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Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 13.12.1999
Aktenzeichen: T-189/95
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung (EWG) Nr. 123/85, Verordnung (EG) Nr. 1475/95, Verordnung (EWG) Nr. 17/62


Vorschriften:

EGV Art. 173 (jetzt EGV Art. 230)
EGV Art. 85 (jetzt EGV Art. 81)
Verordnung (EWG) Nr. 123/85
Verordnung (EG) Nr. 1475/95
Verordnung (EWG) Nr. 17/62
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) gegeben ist, sind Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen, indem sie seine Rechtslage erheblich verändern. Allein das Schweigen eines Gemeinschaftsorgans kann keine derartigen Auswirkungen haben, wenn diese Folge in einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Soweit es keine ausdrücklichen Vorschriften gibt, nach denen bei Ablauf einer Frist eine stillschweigende Entscheidung anzunehmen und in denen der Inhalt dieser Entscheidung festgelegt ist, kann die Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans einer Entscheidung nicht gleichgestellt werden; andernfalls würde das Rechtsschutzsystem des EG-Vertrags beeinträchtigt.

Da weder die Verordnung Nr. 17 noch die Verordnung Nr. 99/63 vorsehen, daß das Fehlen einer Antwort der Kommission auf eine Aufforderung, tätig zu werden, einer Entscheidung gleichkäme, ist das Fehlen einer Antwort der Kommission auf eine derartige Aufforderung hin im Rahmen eines Verfahrens zur Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht als anfechtbare Handlung anzusehen. (vgl. Randnrn. 26-28)

2 Wenn die Kommission bei der Prüfung der bei ihr gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 eingereichten Beschwerden unterschiedliche Prioritäten setzt, kann sie nicht nur festlegen, in welcher Reihenfolge die Beschwerden geprüft werden, sondern eine Beschwerde auch wegen mangelnden Gemeinschaftsinteresses an der Fortführung der Untersuchung der Sache zurückweisen.

Das Ermessen der Kommission ist in dieser Hinsicht jedoch nicht unbegrenzt. So ist die Kommission zu einer Begründung verpflichtet, wenn sie die weitere Prüfung einer Beschwerde ablehnt. Diese Begründung muß so genau und detailliert sein, daß das Gericht die Ausübung des Ermessens der Kommission bei der Festlegung der Prioritäten wirksam überprüfen kann.

Diese Überprüfung darf nicht dazu führen, daß das Gericht seine Auffassung vom Gemeinschaftsinteresse an die Stelle derjenigen der Kommission setzt; sie soll vielmehr ermitteln, ob die streitige Entscheidung auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder einen Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweist. (vgl. Randnrn. 40-41)

3 Das Gericht ist befugt, von Amts wegen die Verletzung wesentlicher Formvorschriften und insbesondere der von der Gemeinschaftsrechtsordnung vorgesehenen Verfahrensgarantien zu prüfen. (vgl. Randnr. 43)

4 Wenn die Kommission im Rahmen einer ihr gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 eingereichten Beschwerde das Gemeinschaftsinteresse prüft, muß sie die Bedeutung der behaupteten Zuwiderhandlung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises ihres Vorliegens und das Ausmaß der erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen so gegeneinander abwägen, daß sie ihre Aufgabe, die Einhaltung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 und 82 EG) zu überwachen, bestmöglich erfuellen kann.

Dabei ist es sachgerecht, daß die Kommission bei der Prüfung des Gemeinschaftsinteresses im Rahmen einer Beschwerde nicht nur die Schwere der geltend gemachten Beeinträchtigung und das Ausmaß der Untersuchungsmaßnahmen berücksichtigt, die erforderlich sind, um das Vorliegen des Verstosses feststellen zu können, sondern auch, ob es erforderlich ist, die Rechtslage hinsichtlich der mit der Beschwerde gerügten Verhaltensweise zu klären und die Rechte und Pflichten der verschiedenen von diesem Verhalten betroffenen Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht zu bestimmen.

Im Rahmen der Prüfung einer Beschwerde über einen Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag im Sektor des Kraftfahrzeugvertriebs kann die Kommission - da die jeweiligen Rechte und Pflichten der beauftragten Vermittler, der Kraftfahrzeughersteller und der Vertriebshändler durch Gruppenfreistellungsverordnungen und eine Mitteilung der Kommission sowie durch die Rechtsprechung des Gerichts und des Gerichtshofes festgelegt und erläutert wurden -, ohne einen offensichtlichen Fehler zu begehen, davon ausgehen, daß die nationalen Gerichte und Behörden in der Lage sind, die in der Beschwerde der Klägerin behaupteten Verstösse zu untersuchen und deren sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte zu schützen.

Wenn nämlich zahlreiche Anhaltspunkte für die Annahme wettbewerbswidriger Verhaltensweisen mehrerer grosser Unternehmen sprechen, die demselben Wirtschaftszweig angehören, ist die Kommission befugt, ihre Bemühungen auf eines der betroffenen Unternehmen zu konzentrieren und zugleich die Wirtschaftsteilnehmer, die etwa durch die verbotene Verhaltensweise der anderen Zuwiderhandelnden Schäden erlitten haben, darauf hinzuweisen, daß ihnen der Weg zu den nationalen Gerichten offensteht. (vgl. Randnrn. 52, 56-57, 59)

5 Es ist Sache der Kommission, bei der ihr auf dem Gebiet des Wettbewerbs durch den EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 17 übertragenen Kontrolle gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung zu entscheiden, ob einstweilige Maßnahmen zu erlassen sind, wenn bei ihr ein derartiger Antrag gestellt wurde.

Dazu müssen zwei Voraussetzungen erfuellt sein: Zum einen müssen die Verhaltensweisen bestimmter Unternehmen dem ersten Anschein nach einen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln darstellen können, der durch eine Entscheidung der Kommission zu ahnden wäre. Zum anderen dürfen solche Maßnahmen nur bei Dringlichkeit ergriffen werden, um einer Situation zu begegnen, die geeignet ist, der die Maßnahmen beantragenden Partei einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen, oder die für die Allgemeinheit unerträglich ist. (vgl. Randnr. 66)


Urteil des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 13. Dezember 1999. - Service pour le groupement d'acquisitions (SGA) gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Kraftfahrzeugvertrieb - Prüfung von Beschwerden - Untätigkeits-, Nichtigkeits- und Schadensersatzklage. - Verbundene Rechtssachen T-189/95, T-39/96 und T-123/96.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen T-189/95, T-39/96 und T-123/96

Service pour le groupement d'acquisitions (SGA), Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Istres (Frankreich), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Jean-Claude Fourgoux, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Pierrot Schiltz, 4, rue Béatrix de Bourbon, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Rechtsberater Giuliano Marenco und Guy Charrier, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, dann durch Giuliano Marenco und Loïc Guérin, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 5. Juni 1996 über die Zurückweisung einer auf Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) gestützten Beschwerde der Klägerin, Nichtigerklärung einer angeblich stillschweigenden Entscheidung der Kommission, mit der sie es abgelehnt hat, aufgrund dieser Beschwerde einstweilige Maßnahmen zu erlassen, und wegen Schadensersatz

erläßtDAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter J. Pirrung und M. Vilaras,

Kanzler: A. Mair

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 1999

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Sachverhalt und Verfahren

Die Firma Service pour le groupement d'aquisitions (im folgenden: Klägerin) ist nach ihren Angaben in Frankreich als Vermittlerin im Sinne von Artikel 3 Ziffer 11 der Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge tätig (ABl. 1985, L 15, S. 16; diese Verordnung wurde am 1. Oktober 1995 durch die Verordnung [EG] Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 [ABl. L 145, S. 25] ersetzt).

2 Am 24. Juni 1994 legte die Klägerin bei der Kommission eine auf Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 - Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, 13, S. 204) gestützte Beschwerde ein. Diese am 4. Juli 1994 eingetragene Beschwerde richtete sich gegen den Hersteller der Kraftfahrzeugmarken Peugeot und Citroën (im folgenden: PSA).

3 Die Klägerin forderte die Kommission in ihrer Beschwerde auf, der PSA einstweilig aufzugeben, nicht mehr dadurch gegen Artikel 3 Ziffer 11 der Verordnung Nr. 123/85 zu verstoßen, daß sie auf die Vertragshändler in den anderen Mitgliedstaaten - namentlich in Belgien, Spanien, Italien und den Niederlanden - Druck ausübe, von der Klägerin keine Bestellungen anzunehmen.

4 Mit Schreiben vom 11. August 1994 teilte die Kommission der Klägerin u. a. mit, es lasse sich nicht beurteilen, ob die erbetenen einstweiligen Maßnahmen erforderlich seien; dazu müßte der Antrag näher erläutert werden.

5 Am 24. April 1995 sandte die Klägerin der Kommission gemäß Artikel 175 EG-Vertrag (jetzt Artikel 232 EG) ein Mahnschreiben, in dem sie die Kommission aufforderte, PSA die Beschwerdepunkte mitzuteilen und dem Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen stattzugeben.

6 Am 9. Oktober 1995 hat die Klägerin beim Gericht Klage erhoben auf Feststellung der Untätigkeit der Kommission, auf Nichtigerklärung der angeblich stillschweigenden Entscheidung der Kommission, mit der sie es abgelehnt habe, dem Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen stattzugeben, und auf Schadensersatz (Rechtssache T-189/95).

7 Am 6. November 1995 sandte die Kommission der Klägerin eine Mitteilung gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268). Am 4. Dezember 1995 legte die Klägerin zu dieser Mitteilung ihre Stellungnahme vor.

8 Am 8. Januar 1996 sandte die Klägerin der Kommission erneut ein Mahnschreiben, in dem sie sie aufforderte, einstweilige Maßnahmen zu ergreifen und eine im Klageweg anfechtbare Stellungnahme abzugeben.

9 Da die Kommission nicht reagierte, erhob die Klägerin am 15. März 1996 erneut Klage (Rechtssache T-39/96), ebenfalls auf Feststellung der Untätigkeit der Kommission, auf Nichtigerklärung einer angeblich stillschweigenden Entscheidung der Kommission, den Erlaß einstweiliger Maßnahmen abzulehnen, und auf Schadensersatz.

10 Mit Entscheidung vom 5. Juni 1996 wies die Kommission die Beschwerde der Klägerin zurück.

11 Mit Klageschrift, die am 8. August 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung und Schadensersatz erhoben (Rechtssache T-123/96).

12 Mit Beschluß vom 30. Januar 1997 hat das Gericht gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung beschlossen, die Entscheidung über die von der Kommission in der Rechtssache T-189/95 erhobene Einrede der Unzulässigkeit dem Endurteil vorzubehalten.

13 Mit Beschluß vom 1. Februar 1999 hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts beschlossen, die drei Rechtssachen im Hinblick auf die mündliche Verhandlung und eine gemeinsame Entscheidung zu verbinden.

14 Das Gericht hat die Parteien gemäß Artikel 64 seiner Verfahrensordnung aufgefordert, vor der mündlichen Verhandlung bestimmte Unterlagen vorzulegen. Das haben sie getan. Sie haben in der mündlichen Verhandlung am 2. März 1999 Ausführungen gemacht und auf die Fragen des Gerichts geantwortet.

15 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe den Akten, die sie auf Wunsch des Gerichts vorgelegt habe, ein Papier versehentlich beigefügt. Die Klägerin war nicht damit einverstanden, daß dieses Papier zurückgezogen werde. Der Präsident der Ersten Kammer hat nach der mündlichen Verhandlung beschlossen, es aus der Akte zu entfernen und der Kommission zurückzusenden.

16 Mit Schreiben vom 22. März 1999 an die Kanzlei des Gerichts hat der Vertreter der Klägerin eine Berichtigung der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 2. März 1999 mit der Begründung beantragt, daß sie sein Vorbringen zu diesem Papier nicht richtig wiedergebe. Das Gericht hat nach Anhörung der Beklagten beschlossen, über diesen Antrag in seinem Urteil zu entscheiden.

Anträge der Parteien

17 In der Rechtssache T-189/95 beantragt die Klägerin,

- die Untätigkeit der Kommission festzustellen;

- die stillschweigende Entscheidung für nichtig zu erklären, ihrem Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen nicht stattzugeben;

- festzustellen, daß die Kommission außervertraglich haftet, und der Klägerin den Betrag von 200 000 EUR zuzusprechen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

18 Die Kommission beantragt, - die Klage als unzulässig abzuweisen;

- hilfsweise festzustellen,

- daß die Klage gegenstandslos und hinsichtlich der Untätigkeit und der Behauptung ihrer außervertraglichen Haftung außerdem unbegründet ist;

- daß die Klage hinsichtlich der Anfechtung der angeblich stillschweigenden Entscheidung, keine einstweiligen Maßnahmen zu erlassen, unbegründet ist;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

19 In der Rechtssache T-39/96 beantragt die Klägerin,

- die Untätigkeit der Kommission festzustellen;

- sofern das Gericht der Auffassung ist, daß die Untätigkeit der Kommission in bezug auf den Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen einer ablehnenden Entscheidung entspricht, diese Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Klägerin den Betrag von 150 000 EUR als zusätzlichen Schadensersatz zuzusprechen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

20 Die Kommission beantragt,

- die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen, soweit sie sich auf ihre Haftung bezieht, und sie als unzulässig abzuweisen, soweit sie sich auf die Nichtigerklärung der angeblichen Entscheidung bezieht, es abzulehnen, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, und sie bezüglich der Untätigkeit als unbegründet abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

21 In der Rechtssache T-123/96 beantragt die Klägerin,

- die Entscheidung vom 5. Juni 1996 für nichtig zu erklären;

- festzustellen, daß die Gemeinschaft außervertraglich haftet und der Klägerin den Betrag von 360 000 EUR als Entschädigung zuzusprechen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

22 Die Kommission beantragt,

- die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit sie sich auf ihre Haftung bezieht, und sie als unbegründet abzuweisen, soweit sie sich auf die Nichtigerklärung der Entscheidung bezieht, ihre Beschwerde zurückzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

23 Die Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung aufgefordert, zu erklären, ob sie ihre Anträge in den Rechtssachen T-189/95 und T-39/96 aufrechterhalten wolle; mit Schreiben vom 6. April 1999 hat sie ihre Anträge auf Feststellung der Untätigkeit zurückgenommen. Die Kommission hat mit Schreiben vom 23. April 1999 von der Rücknahme dieser Anträge Kenntnis genommen, jedoch ihren Antrag aufrechterhalten, die Klägerin zu verurteilen, in diesen beiden Rechtssachen die Verfahrenskosten zu tragen.

Zum Antrag auf Berichtigung der Sitzungsniederschrift

24 Die von der Klägerin beantragte Berichtigung der Sitzungsniederschrift ist nicht veranlaßt. Der Satz, dessen Änderung beantragt wird, lautet: "le représentant de la partie requérante s'oppose au retrait du document déposé par erreur par la Commission" (Der Vertreter der Klägerin wendet sich dagegen, daß das von der Kommission versehentlich vorgelegte Dokument zurückgezogen wird). Dieser Satz gibt den wesentlichen Inhalt der Erklärungen des Vertreters der Klägerin richtig wieder, d. h. seinen Einspruch gegen ein Zurückziehen des Dokuments. Die Worte "von der Kommission versehentlich vorgelegt" bezeichnen nur das betreffende Dokument, bedeuten aber nicht, daß der Vertreter der Klägerin die Richtigkeit dieser Einlassung anerkannt hätte. Das Gericht ist indes in Anbetracht des Gesamtverhaltens der Vertreter der Kommission zu der Überzeugung gelangt, daß das streitige Dokument durchaus versehentlich vorgelegt wurde; es wurde also zu Recht so bezeichnet. Außerdem war es nicht notwendig, in der Sitzungsniederschrift die vom Vertreter der Klägerin vorgebrachte Rüge zu vermerken, daß die Verfahrensrechte verletzt seien; diese Rüge wurde vom Präsidenten der Kammer bei seinem Beschluß berücksichtigt, das fragliche Dokument aus der Akte zu entfernen.

Zur Zulässigkeit der Anträge auf Nichtigerklärung der angeblichen stillschweigenden Entscheidung, den Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen zurückzuweisen (Rechtssachen T-189/95 und T-39/96

25 Die Kommission bestreitet zwar nur in der Rechtssache T-39/96, daß die Klage - soweit sie auf die Nichtigerklärung der angeblichen stillschweigenden Entscheidung, den Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen zurückzuweisen, gerichtet ist - zulässig sei, jedoch ist es Sache des Gerichts, von Amts wegen auch in der Rechtssache T-189/95 zu prüfen, ob es eine anfechtbare Entscheidung darstellt, wenn die Kommission auf einen solchen in der Beschwerde gestellten Antrag nicht eingeht.

26 Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) gegeben ist, sind Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen, indem sie seine Rechtslage erheblich verändern (Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639, Randnr. 9). Allein das Schweigen eines Gemeinschaftsorgans kann keine derartigen Auswirkungen haben, wenn diese Folge in einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

27 Das Gemeinschaftsrecht sieht in bestimmten besonderen Fällen vor, daß das Schweigen eines Gemeinschaftsorgans einer Entscheidung gleichzusetzen ist, wenn es zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert wurde und sich bis zum Ablauf einer bestimmten Frist nicht geäußert hat. Soweit es keine ausdrücklichen Vorschriften gibt, nach denen bei Ablauf einer Frist eine stillschweigende Entscheidung anzunehmen und in denen der Inhalt dieser Entscheidung festgelegt ist, kann die Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans einer Entscheidung nicht gleichgestellt werden; somit würde das Rechtsschutzsystem des EG-Vertrags beeinträchtigt.

28 Weder die Verordnung Nr. 17 noch die Verordnung Nr. 99/63 sieht vor, daß das Fehlen einer Antwort der Kommission auf eine Aufforderung, tätig zu werden, einer Entscheidung gleichkäme.

29 Zwar heißt es in der Rechtsprechung, daß eine Entscheidung, in der sich die Kommission zu einem Teil der Verstöße äußert, die Gegenstand einer Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 sind, ohne anzugeben, wie sie die anderen, in derselben Beschwerde vorgebrachten Vorwürfe zu behandeln beabsichtigt, als eine teilweise stillschweigende Zurückweisung dieser Beschwerde angesehen werden kann (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 19. Oktober 1995 in der Rechtssache C-19/93 P, Rendo u. a./Kommission, Slg. 1995, I-3319, Randnrn. 28 f.). Als die Klagen in den Rechtssachen T-189/95 und T-39/96 erhoben wurden, hatte die Kommission jedoch keine Teilentscheidung getroffen, die als eine stillschweigende Ablehnung des Antrags auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen hätte angesehen werden können. Demzufolge sind die Anträge auf Nichtigerklärung einer angeblich stillschweigenden Entscheidung, den Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen abzulehnen, unzulässig.

Zu dem Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 5. Juni 1996, die Beschwerde abzulehnen (Rechtssache T-123/96)

30 Die Klägerin hat in ihren Schriftsätzen vier Klagegründe vorgebracht. Der erste Klagegrund stützt sich auf eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften, insbesondere der Verfahrensgarantien, der zweite auf eine Verletzung des EG-Vertrags, der dritte auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission bei der Ausübung ihrer Befugnis, einstweilige Maßnahmen zu ergreifen, und der vierte auf einen Ermessensmißbrauch.

31 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zwei neue Klagegründe vorgebracht. Danach sei die Entscheidung zum einen bereits deshalb für nichtig zu erklären, weil zwischen der Beschwerde und der angefochtenen Entscheidung unangemessen viel Zeit verstrichen sei, zum anderen sei die Entscheidung nicht hinreichend begründet.

32 Zunächst sind der erste und der zweite Klagegrund sowie die beiden in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Klagegründe gemeinsam zu untersuchen, mit denen geltend gemacht wird, daß die Kommission bei der Bearbeitung der Beschwerde ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.

Zu den Klagegründen, die sich darauf stützen, die Kommission habe bei der Bearbeitung der Beschwerde ihre Pflichten verletzt

Vorbringen der Parteien

33 Mit ihrem ersten Klagegrund, der sich auf eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften, insbesondere von Verfahrensgarantien stützt, wirft die Klägerin der Kommission vor, ihre Beschwerde nicht pflichtgemäß sorgfältig und neutral geprüft zu haben.

34 Der zweite Klagegrund ist in drei Teile gegliedert. Mit dem ersten Teil wirft die Klägerin der Kommission vor, sie habe dadurch einen offensichtlichen Fehler begangen, daß sie die ihr vorgelegten Beweismittel verfälscht habe. Sie habe sie nicht ernsthaft geprüft und sie außerdem unterbewertet. Insofern sei ihr hinsichtlich dieser Beweismittel ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen.

35 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Kommission habe das Gemeinschaftsinteresse offensichtlich falsch beurteilt.

36 Mit dem dritten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin einen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung des Schwerpunkts des Verstoßes und der Befugnisse der französischen Gerichte und Verwaltungsbehörden geltend.

37 Die Kommission erklärt, sie sei befugt und sogar verpflichtet, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel vorrangig für die Angelegenheiten zu verwenden, die von hinreichendem gemeinschaftlichem Interesse seien.

38 Außerdem bestreitet sie die Zulässigkeit des auf eine Verletzung der Verfahrensgarantien und wesentlicher Formvorschriften gestützten Klagegrundes mit der Begründung, die Vorwürfe der Klägerin seien unsubstantiiert.

Würdigung durch das Gericht

39 Die Pflichten, die die Kommission zu beachten hat, wenn sie mit einer Beschwerde befaßt ist, ergeben sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts, zuletzt aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 4. März 1999 in der Rechtssache C-119/97 P (Ufex u. a./Kommission, Slg. 1999, I-1341, Randnrn. 86 ff.).

40 Danach kann die Kommission, wenn sie bei der Prüfung der bei ihr eingereichten Beschwerden unterschiedliche Prioritäten setzt, nicht nur festlegen, in welcher Reihenfolge die Beschwerden geprüft werden, sondern eine Beschwerde auch wegen mangelnden Gemeinschaftsinteresses an der Fortführung der Untersuchung der Sache zurückweisen (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1995 in der Rechtssache T-5/93, Tremblay u. a./Kommission, Slg. 1995, II-185, Randnr. 60).

41 Das Ermessen der Kommission ist in dieser Hinsicht jedoch nicht unbegrenzt. So ist die Kommission zu einer Begründung verpflichtet, wenn sie die weitere Prüfung einer Beschwerde ablehnt. Diese Begründung muß so genau und detailliert sein, daß das Gericht die Ausübung des Ermessens der Kommission bei der Festlegung der Prioritäten wirksam überprüfen kann (vgl. Urteil Ufex u. a./Kommission, Randnrn. 89 bis 95). Diese Überprüfung darf nicht dazu führen, daß das Gericht seine Auffassung vom Gemeinschaftsinteresse an die Stelle derjenigen der Kommission setzt; sie soll vielmehr ermitteln, ob die streitige Entscheidung auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder einen Rechtsfehler, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweist (vgl. Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90, Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223, Randnr. 80).

42 Der erste und der zweite Klagegrund der Klägerin sowie die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Klagegründe sind im Licht dieser Grundsätze zu untersuchen.

43 Was die Zulässigkeit des ersten Klagegrundes angeht, ist das Gericht befugt, von Amts wegen die Verletzung wesentlicher Formvorschriften und insbesondere der von der Gemeinschaftsrechtsordnung vorgesehenen Verfahrensgarantien zu prüfen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-291/89, Interhotel/Kommission, Slg. 1991, I-2257, Randnr. 14). Dasselbe gilt für den in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Klagegrund, daß die angefochtene Entscheidung unzureichend begründet sei.

44 Die Entscheidung vom 5. Juni 1996 legt jedoch klar die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen dar, deretwegen die Kommission ein ausreichendes Gemeinschaftsinteresse verneint hat. Demzufolge ist die auf eine Verletzung der Begründungspflicht gestützte Rüge unbegründet.

45 Die Begründung der angefochtenen Entscheidung zeigt auch, daß die Kommission die von der Klägerin vorgebrachten Beweismittel ebenso wie - was im vorliegenden Fall eine neutrale Analyse gebietet - die Äußerungen der PSA, die diese auf Aufforderung der Kommission zu den in der Beschwerde enthaltenen Vorwürfen abgegeben hat, aufmerksam geprüft hat. Damit ist die Rüge, die Kommission habe ihre Pflicht verletzt, die Beschwerde mit der erforderlichen Sorgfalt zu prüfen, unbegründet.

46 Bezüglich des in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Klagegrunds der überlangen Dauer des Verfahrens vor der Kommission ist zu bemerken, daß gemäß Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Der vorliegende Klagegrund kann nicht als eine Erweiterung eines bereits vorher - ausdrücklich oder stillschweigend - in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels angesehen werden, das einen engen Zusammenhang mit diesem aufweist, und ist deshalb unzulässig. Im übrigen braucht dieser Klagegrund unter den Umständen des vorliegenden Falls nicht von Amts wegen geprüft zu werden.

47 Was dann den ersten Teil des zweiten Klagegrunds - Verkennung der Beweiskraft der von der Klägerin vorgelegten Beweismittel - angeht, so hat die Klägerin im Anhang zu ihrer Beschwerde und im Rahmen ihres anschließenden Schriftwechsels mit der Kommission zum einen verschiedene Unterlagen, in denen auf ihre Schwierigkeiten hingewiesen wird, Fahrzeuge von in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere in Italien und den Niederlanden, niedergelassenen PSA-Vertragshändlern zu erhalten, und zum anderen Schreiben als Nachweis dafür vorgelegt, daß die PSA versucht habe, die Märkte durch die Ausübung von Druck auf ihre ausländischen Vertragshändler abzuschotten, um sie davon abzuhalten, Kraftfahrzeuge an Vermittler zu liefern.

48 Soweit diese Unterlagen der Beschwerde beigefügt waren, hat sich die PSA dazu eingehend geäußert, um die Vorwürfe der Klägerin zu widerlegen. Die PSA hat insbesondere bestritten, daß sie die Tätigkeit von Vermittlern behindere, die gemäß Artikel 3 Ziffer 11 der Verordnung Nr. 123/85 handelten.

49 Die Kommission nahm bei ihrer Würdigung der Beweiskraft der von der Klägerin vorgelegten Beweismittel nicht zu der Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und der PSA über die Auslegung dieser Mittel Stellung. Sie hielt beide Thesen für vertretbar, d. h., daß die Weigerung des PSA-Netzes, zu verkaufen, sich auf die beauftragten Vermittler oder ausschließlich auf die unabhängigen Wiederverkäufer beziehen könne. Diese Beurteilung ist nicht offensichtlich falsch. Die PSA hat zu den von der Klägerin vorgebrachten Gesichtspunkten außerdem eine plausible Begründung gegeben, wonach sich die PSA ausschließlich gegen die Tätigkeit der unabhängigen Wiederverkäufer wende, was nicht wettbewerbswidrig ist. Die Kommission konnte deshalb im vorliegenden Fall nicht annehmen, daß ein Verstoß vorliege (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. Januar 1999 in der Rechtssache T-185/96, T-189/96 und T-190/96, Riviera auto service u. a./Kommission, Slg. 1999, II-93, Randnr. 47).

50 Hinzu kommt, daß die angefochtene Entscheidung bezüglich der Tätigkeit der Klägerin keinen offensichtlichen Fehler aufweist. Die Kommission hat nämlich die Zurückweisung der Beschwerde nicht auf die Feststellung gestützt, daß die Klägerin nicht nur als Vermittlerin, sondern auch als unabhängige Wiederverkäuferin tätig sei. Sie hält lediglich beide Hypothesen für vertretbar. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Erläuterungen zu den Beziehungen mit der Firma Sodima sind als Nachweis dafür, daß sie nur als Vermittlerin aufgetreten sei, nicht ausreichend, weil sie erst in der mündlichen Verhandlung durch bloße Erklärungen ihres Rechtsanwalts vorgetragen wurden und sich nicht aus den dem Gericht übergebenen Aktenstücken ergeben.

51 Demzufolge ist die Rüge, daß hinsichtlich der Beweiskraft der von der Klägerin vorgelegten Beweismittel ein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliege, unbegründet.

52 Was den zweiten Teil dieses Klagegrundes - offensichtlich falsche Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses bei der Prüfung der Beschwerde - angeht, ist es Sache des Gerichts, zu prüfen, ob sich aus der Entscheidung ergibt, daß die Kommission die Bedeutung der behaupteten Zuwiderhandlung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises ihres Vorliegens und das Ausmaß der erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen so gegeneinander abgewogen hat, daß sie ihre Aufgabe, die Einhaltung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 und 82 EG) zu überwachen, bestmöglich erfuellen kann (vgl. Urteil Automec/Kommission, Randnr. 86, Urteil Tremblay u. a./Kommission, Randnr. 62, und Urteil Riviera auto service u. a./Kommission, Randnr. 46).

53 Wenn die Kommission die Prioritäten bei der Bearbeitung der ihr vorliegenden Beschwerden festlegt, darf sie bestimmte Situationen, die in die ihr mit dem EG-Vertrag erteilte Zuständigkeit fallen, nicht von vornherein von ihrem Tätigkeitsbereich ausschließen. Sie hat sich in jedem Fall ein Urteil über die Schwere der geltend gemachten Wettbewerbsbeeinträchtigungen zu bilden (Urteil Ufex u. a./Kommission, Randnrn. 92 f.).

54 Die angefochtene Entscheidung enthält keinerlei Hinweis darauf, daß die Kommission verkannt hätte, daß das der PSA vorgeworfene Verhalten, nämlich die Behinderung von Paralleleinfuhren von Kraftfahrzeugen durch beauftragte Vermittler, wäre es bewiesen, einen besonders ernsten Wettbewerbsverstoß darstellen würde.

55 Um entscheiden zu können, ob ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorlag, hätte die Kommission außerdem weitere Beweismittel beiziehen müssen. Das hätte wahrscheinlich Untersuchungsmaßnahmen im Sinne der Artikel 11 ff. der Verordnung Nr. 17 und vor allem Nachprüfungen gemäß Artikel 14 Absatz 3 dieser Verordnung erforderlich gemacht. Die Auffassung der Kommission, die Ermittlungen, die notwendig seien, damit sie sich im vorliegenden Fall zum Vorliegen der von der Klägerin behaupteten Verstöße äußern könne, erforderten den Einsatz erheblicher Mittel, ist daher nicht offensichtlich falsch.

56 Außerdem ist es sachgerecht, daß die Kommission bei der Prüfung des Gemeinschaftsinteresses im Rahmen einer Beschwerde nicht nur die Schwere der geltend gemachten Beeinträchtigung und das Ausmaß der Untersuchungsmaßnahmen berücksichtigt, die erforderlich sind, um das Vorliegen des Verstoßes feststellen zu können, sondern auch, ob es erforderlich ist, die Rechtslage hinsichtlich der mit der Beschwerde gerügten Verhaltensweise zu klären und die Rechte und Pflichten der verschiedenen von diesem Verhalten betroffenen Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht zu bestimmen.

57 In der angefochtenen Entscheidung wird zu Recht hervorgehoben, daß die jeweiligen Rechte und Pflichten der beauftragten Vermittler, der Kraftfahrzeughersteller und der Vertriebshändler durch die Gruppenfreistellungsverordnungen Nr. 123/85 und die vorgenannte Nr. 1475/95 vom 28. Juni 1995, die Mitteilung 91/C 329/06 der Kommission vom 4. Dezember 1991 mit dem Titel "Klarstellung der Tätigkeit von Kraftfahrzeugvermittlern" (ABl. C 329, S. 20) sowie durch die Rechtsprechung des Gerichts bzw. des Gerichtshofes in den Urteilen vom 22. April 1993 in der Rechtssache T-9/92 (Peugeot/Kommission, Slg. 1993, II-493) und vom 16. Juni 1994 in der Rechtssache C-322/93 P (Peugeot/Kommission, Slg. 1994, I-2727) festgelegt und erläutert wurden. Daher konnte die Kommission - ohne einen offensichtlichen Fehler zu begehen - davon ausgehen, daß die nationalen Gerichte und Behörden in der Lage seien, die in der Beschwerde der Klägerin behaupteten Verstöße zu untersuchen und deren sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte zu schützen.

58 Daß die Kommission in der Sache Volkswagen (Entscheidung 98/273/EG vom 28. Januar 1998 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [Sache IV/35.733 - VW]) (ABl. L 124, S. 60) Verhaltensweisen untersucht hat, die auf den ersten Blick denen entsprechen, die die Klägerin der PSA und deren Vertriebsnetz vorwirft und die einen anderen Kraftfahrzeughersteller betreffen, beweist nicht, daß die Kommission in der vorliegenden Rechtssache bei der Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses einen Ermessensfehler begangen hätte.

59 Wenn nämlich zahlreiche Anhaltspunkte für die Annahme wettbewerbswidriger Verhaltensweisen mehrerer großer Unternehmen sprechen, die demselben Wirtschaftszweig angehören, ist die Kommission befugt, ihre Bemühungen auf eines der betroffenen Unternehmen zu konzentrieren und zugleich die Wirtschaftsteilnehmer, die etwa durch die verbotene Verhaltensweise der anderen Zuwiderhandelnden Schäden erlitten haben, darauf hinzuweisen, daß ihnen der Weg zu den nationalen Gerichten offensteht. Andernfalls wäre die Kommission gezwungen, ihre Mittel auf mehrere umfangreiche Untersuchungen aufzuteilen, was die Gefahr zur Folge hätte, daß keine dieser Untersuchungen gut zu Ende geführt werden könnte. Der Vorteil für die gemeinschaftliche Rechtsordnung, der sich aus der Präzedenzwirkung einer Entscheidung gegen eines der zuwiderhandelnden Unternehmen ergibt, ginge also verloren, namentlich für die Wirtschaftsteilnehmer, die durch die Verhaltensweise der anderen Unternehmen geschädigt wurden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Kommission bereits mit ihrer Entscheidung 92/154/EWG vom 4. Dezember 1991 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag in der Sache IV/33.157 - Eco System/Peugeot (ABl. L 66, S. 1) gegen Peugeot vorgegangen war, die Gegenstand der Urteile vom 22. April 1993 (Peugeot/Kommission) und vom 16. Juni 1994 (Peugeot/Kommission) waren.

60 Daher kann aus der Tatsache, daß die Kommission es vorgezogen hat, die Beschwerden weiter zu prüfen, die zu ihrer Entscheidung in der Volkswagen-Sache geführt hatten, anstatt den Beschwerden gegen die PSA weiter nachzugehen, nicht geschlossen werden, daß die Kommission ihrer Pflicht nicht nachgekommen wäre, in jedem Einzelfall die Schwere der geltend gemachten Beeinträchtigungen und das gemeinschaftliche Interesse an ihrem Eingreifen zu prüfen, oder daß sie in dieser Hinsicht einen Beurteilungsfehler begangen hätte.

61 Was den dritten Teil des Klagegrunds - offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Schwerpunkts des Verstoßes - angeht, so kann die angefochtene Entscheidung nicht so verstanden werden, daß die Kommission der Auffassung gewesen wäre, daß allein deshalb kein gemeinschaftliches Interesse an ihrem Eingreifen bestehe, weil der Schwerpunkt der mit der Beschwerde gerügten Vorgänge innerhalb eines einzigen Mitgliedstaates gelegen hätte. Dies war nur einer der Umstände, den sie im Rahmen ihrer Beurteilung berücksichtigte, und der Wortlaut der angefochtenen Entscheidung macht deutlich, daß dieser Gesichtspunkt in der Entscheidung nur hilfsweise angeführt wird.

62 Außerdem ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, daß die Kommission den grenzübergreifenden Charakter der fraglichen Vorgänge nicht übersehen hat. Sie ist allerdings zu Recht der Auffassung, daß die wichtigsten von dieser Sache betroffenen Teilnehmer, d. h. der Hersteller, die Klägerin und die Verbraucher, die Kunden der Klägerin sind, in Frankreich ansässig sind, und daß die französischen Gerichte und Verwaltungsbehörden für Streitigkeiten zwischen der Klägerin und der PSA sowie deren Netz zuständig sind. Die nationalen Gerichte sind insbesondere besser als die Kommission in der Lage, den Sachverhalt zu untersuchen, was erforderlich ist, um über die Frage befinden zu können, ob die Klägerin nur als Vermittlerin oder auch als unabhängige Wiederverkäuferin tätig ist.

63 Die Klägerin bestreitet zwar, daß die nationalen Gerichte in der Lage seien, ihre Rechte zu schützen, hat diese Auffassung jedoch nicht durch konkrete Angaben gestützt, aus denen sich ergäbe, daß die Regeln der internationalen Zuständigkeit und der Rechtshilfe es den französischen Gerichten nicht erlaubten, die grenzübergreifenden Gesichtspunkte des Streits zu berücksichtigen.

64 Demzufolge weist die von der Kommission vorgenommene Einschätzung des Gemeinschaftsinteresses daran, die Beschwerde der Klägerin weiter zu verfolgen, im Hinblick auf die Lokalisierung der rechtserheblichen Tatsachen keine offensichtlichen Fehler auf.

65 Daraus folgt, daß der erste und der zweite Klagegrund sowie die beiden in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Klagegründe zurückzuweisen sind.

Zum dritten Klagegrund: Offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission im Hinblick auf den Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen

66 Es ist Sache der Kommission, bei der ihr auf dem Gebiet des Wettbewerbs durch den EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 17 übertragenen Kontrolle gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung zu entscheiden, ob einstweilige Maßnahmen zu erlassen sind. Dazu müssen zwei Voraussetzungen erfuellt sein: Zum einen müssen die Verhaltensweisen bestimmter Unternehmen dem ersten Anschein nach einen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln darstellen können, der durch eine Entscheidung der Kommission zu ahnden wäre. Zum anderen dürfen solche Maßnahmen nur bei Dringlichkeit ergriffen werden, um einer Situation zu begegnen, die geeignet ist, der die Maßnahmen beantragenden Partei einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen, oder die für die Allgemeinheit unerträglich ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 28).

67 Die Klägerin hat im vorliegenden Fall einstweilige Maßnahmen nur beantragt, ohne anzugeben, inwiefern die Voraussetzungen ihres Erlasses erfuellt wären. Außerdem hat sie die Begründetheit ihres Antrags nicht nachgewiesen, nachdem sie das (vorstehend unter Randnr. 4 erwähnte) Schreiben der Kommission vom 11. August 1994 erhalten hatte. Unter diesen Umständen ist kein Beurteilungsfehler der Kommission festzustellen. Demzufolge ist der dritte Klagegrund unbegründet.

Zum vierten Klagegrund: Ermessensmißbrauch

68 Die Klägerin hat sich in ihren Schriftsätzen darauf beschränkt, in abstrakter Weise Rechtsgrundsätze und Urteile zum Begriff Ermessensmißbrauch zu zitieren, ohne zu erläutern, warum ihrer Ansicht nach diesem Klagegrund stattgegeben werden sollte. Sie erfuellt also nicht die Voraussetzungen von Artikel 19 der EG-Satzung des Gerichtshofes und von Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts und ist demzufolge als unzulässig zurückzuweisen.

69 Daraus folgt, daß der Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 5. Juni 1996 unbegründet ist.

Zu den Schadensersatzanträgen (Rechtssachen T-189/95, T-39/96 und T-123/96)

Vorbringen der Parteien

70 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe einen Fehler begangen, der eine außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslöse, da sie ihrer Pflicht aus Artikel 3 EG-Vertrag und aus Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 nicht nachgekommen sei, einen Verstoß eines Unternehmens gegen das Gemeinschaftsrecht zu beseitigen, und ihr durch ihre Untätigkeit einen Schaden verursacht habe.

71 Die Kommission bestreitet die Zulässigkeit der Schadensersatzanträge mit der Begründung, daß die Klagen nicht den Vorschriften des Artikels 19 der Satzung des Gerichtshofes und des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts entsprächen. Außerdem seien die Schadensersatzanträge unbegründet. Sie meint, bei der Bearbeitung der Beschwerde könne ihr kein fehlerhaftes Verhalten vorgeworfen werden, und die Klägerin habe weder das tatsächliche Vorliegen eines Schadens noch das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden und der angeblichen Untätigkeit nachgewiesen.

Würdigung durch das Gericht

72 Nach ständiger Rechtsprechung sind Schadensersatzanträge zurückzuweisen, soweit sie in einem engen Zusammenhang mit Nichtigkeitsanträgen stehen, die ihrerseits zurückgewiesen wurden (Urteile des Gerichts in der Rechtssache Riviera auto service u. a./Kommission, Randnr. 90, und vom 18. Juni 1996 in der Rechtssache T-150/94, Vela Palacios/WSA, Slg. ÖD 1996, II-877, Randnr. 51). Die Kommission ist zudem nach ständiger Rechtsprechung nicht verpflichtet, wenn ihr eine Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 vorliegt, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der angebliche Verstoß vorliegt oder nicht, es sei denn, daß die Beschwerde in ihre ausschließliche Zuständigkeit fällt, was hier nicht der Fall ist (vgl. z. B. Tremblay u. a./Kommission, Randnr. 59). Daraus folgt, daß das Verhalten der Kommission, das mit den vorliegenden Schadensersatzanträgen gerügt wird, keinen Fehler darstellt, der eine Haftung der Gemeinschaft auslösen könnte.

73 Unter diesen Umständen sind die Schadensersatzanträge zurückzuweisen, ohne daß die Frage geprüft werden müßte, ob das Vorbringen der Klägerin zur Art und zum Umfang des Schadens sowie zum Kausalzusammenhang zwischen dem der Kommission vorgeworfenen Verhalten und diesem Schaden im Hinblick auf die Voraussetzungen von Artikel 19 der Satzung des Gerichtshofes und Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts ausreicht.

Kostenentscheidung:

Kosten

74 Nach Artikel 87 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nimmt eine Partei gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 die Klage oder einen Antrag zurück, so wird sie auf Antrag der Gegenpartei zur Tragung der Kosten verurteilt. Die Kosten werden jedoch auf Antrag der Partei, die die Rücknahme erklärt, der Gegenpartei auferlegt, wenn dies wegen des Verhaltens dieser Partei gerechtfertigt erscheint. Nach Artikel 87 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht jedoch die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt oder wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist.

75 In der Rechtssache T-189/95 ist festzustellen, daß die von der Klägerin zurückgenommene Untätigkeitsklage verspätet erhoben worden ist; die Klägerin hatte die Kommission am 24. April 1995 aufgefordert, tätig zu werden, hat ihre Klage aber erst am 9. Oktober 1995 erhoben. Da die anderen mit dieser Klage gestellten Anträge unzulässig sind, sind die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

76 In der Rechtssache T-39/96 ist die von der Klägerin zurückgenommene Untätigkeitsklage dadurch gegenstandslos geworden, daß die Kommission die ablehnende Entscheidung getroffen hat; die übrigen Anträge der Klägerin sind unzulässig. Unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

77 Da die Klägerin in der Rechtssache T-123/96 mit ihren Anträgen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt in den Rechtssachen T-189/95 und T-123/96 die Kosten.

3. In der Rechtssache T-39/96 trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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