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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 06.04.1995
Aktenzeichen: T-142/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 85 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 85 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Austausch zwischen konkurrierenden Unternehmen von Informationen, die zur Schaffung eines Kartells verwendet werden können, stellt eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag dar.

2. Nimmt ein Unternehmen, selbst ohne sich aktiv zu beteiligen, an Sitzungen zwischen Unternehmen teil, die den Zweck haben, die Preise ihrer Erzeugnisse festzusetzen, und distanziert es sich nicht offen vom Inhalt dieser Sitzungen, wodurch es den anderen Teilnehmern Anlaß zu der Annahme gibt, daß es dem Ergebnis der Sitzungen zustimmt und sich daran halten wird, so kann der Nachweis als erbracht angesehen werden, daß es sich an der aus diesen Sitzungen resultierenden Absprache beteiligt.

3. Für die Frage, ob einem Unternehmen ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zur Last gelegt werden kann, ist einzig relevant, ob es sich an einer Vereinbarung mit anderen Unternehmen beteiligt hat, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte oder bewirkte, und ob diese Vereinbarung geeignet war, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Irrelevant ist, ob die individuelle Beteiligung des betreffenden Unternehmens an der Vereinbarung trotz der geringen Bedeutung dieses Unternehmens den Wettbewerb einschränken oder den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen konnte.

Im übrigen fordert die vorgenannte Vorschrift nicht, daß die festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen den Handel zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich spürbar beeinträchtigt haben, sondern verlangt nur den Nachweis, daß die Vereinbarung geeignet war, eine derartige Wirkung zu entfalten.

4. Für die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag brauchen die konkreten Auswirkungen der Absprachen nicht in Betracht gezogen zu werden, wenn feststeht, daß diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken.

5. Hat die Kommission nach dem EGKS-Vertrag für bestimmte Erzeugnisse Quotenregelungen aufgestellt, so können die Hersteller eines Erzeugnisses, das unter den EWG-Vertrag fällt, von diesen Regelungen aber betroffen ist, nicht wegen des Fehlens einer Gemeinschaftsregelung für ihr Erzeugnis unter Berufung auf die Untätigkeit der Kommission durch gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossende geheime Absprachen selbst Abhilfe schaffen. Denn diesen Herstellern steht es frei, ihre Absprachen gemäß Absatz 3 dieses Artikels bei der Kommission anzumelden, wodurch es dieser ermöglicht wird, über die Vereinbarkeit der Absprachen mit den in dieser Vorschrift aufgestellten Kriterien zu befinden.

6. Beschlüsse, Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sind nur dann geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zu beeinträchtigen, wenn sich anhand objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, daß sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen und dadurch der Errichtung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten hinderlich sein können.

7. Die Kommission darf in Anwendung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 für mehrere Zuwiderhandlungen eine einzige Geldbusse verhängen. Dies hat erst recht zu gelten, wenn die verschiedenen Zuwiderhandlungen die gleiche Art von Verhaltensweisen auf den verschiedenen Märkten, insbesondere die Festlegung von Preisen und Quoten und einen Informationsaustausch, bezweckten.

Ausserdem wird durch die Verhängung einer einzigen Geldbusse weder dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit genommen, deren Begründetheit zu prüfen, noch dem Gemeinschaftsrichter die Möglichkeit, seine Rechtmässigkeitskontrolle auszuüben, wenn die betreffende Entscheidung insgesamt gesehen die dazu erforderlichen Angaben mitteilt.

8. Für eine vorsätzlich begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages ist es nicht erforderlich, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen diese Regeln bewusst gewesen ist; es genügt, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte.

9. Verhängt die Kommission eine Geldbusse gemäß Artikel 15 der Verordnung Nr. 17, so kann sie bei Zahlungsverzug und auf jeden Fall bei Klageerhebung die Zahlung von Zinsen zu einem höheren Satz als dem des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit vorschreiben, um die Erhebung offensichtlich unbegründeter Klagen zu verhindern, deren ausschließliches Ziel darin bestuende, die Zahlung der Geldbusse zu verzögern.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 6. APRIL 1995. - USINES GUSTAVE BOEL SA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - ZUWIDERHANDLUNG GEGEN ARTIKEL 85 EWG-VERTRAG. - RECHTSSACHE T-142/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.553 ° Betonstahlmatten, ABl. L 260, S. 1; im folgenden: Entscheidung), mit der die Kommission gegen vierzehn Hersteller von Betonstahlmatten eine Geldbusse wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag festsetzte. Gegenstand der Entscheidung sind Betonstahlmatten. Dabei handelt es sich um vorgefertigte Bewehrungen aus glatten oder gerippten kaltgezogenen Stahldrähten, die durch rechteckiges Punktschweissen zu einem Netz verbunden werden. Dieses Erzeugnis wird in fast allen Anwendungsgebieten des bewehrten Stahlbetonbaus eingesetzt.

2 Von 1980 an soll es in diesem Sektor auf dem deutschen, dem französischen und dem Benelux-Markt zu einer Reihe von Absprachen und Praktiken gekommen sein, die zu der Entscheidung führten.

3 Für den deutschen Markt erteilte das Bundeskartellamt am 31. Mai 1983 die Erlaubnis zur Bildung eines Strukturkrisenkartells der deutschen Betonstahlmattenhersteller, die nach einmaliger Verlängerung im Jahr 1988 ablief. Das Kartell bezweckte einen Kapazitätsabbau und sah ausserdem Lieferquoten und eine Preisregelung vor, die allerdings nur für die ersten beiden Jahre der Anwendung des Kartellvertrags genehmigt wurde (vgl. Punkte 126 und 127 der Entscheidung).

4 Die französische Wettbewerbskommission gab am 20. Juni 1985 eine Stellungnahme zur Lage des Wettbewerbs auf dem Betonstahlmattenmarkt in Frankreich ab, worauf die Entscheidung Nr. 85-6 DC des französischen Ministers für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt vom 3. September 1985 erging, mit der verschiedenen französischen Gesellschaften Geldbussen auferlegt wurden, weil sie in der Zeit von 1982 bis 1984 Maßnahmen und Praktiken durchgeführt hatten, die eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs und eine Behinderung des normalen Funktionierens des Marktes bezweckten und bewirkten.

5 Am 6. und 7. November 1985 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) gleichzeitig und ohne vorherige Ankündigung Nachprüfungen in den Geschäftsräumen von sieben Unternehmen und zwei Unternehmensvereinigungen durch, und zwar bei Tréfilunion SA, Sotralentz SA, Tréfilarbed Luxembourg/Saarbrücken SARL, Ferriere Nord SpA (Pittini), Baustahlgewebe GmbH (BStG), Thibo Draad- en Bouwstaalprodukten BV (Thibodraad), NV Bekärt, Syndicat national du tréfilage d' acier (STA) und Fachverband Betonstahlmatten e. V.; am 4. und 5. Dezember 1985 erfolgten weitere Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Unternehmen ILRO SpA, G. B. Martinelli, NV Usines Gustave Boël (afdeling Trébos), Tréfileries de Fontaine-l' Evêque, Frère-Bourgeois Commerciale SA (FBC), Van Merksteijn Staalbouw BV und ZND Bouwstaal BV.

6 Aufgrund des im Rahmen dieser Prüfungen gefundenen Materials und der gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 erhaltenen Auskünfte gelangte die Kommission zu der Schlußfolgerung, daß die betreffenden Hersteller zwischen 1980 und 1985 durch eine Reihe von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen betreffend Lieferquoten und Preise für Betonstahlmatten gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen hätten. Die Kommission leitete das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 ein, und am 12. März 1987 wurde die Mitteilung der Beschwerdepunkte den betroffenen Unternehmen übersandt, die hierzu Stellung nahmen. Eine Anhörung ihrer Vertreter fand am 23. und 24. November 1987 statt.

7 Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung. Darin heisst es (Punkt 22), daß es sich bei den Wettbewerbsbeschränkungen um eine Reihe von Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen handele, die die Festsetzung von Preisen und/oder Lieferquoten sowie die Aufteilung der Märkte für Betonstahlmatten zum Gegenstand hätten. Diese Absprachen hätten sich auf verschiedene Teilmärkte (französischer, deutscher oder Benelux-Markt) bezogen, doch hätten sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, da an ihnen Unternehmen mit Sitz in mehreren Mitgliedstaaten beteiligt gewesen seien. Es wird weiter ausgeführt: "Im vorliegenden Fall handelt es sich weniger um eine globale Absprache zwischen sämtlichen Herstellern aus allen betroffenen Mitgliedstaaten, sondern eher um einen Komplex mehrerer Absprachen mit teilweise wechselnden Beteiligten. Jedoch hat dieser Absprachenkomplex eine weitgehende Reglementierung eines wesentlichen Teils des Gemeinsamen Marktes durch die Reglementierung der einzelnen Teilmärkte bewirkt."

8 Die Entscheidung enthält folgenden verfügenden Teil:

"Artikel 1

Die Unternehmen Tréfilunion SA, Société Métallurgique de Normandie (SMN), CCG (TECNOR), Société de treillis et panneaux soudés (STPS), Sotralentz SA, Tréfilarbed SA bzw. Tréfilarbed Luxembourg/Saarbrücken Sarl, Tréfileries de Fontaine l' Evêque, Frère Bourgeois Commerciale SA (jetzt Steelinter SA), NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos, Thibo Draad- en Bouwstaalprodukten BV (jetzt Thibo Bouwstaal BV), Van Merksteijn Staalbouw BV, ZND Bouwstaal BV, Baustahlgewebe GmbH, ILRO SpA, Ferriere Nord SpA (Pittini) und GB Martinelli fu GB Metallurgica SpA haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie sich in dem Zeitraum vom 27. Mai 1980 bis zum 5. November 1985 in einem oder mehreren Fällen an einer oder mehreren Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen (Absprachen) beteiligten, die in der Festsetzung von Verkaufspreisen, der Einschränkung des Absatzes, der Aufteilung der Märkte sowie in Maßnahmen zur Anwendung dieser Absprachen und zu deren Kontrolle bestanden.

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen, soweit sie nach wie vor auf dem Betonstahlmatten-Sektor in der EWG tätig sind, sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen (falls sie dies noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer Betonstahlmatten-Aktivitäten von allen Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen.

Artikel 3

Gegen die nachstehend aufgeführten Unternehmen werden wegen der in Artikel 1 festgestellten Zuwiderhandlungen folgende Geldbussen festgesetzt:

1. Tréfilunion SA (TU): eine Geldbusse von 1 375 000 ECU,

2. Société Métallurgique de Normandie (SMN): eine Geldbusse von 50 000 ECU,

3. Société des treillis et panneaux soudés (STPS): eine Geldbusse von 150 000 ECU,

4. Sotralentz SA: eine Geldbusse von 228 000 ECU,

5. Tréfilarbed Luxembourg-Saarbrücken Sarl: eine Geldbusse von 1 143 000 ECU,

6. Steelinter SA: eine Geldbusse von 315 000 ECU,

7. NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos: eine Geldbusse von 550 000 ECU,

8. Thibo Bouwstaal BV: eine Geldbusse von 420 000 ECU,

9. Van Merksteijn Staalbouw BV: eine Geldbusse von 375 000 ECU,

10. ZND Bouwstaal BV: eine Geldbusse von 42 000 ECU,

11. Baustahlgewebe GmbH (BStG): eine Geldbusse von 4 500 000 ECU,

12. ILRO SpA: eine Geldbusse von 13 000 ECU,

13. Ferriere Nord SpA (Pittini): eine Geldbusse von 320 000 ECU,

14. GB Martinelli fu GB Metallurgica SpA: eine Geldbusse von 20 000 ECU.

..."

9 Nach der Entscheidung (Punkte 114 und 195 Buchstabe f) ist das Unternehmen NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos, eine Abteilung der Gesellschaft NV Usines Gustave Boël ohne eigene Rechtspersönlichkeit, weshalb die Kommission ihre Entscheidung an die letztgenannte Gesellschaft richtete. Die Klägerin wird daher nachstehend unterschiedslos als Boël, Trébos oder Boël/Trébos bezeichnet.

Verfahren

10 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 17. Oktober 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Zehn der dreizehn anderen Adressaten dieser Entscheidung haben ebenfalls Klage erhoben.

11 Mit Beschlüssen vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die vorliegende Rechtssache und die zehn anderen Rechtssachen gemäß Artikel 14 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht verwiesen. Diese Klagen sind unter den Nummern T-141/89 bis T-145/89 und T-147/89 bis T-152/89 in das Register eingetragen worden.

12 Mit Beschluß vom 13. Oktober 1992 hat das Gericht die vorgenannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden.

13 Mit Schriftsätzen, die zwischen dem 22. April und dem 7. Mai 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Parteien auf die Fragen geantwortet, die ihnen das Gericht gestellt hatte.

14 In Anbetracht der Antworten auf diese Fragen hat das Gericht auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

15 Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung, die vom 14. bis 18. Juni 1993 stattgefunden hat, Ausführungen gemacht und auf die Fragen des Gerichts geantwortet.

Anträge der Parteien

16 Die Klägerin beantragt,

° die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

° demgemäß die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit in ihr eine Zuwiderhandlung der Klägerin gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird;

° hilfsweise, die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse von 550 000 ECU herabzusetzen;

° auf jeden Fall den auf die Geldbusse angewandten Zinssatz auf 9 % herabzusetzen;

° der Beklagten sämtliche Verfahrenskosten aufzuerlegen.

17 Die Kommission beantragt,

° die Klage als unbegründet abzuweisen;

° der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Begründetheit

18 Die Klägerin stützt ihre Klage im wesentlichen auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten macht sie einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und mit dem zweiten einen Verstoß gegen Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 geltend.

Zum Klagegrund des Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag

I ° Zum Nachweis der Absprachen

A ° Zum französischen Markt

1. Zeitraum 1981/82

Angefochtene Handlung

19 In der Entscheidung (Punkte 23 bis 50 und 159) wird der Klägerin vorgeworfen, sie habe sich zwischen April 1981 und März 1982 an einer ersten Reihe von Absprachen über den französischen Markt beteiligt. Diese Absprachen hätten zum einen die französischen Hersteller (Tréfilunion, STPS, SMN, CCG und Sotralentz) und zum anderen die auf dem französischen Markt tätigen ausländischen Hersteller (ILRO, Ferriere Nord, Martinelli, Boël/Trébos, TFE, FBC und Tréfilarbed) einbezogen und im Hinblick auf eine Begrenzung der Einfuhren von Betonstahlmatten nach Frankreich die Festsetzung von Preisen und Quoten zum Gegenstand gehabt.

Vorbringen der Parteien

20 Die Klägerin räumt ein, an den Sitzungen über die Absprachen teilgenommen zu haben, macht aber geltend, die Kommission schließe zu Unrecht aus ihrer Teilnahme an den Sitzungen auf ihre Beteiligung an den Absprachen.

21 Sie macht erstens geltend, sie habe wegen ihres geringen Marktanteils in Frankreich keine bestimmende Rolle bei den Sitzungen gespielt und Zweck ihrer Teilnahme sei es gewesen, sich über die Marktentwicklung zu informieren und dann ihren Standpunkt in aller Freiheit nach Maßgabe ihrer Geschäftsinteressen festzulegen.

22 Bezueglich der Preise bestreitet die Klägerin, daß die angebliche Absprache eine spektakuläre Preiserhöhung ermöglicht habe. Die Kommission habe nicht den Beweis erbracht, daß die von ihr praktizierten Preise mit denen der anderen Hersteller übereingestimmt hätten.

23 Bezueglich der Quoten räumt die Klägerin einen Meinungsaustausch über die ideale Verteilung von Waren ein, leugnet aber, sich an einer Quotenvereinbarung beteiligt und an sie gehalten zu haben. Sie bestreitet die Schlußfolgerung, die die Kommission in Punkt 49 der Entscheidung aus einer handschriftlichen Notiz von Ferriere Nord (Anlage 25 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) ziehe, daß nämlich, wenn die Absatzmengen für die Belgier in Frankreich 8 000 Tonnen betragen hätten und die FBC/TFE-Quote ° FBC habe die Produktion von TFE vermarktet ° 4 000 Tonnen betragen habe, auch die Boël/Trébos-Quote bei 4 000 Tonnen gelegen haben müsse.

24 Die Kommission weist darauf hin, daß die Klägerin ihre Teilnahme an den Sitzungen im Rahmen der Absprachen zugestanden habe und deren wettbewerbswidrigen Zweck nicht bestreite. Daß es Zweck dieser Teilnahme gewesen sei, sich über die Marktentwicklung zu informieren und Meinungen über die ideale Verteilung der Erzeugnisse auszutauschen, nehme ihr nicht den Charakter einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, da eine derartige Teilnahme schon für sich mit dieser Vorschrift unvereinbar sei.

25 Hinzu komme, daß die in der Entscheidung angeführten Schriftstücke hinreichend belegten, daß sich die Klägerin aktiv an den Absprachen beteiligt habe. Daß sie sich nicht an die Preise und Quoten gehalten habe, ändere nichts am Vorliegen einer Zuwiderhandlung.

26 Schließlich sei der Preisanstieg die Folge einer künstlichen Situation gewesen (Punkt 24 der Entscheidung), und sie habe in der Entscheidung (Punkte 40 bis 45) festgestellt, daß bezueglich der Preise unter den Parteien Meinungsverschiedenheiten aufgetreten seien, was zu Beschwerden der Klägerin geführt habe (Punkte 40 und 50 der Entscheidung).

Würdigung durch das Gericht

27 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin ihre Teilnahme an den Sitzungen einräumt, daß sie aber bestreitet, Preis- und Quotenvereinbarungen getroffen zu haben. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nicht bestreitet, daß in den Sitzungen, an denen sie teilgenommen hat, Preise und Quoten festgesetzt werden sollten. Daher ist zu prüfen, ob die Kommission aus der Teilnahme der Klägerin an diesen Sitzungen zu Recht auf deren Beteiligung an den Absprachen geschlossen hat.

28 Das Gericht ist der Auffassung, daß die von der Kommission beigebrachten Schriftstücke belegen, daß sich die Klägerin 1981 und 1982 an den auf dem französischen Markt durchgeführten Absprachen beteiligt hat. Aus der Notiz von Ferriere Nord über die Sitzung vom 1. April 1981 in Paris mit den französischen, italienischen und belgischen Herstellern (Anlage 25 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 49 der Entscheidung) ergibt sich nämlich, daß zu diesem Zeitpunkt für die belgischen Hersteller eine Menge von 8 000 Tonnen "bereits ausgehandelt" war. Eine weitere Aufzeichnung von Tréfilunion vom 23. Oktober 1981 (Anlage 1 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkte 46 und 48 der Entscheidung) zeigt, daß sich die Quote des anderen belgischen Herstellers nach "jüngsten Vereinbarungen" auf 4 000 Tonnen belief. Die Kommission hat mit vollem Recht aus diesen beiden Schriftstücken darauf geschlossen, daß der Klägerin nach den getroffenen Vereinbarungen, bei denen Tréfilarbed ausweislich des zweiten Schriftstücks beanstandet hat, daß sie "den italienischen und belgischen Herstellern einen übermässigen Anteil" zuwiesen, eine Quote von 4 000 Tonnen zugeteilt worden war.

29 Ein Fernschreiben von Boël vom 15. März 1982 an Ferriere Nord zeigt, daß sich "die französisch-belgisch-italienische Absprache von Anfang 1981" ebenfalls auf die Preise bezog, da sich Herr Castelnuovo von Boël darin beschwert, daß "Herr Montanelli von ILRO... in Frankreich durch ein Unternehmen in Briançon recht grosse Mengen von Betonstahlmatten zu weit niedrigeren als den im Rahmen... [dieser] Absprache... vereinbarten Preisen verkauft", und sich gemeinsam mit Herrn Boël bei Herrn Pittini von Ferriere Nord für die "Bewahrung des Marktes vor Erschütterungen" bedankt (Anlage 17 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 50 der Entscheidung).

30 Im April 1982 hat die Klägerin an Gesprächen zur Anpassung und Durchsetzung der zukünftigen Vereinbarungen teilgenommen, wie einer Notiz von Herrn Cattapan von Ferriere Nord über eine Sitzung vom 6. April 1982 (Anlage 19 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 50 der Entscheidung) sowie dessen Fernschreiben vom 20. April 1982 an Italmet, den Agenten von Ferriere Nord und Martinelli in Frankreich, zu entnehmen ist, in dem ein Fernschreiben vom 19. April 1982 an die Vertreter von ILRO, Martinelli und Tréfilunion wiedergegeben ist (Anlage 20 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 50 der Entscheidung), in dem die Rede ist von der "Initiative einiger französischer Hersteller, um zu Bedingungen auf den Markt zu gehen, die mit den letzten Direktiven unvereinbar sind".

31 Aus alledem ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis für die Beteiligung der Klägerin an den Ansprachen gelungen ist, die eine Festlegung der Preise und Quoten für den französischen Markt während des Zeitraums 1981/82 bezweckten.

32 Demnach ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

2. Zeitraum 1983/84

Angefochtene Handlung

33 In der Entscheidung (Punkte 51 bis 76 und 160) wird der Klägerin vorgeworfen, sie habe sich an einer zweiten Reihe von Absprachen beteiligt, die zum einen die französischen Hersteller (Tréfilunion, STPS, SMN, CCG und Sotralentz) und zum anderen die auf dem französischen Markt tätigen ausländischen Hersteller (ILRO, Ferriere Nord, Martinelli, Boël/Trébos, TFE, FBC und Tréfilarbed) einbezogen hätten. Diese Absprachen hätten im Hinblick auf eine Begrenzung der Einfuhren von Betonstahlmatten nach Frankreich die Festsetzung von Preisen und Quoten zum Gegenstand gehabt. Diese Reihe von Absprachen sei zwischen Anfang 1983 und Ende 1984 durchgeführt worden und am 14. Oktober 1983 durch das Zustandekommen eines "Protocole d' accord" für den Zeitraum vom 1. Juli 1983 bis 31. Dezember 1984 formalisiert worden. Dieses Protokoll fasse die Ergebnisse der verschiedenen Verhandlungen zwischen den französischen, italienischen und belgischen Herstellern sowie Arbed über die Quoten und Preise für den französischen Markt zusammen und setze die Quoten für Belgien, Italien und Deutschland "im Rahmen eines zwischen diesen Herstellern und den französischen Herstellern getroffenen Übereinkommens" auf 13,95 % des Verbrauchs im französischen Markt fest. Die Klägerin habe diese Absprachen nach Juni 1984 nicht mehr eingehalten (Punkt 76 der Entscheidung).

Vorbringen der Parteien

34 Die Klägerin bestreitet, sich an der tatsächlichen Durchführung der Quoten beteiligt und eine Quote von 2,86 % erhalten zu haben, die ihr die Kommission auf der Grundlage von Schriftstücken der Association technique pour le développement de l' emploi du treillis soudé (Fachverband für die Förderung der Verwendung von Betonstahlmatten; nachstehend: ADETS) zurechnet. Sie sei erst 1986 Mitglied von ADETS geworden und habe den Inhalt dieser Schriftstücke nie gebilligt. Sie will weit über den sogenannten Quoten liegende Lieferungen durchgeführt haben.

35 Ausserdem werde sie in dem "Protocole d' accord" vom 14. Oktober 1983 nicht genannt und habe es auch nicht unterzeichnet.

36 Zwischen den Tabellen in Anlage 42 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die sich auf die Monate Januar, Februar und März 1984 bezögen, und Punkt 65 der Entscheidung, der angeblich die Daten dieser Tabellen wiedergebe, in Wahrheit aber den Zeitraum Juli 1983 bis März 1984 betreffe, bestehe ein Widerspruch.

37 Die Kommission macht geltend, daß die von ADETS erstellten Schriftstücke (Anlagen 40 bis 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 62 der Entscheidung) genau dem Inhalt des "Protocole d' accord" entsprächen, dem sich die belgische Beteiligung (Punkt 60 der Entscheidung) wegen des Vorliegens einer Vereinbarung zwischen den ausländischen und den französischen Herstellern entnehmen lasse. Die von der Klägerin vorgelegten Tabellen bewiesen nichts, da sie keine den Schriftstücken von ADETS vergleichbaren Daten enthielten, und auf jeden Fall seien weit über den Quoten liegende Lieferungen erst nach dem Zeitpunkt erfolgt, der in der Entscheidung zur Abgrenzung der Dauer der Zuwiderhandlung festgelegt worden sei (Punkte 73 und 76). In einem solchen Kontext bedeute der Umstand, daß die Klägerin das Protokoll nicht unterzeichnet habe, nicht, daß sie sich nicht an den Absprachen beteiligt habe. Ausserdem sei die Anlage 42 für den Monat März 1984 erstellt worden, betreffe aber ebenso wie die Tabelle in Punkt 65 der Entscheidung kumulierte Zahlen über Betonstahlmattenlieferungen auf dem französischen Markt für den gesamten Zeitraum von Juli 1983 bis März 1984.

Würdigung durch das Gericht

38 Das Gericht stellt fest, daß der Klägerin in der Entscheidung (Punkt 51) vorgeworfen wird, sich an den Absprachen über den französischen Markt, die in der ersten Jahreshälfte 1983 vorbereitet wurden und zu einem "Protocole d' accord" geführt haben, in dem die Ergebnisse dieser verschiedenen Verhandlungen festgehalten wurden (Punkt 60), insgesamt beteiligt zu haben. Nach der Entscheidung (Punkt 60 Buchstabe c) ergibt sich die "belgische Beteiligung... aus dem 'Protocole d' accord' selbst", während sich die Boël zugeteilte Quote aus Unterlagen mit monatlichen und kumulierten Vergleichen zwischen Quoten und tatsächlichen Lieferungen ergibt (Punkt 62). Nach der Entscheidung (Punkt 73) fingen die belgischen Unternehmen gegen Mai und Juni 1984 an, ihre Quoten auf kumulierter Basis zu überschreiten, so daß Boël und die anderen die Absprachen nach Juni 1984 nicht mehr eingehalten hätten (Punkt 76).

39 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission über keinen Beweis für die Verwicklung von Boël in die Gespräche des Jahres 1983 verfügt. Die Klägerin war nämlich in der Sitzung vom 23. Februar 1983 in Mailand, in der diese Gespräche geführt wurden (Anlagen 27 und 29 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 53 der Entscheidung), nicht anwesend. Ausserdem wurde das Fernschreiben von Herrn Chopin de Janvry, des Vertreters von Sacilor, vom 24. Mai 1983 über eine Sitzung vom 19. Mai (Anlage 30 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 55 der Entscheidung) der Klägerin nicht übermittelt und kann daher nicht gegen sie verwandt werden.

40 Es bedarf allerdings der Prüfung, ob die Verwicklung von Boël nicht aus späteren Schriftstücken gefolgert werden kann. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zum Nachweis der Beteiligung von Boël an den Quotenabsprachen über den französischen Markt für den Zeitraum 1983/84 zwei Arten von Schriftstücken vorgelegt hat. Es handelt sich zum einen um ein Schriftstück mit dem Titel "Protocole d' accord 'Treillis soudé' " vom 14. Oktober 1983 und zum anderen um eine Reihe von Tabellen, in denen für die Monate Januar, Februar, März, Mai und Juni 1984 die Absatzzahlen der einzelnen Hersteller auf dem französischen Markt und ihr Marktanteil angegeben sind und diese Zahlen "Bezugsgrössen" gegenübergestellt werden.

41 Das Gericht stellt fest, daß im "Protocole d' accord" die Notwendigkeit bekräftigt wurde, den "Anteil der belgischen, italienischen und deutschen Einfuhren (abgesehen von Tréfilarbed) zu begrenzen und zu regulieren, indem sie im Rahmen eines zwischen diesen Herstellern und den französischen Herstellern getroffenen Übereinkommens auf 13,95 % des Verbrauchs im französischen Markt festgesetzt werden", und daß diese Zahl genau der in den Tabellen den belgischen und italienischen Herstellern zugewiesenen "Bezugsgrösse" entspricht.

42 Diese völlige Entsprechung gewinnt eine ganz besondere Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die Klägerin an der Ausarbeitung dieser Tabellen eng beteiligt war. Tréfilunion verfügte nämlich im Januar 1984 über die monatlichen Absatzzahlen der Klägerin in Frankreich seit Juli 1983, weil diese in der kumulierten Absatzzahl in der Tabelle von Januar 1984 (Anlage 42 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkte 62 ff. der Entscheidung) enthalten sind. Die in den Tabellen angegebenen Zahlen entsprechen nahezu den tatsächlichen Verkäufen der Klägerin, wie sie sich nach den in der mündlichen Verhandlung von ihr vorgelegten Zahlen darstellen; wie aber diese Zahlen der ADETS, der sie zu dieser Zeit nicht angehörte, übermittelt worden sein sollen, hat die Klägerin nicht zu erklären vermocht.

43 Hinzu kommt, daß die Umsätze der Klägerin in der Spalte "Vertragspartner insgesamt" auftauchen und ° absolut sowie in Marktanteilen ° mit den Zahlen in der Spalte "Bezugsgrössen" verglichen werden.

44 Diese Beweiselemente werden schließlich dadurch erhärtet, daß die Klägerin, wie aus einem Fernschreiben vom 13. April 1984 hervorgeht, zu einer Sitzung am 15. Mai 1984 eingeladen wurde, deren Zweck es war, "eine Bilanz unserer Zusammenarbeit zu erstellen, eine Übersicht über den europäischen Markt zu gewinnen und auf dessen Grundlage einen Zeitplan für Preiserhöhungen mit festzulegenden Beträgen aufzustellen, sowie Marktinterpenetration" (Anlage 47 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 67 der Entscheidung).

45 Nach alledem ist das Gericht der Auffassung, daß die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, daß sich die Klägerin an den Quotenabsprachen über den französischen Markt bis Juni 1984 beteiligt hatte.

46 Daher ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

B ° Zum Beneluxmarkt

47 In der Entscheidung wird der Klägerin vorgeworfen, sich an Absprachen über den Beneluxmarkt beteiligt zu haben, die Quoten- und Preisabsprachen umfasst hätten.

1. Die Quotenabsprachen

Angefochtene Handlung

48 In der Entscheidung (Punkt 164) wird ausgeführt, daß in den Sitzungen von Breda und Bunnik (Niederlande) zwar keine Quotenabsprachen getroffen worden seien (dahin gehende Vorschläge seien geprüft, aber offensichtlich nicht realisiert worden), immerhin seien aber zwecks Vorbereitung eines Quotenkartells Daten einzelner Unternehmen an Wettbewerber, insbesondere Ausfuhrzahlen von Tréfilunion an Boël/Trébos (Punkt 85 der Entscheidung), weitergegeben worden, was einen Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag darstelle.

49 In der Entscheidung (Punkte 78 Buchstabe b und 171) wird der Klägerin ausserdem vorgeworfen, sie habe sich an Absprachen zwischen deutschen Herstellern und Benelux-Herstellern ("Gesprächskreis von Breda") beteiligt, die die Anwendung mengenmässiger Beschränkungen auf die deutschen Ausfuhren nach Belgien und in die Niederlande sowie die Übermittlung der Exportzahlen bestimmter deutscher Hersteller an die belgisch-niederländische Gruppe vorgesehen hätten.

Vorbringen der Parteien

50 Die Klägerin bestreitet, daß nach der Sitzung vom 26. August 1982 gemeinsame Maßnahmen zur Durchführung eines Quotenkartells ins Werk gesetzt worden seien.

51 Die Kommission hält es für unbestreitbar, daß nach der Sitzung vom 26. August 1982 Versuche zur Schaffung eines Quotenkartells unternommen worden seien, die allerdings keinen Erfolg gehabt hätten (Punkt 112 der Entscheidung). Zumindest stelle zwischen Wettbewerbern der Austausch von Informationen, die möglicherweise zur Schaffung eines solchen Kartells verwendet werden könnten, jedoch eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 EWG-Vertrag dar.

Würdigung durch das Gericht

52 Das Gericht stellt fest, daß der Klägerin in der Entscheidung nicht vorgeworfen wird, sich an einem Quotenkartell beteiligt zu haben, sondern Informationen ausgetauscht zu haben, die zur Schaffung eines solchen Kartells verwendet werden konnten.

53 Da die Klägerin diesen Informationsaustausch nicht bestritten hat, der im übrigen aus dem in Punkt 85 der Entscheidung genannten Schriftstück hervorgeht, ist der Schluß zu ziehen, daß der Kommission der Beweis für das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 EWG-Vertrag rechtlich gelungen ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnrn. 258 bis 261).

54 Das Gericht stellt ausserdem fest, daß die Klägerin ihre Beteiligung an den Absprachen über mengenmässige Beschränkungen der deutschen Ausfuhren in die Benelux-Länder und über die Übermittlung der Exportzahlen nicht bestreitet.

2. Die Preisabsprachen

Angefochtene Handlung

55 In der Entscheidung (Punkte 78 Buchstabe b, 163 und 168) wird der Klägerin vorgeworfen, sie habe sich an Preisabsprachen zwischen den wichtigsten Marktteilnehmern auf dem Benelux-Markt einschließlich der Nicht-Benelux-Hersteller sowie an Absprachen zwischen deutschen Herstellern, die nach Benelux exportierten, und den übrigen Marktteilnehmern auf dem Benelux-Markt über die Respektierung der festgesetzten Preise für den Benelux-Markt beteiligt. Diese Absprachen seien in Sitzungen getroffen worden, die zwischen August 1982 und November 1985 in Breda und Bunnik stattgefunden hätten und an denen (Punkt 168 der Entscheidung) zumindest die Unternehmen Thibodraad, Tréfilarbed, Boël/Trébos, FBC, Van Merksteijn, ZND, Tréfilunion und von den deutschen Herstellern zumindest BStG teilgenommen hätten. Die Entscheidung stützt sich auf zahlreiche Fernschreiben des Agenten von Tréfilunion in den Benelux-Ländern an Tréfilunion. Diese Fernschreiben enthielten genaue Angaben über jede Sitzung (Zeitpunkt, Ort, Beteiligte, Abwesende, Ziel der Sitzung [Besprechung der Marktsituation, Vorschläge bzw. Beschlüsse bezueglich der Preise], Festlegung des Datums und des Ortes der nächsten Sitzung).

Vorbringen der Parteien

56 Die Klägerin räumt ein, an Sitzungen zum Benelux-Markt teilgenommen zu haben, in denen Informationen über die angewandten Preise ausgetauscht worden seien, will indessen nur teilgenommen haben, um sich über die Marktbedingungen zu unterrichten, nur eine passive Rolle gespielt und sich nie gegenüber den anderen Teilnehmern verpflichtet haben. Ausserdem bestreitet sie, um eine etwaige Rolle als Zugpferd in diesem Bereich zu widerlegen, daß die Sitzung vom 26. August 1982 in Breda von Trébos auf Initiative von Herrn Boël einberufen worden sei (Punkt 84 der Entscheidung); sie sei vielmehr von Herrn Brökman von Thibodraad einberufen worden.

57 Die Kommission weist darauf hin, daß Trébos an allen Sitzungen in Breda und Bunnik, in denen Preise festgelegt worden seien, teilgenommen habe und daß sich ihr besonderes Interesse an dieser Absprache aus ihrem in Punkt 97 der Entscheidung erwähnten Fernschreiben vom 26. März 1984 ergebe. Die Sitzung vom 26. August 1982 sei nach dem Bericht von Tréfilunion über diese Sitzung "von Trébos auf Initiative von Herrn Boël" einberufen worden; gegen diesen Beleg habe die Klägerin keinen Beweis vorlegen können.

Würdigung durch das Gericht

58 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin ihre Teilnahme an bestimmten Sitzungen einräumt, daß sie aber bestreitet, Preisabsprachen getroffen zu haben. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nicht bestreitet, daß die Sitzungen, an denen sie teilgenommen hat, den Zweck hatten, Preise festzusetzen. Daher ist zu prüfen, ob die Kommission aus der Teilnahme der Klägerin an diesen Sitzungen zu Recht auf deren Beteiligung an den Absprachen geschlossen hat.

59 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin sich entgegen ihrer Behauptung bei den Sitzungen nicht darauf beschränkt hat, Marktinformationen zu sammeln, sondern sich aktiv an ihnen beteiligt hat. Insoweit ist es nicht von Bedeutung, ob die Klägerin die Sitzung vom 26. August 1982 ausgerichtet hat; es genügt nämlich, auf die Wortmeldungen von Herrn Boël in dieser Sitzung hinzuweisen, in der er eine Lösung für den belgischen Markt forderte, oder auf die Haltung von Herrn De Hornois, des Vertreters von Boël/Trébos, wie sie in seinem Fernschreiben vom 26. März 1984 an Herrn Marie von Tréfilunion (Anlage 68 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 97 der Entscheidung) Ausdruck gefunden hat, in dem es heisst: "In der Folge der Sitzung vom 22. März 1984 betreffend den belgischen Markt sind die Preise für Betonstahlmatten für März/April von 17 400 BFR auf 18 500 BFR erhöht worden. Eine Preissteigerung von 500 BFR/Tonne ist für Mai vorgesehen... Wir bitten, diese Anweisungen an Herrn Peters zu geben, denn wir haben festgestellt, daß Sie auf dem belgischen Markt aktiv sind und sich für diesen Markt trotz der Erklärungen von Herrn Peters während der letzten Sitzungen in Breda interessieren." Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß das Fernschreiben von Tréfilunion vom 3. April 1984 an Trébos (aufgeführt in Punkt 97 der Entscheidung, Anlage 69 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) die Rolle von Herrn Boël bezueglich der Markteinführung von Tréfilunion in Belgien belegt.

60 Ausserdem ist das Gericht, selbst wenn sich die Klägerin nicht aktiv an den Sitzungen beteiligt hat, der Auffassung, daß sie angesichts des offensichtlich wettbewerbsfeindlichen Charakters des Zweckes der Sitzungen, der durch die zahlreichen, in der Entscheidung angeführten Fernschreiben von Herrn Peters an Tréfilunion belegt wird, dadurch, daß sie an den Sitzungen teilgenommen hat, ohne sich offen von ihrem Inhalt zu distanzieren, den anderen Teilnehmern Anlaß zu der Annahme gegeben hat, daß sie dem Ergebnis der Sitzungen zustimme und sich daran halten werde (vgl. Urteil Hercules Chemicals/Kommission, a. a. O., Randnr. 232, und Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II-907, Randnrn. 98 bis 100).

61 Aus dem Vorstehenden folgt, daß der Kommission der Beweis für die Beteiligung der Klägerin an den Preisabsprachen für den Benelux-Markt in der Zeit vom August 1982 bis November 1985 rechtlich gelungen ist.

62 Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

C ° Zum deutschen Markt

Angefochtene Handlung

63 In der Entscheidung (Punkte 147 und 182) wird der Klägerin vorgeworfen, sie habe sich an Absprachen über den deutschen Markt beteiligt, die zum einen eine Regulierung der Ausfuhren von Benelux-Herstellern nach Deutschland und zum anderen die Respektierung der auf dem deutschen Markt geltenden Preise bezweckt hätten. In der Entscheidung heisst es, daß sich an diesen Absprachen die Klägerin, Tréfilarbed (Rörmond), TFE/FBC, Thibodraad und BStG beteiligt hätten (Punkte 150, 153, 154, 179 und 181 der Entscheidung).

Vorbringen der Parteien

64 Die Klägerin streitet ihre Beteiligung an den Absprachen über den deutschen Markt ab. Sie habe keinerlei Interesse an einer Ausfuhr auf den deutschen Markt gehabt, weil sie eine 100%ige Tochtergesellschaft in Deutschland besessen habe, durch die sie über die Entscheidungen des deutschen Strukturkrisenkartells bestens informiert worden sei und mit deren Mitwirkung oder in Abstimmung mit ihr sie ihre Verkäufe in Deutschland getätigt habe.

65 Ihre Ausfuhren nach Deutschland seien zwischen 1983 und 1986 besonders umfangreich gewesen, was belege, daß sie nicht an der Quotenabsprache beteiligt gewesen sei.

66 Die Klägerin macht schließend geltend, sie habe gezielt für 10 DM unter dem vom Kartell festgelegten Preis verkauft. In der mündlichen Verhandlung hat sie betont, es sei einem Unternehmen nicht untersagt, seine Erzeugnisse zu einem Preis in der Nähe der für einen Markt festgelegten Preise zu verkaufen, zumal dieser Preis hoch und ihre Tochtergesellschaft wegen ihrer Zugehörigkeit zum Kartell zur Einhaltung dieses Preises verpflichtet gewesen sei.

67 Nach Auffassung der Kommission belegen die in der Entscheidung angeführten Schriftstücke die Beteiligungen der Klägerin an den Absprachen.

68 Bezueglich der Tochtergesellschaft der Klägerin ist die Kommission der Meinung, sie könne kein Beleg für das fehlende Interesse der Klägerin an der Durchdringung des deutschen Marktes sein. Daß die nach Deutschland gelieferte Tonnage in dieser Zeit bedeutend gewesen sei, zeige gerade das Interesse von Boël an der Durchdringung des deutschen Marktes.

69 Die Erhöhung der Ausfuhren von Boël auf den deutschen Markt im Zeitraum 1982/83 erkläre sich durch den Anstieg der deutschen Marktpreise in Zusammenhang mit der Bildung des Krisenkartells; zwischen 1983 und 1985, also in den Jahren, die im Unterschied zu den anderen Jahren denen der Absprachen entsprächen, hätten sich die Ausfuhren von Boël stabilisiert. Dies sei eine Folge der engen Abstimmung zwischen Trébos und BStG, auf die sich Herr Müller, der Geschäftsführer von BStG, in seinem Fernschreiben vom 15. Dezember 1983 (Anlage 65 b der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 92 der Entscheidung) beziehe.

70 Zur Frage der Preise verweist die Kommission darauf, daß die Klägerin stillschweigend einräume, sich an den Kartellpreisen orientiert zu haben, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn sie einzig und allein nach den Marktkräften gehandelt hätte.

Würdigung durch das Gericht

71 Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich die Beteiligung der Klägerin an den Absprachen über den deutschen Markt aus dem Fernschreiben vom 15. Dezember 1983, das Herr Müller im Anschluß an eine Sitzung in Breda vom 5. Dezember 1983, an der die Klägerin teilgenommen hatte, an Thibodraad gesandt hat und in dem es heisst: "Ich darf aber mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß die grösste Steigerung im grenzueberschreitenden Handel diejenige von Belgien nach Deutschland ist, die angesichts der engen Abstimmung mit Boël sehr deutlich dem zweiten belgischen Hersteller zuzuordnen ist." Die Verwicklung der Klägerin in diese Absprachen wird durch das Fernschreiben von Herrn Peters vom 11. Januar 1984 an Herrn Marie bestätigt, das die Sitzung vom 5. Januar 1984 in Breda betrifft, an der die Klägerin, FBC, Tréfilarbed, Tréfilunion, BStG und andere niederländische Unternehmen teilgenommen hatten. In diesem Fernschreiben wird folgendes ausgeführt: "Die üblichen Teilnehmer verlangen von den BStG-Vertretern, die Benelux-Märkte nicht mehr durch erhebliche Exporte nach diesen Märkten zu sehr niedrigen Preisen zu stören. Die Deutschen verteidigen sich unter Hinweis darauf, daß die Belgier (Boël und jüngst Frère-Bourgeois) vergleichbare Mengen nach Deutschland exportierten. Die Belgier stellen klar, daß sie die deutschen Marktpreise respektierten und daß man von Prozenten des Marktvolumens und nicht von Tonnen sprechen sollte. Es wurde kein konkreter Beschluß gefasst." Diese beiden Beweisstücke werden durch einen internen Vermerk von Herrn Debelle von FBC vom 24. April 1985 über eine Sitzung vom gleichen Tage in Bunnik (Anlage 112 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 153 der Entscheidung) erhärtet, wonach "Herr Ruthotto (Vertreter von BStG) in der Sitzung bestätigt hat, daß beide belgische Hersteller die bei BStG getroffenen Preisabsprachen sorgfältig respektieren".

72 Aus diesen Schriftstücken ergibt sich somit, daß sich die Klägerin an einer Abstimmung in bezug auf ihre Ausfuhren auf den deutschen Markt mit BStG beteiligt und zumindest versucht hat, den Eindruck zu erwecken, sie werde die vereinbarten Preise und Absatzmengen einhalten.

73 In Anbetracht dieser verschiedenen Beweiselemente kann sich die Klägerin nicht auf den Umfang und die Erhöhung ihrer Ausfuhren nach Deutschland und auch nicht darauf berufen, daß sie wegen ihrer Tochtergesellschaft in Deutschland nicht an einer Ausfuhr auf diesen Markt interessiert gewesen sei. Das Gericht stellt nämlich fest, daß die Erhöhung der Ausfuhren der Klägerin nach Deutschland zwischen 1982 und 1983 das Interesse der Klägerin am deutschen Markt zeigt und daher im Widerspruch zu ihrer Behauptung steht, daß sie wegen ihrer Tochtergesellschaft in Deutschland jedes Interesse an einer Ausfuhr auf diesen Markt verloren gehabt habe. Ausserdem ist festzustellen, daß sich die Ausfuhren der Klägerin auf den deutschen Markt nach der zwischen 1982 und 1983 beobachteten Zunahme auf hohem Niveau stabilisiert haben.

74 Im übrigen stellt das Gericht bezueglich der Preise fest, daß die Klägerin keinen Beweis dafür beigebracht hat, daß sie gezielt für 10 DM unter dem vom deutschen Kartell festgesetzten Preis verkauft hätte, und damit die Beweiskraft der in Punkt 90 der Entscheidung aufgeführten Fernschreiben vom 11. Januar 1984 und 24. April 1985, laut denen die belgischen Hersteller die deutschen Marktpreise respektierten, nicht erschüttern konnte.

75 Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, daß sich die Klägerin an den Preis- und Quotenabsprachen über den deutschen Markt beteiligt hat.

76 Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

II ° Zur fehlenden Verbindlichkeit der Vereinbarungen

Vorbringen der Parteien

77 Die Klägerin bringt vor, sie habe lediglich an einer Reihe von Sitzungen teilgenommen, um sich zu informieren. Sie habe sich in keiner Weise verpflichtet oder sich an die in den Sitzungen formulierten Preis- oder Quotenvorschläge gebunden gefühlt, die im übrigen nicht eingehalten und nicht von effektiven Sanktionen begleitet worden seien.

78 Die Kommission bezieht sich auf die von ihr in der Entscheidung festgestellten Tatsachen, die den Schluß rechtfertigten, daß eine gemeinsame Absicht der Teilnehmer bestanden habe, die Marktentwicklung auf Dauer zu kontrollieren und an die Stelle der Risiken des Wettbewerbs eine dauerhafte Zusammenarbeit zu setzen.

Würdigung durch das Gericht

79 Nach Auffassung des Gerichts widerlegen die festgestellten Tatsachen die angebliche Passivität der Klägerin im Rahmen der Absprachen und ihre Behauptung, sie habe sich nicht verpflichtet und sich an die in den Sitzungen festgelegten Preise und Quoten nicht gebunden gefühlt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß sich die Klägerin bei ihren Kontakten mit ihren Konkurrenten bemüht hat, den Eindruck zu erwecken, als habe sie die im Rahmen der Absprachen getroffenen Entscheidungen eingehalten und werde sie einhalten, was voraussetzt, daß sie ihnen gegenüber Verpflichtungen eingegangen war.

80 Die Klägerin kann sich folglich nicht darauf berufen, daß die Absprachen nicht verbindlich gewesen seien. Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

III ° Zur fehlenden "Spürbarkeit" der Einschränkung des Wettbewerbs

Vorbringen der Parteien

81 Die Klägerin macht geltend, ihre Marktanteile seien so gering gewesen, daß ihre Teilnahme an den vorgeworfenen Sitzungen in keiner Weise eine Verfälschung, Behinderung oder Einschränkung des innergemeinschaftlichen Wettbewerbs habe bezwecken können.

82 Wegen der Transparenz des Betonstahlmattenmarkts, die darauf zurückzuführen sei, daß deren Preis zu 70 % bis 80 % von dem für Walzdraht und ebenfalls von dem für Betonstabstahl, der ein konkurrierendes Erzeugnis mit veröffentlichten Preisen sei, abhänge, hätten die angeblichen Absprachen nur eine zu vernachlässigende Wirkung auf den Wettbewerb haben können, die die Voraussetzung einer spürbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs, wie sie vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aufgestellt worden sei, nicht erfuellen könne.

83 Im übrigen hätten sich die Unternehmen, die Betonstahlmatten herstellten, im Hinblick darauf, daß sowohl das Grunderzeugnis (Walzdraht) als auch ein konkurrierendes Erzeugnis (Betonstabstahl) aufgrund des EGKS-Vertrages einer Quotenregelung unterlegen hätten, veranlasst gesehen, mangels eines besonderen rechtlichen Instruments im Gemeinschaftsrecht Selbstmaßnahmen zu ergreifen, um den strukturellen Schwierigkeiten des Sektors zu begegnen. Die Kommission habe dem nicht nur bei der Bemessung der Geldbusse, sondern auch bei der Feststellung der Zuwiderhandlung Rechnung tragen müssen.

84 Die Kommission entgegnet, die von ihr festgestellten Absprachen hätten eine spürbare Auswirkung auf den Wettbewerb gehabt. Die Beteiligung der Klägerin an den Absprachen dürfe nämlich nicht isoliert bewertet werden, sondern im allgemeineren Rahmen der Absprachen zwischen den verschiedenen Beteiligten auf mehreren Teilmärkten.

85 Es treffe zwar zu, daß der Mehrwert bei Betonstahlmatten verhältnismässig gering sei, doch dürfe gerade dann der verbleibende wirksame Wettbewerb nicht verfälscht werden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnrn. 133 und 134).

86 Die wirtschaftlichen Folgen der beschriebenen Situation für die Betonstahlmatten seien ihr sehr wohl bekannt, und sie habe sie bei der Bemessung der Geldbusse berücksichtigt (Punkt 201 der Entscheidung). Für sie ergäben sich daraus aber nicht dieselben Rechtsfolgen wie für die Klägerin, die sich für befugt gehalten habe, deshalb gegen die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags zu verstossen. Die Unternehmen seien zwar berechtigt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sich den wirtschaftlichen Erfordernissen anzupassen, aber doch nur unter Beachtung des EWG-Vertrags; insoweit verweist die Kommission auf Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag.

Würdigung durch das Gericht

87 Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verbietet als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen sowie die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen.

88 Das Gericht weist darauf hin, daß sich aus dem Wortlaut von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ergibt, daß die einzig relevante Frage die ist, ob die Vereinbarungen, an denen die Klägerin mit anderen Unternehmen beteiligt war, eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckten oder bewirkten. Folglich ist die Frage irrelevant, ob die individuelle Beteiligung der Klägerin an diesen Vereinbarungen ungeachtet ihrer geringen Grösse den Wettbewerb einschränken konnte (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89, Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623, Randnr. 216).

89 Bezueglich der fehlenden Wirkungen der Absprachen weist das Gericht darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die konkreten Auswirkungen der Absprachen nicht berücksichtigt zu werden brauchen, wenn wie im vorliegenden Fall feststeht, daß diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-277/87, Sandoz prodotti farmaceutici/Kommission, Slg. 1990, I-45).

90 Jedenfalls ist festzustellen, daß die Absprachen eine Einschränkung des Wettbewerbs bewirkten, indem sie (wie die in den Punkten 50, 84 bis 112 und 153 der Entscheidung angeführten Schriftstücke belegen) die Verkäufe auf bestimmten Märkten beschränkten und damit künstliche Preiserhöhungen ermöglichten.

91 Im übrigen hatten der geringe Mehrwert der Betonstahlmatten im Vergleich zum Walzdraht und ihre Substituierbarkeit im Verhältnis zum Betonstabstahl ° für beide Erzeugnisse galt eine Quotenregelung aufgrund des EGKS-Vertrags ° sicher eine Abnahme der verbleibenden Wettbewerbsspanne auf dem Betonstahlmattenmarkt zur Folge. Der Preis für Walzdraht stellte nämlich einen Sockel dar, während die Substituierbarkeit von Betonstabstahl und Betonstahlmatten, wie die Kommission in der Entscheidung (Punkt 202) ausgeführt hat, die Folge hat, das Preisgefälle zwischen den beiden Produkten zu begrenzen und damit den Spielraum für den Preiswettbewerb zu verkleinern. Der verbleibende Spielraum reichte jedoch für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt aus, den die in der Entscheidung festgestellten Absprachen daher spürbar beeinträchtigen konnten (vgl. Urteil Van Landewyck u. a./Kommission, a. a. O.). Das Fortbestehen dieses Spielraums für einen wirksamen Wettbewerb wird durch die in der Entscheidung geahndeten Absprachen erhärtet, weil solche Absprachen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken, für die Hersteller ohne jedes Interesse gewesen wären, wenn auf dem Markt kein Wettbewerb mehr geherrscht hätte.

92 Bezueglich des Einwands, es sei verständlich gewesen, daß die Hersteller bei einem so stark von den Quotenregelungen nach dem EGKS-Vertrag betroffenen Erzeugnis wie Betonstahlmatten wegen des Fehlens einer Gemeinschaftsregelung selbst Abhilfe geschaffen hätten, ist darauf hinzuweisen, daß es den Herstellern freistand, ihre Absprachen gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag bei der Kommission anzumelden, was es dieser gegebenenfalls gestattet hätte, über die Vereinbarkeit dieser Absprachen mit den in dieser Vorschrift aufgestellten Kriterien zu befinden. Da die Klägerin diese Möglichkeit nicht genutzt hat, kann sie sich nun nicht auf die Untätigkeit der Kommission berufen, um so gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossende geheime Absprachen zu rechtfertigen.

93 Die Rüge der Klägerin ist demnach zurückzuweisen.

IV ° Zur fehlenden Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

Vorbringen der Parteien

94 Die Klägerin macht erstens geltend, sie habe bei ihrer Teilnahme an den vorgeworfenen Sitzungen nie die Absicht gehabt, die Märkte abzuschotten, und habe sich nie ° auch nicht mündlich ° verpflichtet, nicht an diesen oder jenen Kunden oder nur zu diesem oder jenem Preis zu verkaufen.

95 Zweitens habe die Kommission nicht bewiesen, daß der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch die betreffenden Vereinbarungen und Praktiken tatsächlich beeinträchtigt worden sei. Zum einen sei der innergemeinschaftliche Handel mit Betonstahlmatten wegen der hohen Transportkosten nur in den Grenzregionen besonders intensiv. Zum anderen könne die Kommission nicht behaupten, der Handel zwischen Mitgliedstaaten sei wegen des Bestehens einer globalen Absprache beeinträchtigt worden. Die Kommission habe nämlich eine solche globale Absprache nicht beweisen können und habe jeden Markt einzeln als Teil untersucht.

96 Die Kommission weist darauf hin, daß die Absicht der Klägerin im Hinblick auf eine Abschottung der Märkte für die Beurteilung ihrer Verhaltensweise nach Artikel 85 Absatz 1 unerheblich sei, da sie sich an einer Absprache beteiligt habe, mit der eine Einschränkung des Wettbewerbs tatsächlich bezweckt worden sei. Im übrigen sei es nicht widersprüchlich, wenn zum einen jeder Teilmarkt untersucht werde, um jede Absprache und jeden Beteiligten zu erfassen, und zum anderen ihre kumulativen Auswirkungen untersucht würden, die notwendigerweise unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs zu würdigen seien. Sie habe nicht nur geschlossen, daß es sich um Vereinbarungen handele, die geeignet seien, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, sondern sei zu dem Ergebnis gelangt, daß dieser Handel tatsächlich beeinträchtigt worden sei (Punkte 160, 168 und 189 der Entscheidung).

97 Sie weist überdies darauf hin, daß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77 (Miller/Kommission, Slg. 1978, 131, Randnr. 15) "nicht den Nachweis [fordert], daß [die] Vereinbarungen [den] Handel [zwischen Mitgliedstaaten] tatsächlich spürbar beeinträchtigt haben ° ein Nachweis, der in den meisten Fällen ohnehin nur schwer in rechtlich hinreichender Form geführt werden könnte °; er verlangt vielmehr den Nachweis, daß diese Vereinbarungen geeignet sind, eine derartige Wirkung zu entfalten".

98 Die Transportkosten schließlich stellten kein unüberwindbares Hindernis dar, wenn der Preis des Produktes auf dem betreffenden Markt verhältnismässig hoch sei (Punkt 5 der Entscheidung).

Würdigung durch das Gericht

99 Aus dem Wortlaut des Artikels 85 EWG-Vertrag ergibt sich, daß die einzig relevante Frage die ist, ob die Vereinbarungen, an denen die Klägerin mit anderen Unternehmen beteiligt war, geeignet waren, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (vgl. Urteil Enichem Anic/Kommission, a. a. O., Randnr. 224). Die Frage, ob die Klägerin die Absicht einer Abschottung der Märkte hatte und damit gegen Artikel 85 verstossen wollte, ist daher unerheblich.

100 Ausserdem sind nach ständiger Rechtsprechung Beschlüsse, Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen nur dann geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sich anhand objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, daß sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen und dadurch der Errichtung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten hinderlich sein können (vgl. Urteil Van Landewyck u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 170).

101 Weiter ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag weder den Nachweis fordert, daß die Urheber wettbewerbsbeschränkender Praktiken die Absicht gehabt haben, mit ihnen den Handel zwischen Mitgliedstaaten einzuschränken, noch, daß diese Praktiken den Handel zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich spürbar beeinträchtigt haben, sondern lediglich den Nachweis verlangt, daß diese Vereinbarungen geeignet waren, eine derartige Wirkung zu entfalten (vgl. Urteil Miller/Kommission, a. a. O.).

102 Jedenfalls waren die festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen geeignet, die Handelsströme von der Richtung abzulenken, die sie andernfalls genommen hätten, weil sie eine Kontingentierung der Einfuhren der verschiedenen Hersteller und eine Festlegung der Preise auf den verschiedenen Märkten bezweckten und bewirkten. Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß sich an diesen Absprachen deutsche, belgische, französische, italienische und niederländische Hersteller beteiligt haben. Zu Recht hat daher die Kommission festgestellt, daß die Absprachen, an denen sich die Klägerin beteiligt hat, geeignet waren, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

103 Die Rüge der Klägerin kann daher nicht durchgreifen.

104 Nach alledem ist der Klagegrund des Verstosses gegen Artikel 85 EWG-Vertrag zurückzuweisen.

Zum Klagegrund des Verstosses gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 17

I ° Zur fehlenden Individualisierung der Kriterien für die Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

105 Die Klägerin bringt vor, obwohl sie mehrfach im Sachverhaltsteil der Entscheidung genannt sei, werde in dem der rechtlichen Würdigung gewidmeten Teil der Entscheidung nichts Genaues zur Schwere der ihr vorgeworfenen Verstösse gesagt. Nach Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 habe die Kommission sowohl die Tatbestandsmerkmale der Zuwiderhandlungen als auch die Kriterien für die Festsetzung der Geldbussen einzeln aufzuführen. Die Kommission habe es ihr unmöglich gemacht, die Schwere ihrer Verhaltensweise im Vergleich zu der der anderen Unternehmen zu beurteilen, obwohl die Geldbussen von einem zum anderen Unternehmen recht unterschiedlich ausfielen. Zwar beteuere die Kommission, sie habe bestimmte mildernde Umstände berücksichtigt, doch seien diese sehr summarisch und ohne Hinweis auf die betreffenden Unternehmen beschrieben.

106 Die Kommission entgegnet, es müsse die gesamte Entscheidung und nicht nur ihr rechtlicher Teil gewürdigt werden. Sie führt alle Punkte der Entscheidung an, in denen sie die besonderen Umstände der Beteiligung der Klägerin an den Absprachen für die einzelnen Märkte untersucht habe. Sie habe mithin die Tatbestandsmerkmale jeder Zuwiderhandlung ausreichend kenntlich gemacht und die Bewertungskriterien für die Schwere der Zuwiderhandlungen, insbesondere bezueglich der den einzelnen Unternehmen zugebilligten mildernden Umstände, angegeben.

Würdigung durch das Gericht

107 Das Gericht weist darauf hin, daß die Kommission nach ständiger Rechtsprechung für mehrere Zuwiderhandlungen eine einzige Geldbusse verhängen darf und daß dies erst recht zu gelten hat, wenn, wie im vorliegenden Fall, die in der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen die gleiche Art von Verhaltensweisen auf den verschiedenen Märkten, insbesondere die Festlegung von Preisen und Quoten und den Austausch von Informationen bezweckten (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, vom 14. Februar 1978 in der Rechtssache 27/76, United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, und vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825). Es lässt sich nicht übersehen, daß die Klägerin, worauf die Kommission zu Recht hingewiesen hat, zu einem bestimmten Zeitpunkt an Absprachen über den französischen, den deutschen und den Benelux-Markt beteiligt war.

108 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die Klägerin die Entscheidung in einer Weise interpretiert, die einen ihrer Teile künstlich isoliert, obwohl jeder Teil der Entscheidung, da diese ein Ganzes darstellt, im Licht der anderen Teile gesehen werden muß. Insgesamt gesehen hat die Entscheidung den Betroffenen die erforderlichen Angaben mitgeteilt, so daß diese erkennen konnten, ob sie begründet ist oder nicht, und das Gericht in die Lage versetzt, seine Kontrolle ihrer Rechtmässigkeit auszuüben. Bezueglich der mildernden Umstände ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in ihrer schriftlichen Antwort auf die Fragen des Gerichts erklärt hat, auf die Klägerin seien weder mildernde noch erschwerende Umstände angewandt worden.

109 Folglich ist die Rüge zurückzuweisen.

II ° Zum Fehlen von Vorsatz

Vorbringen der Parteien

110 Die Klägerin beruft sich auf ihren guten Glauben und streitet ein vorsätzliches Handeln bei den Zuwiderhandlungen ab. Sie macht geltend, daß die Unternehmen, die auf dem Betonstahlmattenmarkt tätig seien, sich angesichts des wirtschaftlichen Krisenkontextes und der engen Verbindung zwischen dem Betonstahlmattenmarkt und den Märkten für Walzdraht und Betonstabstahl, für die von der Kommission zugunsten der Stahlindustrie erlassene "Krisenmaßnahmen" aufgrund des EGKS-Vertrags gegolten hätten, nicht hätten vorstellen können, daß ihr Informationsaustausch und ihre Verhaltensabstimmung den Charakter einer Zuwiderhandlung habe. Für die EGKS-Erzeugnisse, insbesondere für Walzdraht, habe es Kommissionen gegeben, in denen sich die wichtigsten Hersteller zur Erörterung der Preise und Mengen zusammengefunden hätten.

111 Ausserdem habe für den deutschen Betonstahlmattenmarkt selbst ein vom Bundeskartellamt genehmigtes und von der Kommission vier Jahre lang geduldetes Strukturkrisenkartell bestanden. Unbestreitbar habe, wie in Punkt 206 der Entscheidung festgestellt werde, das Bestehen dieses Kartells die Hersteller in den anderen Mitgliedstaaten veranlasst, sich abzusichern.

112 Wenn eine so enge Abstimmung für Walzdraht gestattet und in Deutschland ein Krisenkartell für Betonstahlmatten genehmigt worden sei, liege es auf der Hand, daß die Hersteller von Betonstahlmatten in gutem Glauben hätten annehmen dürfen, daß auch sie das Recht hätten, sich zu treffen und Informationen auszutauschen.

113 Die Kommission weist darauf hin, daß Betonstahlmatten unter den EWG-Vertrag fielen, der seine eigenen Kartellbestimmungen habe und jede Form der Abstimmung über Mengen oder Preise strikt verbiete. Auch wenn die Hersteller angenommen hätten, daß eine Abstimmung wegen der Strukturkrise im Bereich der Betonstahlmatten unerläßlich sei, hätten sie gleichwohl die Vorschriften des EWG-Vertrags beachten müssen. Die betreffenden Absprachen seien keine Krisenkartelle, die notwendig einen Umstrukturierungsplan voraussetzten und erst nach einer Anmeldung zwecks Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 genehmigt werden könnten. Sie habe die sich aus der Beziehung zum Walzdraht und Betonstabstahl für Betonstahlmatten ergebenden wirtschaftlichen Folgen bei der Bemessung der Geldbusse berücksichtigt.

114 Zu dem deutschen Krisenkartell macht die Kommission geltend, es bestehe keine Gemeinschaftszuständigkeit gegenüber einem nationalen Krisenkartell; es sei überaus heikel, zu beurteilen, wann nationale Maßnahmen über das nationale Interesse hinausgingen und das Gemeinschaftsinteresse berührten. Zu ihrer angeblichen Untätigkeit legt die Kommission dar, zwischen dem Zeitpunkt, zu dem sie die Mitteilung des Kartells durch das Bundeskartellamt erhalten habe, und dem Zeitpunkt des Beginns ihrer Ermittlungen seien nur zwei Jahre verstrichen. Sie sei sofort tätig geworden, als ihr die störenden Auswirkungen des deutschen Kartells auf den innergemeinschaftlichen Handel bekannt geworden seien.

115 In Punkt 197 der Entscheidung habe sie überdies dargelegt, daß die beteiligten Unternehmen ihre Praktiken zumeist verschleiert hätten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Urteile vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco u. a./Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnr. 41, und vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-279/89, Tipp-Ex/Kommission, Slg. 1990, I-261) setze die Einstufung einer Zuwiderhandlung als vorsätzlich "nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen Artikel 85 EWG-Vertrag bewusst gewesen ist; es genügt vielmehr, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte". Dies sei im vorliegenden Fall, da es sich um Quoten- und Preisabsprachen handele, gegeben.

Würdigung durch das Gericht

116 Das Gericht erinnert daran, daß es für eine vorsätzlich begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages nicht erforderlich ist, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen diese Regeln bewusst gewesen ist, sondern es genügt, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte (vgl. Urteile Belasco u. a./Kommission und Tipp-Ex/Kommission, a. a. O.; Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-15/89, Chemie Linz/Kommission, Slg. 1992, II-1275, Randnr. 350).

117 Das Gericht weist ferner darauf hin, daß die Kommission eine Reihe von für alle Unternehmen geltenden Umständen berücksichtigt hat, weshalb sie die Geldbussen auf einen Betrag festgesetzt hat, der erheblich unterhalb des unter normalen Umständen gerechtfertigten Betrages liegt (Punkt 208 der Entscheidung). Zu diesen Umständen gehören die Tatsache, daß der Preis für Betonstahlmatten zu 75 % bis 80 % von dem Preis für Walzdraht abhängt, für den Produktionsquoten bestanden, der strukturelle Nachfragerückgang, überschüssige Kapazitäten, kurzfristige Marktschwankungen und die unbefriedigende Ertragslage des Sektors (Punkt 201 der Entscheidung) sowie die Wechselwirkungen zwischen Betonstahlmatten und Betonstabstahl (Punkt 202 der Entscheidung). Als mildernder Umstand ist in der Entscheidung weiter das Strukturkrisenkartell in Deutschland berücksichtigt worden, das für die Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten Veranlassung war, sich ihrerseits um Absicherung zu bemühen, ohne daß dadurch jedoch die von ihnen unrechtmässig getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt gewesen wären (Punkt 206 der Entscheidung).

118 Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

III ° Zur Berücksichtigung der Wirkungen der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

119 Die Klägerin wirft der Kommission einen Beurteilungsfehler vor, da sie die Zuwiderhandlung als schwer eingestuft habe, obwohl die Schwere einer Zuwiderhandlung von den Auswirkungen auf den Markt abhängen müsse und diese Auswirkungen im vorliegenden Fall ganz zu vernachlässigen seien. Die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbusse müsse daher auf ein vernünftigeres Maß herabgesetzt werden.

120 Die Kommission weist die Annahme, sie habe einen Beurteilungsfehler begangen, zurück. Entgegen der Behauptung der Klägerin hänge die Schwere einer Zuwiderhandlung nicht nur von den Auswirkungen auf den Markt ab. Die Preis- und Quotenabsprachen seien in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ausdrücklich angeführt und stellten als solche besonders schwere Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln dar. Ausserdem habe sie bei der Würdigung der dem vorliegenden Fall eigenen Schwere die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen auf den Markt berücksichtigt.

Würdigung durch das Gericht

121 Das Gericht erinnert daran, daß die Absprachen, an denen sich die Klägerin beteiligt hat, die Festlegung von Preisen sowie von Ausfuhr- und Einfuhrmengen auf den Markt der ursprünglichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bezweckten und bewirkten und daß die Auswirkungen dieser Absprachen entgegen der Behauptung der Klägerin keinesfalls als unbedeutend angesehen werden können.

122 Nach Auffassung des Gerichts sind die Verhaltensweisen in Zusammenhang mit den Absprachen wegen der Offensichtlichkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1, insbesondere Buchstaben a und c, als schwerwiegend anzusehen. Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß in der Entscheidung (Punkt 200) berücksichtigt worden ist, daß die vereinbarten Preise und Mengen in einigen Fällen von den Parteien nicht eingehalten wurden, was die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Verstösse in einem bestimmten Masse gemildert hat.

123 Demgemäß hat die Kommission die Auswirkungen der Zuwiderhandlung bei der Beurteilung ihrer Schwere ordnungsgemäß berücksichtigt.

124 Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

IV ° Zur Unverhältnismässigkeit der Geldbusse

Vorbringen der Parteien

125 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erstens geltend gemacht, daß die gegen sie verhängte Geldbusse, in Prozenten ihres Umsatzes ausgedrückt (3 %), im Vergleich zu den gegen andere Unternehmen festgesetzten unverhältnismässig sei. Die gegen sie festgesetzte Geldbusse entspreche nämlich so gesehen nahezu der Geldbusse gegen die Unternehmen, die in den Augen der Kommission die treibende Kraft bei den Absprachen gewesen seien (3,15 % bei BStG und 3,60 % bei Tréfilunion), während ihr dieser erschwerende Umstand nicht zugerechnet werden könne. Ausserdem habe die Kommission nicht berücksichtigt, daß sie keiner mächtigen Wirtschaftseinheit angehöre, sondern ein unabhängiges und nicht subventioniertes Familienunternehmen sei.

126 Zweitens hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Kommission habe als Grundlage für die Bemessung der Geldbusse ihren Umsatz für das Jahr 1985 herangezogen, obwohl es sich hierbei um den höchsten Umsatz des gesamten betreffenden Zeitraums handele. Ihres Erachtens habe die Kommission als Berechnungsgrundlage den Durchschnitt der Umsätze während des gesamten betreffenden Zeitraums heranziehen müssen.

127 Die Kommission trägt vor, Boël sei, wie sie in der Entscheidung dargelegt habe, ein grosses Unternehmen mit Tochtergesellschaften zumindest in zwei anderen Mitgliedstaaten, weshalb sie nicht in Erwägung gezogen habe, daß sie zur Gruppe der Unabhängigen gehöre.

Würdigung durch das Gericht

128 Das Gericht stellt zum einen fest, daß sich aus den Antworten der Kommission auf die ihr gestellten Fragen und aus ihren Schriftsätzen ergibt, daß die Kommission bei der Klägerin weder mildernde noch erschwerende Umstände berücksichtigt hat, und zum anderen, daß der Klägerin eine Geldbusse in Höhe von 3 % ihres Umsatzes auferlegt wurde, während gegen BStG und Tréfilunion unter Berücksichtigung eines erschwerenden Umstandes eine Geldbusse von 3,15 % bzw. 3,60 % ihres Umsatzes an Betonstahlmatten festgesetzt wurde.

129 Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin nicht genügend Indizien für den Nachweis beigebracht, daß sie angesichts der Dauer und der besonderen Schwere der ihr gegenüber festgestellten Zuwiderhandlungen strenger als die Unternehmen BStG und Tréfilunion behandelt worden wäre.

130 Bezueglich des Unterschieds zwischen dem auf die Klägerin (3 %) und dem auf Tréfilunion angewandten Prozentsatz (3,60 %) ist das Gericht der Auffassung, daß er angemessen ist, weil für Tréfilunion ein erschwerender Umstand herangezogen wurde. Bezueglich des Unterschieds zwischen dem auf die Klägerin (3 %) und dem auf BStG angewandten Prozentsatz (3,15 %) ist festzustellen, daß für BStG zwar ein erschwerender Umstand herangezogen wird ° die Tatsache, daß sie einer der Initiatoren und der Hauptakteure der geahndeten Verhaltensweisen war °, daß andererseits jedoch zu berücksichtigen ist, daß in der Entscheidung der Klägerin vorgeworfen wird, sich 1981/82 und 1983/84 an Absprachen über den französischen Markt beteiligt zu haben, während BStG die Beteiligung an diesen Absprachen dagegen nicht angelastet wird.

131 Gleichwohl ist das Gericht der Auffassung, daß es die Kommission zu Unrecht abgelehnt hat, die Klägerin zu den Unternehmen zu zählen, die keiner mächtigen Wirtschaftseinheit angehören, bei denen sie als mildernden Umstand "die geringere Auswirkung ihrer Zuwiderhandlung" berücksichtigt hat. Boël/Trébos gehört nämlich ° im Gegensatz insbesondere zu FBC ° ebensowenig wie Sotralentz oder ILRO einer solchen Wirtschaftseinheit an.

132 Daraus folgt, daß die Kommission gegen die Klägerin, da sie bei ihr nicht den genannten mildernden Umstand berücksichtigt hat, zu Unrecht eine Geldbusse in Höhe von 3 % ihres Umsatzes an Betonstahlmatten im Jahr 1985 festgesetzt hat.

133 Bezueglich der Wahl des Jahres 1985 als Bezugsjahr für die Festlegung des bei der Bemessung der Geldbusse herangezogenen Umsatzes der Klägerin ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin ohne Widerspruch seitens der Kommission behauptet, daß es sich um das Jahr mit ihren umfangreichsten Betonstahlmattenlieferungen handele, während es sich bei den meisten anderen Herstellern um ein Jahr handele, in dem die Lieferungen weniger umfangreich gewesen seien (vgl. Tabelle 2 der Entscheidung). Folglich hat die Wahl dieses Jahres, die erst nach dem Erlaß der Entscheidung eingestanden wurde, die Unverhältnismässigkeit der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbusse noch verstärkt. Der Satz von 3 % des Umsatzes für das Jahr 1985 stellt nämlich für die Klägerin eine erheblichere Geldbusse als die gegen die anderen Hersteller festgesetzten dar.

134 Der Rüge der Klägerin ist daher stattzugeben.

135 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kommt das Gericht aufgrund seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zu dem Ergebnis, daß die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbusse von 550 000 ECU um ein Fünftel herabzusetzen und auf 440 000 ECU festzusetzen ist.

Zu dem von der Kommission für den Fall der Klage angesetzten Zinssatz

Vorbringen der Parteien

136 Die Klägerin macht geltend, daß in dem die Entscheidung begleitenden Einschreiben der Kommission die Verzinsung der Forderung bei Klageerhebung auf 10,50 % festgelegt werde. Dies entspreche dem Zinssatz des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit für seine Transaktionen in ECU vom ersten Werktag des Monats, in dem die Entscheidung erlassen worden sei, wie er im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1989, C 197, S. 1) veröffentlicht worden sei, erhöht um einundeinhalb Punkte. Diese Erhöhung sei willkürlich und nur mit dem Bemühen der Kommission zu erklären, von Klageerhebungen beim Gericht abzuschrecken. Deshalb beantragt sie, den Zinssatz für die Geldbusse auf 9 % herabzusetzen.

137 Die Kommission hält diese Rüge für völlig unbegründet, da in Artikel 4 der Entscheidung der Zinssatz bei Nichtzahlung der Geldbusse auf 12,50 % festgesetzt sei. Dieser Zinssatz werde demnach bei Klageerhebung zugunsten der Unternehmen herabgesetzt, um sie gerade nicht von der Einreichung einer Klage beim Gericht abzuhalten.

Würdigung durch das Gericht

138 Nach Auffassung des Gerichts konnte die Kommission mit vollem Recht den Zinssatz des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit bei Zahlungsverzug und auf jeden Fall bei Klageerhebung erhöhen, um die Erhebung offensichtlich unbegründeter Klagen zu verhindern, deren ausschließliches Ziel darin bestuende, die Zahlung der Geldbusse zu verzögern (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 141).

139 Das Gericht weist darauf hin, daß das Begleitschreiben für den Fall der Klageerhebung keine Erhöhung, sondern eine Verringerung des Zinssatzes gegenüber dem bei Zahlungsverzug geschuldeten Zinssatz vorsieht.

140 Daraus folgt entgegen dem Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission nicht von der Erhebung von Klagen abschrecken wollte.

141 Diese Rüge ist daher zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

142 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach § 3 dieses Artikels kann das Gericht jedoch die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Klage zum Teil Erfolg hat und beide Parteien beantragen, die andere Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen, ist das Gericht der Auffassung, daß bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles die Klägerin ihre eigenen Kosten und drei Fünftel der Kosten der Kommission zu tragen hat.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag (IV/31.553 ° Betonstahlmatten) gegen die Klägerin festgesetzten Geldbusse wird auf 440 000 ECU festgesetzt.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten und drei Fünftel der Kosten der Kommission.

4) Die Kommission trägt zwei Fünftel ihrer eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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