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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 11.03.1999
Aktenzeichen: T-147/94
Rechtsgebiete: Entscheidung 94/215/EGKS, EGKS-Vertrag


Vorschriften:

Entscheidung 94/215/EGKS
EGKS-Vertrag Art. 65
EGKS-Vertrag Art. 58
EGKS-Vertrag Art. 13 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Festsetzung einer Geldbusse durch das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ist dem Wesen nach kein streng mathematischer Vorgang. Im übrigen ist das Gericht nicht an die Berechnungen der Kommission gebunden, sondern hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine eigene Beurteilung vorzunehmen.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite erweiterte Kammer) vom 11. März 1999. - Krupp Hoesch Stahl AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - EGKS-Vertrag - Wettbewerb - Vereinbarungen zwischen Unternehmen - Preisfestsetzung - Informationsaustauschsystem. - Rechtssache T-147/94.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

A - Vorbemerkungen

1 Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1; im folgenden: Entscheidung oder angefochtene Entscheidung) gerichtet, mit der die Kommission die gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag verstossende Beteiligung von 17 europäischen Stahlunternehmen und einem ihrer Wirtschaftsverbände an einer Reihe von Vereinbarungen, Beschlüssen und verabredeten Praktiken zur Festsetzung von Preisen, zur Marktaufteilung und zum Austausch vertraulicher Informationen auf dem Trägermarkt der Gemeinschaft feststellte und gegen vierzehn Unternehmen aus dieser Branche Geldbussen wegen Zuwiderhandlungen zwischen dem 1. Juli 1988 und dem 31. Dezember 1990 festsetzte.

2 Aus der Entscheidung (Randnr. 11 Buchstabe d) geht hervor, daß die Hösch Stahl AG (die im weiteren Verlauf der Entscheidung mit dem Namen "Hösch" bezeichnet wird) eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Hösch AG ist, die 1989 einen konsolidierten Umsatz von 10,679 Milliarden DM hatte. 1992 fusionierte Hösch mit Krupp zur Krupp Hösch Stahl AG, der Klägerin des vorliegenden Verfahrens.

...

D - Die angefochtene Entscheidung

3 Die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin am 3. März 1994 zusammen mit einem Begleitschreiben von Herrn Van Miert vom 28. Februar 1994 zuging, enthält folgenden verfügenden Teil:

"Artikel 1

Die folgenden Unternehmen haben in dem in dieser Entscheidung beschriebenen Umfang an den jeweils unter ihrem Namen aufgeführten wettbewerbswidrigen Praktiken teilgenommen, die den normalen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verhinderten, einschränkten und verfälschten. Soweit Geldbussen festgesetzt werden, ist die Dauer des Verstosses in Monaten angegeben, ausser im Fall der Aufpreisharmonisierung, wo die Teilnahme an dem Verstoß mit "x" angegeben ist.

...

Hösch

a) Austausch vertraulicher Informationen im Rahmen der Träger-Kommission und der Walzstahl-Vereinigung (Monitoring-Systeme)(27)

b) Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt(3)

...

Artikel 4

Wegen der in Artikel 1 genannten und nach dem 30. Juni 1988 (31. Dezember 1988(2) im Fall von Aristrain und Ensidesa) begangenen Verstösse werden folgende Geldbussen festgesetzt:

...

Krupp Hösch Stahl AG13 000 ECU

...

Artikel 6

Diese Entscheidung ist an folgende Unternehmen gerichtet:

...

- Krupp Hösch Stahl AG

..."

...

E - Zur Geldbusse

...

Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Höhe der Geldbusse durch das Gericht

4 Die Festsetzung einer Geldbusse durch das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ist dem Wesen nach kein streng mathematischer Vorgang. Im übrigen ist das Gericht nicht an die Berechnungen der Kommission gebunden, sondern hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine eigene Beurteilung vorzunehmen.

5 Im vorliegenden Fall hat die Prüfung durch das Gericht nicht ergeben, daß die allgemeine Vorgehensweise der Kommission bei der Ermittlung des Niveaus der Geldbussen (siehe oben, Randnrn. 187 ff.(3)) fehlerhaft war, auch wenn sie dazu führte, daß gegen die Klägerin eine Geldbusse von geringer Höhe festgesetzt wurde.

6 Wie bereits ausgeführt, beteiligte sich die Klägerin zwar tatsächlich am Austausch zahlenmässiger Informationen, auch soweit er von der Träger-Kommission organisiert wurde; sie nahm aber an den Sitzungen dieser Kommission und folglich auch an den dort auf der Grundlage der ausgetauschten Zahlen geführten Erörterungen nicht teil.

7 Diese Erörterungen zeugten nicht nur von der wettbewerbswidrigen Natur des Austauschs, sondern verstärkten sie noch, indem sie die mit dem Austausch verbundene gegenseitige Kontrolle erhöhten. Die in den Sitzungen verschiedentlich geäusserte Kritik erlaubte es zum einen deren Urhebern, ihre Konkurrenten in konkreten Fällen an Verhaltensweisen zu hindern, die als zu weitgehend angesehen wurden, und erinnerten zum anderen die Konkurrenten an die Existenz einer ständigen Kontrolle und die Möglichkeit gezielter Vergeltungsmaßnahmen.

8 Ist der von der Kommission benutzte Faktor von 1,5 % im Fall eines mit derartigen regelmässigen Erörterungen verbundenen Austauschs gerechtfertigt, so kann jedoch nicht der gleiche Prozentsatz angewandt werden, wenn ein Unternehmen wie die Klägerin nicht an diesen Erörterungen teilnahm, sondern sich auf den Austausch von Zahlen beschränkte, ohne bei irgendeiner der fraglichen Sitzungen anwesend zu sein.

9 Das Gericht ist daher im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß Artikel 36 Absatz 2 des Vertrages der Ansicht, daß der genannte Faktor im Fall der Klägerin auf 1 % ihres Umsatzes verringert werden muß. Dieser Faktor ist auf einen Zeitraum von 24 der theoretisch in Frage kommenden 30 Monate anzuwenden. Die Geldbusse der Klägerin ist entsprechend herabzusetzen.

...

Kostenentscheidung:

Kosten

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Höhe der in Artikel 4 der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern gegen die Klägerin verhängten Geldbusse wird auf 9 000 EURO festgesetzt.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Hälfte der Kosten der Beklagten. Die Beklagte trägt die andere Hälfte ihrer eigenen Kosten.

(1) - Der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache und das Verfahren vor dem Gericht werden in den Randnummern 1 bis 70 des Urteils des Gerichts vom 11. März 1999 in der Rechtssache T-141/94 (Thyssen/Kommission, Slg. 1999, II-0000) dargestellt. Die Klagegründe und Argumente der Klägerin, die mit den in der Rechtssache Thyssen/Kommission vorgetragenen übereinstimmen oder ihnen ähneln, werden insbesondere in den Randnummern 121 bis 170 (Verletzung wesentlicher Formvorschriften während des Verfahrens zum Erlaß der Entscheidung), 366 bis 412 (Informationsaustausch in der Träger-Kommission [Auftrags- und Liefermonitoring] und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung), 457 bis 565 (Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegte Zuwiderhandlung) und 604 bis 613 (Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbusse) des letztgenannten Urteils geprüft.

(2) - Dieses Datum wird in der deutschen und der englischen Fassung der Entscheidung angegeben. In der französischen und der spanischen Fassung findet sich das Datum des 31. Dezember 1989.

(3) - Vgl. Urteil Thyssen/Kommission, Randnrn. 577 ff.

Ende der Entscheidung

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