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Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: T-186/97
Rechtsgebiete: Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, Beschluss 64/732/EWG, Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen, Verordnung (EWG) Nr. 1430/79, Verordnung (EWG) Nr. 1697/79, Verordnung (EWG) Nr. 3799/86


Vorschriften:

Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei
Beschluss 64/732/EWG
Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen Art. 3 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 Art. 13 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 Art. 5 Abs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 Art. 4 Nr. 2 c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Gericht kann den Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte von Amts wegen prüfen, da es sich hierbei um eine wesentliche Formvorschrift handelt.

( vgl. Randnrn. 134-135 )

2. Der Streithelfer kann zwar, wie sich aus Artikel 116 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt, nicht die von ihm unterstützten Parteianträge erweitern, er ist jedoch frei in der Wahl der Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Argumente, die er zugunsten der genannten Anträge geltend macht.

( vgl. Randnr. 137 )

3. Die Beachtung der Verfahrensrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ist ein elementarer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der auch dann sichergestellt werden muss, wenn es an einer Regelung für das betreffende Verfahren fehlt. Dieser Grundsatz verlangt, dass jeder, der durch eine Entscheidung beschwert werden kann, zumindest zu den Gesichtspunkten sachgerecht Stellung nehmen kann, auf die die Kommission die Entscheidung zu seinem Nachteil stützt. Angesichts des Beurteilungsspielraums, über den die Kommission bei der Anwendung der auf Billigkeitserwägungen beruhenden Generalklausel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben verfügt, ist die Wahrung des Rechts auf Anhörung in den Verfahren gemäß dieser Verordnung von besonderer Bedeutung. Das gilt erst recht, wenn die Kommission in Wahrnehmung ihrer ausschließlichen Befugnis aus Artikel 905 der Verordnung Nr. 2454/93 bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen gemäß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 erfuellt sind, von der Stellungnahme der nationalen Behörde abweichen will, und zwar insbesondere, wenn es dabei um die Frage geht, ob dem Betroffenen offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist.

( vgl. Randnrn. 151-153, 155 )

4. Die Wahrung der Verfahrensrechte, die ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts ist, erfordert nicht nur, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, sich zur Relevanz der Sachumstände zu äußern, sondern auch, dass er zumindest zu den Unterlagen Stellung nehmen kann, auf die das Gemeinschaftsorgan zurückgreift.

Die Wahrung der Verteidigungsrechte verlangt, dass der Beteiligte, der den Erlass von Eingangsabgaben beantragt hat, Gelegenheit hatte, sich zu den Schriftstücken zu äußern, auf die die Kommission die angefochtene Entscheidung gestützt hat.

Es ist nicht Sache der Kommission, über die Relevanz oder Bedeutung zu befinden, die bestimmte Unterlagen für die Verteidigung eines Beteiligten haben können. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass Papiere, die die Kommission für unerheblich hält, für den Betroffenen von Interesse sind. Könnte die Kommission aus dem Verwaltungsverfahren einseitig Papiere ausschließen, die ihr möglicherweise zum Nachteil gereichen, könnte dies die Verfahrensrechte desjenigen erheblich verletzen, der einen Erlass der Eingangsabgaben beantragt.

( vgl. Randnrn. 179, 185 )

5. Gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben hängt die Erstattung oder der Erlass dieser Abgaben von den beiden kumulativen Voraussetzungen ab, dass besondere Umstände vorliegen und dass dem Betroffenen weder offensichtliche Fahrlässigkeit noch eine betrügerische Absicht anzulasten sind.

Das Vorliegen besonderer Umstände ist nachgewiesen, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet und dass er ohne diese Umstände den Nachteil, der in der Nacherhebung der Zölle liegt, nicht erlitten hätte.

Was die Voraussetzung des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht des Betroffenen angeht, so entspricht die Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 der offensichtlichen Fahrlässigkeit oder betrügerischen Absicht im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79, so dass die in der letztgenannten Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen im Licht der Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 zu würdigen sind.

( vgl. Randnrn. 217-220 )

6. Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79, wonach die Eingangsabgaben bei Vorliegen besonderer Umstände erlassen werden können, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, ist eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel.

Um zu beurteilen, ob nach Lage des Falles besondere Umstände im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, muss die Kommission sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen. Aus dieser Verpflichtung folgt in Fällen, in denen die Abgabenpflichtigen zur Begründung ihrer Erlassanträge schwerwiegende Fehler der Vertragsparteien bei der Anwendung eines die Gemeinschaft bindenden Abkommens geltend gemacht haben, dass die Kommission in ihre Beurteilung, ob diese Anträge begründet sind, sämtliche tatsächlichen Umstände der streitigen Einfuhren einbeziehen muss, die ihr im Rahmen ihrer Aufgabe, die Anwendung dieses Abkommens zu überwachen und zu kontrollieren, bekannt geworden sind. Desgleichen darf die Kommission relevante Informationen nicht unbeachtet lassen, die ihr bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben bekannt geworden sind und die, obgleich sie in der Phase des nationalen Verfahrens nicht in den Verwaltungsakten enthalten waren, möglicherweise einen Erlass zugunsten der Betroffenen hätten rechtfertigen können.

Auch wenn die Kommission überdies bei der Anwendung von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über einen Beurteilungsspielraum verfügt, muss sie bei der Ausübung dieser Befugnis das Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, wirklich gegeneinander abwägen. Daher darf sie sich bei der Prüfung, ob ein Erlassantrag begründet ist, nicht darauf beschränken, das Verhalten der Importeure zu berücksichtigen. Sie muss auch die Auswirkungen ihres eigenen, gegebenenfalls fehlerhaften Verhaltens auf die entstandene Lage würdigen.

( vgl. Randnrn. 216, 222-225 )

7. Gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 können die zuständigen Behörden von einer Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben absehen, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, sofern dieser Irrtum vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat. Somit ist das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen im Sinne dieser Bestimmung nur dann schutzwürdig, wenn es gerade die zuständigen Behörden waren, die die Grundlage für das Vertrauen des Abgabenpflichtigen geschaffen haben. Diese Voraussetzung kann nicht als erfuellt angesehen werden, wenn die zuständigen Behörden durch unzutreffende Erklärungen des Abgabenpflichtigen namentlich zum Warenursprung, deren Richtigkeit sie nicht festzustellen oder zu überprüfen haben, irregeführt werden. In einem solchen Fall trägt der Abgabenpflichtige das Risiko, dass sich ein Handelsdokument bei einer späteren Überprüfung als falsch erweist.

Auch wenn Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 und Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79, wonach die zuständigen Behörden die Eingangsabgaben bei Vorliegen besonderer Umstände erstatten oder erlassen können, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, das gleiche Ziel verfolgen, sind beide Bestimmungen doch nicht deckungsgleich. Die erstgenannte Bestimmung hat nämlich eine beschränktere Zielsetzung als letztere, da sie nur das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die bei der Entscheidung darüber, ob Zoll erhoben wird oder nicht, Berücksichtigung gefunden haben; Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 ist hingegen eine allgemeine Billigkeitsklausel.

So kann sich der Abgabenpflichtige nicht auf Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 berufen, wenn die zuständigen Behörden Zölle nicht in Rechnung gestellt haben, weil sie durch Angaben der Exporteure irregeleitet wurden. Wie sich aus Artikel 4 Nummer 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3799/86 und Artikel 904 Buchstabe c der Verordnung Nr. 2454/93 ergibt, kann der Abgabenpflichtige ebenso wenig geltend machen, dass die Einreichung ungültiger Bescheinigungen und somit der Irrtum der zuständigen Behörden als solche besondere Umstände im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 seien. Dagegen verwehren es diese Bestimmungen dem Abgabenpflichtigen nicht, andere Umstände zur Begründung seines Erlassantrags auf der Grundlage von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 geltend zu machen. Es lässt sich nämlich beispielsweise nicht ausschließen, dass der Irrtum der zuständigen Behörden seinerseits dadurch begünstigt wurde, dass die Kommission die Durchführung eines Assoziierungsabkommens nur unzureichend kontrollierte; dies kann einen besonderen Umstand bilden.

( vgl. Randnrn. 231-235 )

8. Gemäß Artikel 7 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei haben die Vertragsparteien alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfuellung der Verpflichtungen aus dem Abkommen zu treffen und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Abkommens gefährden könnten. Diese Bestimmung ist Ausdruck des Grundsatzes Pacta sunt servanda" und des Grundsatzes von Treu und Glauben, die das Verhalten der Vertragsparteien eines völkerrechtlichen Abkommens zu leiten haben.

( vgl. Randnr. 237 )

9. Gemäß Artikel 155 EG-Vertrag (jetzt Artikel 211 EG) und dem Grundsatz der guten Verwaltung ist die Kommission verpflichtet, die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei und des Zusatzprotokolls sicherzustellen.

( vgl. Randnr. 257 )

10. Nach der inneren Logik des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei hat die Kommission, wenn sie die Gültigkeit durch die türkischen Zollbehörden ausgestellter Warenverkehrsbescheinigungen A.TR.1 bezweifelt, zunächst von dem Streitbeilegungsverfahren gemäß Artikel 25 des Abkommens Gebrauch zu machen, bevor sie diese Bescheinigungen für ungültig erklärt. Dies gilt umso mehr, als das Abkommen keine Befugnis einer Vertragspartei vorsieht, die von den Zollbehörden der anderen Vertragspartei ausgestellten Bescheinigungen für ungültig zu erklären. Eine solche Vorgehensweise erscheint auch schwerlich vereinbar mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Zollbehörden der Vertragsparteien und dem Grundsatz, dass die Zollverwaltung des Einfuhrstaats die von den Behörden des Ausfuhrstaats rechtmäßig vorgenommenen Beurteilungen anerkennt.

( vgl. Randnr. 270 )

11. Das Bestehen von Spannungen zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland entbindet die Kommission als Hüterin des Vertrages und der auf seiner Grundlage abgeschlossenen Abkommen nicht davon, mit den Mitteln, die ein Abkommen mit einem Drittland vorsieht, oder durch die auf seiner Grundlage gefassten Beschlüsse dafür Sorge zu tragen, dass dieses Land die in dem Abkommen eingegangenen Verpflichtungen erfuellt. Kann sie angesichts derartiger Spannungen dieser Verpflichtung insbesondere deshalb nicht nachkommen, weil die ihr zu Gebote stehenden Mittel sich als ungeeignet oder unwirksam erweisen, hat sie zumindest die Mitgliedstaaten unverzüglich auf die Maßnahmen hinzuweisen, die zur Abwendung eines möglichen Schadens der Gemeinschaft und ihrer Wirtschaftsteilnehmer zu treffen sind. Keinesfalls darf die Kommission von ihrer ausschließlichen Zuständigkeit für die Einziehung und den Erlass von Eingangsabgaben Gebrauch machen, um Mängel bei der Durchführung eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland zu beheben.

( vgl. Randnrn. 271-272 )

12. Für die Beurteilung, ob der den zuständigen Behörden unterlaufene Irrtum vom Abgabenschuldner nicht im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, erkannt werden konnte, sind insbesondere die genaue Art des Irrtums, die professionelle Erfahrung des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers und die von ihm aufgewandte Sorgfalt zu berücksichtigen. Diese Beurteilung ist anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Die Art des Irrtums beurteilt sich insbesondere nach dem Zeitraum, während dessen die zuständigen Behörden in ihrem Irrtum verharrten, und nach der Komplexität der fraglichen Bestimmungen.

( vgl. Randnrn. 279, 282 )

13. Gemäß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 können die Eingangsabgaben bei Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Dabei trägt die Kommission die Beweislast für offensichtliche Fahrlässigkeit, wenn die Art und Weise, in der die Betroffenen ihre Kaufverträge abgeschlossen und die streitigen Einfuhren vorgenommen haben, üblicher Handelspraxis entsprach.

( vgl. Randnr. 297 )


Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 10. Mai 2001. - Kaufring AG und andere gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Nichtigkeitsklage - Einfuhr von Fernsehgeräten aus der Türkei - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls - Ausgleichsabgabe - Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 - Nicht gerechtfertigter Erlass von Eingangsabgaben - Rechte der Verteidigung. - Verbundene Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97, T-217/97, T-218/97, T-279/97, T-280/97, T-293/97 und T-147/99.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97, T-293/97 und T-147/99

Kaufring AG mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Ehle und V. Schiller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-186/97,

Crown Europe GmbH mit Sitz in Gelsenkirchen (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Ehle und V. Schiller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-187/97,

Profex Electronic Verwaltungsgesellschaft mbH mit Sitz in Tiefenbach (Deutschland), Prozeßbevollmächtigter: zunächst Rechtsanwalt G. Sobotta, dann Rechtsanwalt E. O. Rau, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-190/97,

Horten AG mit Sitz in Düsseldorf, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Ehle und V. Schiller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-191/97,

Dr. Seufert GmbH mit Sitz in Karlsruhe (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Ehle und V. Schiller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-192/97,

Grundig AG mit Sitz in Fürth (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Ehle und V. Schiller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-210/97,

Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Ehle und V. Schiller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-211/97,

Lema SA mit Sitz in Gennevilliers (Frankreich), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. Goguel, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-216/97,

Masco SA, früher Seiga SA (High Tech Industries), mit Sitz in Thiais (Frankreich), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. Goguel, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in den Rechtssachen T-217/97 und T-218/97,

DFDS Transport BV mit Sitz in Venlo (Niederlande), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Grisart, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-279/97,

Wilson Holland BV mit Sitz in Hoogvliet Rotterdam (Niederlande), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt C. Grisart, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-280/97,

Elta GmbH mit Sitz in Dreieich-Sprendlingen (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. Breit und A. Breit,

Klägerin in der Rechtssache T-293/97,

Miller NV mit Sitz in Willebroek (Belgien), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Y. Van Gerven und I. Bernaerts, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin in der Rechtssache T-147/99,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97 durch M. Ewing und R. V. Magrill im Beistand von D. Wyatt, QC, als Bevollmächtigte, und in den Rechtssachen T-216/97 bis T-218/97 durch D. Cooper im Beistand von D. Wyatt als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten zunächst durch E. Röder und C.-D. Quassowski, dann durch W. D. Plessing und C.-D. Quassowski als Bevollmächtigte,

Streithelferin in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97 und T-210/97,

und

Französische Republik, vertreten zunächst durch K. Rispal-Bellanger, G. Mignot und F. Pascal, dann durch K. Rispal-Bellanger und C. Vasak als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97 und T-216/97 bis T-218/97,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97 und T-293/97 durch R. B. Wainwright im Beistand von zunächst K. Schreyer, dann durch G. zur Hausen als Bevollmächtigte, in den Rechtssachen T-216/97 bis T-218/97 zunächst durch M. Nolin, dann durch R. Tricot als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt und Barrister A. Barav, in den Rechtssachen T-279/97 und T-280/97 durch R. B. Wainwright im Beistand von R. Tricot als Bevollmächtigte, und in der Rechtssache T-147/99 durch R. Tricot als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt J. Stuyck, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen - in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97 - Nichtigerklärung der Entscheidungen der Kommission vom 19. Februar, 25. März und 5. Juni 1997, wonach der Erlass von Eingangsabgaben nicht gerechtfertigt ist, und - in den Rechtssachen T-216/97 bis T-218/97 und T-147/99 - Nichtigerklärung der Entscheidungen der Kommission vom 24. April 1997 und vom 26. März 1999, wonach diese Eingangsabgaben zurückzufordern sind und ihr Erlass nicht gerechtfertigt ist,

erlässt DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts sowie der Richter J. Azizi und M. Jaeger,

Kanzler: P. de Bandt, Referent

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

I - Die Regelung über die Ausgleichsabgabe (Anteilzollregelung)

A - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei

1 Den Rahmen für die vorliegenden Rechtssachen bildet das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im Folgenden: Assoziierungsabkommen), das von der Republik Türkei einerseits sowie den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits (im Folgenden: Vertragsparteien) in Ankara unterzeichnet wurde. Das Assoziierungsabkommen wurde mit Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) gebilligt und trat am 1. Dezember 1964 in Kraft.

2 Ziel des Assoziierungsabkommens ist nach Artikel 2 in Titel I (Grundsätze), eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern.

3 Das Assoziierungsabkommen umfasst eine Vorbereitungsphase, während deren die Türkei nach Artikel 3 ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft festigen kann, eine Übergangsphase, in der gemäß Artikel 4 die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken erfolgen, sowie eine Endphase, die nach Artikel 5 auf der Zollunion beruht und eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken einschließt. Gemäß Artikel 28 soll das Abkommen es früher oder später gestatten, die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft zu prüfen.

4 Die Vertragsparteien treffen gemäß Artikel 7 alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfuellung der Verpflichtungen aus dem Abkommen und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele des Abkommens gefährden könnten.

5 Die Artikel 22 und 23 in Titel III (Allgemeine und Schlussbestimmungen) sehen die Schaffung eines Assoziationsrates vor, der aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission einerseits und Mitgliedern der türkischen Regierung andererseits besteht; der Assoziationsrat kann zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens einstimmig Beschlüsse fassen. Nach Artikel 25 kann der Assoziationsrat, wenn er von einer Vertragspartei befasst wird, jede Streitigkeit in Bezug auf die Anwendung oder Auslegung des Abkommens durch Beschluss beilegen oder sie dem Gerichtshof unterbreiten.

6 Artikel 1 des Abkommens über die zur Durchführung des Assoziierungsabkommens zu treffenden Maßnahmen und die dabei anzuwendenden Verfahren (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3703) regelt schließlich, wie die gemeinsame Haltung der Vertreter der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten im Assoziationsrat festgelegt wird.

B - Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls

7 Zur Festlegung der Bedingungen, der Einzelheiten und des Zeitplans für die Verwirklichung der Übergangsphase unterzeichneten die Vertragsparteien am 23. November 1970 in Brüssel ein Zusatzprotokoll. Dieses Protokoll wurde mit der Verordnung Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) gebilligt.

8 Da die im Assoziierungsabkommen in Aussicht genommene Endphase erst am 31. Dezember 1995 in Kraft trat (Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates vom 22. Dezember 1995 über die Durchführung der Endphase der Zollunion, ABl. 1996, L 35, S. 1), galten zur Zeit der Einfuhren, die die mit den vorliegenden Nichtigkeitsklagen angefochtenen Entscheidungen der Kommission betreffen, die Bestimmungen des Zusatzprotokolls über die Übergangsphase.

9 Zu diesen zählt u. a. Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls, wonach dessen Vorschriften über die Abschaffung der Zölle und die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen (im Folgenden: Präferenzregelung) "auch für diejenigen in der Gemeinschaft oder in der Türkei hergestellten Waren [gelten], die unter Verwendung von Waren aus dritten Ländern hergestellt sind, welche sich weder in der Gemeinschaft noch in der Türkei im freien Verkehr befanden".

10 Die Anwendung dieser Vorschriften auf solche Waren setzt jedoch voraus, dass der Ausfuhrstaat eine Ausgleichsabgabe (Anteilzoll) erhebt, die einem Hundertsatz derjenigen Zölle entspricht, die im Gemeinsamen Zolltarif für die bei der Herstellung verwendeten Waren aus dritten Ländern vorgesehen sind (im Folgenden: Ausgleichsabgabe).

11 Weiter ist vorgesehen, dass der Assoziationsrat den Hundertsatz der Ausgleichsabgabe festlegt und das Verfahren für ihre Erhebung regelt. Schließlich hat er die Verfahren für die Zusammenarbeit der Verwaltungen zur Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zu regeln (Artikel 4 des Zusatzprotokolls).

12 In Anwendung der letztgenannten Bestimmungen erließ der Assoziationsrat eine Reihe von Beschlüssen über die Ausgleichsabgabe.

13 Mit dem Beschluss Nr. 2/72 vom 29. Dezember 1972 (nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht) setzte der Assoziationsrat den Hundertsatz der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs, der für die Berechnung der Ausgleichsabgabe maßgebend ist, für die in der Türkei hergestellten Waren auf 100 fest.

14 Mit dem Beschluss Nr. 3/72 vom 29. Dezember 1972 (nicht im Amtsblatt veröffentlicht) regelte der Assoziationsrat das Verfahren für die Erhebung der Ausgleichsabgabe. Sie bemisst sich nach diesem Beschluss nach der Art und dem Zollwert der Erzeugnisse von Ländern außerhalb der Assoziation, die bei der Herstellung der Waren im Gebiet der Assoziation verwendet wurden (im Folgenden: Komponenten drittländischen Ursprungs) (Artikel 1). Im Fall einer teilweisen oder vollständigen Befreiung vom Zoll für die Komponenten drittländischen Ursprungs oder Aussetzung dieses Zolls ist die Ausgleichsabgabe bis zur Höhe des nicht erhobenen Zolls zu entrichten (Artikel 3). Die Gemeinschaft und die Republik Türkei unterrichten sich gegenseitig und informieren den Assoziationsrat über die Maßnahmen, die sie im Hinblick auf die einheitliche Anwendung des Beschlusses treffen (Artikel 4).

15 Mit dem Beschluss Nr. 5/72 vom 29. Dezember 1972 über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen zur Anwendung der Artikel 2 und 3 des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara (ABl. 1973, L 59, S. 74) hat der Assoziationsrat schließlich festgelegt, dass für die Anwendung der Präferenzregelung die Vorlage einer auf Antrag des Ausführers von den Zollbehörden der Türkei oder eines Mitgliedstaats ausgestellten Beweisurkunde erforderlich ist. Für die unmittelbar zwischen der Gemeinschaft und der Türkei beförderten Waren ist dies die Warenverkehrsbescheinigung A.TR.1 (im Folgenden: A.TR.1-Bescheinigung), von der dem Beschluss ein Muster beigefügt ist (Artikel 2). Dieses Muster wurde durch das Vordruckmuster im Anhang des Beschlusses Nr. 1/78 des Assoziationsrates vom 18. Juli 1978 zur Änderung des Beschlusses Nr. 5/72 (ABl. L 253, S. 2) ersetzt.

16 Auf der Rückseite dieses Formulars im Anhang des Beschlusses Nr. 1/78 finden sich unter Punkt I Erläuterungen zu "Waren, für die eine Warenverkehrsbescheinigung A.TR.1 ausgestellt werden kann". Gemäß Nummer 1 Buchstabe c dieser Erläuterungen kann die Bescheinigung für Waren ausgestellt werden, "die im Ausfuhrstaat unter Verwendung von Erzeugnissen hergestellt sind, für welche die auf sie anwendbaren Zölle und Abgaben gleicher Wirkung nicht erhoben oder für welche diese vollständig oder teilweise rückvergütet worden sind, sofern in den dafür in Betracht kommenden Fällen der für sie vorgesehene Anteilzoll erhoben wird".

17 Gemäß Artikel 11 des Beschlusses Nr. 5/72 leisten sich die Mitgliedstaaten und die Republik Türkei durch ihre Zollverwaltungen bei der Prüfung der Bescheinigungen auf ihre Echtheit und Richtigkeit gegenseitig Verwaltungshilfe, "damit die einwandfreie Durchführung dieses Beschlusses gewährleistet wird". Artikel 12 des Beschlusses Nr. 5/72 bestimmt sodann:

"Die [Republik] Türkei, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft treffen jeweils für ihren Bereich die zur Durchführung dieses Beschlusses erforderlichen Maßnahmen."

C - Die Umsetzung der Regelung über die Ausgleichsabgabe durch die türkischen Behörden

1. Die Zeit vor dem Ministerialerlass von Januar 1994

18 Bis zum 15. Januar 1994 hatte die türkische Regierung keine allgemeine Regelung eingeführt, nach der gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls eine Ausgleichsabgabe für Waren zu erheben gewesen wäre, die unter Verwendung von in der Türkei nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführten Komponenten drittländischen Ursprungs hergestellt wurden. Die türkische Regierung hatte vielmehr ein Ausfuhrförderungsprogramm eingeführt und im Juni 1992 zwei Ministerialerlasse über die Erhebung eines Ausgleichszolls und die Aussetzung bestimmter Eingangsabgaben erlassen.

a) Das Ausfuhrförderungsprogramm

19 Zur Unterstützung der Ausfuhren türkischer Erzeugnisse in die Gemeinschaft und in dritte Länder führten die türkischen Behörden ein Ausfuhrförderungsprogramm (export incentive scheme) ein. Danach waren Komponenten drittländischen Ursprungs von Eingangsabgaben befreit, sofern sie zur Herstellung von Erzeugnissen verwendet wurden, die sodann in die Gemeinschaft oder in dritte Länder wiederausgeführt wurden. Die türkischen Firmen mussten für diese Befreiung über eine von den türkischen Behörden ausgestellte Ausfuhrförderungsbescheinigung verfügen. Die Namen der Firmen, die dieses Programm in Anspruch nahmen, wurden jährlich im türkischen Staatsanzeiger veröffentlicht. Die Befreiung von den Eingangsabgaben war nur unter der Bedingung gültig, dass die Komponenten vor Ablauf einer bestimmten Frist nach ihrer Einfuhr in die Türkei wiederausgeführt würden. Bei der Einfuhr wurden die normalerweise geschuldeten Abgaben errechnet und bei Bankinstituten hinterlegt. Nach erfolgter Herstellung und Ausfuhr wies das Unternehmen sodann die Ausfuhren nach, um die hinterlegten Beträge zurückzuerhalten.

b) Die Ministerialerlasse der türkischen Regierung von Juni 1992

20 Mit Schreiben vom 28. Juli 1992 teilte die Ständige Vertretung der Republik Türkei bei den Europäischen Gemeinschaften dem Assoziationsrat zwei Ministerialerlasse der türkischen Regierung vom 16. Juni 1992 mit.

21 Es handelt sich zunächst um den Ministerialerlass Nr. 92/3177 vom 16. Juni 1992, der im türkischen Staatsanzeiger Nr. 21277 vom 7. Juli 1992 veröffentlicht wurde und am selben Tag in Kraft trat. Danach müssen Exporteure, die Farbfernsehgeräte mit einer A.TR.1-Bescheinigung ausführen wollen, ein Sachverständigengutachten ihrer Handelskammer vorlegen, aus dem sich ergibt, dass der Anteil der Komponenten drittländischen Ursprungs am FOB-Gesamtwert (Gesamtwert free on board) der Geräte 56 % oder weniger beträgt. Die Zollbehörden haben eine Ausgleichsabgabe zu erheben, sofern der Wert dieser Komponenten diesen Prozentsatz übersteigt. Die Ausgleichsabgabe wird an den Unterstützungs- und Preisstabilisierungsfonds (Support and Price Stabilization Fund) gezahlt. Zuständig für die Durchführung des Ministerialerlasses ist der Minister, dessen Ministerium das Staatssekretariat für Finanzen und Außenhandel (Undersecreteriat for Treasury and External Commerce) angegliedert ist.

22 Am selben Tag erging der Ministerialerlass Nr. 92/3127 der türkischen Regierung, der im türkischen Staatsanzeiger Nr. 21277 vom 7. Juli 1992 veröffentlicht wurde und an diesem Tag in Kraft trat. Danach werden die Eingangsabgaben auf in die Türkei eingeführte Kathodenstrahlröhren für Farbfernsehgeräte ausgesetzt, und zwar unabhängig von deren Ursprung (EWG oder dritte Länder) und Bestimmung (Einbau in Fernsehgeräte für den Inlandsmarkt oder in Geräte, die in die EWG oder in dritte Länder ausgeführt werden).

2. Der Ministerialerlass der türkischen Regierung von Januar 1994

23 Am 12. Januar 1994 erging der Ministerialerlass Nr. 94/5168 der türkischen Regierung, der im türkischen Staatsanzeiger Nr. 21832 vom 28. Januar 1994 veröffentlicht wurde. Nach dessen Artikel 1 ist auf Komponenten drittländischen Ursprungs, die in für die Gemeinschaft bestimmte Farbfernsehgeräte eingebaut sind, eine Ausgleichsabgabe zu erheben. Der Satz dieser Abgabe entspricht dem Satz, der im Gemeinsamen Zolltarif für Erzeugnisse dieser Art vorgesehen ist. Die erhobenen Beträge werden an den Fonds zur Förderung von Investitionen und Devisendienstleistungen (Fund for the Promotion of Investments and Foreign Exchange Earning Services) gezahlt. Durch Artikel 2 des Ministerialerlasses Nr. 94/5168 wird der Ministerialerlass Nr. 92/3127 aufgehoben. Der Ministerialerlass Nr. 94/5168 wurde im türkischen Staatsanzeiger Nr. 21845 vom 10. Februar 1994 mitgeteilt.

24 Außerdem erging am 16. August 1994 der Ministerialerlass Nr. 94/5782 der türkischen Regierung, der im türkischen Staatsanzeiger vom 26. August 1994 veröffentlicht wurde und die Erhebung der Ausgleichsabgabe auf alle Erzeugnisse ausdehnt, die Komponenten drittländischen Ursprungs enthalten, die in der Türkei nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden sind.

II - Die Regelung über den Erlass und die Nichterhebung von Zöllen

A - Die materiell-rechtlichen Vorschriften über den Erlass von Zöllen und das Absehen von ihrer Nacherhebung

1. Die für die streitigen Einfuhren geltenden Vorschriften

25 Die angefochtenen Entscheidungen beziehen sich ausweislich ihrer zweiten Begründungserwägung auf Einfuhren von Farbfernsehgeräten aus der Türkei, die in den Jahren 1991 bis 1993 und Anfang 1994 (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) durchgeführt wurden. Für fast alle Einfuhren gelten daher die Verordnungen (EWG) des Rates Nrn. 1430/79 vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 (ABl. L 286, S. 1) geänderten Fassung und 1697/79 vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1).

26 Was die Einfuhren nach Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) zum 1. Januar 1994 angeht, so wurden die einschlägigen Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 1430/79 und 1697/79 durch nahezu gleichlautende Vorschriften des Zollkodex ersetzt. Wegen dieser Übereinstimmung gilt die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts zu den erstgenannten Bestimmungen auch für die letztgenannten (Urteile des Gerichts vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache T-195/97, Kia Motors und Broekman Motorships/Kommission, Slg. 1998, II-2907, Randnr. 33, und des Gerichtshofes vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98, Söhl & Söhlke, Slg. 1999, I-7877, Randnr. 53). Die Einfuhren unter der Geltung des Zollkodex brauchen deshalb nicht gesondert betrachtet zu werden. Die einschlägigen Vorschriften des Zollkodex werden deshalb im Folgenden nur angeführt, soweit dies erforderlich erscheint.

2. Der Unterschied zwischen Erlass und Nichterhebung

27 Der wesentliche Unterschied zwischen dem Erlass und der Nichterhebung von Zöllen liegt darin, dass die Zölle im Fall des Erlasses von den Zollbehörden bereits buchmäßig erfaßt wurden, was bei der Nichterhebung nicht der Fall ist. Unter "buchmäßiger Erfassung" versteht man die Eintragung des einer Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags durch die Zollbehörden in die Bücher oder in sonstige statt dessen verwendete Unterlagen (Artikel 217 des Zollkodex).

3. Die Voraussetzungen für den Erlass von Zöllen

28 Die Voraussetzungen für den Erlass von Zöllen waren bis zum 1. Januar 1994 in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 in geänderter Fassung wie folgt geregelt:

"Die Eingangsabgaben können... bei Vorliegen besonderer Umstände... erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat."

29 Nach Artikel 4 Nummer 2 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 der Kommission vom 12. Dezember 1986 zur Durchführung der Artikel 4a, 6a, 11a und 13 der Verordnung Nr. 1430/79 (ABl. L 352, S. 19) gilt als besonderer Umstand im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 für sich allein nicht "die gutgläubige Vorlage von Papieren zur Erlangung einer Zollpräferenzbehandlung für zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren, wenn sich diese Papiere später als falsch, gefälscht oder für die Gewährung einer Zollpräferenzbehandlung ungültig erweisen".

30 Mit Inkrafttreten des Zollkodex wurde die Verordnung Nr. 1430/79 aufgehoben (Artikel 251 des Zollkodex). Artikel 13 Absatz 1 dieser Verordnung wurde in Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex übernommen, worin es fast gleichlautend heißt:

"Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können... erlassen werden; diese Fälle... ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind".

31 Die Verordnung Nr. 3799/86 wurde durch Artikel 913 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (ABl. L 253, S. 1) aufgehoben.

32 Artikel 4 Nummer 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3799/86 wurde durch Artikel 904 der Verordnung Nr. 2454/93 ersetzt, der vorsieht:

"Die Eingangsabgaben werden nicht... erlassen, wenn je nach Fall die einzige für den Antrag auf... Erlass angeführte Begründung darin besteht, dass... c) gutgläubig Papiere zur Erlangung einer Zollpräferenzbehandlung für zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren vorgelegt worden sind, die sich später als falsch, gefälscht oder für die Gewährung dieser Zollpräferenzbehandlung ungültig erweisen."

4. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Nacherhebung von Zöllen

33 Die Voraussetzungen für das Absehen von einer Nacherhebung von Zöllen waren bis zum Inkrafttreten des Zollkodex in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 wie folgt geregelt:

"Die zuständigen Behörden können von einer Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben absehen, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, sofern dieser Irrtum vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat."

34 Mit der Aufhebung der Verordnung Nr. 1697/79 infolge des Inkrafttretens des Zollkodex wurde Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 in Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b des Zollkodex übernommen, der fast gleichlautend bestimmt:

"Außer in den Fällen gemäß Artikel 217 Absatz 1 Unterabsätze 2 und 3 erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn... b) der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfaßt worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat".

B - Die Verfahrensvorschriften über den Erlass von Zöllen und das Absehen von ihrer Nacherhebung

1. Die für die streitigen Einfuhren geltenden Verfahrensvorschriften

35 Da Verfahrensvorschriften nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 12. November 1981 in den verbundenen Rechtssachen 212/80 bis 217/80, Salumi, Slg. 1981, 2735, Randnrn. 9 bis 14, und - speziell im Zusammenhang mit Erlass und Nichterhebung - vom 6. Juli 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-121/91 und C-122/91, CT Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, Slg. 1993, I-3873, Randnr. 22) auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, gelten die Verfahrensvorschriften des Zollkodex und der Verordnung Nr. 2454/93 für Erlassanträge, die nach dem Inkrafttreten dieser Vorschriften eingereicht worden sind. Dabei handelt es sich insbesondere um die Artikel 236 bis 239 des Zollkodex und die Artikel 878 bis 909 der Verordnung Nr. 2454/93.

36 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Verfahren des Erlasses und der Erstattung von Zöllen bis zum Inkrafttreten des Zollkodex in nahezu gleicher Weise in den Artikeln 16 und 17 der Verordnung Nr. 1430/79 sowie in der Verordnung (EWG) Nr. 1574/80 der Kommission vom 20. Juni 1980 zur Durchführung von Artikel 16 und 17 der Verordnung Nr. 1430/79 (ABl. L 161, S. 3) festgelegt war. Das Verfahren der Nichterhebung war geregelt in der Verordnung (EWG) Nr. 2380/89 der Kommission vom 2. August 1989 zur Durchführung des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 (ABl. L 225, S. 30).

2. Das Verfahren des Erlasses von Zöllen

37 Der Erlass von Zöllen muss von dem Beteiligten eigens beantragt werden (im Folgenden: Erlassantrag) (Artikel 878 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93). Der Antrag ist bei der zuständigen Zollstelle zu stellen (Artikel 879 Absatz 1 dieser Verordnung Nr. 2454/93). Um die Bearbeitung zu erleichtern, ist für den Antrag das in Anhang 111 des Zollkodex wiedergegebene Formblatt zu verwenden. Liegen der zuständigen Zollbehörde alle erforderlichen Angaben und Unterlagen vor, so entscheidet sie schriftlich über den Erlassantrag (Artikel 886 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93).

38 Ist die Zollbehörde jedoch nicht in der Lage, nach den Artikeln 899 ff. der Verordnung Nr. 2454/93 zu entscheiden, die eine Reihe von Fällen festlegen, in denen ein Erlass gewährt oder nicht gewährt werden kann, "und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt", so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission vor (Artikel 905 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93). Die der Kommission übermittelte Vorlage muss alle für eine vollständige Prüfung des Falles notwendigen Angaben enthalten (Artikel 905 Absatz 2). Innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Vorlage übersendet die Kommission den Mitgliedstaaten eine Abschrift davon (Artikel 906 Absatz 1). Sodann entscheidet die Kommission nach Anhörung einer Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und im Rahmen des Ausschusses für den Zollkodex zur Prüfung des Falles zusammentritt, "ob die besonderen Umstände... den Erlass rechtfertigen oder nicht" (Artikel 907 Absatz 1). Diese Entscheidung ist innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der Vorlage des Mitgliedstaats bei der Kommission zu treffen (Artikel 907 Absatz 2) und wird dem betreffenden Mitgliedstaat unverzüglich bekanntgegeben (Artikel 908 Absatz 1). Anhand der bekanntgegebenen Entscheidung trifft die Entscheidungszollbehörde schließlich ihre Entscheidung über den Antrag des Beteiligten (Artikel 908 Absatz 2).

39 Die in den vorstehenden Randnummern wiedergegebenen Verfahrensvorschriften sind durch das Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 zur Änderung der Verordnung Nr. 2454/93 (ABl. L 212, S. 18) am 6. August 1998 geringfügig geändert worden. Die neuen Vorschriften sind im Rahmen der Rechtssache T-147/99 (Miller/Kommission) angewandt worden.

40 Mit der Verordnung Nr. 1677/98 wurde u. a. ein Artikel 906a eingefügt, der bestimmt: "In allen Phasen des Verfahrens nach den Artikeln 906 und 907 teilt die Kommission, wenn sie eine Entscheidung zu Lasten des die Erstattung oder den Erlass beantragenden Beteiligten treffen will, diesem in einem Schreiben alle der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente mit und übersendet ihm alle Unterlagen, auf die sie die Entscheidung stützt. Der die Erstattung oder den Erlass beantragende Beteiligte nimmt innerhalb eines Monats, gerechnet vom Datum dieses Schreibens, schriftlich Stellung. Hat er seine Stellungnahme nicht innerhalb dieser Frist abgegeben, so wird davon ausgegangen, dass er auf das Recht zur Stellungnahme verzichtet." Die Frist von sechs Monaten gemäß Artikel 907 der Verordnung Nr. 2454/93 wurde durch eine Frist von neun Monaten ersetzt.

3. Das Verfahren des Absehens von der Nacherhebung von Zöllen

41 Anders als der Erlass geht die Nichterhebung von Zöllen nicht notwendig auf einen Antrag des Beteiligten zurück. Es handelt sich um eine Entscheidung, die die Zollbehörden treffen können, wenn die Voraussetzungen für einen der in Artikel 869 der Verordnung Nr. 2454/93 abschließend aufgeführten Fälle vorliegen.

42 Sind die Zollbehörden indessen der Meinung, daß "die Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b) des Zollkodex vorliegen, oder hegen sie hinsichtlich der genauen Tragweite der Voraussetzungen der genannten Vorschrift in dem betreffenden Fall Zweifel, so legen sie den Fall mit allen entscheidungserheblichen Einzelheiten der Kommission... vor" (Artikel 871 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93). Innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Vorlage übersendet die Kommission den Mitgliedstaaten eine Abschrift davon (Artikel 872 Absatz 1). Sodann entscheidet die Kommission nach Anhörung einer Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und im Rahmen des Ausschusses für den Zollkodex zur Prüfung des Falles zusammentritt, "ob der geprüfte Sachverhalt es zuläßt, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung abzusehen oder nicht" (Artikel 873 Absatz 1).

43 Diese Entscheidung ist innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der Vorlage des Mitgliedstaats bei der Kommission zu treffen (Artikel 873 Absatz 2) und dem betreffenden Mitgliedstaat unverzüglich bekanntzugeben (Artikel 874 Absatz 1).

44 Die in den vorstehenden Randnummern wiedergegebenen Verfahrensvorschriften über die Nichterhebung von Zöllen wurden wie die über den Zollerlass mit Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1677/98 geändert. Die neuen Vorschriften sind im Rahmen der Rechtssache T-147/99 (Miller/Kommission) angewandt worden.

45 So wurde durch die Verordnung Nr. 1677/98 u. a. ein neuer Artikel 872a eingefügt, der bestimmt: "In allen Phasen des Verfahrens nach den Artikeln 872 und 873 teilt die Kommission, wenn sie eine Entscheidung zu Lasten des antragstellenden Beteiligten treffen will, diesem in einem Schreiben alle der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente mit und übersendet ihm alle Unterlagen, auf die sie die Entscheidung stützt. Der Beteiligte nimmt innerhalb eines Monats, gerechnet vom Datum dieses Schreibens, schriftlich Stellung. Hat er seine Stellungnahme nicht innerhalb dieser Frist abgegeben, so wird davon ausgegangen, dass er auf das Recht zur Stellungnahme verzichtet." Die Frist von sechs Monaten gemäß Artikel 873 der Verordnung Nr. 2454/93 wurde durch eine Frist von neun Monaten ersetzt.

Sachverhalt

I - Allgemeiner Kontext

46 Die vorliegenden Rechtssachen betreffen die im maßgeblichen Zeitraum erfolgte Einfuhr von Farbfernsehgeräten, die in der Türkei zusammengebaut worden waren. Die Fernsehgeräte wurden in der Türkei von verschiedenen türkischen Firmen hergestellt, insbesondere von den Firmen Vestel, Meta, Profilo, Bekoteknik und Cihan. Diese verwendeten bei der Herstellung der Geräte Bauteile türkischen Ursprungs, aber auch Komponenten mit Ursprung in der Gemeinschaft sowie mit Ursprung in dritten Ländern (im Allgemeinen aus Korea, Japan, Hongkong und Singapur).

47 Im maßgeblichen Zeitraum wurden die in der Türkei hergestellten Farbfernsehgeräte mit A.TR.1-Bescheinigungen in die Gemeinschaft eingeführt, so dass sie gemäß dem Assoziierungsabkommen und dem Zusatzprotokoll von Zöllen befreit waren.

48 Auf eine Reihe von Beschwerden und Mitteilungen über Unregelmäßigkeiten hin führte die Kommission in der Zeit vom 18. Oktober bis 9. November 1993 in der Türkei eine Untersuchung durch, an der zwei Kommissionsvertreter und fünf Vertreter der belgischen, französischen, niederländischen, deutschen und britischen Zollbehörden teilnahmen. Im Anschluss an die Untersuchung wurde ein Bericht verfasst (im Folgenden: Untersuchungsbericht). Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass die türkischen Behörden die A.TR.1-Bescheinigungen ausstellten, ohne eine Ausgleichsabgabe zu erheben.

49 Die Kommission kam in dem Untersuchungsbericht zu dem Schluss, dass die vorgelegten Bescheinigungen ungültig gewesen seien, weil sie sich in Wirklichkeit auf in der Türkei hergestellte Farbfernsehgeräte bezogen hätten, deren Komponenten drittländischen Ursprungs weder in den zollrechtlich freien Verkehr überführt noch mit der genannten Ausgleichsabgabe belegt worden seien. Infolgedessen hätten diese Waren bei ihrer Einfuhr in die Gemeinschaft nicht in den zollrechtlich freien Verkehr Geräte überführt werden dürfen.

50 Die Kommission wies daher die betroffenen Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 2. März und 21. April 1994 an, von den Firmen, die im maßgeblichen Zeitraum Fernsehgeräte aus der Türkei eingeführt hatten, unter Berücksichtigung der dreijährigen Verjährungsfrist die nach dem Gemeinsamen Zolltarif vorgesehenen Zölle (d. h. in Höhe von 14 % des Gesamtwerts der Fernsehgeräte im Zeitpunkt ihrer Einfuhr in die Gemeinschaft) nachzufordern. Sie ermächtigte jedoch die Mitgliedstaaten, die dies wünschten, die Erhebung der Zölle auszusetzen oder die Zollschuld zu stunden, bis sie die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung endgültig ausgewertet habe.

51 Schließlich bestätigte die Kommission den Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 25. November 1994, dass die Zölle für die Einfuhren von Farbfernsehgeräten, die mit einer vor dem 15. Januar 1994 ausgestellten A.TR.1-Bescheinigung erfolgt seien, unter Berücksichtigung der dreijährigen Verjährungsfrist unverzüglich nachzuerheben seien.

II - Konkreter Sachverhalt

A - Konkreter Sachverhalt der deutschen Rechtssachen (T-186/97, T-187/97, T-190/97, T-191/97, T-192/97, T-210/97, T-211/97 und T-293/97)

1. Die Nacherhebungsbescheide der deutschen Behörden

52 Die Kaufring AG (im Folgenden: Kaufring) (T-186/97), die Crown Europe GmbH (im Folgenden: Crown) (T-187/97), die Profex Electronic Verwaltungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Profex) (T-190/97), die Horten AG (im Folgenden: Horten) (T-191/97), die Dr. Seufert GmbH (im Folgenden: Dr. Seufert) (T-192/97), die Grundig AG (im Folgenden: Grundig) (T-210/97), die Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH (im Folgenden: Hertie) (T-211/97) und die Elta GmbH (im Folgenden: Elta) (T-293/97) (im Folgenden: deutsche Klägerinnen) führten im maßgeblichen Zeitraum eine Reihe von Sendungen aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte ein. Alle Einfuhren erfolgten mit einer A.TR.1-Bescheinigung und fielen deshalb unter die Präferenzregelung. Alle A.TR.1-Bescheinigungen waren mit einem Sichtvermerk der türkischen Zollbehörden versehen.

53 Nach der Anordnung der Kommission (vgl. oben, Randnrn. 50 und 51) richteten die deutschen Zollbehörden an die deutschen Klägerinnen Steueränderungsbescheide, mit denen sie Zahlung von Zöllen in einer Gesamthöhe von 545 727,35 DM von Kaufring, von 238 352,97 DM von Crown, von 2 269 866,84 DM von Profex, von 123 809,12 DM von Horten, von 126 828,26 DM von Dr. Seufert, von 6 596 210,31 DM von Grundig, von 593 110,16 DM von Hertie und von 113 875,49 DM von Elta verlangten.

2. Die Erlass- und/oder Nichterhebungsanträge der deutschen Klägerinnen bei den deutschen Behörden

54 Die deutschen Klägerinnen legten gegen diese Bescheide Einspruch ein und beantragten bei den zuständigen Zollämtern den Erlass der angeforderten Zölle. Dr. Seufert, Crown und Grundig beantragten außerdem die Nichterhebung der Zölle.

3. Die Erlassanträge der deutschen Behörden bei der Kommission

55 Das Bundesministerium der Finanzen, dem die deutschen Zollämter die Vorgänge vorgelegt hatten, war nach Prüfung der Anträge der Klägerinnen der Ansicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass der Zölle gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 239 des Zollkodex erfuellt seien.

56 Es legte die Vorgänge daher gemäß Artikel 905 der Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission vor, wobei es darauf hinwies, dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für einen Zollerlass erfuellt seien.

57 Bevor das Bundesministerium der Finanzen seinen Antrag der Kommission übersandte, hatte es alle deutschen Klägerinnen gebeten, den Entwurf dieses Antrags zu kommentieren und schriftlich zu bestätigen, dass er alle Umstände des Falles und alle Argumente der Beteiligten berücksichtige und dass die Akte vollständig sei.

58 Kaufring, Horten, Hertie, Profex und Elta gaben eine solche schriftliche Erklärung ab. Grundig, Dr. Seufert und Crown lehnten dies hingegen gegenüber dem Bundesministerium der Finanzen ab. Sie ersuchten das Ministerium, den von ihm vorgelegten Akten ihre Erlassanträge nebst Anlagen beizufügen; das Ministerium kam dem nach. Es fand sich auch bereit, hinsichtlich dieser Beteiligten folgenden Passus in seine Anschreiben an die Kommission aufzunehmen:

"Die Beteiligte hat beantragt, dass die Kommission ihrer Entscheidung den als Anlage beigefügten ausführlichen Erlassantrag nebst Anlagen zugrunde legt. Außerdem hat die Beteiligte beantragt, vor einer Entscheidung durch die Kommission von dieser unmittelbar angehört zu werden, um gegenüber dieser ihre Verteidigungsrechte geltend zu machen, wobei sie der Auffassung ist, dass sie die Kommission über die wesentlichen Tatsachen und Überlegungen unterrichtet, aufgrund deren die Kommission beabsichtigt, die Entscheidung über den Erlass der Zölle zu treffen."

59 Die Kommission hörte vor einer endgültigen Entscheidung zu allen vorgenannten Erlassanträgen die in Artikel 907 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehene Sachverständigengruppe an. Diese prüfte die Angelegenheiten in ihrer Sitzung vom 10. Januar 1997. Alle in dieser Sitzung anwesenden Vertreter der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Vertreter der Republik Österreich und der Portugiesischen Republik sprachen sich für den Erlass aus.

60 Die Kommission stellte sodann mit den Entscheidungen REM 14/96, REM 15/96, REM 16/96, REM 17/96, REM 18/96, REM 19/96 und REM 20/96 vom 19. Februar 1997 betreffend jeweils Horten, Kaufring, Elta, Grundig, Hertie, Crown und Profex sowie REM 21/96 vom 25. März 1997 betreffend Dr. Seufert fest, dass die beantragten Zollerlässe nicht gerechtfertigt seien. Diese individuellen Entscheidungen wurden den deutschen Klägerinnen von ihren nationalen Behörden übermittelt.

B - Konkreter Sachverhalt der französischen Rechtssachen (T-216/97 bis T-218/97)

1. Die Nacherhebungsbescheide der französischen Behörden

61 Die Lema SA (im Folgenden: Lema) (T-216/97) und die Masco SA (im Folgenden: Masco) (T-217/97 und T-218/97) (im Folgenden: französische Klägerinnen) führten regelmäßig Sendungen aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte ein. Alle Einfuhren erfolgten mit einer A.TR.1-Bescheinigung und fielen deshalb unter die Präferenzregelung. Alle A.TR.1-Bescheinigungen waren bei der Einfuhr von den türkischen Zollbehörden und anschließend bei der Einfuhr nach Frankreich von den französischen Zollbehörden mit einem Sichtvermerk versehen worden.

62 Nach der Anordnung der Kommission (vgl. oben, Randnrn. 50 und 51) traf die französische Zollbehörde, die Direction nationale du renseignement et des enquêtes douanières (Nationale Direktion für Zollauskünfte und -untersuchungen, im Folgenden: DNRED), die Feststellung, dass Lema und Masco mit der Einfuhr von Fernsehgeräten ohne gültige A.TR.1-Bescheinigung eine Zuwiderhandlung begangen hätten. Sie verlangten deshalb die Zahlung von Zöllen in einer Gesamthöhe von 12 201 564 FRF von Lema und von 32 966 173 FRF (Rechtssache T-217/97) sowie 4 192 502 FRF (Rechtssache T-218/97) von Masco.

2. Die Prüfung der Erlass- und Nichterhebungsanträge der französischen Klägerinnen durch die französischen Behörden

63 Lema und Masco legten gegen die Nacherhebungsbescheide Einspruch ein. Sie beantragten bei der DNRED, die fraglichen Zölle entweder nicht zu erheben oder sie ihnen zu erlassen. Diese individuellen Anträge waren hinsichtlich der Nichterhebung auf Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 und Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b des Zollkodex und hinsichtlich des Erlasses auf Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 239 des Zollkodex gestützt.

3. Die Nichterhebungs- und Erlassanträge der französischen Behörden bei der Kommission

64 Das französische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen war nach Prüfung der Anträge der französischen Klägerinnen der Ansicht, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erfuellt seien. Es übermittelte den beiden französischen Klägerinnen einen Entwurf für einen diesbezüglichen Prüfungsantrag bei der Kommission. In ihrem Antwortschreiben ersuchten Lema und Masco darum, den Vorgängen auch ihre vorherigen Anträge bei der DNRED vollständig in Kopie beizufügen. Sie wiesen darauf hin, dass sie auch einen Erlass gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 beantragt hätten und diesen Antrag hilfsweise aufrechterhielten.

65 Das Ministerium legte die Vorgänge sodann einschließlich der Unterlagen, die die französischen Klägerinnen der DNRED übermittelt hatten, der Kommission vor.

66 Es gab dabei der Auffassung Ausdruck, dass die Voraussetzungen für die Nichterhebung der Zölle erfuellt seien.

67 Außerdem ersuchte es die Kommission, auch die Hilfsanträge auf Zollerlass zu prüfen.

68 Die Kommission hörte vor ihrer endgültigen Entscheidung die in Artikel 873 und 907 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehene Sachverständigengruppe an. Diese prüfte die Angelegenheiten in ihrer Sitzung vom 10. Januar 1997. Alle in der Sitzung anwesenden Vertreter der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Vertreter der Republik Österreich und der Portugiesischen Republik sprachen sich für die Nichterhebung und den Erlass aus.

69 Die Kommission stellte sodann mit den Entscheidungen REC 7/96 und REC 9/96 betreffend Masco und REC 8/96 betreffend Lema vom 24. April 1997 fest, dass die Einfuhrzölle nachzuerheben seien und ihr Erlass nicht gerechtfertigt sei.

70 Das Generalsekretariat der Kommission übermittelte diese Entscheidungen der Ständigen Vertretung der Französischen Republik der Europäischen Union. Die nationalen Behörden stellten sie anschließend den französischen Klägerinnen zu.

C - Konkreter Sachverhalt der niederländischen Rechtssachen (T-279/97 und T-280/97)

1. Die Nacherhebungsbescheide der niederländischen Behörden

71 Die DFDS Transport BV (im Folgenden: DFDS) (T-279/97) und die Wilson Holland BV (im Folgenden: Wilson) (T-280/97) (im Folgenden: niederländische Klägerinnen) führten mehrere Sendungen aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte ein. Alle Einfuhren erfolgten mit einer A.TR.1-Bescheinigung und fielen deshalb unter die Präferenzregelung. Alle A.TR.1-Bescheinigungen waren in der Türkei vom Zollamt Istanbul und anschließend in den Niederlanden vom Zollamt Rotterdam mit einem Sichtvermerk versehen worden.

72 Nach der Anordnung der Kommission (vgl. oben, Randnrn. 50 und 51) richteten die niederländischen Zollbehörden an DFDS und Wilson Nacherhebungsbescheide (uitnodiging tot betaling), mit denen sie die Zahlung von Zöllen in einer Gesamthöhe von 212 657 NLG von DFDS und von 30 712,50 NLG von Wilson verlangten.

2. Die Erlassanträge der niederländischen Klägerinnen bei den niederländischen Behörden

73 Die niederländischen Klägerinnen legten gegen die Nacherhebungsbescheide Einspruch ein. Sie beantragten bei den zuständigen Zollämtern, ihnen die Zölle zu erlassen.

3. Die Erlassanträge der niederländischen Behörden bei der Kommission

74 Die niederländische Steuerverwaltung, der Belastingsdienst, dem die zuständigen Zollämter die Vorgänge vorgelegt hatten, war nach Prüfung des Antrags der niederländischen Klägerinnen der Ansicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass der Zölle gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 239 des Zollkodex erfuellt seien.

75 Der Belastingdienst legte die Vorgänge daher gemäß Artikel 905 der Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission vor, wobei er darauf hinwies, dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für den Zollerlass erfuellt seien.

76 Vor dieser Weiterleitung hatten die niederländischen Klägerinnen den nationalen Behörden auf deren Ersuchen bestätigt, dass sie die sie betreffenden Unterlagen eingesehen hätten und dass diese vollständig seien.

77 Die Kommission hörte vor ihrer endgültigen Entscheidung die in Artikel 907 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehene Sachverständigengruppe an. Diese prüfte die Angelegenheiten in ihrer Sitzung vom 7. März 1997. Alle in dieser Sitzung anwesenden Vertreter der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Vertreter der Republik Österreich und der Portugiesischen Republik sprachen sich für den Erlass aus.

78 Schließlich stellte die Kommission mit den Entscheidungen REM 26/96 und REM 27/96 vom 5. Juni 1997 betreffend jeweils DFDS und Wilson fest, dass die beantragten Erlässe nicht gerechtfertigt seien. Diese Entscheidungen wurden den nationalen Behörden übermittelt, die sie den niederländischen Klägerinnen zustellten.

D - Konkreter Sachverhalt der belgischen Rechtssache (T-147/99)

1. Der Nacherhebungsbescheid der belgischen Behörden

79 Die Miller NV (im Folgenden: Miller) (T-147/99) führte im maßgeblichen Zeitraum mehrere Sendungen aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte ein. Alle Einfuhren erfolgten mit einer A.TR.1-Bescheinigung und fielen deshalb unter die Präferenzregelung. Alle A.TR.1-Bescheinigungen waren in der Türkei vom Zollamt Istanbul und anschließend in Belgien vom Zollamt Antwerpen mit einem Sichtvermerk versehen worden.

80 Gemäß der Anordnung der Kommission (vgl. oben, Randnrn. 50 und 51) richteten die belgischen Steuerbehörden an Miller einen Nacherhebungsbescheid (uitnodiging tot betaling), mit dem sie die Zahlung von Zöllen in einer Gesamthöhe von 11 381 735 BEF verlangten.

2. Der Nichterhebungsantrag von Miller bei den belgischen Behörden

81 Miller legte gegen den Nacherhebungsbescheid Einspruch ein. Sie beantragte beim Zollamt, die Zölle nicht zu erheben. Der Antrag war auf Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/97 und auf Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b des Zollkodex gestützt.

3. Der Nichterhebungs- und Erlassantrag der belgischen Behörden bei der Kommission

82 Das Finanzministerium (Abteilung für Zölle und Verbrauchsabgaben), dem das zuständige Zollamt den Vorgang vorgelegt hatte, war nach Prüfung des Antrags der Klägerin der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Nichterhebung gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/97 und Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b des Zollkodex im vorliegenden Fall erfuellt seien. Hilfsweise nahm das Finanzministerium den Standpunkt ein, dass auch die Voraussetzungen für den Erlass gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 239 des Zollkodex gegeben seien.

83 Es legte den Vorgang daher gemäß den Artikeln 871 und 905 der Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission vor, wobei es darauf hinwies, dass nach seiner Ansicht die Voraussetzungen für die Nichterhebung und für den Erlass erfuellt seien.

84 Vor dieser Weiterleitung hatten die belgischen Behörden Miller ersucht, ihnen ihre etwaige Stellungnahme zu dem Entwurf des Nichterhebungs- und Erlassantrags bei der Kommission zu übermitteln und ihnen zu bestätigen, dass die Unterlagen vollständig seien. Mit Schreiben vom 24. April 1998 bestätigte Miller die Vollständigkeit der Unterlagen. Diesem Schreiben war eine Erklärung ihres Rechtsanwalts beigefügt, in der die verschiedenen Schriftstücke, die das Finanzministerium Miller als Anlagen zum Entwurf des Schreibens an die Kommission übermittelt hatte, aufgelistet und ihre wesentlichen Argumente zusammengefasst waren; außerdem erinnerte der Rechtsanwalt in der Erklärung daran, dass sie die Akten der Kommission einsehen wolle.

85 Die Kommission prüfte den Vorgang gemäß den Artikeln 871 und 905 ff. der Verordnung Nr. 2454/93.

86 Mit Schreiben vom 24. November 1998 übermittelte die Kommission Miller gemäß den Artikeln 872a und 906a der Verordnung Nr. 2454/93 eine Zusammenfassung des Akteninhalts. Sie wies Miller außerdem darauf hin, dass sie die belgischen Zollbehörden anzuweisen beabsichtige, die fraglichen Zölle nachzuerheben und ihren Erlass abzulehnen. In dem Schreiben bezweifelte die Kommission, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erfuellt seien. Der Sachverhalt sei nicht durch das "Vorliegen besonderer Umstände" im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 gekennzeichnet. Die Kommission gab Miller jedoch Gelegenheit, zu dem Schreiben binnen eines Monats nach Zugang ihr gegenüber Stellung zu nehmen.

87 In ihrem Antwortschreiben vom 2. Dezember 1998 beantragte die Klägerin unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichts (Urteil vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler & Malt/Kommission, Slg. 1998, II-401, Randnrn. 78 bis 88) bei der Kommission Einsicht in alle der Kommission vorliegenden Unterlagen, um ihre Stellungnahme in voller Kenntnis des Sachverhalts abgeben zu können.

88 Mit Schreiben vom 22. Dezember 1998 lehnte die Kommission diesen Antrag mit der Begründung ab, Miller habe von den sie betreffenden Unterlagen, die nur die von den belgischen Behörden übermittelten Angaben enthielten, bereits Kenntnis nehmen können. Dazu gehöre zwar nicht der Untersuchungsbericht, da er aber nur die Richtigkeit des Sachverhalts und damit die Ungültigkeit der streitigen Bescheinigungen bestätige, erscheine seine Übermittlung an Miller nicht zweckmäßig.

89 Mit Schreiben vom 7. Januar 1999 widersprach die Klägerin dieser Ablehnung der Kommission und behielt sich ausdrücklich das Recht vor, gegen eine sie beschwerende Entscheidung der Kommission beim Gericht erster Instanz Nichtigkeitsklage wegen Verletzung der Verteidigungsrechte zu erheben. Demgemäß beantragte sie erneut die Einsicht in alle für die Endentscheidung der Kommission möglicherweise erheblichen und alle sonstigen den Fall betreffenden Unterlagen einschließlich Verwaltungsunterlagen.

90 Daneben sandte Miller der Kommission auf deren Schreiben vom 24. November 1998 ein weiteres Antwortschreiben vom 22. Januar 1999, in dem sie darlegte, weshalb die Anwendungsvoraussetzungen von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 in Wirklichkeit erfuellt seien. Ferner machte sie geltend, es hätten besondere Umstände vorgelegen und ihr könne keine Fahrlässigkeit oder Betrugsabsicht im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie Nr. 1430/79 zur Last gelegt werden.

91 Nachdem sie die Stellungnahmen Millers zur Kenntnis genommen hatte, hörte die Kommission vor ihrer endgültigen Entscheidung die in Artikel 873 und 907 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgesehene Sachverständigengruppe an. Diese prüfte die Angelegenheit in ihrer Sitzung vom 25. Februar 1999. Alle in dieser Sitzung anwesenden Vertreter der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Vertreter der Republik Österreich und der Portugiesischen Republik sprachen sich für die Nichterhebung und den Erlass aus.

92 Die Kommission stellte sodann mit der Entscheidung REC 3/98 vom 26. März 1999 fest, dass die Eingangsabgaben nachzuerheben seien und dass ihr Erlass nicht gerechtfertigt sei. Die belgischen Behörden stellten Miller diese Entscheidung mit Schreiben vom 21. April 1999 zu.

III - Zur Begründung der angefochtenen Entscheidungen

93 Die Begründung der angefochtenen Entscheidungen ist nahezu identisch. Zwischen den Entscheidungen, die sich nur auf Erlassanträge gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 beziehen, und denen, die Erlassanträge und daneben Nichterhebungsanträge gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 betreffen, besteht kein wesentlicher Unterschied.

94 In den angefochtenen Entscheidungen verweist die Kommission darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung das Vertrauen der Beteiligten nur insoweit schutzwürdig sei, als die zuständigen Behörden den entsprechenden Tatbestand geschaffen hätten. Die türkischen Exporteure hätten in Feld 13 der A.TR.1-Bescheinigungen erklärt, dass die dort bezeichneten Waren die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung erfuellten. Dies sei jedoch nicht der Fall, da die in der Türkei hergestellten Fernsehgeräte, wie bei der Untersuchung in der Türkei festgestellt worden sei, Komponenten drittländischen Ursprungs enthalten hätten, die weder in den zollrechtlich freien Verkehr überführt noch mit einer Ausgleichsabgabe gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls belegt worden seien.

95 Die zuständigen türkischen Zollbehörden seien deshalb durch die ungenauen Angaben der Exporteure irregeleitet worden; den Behörden sei folglich kein eigener Fehler anzulasten. Dass die türkischen Behörden die streitigen Bescheinigungen auf der Grundlage der Erklärung der Ausführer ausgestellt hätten, reiche nicht aus, um ein schutzwürdiges Vertrauen der Einführer in die Gültigkeit der Bescheinigungen entstehen zu lassen.

96 Darüber hinaus sei die fragliche Regelung bekannt und, was die Voraussetzungen der Ausstellung der A.TR.1-Bescheinigungen anbelange, relativ einfach, so dass sie den Beteiligten nicht unbekannt geblieben sein könne; ein gewissenhafter Beteiligter hätte ernsthafte Zweifel an der Gültigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen hegen müssen.

97 Demnach kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für den Erlass und/oder die Nichterhebung der Zölle nicht erfuellt seien.

98 Zu den Voraussetzungen des Erlasses wies die Kommission außerdem darauf hin, dass die Umstände des Falles oder die sogenannten Lücken bei der Durchführung des Zusatzprotokoll keine besonderen Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 darstellten, da der freie Warenverkehr lediglich durch Überführung der Komponenten drittländischen Ursprungs in den zollrechtlichen Verkehr in der Türkei hätte hergestellt werden können.

Verfahren

99 Mit gesonderten Klageschriften, die zwischen dem 20. Juni 1997 und dem 18. Juni 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Klägerinnen die vorliegenden Nichtigkeitsklagen erhoben.

100 Mit Beschlüssen vom 25. Mai 1998 ist die Bundesrepublik Deutschland in den Rechtssache T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97 und T-210/97 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen zugelassen worden.

101 Mit Beschlüssen vom 25. Mai 1998 ist das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen zugelassen worden.

102 Mit Beschlüssen vom 25. Mai 1998 ist die Französische Republik in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97 und T-216/97 bis T-218/97 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen zugelassen worden.

103 Mit gesonderten Schreiben, die zwischen Mai und Juli 1998 in der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben Grundig, Dr. Seufert, Crown, Hertie, Horten und Kaufring beantragt, der Kommission die Vorlage verschiedener den Rechtsstreit betreffender Schriftstücke aufzugeben. Der Kommission und den Streithelfern ist Gelegenheit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen.

104 Das Gericht hat die Kommission im Wege einer prozessleitenden Maßnahme am 29. Oktober 1999 aufgefordert, eine Reihe von Schriftstücken zur Anwendung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls auf Einfuhren aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte vorzulegen. Die Kommission ist dem nachgekommen, indem sie am 29. November 1999 Akten in 24 Ordnern mit etwa 7 000 Seiten eingereicht hat. Sie hat diese Akten durch Übermittlung verschiedener zusätzlicher Unterlagen am 22. Dezember 1999 und einer nichtamtlichen englischen Übersetzung der in den Akten enthaltenen türkischen Einfuhr- und Ausfuhrerklärungen am 13. Januar 2000 ergänzt.

105 Auf Anregung des Gerichts haben alle Klägerinnen (mit Ausnahme von Elta), die Kommission und die Französische Republik am 6. Dezember 1999 an einer informellen Zusammenkunft teilgenommen, um die Einsichtnahme in die am 29. November 1999 eingereichten Akten und den Ablauf der mündlichen Verhandlung abzustimmen.

106 Nach Anhörung der Beteiligten hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts die vorliegenden Rechtssachen mit Beschluss vom 10. Januar 2000 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

107 Die am 29. November 1999 eingereichten Akten sind von den Klägerinnen und der Französischen Republik in der Zeit vom 17. Januar bis 28. Februar 2000 in der Kanzlei des Gerichts eingesehen worden. Nach der Einsichtnahme haben diese Beteiligten in den Monaten Januar, Februar und März 2000 Stellungnahmen abgegeben. Die Kommission hat auf diese Stellungnahmen mit Schriftsatz vom 24. März 2000 geantwortet.

108 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Es hat die Beteiligten im Rahmen prozessleitender Maßnahmen um Beantwortung verschiedener Fragen ersucht. Die Beteiligten haben dem entsprochen.

109 Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 10. Juli 2000 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Beteiligten

110 Kaufring (T-186/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 15/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

111 Crown (T-187/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 19/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

112 Profex (T-190/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 20/96 für nichtig zu erklären;

- die Kommission zu verpflichten, dem Antrag auf Erlass der Zölle stattzugeben;

- das Urteil, notfalls gegen Sicherheitsleistungen, für vorläufig vollstreckbar zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

113 Horten (T-191/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 14/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

114 Dr. Seufert (T-192/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 21/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

115 Grundig (T-210/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 17/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

116 Hertie (T-211/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 18/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

117 Elta (T-293/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 16/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

118 Lema (T-216/97) beantragt,

- die Entscheidung REC 8/96 für nichtig zu erklären;

- festzustellen, dass sie Anspruch darauf hat, dass die streitigen Zölle nicht nacherhoben werden;

- hilfsweise festzustellen, dass sie Anspruch auf Erlass dieser Zölle hat;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

119 Masco (T-217/97 und T-218/97) beantragt,

- die Entscheidungen REC 7/96 und REC 9/96 für nichtig zu erklären;

- festzustellen, dass sie Anspruch darauf hat, dass die streitigen Zölle nicht nacherhoben werden;

- hilfsweise festzustellen, dass sie Anspruch auf Erlass dieser Zölle hat;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

120 DFDS (T-279/97) beantragt, - die Entscheidung REM 26/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

121 Wilson (T-280/97) beantragt,

- die Entscheidung REM 27/96 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

122 Miller (T-147/97) beantragt,

- in der Hauptsache:

- die Entscheidung REC 3/98 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

- hilfsweise der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

- nachrangig hilfsweise, der Kommission ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

123 Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die mit den Klagen in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97 und T-210/97 angefochtenen Entscheidungen für nichtig zu erklären.

124 Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland beantragt, die mit den Klagen in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97 angefochtenen Entscheidungen für nichtig zu erklären.

125 Die Französische Republik beantragt, die mit den Klagen in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97 und T-216/97 bis T-218/97 angefochtenen Entscheidungen für nichtig zu erklären.

126 Die Kommission beantragt,

- in der Rechtssache T-190/97 die Anträge der Klägerin, die Kommission zu verpflichten, dem Erlassantrag stattzugeben, und das Urteil, notfalls gegen Sicherheitsleistung, für vorläufig vollstreckbar zu erklären, als unzulässig zurückzuweisen;

- in den Rechtssache T-216/97 bis T-218/97 die Anträge auf Feststellung, dass die Klägerinnen das Absehen von der Nacherhebung der Zölle oder hilfsweise ihren Erlass beanspruchen können, als unzulässig zurückzuweisen;

- die Klagen im Übrigen als unbegründet abzuweisen;

- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

127 Profex hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie ihre Anträge, die Kommission zu verpflichten, ihrem Erlassantrag stattzugeben, und das Urteil, notfalls gegen Sicherheitsleistungen, für vorläufig vollstreckbar zu erklären, zurücknimmt.

128 Desgleichen haben Lema und Masco erklärt, dass sie ihre Anträge auf Feststellung, dass sie das Absehen von der Nacherhebung der Zölle oder hilfsweise ihren Erlass beanspruchen können, zurücknehmen.

129 Über die Zulässigkeit und damit auch Begründetheit dieser Anträge ist somit nicht zu entscheiden.

Gründe

130 Die Klägerinnen begründen ihre Klagen mit zahlreichen Rügen der Verletzung wesentlicher Formvorschriften und materiellen Rechts. Angesichts der besonderen Umstände des Falles hat das Gericht jedoch beschlossen, erst den Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte und dann den eines Verstoßes gegen Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 zu prüfen.

I - Zum Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren

A - Zur Prüfung dieses Klagegrunds im Rahmen der vorliegenden Klagen

1. Vorbringen der Beteiligten

131 Crown, Dr. Seufert, Grundig und Miller rügen, im Verwaltungsverfahren vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen seien ihre Verteidigungsrechte verletzt worden. Kaufring, Profex, Horten, Hertie und Elta haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie diesen Klagegrund der Verletzung zwingenden Rechts gleichfalls geltend machen.

132 Der Klagegrund wird ferner von der Französischen Republik in den Rechtssachen geltend gemacht, in denen sie einen Streithilfeschriftsatz eingereicht hat; dies sind die Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-191/97, T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97, T-217/97 und T-218/97.

133 Die Kommission erhebt jedoch in den Rechtssachen T-186/97, T-191/97, T-211/97 und T-216/97 bis T-218/97 eine Einrede der Unzulässigkeit, da der Klagegrund nicht von den Klägerinnen geltend gemacht worden sei und darum die Französische Republik, wenn sie ihn ihrerseits geltend mache, gegen Artikel 37 der EG-Satzung des Gerichtshofes verstoße. Es wäre auch ungewöhnlich, wenn der Streithelfer einen Klagegrund vorbringen dürfte, auf den sich die Partei, die durch den fraglichen Rechtsgrundsatz geschützt werden solle, selbst nicht berufe. Insoweit sei auf das Urteil des Gerichtshofes vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91 (Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939) und die Schlussanträge von Generalanwalt Lagrange vom 5. November 1960 in der Rechtssache 30/59 (De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, Slg. 1961, 63) zu verweisen.

2. Würdigung durch das Gericht

134 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Wahrung der Verteidigungsrechte eine wesentliche Formvorschrift, deren Verletzung von Amts wegen geprüft werden kann (Urteile des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-291/89, Interhotel/Kommission, Slg. 1991, I-2257, Randnr. 14, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink's France, Slg. 1998, I-1719, Randnr. 67; vgl. auch Urteil des Gerichts vom 15. März 2000 in den verbundenen Rechtssachen T-25/95, T-26/95, T-30/95 bis T-32/95, T-34/95 bis T-39/95, T-42/95 bis T-46/95, T-48/95, T-50/95 bis T-65/95, T-68/95 bis T-71/95, T-87/95, T-88/95, T-103/95 und T-104/95, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 2000, II-491, Randnr. 487).

135 Das Gericht hat daher von Amts wegen in allen Rechtssachen zu prüfen, ob die Kommission in dem Verwaltungsverfahren vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen die Verteidigungsrechte der Klägerinnen wahrte.

136 Auch der Einwand der Kommission, es sei unzulässig, dass die Französische Republik den Klagegrund der Verletzung von Verteidigungsrechten geltend mache, greift nicht durch.

137 Denn der Streithelfer kann zwar, wie sich aus Artikel 116 § 4 der Verfahrensordnung ergibt, nicht die von ihm unterstützten Parteianträge erweitern, er ist jedoch frei in der Wahl der Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Argumente, die er zugunsten der genannten Anträge geltend macht (Urteil des Gerichts vom 25. März 1999 in der Rechtssache T-37/97, Forges de Clabecq/Kommission, Slg. 1999, II-859, Randnr. 92).

B - Zum Klagegrund der Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerinnen in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97

1. Vorbringen der Beteiligten

138 Grundig, Dr. Seufert und Crown rügen, die Kommission habe ihre Rechte der Verteidigung verletzt, da sie sie trotz ihres ausdrücklichen Antrags vor Erlass der Entscheidung, dass der Zollerlass ihnen gegenüber nicht gerechtfertigt sei, nicht angehört habe. Die Wahrung der Verteidigungsrechte sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, den die Kommission auch bei Fehlen einer besonderen Regelung in allen Verfahren einhalten müsse, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahmen führen könnten (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-48/90 und C-66/90, Niederlande u. a./Kommission, Slg. 1992, I-565, Randnr. 44, vom 29. Juni 1994 in der Rechtssache C-135/92, Fiskano/Kommission, Slg. 1994, I-2885, Randnrn. 39 und 40, und vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-32/95 P, Kommission/Lisrestal u. a., Slg. 1996, I-5373, Randnr. 21).

139 Die Französische Republik macht ebenfalls geltend, die Kommission habe die Verteidigungsrechte von Kaufring, Crown, Horten, Dr. Seufert, Grundig, Hertie, Lema und Masco verletzt, da sie ihnen nicht klar mitgeteilt habe, welche Sorgfaltswidrigkeit ihnen zur Last gelegt werde, und ihnen außerdem nicht Gelegenheit gegeben habe, zu diesem Vorwurf Stellung zu nehmen. Die Streithelferin bezieht sich insoweit auf das Urteil des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94 (France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II-2841) und auf das Urteil Eyckeler & Malt/Kommission (zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 78).

140 Die Kommission widerspricht der Meinung, sie hätte die Klägerinnen vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen anhören müssen.

141 Sie verweist erstens darauf, dass das Verfahren des Zollerlasses keine förmliche Beteiligung der Betroffenen am Prozess der Entscheidungsfindung kenne und ihnen dennoch, wie der Gerichtshof bereits wiederholt festgestellt habe, alle erforderlichen Rechtsgarantien biete (Urteile des Gerichtshofes vom 17. März 1983 in der Rechtssache 294/81, Control Data/Kommission, Slg. 1983, 911, Randnr. 17, vom 13. November 1984 in den verbundenen Rechtssachen 98/83 und 230/83, Van Gend & Loos und Bosman/Kommission, Slg. 1984, 3763, Randnrn. 8 ff., sowie Urteile CT Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, zitiert in Randnr. 35 oben, Randnr. 48). Auch der Hinweis auf die Antidumpingverfahren ergebe wegen der Unterschiede zwischen beiden Verfahrensarten nichts gegen die hier anwendbaren Verfahrensregeln.

142 Zweitens seien die in dem Urteil Kommission/Lisrestal u. a. (zitiert in Randnr. 138 oben) entwickelten Grundsätze in den vorliegenden Rechtssachen nicht einschlägig, da sie sich auf einen anderen Fall bezögen. Dort sei die streitige Entscheidung von der Kommission erlassen worden, ohne dass das betroffene Unternehmen vorher überhaupt, sei es durch die nationale Behörde oder die Kommission, angehört worden sei. In den vorliegenden Rechtssachen seien die Klägerinnen hingegen von den nationalen Behörden angehört worden und hätten Zugang zu allen erheblichen Feststellungen zum Sachverhalt gehabt. Außerdem habe die Kommission die angefochtenen Entscheidungen auf die von den nationalen Behörden übermittelten Unterlagen und damit auf Feststellungen zum Sachverhalt gestützt, die die Klägerinnen gekannt hätten und zu denen sie hätten Stellung nehmen können.

143 Drittens habe das Gericht im Urteil France-aviation/Kommission (zitiert in Randnr. 139 oben) die Frage, ob das Verfahren des Zollerlasses kontradiktorisch ausgestaltet sein müsse, bereits eingehend erörtert und die Vorschrift, die eine Anhörung des Betroffenen durch die Kommission nicht vorsehe, nicht beanstandet. Das Gericht sei in diesem Urteil lediglich zu der Ansicht gelangt, dass die Kommission den Anspruch auf rechtliches Gehör verletze, wenn sie aufgrund unvollständiger Unterlagen entscheide oder wenn sie nicht alle relevanten Tatsachen in Betracht ziehe, weil keine vollständige Anhörung durch die nationale Verwaltung stattgefunden habe. Das sei hier aber nicht der Fall, weil das Verfahren vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen ordnungsgemäß verlaufen sei und die Klägerinnen sich gegenüber der nationalen Verwaltung ausführlich hätten äußern können; alle von ihnen für wesentlich erachteten Angaben seien auch in den Unterlagen enthalten gewesen.

144 Nach dem Urteil France-aviation/Kommission (zitiert in Randnr. 139 oben) habe sie die Regelung einer Erklärung des Betroffenen eingeführt. Danach hätten die nationalen Behörden vom Betroffenen eine Bestätigung einzuholen, dass er von den Unterlagen, die sie der Kommission vorzulegen beabsichtigen, Kenntnis genommen und ihnen nichts hinzuzufügen habe. Fehle eine solche Erklärung, sei der Erlassantrag nicht zulässig. In den vorliegenden Fällen hätten alle Klägerinnen mit Ausnahme von Grundig, Dr. Seufert und Crown eine solche Erklärung abgegeben. Was Grundig, Dr. Seufert und Crown angehe, sei ihre Ablehnung einer solchen Erklärung unerheblich, denn ein Vergleich zwischen ihren im Verwaltungsverfahren eingereichten Erlassanträgen und ihren Klageschriften, die auf Nichtigerklärung der nach diesem Verfahren erlassenen Entscheidungen gerichtet seien, zeige, dass der Kommission und den nationalen Behörden bei Erlass der Entscheidungen alle relevanten Tatsachen bekannt gewesen seien.

145 Viertens gehe auch der Hinweis der Französischen Republik auf die vom Gericht im Urteil Eyckeler & Malt/Kommission (zitiert in Randnr. 87 oben) entwickelten Grundsätze fehl, da dieses Urteil einen anderen Sachverhalt betreffe als die vorliegenden Rechtssachen. Dort habe das Gericht festgestellt, dass allein die Kommission über die Daten verfügt habe, um die in Frage stehende Präferenzregel zu überwachen, was hier nicht zutreffe. Zur Wahrung der Verteidigungsrechte sei es auch nicht unbedingt erforderlich, dass der möglicherweise durch eine Entscheidung Beschwerte von der Kommission selbst angehört werde.

146 Es gebe zahlreiche Verfahren, bei denen der Betroffene nur von den nationalen Behörden und nicht von den Dienststellen der Kommission angehört werde. Hinzuweisen sei beispielsweise auf das Zollbefreiungsverfahren für wissenschaftliche Geräte und die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Wahrung der Verteidigungsrechte in diesem Verfahren (Urteile des Gerichtshofes in der Rechtssache Control Data/Kommission, zitiert in Randnr. 141 oben, und vom 8. März 1988 in der Rechtssache 43/87, Nicolet Instrument, Slg. 1988, 1557).

147 Schließlich sei, was den Erlass der Zölle angehe, zwischen der Wahrung der Verteidigungsrechte im nationalen Verfahren und ihrer Einhaltung im gemeinschaftlichen Verfahren zu unterscheiden. Wenn der Betroffene die Angaben angreifen wolle, die die nationalen Behörden der Kommission übermittelt hätten, so habe er die nationalen Gerichte anzurufen.

2. Würdigung durch das Gericht

148 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das zollrechtliche Verwaltungsverfahren für den Erlass von Eingangsabgaben gemäß der Verordnung Nr. 2454/93 in erster Linie auf nationaler Ebene durchgeführt wird. So hat der Abgabenpflichtige seinen Erlassantrag bei der nationalen Behörde zu stellen, die eine Entscheidung gemäß den Artikeln 899 ff. der Verordnung Nr. 2454/93 zu treffen hat; diese Vorschriften normieren eine Reihe von Tatbeständen, in denen der Erlass gewährt oder nicht gewährt werden kann. Eine solche Entscheidung unterliegt gemäß Artikel 243 des Zollkodex der Kontrolle durch die nationalen Gerichte, die gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) den Gerichtshof anrufen können (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-64/89, Deutsche Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, Randnr. 13).

149 Sieht sich die nationale Behörde jedoch nicht zu einer Entscheidung nach den vorgenannten Vorschriften in der Lage und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt sie den Fall der Kommission vor (Artikel 905 der Verordnung Nr. 2454/93). In diesem zweiten Verfahrensstadium, das ausschließlich auf Gemeinschaftsebene stattfindet, entscheidet nach Anhörung einer aus Vertretern aller Mitgliedstaaten bestehenden Sachverständigengruppe die Kommission darüber, ob der Erlass gerechtfertigt ist. Diese Entscheidung kann gemäß Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 4 EG) der Nachprüfung durch die Gemeinschaftsgerichte unterzogen werden.

150 Die Verordnung Nr. 2454/93 sieht somit nur Kontakte zwischen dem Antragsteller des Erlassantrags und der nationalen Behörde einerseits und zwischen der nationalen Behörde und der Kommission andererseits vor. Ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Antragsteller und der Kommission ist nicht vorgesehen (Urteil France-aviation/Kommission, zitiert in Randnr. 139 oben, Randnr. 30).

151 Nach ständiger Rechtsprechung ist jedoch die Beachtung der Verfahrensrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein elementarer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der auch dann sichergestellt werden muß, wenn es an einer Regelung für das betreffende Verfahren fehlt (Urteile Niederlande u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 138 oben, Randnr. 44, Fiskano/Kommission, zitiert ebenda, Randnr. 39, und Kommission/Lisrestal u. a., zitiert ebenda, Randnr. 21).

152 Angesichts des Beurteilungsspielraums, über den die Kommission bei der Anwendung der auf Billigkeitserwägungen beruhenden Generalklausel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 verfügt, ist die Wahrung des Rechts auf Anhörung in den Verfahren des Erlasses oder Erstattung von Eingangsabgaben von besonderer Bedeutung (Urteile des Gerichts France-aviation/Kommission, zitiert in Randnr. 139 oben, Randnr. 34, Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 77, vom 17. September 1998 in der Rechtssache T-50/96, Primex Produkte Import-Export u. a./Kommission, Slg. 1998, II-3773, Randnr. 60, und vom 18. Januar 2000 in der Rechtssache T-290/97, Mehibas Dordtselaan/Kommission, Slg. 2000, II-15, Randnr. 46; in gleichem Sinne auch Schlussanträge von Generalanwalt Mischo vom 14. März 2000 in der Rechtssache C-15/99, Hans Sommer, Urteil vom 19. Oktober 2000, Slg. 2000, I-8989, Randnrn. 78 bis 86). Das gilt erst recht, wenn die Kommission in Wahrnehmung ihrer ausschließlichen Befugnis aus Artikel 905 der Verordnung Nr. 2454/93 bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen gemäß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 erfuellt sind, von der Stellungnahme der nationalen Behörde abweichen will (Urteil France-aviation/Kommission, zitiert in Randnr. 139 oben, Randnr. 36).

153 Die Wahrung der Verfahrensrechte verlangt, dass jeder, der durch eine Entscheidung beschwert werden kann, zumindest zu den Gesichtspunkten sachgerecht Stellung nehmen kann, auf die die Kommission ihre beschwerende Entscheidung stützt (in diesem Sinne Urteile Fiskano/Kommission, zitiert in Randnr. 138 oben, Randnr. 40, und Kommission/Lisrestal u. a., zitiert ebenda, Randnr. 21).

154 In den vorliegenden Rechtssachen steht jedoch fest, dass keine der Klägerinnen zu den Gesichtspunkten, auf die die Kommission ihre Feststellung stützte, dass der Zollerlass nicht gerechtfertigt sei, vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen sachgerecht Stellung nehmen konnte.

155 Das ist umso bedauerlicher, als die Kommission in der Beurteilung, ob die Voraussetzungen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 vorlagen und ob insbesondere den Klägerinnen eine offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last zu legen war, von der Auffassung der nationalen Behörden abzuweichen beabsichtigte.

156 So wiesen die französischen Behörden in den Unterlagen, die sie der Kommission auf die Anträge von Masco und Lema hin übermittelten, ausdrücklich darauf hin, dass der Irrtum für diese Einführer nicht erkennbar gewesen sei, so dass sie als gutgläubig anzusehen seien. Ebenso nahmen die deutschen Behörden in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97 und T-293/97 den Standpunkt ein, dass den Klägerinnen keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht vorzuwerfen sei. In den Rechtssachen T-279/97 und T-280/97 hatten schließlich auch die niederländischen Behörden erklärt, dass die Klägerinnen gutgläubig seien und ihnen keine Fahrlässigkeit angelastet werden könne.

157 Die Kommission stellte in den angefochtenen Entscheidungen hingegen erstmals fest: "Darüber hinaus war die fragliche Regelung bekannt und relativ einfach, was die Voraussetzungen der Ausstellung der Bescheinigung ATR anbelangt, so dass sie sich der Kenntnis der Beteiligten nicht entziehen konnte; ein gewissenhafter Beteiligter hätte ernsthafte Zweifel an der Gültigkeit der ATR-Warenverkehrsbescheinigungen haben müssen." Auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission insoweit klargestellt, dass sie allen Klägerinnen offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last lege.

158 Außerdem stellte die Kommission in den angefochtenen Entscheidungen erstmals fest, dass die türkischen Behörden, die die A.TR.1-Bescheinigungen ausstellten, durch die ungenauen Angaben der türkischen Exporteure irregeführt worden seien, ohne dass diese Feststellung, obgleich von wesentlicher Bedeutung, den betroffenen Klägerinnen vorher zur Kenntnis gebracht worden wäre.

159 Die Kommission verletzte daher die Rechte der Verteidigung der betroffenen Klägerinnen, indem sie die angefochtenen Entscheidungen erließ, ohne dass sich die Klägerinnen zu den darin enthaltenen beschwerenden Feststellungen vorher sachgerecht hatten äußern können.

160 Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die meisten Klägerinnen erklärt hatten, die der Kommission von den nationalen Behörden übermittelten Unterlagen seien vollständig und sie hätten ihnen nichts hinzuzufügen. Insoweit hat das Gericht in seinem Urteil Mehibas Dordtselann/Kommission (zitiert in Randnr. 152 oben, Randnr. 44) nämlich ausgeführt: "Zwar ermöglicht es dieser Ablauf dem Betroffenen, sein Anhörungsrecht im ersten Abschnitt des Verwaltungsverfahrens wirksam zur Geltung zu bringen, der auf nationaler Ebene abläuft, stellt hingegen in keiner Weise die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im zweiten Abschnitt dieses Verfahrens sicher, der nach Übermittlung der Akte durch die nationalen Behörden vor der Kommission abläuft. Die Akteneinsichtserklärung wird nämlich zu einem Zeitpunkt abgegeben, zu dem die Kommission noch keine Gelegenheit hatte, die Situation des Betroffenen zu untersuchen oder gar zu seinem Antrag auf Erstattung vorläufig Stellung zu nehmen."

161 Es ist auch unwesentlich, ob die angefochtenen Entscheidungen, wie die Kommission geltend macht, ausschließlich auf den von den nationalen Behörden vorgelegten Unterlagen beruhen, also auf tatsächlichen Gesichtspunkten, die die Klägerinnen kannten und zu denen sie sich hatten äußern können. Selbst wenn dies zuträfe, war die Beklagte schon deshalb, weil sie von der Stellungnahme der nationalen Behörden abweichen wollte und die Entscheidung beabsichtigte, dass der Zollerlass gegenüber den Klägerinnen nicht gerechtfertigt sei, dazu verpflichtet, den Klägerinnen mitzuteilen, aus welchen Gründen sie eine solche Entscheidung beabsichtigte, und ihnen Gelegenheit zu einer Stellungnahme dazu zu geben.

162 Nach alledem ist festzustellen, dass die in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97, T-191/97, T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97, T-217/97, T-218/97, T-279/97, T-280/97 und T-293/97 angefochtenen Entscheidungen, da keine der Klägerinnen zur Stichhaltigkeit der zu ihrem Nachteil getroffenen Feststellungen eine Stellungnahme abgeben und ihre Auffassung darlegen konnte, in einem fehlerhaften Verfahren erlassen wurden.

163 Der Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte greift daher hinsichtlich dieser Entscheidungen durch.

C - Zur Verletzung der Verteidigungsrechte hinsichtlich der Rechtssache T-147/99

1. Vorbringen von Miller

164 Zwischen Miller (T-147/99) und der Kommission ist unstreitig, dass die in dieser Rechtssache angefochtene Entscheidung anders als die in den übrigen Rechtssachen im neuen Verfahren gemäß den Artikeln 872a (hinsichtlich der Nichterhebung) und 906a (hinsichtlich des Erlasses) der Verordnung Nr. 2454/93 erlassen wurde, das vor Erlass einer den Beteiligten beschwerenden Entscheidung dessen Anhörung vorsieht (vgl. oben, Randnrn. 40 und 45). Gemäß diesen Bestimmungen teilte die Kommission Miller mit Schreiben vom 24. November 1998 mit, aus welchen Gründen nach ihrer Auffassung die von Miller beantragte Nichterhebung sowie der beantragte Erlass der Eingangsabgaben nicht gerechtfertigt erschienen. Mit Schreiben vom 22. Januar 1999 nahm Miller dazu Stellung.

165 Miller macht aber geltend, ihre Verteidigungsrechte seien im Verwaltungsverfahren dadurch verletzt worden, dass ihr die Kommission den Zugang zu bestimmten Schriftstücke verweigert habe. Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen.

166 Miller wirft der Kommission erstens vor, sie habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, indem sie ihr im Verwaltungsverfahren nicht Zugang zu den Schriftstücken gewährt habe, auf die sie die angefochtene Entscheidung habe stützen wollen.

167 Wie das Gericht im Urteil Eyckeler & Malt/Kommission (zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 80) bestätigt habe, erfordere die Wahrung der Verteidigungsrechte nicht nur, dass der Betroffene Gelegenheit erhalte, zu den tatsächlichen Umständen, die zu seinen Ungunsten in der streitigen Entscheidung berücksichtigt werden sollten, sachgerecht Stellung zu nehmen, sondern auch, dass er die Unterlagen einsehen könne, auf die das Gemeinschaftsorgan seine Entscheidung stütze.

168 Die Kommission habe sich über diese Anforderungen hinweggesetzt, indem sie ihr die Einsichtnahme in den Untersuchungsbericht und die sonstigen Unterlagen der vor Ort durchgeführten Untersuchung verweigert habe. Der vierten und fünften Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung sei klar zu entnehmen, dass diese auf die Ergebnisse der Untersuchung gestützt sei. Die für die Ablehnung der Einsichtnahme gegebene Begründung, die Mitteilung des Untersuchungsberichts sei nicht erforderlich, weil er nur die von den nationalen Behörden nicht bestrittene Ungültigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen bestätige, sei nicht stichhaltig. Sie treffe in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Entgegen der Behauptung der Kommission ergäben sich nämlich die Tatsachen, auf die sie ihre Beurteilung (dass die türkischen Zollbehörden durch falsche Angaben der Exporteure irregeführt worden seien) gestützt habe, nicht aus anderen Schriftstücken, von denen Miller habe Kenntnis nehmen können, und seien überdies von den belgischen Behörden ausdrücklich bestritten worden. Auch rechtlich sei diese Begründung verfehlt, denn nach ständiger Rechtsprechung dürfe die Kommission die Einsicht in Unterlagen nicht mit der Begründung verweigern, die Einsichtnahme sei nach ihrer Auffassung nicht erheblich (Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 81).

169 Zweitens rügt Miller, die Kommission habe ihre Verteidigungsrechte dadurch verletzt, dass sie ihr trotz ihres Antrags die Einsicht auch in andere, nicht vertrauliche Verwaltungsunterlagen über den Fall verweigert habe.

2. Vorbringen der Kommission

170 Die Kommission erkennt an, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts sei und dass das Akteneinsichtsrecht eng mit ihm zusammenhänge, meint aber, sie habe die Verteidigungsrechte von Miller im Verwaltungsverfahren nicht verletzt.

171 In einem Erlassverfahren könne sie ihre Entscheidung nur auf die Unterlagen stützen, die ihr die nationalen Behörden vorlegten und die der Betroffene bei diesen habe einsehen können.

172 Das Gericht habe im Urteil France-aviation/Kommission (zitiert in Randnr. 139 oben) festgestellt, dass das rechtliche Gehör in einem Erlassverfahren in erster Linie im Verhältnis zwischen dem Betroffenen und der nationalen Verwaltung zu gewährleisten sei und dass die Kommission gegenüber dem Betroffenen nur verpflichtet sei, sich zu vergewissern, dass die von den nationalen Behörden vorgelegten Akten vollständig seien und dass er von ihnen habe Kenntnis nehmen können. Im vorliegenden Fall habe Miller jedoch bestätigt, dass sie die Akten bei den belgischen Behörden habe einsehen können.

173 Da die Kommission die angefochtene Entscheidung auf Unterlagen gestützt habe, von denen Miller Kenntnis genommen habe oder zumindest hätte nehmen können, seien Millers Verteidigungsrechte gewahrt.

174 Was den Untersuchungsbericht angehe, übermittle sie derartige interne Berichte den Betroffenen im Allgemeinen vor Erlass einer Entscheidung dann, wenn sie sich in der Entscheidungsbegründung darauf stützen wolle.

175 Im vorliegenden Fall habe sie den Untersuchungsbericht aber deshalb nicht übermittelt, weil er nur Angaben zum Sachverhalt enthalte, die dem Betroffenen bereits bei der Einsichtnahme in die Akten der nationalen Behörden bekannt geworden seien.

176 Miller mache deshalb zu Unrecht geltend, dass ihr Einsicht in alle nicht vertraulichen Verwaltungsunterlagen des Falles hätte gewährt werden müssen.

3. Würdigung durch das Gericht

177 Es ist nur der erste Teil des von Miller geltend gemachten Klagegrunds einer Verletzung ihrer Verteidigungsrechte zu prüfen.

178 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Kommission Miller mit Schreiben vom 24. November 1998 Gelegenheit gab, zur von der Kommission in Aussicht genommenen Begründung der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen, und dass Miller eine solche Stellungnahme mit Schreiben vom 22. Januar 1999 gab.

179 Die Wahrung der Verfahrensrechte erfordert jedoch nicht nur, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, sich zur Relevanz der Sachumstände zu äußern, sondern auch, dass er zumindest zu den Unterlagen Stellung nehmen kann, auf die das Gemeinschaftsorgan zurückgreift (Urteile des Gerichshofes vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991, I-5469, Randnr. 25, und vom 21. September 2000 in der Rechtssache C-462/98 P, Mediocurso/Kommission, Slg. 2000, I-7183, Randnrn. 36 und 37; Urteile France-aviation/Kommission, zitiert in Randnr. 139 oben, Randnr. 32, Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 80, und Primex Produkte Import-Export u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 152 oben, Randnr. 63).

180 Es ist somit festzustellen, ob sich Miller zu den Schriftstücken äußern konnte, auf die die Kommission die angefochtene Entscheidung stützte.

181 Die Kommission macht insoweit geltend, sie habe die angefochtene Entscheidung nur auf die Akten gestützt, die ihr von den belgischen Behörden vorgelegt worden seien und von denen die Klägerin, wie sich aus ihrer Erklärung vom 24. April 1998 ergebe, habe Kenntnis nehmen können.

182 Wie Miller vorträgt, enthielten die Akten der belgischen Behörden jedoch nicht den Untersuchungsbericht nebst Anlagen.

183 Der angefochtenen Entscheidung ist aber klar zu entnehmen, dass sie zumindest teilweise auf den Feststellungen beruht, die bei der Untersuchung getroffen wurden und im Untersuchungsbericht niedergelegt sind. So heisst es in der fünften und sechsten Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung:

"Bei einer Überprüfung in der Türkei durch Vertreter der Dienststellen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der Zolldienststellen mehrerer Mitgliedstaaten wurde Ende 1993 festgestellt, dass die zuständigen türkischen Zollbehörden die Warenverkehrsbescheinigungen ausstellten, ohne irgendeine Ausgleichsabgabe zu erheben. Denn während des Zeitraums 1973 bis 1994 hatte die Türkei die Erhebung einer Ausgleichsabgabe noch nicht in türkisches Recht umgesetzt.

Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung wurde festgestellt, dass im vorliegenden Fall die von den türkischen Zollbehörden ausgestellten Warenverkehrsbescheinigungen ungültig waren, denn sie bezogen sich auf in der Türkei hergestellte Fernsehgeräte, deren Bauteile mit Ursprung in Drittländern weder in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt, noch mit der genannten Ausgleichsabgabe belegt worden waren. Infolgedessen durften diese Waren bei ihrer Einfuhr in die Gemeinschaft nicht in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt werden."

184 Dies wird von der Kommission nicht bestritten. Sie beruft sich jedoch darauf, dass die Übermittlung des Untersuchungsberichts an die Klägerin nicht erforderlich gewesen sei, da er nur Tatsachen bestätige, von denen die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren bei den belgischen Behörden habe Kenntnis nehmen können.

185 Diese Argumentation greift nicht durch. Es ist nicht Sache der Kommission, über die Relevanz oder Bedeutung zu befinden, die bestimmte Unterlagen für die Verteidigung eines Beteiligten haben können. Wie das Gericht im Urteil Eyckeler & Malt/Kommission (zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 81) entschieden hat, lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass Papiere, die die Kommission für unerheblich hält, für die Klägerin von Interesse sind. Könnte die Kommission aus dem Verwaltungsverfahren einseitig Papiere ausschließen, die ihr möglicherweise zum Nachteil gereichen, könnte dies die Verfahrensrechte desjenigen erheblich verletzen, der einen Erlass der Eingangsabgaben beantragt (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-36/91, ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847, Randnr. 93).

186 Die Behauptung der Kommission, der Untersuchungsbericht habe nur Tatsachen bestätigt, von denen die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren bei den belgischen Behörden habe Kenntnis nehmen können und die unstreitig seien, könnte im Übrigen auch dann, wenn sie zutreffend wäre, ihre Weigerung, den Bericht zu übermitteln, nicht rechtfertigen. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass der Untersuchungsbericht bestimmte tatsächliche Feststellungen enthält, anhand deren die Klägerin belegen könnte, dass sie Anspruch auf Erlass der Zölle hatte.

187 Da schließlich die Kommission beabsichtigte, die angefochtene Entscheidung zumindest teilweise auf den Untersuchungsbericht zu stützen, hatte sie sicherzustellen, dass sich Miller entweder im nationalen Verfahren oder im Verfahren vor der Kommission sachgerecht zu dem Bericht äußern konnte. Den Akten ist jedoch klar zu entnehmen, dass Miller den Bericht in keinem dieser Verfahren einsehen konnte.

188 Zum Einwand der Kommission, Miller habe die Erklärung abgegeben, dass die von den belgischen Behörden der Kommission übermittelten Unterlagen vollständig seien und ihnen nichts hinzuzufügen sei, genügt der Hinweis, dass eine solche Praxis, wie oben in Randnummer 160 ausgeführt, die Wahrung der Verteidigungsrechte im Verfahren vor der Kommission nicht gewährleisten kann.

189 Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission, da Miller zu dem Untersuchungsbericht und seinen Anlagen nicht sachgerecht Stellung nehmen konnte, die Verteidigungsrechte der Klägerin verletzte.

II - Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 durch die Feststellung der Kommission in den angefochtenen Entscheidungen, dass der Erlass der Zölle nicht gerechtfertigt sei

A - Vorbringen der Beteiligten

190 Alle Klägerinnen und die Streithelfer machen geltend, es sei ein offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission, dass sie in den angefochtenen Entscheidungen festgestellt habe, die Voraussetzungen des Zollerlasses gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79, nämlich zum einen das Vorliegen besonderer Umstände und zum anderen das Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht des Beteiligten, seien nicht erfuellt.

191 Die Beklagte bestreitet, dass die in den angefochtenen Entscheidungen getroffene Feststellung, die Voraussetzungen nach Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 lägen nicht vor, einen Beurteilungsfehler darstellt.

192 Sie führt aus, nach der Rechtsprechung verfolgten Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 den gleichen Zweck, denn beide Vorschriften sollten die Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben auf Fälle beschränken, in denen eine solche Nachzahlung gerechtfertigt und mit einem so wesentlichen Grundsatz wie dem des Vertrauensschutzes vereinbar sei. Die offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 entspreche daher der Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 (Urteile des Gerichtshofes vom 1. April 1993 in der Rechtssache C-250/91, Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-1839, Randnr. 46, und des Gerichts vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-75/95, Günzler Aluminium/Kommission, Slg. 1996, II-497, Randnr. 55). Da überdies die in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 festgelegten Voraussetzungen kumulativ seien, komme es auf das Vorliegen besonderer Umstände nicht mehr an, wenn eine offensichtliche Fahrlässigkeit oder eine betrügerische Absicht des Beteiligten gegeben sei. Schließlich sei auch anerkannt, dass ein Irrtum der Zollbehörde unter bestimmten Voraussetzungen einen besonderen Umstand im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 (Urteil Hewlett Packard France, Randnrn. 42 bis 44) darstellen könne.

193 Bei Berücksichtigung dieser Rechtsprechung sei erstens festzustellen, dass die Nichterhebung der Ausgleichsabgabe entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen und der Streithelfer nicht auf einem Irrtum beruhe, der auf ein aktives Handeln der zuständigen Behörden zurückzuführen sei, so dass darin kein besonderer Umstand im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 liege.

194 Wie sie in den angefochtenen Entscheidungen festgestellt habe, seien die türkischen Zollbehörden, die als die zuständigen Behörden im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 anzusehen seien (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Mai 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-153/94 und C-204/94, Faroe Seafood u. a., Slg. 1996, I-2509, Randnr. 88), nämlich durch die unzutreffende Angabe der türkischen Exporteure in Feld 13 der A.TR.1-Bescheinigungen, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung dieser Bescheinigungen erfuellt seien, irregeführt worden. Wie sich aus der Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteil Faroe Seafood u. a., Randnr. 92) und aus Artikel 4 Nummer 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3799/86 oder gegebenenfalls Artikel 904 der Verordnung Nr. 2454/93 ergebe, sei die gutgläubige Vorlage falscher Bescheinigungen jedoch als solche kein Umstand, der einen Erlass rechtfertige.

195 Auch dass die Zollbehörden die Unterlagen nicht beanstandet hätten, könne kein schutzwürdiges Vertrauen begründen, es sei denn, ihnen wären alle erheblichen Umstände bekannt gewesen und der Einführer hätte darauf vertraut (Urteil Faroe Seafood u. a., zitiert in Randnr. 194 oben, Randnrn. 93 bis 95). Die Klägerinnen hätten jedoch nicht nachweisen können, dass dies hier der Fall gewesen sei.

196 Entgegen dem Vorbringen mancher Klägerinnen und Streithelfer habe die Durchführung des Ausfuhrförderungsprogramms seitens der türkischen Zollbehörden nicht impliziert, dass sie die streitigen Bescheinigungen trotz des Wissens ausgestellt hätten, dass die Fernsehgeräte Komponenten drittländischen Ursprungs enthalten hätten, die in der Türkei nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden seien. Da die türkischen Hersteller nach dem Ausfuhrförderungsprogramm außer Komponenten aus Drittländern auch Komponenten mit Ursprung in der Gemeinschaft hätten einführen können, seien die türkischen Zollbehörden befugt gewesen, A.TR.1-Bescheinigungen für Waren mit solchen Bauteilen auszustellen. Die Bescheinigungen des Ausfuhrförderungsprogramms, das "Export Promotion Document" und die "Export Declarations", hätten keinerlei genaue Angabe zu Art, Herkunft oder Wert der tatsächlich in die Fernsehgeräte eingebauten Komponenten enthalten. Im Gegensatz zu den türkischen Exporteuren hätten die türkischen Zollbehörden somit nicht alle relevanten Umstände kennen können.

197 Da nachgewiesen sei, dass die türkischen Exporteure unzutreffende Angaben gemacht hätten, und da eine Zollschuld entstanden sei, obliege es nicht der Kommission, sondern den Klägerinnen, zu beweisen, dass die türkischen Zollbehörden durch diese Angaben nicht irregeführt worden seien.

198 Dass der türkische Gesetzgeber die Regelung der Ausgleichsabgabe nicht umgesetzt habe, habe gleichfalls kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerinnen in die Ordnungsmäßigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen begründen können. Dies habe die Exporteure nämlich nicht daran gehindert, entweder auf die Einholung dieser Bescheinigungen zu verzichten oder, wie die Kommission in den streitigen Entscheidungen ausgeführt habe, die Voraussetzungen für deren Ausstellung in anderer Weise zu erfuellen, nämlich durch Überführung der Komponenten drittländischen Ursprungs in den freien Verkehr bei ihrer Einfuhr in die Türkei.

199 Wenn man annähme, dass die Sichtvermerke der türkischen Zollbehörden auf den A.TR.1-Bescheinigungen ein berechtigtes Vertrauen der Klägerinnen hätten hervorrufen können, so entfielen eine Nacherhebung von Zöllen und ein Geschäftsrisiko der Wirtschaftsteilnehmer überhaupt.

200 Was schließlich den Begriff der "zuständigen Behörden" in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 angehe, sei zu unterscheiden zwischen den türkischen Behörden im Allgemeinen und den türkischen Zollbehörden. Der genannte Artikel betreffe nur den Irrtum der "zuständigen Behörden" selbst, d. h. der Zollbehörden (Urteil des Gerichtshofes vom 27. Juni 1991 in der Rechtssache C-348/89, Mecanarte, Slg. 1991, I-3277). Auch aus der Begründung der angefochtenen Entscheidungen gehe hervor, dass sie sich nur auf den Irrtum der türkischen Zollbehörden bezögen. Schließlich habe es zwischen den Zollbehörden und den politischen Instanzen in der Türkei kein stillschweigendes Einverständnis gegeben.

201 Zweitens sei der Irrtum der türkischen Zollbehörden, d. h. die irrtümliche Nichterhebung der Ausgleichsabgabe, für die Klägerinnen, wie sie in den angefochtenen Entscheidungen festgestellt habe, klar erkennbar gewesen, so dass den Klägerinnen offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last falle.

202 Dem Zusatzprotokoll und den auf der Rückseite der A.TR.1-Bescheinigungen abgedruckten Vorschriften sei klar zu entnehmen, dass für die Erteilung der Bescheinigung bestimmte Voraussetzungen erfuellt sein müssten.

203 Außerdem ergebe sich aus Artikel 9 des Beschlusses Nr. 5/72, dass die Behörden des Einfuhrstaats außer der Bescheinigung eine Erklärung des Einführers verlangen könnten, dass die Waren die Voraussetzungen für die Anwendung des Zusatzprotokolls erfuellten.

204 Aufgrund dieser Bestimmungen und ihrer Sorgfaltspflicht hätten sich die Klägerinnen erkundigen müssen, ob diese Voraussetzungen erfuellt gewesen seien, und von ihren Lieferanten im Rahmen einer vertraglichen Auflösungsklausel verlangen müssen, dass sie die Herkunft und den Zollstatus der in die Fernsehgeräte eingebauten Komponenten mitteilten.

205 Dies gelte um so mehr, als alle Klägerinnen eine mehr oder minder große professionelle Erfahrung mit der Einfuhr von Fernsehgeräten türkischer Herkunft gehabt hätten.

206 In diesem Zusammenhang sei das Argument der deutschen Regierung zurückzuweisen, dass den Exporteuren und Importeuren nicht mehr Kenntnis und Sorgfalt abzuverlangen sei als dem türkischen Staat, der Beklagten oder dem Assoziationsrat. Die Wirtschaftsteilnehmer selbst hätten die Verantwortung für ihre Handelsgeschäfte zu tragen, da ihnen allein die Zusammensetzung und der zollrechtliche Statuts der von ihnen ein- oder ausgeführten Erzeugnisse bekannt seien oder sie sich darüber informieren müssten.

207 Weiter zu hinzuweisen auf das Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-97/95 (Pascoal & Filhos, Slg. 1997, I-4209, Randnr. 59), in dem der Gerichtshof festgestellt habe, "dass ein umsichtiger und mit der Rechtslage vertrauter Unternehmer bei der Einschätzung der Vorteile, die sich aus dem Handel mit Waren ergeben können, für die möglicherweise Zollpräferenzen gewährt werden, die Risiken berücksichtigen muss, die auf dem Markt, auf dem er akquiriert, bestehen, und sie als Teil der normalen Unzuträglichkeiten des Geschäftslebens in Kauf nehmen muss". Entgegen der Auffassung Frankreichs sei dieses Urteil insofern beachtlich, als der Gerichtshof darin die Frage beantworte, ob es gegen die Grundsätze der Gerechtigkeit, des Verbotes der ungerechtfertigten Bereicherung, der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des guten Glaubens verstoße, wenn ein gutgläubig handelnder Einführer mit dem Zoll belastet werde, der auf Waren zu entrichten sei, die Gegenstand einer zollrechtlichen Zuwiderhandlung eines Exporteurs gewesen seien, an der der Einführer in keiner Weise beteiligt gewesen sei.

208 Da nachgewiesen sei, dass eine der Voraussetzungen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79, nämlich kein Vorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit, nicht erfuellt gewesen sei, habe sie in den angefochtenen Entscheidungen zu Recht festgestellt, dass der Erlass der Eingangsabgaben nicht gerechtfertigt sei.

209 Hilfsweise sei jedoch auch das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, es lägen aus anderen Gründen als einem Irrtum der türkischen Zollbehörden besondere Umstände vor.

210 Ein bestimmter Umstand könne nur dann als "besonderer Umstand" im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 angesehen werden, wenn zwischen ihm und der Ausstellung oder Anerkennung der A.TR.1-Bescheinigung, die das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen hervorgerufen habe, ein Kausalzusammenhang bestehe. Im vorliegenden Fall beruhten aber die Nichterhebung der Ausgleichsabgabe und damit die Ungültigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen ausschließlich darauf, dass die türkischen Zollbehörden durch die unzutreffenden Angaben der türkischen Exporteure in die Irre geführt worden seien. Sie seien deshalb ohne Kausalzusammenhang mit den anderen von den Klägerinnen behaupteten Umständen, insbesondere dem angeblichen Fehlverhalten der türkischen Behörden, der Kommission und des Assoziationsrates oder der Nachzahlung der Ausgleichsabgabe durch die türkischen Exporteure.

211 Die Richtigkeit dieser Behauptungen werde außerdem bestritten.

212 Entgegen der Behauptung mehrerer Klägerinnen habe sie ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls nicht verletzt.

213 Die erste Mitteilung der Kommission betreffend "Gegenseitige Unterstützung" sei den Mitgliedstaaten im Januar 1989 auf die Beschwerde eines Verbandes von Herstellern in der Gemeinschaft übersandt worden, in der vorgebracht worden sei, dass die türkischen Hersteller staatliche Hilfen erhielten, dass keine Zölle auf Komponenten drittländischen Ursprungs gezahlt würden und dass mögliche Dumpingpraktiken bestuenden. Da die Kommission von den Mitgliedstaaten keine Antwort erhalten habe, habe sie ihnen im Februar 1991 eine zweite Mitteilung "Gegenseitige Unterstützung" übersandt und die betroffenen Mitgliedstaaten zu einer Sitzung eingeladen, die im März 1991 in Brüssel stattgefunden habe und in der die Möglichkeit einer Untersuchung in der Türkei ins Auge gefasst worden sei. Eine zweite Sitzung habe im Februar 1992 in Brüssel stattgefunden, in der festgestellt worden sei, dass bei der Fertigung der Fernsehgeräte verwendete Bauteile aus Südkorea oder Japan stammten. Mit Schreiben vom 9. August 1992 habe die Kommission den türkischen Behörden eine förmliche Bitte um Unterstützung übermittelt und sie um eine Sitzung zur Vorbereitung einer Untersuchung gebeten, die vor Jahresende in der Türkei habe stattfinden sollen. In dieser Sitzung, die im Februar 1993 stattgefunden habe, sei die Kommission erstmals darüber informiert worden, dass die Ausgleichsabgabe in der Türkei nicht eingeführt worden sei. Zur gleichen Zeit habe die Kommission den Mitgliedstaaten eine dritte Mitteilung "Gegenseitige Unterstützung" übersandt, in der sie sie aufgefordert habe, die A.TR.1-Bescheinigungen auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Die ursprünglich für April 1993 vorgesehene Untersuchung habe schließlich im Oktober und November 1993 stattgefunden.

214 Sie habe daher im vorliegenden Fall mit der gebotenen Sorgfalt alle erforderlichen und ihr möglichen Maßnahmen ergriffen, während allein die Mitgliedstaaten über ausreichende Kompetenzen für die Anwendung der gemeinschaftlichen Zollregelungen und deren Überwachung verfügt hätten und hierfür verantwortlich seien.

215 Was die Nachzahlung der Ausgleichsabgabe durch die türkischen Hersteller auf Anforderung der türkischen Behörden angehe, so könne dies die mit der Einfuhr der Fernsehgeräte entstandene Zollschuld nicht zum Erlöschen bringen; überdies hätten die türkischen Behörden die Nacherhebung der Ausgleichsabgaben offenbar nicht in zufriedenstellender Weise durchgeführt.

B - Würdigung durch das Gericht

1. Vorbemerkungen

a) Zum Anwendungsbereich von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79

216 Nach ständiger Rechtsprechung ist Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel (z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1983 in der Rechtssache 283/82, Schoeller & Söhne/Kommission, Slg. 1983, 4219, Randnr. 7).

217 Nach dieser Bestimmung hat der Abgabenpflichtige, der das Vorliegen besonderer Umstände und das Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht nachweist, Anspruch auf Erlass der Zölle (in diesem Sinne Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 134).

218 Nach der Rechtsprechung ist das Vorliegen besonderer Umstände nachgewiesen, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet (Urteile des Gerichtshofes vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C-86/97, Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041, Randnrn. 21 und 22, und vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-61/98, De Haan, Slg. 1999, I-5003, Randnrn. 52 und 53) und dass er ohne diese Umstände den Nachteil, der in der Nacherhebung der Zölle liegt, nicht erlitten hätte (Urteil des Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der Rechtssache 58/86, Coopérative agricole d'approvisionnement des Avirons, Slg. 1987, 1525, Randnr. 22).

219 Zu der Voraussetzung des Fehlens offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht des Betroffenen hat der Gerichtshof in seinem Urteil Hewlett Packard France (zitiert in Randnr. 192 oben, Randnr. 46) festgestellt, dass Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Nachzahlung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben auf Fälle zu beschränken, in denen eine solche Zahlung gerechtfertigt und mit einem so wesentlichen Grundsatz wie dem des Vertrauensschutzes vereinbar ist. So gesehen, entspricht die Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 der offensichtlichen Fahrlässigkeit oder betrügerischen Absicht im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79, so dass die in der letztgenannten Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen im Lichte der Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 zu würdigen sind.

220 Da schließlich die in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 festgelegten Voraussetzungen nach ständiger Rechtsprechung kumulativ gelten (Urteil Günzler Aluminium/Kommission, zitiert in Randnr. 192 oben, Randnr. 54, und Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1998 in der Rechtssache C-370/96, Covita, Slg. 1998, I-7711, Randnr. 29), ist der Erlass zu versagen, wenn eine dieser Voraussetzungen fehlt.

b) Zum Beurteilungsspielraum der Kommission hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79

221 Ein Gemeinschaftsorgan, das den Erlass einer Entscheidung beabsichtigt, muss hierfür sämtliche erheblichen Tatsachen berücksichtigen, die ihm bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben bekannt geworden sind; andernfalls ist die Entscheidung wegen eines Beurteilungsfehlers rechtswidrig. Im Einzelfall erheblich sind die Tatsachen, die im Rahmen der Anwendung der einschlägigen Regelungen zu berücksichtigen sein können.

222 So muss die Kommission nach der Rechtsprechung, um zu beurteilen, ob nach Lage des Falles besondere Umstände vorliegen, die weder offensichtliche Fahrlässigkeit noch eine betrügerische Absicht des Betroffenen im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 einschließen, sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 160/84, Oryzomyli Kavallas u. a./Kommission, Slg. 1986, 1633, Randnr. 16, und Urteil France-aviation/Kommission, zitiert in Randnr. 139 oben, Randnrn. 34 und 36).

223 Aus dieser Verpflichtung folgt in Fällen wie den vorliegenden, in denen die Abgabenpflichtigen zur Begründung ihrer Erlassanträge schwerwiegende Fehler der Vertragsparteien bei der Anwendung eines die Gemeinschaft bindenden Abkommens geltend gemacht haben, dass die Kommission in ihre Beurteilung, ob diese Anträge begründet sind, sämtliche tatsächlichen Umstände der streitigen Einfuhren einbeziehen muss, die ihr im Rahmen ihrer Aufgabe, die Anwendung dieses Abkommens zu überwachen und zu kontrollieren, bekannt geworden sind.

224 Desgleichen darf die Kommission angesichts ihrer oben in den Randnummern 221 und 222 genannten Verpflichtung und des Grundsatzes der Billigkeit, der Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 zugrunde liegt, relevante Informationen nicht unbeachtet lassen, die ihr bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben bekannt geworden sind und die, obgleich sie in der Phase des nationalen Verfahrens nicht in den Verwaltungsakten enthalten waren, möglicherweise einen Erlass zugunsten der Betroffenen hätten rechtfertigen können.

225 Wie sich aus dem Urteil Eyckeler & Malt/Kommission (zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 133) ergibt, muss die Kommission überdies, auch wenn sie bei der Anwendung von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über einen Beurteilungsspielraum verfügt (Urteil France-aviation/Kommission, zitiert in Randnr. 139 oben, Randnr. 34), bei der Ausübung dieser Befugnis das Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, wirklich gegeneinander abwägen. Daher darf sie sich bei der Prüfung, ob ein Erlassantrag begründet ist, nicht darauf beschränken, das Verhalten der Importeure zu berücksichtigen. Sie muss auch die Auswirkungen ihres eigenen, gegebenenfalls fehlerhaften Verhaltens auf die entstandene Lage würdigen.

226 Für die Prüfung, ob der Kommission mit ihrer in den angefochtenen Entscheidungen getroffenen Feststellung, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 nicht erfuellt seien, ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlief, sind sämtliche Unterlagen heranzuziehen, die die Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls im Hinblick auf die Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte im maßgeblichen Zeitraum betreffen und die die Kommission im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen kannte.

227 Anhand dieser Unterlagen, die die Kommission auf die prozessleitende Maßnahme vom 29. Oktober 1999 vorgelegt hat, ist zum einen zu ermitteln, ob in den vorliegenden Fällen besondere Umstände vorlagen, und zum anderen, ob den Klägerinnen eine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht zur Last fällt.

2. Zum Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79

a) Zum Vorliegen besonderer Umstände

228 In den vorliegenden Fällen begründeten alle Klägerinnen ihren Erlassantrag damit, dass die Vertragsparteien bei der Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen hätten, die besondere Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 bildeten.

229 Die Kommission bestreitet nicht, dass die türkischen Behörden bei der Anwendung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls eine Reihe von Pflichtverletzungen begangen hätten. Nach ihrer Auffassung haben diese aber nicht zu den Unregelmäßigkeiten bei den streitigen Einfuhren geführt. Vielmehr beruhe der Irrtum der türkischen Zollbehörden darauf, dass sie von den türkischen Exporteuren irregeleitet worden seien.

230 Insoweit ist jedoch zunächst darauf hinzuweisen, dass eine Irreführung der türkischen Zollbehörden durch die türkischen Exporteure als solche noch nicht die Möglichkeit ausschließt, dass in den vorliegenden Fällen besondere Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 vorlagen.

231 Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Mecanarte (zitiert in Randnr. 200 oben, Randnrn. 23 und 24) festgestellt, dass das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen schutzwürdig im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 nur dann ist, wenn es gerade die zuständigen Behörden waren, die die Grundlage für das Vertrauen des Abgabenpflichtigen geschaffen haben. Somit begründen lediglich solche Irrtümer, die auf ein aktives Handeln der zuständigen Behörden zurückzuführen sind und die ein verständiger Abgabenpflichtiger nicht erkennen konnte, einen Anspruch darauf, dass von der Nacherhebung abgesehen wird. Diese Voraussetzung kann nicht als erfuellt angesehen werden, wenn die zuständigen Behörden durch unzutreffende Erklärungen des Abgabenpflichtigen namentlich zum Warenursprung, deren Richtigkeit sie nicht festzustellen oder zu überprüfen haben, irregeführt werden. In einem solchen Fall trägt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Abgabenpflichtige das Risiko, dass sich ein Handelsdokument bei einer späteren Überprüfung als falsch erweist.

232 Jedoch beziehen sich diese Erwägungen speziell auf Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79.

233 Auch wenn Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 und Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79, wie das Gericht im Urteil Eyckeler & Malt/Kommission (zitiert in Randnr. 87 oben, Randnrn. 136 bis 139) festgestellt hat, das gleiche Ziel verfolgen, sind diese Bestimmungen doch nicht deckungsgleich. Die erstgenannte Bestimmung hat nämlich eine beschränktere Zielsetzung als letztere, da sie nur das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die bei der Entscheidung darüber, ob Zoll erhoben wird oder nicht, Berücksichtigung gefunden haben (Urteil Faroe Seafood u. a., zitiert in Randnr. 194 oben, Randnr. 87). Wie oben dargelegt, ist Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 hingegen eine allgemeine Billigkeitsklausel.

234 So kann sich der Abgabenpflichtige nicht auf Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 berufen, wenn die zuständigen Behörden wie hier die türkischen Zollbehörden Zölle nicht in Rechnung gestellt haben, weil sie durch die Angaben der türkischen Exporteure irregeleitet wurden. Wie sich aus Artikel 4 Nummer 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3799/86 und Artikel 904 Buchstabe c der Verordnung Nr. 2454/93 ergibt, kann der Abgabenpflichtige ebenso wenig geltend machen, dass die Einreichung ungültiger Bescheinigungen und somit der Irrtum der zuständigen Behörden als solche besondere Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 seien (in diesem Sinne auch Urteile Van Gend & Loos/Kommission, zitiert in Randnr. 141 oben, Randnr. 16, und Pascoal & Filhos, zitiert in Randnr. 207 oben, Randnrn. 57 bis 60).

235 Dagegen verwehren es diese Bestimmungen dem Abgabenpflichtigen nicht, andere Umstände zur Begründung seines Erlassantrags auf der Grundlage von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 geltend zu machen (in diesem Sinne Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnrn. 163 und 164). Es lässt sich nämlich beispielsweise nicht ausschließen, dass der Irrtum der zuständigen Behörden seinerseits dadurch begünstigt wurde, dass die Kommission die Durchführung des Assoziierungsabkommens nur unzureichend kontrollierte. Wie aus dem Urteil Eyckeler & Malt/Kommission hervorgeht, kann dies einen besonderen Umstand im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 bilden.

236 Da das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 somit nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, dass die türkischen Zollbehörden möglicherweise durch die türkischen Exporteure irregeführt wurden, ist zu prüfen, ob die Umstände des vorliegenden Sachverhalts solche besonderen Umstände bilden.

Zu den den türkischen Behörden zur Last fallenden Pflichtverletzungen

237 Gemäß Artikel 7 des Assoziierungsabkommens haben die Vertragsparteien alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfuellung der Verpflichtungen aus dem Abkommen zu treffen und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Abkommens gefährden könnten. Diese Bestimmung ist Ausdruck des Grundsatzes "Pacta sunt servanda" und des Grundsatzes von Treu und Glauben, die das Verhalten der Vertragsparteien eines völkerrechtlichen Abkommens zu leiten haben (vgl. Urteil des Gerichts vom 22. Januar 1997 in der Rechtssache T-115/94, Opel Austria/Rat, Slg. 1997, II-39, Randnr. 90).

238 Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die türkischen Behörden die Regelung über die Ausgleichsabgabe gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und des Beschlusses Nr. 2/72 mehr als 20 Jahre lang nicht umsetzten. Mangels dieser Umsetzung konnten die türkischen Zollbehörden nicht rechtmäßig A.TR.1-Bescheinigungen für Waren wie Farbfernsehgeräte erteilen, die in der Türkei nicht in den freien Verkehr überführte Komponenten drittländischen Ursprungs enthielten.

239 Zweitens erließen die türkischen Behörden im maßgeblichen Zeitraum Maßnahmen, die entweder nicht mit den Vorschriften des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls in Einklang standen oder aber deren ordnungsgemäße Anwendung auf die Ausfuhr von Waren (einschließlich Farbfernsehgeräte) nach der Gemeinschaft nicht gewährleisteten.

240 So erließ die türkische Regierung im Juni 1992 unstreitig zwei Ministerialerlasse, deren Bestimmungen dem Assoziierungsabkommen und dem Zusatzprotokoll klar zuwiderliefen.

241 Der Minsterialerlass 92/3177 bestimmte unter Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und den Beschluss Nr. 2/72, dass auf Komponenten drittländischen Ursprungs in für die Gemeinschaft bestimmten Fernsehgeräten eine Ausgleichsabgabe nur zu erheben war, wenn ihr Wert ausweislich eines Sachverständigengutachtens mehr als 56 % des FOB-Gesamtwerts der Fernsehgeräte betrug.

242 Insoweit ist unerheblich, ob dieser Ministerialerlass, wie die Kommission behauptet, von den türkischen Behörden nie angewandt wurde. Die bewußte Verabschiedung einer Regelung, die den Vorschriften des Zusatzprotokolls und einem Beschluss des Assoziationsrates zuwiderläuft, ist nämlich bereits als solche eine Verletzung der Verpflichtung aus Artikel 7 des Assoziierungsabkommens. Dieser Schluss ist insbesondere deshalb zwingend, weil die Verabschiedung des Ministerialerlasses - wie dem Schreiben der türkischen Behörden vom 28. Juli 1992, mit dem sie dem Assoziationsrat eine Kopie des Erlasses übermittelten, zu entnehmen ist - die Besorgnis zerstreuen sollte, die die Gemeinschaft hinsichtlich der Anwendung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls auf die Ausfuhr von Farbfernsehgeräten aus der Türkei zum Ausdruck gebracht hatte.

243 Was den Erlass Nr. 92/3127 anbelangt, mit dem für die Einfuhr aus der Gemeinschaft oder Drittländern stammender Kathodenstrahlröhren für Farbfernsehgeräte ein Abgabensatz von Null festgesetzt wurde, so kündigte die Republik Türkei, wie aus dem Untersuchungsbericht hervorgeht, entgegen den Bestimmungen des Assoziierungsabkommens der Gemeinschaft ihre Absicht, eine solche Maßnahme zu erlassen, nicht an.

244 Im Übrigen ist unstreitig, dass die türkischen Behörden im maßgeblichen Zeitpunkt ein Ausfuhrförderungsprogramm geschaffen hatten, das die zollfreie Einfuhr von Komponenten drittländischen Ursprungs unter der Bedingung erlaubte, dass sie in anschließend nach der Gemeinschaft oder in Drittländer ausgeführte Waren eingebaut wurden. Nachdem die türkischen Behörden die Regelung über die Ausgleichsabgabe nicht umgesetzt hatten, durfte keine nach diesem Programm eingeführte Komponente drittländischen Ursprungs in für die Gemeinschaft bestimmte Waren eingebaut werden, weil die türkischen Zollbehörden zur Erhebung von Ausgleichsabgaben auf diese Komponenten nicht in der Lage waren.

245 Wie sich aber aus dem Untersuchungsbericht ergibt, wurden die wesentlichen Komponenten drittländischen Ursprungs, die im maßgeblichen Zeitraum in für die Gemeinschaft bestimmte Fernsehgeräte eingebaut wurden, auf der Grundlage dieses Ausfuhrförderungsprogramms abgabenfrei importiert.

246 Überdies hat die Kommission in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung mehrfach darauf hingewiesen, dass die türkischen Zollbehörden, die die A.TR.1-Bescheinigungen ausstellten, trotz ihrer Aufgabe, das Ausfuhrförderungsprogramm zu überwachen und zu kontrollieren, über keinerlei genaue Angaben zu der Art, der Herkunft und dem Wert der Bauteile verfügten, die tatsächlich in für die Gemeinschaft bestimmte Farbfernsehgeräte eingebaut wurden. Wie die Kommission dargelegt hat, bezog sich das Ausfuhrförderungsprogramm nämlich auf den Gesamtwert der eingeführten Komponenten, und es gab keine Unterlagen, mit denen sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den verschiedenen eingeführten Bauteilen und dem damit für den Export zusammengebauten Gerät ermitteln ließ.

247 Dieser Umstand verdient besondere Beachtung. Er bestätigt nämlich, dass die türkischen Stellen eine Beihilferegelung geschaffen hatten, die es ihren Zollbehörden, obgleich diese die Regelung zu überwachen und kontrollieren hatten, nicht ermöglichte, nachzuprüfen, ob ihre Inanspruchnahme nicht gegen das Assoziierungsabkommen und das Zusatzprotokoll verstieß. Dies trug, wie die Kommission dargelegt hat, unzweifelhaft dazu bei, dass die türkischen Zollbehörden, die die A.TR.1-Bescheinigungen ausstellten, möglicherweise durch die Angaben der türkischen Exporteure irregeführt werden konnten.

248 Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob die Zollbehörden durch die Erklärungen der Exporteure wirklich irregeführt wurden.

249 Allein der Umstand, dass die türkischen Exporteure in Feld 13 der A.TR.1-Bescheinigungen bestätigten, dass die Voraussetzungen für deren Erteilung vorlägen, ist entgegen dem Vorbringen der Kommission kein Beweis dafür, dass die türkischen Zollbehörden, die diese Bescheinigungen ausstellten, auch tatsächlich irregeführt wurden. Wie sich auch aus dem Urteil Faroe Seafood u. a. (zitiert in Randnr. 194 oben, Randnr. 95) ergibt, ist für die Beurteilung, ob die zuständigen Behörden durch die Angaben der Exporteure irregeführt wurden, zu prüfen, ob die Exporteure bei diesen Angaben darauf vertrauten, dass die zuständigen Behörden alle für die Anwendung der fraglichen Zollregelung erforderlichen Sachumstände kannten, und ob die Behörden die Angaben trotz dieser Kenntnis nicht beanstandeten. Lässt sich nämlich nachweisen, dass die zuständigen Behörden alle für die Anwendung der Zollregelung erforderlichen Sachumstände kannten, so ist offensichtlich, dass sie durch die Angaben der Exporteure nicht irregeführt werden konnten.

250 Eine Reihe der Klägerinnen konnten aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit belegen, dass die Behörden wegen der Angaben in den Ausfuhrerklärungen und den A.TR.1-Bescheinigungen und angesichts ihrer Aufgabe, die Durchführung des Ausfuhrförderungsprogramms zu überwachen, wussten oder hätten wissen müssen, dass die Farbfernsehgeräte im Rahmen des Programms eingeführte Komponenten drittländischen Ursprungs enthielten.

251 Dieser Schluss ist besonders deshalb zwingend, weil bei der Untersuchung ausweislich des Untersuchungsberichts auf der Grundlage der Einfuhr- und Ausfuhrzolldokumente festgestellt werden konnte, dass gemäß dem Ausfuhrförderungsprogramm Komponenten drittländischen Ursprungs abgabenfrei eingeführt und die Enderzeugnisse anschließend ausgeführt wurden. Die türkischen Zollbehörden, die diese Dokumente mit dem Sichtvermerk versahen, hätten dies erst recht feststellen können. Dass sie, wie die Kommission vorgetragen hat, nicht über die Einfuhrerklärungen verfügten, bestätigt nur, dass sie ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß wahrnahmen.

252 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung im Übrigen ausdrücklich eingeräumt, dass die zentralen Zollbehörden der Türkei wussten, dass die auf der Grundlage der A.TR.1-Bescheinigungen abgabenfrei nach der Gemeinschaft ausgeführten Farbfernsehgeräte Komponenten drittländischen Ursprungs enthielten, die gemäß dem Ausfuhrförderungsprogramm eingeführt worden waren. Entgegen der Auffassung der Kommission ist der Begriff der "zuständigen Behörden" aber nicht auf die Zollbehörden beschränkt, die die A.TR.1-Bescheinigungen ausgestellt haben. Nach dem Urteil Mecanarte (zitiert in Randnr. 200 oben, Randnr. 22) ist nämlich "angesichts des Fehlens einer genauen und erschöpfenden Begriffsbestimmung der "zuständigen Behörden" in der Verordnung Nr. 1697/79 oder in der zu ihrer Durchführung erlassenen Verordnung Nr. 1573/80, die zum Zeitpunkt der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Tatsachen galt, jede Behörde, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Gesichtspunkte beiträgt, die bei der Erhebung von Zöllen zu berücksichtigen sind und so beim Abgabenschuldner ein berechtigtes Vertrauen entstehen lassen können, als "zuständige Behörde" im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 anzusehen... Dies gilt insbesondere für die Zollbehörden des Ausfuhrmitgliedstaats, die bei der Zollanmeldung tätig werden."

253 Schließlich ist den Akten zu entnehmen, dass die türkischen Behörden erhebliche Zeit verstreichen ließen, bevor sie aktiv mit der Beklagten zusammenwirkten, um die Probleme im Zusammenhang mit der Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte zu lösen.

254 So ist dem Untersuchungsbericht zu entnehmen, dass die Durchführung einer Untersuchung in der Türkei trotz eines den türkischen Behörden am 12. August 1992 übermittelten amtlichen Ersuchens um Verwaltungszusammenarbeit wegen der ablehnenden Haltung dieser Behörden mehrfach verschoben wurde. Die Untersuchung fand schließlich erst Ende 1993, also erst eineinhalb Jahre später, statt.

255 Obwohl die türkischen Behörden, wie aus ihrem Schreiben an den Assoziationsrat vom 28. Juli 1992 hervorgeht, wussten, dass ihre Regelung, da sie keine Ausgleichsabgabe vorschrieb, nicht dem Assoziierungsabkommen entsprach, wurden auch die erforderlichen Maßnahmen erst im Laufe des Jahres 1994 erlassen und angewandt.

256 Demnach ist festzustellen, dass die türkischen Behörden bei der Anwendung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls schwerwiegende Pflichtverletzungen begingen. Diese haben zweifelsfrei dazu beigetragen, dass es zu den Unregelmäßigkeiten bei der Ausfuhr aus der Türkei stammender Fernsehgeräte nach der Gemeinschaft kam. Sie begründen auch Zweifel am Willen der türkischen Behörden, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls in Bezug auf diese Ausfuhren sicherzustellen.

Zu den der Kommission zur Last fallenden Pflichtverletzungen

257 Gemäß Artikel 155 EG-Vertrag (jetzt Artikel 211 EG) und dem Grundsatz der guten Verwaltung war die Beklagte verpflichtet, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls sicherzustellen (im gleichen Sinne Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 165 [Verpflichtung zur Überwachung des Fleischkontingents "Hilton Beef"], und, wenngleich weniger explizit, Urteil des Gerichtshofes vom 15. Januar 1987 in der Rechtssache 175/84, Krohn/Kommission, Slg. 1987, 97, Randnr. 17 [zum im Rahmen des Kooperationsabkommens EG-Thailand eingeführten Manihot-Kontingent]).

258 Diese Verpflichtung ergab sich auch aus dem Assoziierungsabkommen (vgl. u. a. die Artikel 6, 7 und 25) und den verschiedenen Beschlüssen des Assoziationsrates zur Durchführung der Artikel 2 und 3 des Zusatzprotokolls. So bestimmte Artikel 4 des Beschlusses Nr. 3/72 zur Regelung des Verfahrens für die Erhebung der Ausgleichsabgabe: "Die Gemeinschaft und die [Republik] Türkei unterrichten sich gegenseitig und informieren den Assoziationsrat über die Maßnahmen, die sie im Hinblick auf die einheitliche Anwendung dieses Beschlusses treffen." Desgleichen heisst es in Artikel 12 des Beschlusses Nr. 5/72: "Die [Republik] Türkei, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft treffen jeweils für ihren Bereich die zur Durchführung dieses Beschlusses erforderlichen Maßnahmen."

259 Überdies ist die Kommission im Assoziationsrat vertreten (Artikel 23 des Assoziierungsabkommens) und als Vertreterin der Gemeinschaft auch an den verschiedenen vom Assoziationsrat eingerichteten Ausschüssen, insbesondere am Ausschuss für die Zusammenarbeit im Zollwesen, beteiligt (Artikel 24). Sie besitzt außerdem eine Ständige Vertretung in der Türkei, mit deren Hilfe sie sich über die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in diesem Staat verlässlich unterrichten kann.

260 Anhand der Akten lassen sich jedoch, was die Überwachung der Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls angeht, bestimmte der Kommission zur Last fallende Versäumnisse feststellen.

261 So hatte die Kommission im Rahmen ihrer Aufgabe, die Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen, erstens nachzuprüfen, dass die türkischen Behörden die Vorschriften des Zusatzprotokolls über die Ausgleichsabgabe ordnungsgemäß umgesetzt hatten. Wie oben in Randnummer 238 ausgeführt, ließen die türkischen Stellen aber mehr als 20 Jahre verstreichen, bevor sie diese Bestimmungen in ihr Recht umsetzten.

262 Weiterhin musste die Kommission sicherstellen, dass sämtliche Regelungen den Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft zuverlässig bekannt wurden, damit sie ihnen gegenüber in Kraft treten konnten. Mehrere Klägerinnen und Streithelfer haben aber darauf hingewiesen, dass weder der Beschluss Nr. 2/72 (über die Festsetzung der Ausgleichsabgabe) noch der Beschluss Nr. 3/72 (zur Regelung des Verfahrens für die Erhebung der Ausgleichsabgabe) im Amtsblatt veröffentlicht wurden, was die Beklagte nicht bestreitet.

263 Zweitens reagierte die Kommission, obgleich ihr, wie sich aus den Akten ergibt, übereinstimmende Informationen darüber vorlagen, dass die Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls durch die türkischen Behörden mit Problemen verbunden war, auf diese Informationen nur langsam.

264 So war der Kommission seit 1987 oder spätestens seit der am 5. Oktober 1988 eingereichten Beschwerde der European Association of Consumer Electronics Manufacturers (EACEM) bekannt, dass das Assoziierungsabkommen und das Zusatzprotokoll hinsichtlich der Ausfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte vermutlich nicht eingehalten wurden.

265 Nach der Übermittlung einer ersten Mitteilung über die "Gegenseitige Unterstützung" an die Mitgliedstaaten im Januar 1989 ließ die Kommission aber zwei Jahre verstreichen, bevor sie mit der Übersendung einer zweiten Mitteilung "Gegenseitige Unterstützung" im Februar 1991 und der Anberaumung einer Zusammenkunft mit Vertretern der betroffenen Mitgliedstaaten im März 1991 neue Maßnahmen ergriff.

266 Dann wartete sie bis August 1992, ehe sie die türkischen Behörden auf die bestehenden Probleme bei der Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte hinwies und sie um Verwaltungszusammenarbeit in dieser Frage ersuchte.

267 Auf Frage des Gerichts hat die Kommission erklärt, sie habe von der fehlenden Umsetzung der Regelung über die Ausgleichsabgabe durch die türkischen Behörden erstmals bei einer gemeinsamen Sitzung mit diesen im Februar 1993 erfahren, also mehr als 20 Jahre nach der Annahme des Zusatzprotokolls. Wie oben ausgeführt, hatten die türkischen Behörden den Assoziationsrat und die Kommission aber bereits im Juli 1992 über den Erlass von Regelungen unterrichtet, die die Erhebung einer Ausgleichsabgabe auf Bauteile drittländischen Ursprungs in für die Gemeinschaft bestimmten Fernsehgeräten unter Verstoß gegen das Zusatzprotokoll und den Beschluss Nr. 2/72 vorsah. Dies hätte der Kommission Anlass sein müssen, die Durchführung der Regelung über die Ausgleichsabgabe seitens der türkischen Behörden schließlich in Frage zu stellen.

268 Drittens verletzte die Kommission ihre Sorgfaltspflicht, indem sie die Importeure der Gemeinschaft (einschließlich der Klägerinnen) nicht auf die möglichen Risiken hinwies, die sie mit der Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte eingingen. Wie sich aus den Akten ergibt, wurden die Klägerinnen vor Ende 1992 weder über die Probleme, was die Anwendung des Zusatzprotokolls bei der Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte anbelangt, noch über die Zweifel der Gemeinschafts- und nationalen Behörden an der Gültigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen jemals unterrichtet.

269 Schließlich verletzte die Kommission ihre Verpflichtungen offenkundig dadurch, dass sie sich nicht rechtzeitig an den Assoziierungsrat und die ihm angegliederten Stellen, insbesondere den Ausschuss für die Zusammenarbeit im Zollwesen, wandte, um die Lage zu klären und erforderlichenfalls die Maßnahmen zu ergreifen, die geboten waren, um die Einhaltung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls durch die türkischen Behörden zu erreichen. Nach den Akten wurden die Probleme im Zusammenhang mit der Ausfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte erstmals in der Sitzung des Ausschusses für die Zusammenarbeit im Zollwesen vom 3. Dezember 1992 erörtert, die die erste nach einer Unterbrechung von nahezu zehn Jahren war. Auf die schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission weiter mitgeteilt, dass der Assoziierungsrat offenbar vor Februar 1993 keine Sitzung abhielt.

270 Im Übrigen versäumte es die Kommission, vom Streitbeilegungsverfahren gemäß Artikel 25 des Assoziierungsabkommens Gebrauch zu machen. Nach der inneren Logik des Abkommens hätte sie zunächst von diesem Verfahren Gebrauch machen müssen, bevor sie die von den türkischen Zollbehörden ausgestellten A.TR.1-Bescheinigungen für ungültig erklärte. Dies gilt umso mehr, als das Assoziierungsabkommen, wie die Kommission in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts bestätigt hat, keine Befugnis einer Vertragspartei vorsieht, die von den Zollbehörden der anderen Vertragspartei ausgestellten Bescheinigungen für ungültig zu erklären. Eine solche Vorgehensweise erscheint auch schwerlich vereinbar mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Zollbehörden der Vertragsparteien und dem Grundsatz, dass die Zollverwaltung des Einfuhrstaats die von den Behörden des Ausfuhrstaats rechtmäßig vorgenommenen Beurteilungen anerkennt (in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 218/82, Les Rapides Savoyards, Slg. 1984, 3105, Randnr. 26, und vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C-12/92, Huygen u. a., Slg. 1993, I-6381, Randnrn. 24 und 25).

271 Dagegen kann nicht das Argument der Kommission durchgreifen, ihre Haltung erkläre sich aus den Spannungen, die das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und der Republik Türkei zeitweise gekennzeichnet hätten.

272 Das Bestehen solcher Spannungen entbindet die Kommission als Hüterin des Vertrages und der auf seiner Grundlage abgeschlossenen Abkommen nämlich nicht davon, mit den Mitteln, die ein Abkommen mit einem Drittland vorsieht, oder durch die auf seiner Grundlage gefassten Beschlüsse dafür Sorge zu tragen, das dieses Land die in dem Abkommen eingegangenen Verpflichtungen erfuellt. Kann sie angesichts bestehender Spannungen dieser Verpflichtung insbesondere deshalb nicht nachkommen, weil die ihr zu Gebote stehenden Mittel sich als ungeeignet oder unwirksam erweisen, hat sie zumindest die Mitgliedstaaten unverzüglich auf die Maßnahmen hinzuweisen, die zur Abwendung eines möglichen Schadens der Gemeinschaft und ihrer Wirtschaftsteilnehmer zu treffen sind. Keinesfalls darf die Kommission von ihrer ausschließlichen Zuständigkeit für die Einziehung und den Erlass von Eingangsabgaben Gebrauch machen, um Mängel bei der Durchführung eines Abkommens zwischen der Gemeinschaft und einem Drittland zu beheben.

273 Demnach ist festzustellen, dass die Kommission bei der Überwachung der Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls schwerwiegende Pflichtverletzungen beging und dass diese dazu beitrugen, dass es bei der Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte im maßgeblichen Zeitraum zu Unregelmäßigkeiten kam.

Zu den dem Assoziationsrat zur Last fallenden Pflichtverletzungen

274 Hinsichtlich des Assoziationsrates genügt der Hinweis, dass er gemäß Artikel 22 des Assoziierungsabkommens die Hauptaufgabe hat, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens und seine Einhaltung durch die Vertragsparteien sicherzustellen.

275 Es steht jedoch fest, dass der Assoziationsrat mehr als 20 Jahre lang keine Maßnahme ergriff, um die Einhaltung der Vorschriften über die Ausgleichsabgabe durch die Republik Türkei zu gewährleisten.

b) Zum Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht

276 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerinnen keine betrügerische Absicht hatten.

277 Nach Auffassung der Klägerin unterlief der Kommission hingegen ein Beurteilungsfehler mit ihrer in den angefochtenen Entscheidungen enthaltenen Feststellung, dass ihnen eine offensichtliche Fahrlässigkeit anzulasten sei, da die Regelung der Voraussetzungen für die Erteilung einer A.TR.1-Bescheinigung bekannt und relativ einfach sei, so dass sie sich ihrer Kenntnis nicht hätten entziehen können, und dass sie als sorgfältige Wirtschaftsteilnehmer ernste Zweifel an der Gültigkeit der streitigen Bescheinigungen hätten haben müssen.

278 Wie oben ausgeführt, entspricht die Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 der offensichtlichen Fahrlässigkeit oder betrügerischen Absicht im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79.

279 Für die Beurteilung, ob der Irrtum im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erkennbar war, sind nach der Rechtsprechung namentlich die genaue Art des Irrtums, die professionelle Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers und die von ihm aufgewandte Sorgfalt zu berücksichtigen (in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes in der Rechtssache Deutsche Fernsprecher, zitiert in Randnr. 148 oben, Randnr. 24, vom 8. April 1992 in der Rechtssache C-371/90, Beirafrio, Slg. 1992, I-2715, Randnr. 21, vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-187/91, Belovo, Slg. 1992, I-4937, Randnr. 17, und Hewlett Packard France, zitiert in Randnr. 192 oben, Randnr. 22; vgl. zu Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 auch Urteil Söhl & Söhlke, zitiert in Randnr. 26 oben, Randnrn. 51 bis 60). Diese Beurteilung ist anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (Urteil Faroe Seafood u. a., zitiert in Randnr. 194 oben, Randnr. 101).

280 Im Lichte dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die Kommission zu Recht zu dem Schluss gelangen konnte, dass den Klägerinnen offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei.

281 Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Klägerinnen Unternehmen sind, die mit der Einfuhr elektronischer Erzeugnisse eine gewisse Erfahrung besitzen.

282 Zweitens beurteilt sich die Art des Irrtums insbesondere nach dem Zeitraum, in dem die Behörden in ihrem Irrtum verharrten (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-38/95, Foods Import, Slg. 1996, I-6543, Randnr. 30), und nach der Komplexität der fraglichen Bestimmungen (Urteil des Gerichtshofes vom 4. Mai 1993 in der Rechtssache C-292/91, Weis, Slg. 1993, I-2219, Randnr. 17).

283 Im vorliegenden Fall ist offenkundig, dass die türkischen Zollbehörden mindestens im gesamten maßgeblichen Zeitraum, also mehr als drei Jahre lang, A.TR.1-Bescheinigungen für Waren ausstellten, die die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigungen nicht erfuellten.

284 Entgegen dem Vorbringen der Kommission war die fragliche Regelung zudem besonders komplex.

285 Die Klägerinnen konnten sich nämlich nicht bereits durch bloßes Lesen der Präferenzregelung, d. h. der Artikel 2 und 3 des Zusatzprotokolls und der zu ihrer Durchführung erlassenen Beschlüsse des Assoziationsrates, Aufschluss darüber verschaffen, dass den türkischen Zollbehörden mit der Ausstellung der A.TR.1-Bescheinigungen für die Farbfernsehgeräte ein Irrtum unterlief (in diesem Sinne Urteil Faroe Seafood u. a., zitiert in Randnr. 194 oben, Randnr. 100).

286 Wie oben erwähnt, wurden nämlich die Beschlüsse Nrn. 2/72 und 3/72, wie die Beklagte nicht bestreitet, nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

287 Dass diese beiden Beschlüsse nicht veröffentlicht wurden, wiegt besonders schwer. Es ist nämlich recht überraschend, dass die Beklagte den Klägerinnen zur Last legt, sie hätten von den Vorschriften über die Ausgleichsabgabe nicht Kenntnis genommen, obwohl einige davon nicht veröffentlicht wurden. So mussten die Wirtschaftsteilnehmer mangels Veröffentlichung des Beschlusses Nr. 2/72 nicht notwendig wissen, dass der Assoziationsrat für die Ausgleichsabgabe einen bestimmten Satz festgesetzt hatte (vgl. zur Einführung einer Ausgleichsabgabe Urteil Covita, zitiert in Randnr. 220 oben, Randnrn. 26 und 27). Da die Beschlüsse Nrn. 2/72 und 3/72 allgemeinen normativen Charakter hatten, war ihre Veröffentlichung im Amtsblatt grundsätzlich eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass sie gegenüber ihren Adressaten bindend werden konnten.

288 Selbst wenn die Klägerinnen gewusst hätten, dass für die Ausgleichsabgabe ein bestimmter Satz festgesetzt worden war, konnten sie überdies dem bloßen Wortlaut der auf der Rückseite der A.TR.1-Bescheinigungen abgedruckten Bedingungen nicht entnehmen, dass die türkischen Zollbehörden mit der Ausstellung einer solchen Bescheinigung für die streitigen Waren fehlerhaft handelten. Die Zollbehörden durften die A.TR.1-Bescheinigungen nämlich ohne Erhebung einer Ausgleichsabgabe ausstellen, sofern die Komponenten der betroffenen Fernsehgeräte entweder türkischen oder gemeinschaftlichen Ursprungs waren oder, wenn sie aus Drittländern stammten, in der Türkei in den freien Verkehr überführt worden waren.

289 Um den Irrtum der türkischen Zollbehörden zu erkennen, mußte man im Übrigen nicht nur die allgemeine Präferenzregelung im Einzelnen kennen, sondern auch wissen, dass die Republik Türkei sie nicht umgesetzt hatte. Nur wenn die Einführer wußten, dass das türkische Zollrecht keine Bestimmungen über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe umfasste, konnten sie erkennen, dass sie sich zu vergewissern hatten, dass die in die Fernsehgeräte eingebauten Komponenten drittländischen Ursprungs in der Türkei in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden waren. Die Kommission selbst ließ aber - trotz ihrer Pflicht, die Durchführung des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls zu überwachen - nicht nur mehr als 20 Jahre verstreichen, bevor sie feststellte, dass die türkischen Behörden die Vorschriften über die Ausgleichsabgabe nicht umgesetzt hatten, sondern benötigte überdies mehr als fünf Jahre und eine Untersuchung vor Ort, um den Stand der türkischen Vorschriften über die Einfuhr von Komponenten drittländischen Ursprungs in Erfahrung zu bringen.

290 Diese Vorschriften waren überdies von großer Komplexität. Zum einen hatten die türkischen Behörden das Ausfuhrförderungsprogramm geschaffen und zum anderen hatten sie für bestimmte wesentliche Komponenten wie Kathodenstrahlröhren eine Regelung über die Aussetzung der Eingangsabgaben erlassen. Wie einem Schreiben der Kommission vom 22. März 1995 zu entnehmen ist, galten die nach dieser Regelung eingeführten Komponenten jedoch unter bestimmten Voraussetzungen als gemäß dem Assoziierungsabkommen und dem Zusatzprotokoll in der Türkei in den freien Verkehr überführt. Der Einbau solcher Komponenten bedeutete somit nicht notwendig, dass eine Ausgleichsabgabe anfiel.

291 Drittens ist das Argument der Kommission zurückzuweisen, die Klägerinnen hätten angesichts der einschlägigen Bestimmungen Zweifel an der Gültigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen haben und sich deshalb bei den türkischen Herstellern/Exporteuren erkundigen oder in ihren Verträgen mit diesen vorsehen müssen, dass nur in der Türkei in den freien Verkehr überführte Komponenten drittländischen Ursprungs für die Herstellung der Farbfernsehgeräte verwendet werden dürften.

292 Wie die Klägerinnen und die Streithelfer mehrheitlich hervorgehoben haben, hat die Beklagte nämlich nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Klägerinnen die Gültigkeit der A.TR.1-Bescheinigungen hätten anzweifeln müssen. Das genannte Argument der Beklagten griffe aber nur durch, wenn sie nachweisen könnte, dass die Klägerinnen wussten oder hätten wissen müssen, dass die türkischen Behörden die Regelung über die Ausgleichsabgabe nicht umgesetzt hatten.

293 Wie bereits ausgeführt, erfuhr die Beklagte jedoch selbst erst nach mehr als 20 Jahren, dass die Regelung nicht umgesetzt worden war.

294 Daneben hat die Kommission zwar mehrfach auf die Preise verwiesen, zu denen die Importeure aus der Türkei stammende Farbfernsehgeräte erwarben, sie hat aber nicht nachgewiesen, dass das Preisniveau den Importeuren Anlass zu Zweifeln hätte geben müssen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Präferenzregelung erfuellt waren.

295 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Kommission im November 1992 eine Antidumping-Untersuchung zur Einfuhr aus der Türkei stammender Farbfernsehgeräte einleitete. Wie aus der Verordnung (EG) Nr. 2376/94 der Kommission vom 27. September 1994 zur Einführung eines vorläufigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Farbfernsehempfangsgeräten mit Ursprung in Malaysia, der Volksrepublik China, der Republik Korea, Singapur und Thailand (ABl. L 255, S. 50) hervorgeht, führte diese Untersuchung jedoch nicht zur Festsetzung von Zöllen auf die Einfuhren aus der Türkei stammender Geräte, obgleich solche Zölle für aus anderen Ländern stammende Farbfernsehgeräte durchaus festgesetzt wurden.

296 Gleichfalls zurückzuweisen ist das Argument der Kommission, die Klägerinnen hätten sich, da die türkischen Zollbehörden gemäß Artikel 9 des Beschlusses Nr. 5/72 vom Importeur im Rahmen der Einfuhrerklärung die Versicherung verlangen dürften, dass die Waren die Voraussetzungen für die Anwendung des Zusatzprotokolls erfuellten, notwendig nach der Herkunft und dem Zollstatus der Komponenten der Farbfernsehgeräte erkundigen müssen. Eine solche Informationspflicht bestand für die Importeure nämlich nur, soweit sie Zweifel hegten. Wie oben bereits ausgeführt, hat die Kommission aber nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Klägerinnen solche Zweifel hätten haben müssen. Im Übrigen haben mehrere Klägerinnen ohne Widerspruch seitens der Kommission geltend gemacht, dass die Herkunft und der Zollstatus der in die Geräte eingebauten Komponenten dem Geschäftsgeheimnis der Hersteller unterlägen und dass diese eine solche Angabe abgelehnt hätten.

297 Viertens haben alle Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass die Art und Weise, in der sie ihre Kaufverträge abschlossen und die streitigen Einfuhren vornahmen, üblicher Handelspraxis entsprach. Unter diesen Umständen trug die Kommission die Beweislast dafür, dass die Klägerinnen offensichtlich fahrlässig handelten (vgl. Urteil Eyckeler & Malt/Kommission, zitiert in Randnr. 87 oben, Randnr. 159).

298 Die Kommission hat aber einen solchen Beweis nicht anzutreten versucht. Auf eine diesbezügliche Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat sie nämlich nur die in den angefochtenen Entscheidungen enthaltenen Ausführungen wiederholt, wonach die Klägerinnen nicht mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hätten, da sie sich bei den Exporteuren nicht erkundigt hätten, dass die Komponenten drittländischen Ursprungs in der Türkei in den freien Verkehr überführt worden seien.

299 Zuletzt bleibt das Argument zu prüfen, das die Kommission aus dem Urteil Pascoal & Filhos (zitiert in Randnr. 207) herleitet. Sie macht geltend, der Gerichtshof habe in Randnummer 59 dieses Urteils festgestellt, dass die Gemeinschaft nicht die nachteiligen Folgen des rechtswidrigen Verhaltens der Lieferanten von Importeuren zu tragen habe, dass ferner der Importeur Klage auf Schadensersatz gegen den Urheber der Fälschung erheben könne und dass schließlich ein umsichtiger und mit der Rechtslage vertrauter Unternehmer bei der Einschätzung der Vorteile, die sich aus dem Handel mit Waren ergeben könnten, für die möglicherweise Zollpräferenzen gewährt werden, die Risiken berücksichtigen müsse, die auf dem Markt, auf dem er akquiriere, bestuenden, und sie als Teil der normalen Unzuträglichkeiten des Geschäftslebens in Kauf nehmen müsse.

300 Dieses Urteil bezieht sich jedoch nicht auf einen Fall wie den vorliegenden, in dem die Unregelmäßigkeiten bei Wareneinfuhren gemäß der Präferenzregelung auf schwerwiegende Pflichtverletzungen der Vertragsparteien eines Assoziierungsabkommens zurückgingen. In einem solchen Fall, in dem klare und genaue Informationen der nationalen oder Gemeinschaftsbehörden über die Art der hinsichtlich der Durchführung des Abkommens bestehenden Mängel fehlten, kann nämlich von einem sorgfältigen Importeur nicht verlangt werden, dass er die Pflichtverletzungen der Vertragsparteien des Abkommens kompensiert.

301 Demnach beruht die von der Kommission in den angefochtenen Entscheidungen getroffene Feststellung, die Klägerinnen hätten offensichtlich fahrlässig gehandelt, auf einem Beurteilungsfehler.

3. Ergebnis hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79

302 Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen der Vertragsparteien schufen für die Klägerinnen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die der gleichen Tätigkeit nachgingen, eine außergewöhnliche Lage. Sie trugen nämlich unzweifelhaft dazu bei, dass es zu den Unregelmäßigkeiten kam, die die Nacherhebung der Zölle von den Klägerinnen veranlassten.

303 Überdies kann den Klägerinnen nach den Umständen des vorliegenden Falles keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht zur Last gelegt werden.

304 Demnach beruht die in den angefochtenen Entscheidungen getroffene Feststellung der Kommission, die Voraussetzungen für den Erlass der Zölle gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 oder gegebenenfalls Artikel 239 des Zollkodex seien nicht erfuellt, auf einem offensichtlichen Beurteilungsfehler. Der vorliegende Klagegrund greift daher durch.

305 Da die Klagegründe einer Verletzung der Verteidigungsrechte und eines Verstoßes gegen Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 oder gegebenenfalls Artikel 239 des Zollkodex durchgreifen, sind die angefochtenen Entscheidungen für nichtig zu erklären, ohne dass über die übrigen von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe entschieden zu werden braucht.

Kostenentscheidung:

Kosten

306 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Antrag unterlegen ist und die Klägerinnen beantragt haben, ihr die Kosten aufzuerlegen, hat die Kommission die Kosten zu tragen.

307 Nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland, die dem Verfahren als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Entscheidungen REM 14/96, REM 15/96, REM 16/96, REM 17/96, REM 18/96, REM 19/96 und REM 20/96 vom 19. Februar 1997 und REM 21/96 vom 25. März 1997 über Anträge auf Erlass von Eingangsabgaben werden für nichtig erklärt.

2. Die an die Französische Republik gerichteten Entscheidungen REC 7/96, REC 8/96 und REC 9/96 vom 24. April 1997 über Anträge auf Nichterhebung und Erlass von Eingangsabgaben werden für nichtig erklärt.

3. Die an das Königreich der Niederlande gerichteten Entscheidungen REM 26/96 und REM 27/96 vom 5. Juni 1996 über Anträge auf Erlass von Eingangsabgaben werden für nichtig erklärt.

4. Die an das Königreich Belgien gerichtete Entscheidung REC 3/98 vom 26. März 1999 über einen Nichterhebungs- und Erlassantrag wird für nichtig erklärt.

5. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

6. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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