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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 20.06.2001
Aktenzeichen: T-146/00
Rechtsgebiete: Verordnung 2868/95/EWG, Verordnung 40/94/EWG


Vorschriften:

Verordnung 2868/95/EWG Regel 9 Abs. 1
Verordnung 40/94/EWG Art. 78
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nach Artikel 27 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke hängt die Zuerkennung des Tages, an dem die Unterlagen beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) eingereicht wurden, als Anmeldetag einer Marke von der Zahlung der Anmeldegebühr innerhalb der Frist von einem Monat ab. Weder aus der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20. März 1883 noch aus dem Münchner Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 oder aus dem Washingtoner Vertrag vom 19. Juni 1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens ergibt sich ein Grundsatz, mit dem die genannte Vorschrift als unvereinbar angesehen werden müsste, soweit sie eine solche Voraussetzung aufstellt.

( vgl. Randnrn. 33-36 )

2. Legt ein Angestellter des Vertreters eines Anmelders die Akte einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung aus Unachtsamkeit auf einem Stapel für unerledigte nationale Akten ab, für die hinsichtlich der Entrichtung der Anmeldegebühr völlig andere Fristen gelten, so stellt dies eine Verhinderung im Sinne von Artikel 78 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke dar.

Wird in einem solchen Fall der Irrtum nicht mittels des üblicherweise in der Kanzlei des Vertreters angewandten Fristenüberwachungssystems schnell bemerkt, so wurde nicht, wie es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraussetzt, alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet.

( vgl. Randnrn. 55-61 )


Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite Kammer) vom 20. Juni 2001. - Stefan Ruf und Martin Stier gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM). - Gemeinschaftsmarke - Entrichtung der Anmeldegebühr nach Ablauf der Monatsfrist ab Stellung des Antrags auf Eintragung - Verfall des Rechts, den Tag als Anmeldetag zuerkannt zu bekommen, an dem der Antrag gestellt wurde - Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. - Rechtssache T-146/00.

Parteien:

In der Rechtssache T-146/00

Stefan Ruf, wohnhaft in Ettlingen (Deutschland),

Martin Stier, wohnhaft in Pfinztal (Deutschland),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte V. Spitz, A. N. Klinger und A. Gaul, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch A. von Mühlendahl, D. Schennen und E. Joly als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

eklagte,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der ersten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) vom 28. März 2000 (Beschwerdesache R 198/1998-1), mit der der Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde, der dahin ging, als Anmeldetag den Tag zuerkannt zu bekommen, an dem ihr Antrag auf Eintragung beim Amt gestellt wurde,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. W. H. Meij sowie der Richter A. Potocki und J. Pirrung,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund der am 30. Mai 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 18. September 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen des Rechtsstreits

1 Artikel 26 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in der geänderten Fassung lautet:

(1) Die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke muss enthalten:

a) einen Antrag auf Eintragung einer Gemeinschaftsmarke;

b) Angaben, die es erlauben, die Identität des Anmelders festzustellen;

c) ein Verzeichnis der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung begehrt wird;

d) eine Wiedergabe der Marke.

(2) Für die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke sind die Anmeldegebühr und gegebenenfalls eine oder mehrere Klassengebühren zu entrichten.

(3) Die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke muss den in der Durchführungsverordnung nach Artikel 140 vorgesehenen Erfordernissen entsprechen."

2 Artikel 27 der Verordnung Nr. 40/94 bestimmt:

Der Anmeldetag einer Gemeinschaftsmarke ist der Tag, an dem die die Angaben nach Artikel 26 Absatz 1 enthaltenden Unterlagen vom Anmelder beim Amt... eingereicht worden sind, sofern binnen eines Monats nach Einreichung der genannten Unterlagen die Anmeldegebühr gezahlt wird."

3 Erfuellt die Anmeldung die Erfordernisse für die Zuerkennung eines Anmeldetages nicht, weil u. a. die Grundgebühr für die Anmeldung nicht innerhalb eines Monats nach der Anmeldung beim Amt entrichtet worden ist, so teilt dieses dem Anmelder nach Regel 9 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 303, S. 1; nachfolgend: Durchführungsverordnung) mit, dass aufgrund dieses Mangels kein Anmeldetag zuerkannt werden kann.

4 Werden die Mängel innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Empfang der oben genannten Mitteilung behoben, so ist nach Regel 9 Absatz 2 der Durchführungsverordnung für den Anmeldetag der Tag maßgeblich, an dem alle Mängel beseitigt sind. Werden die Mängel nicht fristgemäß behoben, so wird die Anmeldung nicht als Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke behandelt.

5 Schließlich heißt es in Artikel 78 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" - der Verordnung Nr. 40/94:

(1) Der Anmelder, der Inhaber der Gemeinschaftsmarke oder jeder andere an einem Verfahren vor dem Amt Beteiligte, der trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden ist, gegenüber dem Amt eine Frist einzuhalten, wird auf Antrag wieder in den vorigen Stand eingesetzt, wenn die Verhinderung nach dieser Verordnung den Verlust eines Rechts oder eines Rechtsmittels zur unmittelbaren Folge hat.

...

(3) Der Antrag ist zu begründen, wobei die zur Begründung dienenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind. Er gilt erst als gestellt, wenn die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden ist."

Vorgeschichte des Rechtsstreits

6 Am 15. April 1996 reichten die Kläger über ihren Vertreter S. beim Amt einen Antrag auf Eintragung der Gemeinschaftsbildmarke DAKOTA" (Nr. 227 306) ein.

7 Die Anmelder gaben im Feld Gebühren" auf dem Antragsformular an, dass die Zahlung der Anmeldegebühr später erfolgen werde.

8 Mit Fax vom 21. Mai 1996 bestätigte das Amt den Eingang des Antrags auf Eintragung.

9 Mit Schreiben vom 17. Juni 1996 übermittelte S. dem Amt eine Abschrift der Bescheinigung über die Eintragung der Marke DAKOTA" beim Deutschen Patentamt sowie die ihm von den Klägern erteilte Vollmacht.

10 Mit Schreiben vom 19. Dezember 1996 übersandte er dem Amt auf dessen Anforderung eine neue Vollmacht.

11 Am 5. Februar 1997 bemerkte er, dass die Anmeldegebühr nicht entrichtet worden war.

12 Am 12. Februar 1997 wurden dem Konto des Amtes der Betrag von 975 ECU für die Anmeldegebühr und weitere 200 ECU als Wiedereinsetzungsgebühr gutgeschrieben.

13 Mit Schreiben vom 18. März 1997 stellte S. bezüglich der Zuerkennung eines Anmeldetags" einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er begründete diesen Antrag damit, dass die Anmeldegebühr aufgrund eines Versehens einer seiner Patentanwaltsgehilfinnen, C., verspätet entrichtet worden sei.

14 Mit Schreiben vom 4. September 1997 erkundigte er sich nach dem Sachstand der Wiedereinsetzungsanträge, die er in der Sache DAKOTA" und in Bezug auf sieben weitere Anträge auf Eintragung gestellt hatte.

15 Mit Schreiben vom 24. Oktober 1997 teilte das Amt den Klägern mit, dass ihrem Antrag auf Eintragung der 12. Februar 1997 - der Tag, an dem die Anmeldegebühr entrichtet wurde - als Anmeldetag zuerkannt worden war.

16 Mit Entscheidung vom 8. Oktober 1998 wies der Prüfer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück.

17 Die Kläger legten am 27. November 1998 beim Amt eine auf Aufhebung dieser Entscheidung gerichtete Beschwerde gemäß Artikel 59 der Verordnung Nr. 40/94 ein.

18 Diese Beschwerde wurde mit Entscheidung der ersten Beschwerdekammer vom 28. März 2000 (nachfolgend: angefochtene Entscheidung) zurückgewiesen.

Anträge der Parteien

19 Die Kläger beantragen,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- das Amt anzuweisen, der Gemeinschaftsmarkenanmeldung Nr. 227 306 den 15. April 1996 als Anmeldetag zuzuerkennen;

- S., seinen Vorgänger und C. als Zeugen zu laden;

- dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

20 Das Amt beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

21 In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ihren zweiten Klageantrag zurückgenommen, was das Gericht zur Kenntnis genommen hat.

Zum Antrag auf Aufhebung

22 Die Klage wird auf folgende Gründe gestützt: Unvereinbarkeit von Artikel 27 der Verordnung Nr. 40/94 mit mehreren internationalen Übereinkommen über den Schutz des gewerblichen Eigentums; Unterlassung des Beklagten, die Kläger von Amts wegen auf die Monatsfrist des Artikels 27 der Verordnung Nr. 40/94 für die Entrichtung der Anmeldegebühr hinzuweisen; Verstoß gegen Artikel 78 der Verordnung Nr. 40/94 und schließlich Verstoß gegen Regel 9 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, nach der das Amt den Klägern hätte mitteilen müssen, dass ihrem Antrag auf Eintragung mangels fristgerechter Entrichtung der Anmeldegebühr kein Anmeldetag zuerkannt werden könne.

23 Die vorliegende Klage ist auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur insoweit gerichtet, als mit dieser der Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde, der im Wesentlichen dahin ging, als Anmeldetag den Tag zuerkannt zu bekommen, an dem der Antrag auf Eintragung beim Amt gestellt wurde, also den 15. April 1996.

24 Angesichts dieser Klarstellung erscheint es dem Gericht sachgerecht, den vierten Klagegrund zuerst zu prüfen.

Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Regel 9 der Durchführungsverordnung

Vorbringen der Parteien

25 Die Kläger bringen vor, dass nach Regel 9 Absatz 2 der Durchführungsverordnung für den Anmeldetag der Tag maßgeblich sei, an dem die vom Amt mitgeteilten Mängel des Antrags auf Eintragung innerhalb von zwei Monaten nach Empfang der Mitteilung behoben worden seien. Da das Amt hier jedoch eine solche Mitteilung unterlassen habe, dürfe es als Anmeldetag nicht den Tag festsetzen, an dem die Anmeldegebühr entrichtet worden sei.

26 Das Amt hält dem entgegen, die in Regel 9 Absatz 2 der Durchführungsverordnung vorgesehene Mitteilung solle nicht den Anmeldetag wahren, sondern vor dem sofortigen und automatischen Eintritt der Folge bewahren, die sich ergebe, wenn der Antrag auf Eintragung nicht berichtigt werde, d. h. davor, dass dieser nicht als Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke behandelt werde.

Würdigung durch das Gericht

27 Mit dem vierten Klagegrund wird in Wirklichkeit nicht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage gestellt, die, wie das Amt zu Recht ausgeführt hat, im vorliegenden Rechtsstreit nicht beanstandet wird, sondern die Rechtmäßigkeit der mit seinem Schreiben vom 24. Oktober 1997 mitgeteilten Entscheidung des Amtes, dem Antrag der Kläger auf Eintragung den 12. Februar 1997 als Anmeldetag zuzuerkennen.

28 Tatsächlich enthält Regel 9 der Durchführungsverordnung keine Durchführungsbestimmungen zu dem vorliegend maßgeblichen Artikel 78 der Verordnung Nr. 40/94. Sie regelt ein besonderes Verfahren zur Berichtigung von Anträgen auf Eintragung, das es den Anmeldern ermöglicht, als Anmeldetag den Tag zuerkannt zu bekommen, an dem sie die Mängel ihrer Anmeldung behoben haben.

29 Da der vierte Klagegrund den Aufhebungsantrag der Kläger nicht stützen kann, braucht seine Begründetheit nicht geprüft zu werden.

Zum ersten Klagegrund: Unvereinbarkeit von Artikel 27 der Verordnung Nr. 40/94 mit mehreren internationalen Übereinkommen über den Schutz des gewerblichen Eigentums

Vorbringen der Parteien

30 Die Kläger berufen sich auf Artikel 4 A Absatz 3 der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20. März 1883 in der später revidierten Fassung und auf Artikel 87 Absatz 3 des Münchner Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973, nach denen unter vorschriftsmäßiger nationaler Hinterlegung bzw. Anmeldung jede Hinterlegung bzw. Anmeldung zu verstehen ist, die zur Festlegung des Zeitpunkts oder Tages ausreicht, an dem die Anmeldung hinterlegt bzw. eingereicht worden ist, wobei das spätere Schicksal der Anmeldung ohne Bedeutung ist.

31 Die Kläger schließen daraus, dass der Anmeldetag einer Anmeldung unabhängig von ihrem späteren Schicksal, also unabhängig von der Entrichtung der Anmeldegebühr, festgelegt werde. Gleiches gelte auch im Rahmen des Washingtoner Vertrages vom 19. Juni 1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens.

32 Das Amt entgegnet im Wesentlichen, dass es keine international einheitliche Regelung über die Fristen für die Entrichtung der Anmeldegebühr und die Rechtsfolgen bei nicht fristgerechter oder unterbliebener Zahlung gebe.

Würdigung durch das Gericht

33 Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums enthält keine materiell-rechtliche Regelung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von Anmeldetagen. Aus ihrem Artikel 4 A Absatz 2 ergibt sich nämlich, dass sich die Vorschriftsmäßigkeit von Anmeldungen nach dem Recht jedes Verbandslandes oder nach den zwischen Verbandsländern abgeschlossenen zwei- oder mehrseitigen Verträgen richtet.

34 Außerdem geht aus den Artikeln 78 Absatz 2 und 90 Absatz 3 des Münchner Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente hervor, dass die Anmeldegebühr innerhalb eines Monats nach Einreichung der Anmeldung zu entrichten ist und dass, falls dies nicht geschieht, die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gilt.

35 Schließlich enthält, wie die Kläger selbst in Randnummer 52 ihrer Klageschrift ausführen, der Washingtoner Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens einen ausdrücklichen Verweis auf die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums.

36 Aus den geltend gemachten internationalen Übereinkommen - ihre Maßgeblichkeit unterstellt - ergibt sich also kein Grundsatz, mit dem Artikel 27 der Verordnung Nr. 40/94 als unvereinbar angesehen werden müsste.

37 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Unterlassung des Beklagten, die Kläger von Amts wegen von der Monatsfrist für die Entrichtung der Anmeldegebühr zu unterrichten

Vorbringen der Parteien

38 Die Kläger werfen dem Amt vor, S. nicht auf die Frist für die Entrichtung der Anmeldegebühr aufmerksam gemacht zu haben. Eine Mitteilung gemäß Regel 9 der Durchführungsverordnung sei während der Anfangsphase der Geltung der Verordnung Nr. 40/94 erforderlich gewesen, zumal Artikel 27 dieser Verordnung bis dahin unbekannte Bestimmungen enthalte.

39 Das Amt habe in analoger Anwendung von § 139 der deutschen Zivilprozessordnung eine Aufklärungspflicht gehabt. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verletze.

40 Schließlich weise das Amt nunmehr auf den Empfangsbestätigungen für Anträge auf Eintragung auf die Frist für die Entrichtung der Anmeldegebühr und die Folgen eines Fristversäumnisses hin. Da aber das Amt den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten habe, dürfe es die Kläger nicht schlechter stellen als die jetzigen Anmelder.

41 Das Amt entgegnet, dass nach der Verordnung Nr. 40/94 im Gegensatz zum deutschen Recht keine Mahnung zur Entrichtung der Anmeldegebühr erfolge. Abgesehen davon, dass sich die Kläger nicht auf nationale Verfahrensvorschriften berufen könnten, sei es auch nicht zu einer solchen Mahnung verpflichtet gewesen.

42 In der mündlichen Verhandlung hat das Amt klargestellt, dass seine neue Vorgehensweise lediglich darin bestehe, die Anmelder auf ihre Pflicht zur Entrichtung der Anmeldegebühr aufmerksam zu machen.

Würdigung durch das Gericht

43 Aus der Beschreibung des Fristenüberwachungssystems von S., das im Rahmen des später geprüften zweiten Klagegrundes erläutert wird, folgt, dass er seine Mitarbeiter allgemein anwies, auf die Einhaltung der Monatsfrist des Artikels 27 der Verordnung Nr. 40/94 für die Entrichtung der Anmeldegebühr zu achten.

44 Da die Pflicht, die Anmeldegebühr innerhalb dieser Frist zu entrichten, dem Vertreter der Kläger also bekannt war, ist der behauptete Rechtsverstoß - sein Vorliegen unterstellt - jedenfalls unerheblich, was folglich auch für die Rüge gilt, der Grundsatz der Gleichbehandlung sei verletzt worden.

45 Der zweite Klagegrund greift daher nicht durch.

Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 78 der Verordnung Nr. 40/94

Vorbringen der Parteien

46 Die Kläger sind der Ansicht, alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt im Sinne des Artikels 78 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94 beachtet zu haben. Das Amt habe es daher zu Unrecht abgelehnt, sie wieder in den vorigen Stand einzusetzen und ihrem Antrag auf Eintragung den 15. April 1996 als Anmeldetag zuzuerkennen.

47 Das in der Kanzlei von S. angewandte Verfahren zur Sicherstellung der Einhaltung von Zahlungsfristen schließe grundsätzlich jeden Fehler aus. Die Fristen für Anträge auf Eintragung würden auf der Innenseite jedes Aktendeckels und auf einem auf der Außenseite des Aktendeckels befestigten Zettel vermerkt. Dieser Zettel trage das Aktenzeichen und ein Datum, das 14 Tage vor Fristablauf liege. Er werde mit einem auffälligen, großen roten Punkt gekennzeichnet, wenn mit der Überschreitung der Zahlungsfrist ein Rechtsverlust verbunden sei. Die Akten würden in solchen Fällen in einem gesonderten Schrank abgelegt.

48 Die Zahlungsfristen würden auch in Karteien erfasst, die aus 365 Tageskarteikarten bestuenden, auf denen das Aktenzeichen und die Daten der Rechtsinhaber vermerkt seien. Drei Monate vor Fristablauf werde das entsprechende Aktenzeichen auf einer dieser Karteikarten notiert.

49 Unter der stichprobenartigen Kontrolle von S. überprüfe eine Patentanwaltsgehilfin an jedem Arbeitstag den Schrank mit den fristgebundenen Akten und die Karteien, wobei diese Akten so lange verfolgt würden, bis bestätigt sei, dass und in welchem Umfang die Zahlung erfolgt sei. Überdies würden die Fristen von S. selbst und seinen Mitarbeitern in Kalendern notiert und überwacht. Schließlich habe S. seine Mitarbeiter allgemein angewiesen, für die Einhaltung der Monatsfrist des Artikels 27 der Verordnung Nr. 40/94 für die Entrichtung der Anmeldegebühr zu sorgen.

50 Dass im vorliegenden Fall die fristgerechte Entrichtung der Anmeldegebühr unterblieben sei, beruhe allein auf einem vereinzelten Fehler von C., einer vom Vorgänger von S. 1972 eingestellten Patentanwaltsfachgehilfin, die als zuverlässige Mitarbeiterin habe angesehen werden dürfen. Sie habe den für die Entrichtung der Anmeldegebühr ausgestellten Scheck in der Akte DAKOTA" abgelegt und diese dann versehentlich auf den Zahlungsstapel für deutsche Marken gelegt, für die ganz andere Fristen gälten. Bei einer routinemäßigen Überprüfung sei die Akte DAKOTA" auf dem falschen Stapel entdeckt worden, und es sei bemerkt worden, dass die Frist für die Zahlung der Anmeldegebühr überschritten gewesen sei.

51 Schließlich sei im vorliegenden Fall die Härte der Tatbestandsvoraussetzungen des Artikels 78 der Verordnung Nr. 40/94 abzumildern, um der übermäßigen Arbeitsbelastung und den organisatorischen Zwängen Rechnung zu tragen, denen sich die Vertreter von Anmeldern beim Inkrafttreten dieser Verordnung gegenüber gesehen hätten.

52 Nach Ansicht des Amtes kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn ein einmaliger Fehler, wie die versehentliche Ablage einer Akte auf einem Stapel, in einem sonst gut funktionierenden Kanzleisystem des Vertreters vorliege.

53 Sie sei dagegen ausgeschlossen, wenn die Frist auch ohne diesen Fehler nicht eingehalten worden wäre. Allein durch die behauptete Unachtsamkeit von C. habe es aber nicht zur Überschreitung der Frist für die Entrichtung der Anmeldegebühr kommen können. Ihr Fehler hätte durch den rot markierten Fristenzettel, auf dem die Frist notiert gewesen sei, sofort entdeckt werden müssen, spätestens aber bei der Ablage der Akte DAKOTA" im entsprechenden Schrank. Außerdem sei es wenig wahrscheinlich, dass diese Akte erst im Februar 1997 auf dem falschen Stapel entdeckt worden sei. Schließlich habe das Vorhandensein des Schecks in der Akte DAKOTA" auffallen müssen, als diese Akte S. anlässlich des Schriftverkehrs mit dem Amt vorgelegt worden sei.

54 Die mit der Vertretung Dritter beim Amt beauftragten berufsmäßigen Vertreter hätten umso sorgfältiger vorgehen müssen, als das neue Verfahren zur Eintragung von Gemeinschaftsmarken ungewohnt gewesen sei.

Würdigung durch das Gericht

55 Der geltend gemachte Fehler von C. stellt eine Verhinderung im Sinne von Artikel 78 der Verordnung Nr. 40/94 dar. Diese Verhinderung hatte nach der Verordnung zur unmittelbaren Folge, dass die Kläger ihr Recht verloren, als Anmeldetag den 15. April 1996, d. h. den Tag zuerkannt zu bekommen, an dem ihr Antrag auf Eintragung beim Amt gestellt wurde.

56 Allerdings kann dem Vorbringen der Kläger nicht gefolgt werden, allein die Tatsache, dass C. die Akte DAKOTA" auf dem Stapel für unerledigte nationale Akten abgelegt habe, habe verhindert, dass die Anmeldegebühr fristgerecht entrichtet worden sei.

57 Das Fristenüberwachungssystem in der Kanzlei von S. hätte es nämlich im Normalfall ermöglichen müssen, diesen Fehler umgehend aufzudecken.

58 Die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter von S. hätte bereits bei der Ablage der Akte durch den rot markierten Fristenzettel geweckt werden müssen, der auf der Außenseite des Aktendeckels anzubringen gewesen wäre und die Frist für die Entrichtung der Anmeldegebühr hätte tragen müssen.

59 Das Fristenüberwachungssystem von S. - vorausgesetzt, es wurde beachtet - schloss im Übrigen aus, dass die Akte DAKOTA" bis zum 5. Februar 1997, also während fast zehn Monaten nach Stellung des Antrags auf Eintragung, auf dem falschen Stapel abgelegt bleiben konnte.

60 Schließlich hätte der geltend gemacht Fehler von C. normalerweise bei jedem Schriftverkehr mit dem Amt wegen der Akte DAKOTA", also bereits am 21. Mai 1996 sowie danach am 17. Juni und 19. Dezember 1996, auffallen müssen.

61 Folglich ergibt sich nicht, dass alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt im Sinne von Artikel 78 der Verordnung Nr. 40/94 beachtet wurde.

62 Die übermäßige Arbeitsbelastung und die organisatorischen Zwänge, denen sich die Kläger ihrer Behauptung nach wegen des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 40/94 gegenüber gesehen haben, sind dabei unerheblich.

63 Der dritte Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

64 Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Zum Antrag auf Vernehmung von Zeugen

65 Aus den oben stehenden Ausführungen ist ersichtlich, dass dem Gericht eine sachgerechte Entscheidung auf der Grundlage der Anträge, des schriftlichen und mündlichen Vorbringens und der vorgelegten Unterlagen möglich war.

66 Daher ist der als dritter Klageantrag gestellte Antrag der Kläger auf Vernehmung von Zeugen zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

67 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag des Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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