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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 27.09.2005
Aktenzeichen: T-134/03
Rechtsgebiete: Verordnung EG Nr. 3319/94, Verordnung EWG Nr. 2913/92


Vorschriften:

Verordnung EG Nr. 3319/94 Art. 1 Abs. 3
Verordnung EWG Nr. 2913/92 Art. 239
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

27. September 2005(*)

"Erlass von Einfuhrabgaben - Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 3319/94 - Direkte Inrechnungstellung gegenüber dem Einführer - Begriff 'Sachverständigengruppe' im Sinne des Artikels 907 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 - Verteidigungsrechte - 'Offensichtliche Fahrlässigkeit' im Sinne des Artikels 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 - Begründungspflicht"

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen T-134/03 und T-135/03

Common Market Fertilizers SA mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Barrister A. Sutton und Rechtsanwältin N. Flandin,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidungen C (2002) 5217 final und C (2002) 5218 final der Kommission vom 20. Dezember 2002, mit denen jeweils festgestellt wurde, dass der Erlass von Einfuhrabgaben in einem besonderen Fall nicht gerechtfertigt sei,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf, der Richter J. D. Cooke und R. García-Valdecasas sowie der Richterinnen I. Labucka und V. Trstenjak,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Artikel 1 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 3319/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Lösungen von Harnstoff und Ammoniumnitrat mit Ursprung in Bulgarien und Polen, die von zollpflichtigen Unternehmen exportiert werden, und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls (ABl. L 350, S. 20) legt folgenden festen Antidumpingzoll fest:

"Auf die in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführten Einfuhren, die dem unabhängigen Einführer nicht direkt von einem der vorgenannten, in Polen niedergelassenen Ausführer oder Hersteller in Rechnung gestellt werden, wird folgender fester Zoll eingeführt:

für die Ware ..., die nachweislich von Zaklady Azotowe Pulawy hergestellt wird ...[, gilt] ein fester Zoll von 19 ECU je Tonne ... (Taric-Zusatzcode: 8795)."

2 Artikel 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) bestimmt:

"(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2) Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist ... bei der zuständigen Zollstelle zu stellen."

3 Nach Artikel 4 Nummer 24 des Zollkodex ist bei der Anwendung dieses Kodex unter Ausschussverfahren u. a. das in den Artikeln 247 und 247a genannte Verfahren zu verstehen.

4 Nach Artikel 247 des Zollkodex werden "[d]ie zur Durchführung dieses Kodex erforderlichen Maßnahmen ... nach dem Regelungsverfahren des Artikels 247a Absatz 2 erlassen".

5 In Artikel 247a des Zollkodex heißt es:

"(1) Die Kommission wird von einem Ausschuss für den Zollkodex (nachstehend 'Ausschuss' genannt) unterstützt.

(2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG ...

(3) Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung."

6 Artikel 4 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex lautet:

"(1) Das Einberufungsschreiben, die Tagesordnung und die Maßnahmenentwürfe, zu denen der Ausschuss um Stellungnahme ersucht wird, sowie alle sonstigen Arbeitsunterlagen werden den Ständigen Vertretungen und den Ausschussmitgliedern vom Vorsitzenden gemäß Artikel 14 Absatz 2 in der Regel spätestens 14 Kalendertage vor dem Sitzungstermin übermittelt.

(2) In dringenden Fällen und wenn die zu erlassenden Maßnahmen sofort vollzogen werden müssen, kann der Vorsitzende auf Antrag eines Ausschussmitglieds oder von sich aus die Frist gemäß Absatz 1 auf 5 Kalendertage vor dem Sitzungstermin verkürzen.

(3) In äußerst dringenden Fällen kann der Vorsitzende von den Fristen gemäß den Absätzen 1 und 2 abweichen. Wird vorgeschlagen, im Laufe einer Sitzung eine Frage auf die Tagesordnung dieser Sitzung zu setzen, so ist hierzu die Zustimmung der einfachen Mehrheit der Ausschussmitglieder erforderlich."

7 Artikel 5 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 184, S. 23, im Folgenden: Komitologiebeschluss) bestimmt:

"Regelungsverfahren

(1) Die Kommission wird von einem Regelungsausschuss unterstützt, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt.

(2) Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen. Der Ausschuss gibt seine Stellungnahme zu diesem Entwurf innerhalb einer Frist ab, die der Vorsitzende unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der betreffenden Frage festsetzen kann. Die Stellungnahme wird mit der Mehrheit abgegeben, die in Artikel 205 Absatz 2 [EG] für die Annahme der vom Rat auf Vorschlag der Kommission zu fassenden Beschlüsse vorgesehen ist. Bei der Abstimmung im Ausschuss werden die Stimmen der Vertreter der Mitgliedstaaten gemäß dem vorgenannten Artikel gewogen. Der Vorsitzende nimmt an der Abstimmung nicht teil.

(3) Die Kommission erlässt unbeschadet des Artikels 8 die beabsichtigten Maßnahmen, wenn sie mit der Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmen.

(4) Stimmen die beabsichtigten Maßnahmen mit der Stellungnahme des Ausschusses nicht überein oder liegt keine Stellungnahme vor, so unterbreitet die Kommission dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen und unterrichtet das Europäische Parlament.

..."

8 Artikel 905 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (ABl. L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 (ABl. L 212, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt u. a.:

"(1) Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach Artikel 899 zu entscheiden, und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor.

Außer im Falle von Zweifeln der zur Entscheidung befugten Zollbehörde kann diese selbst entscheiden, ob die Abgaben erstattet oder erlassen werden, wenn nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen des Artikels 239 Absatz 1 Zollkodex erfüllt sind und der betreffende Betrag bei einem Wirtschaftsbeteiligten infolge derselben besonderen Umstände und gegebenenfalls mehrerer Einfuhr- oder Ausfuhrtatbestände unter 50 000 ECU liegt.

Der Begriff 'Beteiligte' ist in gleicher Weise wie in Artikel 899 auszulegen.

In allen anderen Fällen lehnt die Entscheidungszollbehörde den Antrag ab.

(2) Die der Kommission übermittelte Vorlage muss alle für eine vollständige Prüfung des Falles notwendigen Angaben enthalten. Sie muss ferner eine Erklärung enthalten, die von demjenigen unterzeichnet ist, der die Erstattung oder den Erlass beantragt, und in der dieser bestätigt, dass er die Vorlage einsehen konnte, und angibt, dass er nichts hinzuzufügen hat bzw. welche zusätzlichen Angaben darin aufgenommen werden sollten.

Die Kommission bestätigt dem betreffenden Mitgliedstaat unverzüglich den Eingang der Vorlage.

Die Kommission kann zusätzliche Angaben anfordern, wenn sich herausstellt, dass die von dem Mitgliedstaat mitgeteilten Angaben nicht ausreichen, um in voller Kenntnis der Sachlage über den Fall zu entscheiden."

9 Artikel 906 der Durchführungsverordnung lautet:

"Innerhalb von fünfzehn Tagen nach Eingang der Vorlage gemäß Artikel 905 Absatz 2 übersendet die Kommission den Mitgliedstaaten eine Abschrift davon.

Die Vorlage wird so bald wie möglich auf die Tagesordnung des Ausschusses gesetzt."

10 Nachdem sich der Sachverhalt zugetragen hatte, wurde Artikel 906 Absatz 2 der Durchführungsverordnung durch die Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. Juli 2003 zur Änderung der Durchführungsverordnung (ABl. L 187, S. 16) wie folgt geändert:

"Der Fall wird so bald wie möglich auf die Tagesordnung der Sachverständigengruppe gemäß Artikel [873?(1)?] gesetzt."

11 Artikel 906a der Durchführungsverordnung lautet:

"In allen Phasen des Verfahrens nach den Artikeln 906 und 907 teilt die Kommission, wenn sie eine Entscheidung zu Lasten des die Erstattung oder den Erlass beantragenden Beteiligten treffen will, diesem in einem Schreiben alle der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente mit und übersendet ihm alle Unterlagen, auf die sie die Entscheidung stützt. Der die Erstattung oder den Erlass beantragende Beteiligte nimmt innerhalb eines Monats, gerechnet vom Datum dieses Schreibens, schriftlich Stellung. Hat er seine Stellungnahme nicht innerhalb dieser Frist abgegeben, so wird davon ausgegangen, dass er auf das Recht zur Stellungnahme verzichtet."

12 Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt:

"Nach Anhörung einer Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und im Rahmen des Ausschusses zur Prüfung des Falles zusammentritt, entscheidet die Kommission, ob die besonderen Umstände die Erstattung oder den Erlass rechtfertigen oder nicht."

13 Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) bestimmt:

"Schriftstücke, die ein Organ der Gemeinschaft an einen Mitgliedstaat oder an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person richtet, sind in der Sprache dieses Staates abzufassen."

Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

14 Die Klägerin mit Sitz in Belgien betreibt einen Großhandel mit chemischen Erzeugnissen, u. a. mit Stickstofflösungen (Harnstoff und Ammoniumnitrat). Die Unternehmensgruppe der Klägerin umfasst u. a. die Rellmann GmbH in Hamburg (Deutschland), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Klägerin, und die Agro Baltic GmbH (im Folgenden: Agro Baltic) in Rostock (Deutschland), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Rellmann GmbH. 1989 erwarb die Klägerin das Unternehmen Champagne Fertilisants, das ihr Steuervertreter für all ihre Geschäfte in Frankreich ist.

15 Der Ausführer, das polnische Unternehmen Zaklady Azotowe Pulawy (im Folgenden: ZAP), verkauft die Erzeugnisse an Agro Baltic. In der Unternehmensgruppe der Klägerin stellt sich die Absatzkette wie folgt dar: Agro Baltic verkauft die Erzeugnisse an die Rellmann GmbH, die sie ihrerseits an die Klägerin weiterverkauft. Entsprechende Rechnungen werden ausgestellt.

16 In der Rechtssache T-134/03 erwarb Agro Baltic von ZAP von März bis September 1997 drei Lieferungen Harnstoff- und Ammoniumnitratlösungen. Diese Lieferungen durchliefen die in Randnummer 15 beschriebene Absatzkette.

17 Cogema, ein Zollagent, wurde beauftragt, die Erzeugnisse im Namen von Agro Baltic in den zollrechtlich freien Verkehr und im Namen der Klägerin in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen.

18 Die Waren wurden so zunächst im Namen von Agro Baltic unter der Anmeldung EU0, der die Rechnungen von ZAP an Agro Baltic und die EUR.1-Bescheinigungen über den polnischen Ursprung der Waren beigefügt waren, in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt. Gleichzeitig wurden sie in das Lagerverfahren übergeführt, das sie wenige Minuten später verließen, um im Namen von Champagne Fertilisants in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt zu werden.

19 In der Rechtssache T-135/03 erwarb Agro Baltic von ZAP im Januar 1995 eine Lieferung, die dann die oben in Randnummer 15 beschriebene Absatzkette durchlief.

20 Agro Baltic beauftragte die SCAC Rouen (im Folgenden: SCAC), einen Zollagenten, die Waren im Namen von Agro Baltic in den zollrechtlich freien Verkehr und im Namen der Klägerin in den steuerrechtlich freien Verkehr zu überführen. Es handelte sich also darum, für ein und dieselbe Ware bei derselben Zollstelle zwei Einfuhrzollanmeldungen unter Angabe zweier verschiedener Empfänger abzugeben, um die Entrichtung des Zolles von der Entrichtung der Mehrwertsteuer trennen zu können.

21 Die SCAC bediente sich einer vereinfachten Zollabfertigung zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr allein im Namen der Klägerin. Dazu gab sie im Namen der Klägerin eine Anmeldung IM4 ab, der die Rechnung der Rellmann GmbH an die Klägerin und eine EUR.1-Bescheinigung über den polnischen Ursprung der Waren beigefügt waren.

22 Die zuständige französische Verwaltung nahm die Anmeldungen, um die es in den beiden vorliegenden Rechtssachen geht, zunächst an, gewährte die Befreiung von den Einfuhrabgaben auf der Grundlage der EUR.1-Bescheinigungen und forderte keine Zahlung von Antidumpingzöllen.

23 Bei einer nachträglichen Kontrolle gelangten die zuständigen französischen Behörden jedoch zu der Auffassung, dass der feste Zoll von 19 ECU je Tonne nach Artikel 1 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 3319/94 auf alle Lieferungen im Zusammenhang mit den beiden vorliegenden Rechtssachen hätte angewandt werden müssen. Denn ihrer Ansicht nach wurden die Waren in Wirklichkeit von der Klägerin eingeführt, der gegenüber ZAP keine direkte Rechnung ausgestellt habe, obwohl die fraglichen Erzeugnisse nachweislich von ZAP bescheinigt worden seien. Was konkret den der Rechtssache T-134/03 zugrunde liegenden Vorgang betrifft, waren die zuständigen französischen Behörden u. a. der Auffassung, dass die Zwischenlagerung der Waren aufgrund ihrer extrem kurzen Dauer eine rechtliche Fiktion darstelle und dass die Klägerin die Waren bereits bei den drei fraglichen Geschäften noch vor der Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr im Namen von Agro Baltic erworben habe. Was im Einzelnen den Vorgang angeht, der Gegenstand der Rechtssache T-135/03 ist, vertraten sie die Meinung, dass eine einzige Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr und zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Namen der Klägerin abgegeben worden sei.

24 Vor diesem Hintergrund erstellten die Mitarbeiter des Centre du renseignement d'orientation et de contrôle Poitiers in dem der Rechtssache T-134/03 zugrunde liegenden Vorgang am 4. Dezember 1998 ein Protokoll, nach dem Zölle und Steuern in Höhe von insgesamt 3 911 497 französischen Francs (FRF) (564 855 Euro) verkürzt worden seien. In dem der Rechtssache T-135/03 zugrunde liegenden Vorgang erstellte die Direction interrégionale des douanes Rouen am 13. November 1997 ein Protokoll, wonach Zölle und Steuern in Höhe von insgesamt 840 271 FRF (128 098 Euro) hätten erhoben werden müssen.

25 Im November und Dezember 1999 beantragte die Klägerin bei der französischen Zollverwaltung den Erlass der Abgaben gemäß Artikel 239 des Zollkodex. Am 14. Februar 2002 übermittelte diese die Anträge der Kommission, die sie unter den Aktenzeichen REM 02/02 (Rechtssache T-134/03) und REM 03/02 (Rechtssache T-135/03) verzeichnete.

26 Mit Schreiben vom 9. und 10. September 2002, die am 11. Oktober 2002 beantwortet wurden, teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie in den Vorgängen REM 02/02 und REM 03/02 eine ablehnende Entscheidung beabsichtige.

27 Am 12. November 2002 trat die Sachverständigengruppe REM/REC im Rahmen des Ausschusses für den Zollkodex, Fachbereich Erstattungen, zusammen. Nach dem am 29. November 2002 erstellten Sitzungsprotokoll führte die abschließende Abstimmung der Sachverständigengruppe über die Vorgänge REM 02/02 und REM 03/02 zu folgendem Ergebnis: "Sechs Delegationen stimmen für den Vorschlag der Kommission, vier Delegationen enthalten sich, und fünf Delegationen stimmen gegen den Vorschlag der Kommission."

28 Am 20. Dezember 2002 erließ die Kommission in der Ansicht, dass eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin und kein besonderer Fall gegeben und somit die Tatbestandsvoraussetzungen des Artikels 239 des Zollkodex nicht erfüllt seien, die Entscheidungen C (2002) 5217 final (Vorgang REM 02/02) und C (2002) 5218 final (Vorgang REM 03/02), mit denen sie feststellte, dass der Erlass der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt sei (im Folgenden: streitige Entscheidungen). Sie stellte diese Entscheidungen der französischen Zollverwaltung zu, die sie ihrerseits am 10. Februar 2003 der Klägerin übermittelte.

Verfahren und Anträge der Parteien

29 Die Klägerin hat mit Klageschriften, die am 18. April 2003 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, die vorliegenden Klagen erhoben.

30 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen hat es die Parteien aufgefordert, in der mündlichen Verhandlung bestimmte Fragen zu beantworten. Nach Anhörung der Parteien hat es die Rechtssachen T-134/03 und T-135/03 zu gemeinsamem mündlichem Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

31 Die Parteien haben in der Sitzung vom 25. Januar 2005 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

32 Die Klägerin beantragt,

- die streitigen Entscheidungen für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

33 Die Kommission beantragt,

- die Klagen abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

34 Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe, nämlich erstens auf eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften und der Verteidigungsrechte, zweitens auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Anwendung von Artikel 239 des Zollkodex und drittens auf eine Verletzung der Begründungspflicht.

Erster Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften und der Verteidigungsrechte

35 Dieser Klagegrund gliedert sich in fünf Teile, mit denen Verstöße erstens gegen Artikel 7 EG und Artikel 5 des Komitologiebeschlusses, zweitens gegen Artikel 906 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, drittens gegen Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex, viertens gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 und fünftens gegen die Verteidigungsrechte geltend gemacht werden.

Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen Artikel 7 EG und Artikel 5 des Komitologiebeschlusses

- Vorbringen der Parteien

36 Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass die zur Durchführung des Zollkodex, insbesondere seines Artikels 239, erforderlichen Maßnahmen gemäß Artikel 247 des Zollkodex nach dem Regelungsverfahren des Artikels 247a Absatz 2 erlassen werden müssten. Die letztgenannte Vorschrift sehe vor, dass die Kommission vom Ausschuss für den Zollkodex unterstützt werde, und verweise gerade auf den den Regelungsausschuss betreffenden Artikel 5 des Komitologiebeschlusses.

37 Der "Ausschuss", der am 12. November 2002 getagt habe (vgl. oben, Randnr. 27), sei zwangsläufig ein Regelungsausschuss im Sinne des Artikels 5 des Komitologiebeschlusses gewesen.

38 Bei Anwendung der in Artikel 205 EG vorgesehenen Gewichtung auf das Abstimmungsergebnis des "Ausschusses" erreiche der Vorschlag der Kommission nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit von 62 Stimmen.

39 Deshalb habe im Sinne des Artikels 5 Absatz 4 des Komitologiebeschlusses keine Stellungnahme des "Ausschusses" vorgelegen, und die Kommission hätte somit ihren Vorschlag unverzüglich dem Rat unterbreiten und das Europäische Parlament davon unterrichten müssen, was sie nicht getan habe. Indem sie trotzdem die streitigen Entscheidungen erlassen habe, habe sie unter Verstoß gegen Artikel 7 EG und Artikel 5 des Komitologiebeschlusses außerhalb der Grenzen ihrer Befugnisse gehandelt. Die streitigen Entscheidungen seien daher mit einem wesentlichen Mangel behaftet.

40 Auf das Vorbringen der Kommission (vgl. unten, Randnr. 45), dass der in Rede stehende "Ausschuss" in Wirklichkeit eine Sachverständigengruppe sei, die sie sich selbst mit dem Erlass von Artikel 907 der Durchführungsverordnung zur Seite gestellt habe, erwidert die Klägerin, die Kommission habe mit dem Erlass dieser Vorschrift keine Durchführungsmaßnahme zum Zollkodex getroffen, sondern sich unter Verstoß gegen Artikel 7 EG eine Befugnis angemaßt.

41 Dem Vorbringen der Kommission sei nicht zu folgen, weil es mangels einer Rechtsgrundlage zur Rechtswidrigkeit von Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung führe. Für den Fall, dass das Gericht dem Vorbringen der Kommission folgen sollte, erhebt die Klägerin in der Erwiderung gemäß Artikel 241 EG die Einrede der Rechtswidrigkeit von Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung. Sie beruft sich außerdem auf das Urteil des Gerichts vom 28. Januar 2003 in der Rechtssache T-147/00 (Laboratoires Servier/Kommission, Slg. 2003, II-85, Randnr. 45), in dem es heißt, "dass nach gefestigter Rechtsprechung die Unzuständigkeit des Organs, das den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, einen zwingenden Nichtigkeitsgrund darstellt, den der Gemeinschaftsrichter von Amts wegen zu prüfen hat".

42 Zusätzlich macht die Klägerin geltend, dass der Wortlaut von Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, der das Zusammentreten der Sachverständigengruppe im Rahmen "des Ausschusses" und nicht "eines Ausschusses" vorsehe, für die Auslegung spreche, dass es sich bei dem fraglichen Ausschuss um den einzigen Ausschuss handele, auf den in der Durchführungsverordnung Bezug genommen werde, d. h. um den in Artikel 906 Absatz 2 der Durchführungsverordnung genannten, also den in Artikel 247 des Zollkodex vorgesehenen Regelungsausschuss. Außerdem wäre, wenn die Auslegung der Kommission zuträfe, das in Artikel 906 Absatz 2 der Durchführungsverordnung vorgesehene Verfahren, nach dem der in Artikel 247 des Zollkodex vorgesehene Ausschuss vor Erlass jeder Entscheidung der Kommission auf dem Gebiet der Erstattung oder des Erlasses von Abgaben zusammentrete, dann nicht eingehalten worden. Somit läge ein Verstoß gegen Artikel 906 Absatz 2 der Durchführungsverordnung vor.

43 Dieses Argument werde durch den neuen Wortlaut von Artikel 906 Absatz 2 der Durchführungsverordnung (siehe oben, Randnr. 10) nicht entkräftet, in dem die Wendung "des Ausschusses" durch die Wendung "der Sachverständigengruppe gemäß Artikel 873" ersetzt worden sei, weil diese Änderung nach dem Zusammentreten des hier fraglichen "Ausschusses" vorgenommen worden sei.

44 Schließlich zeuge der Umstand, dass die Kommission bei der Stimmauszählung nach der Abstimmung des Ausschusses vom 12. November 2002 aus eigenem Antrieb die Gewichtung gemäß Artikel 205 EG vorgenommen habe, davon, dass der fragliche "Ausschuss" sehr wohl ein Regelungsausschuss im Sinne des Artikels 5 des Komitologiebeschlusses sei. Auf das Vorbringen der Kommission, dass sich die Sachverständigengruppe vom Ausschuss für den Zollkodex unterscheide, aber an ihn "gekoppelt" sei, weil sie nach Artikel 907 der Durchführungsverordnung in seinem Rahmen zusammentrete (vgl. unten, Randnr. 49), weist die Klägerin auf das Fehlen einer eigenen Haushaltslinie für diese Sachverständigengruppe, deren mit derjenigen des Ausschusses für den Zollkodex identische Besetzung und die Tatsache hin, dass in den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex über die Tagesordnung kein Bezug auf die Sachverständigengruppe genommen werde.

45 Nach Ansicht der Kommission betrachtet die Klägerin die Sachverständigengruppe zu Unrecht als Regelungsausschuss im Sinne des Artikels 5 des Komitologiebeschlusses. Diese Sachverständigengruppe sei weder ein Regelungsausschuss noch im Übrigen sonst irgendein Ausschuss, der vom Komitologiebeschluss erfasst werde. In Wirklichkeit handele es sich um eine Sachverständigengruppe, die sie sich mit dem Erlass von Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, der allein die Rechtsnatur, die Zuständigkeit und die Funktionsweise dieser Gruppe regele, selbst zur Seite gestellt habe.

46 Die Kommission bringt ferner vor, Artikel 239 des Zollkodex verpflichte sie nicht, über Einzelfälle der Erstattung oder des Erlasses mit Unterstützung des in Artikel 247 des Zollkodex vorgesehenen Ausschusses zu entscheiden, sondern betreffe "Fälle" und "Verfahrensvorschriften". Artikel 239 des Zollkodex weise ihr somit die Aufgabe zu, die "Verfahrensvorschriften" nach dem Ausschussverfahren des Artikels 247 des Zollkodex aufzustellen.

47 Gerade diese Fälle und Verfahrensvorschriften habe sie aber in den Artikeln 905 ff. der Durchführungsverordnung nach dem in Artikel 247 des Zollkodex vorgesehenen Verfahren festgelegt und dabei vorgesehen, dass sie es sei, die über bestimmte Einzelanträge auf Erlass oder Erstattung entscheide.

48 Folglich sei es weder erforderlich noch einleuchtend, dass die in Artikel 907 der Durchführungsverordnung genannte Sachverständigengruppe ein Regelungsausschuss im Sinne des Komitologiebeschlusses sei, denn sie solle eine Stellungnahme ihr gegenüber wie hier zu vorgeschlagenen Einzelfallentscheidungen über den Erlass oder die Erstattung und nicht zu einer Änderung der Zollregelung abgeben.

49 Die Sachverständigengruppe trete gemäß Artikel 907 der Durchführungsverordnung "im Rahmen" des Ausschusses zusammen, an den sie "gekoppelt" sei. Dies bedeute zwar tatsächlich, dass die Sachverständigengruppe in derselben Besetzung wie der Ausschuss für den Zollkodex zusammentrete, aber dass sie andere Aufgaben wahrnehme. Die Einzelfallakte über die Erstattung oder den Erlass werde an den Ausschuss weitergeleitet, damit er darüber als Sachverständigengruppe gemäß Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung berate. Dieses Sachverständigengruppensystem, das mit eigenen Regeln im Rahmen der Ausschüsse im Sinne des Komitologiebeschlusses funktioniere, sei zwar auf dem Wege der erforderlichen Rationalisierung, funktioniere aber seit Jahrzehnten in zahlreichen Bereichen des gemeinschaftlichen Handelns. Die von der Klägerin angeführten Inkohärenzen (oben, Randnr. 44) könnten die Rolle und die Natur der Sachverständigengruppe nicht in Frage stellen.

50 Nach Ansicht der Kommission sind deshalb die für das Regelungsverfahren geltenden Regeln des Artikels 205 EG für die Stimmauszählung auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Insoweit dürfe man sich von dem Umstand, dass sie die Stimmen der Sachverständigengruppe gewichte, nicht in die Irre führen und auch nicht zu einem Fehlverständnis der Rechtsnatur und der Stellung dieser Sachverständigengruppe im Rahmen des Ausschusses verleiten lassen. Eine Mehrheit der Vertreter der Mitgliedstaaten in der Sachverständigengruppe habe sich für ihren Vorschlag ausgesprochen; eine Stellungnahme dieser Gruppe habe also durchaus vorgelegen. Außerdem sei diese Stellungnahme jedenfalls rein beratender Natur und binde sie nicht.

- Würdigung durch das Gericht

51 Was zunächst die von der Klägerin erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass sie erst in der Erwiderung geltend gemacht worden ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes wird aber der Rahmen des Rechtsstreits von der Klageschrift bestimmt, und eine Einrede der Rechtswidrigkeit ist auf der Stufe der Erwiderung unzulässig (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1985 in den Rechtssachen 87/77, 130/77, 22/83, 9/84 und 10/84, Salerno u. a./Kommission und Rat, Slg. 1985, 2523, Randnrn. 36 und 37). Zudem wird die Einrede der Rechtswidrigkeit auf keinen erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder tatsächlichen Grund im Sinne des Artikels 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts gestützt.

52 Das Gericht kann sich mit der Frage der etwaigen Rechtswidrigkeit des Artikels 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung nicht von Amts wegen befassen. Eine solche Rechtswidrigkeit betrifft nämlich nicht die öffentliche Ordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1959 in der Rechtssache 14/59, Société des fonderies de Pont-à-Mousson/Hohe Behörde, Slg. 1959, 467, 492). Das Gericht muss zwar, wie die Klägerin in ihrer Erwiderung ausführt, von Amts wegen die Unzuständigkeit des Urhebers der angefochtenen Handlung feststellen. Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch zweifelsfrei im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gehandelt, als sie die angefochtenen Entscheidungen erließ. Denn diese ergingen auf der Grundlage des Artikels 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, die ihrerseits entsprechend der Stellungnahme des Ausschusses für den Zollkodex gemäß dem in dessen Artikeln 239, 247 und 247a vorgesehenen Verfahren erlassen worden war. Außerdem muss das Gericht nach der Rechtsprechung nicht von Amts wegen prüfen, ob die Kommission nicht ihre Zuständigkeiten überschritten hat, als sie den Regelungsgehalt von Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, der Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidungen, festlegte. Insoweit kann der Klägerin das von ihr angeführte Urteil Laboratoires Servier/Kommission (oben, Randnr. 41) nicht weiterhelfen, weil es sich auf die Unzuständigkeit des Organs bezieht, das den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, und nicht auf die Unzuständigkeit des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, auf dessen Grundlage der angefochtene Rechtsakt ergangen ist.

53 Nach alledem ist die von der Klägerin erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit als unzulässig zurückzuweisen.

54 Sodann ist zu prüfen, ob die Sachverständigengruppe, die nach Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung "im Rahmen des Ausschusses" für den Zollkodex zusammentritt, ein Regelungsausschuss im Sinne des Artikels 5 des Komitologiebeschlusses ist.

55 Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach der siebten Begründungserwägung und Artikel 5 des Komitologiebeschlusses auf das Regelungsverfahren bei "Maßnahmen von allgemeiner Tragweite, mit denen wesentliche Bestimmungen von Basisrechtsakten angewandt werden sollen", zurückgegriffen werden soll.

56 Es steht aber fest, dass die streitigen Entscheidungen Einzelfallentscheidungen und deshalb nicht von allgemeiner Tragweite sind.

57 Mit der Klägerin von einer Zuständigkeit des Regelungsausschusses im Sinne des Artikels 5 des Komitologiebeschlusses für die Abgabe einer Stellungnahme zu einem Vorschlag einer Einzelfallentscheidung über die Erstattung oder den Erlass von Zollabgaben auszugehen, wäre gleichbedeutend damit, die Begriffe der Entscheidung und der Maßnahme von allgemeiner Tragweite schlicht und einfach gleichzusetzen, obwohl sie sich nach Artikel 249 EG und nach der Rechtsprechung grundlegend unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1962 in den Rechtssachen 16/62 und 17/62, Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes u. a./Rat, Slg. 1962, 963), und deshalb damit, die letztgenannte Bestimmung und Artikel 7 des Komitologiebeschlusses zu missachten.

58 Bereits dieser Grund genügt für die Schlussfolgerung, dass die in Artikel 907 der Durchführungsverordnung genannte Sachverständigengruppe kein Regelungsausschuss im Sinne des Artikels 5 des Komitologiebeschlusses ist.

59 Dies wird durch den Wortlaut von Artikel 907 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestätigt. Die Wendung "im Rahmen des Ausschusses" spiegelt die Tatsache wider, dass die in Artikel 907 genannte Sachverständigengruppe offenkundig auf der funktionellen Ebene des Ausschusses für den Zollkodex ein gesondertes Gremium ist. Hätte der Gesetzgeber, hier die Kommission, gewollt, dass der Ausschuss für den Zollkodex im Rahmen einzelner Erlass- oder Erstattungsverfahren beigezogen wird, wäre ohne jeden Zweifel die Wendung "nach Anhörung des Ausschusses" verwendet worden.

60 Folglich ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen Artikel 906 Absatz 1 der Durchführungsverordnung

- Vorbringen der Parteien

61 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe einen schweren Verstoß gegen die in Artikel 906 Absatz 1 der Durchführungsverordnung vorgesehenen Verfahrensvorschriften begangen, indem sie es unterlassen habe, den Mitgliedstaaten eine Abschrift der von der französischen Zollverwaltung übermittelten Akten innerhalb von fünfzehn Tagen nach deren Eingang bei ihren Dienststellen zu übersenden. Die fraglichen Akten seien den Mitgliedstaaten erst einige Tage vor dem Zusammentreten der Sachverständigengruppe (vgl. oben, Randnr. 27) übersandt worden, also mehrere Monate nach Ablauf der in Artikel 906 Absatz 1 der Durchführungsverordnung vorgesehenen Frist.

62 Die Kommission bringt im Wesentlichen vor, die Klägerin setze für die Zwecke der Anwendung von Artikel 906 Absatz 1 der Durchführungsverordnung fälschlicherweise den der Kommission von der französischen Zollverwaltung übermittelten Erlassantrag mit ihrem Vorschlag einer ablehnenden Entscheidung gleich. Sie macht unter Vorlage von Belegen geltend, sie habe den betreffenden, bei ihr am 14. Februar 2002 eingegangenen Antrag am 28. Februar 2002 an die Mitgliedstaaten übersandt. Unter diesen Umständen sei der von der Klägerin behauptete Verfahrensmangel nicht erwiesen.

63 Außerdem könne ein solcher Verfahrensmangel, selbst wenn er feststünde, jedenfalls nicht als "schwer" qualifiziert werden, d. h. als ein Mangel mit Auswirkungen auf die streitigen Entscheidungen, der zwangsläufig zu deren Nichtigerklärung führen müsse.

64 Darüber hinaus sei sehr zweifelhaft, ob sich ein Wirtschaftsteilnehmer für die Nichtigerklärung streitiger Entscheidungen mit Erfolg auf einen Verstoß gegen Artikel 906 der Durchführungsverordnung berufen könne. Dieser Artikel solle die rasche Unterrichtung der Mitgliedstaaten gewährleisten, um es ihnen zu ermöglichen, sich auf die Entscheidungsfindung vorzubereiten. Somit erwachse aus Artikel 906 zwar ein positives Recht zugunsten der Mitgliedstaaten, keineswegs aber zugunsten von Privatpersonen.

- Würdigung durch das Gericht

65 Die Klägerin, die in ihrer Erwiderung nicht auf das Vorbringen der Kommission in der Klagebeantwortung eingegangen ist, hat weder nachgewiesen, dass die Kommission in ihrer Post an die Mitgliedstaaten vom 28. Februar 2002 die in Artikel 906 Absatz 1 der Durchführungsverordnung genannte Vorlage gemäß Artikel 905 Absatz 2 nicht vollständig übersandt hätte, noch, dass die Mitgliedstaaten somit nicht angemessen informiert worden wären. Insoweit geht aus dem oben in Randnummer 27 erwähnten Sitzungsprotokoll der Sachverständigengruppe hervor, dass eine Beratung über die Kernpunkte des Erstattungsantrags stattgefunden hat. Außerdem haben nach diesem Protokoll die Anwälte der Klägerin Unterlagen direkt an die Vertreter aller Mitgliedstaaten, die in der Sachverständigengruppe zusammentreten, geschickt. Unter diesen Umständen hat die Klägerin keinen Verstoß gegen Artikel 906 der Durchführungsverordnung nachgewiesen. Jedenfalls hat sie nicht dargetan, dass sich die angebliche Unterlassung auf die streitigen Entscheidungen ausgewirkt hätte.

66 Folglich ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex

- Vorbringen der Parteien

67 Die Klägerin macht geltend, die streitigen Entscheidungen seien mit einem wesentlichen Formfehler behaftet, weil sie unter Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex ergangen seien, nach dem "alle sonstigen Arbeitsunterlagen" in der Regel spätestens vierzehn Kalendertage vor dem Sitzungstermin übermittelt werden müssten.

68 Aus den Kontakten, die ihre Anwälte direkt mit den Vertretern der Mitgliedstaaten, die in der Sachverständigengruppe zusammenträten, aufgenommen hätten, sei aber ersichtlich, dass diesen ihre Antwort vom 11. Oktober 2002 auf die Schreiben der Kommission vom 9. und 10. September 2002 (vgl. oben, Randnr. 26) erst sieben Kalendertage vor der Sitzung übermittelt worden sei. Die zusätzliche Zeit, die den Mitgliedern der Sachverständigengruppe vor der Abstimmung gewährt worden sei, habe diesen Zeitraum auf elf Tage verlängert, also auf einen kürzeren Zeitraum als die in Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex vorgesehene Frist von vierzehn Tagen. Diese verspätete Übermittlung ihres in Beantwortung der Schreiben vom 9. und 10. September 2002 erfolgten Vorbringens durch die Kommission stelle eine Verletzung der Verteidigungsrechte dar, aufgrund deren sie einen Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex rügen könne.

69 Die Klägerin beruft sich für ihr Vorbringen auf das Urteil vom 10. Februar 1998 in der Rechtssache C-263/95 (Deutschland/Kommission, Slg. 1998, I-441, Randnrn. 31 und 32), in dem der Gerichtshof die Frist für die Übermittlung von Akten im Rahmen eines Verfahrens vor einem Regelungsausschuss für unverkürzbar erklärt und entschieden habe, dass die Nichteinhaltung dieser Frist einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften darstelle, der zur Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission führe. Auf die Erwiderung der Kommission (vgl. unten, Randnr. 72), dass dieses Urteil hier nicht einschlägig sei, da es auf eine Klage eines Mitgliedstaats, dessen Rechte nicht beachtet worden seien, ergangen sei, entgegnet die Klägerin, dass das genannte Urteil die Möglichkeit juristischer Personen, im Rahmen der Anhörung des fraglichen Ausschusses begangene Verstöße geltend zu machen, nicht eigens ausschließe.

70 Dem Vorbringen der Kommission, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen Artikel 4 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex berufen könne (vgl. unten, Randnr. 73), hält die Klägerin das Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555) entgegen.

71 In Erwiderung auf das Vorbringen der Kommission, dass jedenfalls die in Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex vorgeschriebenen Fristen unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der vorliegenden Rechtssachen eingehalten worden seien (unten, Randnr. 75), macht die Klägerin geltend, es habe keine Dringlichkeit vorgelegen. Das entsprechende Vorbringen der Kommission stehe im Widerspruch dazu, dass diese den Mitgliedern der Sachverständigengruppe trotz angeblicher Dringlichkeit eine zusätzliche Frist für die Stellungnahme zu dem doch innerhalb der gesetzlichen Fristen übermittelten ablehnenden Kommissionsvorschlag gewährt habe.

72 Nach Ansicht der Kommission ist der Verweis der Klägerin auf das Urteil Deutschland/Kommission (oben, Randnr. 69) im vorliegenden Fall unmaßgeblich. In der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache habe auf der Klägerseite ein Mitgliedstaat gestanden, der seine Befugnisse im Ausschuss wegen einer verspäteten Übermittlung von Unterlagen nicht habe wahrnehmen können. In den vorliegenden Rechtssachen dagegen hätte eine verspätete Übermittlung von Unterlagen an die Sachverständigengruppe - so sie denn gegeben sei - nicht die Rechte der Klägerin beeinträchtigt.

73 Außerdem sei zweifelhaft, ob ein Wirtschaftsteilnehmer einen Antrag auf Nichtigerklärung von Entscheidungen wie den hier streitigen mit Erfolg auf einen Verstoß gegen eine Geschäftsordnungsvorschrift (wie Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex) stützen könne. Die Kommission verweist insoweit auf das Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-69/89 (Nakajima/Rat, Slg. 1991, I-2069, Randnrn. 49 bis 51). In ihrer Gegenerwiderung fügt sie dem hinzu, das Urteil Kommission/BASF u. a. (oben, Randnr. 70) könne von der Klägerin nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, weil Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex im Gegensatz zu der Bestimmung, deren Verletzung in der zum Urteil Kommission/BASF u. a. führenden Rechtssache geltend gemacht worden sei, keine Unternehmensrechte schützen solle.

74 Zudem sei das für die Anwendung von Artikel 4 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex wesentliche Dokument, nämlich ihr Vorschlag einer ablehnenden Entscheidung, den Mitgliedern der Sachverständigengruppe fristgemäß übermittelt worden. Diesen seien auch schon am 23. September 2002 die am 9. und 10. September 2002 an die Klägerin gesandten so genannten Anhörungsschreiben übermittelt worden.

75 Selbst wenn man im Übrigen davon ausginge, dass die in Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex vorgeschriebene Frist von vierzehn Kalendertagen nicht eingehalten worden sei, so gelte diese Frist in der Regel, könne aber bei Dringlichkeit nach Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Geschäftsordnung verkürzt werden. Hier sei aber die Dringlichkeit gegeben gewesen, weil sie die streitigen Entscheidungen innerhalb der Frist des Artikels 907 Absatz 2 der Durchführungsverordnung habe erlassen müssen, da das Ausbleiben einer fristgemäßen Entscheidung bedeutet hätte, dass dem Antrag der Klägerin stattgegeben werde.

76 Außerdem habe die Klägerin nicht nachgewiesen, inwieweit ihre Rechte durch die verspätete Übermittlung ihres Schreibens vom 11. Oktober 2002 beeinträchtigt worden sein sollten. Unter diesen Umständen liege kein Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex vor.

- Würdigung durch das Gericht

77 Ohne dass darüber zu entschieden werden brauchte, ob die Antwort der Klägerin vom 11. Oktober 2002 auf die Schreiben der Kommission vom 9. und 10. September 2002 eine Arbeitsunterlage im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex darstellt oder ob eine Dringlichkeit im Sinne der Absätze 2 und 3 dieses Artikels vorlag, ist festzustellen, dass die Mitglieder der Sachverständigengruppe nach Aktenlage über dreizehn Kalendertage (vom 6. bis zum 18. November 2002) verfügten, um die Antwort der Klägerin zur Kenntnis zu nehmen.

78 Zum von der Klägerin angeführten Urteil Deutschland/Kommission (oben, Randnr. 69) genügt der Hinweis, dass die in diesem Urteil entwickelte Lösung in den vorliegenden Rechtssachen nicht anwendbar ist, weil es sich bei der Sachverständigengruppe nicht um einen Regelungsausschuss handelt.

79 Im Übrigen soll Artikel 4 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Ausschusses für den Zollkodex die interne Arbeitsweise dieses Ausschusses unter vollständiger Wahrung der Rechte seiner Mitglieder gewährleisten. Daraus folgt, dass sich natürliche oder juristische Personen nicht auf eine angebliche Verletzung dieser Vorschrift, die nicht dazu bestimmt ist, den Schutz Einzelner zu gewährleisten, berufen können (vgl. in diesem Sinne Urteil Nakajima/Rat, Randnrn. 49 bis 51). Da die Klägerin im Gegensatz zu Deutschland in der Rechtssache Deutschland/Kommission (oben, Randnr. 69) eine Dritte ist, kann die in diesem Urteil entwickelte Lösung hier auch aus diesem Grund keine Anwendung finden.

80 Somit ist auch der dritte Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

Zum vierten Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1

- Vorbringen der Parteien

81 Die Klägerin macht geltend, die Vertreter mancher Mitgliedstaaten, die in der Sachverständigengruppe zusammenträten, hätten Abschriften bestimmter Unterlagen aus den Akten der Kommission nicht in ihrer Sprache erhalten. Dies sei im Hinblick auf die Komplexität und den fachlichen Charakter der vorliegenden Akten sowie in Anbetracht der Kürze der den Vertretern der Mitgliedstaaten für das Aktenstudium gewährten Zeit besonders bedauerlich. Bestimmte Vertreter der Mitgliedstaaten hätten sich beklagt, die fraglichen Unterlagen nicht in ihrer Sprache erhalten zu haben. Unter diesen Umständen seien die streitigen Entscheidungen unter Verstoß gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 und somit unter Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift ergangen.

82 In ihrer Erwiderung macht die Klägerin geltend, der Ansatz der Kommission (dargestellt unten, in Randnr. 85) impliziere den Ausschluss jeder gerichtlichen Kontrolle, wenn nicht ein Mitgliedstaat einen Verstoß gegen die fragliche Verordnung geltend mache.

83 Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass die Verwaltungspraxis der Sachverständigengruppe (von der sie in Erinnerung ruft, dass ihr keine Legislativaufgabe zukomme) darin bestehe, den Vertretern der Mitgliedstaaten das so genannte Anhörungsschreiben (vgl. oben, Randnr. 26) in ihrer Sprache und die sonstigen Unterlagen in Französisch und Englisch zu übersenden.

84 Sodann habe die Klägerin nicht nachgewiesen, inwieweit die verfolgte Praxis ihre eigene Rechtslage beeinträchtige. Diese Praxis könne zwar die Rechte der Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die Adressaten der fraglichen Unterlagen seien, aber in einem solchen Fall sei es deren Sache, ihre Rechte geltend zu machen.

85 Unter diesen Umständen könne sich ein Einzelner nicht mit Erfolg auf die Verletzung eines Rechts eines Mitgliedstaats berufen, wenn sich dieser nicht darüber beschwere. Hier habe die Vorgehensweise aber weder irgendeine Beanstandung von Seiten der Vertreter der Mitgliedstaaten noch einen Antrag auf Übersetzung hervorgerufen.

- Würdigung durch das Gericht

86 Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 soll sicherstellen, dass Schriftstücke, die ein Organ an einen Mitgliedstaat oder an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehende Person richtet, in der Sprache dieses Staates abgefasst werden. Hier waren die fraglichen Unterlagen aus den Akten der Kommission nicht an die Klägerin, sondern an die Vertreter der Mitgliedstaaten, die die Sachverständigengruppe gemäß Artikel 907 der Durchführungsverordnung bilden, gerichtet. Da die genannte Bestimmung im vorliegenden Fall nicht die Rechte der Klägerin oder ihre eigene Rechtslage im Rahmen des Verwaltungsverfahrens betreffend den Erlass von Einfuhrabgaben sichern soll, kann sich die Klägerin daher nicht auf einen angeblichen Verstoß gegen diese Regel berufen.

87 Darüber hinaus hat die Klägerin jedenfalls nicht bewiesen, dass irgendein Mitglied der Sachverständigengruppe Schwierigkeiten gehabt hätte, an der Abfassung der Stellungnahme dieser Gruppe mitzuwirken, weil eine bestimmte Sprachfassung einer der von der Kommission übermittelten Unterlagen gefehlt hätte. Zum einen beschränkt sich nämlich das dahin gehende Beweisangebot der Klägerin auf eine von ihr selbst ausgestellte und unterzeichnete Bescheinigung. Zum anderen lassen die in den Akten enthaltenen Informationen insgesamt keine entsprechende Schlussfolgerung zu.

88 Somit ist auch der vierte Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

Zum fünften Teil des ersten Klagegrundes: Verletzung der Verteidigungsrechte

- Vorbringen der Parteien

89 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe die Verteidigungsrechte nicht beachtet, indem sie ihr weder eine Anhörung noch einen leichten und möglichst umfassenden Zugang zu den von ihr verlangten Unterlagen gewährt habe.

90 Was erstens die Anhörung anbelange, so habe sie am 2. Oktober 2002 bei der Kommission beantragt, mündlich zu den vorliegenden Sachen gehört zu werden. Dieser Antrag sei mit Schreiben vom 8. Oktober 2002 mit der Begründung abgelehnt worden, dass das anwendbare Verfahren des Artikels 906a der Durchführungsverordnung vorsehe, dass der Beteiligte schriftlich Stellung nehme, und dass sie vor Stellung des ursprünglichen Erlassantrags dreimal von den Kommissionsdienststellen empfangen worden sei. Außerdem habe die Kommission in den angefochtenen Entscheidungen hervorgehoben, dass sie nicht bewiesen habe, dass ihr Standpunkt nur mündlich habe vorgetragen werden können.

91 In der Weigerung der Kommission liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und ein offensichtlicher Beurteilungsfehler.

92 Nach ständiger Rechtsprechung sei die Wahrung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die gegen eine bestimmte Person eröffnet würden und zu einer sie beschwerenden Maßnahme führen könnten, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der auch dann sichergestellt werden müsse, wenn es an einer Regelung für das betreffende Verfahren fehle (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Februar 1992 in den Rechtssachen C-48/90 und C-66/90, Niederlande u. a./Kommission, Slg. 1992, I-565, Randnr. 44, vom 29. Juni 1994 in der Rechtssache C-135/92, Fiskano/Kommission, Slg. 1994, I-2885, Randnr. 39, und vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-32/95 P, Kommission/Lisrestal u. a., Slg. 1996, I-5373, Randnr. 21; Urteil des Gerichts vom 10. Mai 2001 in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97, T-293/97 und T-147/99, Kaufring u. a./Kommission, Slg. 2001, II-1337, Randnr. 151). Ferner habe der Gerichtshof stets den Grundsatz des Rechts auf ein mündliches Verfahren (audi alteram partem) als wesentliche Verfahrensregel, insbesondere auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrens, anerkannt (Urteile des Gerichtshofes vom 23. Oktober 1974 in der Rechtssache 17/74, Transocean Marine Paint/Kommission, Slg. 1974, 1063, vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, und vom 26. Juni 1980 in der Rechtssache 136/79, National Panasonic/Kommission, Slg. 1980, 2033). Außerdem müsse in Anbetracht des Beurteilungsspielraums, über den die Kommission beim Erlass einer Entscheidung in Anwendung der allgemeinen Billigkeitsgeneralklausel des Artikels 239 des Zollkodex verfüge, die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erst recht sichergestellt sein (Urteile des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-364/94, France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II-2841, Randnr. 34, vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler & Malt/Kommission, Slg. 1998, II-401, Randnr. 77, vom 17. September 1998 in der Rechtssache T-50/96, Primex Produkte Import-Export u. a./Kommission, Slg. 1998, II-3773, Randnr. 60, vom 18. Januar 2000 in der Rechtssache T-290/97, Mehibas Dordtselaan/Kommission, Slg. 2000, II-15, Randnr. 46, und Kaufring u. a./Kommission, Randnr. 152).

93 Im Wesentlichen müsse deshalb der Anspruch auf rechtliches Gehör weit ausgelegt werden, d. h. dahin, dass sie einen Anspruch sowohl auf schriftliches als auch auf mündliches Gehör habe. Insoweit bedeute der Umstand, dass die Durchführungsverordnung in ihrem Artikel 906a nur ein schriftliches Verfahren vorsehe, nicht, dass ein mündliches Verfahren ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf das Wettbewerbsrecht und das Antidumpingrecht, die beide schriftliche und mündliche Verfahren vorsähen. Außerdem habe die Rechtsprechung auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen den Grundsatz einer mündlichen Anhörung zugestanden, ohne dass es eine Regelung gäbe, die eine solche Anhörung förmlich vorsehe.

94 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müsse dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden, seinen Standpunkt im Verwaltungsverfahren in geeigneter Weise darzulegen (Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1987 in der Rechtssache 259/85, Frankreich/Kommission, Slg. 1987, 4393, Randnr. 12). In der Praxis habe das für den Betroffenen die Möglichkeit zur Folge, mündlich gehört zu werden. Desgleichen müsse Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten weit ausgelegt werden, d. h. dahin, dass er das Recht umfasse, sich schriftlich, aber auch mündlich Gehör zu verschaffen.

95 Unter diesen Umständen habe die Kommission die oben genannte Rechtsprechung ungerechtfertigterweise nicht beachtet, indem sie den Antrag der Klägerin auf mündliche Anhörung mit der Begründung abgelehnt habe, dass die Klägerin nicht bewiesen habe, dass sich ihr Standpunkt bei mündlicher Darlegung durchgesetzt hätte. Ferner obliege der Klägerin ein solcher Beweis nicht.

96 Schließlich kommt es nach Ansicht der Klägerin allein darauf an, ob ihr im Lauf des Verfahrens Gelegenheit gegeben worden ist, ihren Standpunkt zu den Beanstandungen der Kommission in geeigneter Weise geltend zu machen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Zwar sei sie von den Kommissionsdienststellen dreimal empfangen worden, aber diese Gespräche hätten lange vor der Übermittlung des Erlassantrags an die Kommission und mit verschiedenen Gesprächspartnern stattgefunden. Außerdem sei ihr bei diesen Gesprächen ganz einfach deshalb noch keines der Argumente der Kommission bekannt gewesen, weil das Verfahren vor der Kommission selbst noch nicht eingeleitet gewesen sei. Vor allem habe es der Schriftwechsel zwischen ihr und der französischen Verwaltung und der Kommission allein nicht erlaubt, einige wesentliche Punkte zu klären. Diese Punkte hätten im Rahmen eines direkteren und dynamischeren Verfahrens wie einer Anhörung durch die Kommissionsdienststellen angeschnitten werden können, dank deren die Verteidigungsrechte gewahrt worden wären. Als Beispiel führt die Klägerin an, sie sei in der Rechtssache T-134/03 mit dem Rückgriff auf den Schriftverkehr allein nicht in der Lage gewesen, den Zweifel der französischen Zollbehörden an dem tatsächlichen Bestehen des von Cogema begangenen technischen Fehlers zu zerstreuen; dieser Zweifel habe die genannten Behörden zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass kein besonderer Fall vorliege. In der Rechtssache T-135/03 wende sich die Kommission im Wesentlichen nicht der Frage zu, ob eine Umgehung des Antidumpingrechts durch die Klägerin vorgelegen habe oder nicht, obwohl dieser Gesichtspunkt entscheidend für die etwaige Feststellung eines besonderen Falles im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex sei.

97 Was zweitens den Aktenzugang anbelangt, bringt die Klägerin unter Verweis auf Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) vor, die Kommission habe ihrem berechtigten Antrag auf Zugang zu bestimmten Dokumenten nur unter Schwierigkeiten und nur teilweise am Tag der Einreichung der Klagen stattgegeben.

98 Im Einzelnen habe sie am 23. Januar 2003 bei der Kommission Zugang zum Protokoll über die Sitzung der Sachverständigengruppe vom 12. November 2002 beantragt und dann ihren Antrag am 24. Februar und 20. März 2003 aufgrund der extrem knapp gehaltenen Information, die die Kommission mit Schreiben vom 3. Februar 2003 übermittelt habe, neu formulieren müssen.

99 Nach Ansicht der Kommission hatte die Klägerin, was erstens die Anhörung betrifft, voll und ganz die Mittel, ihren Standpunkt zur Kenntnis zu bringen, wie es ihre umfangreichen und ausführlichen Antworten vom 11. Oktober 2002 im Vorgang REM 02/02 belegten. Im Übrigen habe sich die Kommission sehr aufgeschlossen gezeigt, indem sie die Klägerin dreimal empfangen habe. Das Vorbringen der Klägerin könnte von gewisser Erheblichkeit sein, wenn diese nachweise, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, ihren Standpunkt in geeigneter Weise darzulegen. Sie habe aber keineswegs nachgewiesen, dass der ausschließliche Rückgriff auf den Schriftverkehr die Wirksamkeit ihrer Verteidigung verringert habe.

100 Sodann betreffe die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung eine Lage, wie sie vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1677/98 geherrscht habe, durch die u. a. ein neuer Artikel 906a in die Durchführungsverordnung eingefügt worden sei, nach dem der die Erstattung oder den Erlass beantragende Beteiligte der Kommission seine Einwände schriftlich mitteile, wenn diese eine Entscheidung zu seinen Lasten zu treffen beabsichtige.

101 Die betreffenden neuen Bestimmungen seien in der Rechtssache Kaufring u. a./Kommission (oben, Randnr. 92) angewandt worden. Das Gericht habe die Entscheidung der Kommission in dieser Rechtssache wegen fehlender Anhörung nicht aufgehoben, und es habe die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme nach Artikel 906a der Durchführungsverordnung für ausreichend gehalten.

102 Was zweitens den Aktenzugang angeht, hält die Kommission das Vorbringen der Klägerin für unerheblich. Sie habe ihr alle verlangten Dokumente zukommen lassen. Was ferner das einzige Dokument anbelange, zu dem die Klägerin nicht sofort Zugang gehabt habe, nämlich das Sitzungsprotokoll der Sachverständigengruppe, so sei der entsprechende Antrag auf Zugang am 23. Januar 2003, also nach Erlass der streitigen Entscheidungen, gestellt worden. Unter diesen Umständen wäre eine Ablehnung des Aktenzugangs, selbst wenn sie erfolgt wäre, was aber nicht der Fall sei, dem Wesen nach nicht geeignet, sich auf die Gültigkeit der streitigen Entscheidungen auszuwirken.

103 Überdies sei die Verspätung bei der Übermittlung dieses Protokolls im Hinblick auf die Verordnung Nr. 1049/2001 gerechtfertigt. Das fragliche Dokument enthalte nämlich sensible Informationen im Zusammenhang mit geschäftlichen Interessen, und der Anwalt der Klägerin habe bei Stellung des Zugangsantrags zunächst seine Vollmacht nicht nachgewiesen.

104 Schließlich betont die Kommission, dass die Klägerin keinen Verstoß gegen Artikel 906a der Durchführungsverordnung geltend mache.

- Würdigung durch das Gericht

105 Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte verlangt, dass jeder, der durch eine Entscheidung beschwert werden kann, zumindest zu den Gesichtspunkten sachgerecht Stellung nehmen kann, auf die die Kommission ihre beschwerende Entscheidung stützt (vgl. in diesem Sinne Urteile, alle angeführt in Randnr. 92, Fiskano/Kommission, Randnr. 40, Kommission/Lisrestal u. a., Randnr. 21, und Kaufring u. a./Kommission, Randnr. 153).

106 Bei Entscheidungen der Kommission nach Artikel 239 des Zollkodex wird die Wahrung der Verteidigungsrechte des den Erlass Beantragenden durch das Verfahren des Artikels 906a der Durchführungsverordnung (vgl. oben, Randnr. 11) sichergestellt.

107 Im vorliegenden Fall wurde dieses Verfahren durch Übermittlung eines dem Schreiben vom 9. September 2002 (vgl. oben, Randnr. 26) beigefügten zehnseitigen Memorandums durchgeführt, in dem die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte dargestellt waren, auf die die Kommission ihre Absicht stützte, in den Vorgängen REM 02/02 und REM 03/02 eine ablehnende Entscheidung zu treffen. Darüber hinaus nahm die Klägerin ihr Recht auf Stellungnahme zu den Einwänden der Kommission mit Schreiben vom 11. Oktober 2002 wahr, das 24 Seiten zuzüglich 14 Anlagen zum Vorgang REM 02/02 und 21 Seiten zuzüglich 10 Anlagen zum Vorgang REM 03/02 umfasste und in dem ihre Anmerkungen und Argumente dargestellt wurden.

108 Was erstens die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf mündliche Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung anbelangt, so genügt der Hinweis, dass weder die konkrete Vorschrift zum fraglichen Verwaltungsverfahren, nämlich Artikel 906a der Durchführungsverordnung, noch der allgemeine Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte dem den Erlass Beantragenden ein Recht auf eine solche Anhörung verleihen.

109 Außerdem macht die spezifische Natur der Entscheidung der Kommission nach Artikel 239 des Zollkodex es in keiner Weise unentbehrlich, dass dem den Erlass Beantragenden die Möglichkeit gewährt wird, über die schriftliche Darlegung seines Standpunkts hinaus mündlich Stellung zu nehmen.

110 Das Gericht ist deshalb der Ansicht, dass die Klägerin mit ihrem ausführlichen Schreiben vom 11. Oktober 2002 voll und ganz von der ihr gebotenen Möglichkeit, der Kommission ihren Standpunkt zu vermitteln, Gebrauch gemacht hat. Die Beispiele, die die Klägerin als Beleg für das Gegenteil vorbringt (vgl. oben, Randnr. 96), können diese Schlussfolgerung nicht erschüttern, da sie keinen Gesichtspunkt erkennen lassen, den die Klägerin nicht schriftlich geltend machen konnte.

111 Was zweitens den Aktenzugang betrifft, ist festzustellen, dass der Antrag auf Zugang, wie von der Kommission zutreffend ausgeführt, nach Erlass der streitigen Entscheidungen im Laufe der Vorbereitung der vorliegenden Klagen gestellt wurde. Somit kann sich der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1049/2001, wenn man ihn unterstellt, nicht auf die Gültigkeit der streitigen Entscheidungen auswirken, für deren Beurteilung der Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidungen maßgeblich ist. Außerdem hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie keinen Zugang zu den verlangten Dokumenten hatte. Das Sitzungsprotokoll der Sachverständigengruppe ist von der Kommission nämlich in ungekürzter Fassung bereitgestellt worden.

112 Folglich ist der fünfte Teil des ersten Klagegrundes insgesamt zurückzuweisen.

113 Da keiner der fünf Teile des ersten Klagegrundes durchgreift, ist dieser zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Anwendung von Artikel 239 des Zollkodex

114 Der zweite Klagegrund wird auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler gestützt, den die Kommission dadurch begangen haben soll, dass sie die Tatbestandsvoraussetzungen des Artikels 239 des Zollkodex für nicht erfüllt hielt. Er gliedert sich in drei Teile. Erstens habe sich die Kommission geweigert, das Vorliegen eines besonderen Falles anzuerkennen. Zweitens habe die Klägerin nicht in betrügerischer Absicht gehandelt. Drittens habe sich die Kommission der Schlussfolgerung verschlossen, dass keine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin gegeben sei.

115 Es steht fest, dass die Klägerin nicht in betrügerischer Absicht gehandelt hat, so dass der zweite Teil nicht geprüft zu werden braucht. Im Übrigen ist zunächst der dritte Teil betreffend das angebliche Fehlen von Fahrlässigkeit auf Seiten der Klägerin zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

116 Die Klägerin weist darauf hin, dass eine der kumulativen Tatbestandsvoraussetzungen des Artikels 239 des Zollkodex das Fehlen von offensichtlicher Fahrlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers sei. Außerdem entspreche nach der Rechtsprechung (Urteil Kaufring u. a./Kommission, angeführt in Randnr. 92, Randnr. 278) die offensichtliche Fahrlässigkeit der Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne des Artikels 220 Absatz 2 des Zollkodex.

117 Bei der Beurteilung der Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne der letztgenannten Bestimmung seien insbesondere die genaue Art des Irrtums, die Berufserfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen (Urteile des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-64/89, Deutsche Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, Randnr. 24, vom 8. April 1992 in der Rechtssache C-371/90, Beirafio, Slg. 1992, I-2715, Randnr. 21, vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-187/91, Belovo, Slg. 1992, I-4937, Randnr. 17, und vom 1. April 1993 in der Rechtssache C-250/91, Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-1819, Randnr. 22). Diese Beurteilung sei mit Blick auf die besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Mai 1996 in den Rechtssachen C-153/94 und C-204/94, Faroe Seafood u. a., Slg. 1996, I-2465, Randnr. 101).

118 Im Licht dieser Grundsätze habe die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie davon ausgegangen sei, dass die Tatbestandsvoraussetzung der fehlenden offensichtlichen Fahrlässigkeit hier nicht erfüllt sei.

119 Was erstens die genaue Art des Irrtums angehe, so müsse dieser nach der Rechtsprechung u. a. mit Blick auf den Zeitraum beurteilt werden, während dessen die zuständigen Behörden in dem Irrtum verharrt seien.

120 Die Kommission klammere dieses Zeitkriterium aber zu Unrecht ohne weiteres aus, indem sie einen Irrtum allein der Zollbehörden in Erwägung ziehe, um ihn dann aber zu verneinen. In den vorliegenden Rechtssachen gehe es vielmehr darum, die Irrtümer der Zollagenten zu berücksichtigen, nämlich in der Rechtssache T-134/03 die fiktive Überführung in das Lagerverfahren durch Cogema und in der Rechtssache T-135/03 die in der Wahl einer vereinfachten Zollabfertigung liegende Nichtbeachtung der ihr gegebenen Anweisungen durch die SCAC.

121 Die Klägerin macht geltend, sie habe trotz ihrer Berufserfahrung und Sorgfalt diese Irrtümer der Zollagenten weder vorhersehen noch erkennen können.

122 Was zweitens die Berufserfahrung des Wirtschaftsteilnehmers anbelange, so müsse nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98 (Söhl & Sölke, Slg. 1999, I-7877, Randnr. 57) ermittelt werden, ob die Tätigkeit dieses Wirtschaftsteilnehmers im Wesentlichen im Ein- und Ausfuhrgeschäft bestehe und ob er über eine gewisse Vorerfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfüge.

123 Die Klägerin bringt vor, sie führe häufig die von der Verordnung Nr. 3319/94 erfassten Erzeugnisse ein. Dies bedeute nicht, dass sie auf die Zollabfertigungsverfahren für diese Erzeugnisse in Frankreich spezialisiert sei. Genau deshalb habe sie sich eines Zollagenten bedient und sei nicht in der Lage gewesen, den diesem unterlaufenen Irrtum zu erkennen.

124 Was drittens ihre Sorgfalt betreffe, so müsse sich nach dem Urteil Söhl & Söhlke (angeführt in Randnr. 122, Randnr. 58) ein Wirtschaftsteilnehmer, der Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften habe, deren Nichterfüllung eine Zollschuld begründen könne, nach Kräften informieren, um die jeweiligen Vorschriften nicht zu verletzen.

125 In den vorliegenden Rechtssachen habe sie aber alle erforderliche Sorgfalt walten lassen. Sie habe zunächst nach Erlass der Verordnung das bis dahin befolgte Zollabfertigungsverfahren geändert, um nicht in eine Situation der indirekten Inrechnungstellung zu geraten. Sodann gehörten die von der Kommission beanstandeten isolierten und geringfügigen Fakturierungsfehler zu den normalen Geschäftsunwägbarkeiten, und ihr könne keinerlei Fahrlässigkeit nachgesagt werden, da diese Fehler behoben worden seien. 126 In ihrer Erwiderung bringt die Klägerin vor, die angebliche Unverwirklichbarkeit ihrer Anweisungen an Cogema und die SCAC einerseits und der unterbliebene Rückgriff auf die Erstattungsmöglichkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. 1996, L 56, S. 1) in ihrer geänderten Fassung andererseits hätten im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung (vgl. oben, Randnr. 124) überhaupt nichts mit dem Nachweis eines angeblichen Sorgfaltsmangels zu tun.

127 Deshalb könne ihr kein Sorgfaltsmangel vorgeworfen werden. Nach alledem sei ihr keine offensichtliche Fahrlässigkeit nachzuweisen.

128 Die Kommission ist erstens zur genauen Art des Irrtums der Ansicht, das Vorbringen, mit dem die Klägerin versuche, ihre eigene Verantwortlichkeit aufgrund des angeblichen Irrtums der Zollagenten herunterzuspielen, greife nicht durch. Ein Wirtschaftsteilnehmer könne in einem Erlassverfahren nicht aufgrund eines Irrtums seines Zollagenten - ganz gleich, ob tatsächlich geschehen oder nicht - aus seiner eigenen Verantwortung entlassen werden. Eine etwaige vertragliche Haftung des Zollagenten sei im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt habe, nicht von Belang.

129 Außerdem bringe die Klägerin beharrlich den Irrtum des Agenten und den der Zollbehörde durcheinander; nur ein Irrtum der Zollbehörde könne einen besonderen Fall entstehen lassen.

130 Was zweitens die Berufserfahrung der Klägerin angeht, macht die Kommission zunächst geltend, diese dürfe nicht im Rahmen eines einzigen Mitgliedstaats beurteilt werden. Um von der erforderlichen Berufserfahrung der Klägerin ausgehen zu können, reiche es in Anbetracht der Rechtsprechung aus, dass sie einige Einfuhrgeschäfte für gleiche Waren wie die in Rede stehenden in der Europäischen Union getätigt und eine allgemeine Routine im Ein- und Ausfuhrgeschäft habe. Dies sei aber hier der Fall, zumal die Klägerin ihren Steuervertreter in Frankreich, Champagne Fertilisants, übernommen habe. Sie sei daher, und zwar ab der ersten Lieferung der fraglichen Waren, als Wirtschaftsteilnehmer anzusehen.

131 Außerdem habe sich die Klägerin nicht umsichtig verhalten, als sie trotz ihrer angeblichen Unerfahrenheit ihren Zollagenten genaue Anweisungen gegeben habe, anstatt sich von ihnen beraten zu lassen; dies gelte umso mehr, als die Verordnung Nr. 3319/94 Anwendungsschwierigkeiten aufwerfe.

132 Was drittens die Sorgfalt der Klägerin betrifft, so räumt die Kommission zwar ein, dass Irrtümer bei der Inrechnungstellung geschehen könnten, ist aber der Ansicht, dass es die Klägerin auch in anderer Hinsicht an Sorgfalt habe mangeln lassen, wie aus den Randnummern 79 bis 82 der Entscheidung REM 02/02 und den Randnummern 75 bis 79 der Entscheidung REM 03/02 hervorgehe.

133 Insbesondere habe die Klägerin ihren Zollagenten Anweisungen gegeben, die nicht zu verwirklichen gewesen seien, und habe sich nicht ihrer Befolgung vergewissert.

134 Außerdem habe sie dadurch, dass sie die Frist dafür habe verstreichen lassen, nicht versucht, von der Erstattungsmöglichkeit nach Artikel 11 Absatz 8 der Verordnung Nr. 384/96 Gebrauch zu machen.

Würdigung durch das Gericht

135 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beantwortung der Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex vorliegt, insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Berufserfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden müssen (Urteile Söhl & Söhlke, angeführt in Randnr. 122, Randnr. 56, und vom 13. März 2003 in der Rechtssache C-156/00, Niederlande/Kommission, Slg. 2003, I-2527, Randnr. 92).

136 Im Übrigen verfügt die Kommission beim Erlass einer Entscheidung gemäß Artikel 239 des Zollkodex nach ständiger Rechtsprechung über einen Beurteilungsspielraum (Urteil Mehibas Dordtselaan/Kommission, angeführt in Randnr. 92, Randnrn. 46 und 78). Ferner stellt die Erstattung oder der Erlass von Einfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Ein- und Ausfuhrsystem dar, so dass die Vorschriften, die eine solche Erstattung vorsehen, eng auszulegen sind. Insbesondere muss, da das Fehlen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit unabdingbare Voraussetzung der Erstattung oder des Erlasses von Einfuhrabgaben ist, dieser Begriff folglich so ausgelegt werden, dass die Anzahl der Fälle, in denen erstattet oder erlassen wird, begrenzt bleibt (Urteil Söhl & Sölke, angeführt in Randnr. 122, Randnr. 52).

137 Was erstens die Komplexität der Vorschriften angeht, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, so genügt der Hinweis, dass das Gericht bereits entschieden hat (Urteil vom 21. September 2004 in der Rechtssache T-104/02, Gondrand Frères/Kommission, Slg. 2004, II-0000, Randnrn. 59 bis 62 und 66), dass Artikel 1 Absatz 3 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 3319/94 keine nennenswerte Auslegungsschwierigkeit aufweist.

138 Was außerdem die genaue Art des Irrtums betrifft, so ist die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung (oben, Randnr. 117) nicht einschlägig, weil es hier nur um den angeblichen Irrtum der Agenten und nicht um den der Zollbehörden geht.

139 Die Kommission macht jedoch zu Recht geltend, dass die Klägerin ihre eigene Verantwortung nicht von sich weisen kann, indem sie sich auf den Irrtum ihrer Agenten - ganz gleich, ob tatsächlich geschehen oder nicht - beruft. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Einfuhrschema für die fraglichen Erzeugnisse allein von der Klägerin ausgearbeitet wurde, die zudem ihre Zollagenten frei ausgewählt hat, so dass es für die Anwendung des Artikels 239 des Zollkodex ohne Bedeutung ist, ob ein etwaiger Irrtum, der die Zollschuld begründet, dem Wirtschaftsteilnehmer oder seinem Beauftragten unterlaufen ist. Jedenfalls kann ein solcher Irrtum nicht zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts gehen (vgl. in diesem Sinne, was das Vorliegen eines besonderen Falles anbelangt, Urteil Mehibas Dordtselaan/Kommission, angeführt in Randnr. 92, Randnrn. 76 bis 78 und 82 bis 83).

140 Was zweitens die Berufserfahrung der Klägerin anbelangt, so ist zu untersuchen, ob sie im Wesentlichen im Ein- und Ausfuhrgeschäft tätig ist und ob sie bereits über eine gewisse Erfahrung mit der Durchführung dieser Geschäfte verfügt (Urteil Söhl & Söhlke, angeführt in Randnr. 122, Randnr. 57).

141 Insoweit ist festzustellen, dass die Klägerin selbst einräumt, eine gewisse Erfahrung mit der Einfuhr von Stickstofferzeugnissen, wie die Verordnung Nr. 3319/94 sie betrifft, zu besitzen. Wie die Kommission außerdem zutreffend ausführt, hatte die Klägerin bereits gleiche Erzeugnisse eingeführt, bevor sich der jeweilige Sachverhalt in den vorliegenden Rechtssachen zugetragen hat. Unter diesen Umständen geht die Kommission zu Recht davon aus, dass die Klägerin über die erforderliche Berufserfahrung verfügte, und zwar ab der ersten Lieferung im Vorgang REM 02/02.

142 Was drittens die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers betrifft, so muss sich dieser, sobald er Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften hat, deren Nichterfüllung eine Zollschuld begründen kann, nach Kräften informieren, um die jeweiligen Vorschriften nicht zu verletzen (Urteil Söhl & Söhlke, angeführt in Randnr. 122, Randnr. 58).

143 Wie die Kommission zutreffend ausführt, ergibt sich aus den Akten, dass die Klägerin, obwohl sie sich auf eine angebliche Unerfahrenheit mit der Zollabfertigung der fraglichen Erzeugnisse sowie auf der Anwendung der Verordnung Nr. 3319/94 innewohnende Schwierigkeiten beruft, nicht nur in keiner Weise Rat bei ihren Zollagenten gesucht hat, sondern ihnen sogar sehr genaue Anweisungen gegeben hat. Die Kommission hat in den streitigen Entscheidungen nicht versäumt, die Gründe darzulegen, weshalb die Klägerin Zweifel an der richtigen Anwendung der Vorschriften, deren Nichterfüllung eine Zollschuld begründen kann, hätte haben müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kaufring u. a./Kommission, angeführt in Randnr. 92, Randnr. 296).

144 Außerdem sprechen die Irrtümer der Klägerin bei der Ausstellung ihrer Rechnungen ebenfalls für eine mangelnde Sorgfalt ihrerseits.

145 Dagegen kann ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe nicht von der Möglichkeit des Artikels 11 Absatz 8 der Verordnung Nr. 384/96 Gebrauch gemacht. Es kommt nämlich dann zu einem Überprüfungsverfahren, wenn sich die Umstände verändern, anhand deren die in der Verordnung zur Einführung von Antidumpingzöllen zugrunde gelegten Werte bestimmt worden sind. Dieses Verfahren soll somit die auferlegten Zölle der Entwicklung der Elemente anpassen, die ihnen zugrunde lagen, und setzt eine Veränderung dieser Elemente voraus (Urteil des Gerichts vom 29. Juni 2000 in der Rechtssache T-7/99, Medici Grimm/Rat, Slg. 2000, II-2671, Randnr. 82).

146 Insgesamt kann das Verhalten der Klägerin bei der Abwicklung der fraglichen Geschäfte deshalb nicht als sorgfältig genug angesehen werden.

147 Nach alledem ist der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie in den streitigen Entscheidungen davon ausging, dass die Voraussetzung des Fehlens einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Klägerin nicht erfüllt war. Daher ist der dritte Teil des zweiten Klagegrundes als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

148 Die Erstattung von Einfuhrabgaben hängt im Übrigen nach dem Wortlaut von Artikel 905 der Durchführungsverordnung von zwei nebeneinander zu erfüllenden Voraussetzungen ab, nämlich erstens, dass ein besonderer Fall vorliegt und zweitens, dass es an einer offensichtlichen Fahrlässigkeit oder betrügerischen Absicht des Beteiligten fehlt. Folglich ist die Abgabenerstattung bereits dann zu versagen, wenn eine der beiden Voraussetzungen nicht vorliegt (Urteile Mehibas Dordtselaan/Kommission, angeführt in Randnr. 92, Randnr. 87, vom 12. Februar 2004 in der Rechtssache T-282/01, Aslantrans/Kommission, Slg. 2004, II-693, Randnr. 53, und Gondrand Frères/Kommission, angeführt in Randnr. 137, Randnr. 57).

149 Da die Voraussetzung, dass keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt, nicht erfüllt ist, braucht der erste Teil des zweiten Klagegrundes nicht daraufhin geprüft zu werden, ob ein besonderer Fall vorliegt.

150 Der zweite Klagegrund ist daher als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

Zum dritten Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht

Vorbringen der Parteien

151 Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission nicht die ihr nach Artikel 253 EG obliegende Begründungspflicht eingehalten.

152 Konkret beanstandet die Klägerin, die Kommission habe nicht angegeben, warum sie in den streitigen Entscheidungen nicht berücksichtigt habe, dass keine Umgehung des Antidumpingrechts vorgelegen habe. Der künstlich herbeigeführte Tatbestand der indirekten Inrechnungstellung, an dem die Zollagenten schuld seien, könne nämlich für sich allein nicht die Erhebung des festen Zolles nach Artikel 1 Absatz 3 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 3319/94 rechtfertigen.

153 Ferner sei Artikel 239 des Zollkodex eine Billigkeitsklausel, die dann Anwendung finden solle, wenn es unbillig wäre, einem Wirtschaftsteilnehmer einen Nachteil wie die Erhebung eines festen Zolles, der ihm normalerweise nicht entstanden wäre, zuzufügen. Die streitigen Entscheidungen könnten außerdem insoweit nicht als billig angesehen werden, als sie den festen Zoll nicht geschuldet hätte, wenn Cogema und der SCAC keine Irrtümer unterlaufen wären. Indem die Kommission nicht dargelegt habe, inwieweit ihre Entscheidungen billig seien, habe sie ihre Begründungspflicht verletzt.

154 Schließlich habe die Kommission, selbst wenn sie den Vorgang REM 1/98 nicht für vergleichbar mit den Vorgängen REM 02/02 und 03/02 halte, nicht erklärt, warum sie beim Vorgang REM 1/98 anders als hier die Tatsache berücksichtigt habe, dass der Einfuhrpreis über dem durch die Verordnung Nr. 3319/94 festgesetzten Mindestpreis gelegen habe.

155 Die Kommission verweist insoweit auf ihr Vorbringen im Rahmen des ersten Teils des zweiten Klagegrundes, das sich zum einen auf den angeblichen Fehler der Zollagenten und zum anderen auf den Vergleich der vorliegenden Vorgänge mit dem Vorgang REM 1/98 bezieht.

Würdigung durch das Gericht

156 Nach ständiger Rechtsprechung muss die in Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen und ihre Rechte verteidigen können und dass der Richter seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen jedoch nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden. Denn die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts diesen Erfordernissen genügt, ist nicht nur im Hinblick auf dessen Wortlaut zu beurteilen, sondern auch anhand dessen Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil Mehibas Dordtselaan/Kommission, angeführt in Randnr. 92, Randnr. 92 und die dort zitierte Rechtsprechung).

157 Bei Entscheidungen, mit denen Anträge auf Erlass gemäß Artikel 239 des Zollkodex abgelehnt werden, besteht die der Kommission obliegende Begründungspflicht darin, die Gründe darzulegen, warum die in dieser Vorschrift vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

158 Aus der Lektüre der streitigen Entscheidungen ergibt sich, dass die Kommission die Gründe klar dargelegt hat, aus denen sie die Voraussetzungen des Artikels 239 des Zollkodex für nicht erfüllt hielt. Es genügt nämlich die Feststellung, dass sie in Bezug auf die Rechtssache T-134/03 in den Randnummern 35 bis 68 (S. 10 bis 21) bzw. 69 bis 86 (S. 21 bis 26) der Entscheidung REM 02/02 ausgeführt hat, inwieweit die Voraussetzungen des Vorliegens eines besonderen Falles und des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit nicht erfüllt seien. Entsprechende Ausführungen finden sich in der der Rechtssache T-135/03 zugrunde liegenden Entscheidung REM 03/02 in den Randnummern 34 bis 65 (S. 10 bis 21) und 66 bis 80 (S. 21 bis 25).

159 Außerdem hat das Gericht die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidungen kontrollieren können. Auch ergibt sich aus den Akten des Verwaltungsverfahrens, der Klageschrift und der Erwiderung sowie aus der mündlichen Verhandlung, dass die Klägerin sowohl die Vorschläge einer ablehnenden Entscheidung als auch die streitigen Entscheidungen völlig verstanden hat und in der Lage war, ihre Erlassanträge und später ihre Nichtigkeitsklagen gegen die streitigen Entscheidungen auf ein solides und ausführliches Vorbringen in der Sache zu stützen.

160 Unter diesen Umständen ist der dritte Klagegrund als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

161 Nach alledem sind die Klagen abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

162 Nach Artikel 87 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission außer ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

Tenor:

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission.



Ende der Entscheidung

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