ihre Bemerkungen zu dem Schreiben der Kommission vom 19. Dezember 1997 gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 mitgeteilt hatte. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte eingeräumt, daß sie wahrscheinlich praktisch einen Verstoß gegen Artikel 175 des Vertrages begangen habe, und nicht bestritten, daß der Antrag auf Feststellung der Untätigkeit den oben genannten Gegenstand hat. Im übrigen hat die Klägerin auf eine schriftliche Frage des Gerichts bestätigt, daß ihre Klageschrift nur die etwaige Untätigkeit der Kommission bei der Prüfung ihrer auf Artikel 86 des Vertrages gestützten Beschwerde betreffe.

34 Um über die Begründetheit des Antrags auf Feststellung der Untätigkeit entscheiden zu können, ist zu prüfen, ob die Kommission zu der Zeit, als sie nach Artikel 175 des Vertrages zum Tätigwerden aufgefordert wurde, eine Verpflichtung zum Handeln hatte (Urteil des Gerichts vom 15. September 1998 in der Rechtssache T-95/96, Gestevisión Telecinco/Kommission, Slg. 1998, II-3407, Randnr. 71).

35 Nach der Rechtsprechung stellt ein an den Beschwerdeführer gerichtetes Schreiben, das den Voraussetzungen von Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 entspricht, eine Stellungnahme gemäß Artikel 175 Absatz 2 des Vertrages dar (Urteil des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1979 in der Rechtssache 125/78, GEMA/Kommission, Slg. 1979, 3173, Randnr. 21). Eine solche Stellungnahme beendet die Untätigkeit der Kommission (Urteil Guérin automobiles/Kommission, a. a. O., Randnrn. 30 und 31).

36 Es entspricht ebenfalls ständiger Rechtsprechung, daß die Kommission, wenn der Beschwerdeführer seine Bemerkungen zu der Mitteilung gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 abgegeben hat, verpflichtet ist, entweder ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die Beschwerde richtet, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu erlassen, die mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Gemeinschaftsrichter angefochten werden kann (Urteil Guérin automobiles/Kommission, a. a. O., Randnr. 36).

37 Die endgültige Entscheidung der Kommission muß nach derselben Rechtsprechung gemäß den Grundsätzen der ordnungsgemässen Verwaltung innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Eingang der Bemerkungen des Beschwerdeführers erlassen werden (Urteil Guérin automobiles/Kommission, a. a. O., Randnr. 37).

38 Die Angemessenheit der Dauer eines Verwaltungsverfahrens beurteilt sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere nach dessen Kontext, den verschiedenen Verfahrensabschnitten, die die Kommission zu durchlaufen hat, dem Verhalten der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie ihrer Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten (Urteile des Gerichts vom 19. März 1997 in der Rechtssache T-73/95, Oliveira/Kommission, Slg. 1997, II-381, Randnr. 45, und vom 22. Oktober 1997 in den Rechtssachen T-213/95 und T-18/96, SCK und FNK/Kommission, Slg. 1997, II-1739, Randnr. 57).

39 Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerde der Klägerin am 7. Juli 1994 eingelegt. Am 2. Februar 1998 gab die Klägerin ihre Bemerkungen zu der gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 zugesandten Mitteilung vom 19. Dezember 1997 ab. Am 2. Juni 1998 wurde die Kommission zum Tätigwerden aufgefordert, und die Klageschrift ist am 7. August 1998 beim Gericht eingereicht worden. Folglich waren zu dem Zeitpunkt, als die Kommission gemäß Artikel 175 des Vertrages zum Tätigwerden aufgefordert wurde, und im Zeitpunkt der Klageerhebung vier und sechs Monate seit dem Eingang der Bemerkungen der Klägerin verstrichen.

40 Um beurteilen zu können, ob diese Zeiträume ausreichten, ist zu prüfen, was die Kommission in dieser Zeit hätte unternehmen müssen. Wie das Gericht in seinem Urteil vom 10. Juli 1990 in der Rechtssache T-64/89 (Automec/Kommission, Slg. 1990, II-367, Randnrn. 45 bis 47) ausgeführt hat, besteht das Verfahren zur Prüfung einer Beschwerde aus drei aufeinanderfolgenden Phasen. Während der ersten Phase nach der Einreichung der Beschwerde ermittelt die Kommission die Umstände, die ihr die Entscheidung darüber ermöglichen, wie sie die Beschwerde weiter behandeln soll. Diese Phase kann einen informellen Meinungsaustausch zwischen der Kommission und dem Beschwerdeführer umfassen, durch den die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die Gegenstand der Beschwerde sind, geklärt werden sollen und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben werden soll, seinen Standpunkt darzulegen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung einer ersten Reaktion der Dienststellen der Kommission. In der zweiten Phase legt die Kommission dem Beschwerdeführer in einer Mitteilung im Sinne von Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 die Gründe dar, aus denen sie es nicht für gerechtfertigt hält, seiner Beschwerde stattzugeben, und gibt ihm Gelegenheit, innerhalb einer von ihr gesetzen Frist Bemerkungen vorzubringen. In der dritten Phase des Verfahrens nimmt die Kommission von den Bemerkungen des Beschwerdeführers Kenntnis. Obwohl Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 diese Möglichkeit nicht ausdrücklich vorsieht, ist die Kommission am Ende dieses Abschnitts verpflichtet, entweder ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die Beschwerde richtet, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu erlassen, die mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Gemeinschaftsrichter angefochten werden kann (Urteil Guérin automobiles/Kommission, a. a. O., Randnr. 36).

41 Als im vorliegenden Fall die Klägerin die Kommission am 2. Juni 1998 gemäß Artikel 175 des Vertrages aufforderte, zu ihrer Beschwerde Stellung zu nehmen, befand sich das Verfahren zur Prüfung der Beschwerde in seiner dritten und letzten Phase. Die Kommission war mit der Beschwerde wegen Verstosses gegen Artikel 86 des Vertrages seit 47 Monaten befasst und hatte bereits mit der Untersuchung der Angelegenheit begonnen. Um zu prüfen, ob der Zeitraum zwischen den Bemerkungen der Klägerin zu der Mitteilung gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 und der Aufforderung der Kommission zum Tätigwerden vertretbar ist, sind folglich die bereits abgelaufenen Untersuchungsjahre, der gegenwärtige Stand der Untersuchung und das Verhalten der Beteiligten insgesamt zu berücksichtigen.

42 Danach musste die Kommission zum Zeitpunkt der Aufforderung entweder ein Verfahren gegen die Person einleiten, gegen die sich die Beschwerde richtete, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde erlassen. Sie konnte nicht erneut in die Prüfung der Beschwerde eintreten. Daher kann dem Verteidigungsvorbringen der Kommission nicht gefolgt werden, daß die Situation erst nach Eingang der Bemerkungen der Klägerin zur Mitteilung gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 überdacht worden sei und man vernünftigerweise nicht erwarten könne, daß sie ihre Untersuchung in diesem Stadium - kurz nachdem sie beschlossen habe, sich auf den Verstoß gegen Artikel 86 des Vertrages zu konzentrieren - abgeschlossen habe.

43 Die Kommission hätte vielmehr vernünftigerweise in der Lage sein müssen, entweder ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die Beschwerde richtete, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu erlassen, es sei denn, sie hätte nachweisen können, daß aussergewöhnliche Umstände den Ablauf derartiger Zeiträume rechtfertigten (Urteil Gestevisión Telecinco/Kommission, a. a. O., Randnr. 81).

44 Es ist jedoch festzustellen, daß keines der von der Kommission vorgebrachten Argumente ihre Untätigkeit in den betreffenden Zeiträumen rechtfertigen kann.

45 Im übrigen bestreitet die Kommission ihre Verpflichtung zum Tätigwerden nicht. Zudem hat sie auf eine Frage des Gerichts bestätigt, daß zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seit Eingang der Bemerkungen der Klägerin zum Schreiben vom 19. Dezember 1997 keine konkrete Maßnahme bezueglich ihrer Beschwerde gemäß Artikel 86 des Vertrages getroffen worden sei. Sie hat somit eingeräumt, daß sie nach wie vor weder ein Verfahren gegen die Person eingeleitet hat, gegen die sich die Beschwerde richtete, noch eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde erlassen hat. In der mündlichen Verhandlung hat sie sogar eingeräumt, daß ihr Handeln im vorliegenden Fall nicht "beeindruckend" gewesen sei und daß offenkundig ein Verstoß gegen Artikel 175 des Vertrages vorliege.

46 Nach alledem befand sich die Kommission am 2. August 1998, als die Frist von zwei Monaten nach Eingang der Aufforderung zum Tätigwerden vom 2. Juni 1998 ablief, im Zustand der Untätigkeit, da sie es unterlassen hat, ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die am 7. Juli 1994 eingereichte Beschwerde der Klägerin richtete, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung dieser Beschwerde zu erlassen.

47 Der Antrag auf Feststellung der Untätigkeit bezueglich Artikel 86 des Vertrages ist somit begründet.

Zum Antrag, der Kommission eine Frist von einem Monat zum Tätigwerden gemäß Artikel 176 des Vertrages zu setzen

Vorbringen der Parteien

48 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin beantragt, der Kommission eine Frist von einem Monat zu setzen, um gemäß Artikel 176 Absatz 1 des Vertrages nach Urteilsverkündung die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Andernfalls müsste eine weitere Klage gemäß Artikel 175 des Vertrages erhoben werden. Dieser Antrag sei angesichts der allgemein gehaltenen Formulierung des dritten Klageantrags zulässig.

49 Die Kommission bestreitet, daß das Gericht zur Auferlegung einer derartigen Pflicht befugt sei.

Würdigung durch das Gericht

50 Dieser Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Das Gericht ist nämlich nicht befugt, den Gemeinschaftsorganen Anweisungen zu erteilen (Beschluß des Gerichts vom 12. November 1996 in der Rechtssache T-47/96, SDDDA/Kommission, Slg. 1996, II-1559, Randnr. 45). Folglich hat das Gericht gemäß Artikel 175 des Vertrages nur die Möglichkeit, das Vorliegen einer rechtswidrigen Untätigkeit festzustellen. Anschließend obliegt es gemäß Artikel 176 des Vertrages dem betroffenen Organ, die sich aus dem Urteil des Gerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.

Kostenentscheidung:

Kosten

51 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

52 Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Klägerin deren Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Kommission hat gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen, indem sie es nach Eingang der Bemerkungen vom 2. Februar 1998 zur Mitteilung an die Klägerin gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rates unterlassen hat, ein Verfahren gegen die Person einzuleiten, gegen die sich die am 7. Juli 1994 eingereichte Beschwerde der Klägerin richtete, oder eine endgültige Entscheidung über die Zurückweisung dieser Beschwerde zu erlassen.

2. Im übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

3. Die Kommission trägt die Kosten der Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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