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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 22.11.1990
Aktenzeichen: T-162/89
Rechtsgebiete: Beamtenstatut, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 90 Abs. 2
Beamtenstatut Art. 91
EWG-Vertrag Art. 179
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Anstellungsbehörde handelt im Namen des Organs, von dem sie bestellt ist, so daß Handlungen der Anstellungsbehörde, die Beamte oder sonstige Bedienstete durch Eingriffe in deren Rechtsstellung beschweren, dem Organ zuzurechnen sind, bei dem diese beschäftigt sind; etwaige Klagen sind gegen das Organ zu richten, das den angefochtenen Akt erlassen hat.

2. Im Rahmen einer Klage gemäß Artikel 179 EWG-Vertrag ist das Gericht für Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten nur innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen zuständig, die im Statut festgelegt sind oder sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten ergeben.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 22. NOVEMBER 1990. - MICHELE MOMMER GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - KLAGE AUF ZAHLUNG VON GEHALTSRUECKSTAENDEN - KLAGE GEGEN EINE POLITISCHE FRAKTION - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-162/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die Klägerin, die Inhaberin einer "Licence" für Journalistik ist und eine fünfzehnjährige Berufserfahrung aufweist, arbeitete in Brüssel für das Europäische Parlament ( nachstehend : Parlament ) als Hilfskraft bei der Fraktion der Europäischen Volkspartei ( nachstehend : EVP-Fraktion ) aufgrund folgender Verträge :

- vom 26. Oktober 1987 bis zum 30. April 1988 : Vertrag für Ersatzkräfte beim Generalsekretariat;

- vom 1. Mai bis zum 9. Juli 1988 und vom 25. Juli 1988 bis zum 30. April 1989 : Vertrag über Aushilfstätigkeit bei der Fraktion;

- vom 1. Mai bis zum 30. Juni 1989 : Vertrag für Ersatzkräfte beim Generalsekretariat.

2 Nach dem zwischen der Klägerin und Herrn A. Baldanza als Direktor ad personam der Personalabteilung des Parlaments geschlossenen Einstellungsvertrag sollte das monatliche Grundgehalt der Klägerin 73 648 BFR betragen, was einer Einstufung in die Laufbahngruppe C, Besoldungsgruppe VI, Gehaltsklasse 2 entspricht.

3 Die Klägerin macht geltend, um das Mißverhältnis zwischen ihren Qualifikationen, die einer Einstufung in die Laufbahngruppe A entsprächen, und dem Maß der Verantwortung, das mit den ihr übertragenen Aufgaben verbunden gewesen sei, einerseits sowie ihrem Gehalt andererseits auszugleichen, sei zwischen dem Vorstand der EVP-Fraktion und der Klägerin vereinbart worden, daß ihr zusätzlich zu ihrem Monatsgehalt ein monatliches Honorar von 25 000 BFR gezahlt werden sollte.

4 Am 14. Februar 1989 stellte die Klägerin der EVP-Fraktion ein Honorar von 230 000 BFR, abzueglich eines Vorschusses von 173 000 BFR, in Rechnung.

5 Der Generalsekretär der EVP-Fraktion antwortete mit Schreiben vom 2. Juni 1989, die Fraktion sei, abgesehen von dem der Klägerin angebotenen Vertrag für Hilfskräfte, in keinem Zeitpunkt ihr gegenüber weitere Verpflichtungen eingegangen; er betrachte die von der Klägerin übermittelte Honorarrechnung folglich als gegenstandslos.

6 Mit Schreiben vom 14. Juni 1989 legte die Klägerin bei der Personaldirektion des Parlaments gegen diese Entscheidung eine Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften ( nachstehend : Statut ) ein. Sie führte darin aus, das mit der Rechnung vom 14. Februar 1989 beanspruchte Honorar von 230 000 BFR stelle die zwischen ihr und der EVP-Fraktion vereinbarte Anpassung ihres Gehalts dar, das von dem Haushalt für die zentralisierte Informationskampagne der Fraktion getragen werden sollte.

7 Dieses Schreiben blieb ohne Antwort.

Verfahren

8 Die Klägerin hat daraufhin mit Klageschrift, die am 4. Dezember 1989 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Zahlung von 76 708 BFR zuzueglich Zinsen erhoben, was der erwähnten Honorarrechnung zuzueglich Dienstreisekosten von insgesamt 46 288 BFR abzueglich erhaltener Vorschüsse von 199 580 BFR entspricht; die Klage ist ausdrücklich gegen den Generalsekretär der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments gerichtet. Diese Klage ist entsprechend der vom Gerichtshof geuebten Praxis in das Register der Kanzlei des Gerichts als Klage gegen das Europäische Parlament eingetragen worden.

9 Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen. Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

10 Die mündliche Verhandlung hat am 4. Oktober 1990 stattgefunden. Die Vertreter der Parteien haben zur Sache verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

11 Die Klägerin beantragt,

- die Fraktion der Europäischen Volkspartei zu verurteilen, ihr 76 708 BFR zuzueglich der gesetzlichen Zinsen und der Kosten zu zahlen.

12 Der Beklagte beantragt,

- die Klage für unzulässig, jedenfalls für unbegründet zu erklären;

- über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

13 Mit ihrer Erwiderung beantragt die Klägerin darüber hinaus,

- festzustellen, daß der beklagte Generalsekretär der EVP-Fraktion keine Klagebeantwortung eingereicht hat;

- die Klage für zulässig und begründet zu erklären.

Zulässigkeit

14 Das beklagte Parlament hält die Klage gegen den Generalsekretär der EVP-Fraktion für unzulässig. Gegenstand einer Klage könne eine vertragliche Verpflichtung des Parlaments gegenüber einer Hilfskraft nur sein, wenn diese Verpflichtung vom Parlament selbst - dies werde im vorliegenden Fall nicht vorgetragen - oder von einer Person eingegangen worden sei, der vom Parlament Befugnisse übertragen worden seien. Die Klage gegen den Generalsekretär der EVP-Fraktion sei folglich unzulässig, da ihm keine Befugnisse übertragen worden seien, aufgrund deren er das Parlament zu zusätzlichen finanziellen Leistungen an die Klägerin verpflichten könne.

15 Die Klägerin erwidert, zwar sei ihr Dienstvertrag mit dem Parlament geschlossen, jedoch sei darin bestimmt, daß die Kosten für ihre Einstellung von der EVP-Fraktion getragen würden. Der Generalsekretär dieser Fraktion, der als solcher Rechtsfähigkeit besitze, habe nicht als Beauftragter des Parlaments, sondern als Träger eigener Rechte und Pflichten gehandelt. Da die Honorarvereinbarung auf ihrem Dienstvertrag beruhe, habe sie ihre Klage zu Recht beim Gericht erhoben, das gemäß Artikel 91 Absatz 1 des Statuts in Streitsachen vermögensrechtlicher Art die Befugnis zu uneingeschränkter Ermessensnachprüfung habe.

16 Auf eine Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin wiederholt, daß sie die Verurteilung des Generalsekretärs der EVP-Fraktion beantrage.

17 Die Zulässigkeit des Antrags der Klägerin ist nach folgenden Bestimmungen zu beurteilen :

- Artikel 179 EWG-Vertrag : "Der Gerichtshof ist für alle Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen zuständig, die im Statut der Beamten festgelegt sind oder sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten ergeben."

- Artikel 91 Absatz 1 des Statuts : "Für alle Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und einer Person, auf die dieses Statut Anwendung findet, über die Rechtmässigkeit einer diese Person beschwerenden Maßnahme im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 ist der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zuständig. In Streitsachen vermögensrechtlicher Art hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung, einschließlich der Befugnis zur Aufhebung oder Änderung der getroffenen Maßnahmen."

- Artikel 2 Absatz 1 des Statuts : "Jedes Organ bestimmt, wer in seinem Dienstbereich die der Anstellungsbehörde im Statut übertragenen Befugnisse ausübt."

- Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften : "Das Gericht übt im ersten Rechtszug die Zuständigkeiten aus, die dem Gerichtshof durch die Verträge zur Gründung der Gemeinschaften und die zur Durchführung dieser Verträge erlassenen Rechtsakte übertragen worden sind :

a ) bei Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten im Sinne des Artikels 179 EWG-Vertrag und des Artikels 152 EAG-Vertrag..."

18 Wie der Gerichtshof in zahlreichen Urteilen entschieden hat ( siehe die Urteile vom 19. März 1964 in der Rechtssache 18/63, Schmitz/EWG, Slg. 1964, 175; vom 1. Juli 1964 in der Rechtssache 80/63, Degreef/Kommission, Slg. 1964, 837; vom 1. Juli 1964 in der Rechtssache 78/63, Huber/Kommission, Slg. 1964, 787; vom 1. Juli 1964 in der Rechtssache 26/63, Pistoj/Kommission, Slg. 1964, 735; vom 17. Dezember 1964 in der Rechtssache 102/63, Boursin/Hohe Behörde der EGKS, Slg. 1964, 1471; vom 7. April 1965 in der Rechtssache 28/64, Müller/Räte der EWG und der EGKS, Slg. 1965, 321; vom 17. Juni 1965 in der Rechtssache 43/64, Müller/Räte der EWG, EAG und EGKS, Slg. 1965, 519; vom 10. Juni 1987 in der Rechtssache 307/85, Gavanas/WSA und Rat, Slg. 1987, 2435 ), folgt aus den genannten Bestimmungen des EWG-Vertrags und des Statuts zum einen, daß die Anstellungsbehörde im Namen des Organs handelt, von dem sie bestellt ist, so daß Handlungen der Anstellungsbehörde, die Beamte durch Eingriffe in deren Rechtsstellung beschweren, dem Organ zuzurechnen sind, bei dem diese Beamten beschäftigt sind, und zum anderen, daß etwaige Klagen gegen das Organ zu richten sind, das den angefochtenen Akt erlassen hat.

19 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ihre Klage nicht gegen das Organ gerichtet, mit dem sie den Einstellungsvertrag geschlossen hat, also das Parlament, sondern - daran hat die Klägerin in ihrer Erwiderung und in der mündlichen Verhandlung festgehalten - gegen eine andere Behörde, nämlich den Generalsekretär einer Fraktion.

20 Bereits damit ist die Klage unzulässig.

21 Selbst wenn im übrigen die Klage eines ehemaligen Bediensteten des Parlaments gegen eine Fraktion des Parlaments zulässig und die Parallelvereinbarung, auf die sich die Klägerin gegen den Generalsekretär der EVP-Fraktion beruft, nachgewiesen wäre, müsste das Gericht die Klage als unzulässig abweisen. Diese Vereinbarung wäre nämlich offensichtlich ausserhalb der Grenzen der für die Klägerin geltenden Regelung geschlossen worden. Gemäß Artikel 179 EWG-Vertrag und Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 ist das Gericht jedoch für Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten nur "innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen zuständig, die im Statut der Beamten festgelegt sind oder sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten ergeben ". Im übrigen wurde die Klägerin - dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Einstellungsvertrags selbst - "nach Maßgabe der Bedingungen (( eingestellt )), die in den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften festgelegt sind ".

22 Folglich unterliegen alle anderen Vereinbarungen, die ausserhalb des Geltungsbereichs des Statuts oder der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften liegen, nicht der Nachprüfung durch das Gericht.

23 Nach alledem ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Gericht entsprechend gilt, sind der unterliegenden Partei auf Antrag die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT ( Vierte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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