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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 27.02.1992
Aktenzeichen: T-19/91
Rechtsgebiete: EWG, Verordnung Nr. 17


Vorschriften:

EWG Art. 85 Abs. 1
EWG Art. 85 Abs. 3
Verordnung Nr. 17 Art. 15 Abs. 6
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Entscheidung zur Anwendung des Artikels 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17, mit der einem Unternehmen, das eine Vereinbarung angemeldet hat, der Schutz vor Geldbussen entzogen wird, stellt eine mit der Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag anfechtbare Handlung dar, da die Kommission mit einer solchen Handlung eine Maßnahme trifft, deren Rechtswirkungen die Interessen der betroffenen Unternehmen berühren und die für diese verbindlich ist.

2. Aus Artikel 10 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 17 geht hervor, daß eine Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen nur vor Erlaß einer endgültigen Entscheidung der Kommission erforderlich ist, durch die ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt oder umgekehrt auf Antrag ein Negativattest erteilt oder durch die gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag festgestellt werden soll, daß Artikel 85 Absatz 1 auf den mitgeteilten Vertrag unanwendbar ist. Die Kommission ist daher nicht zur Anhörung dieses Ausschusses verpflichtet, wenn sie beabsichtigt, eine Entscheidung zur Anwendung des Artikels 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 zu erlassen, mit der einem Unternehmen, das eine Vereinbarung angemeldet hat, der Schutz vor Geldbussen entzogen wird, weil sie nach vorläufiger Beurteilung der Vereinbarung die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag als erfuellt ansieht und die Gewährung einer Ausnahme aufgrund von Artikel 85 Absatz 3 für nicht gerechtfertigt hält.

3. Wegen der mit einer Mitteilung nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 verbundenen Wirkungen kann eine solche Mitteilung nur dann rechtmässig erfolgen, wenn das betroffene Unternehmen in Übereinstimmung mit Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und der von der Kommission vorliegend befolgten Verfahrensweise in die Lage versetzt wurde, seinen Standpunkt zu den ihm vorgeworfenen Beschwerdepunkten zweckdienlich zu äussern. Auch wenn nämlich die Tatsachen und Schriftstücke, auf die sich die Kommission stützt, dem betroffenen Unternehmen bekannt sind, da es diese zuvor der Kommission bei der Anmeldung selbst übermittelt hat, so verlangt doch die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, daß die Kommission, bevor sie eine Mitteilung gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 an das Unternehmen richtet, diesem bekannt gibt, welche Schlußfolgerungen sie aufgrund der erfolgten Anmeldung zu ziehen gedenkt, und welche Überlegungen dem zugrunde liegen.

4. Die Kommission kann eine Entscheidung aufgrund von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 erlassen, wenn der von ihr im Rahmen ihrer vorläufigen Beurteilung festgestellte Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 schwer und offensichtlich ist.

Dies ist insbesondere der Fall, wenn bei der Kommission bereits Beschwerden gegen die mitgeteilte Vereinbarung eingegangen sind und das betroffene Unternehmen sowohl aufgrund der Praxis der Kommission als auch aufgrund der Rechtsprechung der Gerichte der Mitgliedstaaten erkennen konnte, daß die mitgeteilte Vereinbarung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verstieß.

5. Ein selektives oder ausschließliches Vertriebssystem kann eine Wettbewerbserscheinung sein, die mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag vereinbar ist, wenn feststeht, daß zur Wahrung der Qualität der fraglichen Produkte und zur Gewährleistung ihres richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebssystem erforderlich ist, sofern die Auswahl der Wiederverkäufer nach objektiven Gesichtspunkten qualitativer Art erfolgt, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers, seines Personals und seiner sachlichen Ausstattung beziehen, und sofern diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden.

Dies ist bei einem Vertriebssystem für Kosmetikprodukte, das den Vertrieb den niedergelassenen Apothekern vorbehält, nicht der Fall. Zum einen ist das Kriterium für den Zugang zum Vertriebsnetz hierbei nämlich ein quantitatives Kriterium, da in den meisten Mitgliedstaaten ein Numerus clausus für den Zugang zum Apothekerberuf besteht und es nicht darauf ankommt, ob die Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen auf eine bereits bestehende Rechtslage oder auf eine willentliche Entscheidung des Herstellers zurückgeht, soweit dieser nur Einfluß auf die festgestellte Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen hat. Zum anderen und vor allem ist das Kriterium der Niederlassung als Apotheker für den Vertrieb von Kosmetikprodukten keineswegs notwendig und somit unverhältnismässig, wenn es sich bei diesen Produkten nicht um Arzneimittel handelt und wenn sie mit solchen Produkten austauschbar sind, die über andere Vertriebswege vertrieben werden.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ZWEITE KAMMER) VOM 27. FEBRUAR 1992. - SOCIETE D'HYGIENE DERMATOLOGIQUE DE VICHY GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - ARTIKEL 85 EWG-VERTRAG - AUSSCHLIESSLICHES ODER SELEKTIVES VERTRIEBSSYSTEM - WETTBEWERBSWIDRIGER ZWECK ODER WIRKUNG - VERORDNUNG NR. 17 - ENTSCHEIDUNG ZUR ANWENDUNG VON ARTIKEL 15 ABSATZ 6. - RECHTSSACHE T-19/91.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Mit Schreiben vom 26. Juli 1985 meldeten die Laboratoires d' application dermatologique de Vichy et compagnie, Tochterfirma der Société d' hygiène dermatologique de Vichy (nachstehend: Vichy oder Klägerin), ihrerseits zu 100 % Tochterfirma des Konzerns L' Oréal, ein System des Alleinvertriebs über Apotheken für die Kosmetikprodukte von Vichy in Frankreich bei der Kommission an. Ziel der Anmeldung war die Erteilung eines Negativattests gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17, hilfsweise die Erklärung der Kommission gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17, daß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht auf die angemeldete Vereinbarung anwendbar sei.

2 Das angemeldete Vertriebssystem sah vor, ausschließlich niedergelassene Apotheker als Vertriebshändler der Vichy-Produkte zuzulassen. Im Anschluß an die Entscheidung des französischen Conseil de la concurrence (Nr. 87-D-15 vom 9. Juni 1987 zur Wettbewerbslage beim Vertrieb von Kosmetik- und Körperpflegeerzeugnissen über Apotheken, Premier rapport d' activité, 1987, S. 43) und das Urteil der Cour d' appel Paris vom 28. Januar 1988, dem zufolge der Alleinvertrieb dermatologischer Produkte über Apotheken gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstosse (Cour d' appel Paris vom 28. Januar 1988, Sektion Wettbewerb, Bulletin officiel de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes, 1988, S. 33), änderte Vichy sein Vertriebssystem in Frankreich. Damit erledigte sich die Anmeldung des Vertriebssystems von 1985.

3 Mit Schreiben vom 29. August 1989 meldete Vichy bei der Kommission das neue Vertriebssystem für Frankreich sowie das Vertriebssystem für die anderen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks, wo die Vichy-Produkte nicht vertrieben werden, an. In Frankreich waren hiernach ausschließlich diplomierte Pharmazeuten, in den übrigen Mitgliedstaaten, ausser Frankreich und Dänemark, ausschließlich niedergelassene Apotheker als Vertriebshändler zugelassen.

4 Der vorliegende Fall betrifft lediglich das von Vichy für die anderen Mitgliedstaaten als Frankreich angemeldete Vertriebssystem.

5 Nachdem die Kommission Vichy am 22. Mai 1990 die in Artikel 2 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, 127, S. 2268) genannten Beschwerdepunkte mitgeteilt und die Anhörung am 11. September 1990 stattgefunden hatte, gelangte die Kommission in der Entscheidung 91/153/EWG vom 11. Januar 1991 (ABl. L 75, S. 57) aufgrund vorläufiger Beurteilung nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 des Rats zu der Auffassung, "daß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf die Vereinbarungen zwischen der Société d' Hygiène Dermatologique de Vichy und den Großhändlern sowie den Apothekern als Einzelhändlern insoweit anwendbar ist, als diese Vereinbarungen den ausschließlichen Vertrieb der kosmetischen Erzeugnisse Vichy in der Offizinalapotheke dadurch vorsehen, daß die Anerkennung als Vertriebshändler für die Vichy-Erzeugnisse von der Eigenschaft 'Offizinalapotheker' abhängig gemacht wird, und daß eine Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 nicht gerechtfertigt ist".

Verfahren

6 Gegen diese ihr am 15. März 1991 mitgeteilte Entscheidung hat Vichy Klage erhoben, die am 25. März 1991 in das Register der Kanzlei des Gerichts als Rechtssache T-19/91 eingetragen worden ist. Das schriftliche Verfahren ist am 21. Oktober 1991 abgeschlossen worden.

7 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Kommission ist indessen ersucht worden, dem Gericht vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung zwei Schriftstücke vorzulegen. Die Kommission hat diese Schriftstücke am 19. November 1991 vorgelegt. Dabei handelt es sich zum einen um die Kopie der Anmeldungen der Klägerin bei der Kommission vom 29. August 1989 und zum anderen um das für die Kommission 1988 erstellte Gutachten ("Les systèmes de distribution sélective dans la Communauté du point de vü de la politique de concurrence: le cas de l' industrie des parfums et des produits cosmétiques") von André-Paul Weber.

8 Am 24. April 1991 ist ein Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden, zu dem die Kommission am 13. Mai 1991 eine Stellungnahme abgegeben hat. In der Sitzung vom 30. Mai 1991 ist über den Antrag auf einstweilige Anordnung mündlich verhandelt worden. Durch Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 7. Juni 1991 ist der Antrag zurückgewiesen worden.

9 Am 31. Juli 1991 hat die Firma Cosimex ihre Zulassung als Streithelferin der Kommission und die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe beantragt. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe ist durch Beschluß des Gerichts vom 24. September 1991 zurückgewiesen worden. Mit Beschluß vom selben Tag hat der Präsident des Gerichts festgestellt, daß der Antrag auf Zulassung als Streithelferin gegenstandslos ist.

10 Die Parteien haben in der Sitzung vom 12. Dezember 1991 mündlich verhandelt.

Anträge der Parteien

11 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

12 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

13 Die Klägerin ist der Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung das Diskriminierungsverbot und den Grundsatz der Rechtssicherheit verletze und gegen wesentliche Formvorschriften verstosse; die angemeldete Vereinbarung stehe mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag in Einklang; auf jeden Fall sei Artikel 85 Absatz 3 anwendbar, und schließlich sei Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 fehlerhaft angewandt worden.

14 Nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17, auf den die angefochtene Entscheidung gestützt ist, findet Absatz 5 dieses Artikels keine Anwendung, "sobald die Kommission den betreffenden Unternehmen mitgeteilt hat, daß sie nach vorläufiger Prüfung der Auffassung ist, daß die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz (1) des Vertrages vorliegen und eine Anwendung des Artikels 85 Absatz (3) nicht gerechtfertigt ist". Absatz 5 lautet: "Die in Absatz (2)... vorgesehene Geldbusse darf nicht für Handlungen festgesetzt werden: a) die nach der bei der Kommission vorgenommenen Anmeldung und vor der Entscheidung der Kommission nach Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages begangen werden, soweit sie in den Grenzen der in der Anmeldung dargelegten Tätigkeit liegen..."

15 Der Gerichtshof hat im Urteil vom 15. März 1967 in den verbundenen Rechtsachen 8/66 bis 11/66 (Cimenteries Cementbedrijven e.a./Kommission, Slg. 1967, S. 100) entschieden, daß eine nach Artikel 15 Absatz 6 getroffene Maßnahme "die Interessen der Unternehmen [beeinträchtigt], indem sie in deren Rechtsstellung eingreift. Sie hat unverkennbar Rechtswirkungen zur Folge, welche die Interessen der betroffenen Unternehmen berühren und sie ist für diese verbindlich. Sie ist daher nicht als gewöhnliche Stellungnahme, sondern als Entscheidung [im Sinne von Artikel 189 EWG-Vertrag) anzusehen." Weiterhin hat der Gerichtshof entschieden (Urteil vom 13. Juli 1966 in den verbundenen Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 322), daß Vereinbarungen über die Zulassung von Vertriebshändlern zu einem ausschließlichen oder selektiven Vertriebsnetz eines Herstellers "Vereinbarungen zwischen Unternehmen" i. S. von Artikel 85 EWG-Vertrag darstellen und daher einem möglichen Verbot nach Artikel 85 Absatz 1 unterliegen. Gleiches gilt für Allgemeine Geschäftsbedingungen, die systematisch auf den Rückseiten von Rechnungen, auf Bestellformularen und auf Preislisten abgedruckt sind (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-277/87, Sandoz/Kommission, Slg. 1990, I-47).

16 Aus den genannten Urteilen folgt, daß auf den von der Klägerin angemeldeten Vertrag möglicherweise Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag anwendbar ist und daß die von ihr erhobene Nichtigkeitsklage gegen die gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 erlassene Entscheidung zulässig ist. Daher sind die von der Klägerin gegen die Entscheidung vorgebrachten, vorstehend aufgeführten Klagegründe zu prüfen.

Zum Klagegrund der Verletzung des Diskriminierungsverbots und der Rechtssicherheit

Vorbringen der Parteien

17 Die Klägerin macht geltend, sie sei diskriminiert, da die Kommission gegen sie als einziges Unternehmen auf dem Kosmetikmarkt eine Entscheidung erlassen habe, obwohl sie als einziges Unternehmen ihre Vertriebsvereinbarungen bei der Kommission angemeldet und damit dieser gegenüber ihren Kooperationswillen bekundet habe. Die angefochtene Entscheidung führe für sie zu einer Rechtsunsicherheit, die geeignet sei, sie ihren Konkurrenten gegenüber zu benachteiligen, da sie, wolle sie nicht Gefahr laufen, mit einer Geldbusse belegt zu werden, ihr Vertriebssystem ändern müsse, ohne die endgültige Vorstellung der Kommission in dieser Frage zu kennen. Die Klägerin sei nicht in der Lage, ihr Vertriebssystem mehrmals und innerhalb kurzer Zeit umzustellen, ohne daß ihre Wettbewerbsfähigkeit leide.

18 Die Kommission entgegnet, daß eine Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6 definitionsgemäß nur solchen Unternehmen gegenüber ergehe, die eine Vereinbarung angemeldet hätten. Die Klägerin könne daher nicht vorbringen, sie habe als einziges Unternehmen ihre Vertriebsvereinbarungen angemeldet, und gleichzeitig behaupten, sie sei diskriminiert. Die Kommission beruft sich in dieser Frage auf den Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 7. Juni 1991.

Würdigung durch das Gericht

19 Das Gericht stellt fest, daß eine Maßnahme nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 keineswegs diskriminierend wirkt, sondern einzig dazu dient, das Unternehmen so zu stellen, wie es gestanden hätte, wenn es das ausschließliche Vertriebssystem nicht bei der Kommission angemeldet hätte. Zudem kann eine Maßnahme der Kommission nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 definitionsgemäß nur solche Vereinbarungen betreffen, die zuvor bei ihr angemeldet worden sind. Die Klägerin kann daher, wenn sie als einziges Unternehmen ihre Vertriebsvereinbarungen angemeldet hat, nicht geltend machen, sie sei als einziges Unternehmen mit einer vorläufigen Maßnahme gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 belegt worden. Die von der Klägerin angeführten technischen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, selbst wenn sie vorliegen sollten, ohne Bedeutung für die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung.

20 Darüber hinaus weist das Gericht nochmals darauf hin, daß, wie schon in dem genannten Beschluß vom 7. Juni 1991, mit dem der Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen worden ist, festgestellt worden ist, "die Entscheidung, mit der einem Unternehmen der Schutz vor Geldbussen entzogen wird, sich auf die Beendigung eines Immunitätszustands beschränkt, auf den sich das Unternehmen infolge der Anmeldung der Vereinbarung berufen konnte, und damit die Rechtslage vor der Anmeldung bei der Kommission wiederherstellt".

Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der Verletzung wesentlicher Formvorschriften

Vorbringen der Parteien

21 Die Klägerin ist der Auffassung, daß die Kommission wesentliche Formvorschriften dadurch verletzt habe, daß sie den Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen (nachstehend: Beratender Ausschuß) nicht gehört habe. Wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 15. März 1967, a. a. O., entschieden habe, müssten Entscheidungen der Kommission nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17, wenn eine Klage gegen sie möglich sei, unter Beachtung der Schutzbestimmungen des Vertrages und der zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsakte ergehen. Entscheidungen nach Artikel 15 Absatz 6 gehe die Übermittlung nach Artikel 10 Absatz 6 voraus. Daher müsse vor Erlaß der Entscheidungen die in Artikel 10 vorgesehene Anhörung des Beratenden Ausschusses erfolgen.

22 Im übrigen höre die Kommission üblicherweise sogar vor Entscheidungen mit geringerer Tragweite als solchen nach Artikel 15 Absatz 6 den Beratenden Ausschuß. So habe die Kommission den Beratenden Ausschuß vor Erlaß einer vorläufigen Maßnahme nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 gegen die Firma Ford angehört (Entscheidung vom 18. August 1982, Ford Werke AG, IV-30.696, ABl. L 256, S. 20). Der Gerichtshof habe in seinem Beschluß vom 17. Januar 1980 in der Rechtssache 792/79 R (Camera Care/Kommission, Slg. 1980, 119) entschieden, daß die Kommission bei Erlaß von vorläufigen Maßnahmen verpflichtet sei, "die den beteiligten Parteien in der Verordnung Nr. 17, insbesondere in Artikel 19, eingeräumten wesentlichen Verfahrensgarantien zu beachten". Auch die Festsetzung von Geldbussen für unrichtige Angaben nach Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erfolge nach Anhörung des Beratenden Ausschusses, wie aus den Entscheidungen der Kommission vom 17. November 1981 (Comptoir commercial d' importation, IV-30.211, ABl. 1982, L 27, S. 31), vom 27. Oktober 1982 (Fédération nationale de l' industrie de la chaussure de France, IV-AF 528, ABl. L 319, S. 12) und vom 25. September 1986 (Peugeot, IV-31.143, ABl. L 295, S. 19) hervorgehe. Die Anhörung des Ausschusses stelle neben den durch Artikel 19 gewährleisteten Verteidigungsrechten eine zusätzliche Verfahrensgarantie dar, die bei Erlaß einer Maßnahme nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 berücksichtigt werden müsse.

23 Die Anhörung des Beratenden Ausschusses im Rahmen einer Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 entspreche genau dem von Artikel 15 verfolgten Zweck, in Fällen, in denen Geldbussen verhängt und also naturgemäß wichtige Interessen berührt seien, Entscheidungen nur nach Anhörung des Beratenden Ausschusses zu erlassen. Die gegenteilige Interpretation verletze grundlegende Verteidigungsrechte, indem sie die Meinung der Sachverständigen aus den einzelnen Mitgliedsstaaten unberücksichtigt lasse, die einen wichtigen Faktor der Rechtssicherheit für die beteiligten Unternehmen darstelle.

24 Die Einlassung der Kommission, es sei übliche Praxis, den Beratenden Ausschuß vor Erlaß einer Maßnahme nach Artikel 15 Absatz 6 nicht anzuhören, sei ohne Belang, da nicht erwiesen sei, daß diese Praxis mit den Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts übereinstimme. Darüber hinaus gäben die von der Kommission angeführten Schlussanträge des Generalanwalts Römer in der mit Urteil vom 15. März 1967 entschiedenen Rechtssache (a. a. O.) nur dessen persönliche Ansicht wieder; zudem sei der Gerichtshof der dort vertretenen Auffassung, daß die aufgrund Artikel 15 Absatz 6 erfolgten Mitteilungen keine Entscheidungen seien, nicht gefolgt.

25 Im übrigen könne sich die Kommission im vorliegenden Fall angesichts der frühen ersten Anmeldung nicht auf besondere Dringlichkeit berufen. Die Anhörung der Klägerin sei mit einem grösseren Aufwand verbunden gewesen, als ihn die Anhörung des Beratenden Ausschusses erfordert hätte.

26 Schließlich sei auch der von der Kommission vorgenommene Vergleich zwischen vorläufigen Entscheidungen bei der Festsetzung von Zwangsgeldern und der vorläufigen Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6 unzulässig, da die Mitteilungen nach Artikel 15 Absatz 6 als solche endgültig seien. Nur die Prüfung durch die Kommission sei vorläufig. Da es sich um eine endgültige Entscheidung handle, müsse ihr eine Anhörung des Beratenden Ausschusses vorausgehen. Das von der Kommission angeführte Urteil des Gerichtshofes vom 21. September 1989 in den verbundenen Rechtssachen 46/87 und 227/88 (Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859, Randnr. 55) bestätige diese Auffassung, da dort in Randnummer 54 ausgesprochen sei, daß die Anhörung des Beratenden Ausschusses und die der Unternehmen in denselben Fällen erforderlich seien.

27 Die Kommission hält diesen Klagegrund nicht für begründet. Aus dem Aufbau des Artikels 15 der Verordnung Nr. 17 ergebe sich eindeutig, daß die in Absatz 3 dieses Artikels vorgesehene Anhörung des Beratenden Ausschusses bei Anwendung von Absatz 6 nicht notwendig sei. Dies entspreche ihrer üblichen Praxis (Entscheidung der Kommission vom 5. März 1975, Sirdar-Phildar, IV-27.879, ABl. L 125, S. 27; Entscheidung der Kommission vom 25. Juli 1975, Bronbemaling/Heidemaatsghappij, IV-28.967, ABl. L 249, S. 27; Entscheidung der Kommission vom 12. Juni 1978, SNPE-LEL, IV-29.453, ABl. L 191, S. 41). Die Anhörung sei daher weder versehentlich unterlassen worden, noch stelle ihr Fehlen eine Diskriminierung der Klägerin dar.

28 Diese Auffassung habe auch Generalanwalt Römer in seinen Schlussanträgen in den Rechtssachen 8/66 bis 11/66 (a. a. O.) vertreten, als er ausgeführt habe, daß es "die der Maßnahme des Artikels 15 Absatz 6 anhaftenden Besonderheiten, d. h. ihre Funktion... erlauben, den Beratenden Ausschuß nicht einzuschalten, da es ansonsten aufgrund der zu beachtenden Formvorschriften und Fristen zu unvertretbaren Verfahrensverzögerungen käme... Diese Ansicht entspricht im übrigen einer sachgerechten Auslegung des Artikels 10 der Verordnung Nr. 17."

29 Auch bei Entscheidungen gemäß Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 unterbleibe eine Anhörung des Beratenden Ausschusses. Ebenso wie bei der angefochtenen Entscheidung handele es sich dabei um vorläufige Entscheidungen, durch die die vorläufige Höhe von Zwangsgeldern festgelegt werde. Diese Auffassung sei durch den Gerichtshof im dem angeführten Urteil Hoechst/Kommission ausdrücklich bestätigt worden. In beiden Fällen handele es sich um vorläufige Entscheidungen, die der endgültigen vorausgingen, so daß erst diese dem Beratenden Ausschuß vorzulegen seien (Urteil Hoechst/Kommission, Randnr. 56). Es sei unzulässig, eine Entscheidung, mit der Geldbussen verhängt würden, einer Entscheidung, die einen Immunitätszustand beende, gleichzusetzen. Im übrigen enthalte der angeführte Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 7. Juni 1991 in Randnummer 17 eine zutreffende Einschränkung der Wirkungen einer Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6.

30 Die von der Klägerin angeführten Beispiele seien unzutreffend: Der Beschluß in der Rechtssache Camera Care/Kommission (a. a. O.), der die Anwendung von Artikel 19 behandele, gestatte keinerlei Rückschlüsse auf eine Pflicht zur Anhörung des Beratenden Ausschusses bei Anwendung von Artikel 15 Absatz 6; die Pflicht zur Anhörung des Ausschusses vor Erlaß einer Sanktion nach Artikel 15 Absatz 2 ergebe sich aus Absatz 3 dieses Artikels, der eine Anhörung für die in den Absätzen 1 und 2 behandelten Fälle vorsehe.

Würdigung durch das Gericht

31 Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 bestimmt, daß "ein Beratender Ausschuß... vor jeder Entscheidung, die ein Verfahren nach Absatz (1) abschließt, sowie vor jeder Entscheidung über Erneuerung, Änderung oder Widerruf einer nach Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages abgegebenen Erklärung anzuhören" ist. Die Absätze 4, 5 und 6 betreffen die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Ausschusses.

32 Da die angefochtene Entscheidung keine solche über "Erneuerung, Änderung oder Widerruf" einer Erklärung der Nichtanwendbarkeit von Artikel 85 Absatz 1 gemäß Artikel 85 Absatz 3 ist, ist zu untersuchen, ob die von der Kommission nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 erlassene Entscheidung "ein Verfahren nach [Artikel 10] Absatz (1) abschließt". Gemäß Absatz 1 "übermittelt [die Kommission] den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unverzueglich eine Abschrift der Anträge und Anmeldungen sowie der wichtigsten Schriftstücke, die zur Feststellung von Verstössen gegen Artikel 85 oder 86 des Vertrages, zur Erteilung eines Negativattestes oder zur Abgabe einer Erklärung nach Artikel 85 Absatz (3) bei ihr eingereicht werden".

33 Die Klägerin legt im wesentlichen dar, daß die von der Kommission gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 erlassene Entscheidung die Anmeldung einer Vereinbarung bei der Kommission voraussetze und daß sie, da sie die mit der Anmeldung verbundene Immunität des Antragstellers grundsätzlich beseitige, der Feststellung eines Vertragsverstosses gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 entspreche.

34 Diese Auffassung wird indessen durch eine am Wortlaut orientierte Auslegung des Artikels 15 der Verordnung Nr. 17 widerlegt. Artikel 15, der sich mit Geldbussen befasst, ist in sechs Absätze gegliedert. Absatz 1 betrifft Geldbussen für Unternehmen, die der Kommission gegenüber unrichtige Angaben machen oder Kontrollmaßnahmen verhindern, Absatz 2 Geldbussen für Verstösse gegen Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag. Absatz 4 stellt klar, daß es sich bei den aufgrund der Verordnung Nr. 17 verhängten Geldbussen nicht um strafrechtliche Sanktionen handelt. Der bereits genannte Absatz 5 schließlich bestimmt, daß diejenigen Unternehmen, die bei der Kommission eine Vereinbarung angemeldet haben, Immunität genießen, so daß grundsätzlich keine Geldbusse wegen der angemeldeten Vereinbarung verhängt werden darf.

35 Absatz 3 lautet: "Artikel 10 Absätze 3 bis 6 sind anzuwenden." Die Absätze, in denen die beiden hauptsächlichen Geldbussen festgelegt sind, gehen ihm unmittelbar voraus. Aus diesem Aufbau des Artikels 15 ergibt sich folglich, daß eine Anhörung des Beratenden Ausschusses im Rahmen der Anwendung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 nur bei Entscheidungen notwendig ist, mit denen eine Geldbusse verhängt wird. Die gemäß Absatz 6 dieses Artikels erlassenen vorläufigen Entscheidungen zählen jedoch nicht zu den in den Absätzen 1 und 2 genannten, noch bezwecken oder bewirken sie die Verhängung einer Geldbusse gegen das betroffene Unternehmen.

36 Das Vorbringen der Klägerin, die Anhörung sei übliche Verfahrenspraxis der Kommission bei der Verhängung von Geldbussen oder bei vorläufigen Maßnahmen, ist unerheblich, da die Verfahrenspraxis ohne Einfluß auf die Anwendung der rechtlichen Bestimmungen ist, die sich ausschließlich aus dem Vertrag und den zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften ergibt. Selbst wenn die Kommission vor Verhängung einer Geldbusse wegen unrichtiger Angaben oder vor Erlaß einer vorläufigen Maßnahme den Beratenden Ausschuß anhörte, würde eine solche Verfahrenspraxis doch keinerlei Rückschluß darauf zulassen, ob diese Vorgehensweise auch bei Erlaß einer vorläufigen Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6 erforderlich wäre.

37 Darüber hinaus ergibt sich die Anhörungspflicht bei Verhängung von Geldbussen wegen unrichtiger Angaben, wie bereits dargelegt (vgl. Randnrn. 34 und 35), aus der Stellung des Absatzes 3 in Artikel 15, d. h. aus seinem Bezug auf die in den Absätzen 1 und 2 geregelte Verhängung von Geldbussen. Im übrigen finden vorläufige Maßnahmen der Kommission bei Wettbewerbsverstössen ihre gesetzliche Grundlage in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 (vgl. den Beschluß des Gerichtshofes vom 17. Januar 1980, a. a. O.), der sich, ebenso wie Artikel 10 Absatz 1, auf die Feststellung von Vertragsverstössen bezieht. Wenn daher die Kommission üblicherweise den Beratenden Ausschuß vor Verhängung einer Geldbusse wegen unrichtiger Angaben oder vor Erlaß einer vorläufigen Maßnahme anhört, so besagt dies lediglich, daß sie sich insoweit in Übereinstimmung mit Artikel 15 Absätze 1 und 3 einerseits sowie Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 andererseits befindet. Die Klägerin kann sich also nicht auf die Beachtung dieser Vorschriften durch die Kommission stützen, um die Notwendigkeit einer Anhörung des Beratenden Ausschusses auch bei Erlaß einer Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6 zu begründen.

38 Auch dem auf den Zweck dieser Anhörung gestützten Vorbringen der Klägerin ist nicht zu folgen. Zwar ist es richtig, daß die gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 getroffenen Entscheidungen Rechtsfolgen gegenüber den Betroffenen eintreten lassen. Aus diesem Grund hat auch der Gerichtshof in dem Urteil vom 15. März 1967 (a. a. O.) eine Klage der Betroffenen gegen eine solche Mitteilung nach Artikel 173 EWG-Vertrag für zulässig erklärt. Auch wenn aber die Mitteilungen der Kommission gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 die Rechte der betroffenen Unternehmen und insbesondere ihre in Artikel 19 Absatz 1 dieser Verordnung garantierten grundlegenden Verteidigungsrechte berücksichtigen müssen, so folgt daraus noch nicht, daß die Kommission vor Erlaß einer solchen Mitteilung verpflichtet wäre, eine Anhörung des Beratenden Ausschusses vorzunehmen, die nach Überschrift und Gehalt des Artikel 10 dazu dient, "eine Verbindung mit den Behörden der Mitgliedstaaten" bei der Behandlung von Wettbewerbsfragen sicherzustellen. Die Klägerin kann daher nicht behaupten, sie sei allein dadurch, daß die Anhörung der Sachverständigen aus den einzelnen Mitgliedstaaten unterblieben sei, in ihren grundlegenden Rechten verletzt worden.

39 Aus Artikel 10 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 17 geht hervor, daß eine Anhörung nur vor Erlaß einer endgültigen Entscheidung der Kommission erforderlich ist, durch die ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt oder umgekehrt auf Antrag ein Negativattest erteilt oder durch die gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag festgestellt werden soll, daß Artikel 85 Absatz 1 auf den mitgeteilten Vertrag unanwendbar ist. Die Kommission ist daher erst im letzten Stadium der Ermittlungen in dem bei ihr anhängig gemachten Verfahren und unabhängig davon, wie sie den Antrag zu behandeln gedenkt, zur Anhörung des Beratenden Ausschusses verpflichtet. Der Gerichtshof hat entschieden, daß "die Anhörung des Beratenden Ausschusses das letzte Verfahrensstadium vor Erlaß der Entscheidung darstellt und daß die Stellungnahme auf der Grundlage eines vorläufigen Entscheidungsvorschlags abgegeben wird" (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique Diffusion Française/Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 35).

40 Zum Vorbringen der Klägerin, daß im Anschluß an die Anhörung des betroffenen Unternehmens die Anhörung des Beratenden Ausschusses erfolgen müsse, ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 1 der Verordnung Nr. 99/63 lautet: "Bevor die Kommission den Beratenden Ausschuß... anhört, nimmt sie eine Anhörung [des betroffenen Unternehmens] nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 vor." Die Bedeutung dieser Vorschrift ergibt sich aus den der Verordnung zugrunde liegenden Erwägungen, wonach "der Beratende Ausschuß... stets nach Abschluß der in einer Sache angestellten Ermittlungen anzuhören" ist. Hiernach besagt diese Vorschrift, daß eine Anhörung des Beratenden Ausschusses, wenn sie erforderlich ist, erst nach der Anhörung des betroffenen Unternehmens gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erfolgen kann, da der Ausschuß nur so in der Lage ist, eine Stellungnahme in Kenntnis der Umstände abzugeben. Hieraus kann die Klägerin jedoch nicht herleiten, daß auf die Anhörung des betroffenen Unternehmens stets eine Anhörung des Beratenden Ausschusses erfolgen müsste. In dem angeführten Urteil Hoechst/Kommission hat der Gerichtshof ausgeführt: "Artikel 1 der Verordnung Nr. 99/63 lautet: 'Bevor die Kommission gemäß Artikel 1 der Verordnung Nr. 99/63 den Beratenden Ausschuß... anhört, nimmt sie eine Anhörung nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 vor.' Diese Vorschrift bestätigt, daß die Anhörung der beteiligten Unternehmen und die des Ausschusses in denselben Fällen erforderlich sind." Diese Aussage ist nach Ansicht des Gerichts in dem Sinne zu verstehen, daß - wie bereits ausgeführt wurde - die Anhörung des Beratenden Ausschusses erst erfolgen kann, wenn dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben worden ist, seine Stellungnahme gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 abzugeben. Weder aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts noch aus irgendeiner Vorschrift der Verordnungen Nr. 17 und Nr. 99/63 geht demgegenüber hervor, daß auf eine Anhörung des betroffenen Unternehmens, wenn diese erforderlich ist, unbedingt eine Anhörung des Beratenden Ausschusses erfolgen müsste. Dies gilt insbesondere auch im Vorfeld einer Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17.

41 Auch der zweite Klagegrund, mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend gemacht wird, ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der Vereinbarkeit des von der Klägerin angemeldeten ausschließlichen Vertriebssystems mit Artikel 85 Absatz 1

Vorbringen der Parteien

42 Nach Auffassung der Klägerin hat die Kommission einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht nachgewiesen, da die angeführten Tatsachen nicht stichhaltig seien, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt geblieben seien und das von der Klägerin für den Zugang zu ihrem Vertriebsnetz gewählte Kriterium nicht gegen den Vertrag verstosse.

43 Zur Stichhaltigkeit der Tatsachen, mit denen die Kommission einen Verstoß gegen den Vertrag begründet, erklärt die Klägerin, daß die Kommission eine spürbare Beeinträchtigung des Handels und des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten nicht nachgewiesen habe, da ihre hierfür angeführten Argumente unzutreffend seien. Es gehe dabei um drei Punkte: erstens um die kumulative Wirkung der Vertriebssysteme auf dem betroffenen Markt, zweitens um den Anteil der Apothekenkosmetik innerhalb des Gesamtmarktes für kosmetische Produkte und drittens die Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem entsprechenden Markt.

44 Das von der Kommission angeführte Argument der kumulativen Wirkung der Vertriebssysteme sei nicht stichhaltig, da eine klare Definition des relevanten Marktes fehle. Der relevante Markt sei nur formal und aufgrund summarischer Analyse der tatsächlichen Mechanismen definiert worden; dies widerspreche insbesondere den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen (Urteil vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76, Metro/Kommission, "Metro I", Slg. 1977, 1875). Eine Übertragung der in diesem Urteil genannten Grundsätze sei nicht möglich, da im vorliegenden Fall mehrere Vertriebswege auf dem Markt miteinander konkurrierten. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere den Urteilen vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 56/65 (Société technique minière, Slg. 1966, 337), vom 12. Dezember 1967 in der Rechtssache 23/67 (Brasserie de Hächt, Slg. 1967, 525) und vom 11. Dezember 1980 in der Rechtssache 31/80 (L' Oréal, Slg. 1980, 3775) bei der Beurteilung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkung eines Vertriebssystems die mögliche kumulative Wirkung zusammen mit anderen Vertriebssystemen zu berücksichtigen, jedoch könne es sich dabei, wie der Gerichtshof kürzlich unter Bezugnahme auf sogenannte Bierlieferungsverträge erneut entschieden habe, nur um einen Faktor der Beurteilung unter anderen handeln (Urteil vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935). Andere Faktoren aber habe die Kommission nicht heranziehen können, da eine Untersuchung der Auswirkungen der umstrittenen Vereinbarungen in ihrem tatsächlichen Anwendungsbereich fehle. Im Gegensatz zu den Feststellungen der Kommission in der Sache Yves Rocher (Entscheidung der Kommission vom 17. Dezember 1986, Yves Rocher, IV-31.428 bis IV-31.432, ABl. 1987, L 8, S. 49) werde im vorliegenden Fall nicht bemängelt, durch die von der Klägerin abgeschlossenen Vereinbarungen würden die Apotheker am Vertrieb anderer Marken gehindert. Tatsächlich stehe das von der Klägerin angewandte Vertriebssystem völlig im Einklang mit den Anforderungen, die der Gerichtshof im dem erwähnten Urteil vom 28. Februar 1991 aufgestellt habe. Darüber hinaus seien einige der von der Kommission zugrundegelegten Zahlen insbesondere für den deutschen und britischen Markt unzutreffend; nachdem die Kommission zuerst von einer breiten Marktdefinition ausgegangen sei, sei auch schwer zu verstehen, warum sie sich sodann auf die Untersuchung der Wettbewerbsbeschränkungen im Apothekensektor beschränkt habe.

45 Zur Begründung eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 berufe sich die Kommission zu Unrecht auf den Anteil der Apothekenkosmetik am Kosmetikmarkt insgesamt. Die Behauptung der Kommission, dieser Anteil schwanke zwischen 5 und 40 %, könne nicht ernst gemeint sein. Die Klägerin habe im Verwaltungsverfahren einen Schätzwert von 10 % vorgeschlagen, der von der Kommission in der Entscheidung Yves Rocher zugrundegelegt worden sei. Zudem habe die Kommission nicht berücksichtigt, daß der Marktanteil der Apothekenkosmetik rückläufig sei, was generell für die Entwicklung des Vertriebs über Apotheken kennzeichnend sei.

46 Die Kommission belege nicht anhand überprüfter Daten, daß das angemeldete Vertriebssystem den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes erheblich beeinträchtige.

47 Aus diesen drei Gründen habe die Kommission mit der Begründung ihrer Entscheidung einen wie immer gearteten Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 nicht nachgewiesen.

48 Zur Nichtberücksichtigung wesentlicher Tatsachen bei der Beurteilung der Angelegenheit durch die Kommission erklärt die Klägerin, daß die Konkurrenz zwischen den Marken auf dem Kosmetikmarkt ausser acht gelassen worden sei. Die Kommission hätte die Tatsache berücksichtigen müssen, daß auf dem Markt mehrere Vertriebsnetze miteinander in Konkurrenz stuenden. Die Apothekenkosmetik stelle für sich allein keinen Markt dar, und die von der Klägerin während des Verfahrens erarbeiteten und vorgelegten Untersuchungen zeigten, daß die in Supermärkten verkauften Produkte ohne weiteres die in Apotheken verkauften Produkte ersetzen könnten, da der Verbraucher leicht von einem Vertriebskanal zum andern wechseln könne. Genausowenig stelle der Apothekenvertrieb ein eigenes Marktsegment innerhalb des Kosmetikmarktes dar; der Kosmetikmarkt werde durch die Markenpolitik der Hersteller nicht segmentiert. Aus alldem folge, daß die Kommission entgegen den vom Gerichtshof in seinem Urteil Metro I entwickelten Grundsätzen die Konkurrenz der Marken untereinander völlig unberücksichtigt gelassen habe. In Wirklichkeit und ganz im Gegensatz zur fehlerhaften Beurteilung der Kommission stelle das von der Klägerin entwickelte Vertriebssystem "einen neuen Wettbewerbsvorschlag" dar, der einerseits zu einer Bereicherung des Angebots und andererseits zu einer grösseren Wahlfreiheit für den Verbraucher führe.

49 Zur Zulässigkeit des zugrundegelegten Zugangskriteriums macht die Klägerin geltend, daß das Kriterium der Niederlassung als Apotheker, an das sie den Vertrieb ihrer Produkte knüpfe, mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag in Einklang stehe. Dabei handele es sich in Übereinstimmung mit den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen um ein qualitatives Kriterium: Ein diplomierter Pharmazeut könne einen niedergelassenen Apotheker nicht ersetzen und sei ihm nicht gleichzustellen, da dieser über einschlägige Berufserfahrung verfüge, standesrechtlichen Pflichten unterliege, eine persönliche Beziehung zur Kundschaft unterhalte und einen Informationsrücklauf garantiere, auf den die Gesellschaft zur ständigen Verbesserung ihrer Produkte allergrössten Wert lege. Darüber hinaus könne der Apotheker nicht isoliert von der Räumlichkeit, in der er seinen Beruf ausübe, betrachtet werden, die als "Ort der Gesundheit" im Gegensatz zur "Banalisierung", wie sie für den Vertrieb in Supermärkten kennzeichnend sei, einen besonders geeigneten Verkaufsplatz darstelle.

50 Darum sei es nicht gerechtfertigt, daß die Kommission, um den angeblich quantitativen Charakter dieses qualitativen Kriteriums darzulegen, sich auf den bestehenden Numerus clausus für die Zulassung zu diesem Beruf in sechs der zehn in Frage stehenden Mitgliedstaaten berufe. Die Kommission könne sich auch nicht auf das Urteil des Gerichshofes vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 243/83 (Binon, Slg. 1985, 2015) stützen, das sich seinerseits an eine jedes quantitative Kriterium verbietende Rechtsprechung anschließe (Urteil Metro I, a. a. O.; Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 99/79, Lancôme, Slg. 1980, 2511; Urteil L' Oréal, a. a. O.; Urteil des Gerichtshofes vom 22. Oktober 1986 in der Rechtssache 75/84, Metro/Kommission, Slg. 1986, 3021). Im Unterschied zu dem in der Rechtssache Binon (a. a. O.) festgestellten Sachverhalt, wo es sich um eine von dem Unternehmen selbst gewählte Begrenzung der Verkaufsstellen gehandelt habe, gehe die Begrenzung im vorliegenden Fall nicht auf die Klägerin zurück, sondern auf zum Zeitpunkt der Einführung des Vertriebssystems bereits bestehende nationale Beschränkungen.

51 Das qualitative und nicht quantitative Kriterium der Niederlassung als Apotheker sei notwendig und stehe nicht ausser Verhältnis zu den vom Hersteller angestrebten Zielen. Damit entspreche das Kriterium sowohl den Grundsätzen des Urteils des Gerichtshofes vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 126/80 (Salonia, Slg. 1981, 1563) und des Urteils Binon (a. a. O.) als auch der Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 1985 zum Vertrieb von Villeroy-&-Boch-Produkten (Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 1985, Villeroy & Boch, IV-30.665, ABl. L 376, S. 15). Das Erfordernis der Niederlassung als Apotheker sei eng mit dem Markenbild der Vichy-Produkte verbunden. Als Zugangskriterium für Vertriebshändler ermögliche das Kriterium der Niederlassung als Apotheker lediglich, daß der Hersteller "nichtmaterielle Gesichtspunkte" beim Verkauf seiner Produkte zur Geltung bringen könne, eine Möglichkeit, die die Kommission in ihrer Mitteilung in der Sache Yves Saint-Laurent bestätigt habe (Mitteilung der Kommission in der Sache IV/33.242 - Yves Saint Laurent, ABl. 1990, C 320, S. 11).

52 Die Kommission bringt vor, daß sie nach einer Analyse der Preispolitik und der unterschiedlichen Vertriebssysteme für Vichy-Produkte eine ausreichende Beschreibung des Kosmetikmarktes vorgenommen habe. Die Entscheidung beziehe sich insbesondere auf den Verkaufsanteil von Kosmetika in Apotheken und auf den entsprechenden Marktanteil der Vichy-Produkte. Damit habe die Kommission eine weite Marktdefinition vorgenommen, die die Klägerin nicht beanstanden könne. Eine präzisere Marktdefinition sei nicht notwendig, da die Beeinträchtigung des Wettbewerbs ohnehin spürbar genug sei, ob man nun den Markt für Apothekenkosmetik oder den Kosmetikmarkt generell zugrunde lege. Da die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung bereits für den engeren Markt deutlich sei, dessen Führer die Klägerin sei, genüge es für die Zwecke der angefochtenen Entscheidung, eine Wettbewerbsbeschränkung hinsichtlich des Gesamtmarktes nachzuweisen. In Randnummer 19 der angefochtenen Entscheidung habe die Kommission hinreichend deutlich gemacht, daß sie einerseits die kumulative Wirkung der parallelen Alleinvertriebssysteme in Apotheken für alle Kosmetikmarken, andererseits den Umstand, daß der Marktanteil der Apothekenkosmetik sich zwischen 5 % und 40 % bewege, berücksichtigt habe. Die Klägerin habe keine Beweise dafür vorgelegt, daß der Wettbewerb zwischen den einzelnen Marken ausreichend stark sei, um die fehlende Konkurrenz innerhalb der Marke auszugleichen.

53 Die rechtliche Würdigung der Tatsachen sei in Übereinstimmung mit den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen erfolgt, indem nacheinander zunächst das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, sodann die daraus folgenden Einschränkungen des Wettbewerbs und schließlich die spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedsstaaten nachgewiesen worden seien. Dies entspreche den vom Gerichtshof in der Entscheidung Metro I (a. a. O.) zur Prüfung selektiver Vertriebssysteme angestellten Überlegungen.

54 Das von Klägerin angewandte Kriterium der "Niederlassung als Apotheker" sei kein qualitatives, sondern ein quantitatives Merkmal. In der angefochtenen Entscheidung werde nicht bezweifelt, daß für die Klägerin die Möglichkeit bestehe, nur diplomierte Pharmazeuten zum Vertrieb ihrer Produkte zuzulassen: Lediglich die Unterscheidung zwischen diplomiertem Pharmazeuten und niedergelassenem Apotheker stehe zur Debatte. Von der Qualifikation her jedoch unterschieden sich die beiden nicht. Damit ergebe sich die Frage, ob die Apotheke tatsächlich entscheidende qualitative Vorzuege gegenüber anderen Verkaufsorten besitze. Die Behauptung der Klägerin, die Apotheke sei ein Ort grösstmöglicher Seriösität und fachlicher Beratung, sei eine nichtbewiesene petitio principii. Zur Festlegung objektiver Qualitätskriterien sei im Gegenteil so vorzugehen, daß diese Kriterien zunächst umschrieben würden und dann geprüft werde, ob jeder potentielle Vertriebshändler ihnen gerecht werde. So könnten bestimmte Apotheker vom Vertrieb ausgeschlossen und umgekehrt Nichtapotheker, die diesen Anforderungen entsprächen, zum Vertrieb zugelassen werden. Ob der quantitative Charakter des angewandten Kriteriums, auf die Klägerin zurückgehe oder von einer gesetzlichen Regelung herrühre, sei unerheblich. Wesentlich sei, daß die Klägerin sich bei der Wahl des Vertriebssystems bewusst für ein begrenztes Netz von Verkaufsstellen entschieden habe. Auch die grosse Zahl von Apotheken ändere entsprechend dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Binon (a. a. O.) nichts am quantitativen Charakter des angewandten Kriteriums. Die begrenzte Anzahl der Verkaufsstellen resultiere aus dem gewählten Vertriebssystem. So könne ein Hersteller, der sich entschieden habe, seine Produkte nur auf Flughäfen zu vertreiben, nicht behaupten, er habe keinen Einfluß auf die Zahl der Verkaufsstellen, weil die zuständigen Stellen die Zahl der Flughäfen begrenzt hätten. Weder die Kommission selbst noch der Gerichtshof hätten dem Hersteller das Recht zuerkannt, zwischen qualifizierten Vertriebspartnern uneingeschränkt frei zu wählen; beide seien vielmehr davon ausgegangen, daß der Hersteller seinen Vertriebspartner anhand objektiver Qualitätskriterien auswählen müsse.

55 Aus Randnummer 19 der angefochtenen Entscheidung gehe hervor, daß der von der Klägerin beabsichtigte Alleinvertrieb über Apotheken, insbesondere unter Berücksichtigung der von der Klägerin gehaltenen Marktanteile und der kumulativen Wirkung, der von den für diesen Markt kennzeichnenden parallelen selektiven Vertriebssystemen ausgehe, eine erhebliche Einschränkung des Wettbewerbs bewirke. Dem Gerichtshof zufolge (vgl. das Urteil L' Oréal, a. a. O.) müssten beim Verbot einer selektiven Vertriebsvereinbarung wegen der von ihr bezweckten oder bewirkten Behinderung des Wettbewerbs insbesondere die Art und Menge der den Gegenstand der Vereinbarung bildenden Erzeugnisse, die Stellung und Bedeutung der Parteien auf dem Markt dieser Erzeugnisse sowie die streitige Vereinbarung allein oder im Zusammenhang mit anderen Vereinbarungen berücksichtigt werden. Ausserdem habe der Gerichtshof (a. a. O., Randnr. 18) zur Frage, ob eine Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sei, entschieden, daß es hierbei darauf ankomme festzustellen, ob sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lasse, daß die Vereinbarung den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu beeinflussen in der Lage sei. Anders als bei der in der Rechtssache Delimitis (a. a. O.) angewandten Methode, auf die sich die Klägerin zu Unrecht berufe und bei der der Gerichtshof zwischen dem Biervertrieb in Hotels, Gaststätten und Restaurants einerseits und dem über den Nahrungsmitteleinzelhandel andererseits unterschieden habe, sei im vorliegenden Fall eine weite Marktdefinition angewandt worden, die die verschiedenen Vertriebswege berücksichtige.

56 Anhand des ihr vorliegenden Zahlenmaterials habe die Kommission in Randnummer 19 der angefochtenen Entscheidung nachgewiesen, daß eine Öffnung des Vertriebsnetzes für Nichtapotheker zu einer Erhöhung der Zahl der Verkaufsstellen führe und daß andere Wiederverkäufer als Apotheker die Preisunterschiede zwischen Mitgliedstaaten zu "Parallelimporten" nutzen könnten. Ausserdem habe die Kommission darauf hingewiesen, daß die Erheblichkeit der Beeinträchtigung auf der kumulativen Wirkung mehrerer paralleler Alleinvertriebssysteme über Apotheken beruhe.

Würdigung durch das Gericht

57 Das Gericht weist zunächst darauf hin, daß der Gerichtshof im Urteil vom 15. März 1967 (a. a. O.) entschieden hat: "Für den Ausschluß einer Vereinbarung von der Bußgeldbefreiung des Artikels 15 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 ist gemäß Artikel 15 Absatz 6 zunächst erforderlich, daß nach Auffassung der Kommission die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages 'vorliegen' ".

58 Wie der Gerichtshof zweitens entschieden hat, hindert "die Marktstruktur nicht, daß es unterschiedliche, den Eigenheiten der verschiedenen Hersteller und den Bedürfnissen der verschiedenen Verbrauchergruppen angepasste Vertriebswege gibt" (Urteil Metro I, a. a. O., Randnr. 20). Im Urteil L' Oréal (a. a. O.) heisst es weiter dazu: "Um... beurteilen zu können, ob eine Vereinbarung wegen der Wettbewerbsstörungen, die sie bezweckt oder bewirkt, als verboten anzusehen ist, muß der Wettbewerb betrachtet werden, wie er ohne die fragliche Vereinbarung bestehen würde. Hierbei sind insbesondere Art und Gegenstand der den Gegenstand der Vereinbarung bildenden Erzeugnisse in Betracht zu ziehen; ferner ist zu prüfen, welche Stellung und Bedeutung die Parteien auf dem Markt dieser Erzeugnisse innehaben und ob die Vereinbarung für sich allein steht oder Bestandteil einer Gesamtheit von Vereinbarungen ist" (Randnr. 19).

59 Drittens hat der Gerichtshof entschieden (Urteil L' Oréal, a. a. O., Randnr. 17): "Ist der Zugang zu einem selektiven Vertriebsnetz von Voraussetzungen abhängig, die über eine blosse objektive Auswahl qualitativer Art hinausgehen, beruht es insbesondere auf quantitativen Kriterien, so fällt das Vertriebssystem grundsätzlich unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1, soweit die betreffende Vereinbarung... verschiedene Tatbestandsmerkmale erfuellt, die weniger ihre Rechtsnatur als ihr Verhältnis zum 'Handel zwischen Mitgliedstaaten' und zum 'Wettbewerb' betreffen." Darüber hinaus muß ein Vertriebssystem im Einzelfall zwar geeignet sein, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes erheblich zu beeinträchtigen (Urteil des Gerichtshofes vom 9. Juli 1969 in der Rechtssache 5/69, Völk, Slg. 1969, 295); die Beeinträchtigung braucht indes nicht tatsächlich vorzuliegen; es genügt eine potentielle Beeinträchtigung (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1969, a. a. O.; Urteil vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 42/84, Remia/Kommission, Slg. 1985, 2545; Urteil vom 17. November 1987 in den verbundenen Rechtssachen 142/84 und 156/84, BAT/Kommission, Slg. 1987, 4487).

60 Die Rüge der Klägerin, daß die Kommission rechtlich nicht den Beweis erbracht habe, daß die angemeldete Vereinbarung unter das Verbot von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag falle, ist anhand dieser Grundsätze zu untersuchen. Hierzu werden nacheinander die Definition des relevanten Marktes, die Rechtmässigkeit des Zugangskriteriums für Vertriebspartner sowie die Auswirkung der angemeldeten Vereinbarung auf den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes geprüft.

Definition des relevanten Marktes

61 Wie sowohl aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als auch aus der Klagebeantwortung der Kommission hervorgeht, ist der Kosmetikmarkt nach Auffassung der Kommission der relevante Markt zur Beurteilung der Frage, ob die von der Klägerin angemeldete Mustervereinbarung den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigt. Hinsichtlich der vertriebenen Produkte umfasst dieser Markt der Beklagten zufolge Schönheits- und Toilettenartikel, Haarpflegemittel und Parfums. Die von der Klägerin vertriebene Produktpalette umfasst alle Mittel zur Gesichts- und Körperpflege mit Ausnahme von Parfums. Hinsichtlich der einschlägigen Vertriebswege umfasst der Kosmetikmarkt nach Auffassung der Kommission sämtliche Vertriebswege, die für derartige Produkte genutzt werden. Die angefochtene Entscheidung unterscheidet vier verschiedene Vertriebswege, nämlich den allgemeinen Handel über Supermärkte, Drogerien und Verbrauchermärkte, den selektiven Handel über Parfümerien und Luxusstände in Kaufhäusern, den Handel über Apotheken - den ausschließlichen Vertriebsweg der Klägerin - und den Direktverkauf, insbesondere über den Versandhandel. Räumlich gesehen schließlich deckt sich der relevante Markt unstreitig mit dem Gebiet des Gemeinsamen Marktes, wenn auch im vorliegenden Fall mit Ausnahme Dänemarks, wo die Vichy-Produkte nicht vertrieben werden. Es ist festzustellen, daß diese Marktdefinition vollkommen mit der in der Anmeldung der Klägerin enthaltenen übereinstimmt.

62 Kosmetikprodukte werden unter einer Vielzahl von Markenbezeichnungen verkauft. Normalerweise ist jede Marke einem bestimmten Vertriebsweg zugeordnet. Marken, die wie diejenigen der Klägerin in Apotheken vertrieben werden, finden sich nicht in Luxusgeschäften oder im allgemeinen Handel. Manche Hersteller bieten eine grosse Produktpalette. Dies gilt für den L' Oréal-Konzern, der die Vertriebswege dem Markenprestige entsprechend auswählt. Die Klägerin räumt ein, daß neue und innovative Produkte normalerweise zuerst in Apotheken und danach, wenn sich die Konsumgewohnheiten gefestigt haben, in grösserem Umfang und unter anderen Markenbezeichnungen im allgemeinen Handel und im Parfümeriehandel vertrieben werden. Dem von André-Paul Weber für die Kommission erstellten Gutachten zufolge dient die Segmentierung der Vertriebswege dazu, die Preise austauschbarer Produkte den unterschiedlichen Vertriebswegen entsprechend zu handhaben.

63 Gemäß den der Kommission von der Klägerin selbst mitgeteilten Zahlen belief sich der erzielte Gesamtumsatz auf diesem Markt im Jahre 1987 auf 7,3 Milliarden DM in Deutschland, auf 30,3 Milliarden FF in Frankreich, auf 4 Milliarden LIT in Italien und auf 1,1 Milliarden UKL in Großbritannien. Der jeweilige Umsatzanteil für in Apotheken vertriebene Kosmetikprodukte in diesen vier Mitgliedstaaten betrug denselben Quellen zufolge 4,8 %, 9 %, 16,5 % und 44 %. Der Umsatz der Klägerin in diesen vier Mitgliedstaaten betrug jeweils 1,5 %, 2,2 %, 3,5 % und 1 % des Gesamtumsatzes auf dem Kosmetikmarkt und jeweils 32 %, 25 %, 21,4 % und 2,2 % des Gesamtumsatzes für Kosmetika in Apotheken. Der sich aus den Angaben der Klägerin ergebende Marktanteil des L' Oréal-Konzerns für Westeuropa betrug im Jahre 1986 14 %, mit Schwankungen zwischen 25 % bei Haarpflegemitteln und 7 % bei Toilettenartikeln. Der unmittelbarste Konkurrent von L' Oréal in diesem Jahr, der Lever-Konzern, hielt einen Marktanteil von 6 %. Der L' Oréal-Konzern, dessen hundertprozentige Tochterfirma die Klägerin ist, ist Marktführer in Frankreich und Italien. In Deutschland und in Großbritannien liegt er an vierter Stelle. Sein Gesamtumsatz im Jahre 1987 betrug 3,4 Milliarden ECU, wovon 116,5 Millionen auf die Klägerin entfallen, der zufolge die Entwicklung auf diesem Markt durch eine Zunahme des allgemeinen Handels auf Kosten des Apothekenvertriebs gekennzeichnet ist. Der Marktanteil des Apothekenvertriebs sei zwar in mehreren Sparten stabil, gehe aber in anderen zurück. Dies sei insbesondere der Fall bei Kinderprodukten, Make-up-Pflegemitteln und Shampoos. Aus der angefochtenen Entscheidung indes geht hervor, daß auf dem deutschen Markt der Marktanteil der Apotheken schneller wächst als der Gesamtmarkt. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 691A0019.1

64 Für den so definierten Markt, über dessen Struktur die Parteien Einvernehmen erzielt haben, ist somit zu prüfen, ob der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorliegt, die als solche möglicherweise in den Anwendungsbereich des Verbots in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag fällt. In diesem Stadium der vorläufigen Beurteilung der von der Klägerin angemeldeten Vereinbarung geht es der angefochtenen Entscheidung zufolge allein um das von der Klägerin angewandte Zugangskriterium zu ihrem Vertriebsnetz in den Mitgliedstaaten ausser Frankreich, in denen ihre Produkte vertrieben werden. Nach der angefochtenen Entscheidung stellt dieses Zugangskriterium der Niederlassung als Apotheker zum einen ein quantitatives Kriterium dar, das im Gegensatz zur Rechtsprechung des Gerichtshofes stehe (Urteil L' Oréal, a. a. O.), und ist zum anderen auf jeden Fall kein notwendiges Kriterium, um einen angemessenen Vertrieb der Produkte zu gewährleisten. Es ist daher zunächst die Rechtmässigkeit des von der Klägerin angewandten Zugangskriteriums und sodann gegebenenfalls die mögliche Auswirkung des Zugangskriteriums auf den Wettbewerb und den innergemeinschaftlichen Handel zu untersuchen.

Rechtmässigkeit des Zugangskriteriums

65 Vereinbarungen, mit denen selektive oder ausschließliche Vertriebssysteme eingeführt werden, sind, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82 (AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 33) entschieden hat, grundsätzlich geeignet, den Wettbewerb zu beeinflussen. Bestimmte Produkte können indes aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften sachgerecht nur über einen spezialisierten Vertrieb verkauft werden. Daher kann ein selektives oder ausschließliches Vertriebssystem eine Wettbewerbserscheinung sein, die mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag vereinbar ist, wenn feststeht, daß zur Wahrung der Qualität der fraglichen Produkte und zur Gewährleistung ihres richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebssystem erforderlich ist (Urteil L' Oréal, a. a. O., Randnr. 16), sofern die Auswahl der Wiederverkäufer nach objektiven Gesichtspunkten qualitativer Art erfolgt, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers, seines Personals und seiner sachlichen Ausstattung beziehen, und sofern diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden (Urteil Metro I, a. a. O., Randnr. 20). Schließlich hat der Gerichtshof in dem Urteil Binon vom 3. Juli 1985 (a. a. O.) wie folgt entschieden: "Ein selektives Vertriebssystem für Presseerzeugnisse, das den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, ist gemäß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verboten, wenn die Auswahl der Wiederverkäufer von quantitativen Gesichtspunkten abhängt."

66 Zugang zum Vertriebsnetz der Klägerin haben in den Mitgliedstaaten ausser Dänemark und Frankreich nur niedergelassene Apotheker (Offizinalapotheker). Aus den Akten geht hervor, daß in sechs der betreffenden Mitgliedstaaten ein Numerus clausus für den Zugang zum Apothekerberuf besteht.

67 Es kommt, wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, nicht darauf an, ob die Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen unmittelbar durch die Organisation des Vertriebsnetzes des Herstellers verursacht wird oder nicht. Zwar ist grundsätzlich jedes ausschließliche oder selektive Vertriebssystem schon seinem Wesen nach geeignet, den freien Wettbewerb zu beeinträchtigen (Urteil AEG/Kommission, a. a. O.), jedoch muß ein Zugangskriterium zu einem ausschließlichen oder selektiven Vertriebssystem dann als quantitatives Kriterium i. S. der Entscheidung Binon gelten, wenn es eine zahlenmässige Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen unabhängig von Angebot und Nachfrage bezweckt oder bewirkt. Geht die Begrenzung der Verkaufsstellen nicht auf normale Marktmechanismen zurück, so muß das vom Hersteller angewandte Zugangskriterium zu seinem Vertriebsnetz als quantitatives Kriterium angesehen werden. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen auf eine bereits bestehende Rechtslage oder auf eine willentliche Entscheidung des Herstellers zurückgeht, soweit diese nur Einfluß auf die festgestellte Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen hat.

68 Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, daß nationale Regelungen, die dem Hersteller nicht unbekannt sein konnten, die er sich vielmehr uneingeschränkt zunutze machen will, das Zugangskriterium zum Vertriebsnetz zu einem quantitativen Kriterium werden lassen. Zwar ist bei Apotheken die Zahl der potentiellen Verkaufsstellen relativ groß, doch ändert dies nichts am quantitativen Charakter des von der Klägerin angewandten Zugangskriteriums. Wie die Kommission in ihrer Gegenerwiderung zutreffend ausgeführt hat, könnte auch ein Hersteller, der seine Produkte nur in Flughäfen vertreibt, nicht geltend machen, die Begrenzung der Zahl der Verkaufsstellen gehe nicht auf ihn zurück.

69 Selbst wenn im übrigen das von der Klägerin angewandte Zugangskriterium als qualitatives Kriterium gelten könnte - was wie ausgeführt nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall ist -, bleibt festzustellen, daß das Kriterium der Niederlassung als Apotheker als Zugangsvoraussetzung zum Vertriebsnetz der Vichy-Produkte keineswegs notwendig ist, um einen angemessenen Vertrieb zu gewährleisten. Da die Klägerin einerseits einräumt, daß es sich bei ihren Produkten nicht um Arzneimittel handelt, und andererseits angibt, daß die Produkte mit solchen austauschbar sind, die über einen oder mehrere der genannten anderen Vertriebswege im Kosmetikmarkt vertrieben werden, ist das fragliche Zugangskriterium, da es keineswegs zu einem angemessenen Vertrieb der genannten Produkte notwendig ist, unverhältnismässig. Zwar ist es legitim, auf der Möglichkeit einer fachlichen Beratung in den Verkaufstellen zu bestehen, da gewisse Spezialkenntnisse erforderlich sind, um den Verbraucher bei der Auswahl des seinem Geschmack und seinen Bedürfnissen am besten entsprechenden Produkts zu unterstützen und ihn hinreichend über Anwendung und Haltbarkeit des Produktes zu informieren; diese Beratung würde jedoch, wie die Kommission anführt, durch die Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten in der Verkaufsstelle in einer Weise sichergestellt, die dem Verbraucher jede Garantie böte. Damit ist erwiesen, daß die Eigenschaften der fraglichen Produkte, wie die Kommission zutreffend angenommen hat, aus Gründen des Verbraucherschutzes keineswegs ein derart unverhältnismässiges Zugangskriterium in Form der Niederlassung als Apotheker erfordern.

70 Mit der Kommission ist festzustellen, daß Kosmetika und Arzneimittel sich in dieser Hinsicht wesentlich voneinander unterscheiden. Im Unterschied zum Medikamentenvertrieb erfordert der Verkauf von Kosmetika keine Vorkehrungen, die über die in den nationalen und gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zur Kontrolle der Unschädlichkeit von Kosmetika, insbesondere in der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S.169) in der geänderten Fassung, enthaltenen Maßnahmen hinausgingen. Diese Rechtsvorschriften garantieren, daß zum Kauf angebotene Kosmetika keine Gesundheitsgefährdung für den Verbraucher darstellen und daß ihr Vertrieb keine zusätzlichen Vorkehrungen, wie sie für den Arzneimittelverkauf bestehen, erfordert.

71 Das Pharmaziediplom bescheinigt seinem Inhaber, wie die Kommission zu Recht in Randnummer 18 der angefochtenen Entscheidung ausführt, sämtliche Kenntnisse in Pharmakologie, Biologie, Toxikologie und Dermatologie, die zur Führung einer Apotheke erforderlich sind. Indem die Klägerin diese Qualifikation nicht als ausreichend für die fachliche Beratung ihrer Kundschaft erachtet, fügt sie dem qualitativen Kriterium der Innehabung des Pharmaziediploms ein weiteres hinzu, das geeignet ist, ohne objektiven Grund die Zahl der Verkaufsstellen zu begrenzen und ihre Beschaffenheit zu ändern. Daher kann das Bemühen, der Kundschaft von Vichy-Produkten eine Beratung anzubieten, die der bei Arzneimitteln entspricht, nicht als durch die besonderen Eigenschaften der fraglichen Produkte bedingt angesehen werden, sondern ist als Verkaufsstrategie zu betrachten, die der Schaffung und der Aufrechterhaltung eines Markenbildes unter Ausnutzung des besonderen Ansehens der Apotheken dient. Die Klägerin hat im übrigen die Behauptung der Kommission nicht bestritten, daß Spitzenprodukte des L' Oréal-Konzerns, zu denen im Vergleich zu den Erzeugnissen der Klägerin umfangreichere und höherentwickelte Produktpaletten gehören, in Luxusparfümerien nicht von Inhabern wissenschaftlicher Diplome, sondern von ausgebildeten Kosmetikern verkauft werden.

72 Hieraus folgt, daß die Kommission im Rahmen ihrer vorläufigen Beurteilung das von der Klägerin angewandte Zugangskriterium zu Recht als quantitatives und unverhältnismässiges Kriterium angesehen hat.

73 Damit fällt, wie der Gerichtshof in dem Urteil L' Oréal (a. a. O.) entschieden hat, das genannte Kriterium grundsätzlich unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, soweit die betreffende Vereinbarung "verschiedene Tatbestandsmerkmale erfuellt, die weniger ihre Rechtsnatur als ihr Verhältnis zum Handel zwischen Mitgliedstaaten und zum Wettbewerb betreffen".

Auswirkung auf den Wettbewerb und den innergemeinschaftlichen Handel

74 Um im Hinblick auf das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag festzustellen, ob das vom Hersteller angewandte Zugangskriterium den Wettbewerb beeinträchtigt, ist zu untersuchen, ob das Kriterium eine erhebliche Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Wettbewerbs bewirkt, ob sich also insbesondere "anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, daß die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen" und ob sie dadurch "der Errichtung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten hinderlich sein kann" (Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juni 1966, a. a. O.).

75 Die Prüfung der bei der Kommission angemeldeten Mustervereinbarung ergibt, daß sich das Vertriebsnetz der Klägerin in allen Ländern ausser Griechenland auf neun Generalvertretungen stützt, die jeweils das exklusive Vertriebsrecht für den Mitgliedstaat besitzen. Sieben Generalvertretungen sind hundertprozentige Tochtergesellschaften des L' Oréal-Konzerns. Die Generalvertretungen in Spanien und Irland sind zu jeweils 70 und 50 % Tochtergesellschaften von L' Oréal. Die Generalvertretungen schließen entweder mit Großhändlern oder mit Einzelhändlern ab, die niedergelassene Apotheker sein müssen. Die Apotheker ihrerseits verkaufen die Vertragsprodukte an den Endverbraucher. In jedem dieser Mitgliedstaaten besteht das Vertriebsnetz demnach zum einen aus Großhändlern, die vertraglich durch Verträge ("lettres-conventions") oder allgemeine Geschäftsbedingungen gebunden, und zum anderen aus niedergelassenen Apothekern, die durch Einzelverträge oder allgemeine Geschäftsbedingungen an einen Großhändler oder die Generalvertretung gebunden sind.

76 Aufgrund der sogenannten "EWG-Klausel" in den individuellen Vertriebsverträgen, den "lettres-conventions" oder den allgemeinen Geschäftsbedingungen sind Verkäufe innerhalb des Vertriebsnetzes möglich, gleichgültig, ob der Käufer seinen Sitz in demselben Mitgliedstaat wie der Verkäufer hat oder nicht. Zwischenhandelsgeschäfte, d. h. der Verkauf an andere Personen als den Endverbraucher, sind indes untersagt, wenn die betreffende Person ausserhalb des Vertriebsnetzes steht. Daraus folgt für alle betreffenden Mitgliedstaaten ausser Frankreich das Verbot für Apotheker, an andere Personen als an Endverbraucher oder Apotheker zu verkaufen. Der Verstoß gegen dieses Verbot zieht den Ausschluß aus dem Vertriebsnetz nach sich. Zur Kontrolle dieses Verbots erlegt die Klägerin Zwischenhändlern die Verpflichtung auf, Rechnungen aus Zwischenverkäufen ein Jahr aufzubewahren.

77 Wenn es auch dem Hersteller grundsätzlich unbenommen ist, sich gegen den Zwischenhandel mit Personen ausserhalb des Vertriebsnetzes abzusichern, so ist das vom Hersteller angewandte Zugangskriterium trotz der söben untersuchten "EWG-Klausel" dennoch geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Tatsächlich bezweckt und bewirkt das Kriterium der Niederlassung als Apotheker, daß kein Apotheker in einem der betreffenden Mitgliedstaaten die Vertragsprodukte an eine andere Person als an einen Apotheker oder einen Endverbraucher weiterverkaufen darf. Damit wird der mögliche Handel zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten eingeschränkt, indem "Parallelimporte" anderer Wirtschaftsteilnehmer zur Ausnutzung vorhandener Preisunterschiede verhindert werden. Darüber hinaus beschränkt das in den anderen Mitgliedstaaten angewandte Zugangskriterium mögliche Importe französischer Einzelhändler auf derselben Handelsstufe, die für den Zugang zum Vertriebsnetz der Klägerin lediglich anhand eines wissenschaftlichen Diploms Kenntnisse in "Kosmetiklehre, Biologie, Dermatologie und Pharmazie" nachzuweisen brauchen, auf Importe aus dem Apothekenvertriebsnetz dieser Mitgliedstaaten. Das angewandte Zugangskriterium beschränkt auch die Möglichkeit für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Wiederverkäufer, die Vertragsprodukte von anderen Personen als den Großhändlern oder anderen Apothekern zu erwerben, auf das französische Staatsgebiet. Damit beeinträchtigt das von der Klägerin in allen Mitgliedstaaten ausser Frankreich angewandte Zugangskriterium den zwischenstaatlichen Handelsverkehr.

78 Das streitige Zugangskriterium beeinträchtigt nicht nur den zwischenstaatlichen Handelsverkehr, sondern beschränkt als solches auch den Wettbewerb, da wegen der für Apotheker geltenden Standesregeln der Wettbewerb, insbesondere der Preiswettbewerb, für ein bestimmtes Produkt innerhalb des Apothekenvertriebsnetzes erheblich eingeschränkt ist. Der Preiswettbewerb für ein bestimmtes Produkt muß daher zwischen dem Apothekenvertrieb und den anderen Vertriebswegen stattfinden. Er kann grundsätzlich durch die Unterschiede der Durchschnittspreise ausgelöst werden, die für ein bestimmtes Produkt auf der Einzelhandelsstufe zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten festgestellt werden. Da aber zum einen das angewandte Zugangskriterium den Wettbewerb mit anderen Vertriebswegen verhindert und zum anderen bewirkt, daß innerhalb des Apothekenvertriebs Vertragsprodukte, die in Wettbewerb zu den auf diesem Weg vertriebenen Produkten treten können, nur in Frankreich erworben werden können, beschränkt das Kriterium der Niederlassung als Apotheker den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft.

79 Die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Wettbewerbs durch das vom Hersteller festgelegte Zugangskriterium ist darüber hinaus, wie die Kommission darlegt, besonders schwerwiegend, weil wegen des bestehenden Numerus clausus einerseits und der in den meisten der betreffenden Mitgliedstaaten für niedergelassene Apotheker geltenden Standesregeln der Wettbewerb zwischen den Apotheken bekanntermassen ohnehin eingeschränkt ist. Aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten Zahlen, die insoweit nicht bestritten wurden, ergibt sich, daß die den Einzelhändlern von den Generalvertretungen oder den Großhändlern eingeräumten mittleren Verkaufspreise von einem Mitgliedstaat zum anderen um bis zu 30 % abweichen können. Daraus folgt, daß, wie die angefochtene Entscheidung in Randnummer 19 zu Recht feststellt, der wirksame Wettbewerb zwischen Apothekenvertrieb und den anderen Vertriebsarten, der im vorliegenden Fall durch die Förderung des Wettbewerbs und insbesondere des Preiswettbewerbs zwischen den einzelnen Vertriebswegen für ein und dasselbe Erzeugnis besonders geeignet wäre, den zwischenstaatlichen Handel weiterzuentwickeln, hinreichend spürbar i. S. von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag beeinträchtigt ist.

80 Ferner müssen bei der Beurteilung der Auswirkungen der streitigen Vereinbarung "die wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumstände" berücksichtigt werden (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991, a. a. O.). Unter diesem Blickwinkel ist "das Bestehen gleichartiger Verträge... ein Sachverhalt, der gemeinsam mit anderen eine Gesamtheit wirtschaftlicher und rechtlicher Begleitumstände bilden kann, in deren Zusammenhang der Vertrag bei seiner Beurteilung betrachtet werden muß" (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1967, a. a. O.). Auch wenn der Umstand, "daß der streitige Vertrag zu einem Bündel gleichartiger Verträge auf diesem Markt gehört, die sich kumulativ auf den Wettbewerb auswirken, nur einer unter mehreren Faktoren" ist, anhand deren die Funktionsweise des Marktes zu beurteilen ist (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991, a. a. O.), hat die Kommission in Randnummer 19 der angefochtenen Entscheidung doch zu Recht für den vorliegenden Fall ausgeführt: "Zur Bewertung der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten muß die kumulative Wirkung berücksichtigt werden, die daraus folgt, daß in der Offizinalapotheke parallele exklusive Vertriebssysteme für alle im Apothekenvertriebskanal abgegebenen Kosmetikmarken bestehen. Der Marktanteil der Apothekenkosmetik liegt zwischen rund 5 und 40 % des gesamten Kosmetikmarkts. Die Wettbewerbsbeschränkung und die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten sind daher spürbar, ohne daß es auf die Abgrenzung des relevanten Marktes ankommt."

81 Die Klägerin kann sich daher nicht auf das Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991 (a. a. O.) berufen, in dem der Gerichtshof zu einer in einem Bierlieferungsvertrag mit Alleinbezugsverpflichtung enthaltenen Öffnungsklausel wie folgt entschieden hat: "Ein Bierlieferungsvertrag, der dem Wiederverkäufer den Bezug von Bier aus anderen Mitgliedstaaten erlaubt, ist nicht geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn über diese Erlaubnis hinaus für einen inländischen oder ausländischen Lieferanten auch eine tatsächliche Möglichkeit besteht, diesen Wiederverkäufer mit Bieren aus anderen Mitgliedstaaten zu beliefern." Im vorliegenden Fall gehen die Beeinträchtigungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nämlich vom Zugangskriterium als solchem aus, das den Handel beschränkt, indem es bestimmte Formen des Handels ausschließt, ohne daß hierfür eine ausreichende Rechtfertigung besteht.

82 Aufgrund dieser Umstände und in Anbetracht der umfangreichen Produktpalette und der bereits erwähnten Marktstellung der Klägerin sowie auch der Tatsache, daß zehn von zwölf Mitgliedstaaten von der angemeldeten Vereinbarung betroffen sind, kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, die Kommission habe eine hinreichend spürbare Beschränkung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt nicht nachgewiesen und die von ihrem Vertriebsnetz ausgehenden Wettbewerbsbeschränkungen würden durch den Wettbewerb ausgeglichen, der von den über andere Wege vertriebenen Marken ausgehe, denn dieser Wettbewerb ist tatsächlich nur begrenzt.

83 Aus alldem ergibt sich, daß die Kommission bei ihrer vorläufigen Beurteilung zu Recht das von der Klägerin in der angemeldeten Mustervereinbarung angewandte Zugangskriterium als unzulässig und im Widerspruch zu Artikel 85 Absatz 1 stehend angesehen hat, da es geeignet ist, den Wettbewerb sowie den innergemeinschaftlichen Handel hinreichend spürbar zu beeinträchtigen. Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der Anwendbarkeit von Artikel 85 Absatz 3

Vorbringen der Parteien

84 Die Klägerin ist der Auffassung, daß die Kommission ihr jedenfalls zu Unrecht die Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 versagt habe. Das Kriterium der Niederlassung als Apotheker erfuelle die Voraussetzungen dieser Bestimmung; der Standpunkt der Kommission dagegen sei unzutreffend, und die Beschränkung des Wettbewerbs, die von diesem Kriterium seiner Natur nach ausgehe, sei unerläßlich. Entgegen der Auffassung der Kommission trage das von der Klägerin angewandte Vertriebssystem unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung sowie zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts bei. Im übrigen seien zwar die französischen Gerichte berechtigt gewesen, die Vereinbarkeit des von der Klägerin angewandten Vertriebssystems mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zu überprüfen; zur Prüfung der Anwendbarkeit von Artikel 85 Absatz 3 dagegen sei ausschließlich die Kommission befugt. Die angefochtene Entscheidung müsse daher für nichtig erklärt werden, da die Kommission das Vertriebssystem nicht unter dem Gesichtspunkt des Artikel 85 Absatz 3 untersucht habe, obwohl ihr sowohl ein Antrag auf Erteilung eines Negativattests als auch ein Antrag auf Abgabe einer Nichtanwendbarerklärung vorgelegen habe. Schließlich verschiebe das Vorbringen der Kommission, der Apothekenvertrieb biete keinerlei Vorteil gegenüber einem Vertrieb über diplomierte Pharmazeuten, die nicht in einer Apotheke tätig seien, die Diskussion und verkürze sie auf die Merkmale einer Verkaufsstelle, nämlich der Apotheke.

85 Es seien drei Vorteile, mit denen der Alleinvertreib über Apotheken zum wirtschaftlichen Fortschritt beitrage:

- Sicherheit der Versorgung

Es komme entgegen den widersprüchlichen Überlegungen der Kommission, die dem Hersteller die Nachteile des Apothekenvertriebs anlaste, sich aber weigere, ihm die entsprechenden Vorteile zuzurechnen, nicht darauf an, ob diese Vorteile auf den Hersteller zurückgingen oder nicht. Es genüge vielmehr festzustellen, daß der Apothekenvertrieb vorteilhaft für den Verbraucher sei und daß diese Vorteile wegfielen, wenn man das Vertriebsnetz für andere Vertriebsarten öffnete. Ferner garantiere das von der Klägerin für den Vertrieb ihrer Produkte angewandte Vertriebsystem dem Verbraucher eine rasche Nachversorgung, die aus Gründen, die mit dem öffentlichen Gesundheitsschutz zusammenhingen, für das System des Apothekenvertriebs kennzeichnend sei.

- Amortisierung der Investitionen

Entsprechend dem Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 (a. a. O.) habe die Kommission die "Wirkung im Hinblick auf eine objektiv feststellbare Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung" zu beurteilen; diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall erfuellt, da das Interesse des Herstellers an einer Minimierung des Investitionsrisikos sich mit dem Interesse des Verbrauchers treffe.

- Einschaltung des Apothekers

Die Ansicht der Kommission, daß der Vertrieb der Produkte zuerst über Apotheken und später unter anderer Markenbezeichnung ausserhalb der Apotheken erfolge, sei insofern falsch, als der spätere Vertrieb ausserhalb der Apotheken durch die "Banalisierung des Innovationskonzepts" ermöglicht werde; diese Banalisierung betreffe indessen nicht die Marke selbst.

86 Ein und dasselbe Produkt könne nicht zugleich innerhalb und ausserhalb der Apotheke vertrieben werden. Die Sicht der Kommission, wonach der Wettbewerb zwischen Apotheken aufgrund der für sie geltenden Standesregeln notwendigerweise eingeschränkt sei, sei verkürzt und überholt. Der Verbraucher profitiere von der Dienstleistung des Apothekers, der eine Aufklärungs- und Beratungspflicht habe. Diese Dienstleistung gehe über den blossen Preiswettbewerb hinaus, der keineswegs der einzige Ausdruck des Wettbewerbsgedankens sei, und werde nicht von preislichen Erwägungen beeinflusst.

87 Nach Auffassung der Kommission war im Rahmen der angefochtenen Entscheidung nicht zu untersuchen, ob die sich aus der beruflichen Qualifikation des Apothekers ergebenden Vorteile die Voraussetzungen einer Freistellung erfuellten, da die Entscheidung lediglich den Ausschluß von solchen Verkaufsstellen aus dem Vertriebsnetz betreffe, in denen diplomierte Pharmazeuten beschäftigt seien. Da diese Verkaufsstellen dieselben Vorteile hinsichtlich der beruflichen Qualifikation des Verkäufers böten, sei es nur logisch, davon auszugehen, daß für Apotheken kein spezieller Vorteil angeführt werden könne. Die Darstellung der Klägerin, Apotheker verfügten aufgrund ihrer Berufserfahrung, ihrer standesrechtlichen Pflichten und ihrer Fähigkeit, einen persönlichen Bezug zur Kundschaft zu unterhalten sowie einen Informationsrücklauf zu garantieren, über besondere Qualitäten, die ein nicht in der Apotheke tätiger diplomierter Pharmazeut nicht habe, beruhe auf einer petitio principii und sei durch nichts bewiesen.

88 Mit Bezug auf die anderen angeführten Vorteile führe die Klägerin nur bereits aus dem Anmeldungsverfahren bekannte Argumente an. Die Sicherheit der Versorgung basiere nicht auf dem gewählten Vertriebssystem. Die Klägerin könne nicht mit wirtschaftlichem Fortschritt argumentieren, wo es darum gehe, die von ihr selbst aufgewandten Investitionskosten zu amortisieren. Die Öffnung des Vertriebsnetzes für andere Verkaufsstellen lasse die Möglichkeit unberührt, auf die Hilfe des Apothekers bei der Neueinführung von Produkten zurückzugreifen. Das Argument, innovative Produkte würden zuerst in Apotheken verkauft, werde dadurch widerlegt, daß der Verkauf später unter anderen Markenbezeichnungen ausserhalb der Apotheken erfolge. Das Vorbringen der Klägerin, daß einerseits der Verkauf ihrer innovativen Kosmetikprodukte spezieller Beratung zur Bildung des Verbrauchers bedürfe, andererseits der Verbraucher aber die freie Auswahl bezueglich vergleichbarer Produkte in Verbrauchermärkten habe, sei in sich widersprüchlich.

89 Die Auswahl für den Verbraucher sei breiter, wenn die Möglichkeit bestehe, sich dasselbe Produkt über andere Vertriebswege zu beschaffen. Der Verbraucher könne seine Wahl nicht sachkundig treffen, solange dasselbe Produkt ihm jeweils unter einer anderen Markenbezeichnung angeboten werde, je nachdem, in welchem Vertriebszweig er sich befinde. Wie die Cour d' appel Paris in dem Urteil vom 28. Januar 1988 (a. a. O.) ausgeführt habe, sei der Preiswettbewerb zwischen Apotheken aufgrund der bestehenden Standesregeln für niedergelassene Apotheker notwendigerweise eingeschränkt. Aus all diesen Gründen lasse sich nicht sagen, daß der Verbraucher in angemessener Art und Weise von einem wie immer gearteten technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt profitiere. Das Bemühen der Klägerin sei es nicht, die Interessen des Verbrauchers zu fördern, sondern vielmehr ihren Produkten ein bestimmtes Markenbild zu geben.

Würdigung durch das Gericht

Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt

90 Der Gerichtshof hat in dem Urteil vom 15. März 1967 (a. a. O.) entschieden: "Gemäß Artikel 15 Absatz 6 muß die Kommission den Vertragsparteien... mitteilen, daß nach ihrer Auffassung eine Anwendung des Artikels 85 Absatz 3 des Vertrages nicht gerechtfertigt ist... Daß die Kommission insoweit über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfügt, gebietet ihr nur noch mehr, innerhalb des besonderen Rahmens des Artikels 15 Absatz 6 der Verordnung [Nr. 17] durch eine Entscheidung festzustellen, daß eine Anwendung des Artikels 15 Absatz 3 'nicht gerechtfertigt ist'."

91 Es sind daher nacheinander die drei von der Klägerin vorgebrachten Argumente zur Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts durch den Alleinvertrieb über Apotheken zu prüfen. Der Klägerin zufolge bietet die angewandte Vertriebsart Sicherheit der Versorgung, garantiert die Rentabilität der Investition und erlaubt die Einschaltung des Apothekers.

92 Zum ersten Argument, der Sicherheit der Versorgung, ist festzustellen, daß diese sehr wohl je nach Eigenart der vertriebenen Produkte bei der Beurteilung eines Vertriebssystems berücksichtigt werden kann. So enthielt der dem Urteil Metro I zugrunde liegende Kooperationsvertrag zwischen dem Hersteller und den Großhändlern für letztere die Verpflichtung, jeweils für einen Mindestzeitraum von sechs Monaten im voraus Lieferverträge unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Marktentwicklung abzuschließen. Dazu stellte der Gerichtshof fest, "daß der Abschluß von Lieferverträgen für einen Zeitraum von einem halben Jahr und unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Wachstums des Marktes es ermöglichen soll, in der Versorgung mit den betroffenen Erzeugnissen eine gewisse Beständigkeit - mit der Folge einer besseren Deckung des Bedarfs derjenigen, die sich bei dem Großhändler eindecken - zu gewährleisten... Auf diese Weise wird zum Vorteil sowohl des Herstellers... als auch des Großhändlers... als auch schließlich der... Betriebe... eine grössere Regelmässigkeit des Vertriebs gewährleistet" (Urteil Metro I, a. a. O., Randnr. 43).

93 Im vorliegenden Fall jedoch hat die Klägerin, selbst wenn man unterstellt, die für pharmazeutische Produkte geltende Versorgungssicherheit sei in allen in Betracht kommenden Mitgliedstaaten auf andere Produkte, die in Apotheken vertrieben werden, übertragbar, nicht dargetan, daß eine entsprechende Lagerhaltung nicht in der Lage wäre, ausserhalb des Apothekenvertriebs dieselbe Sicherheit der Versorgung wie in Apotheken zu gewährleisten. Die Verpflichtung, das gesamte Sortiment vorrätig zu halten, ist, wie die angefochtene Entscheidung in Randnummer 25 zu Recht feststellt, keine Bedingung für die Anerkennung als Vertriebshändler und erscheint als solche nicht einmal in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Unter diesen Umständen kann die Klägerin nicht behaupten, es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen dem angewandten Zugangskriterium und dem angeblichen Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt. Wie die angefochtene Entscheidung zutreffend feststellt, können entsprechende Vorteile ausserhalb des Apothekenvertriebs durch vertragliche Verpflichtungen sichergestellt werden.

94 Zum zweiten Argument der Klägerin ist ebenfalls darauf hinzuweisen, daß die Rentabilität der von einem Hersteller zur Markteinführung eines neuen Produkts oder einer neuen Produktreihe getätigten Investitionen je nach Lage des Einzelfalles ein Vorteil sein kann, der als Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt berücksichtigt werden kann. Auch wenn die Kommission die entgegengesetzte Auffassung vertreten hat, entspricht diese Bewertung doch ihrer Praxis (vgl. z. B. die Entscheidung der Kommission vom 12. Januar 1990, IV-32.006 - Alcatel Espace/Nachrichtentechnik, ABl. L 32, S. 19, in der ausdrücklich die optimale Investitionsamortisierung als Argument für die Freistellung einer Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung im Bereich der Weltraumkommunikation angeführt wird.) Die Klägerin hat jedoch im vorliegenden Fall keinerlei Tatsachen vorgebracht, aus denen hervorginge, daß die Rentabilität der Investition bei der Markteinführung neuer Produkte oder neuer Produktreihen beim Apothekenvertrieb höher wäre als beim Vertrieb über andere Kanäle. Zudem ist die Klägerin, wie die angefochtene Entscheidung in Randnummer 26 zu Recht feststellt, nicht daran gehindert, bei der Markteinführung die Mithilfe eines Apothekers in Anspruch zu nehmen.

95 Das dritte und letzte Argument der Klägerin, sie lege grössten Wert auf die Unterstützung des Apothekers bei der Verbesserung ihrer Produkte, ist unerheblich, da nicht erwiesen ist, daß diese Unterstützung nicht auch von einem diplomierten Pharmazeuten geleistet werden kann. Darüber hinaus steht, wie die angefochtene Entscheidung in Randnummer 27 zu Recht feststellt, diesem Argument die Tatsache entgegen, daß dieselben Produkte später ausserhalb des Apothekenvertriebsweges unter anderen Markenbezeichnungen vertrieben werden. Diese Situation ist wie bereits ausgeführt eher auf den Wunsch des Herstellers zurückzuführen, seinem Produkt ein dauerhaftes Markenbild als Apothekenprodukt beizulegen, als auf das Bemühen um Vorbereitung einer weiteren Vermarktung ausserhalb der Apotheken. Im übrigen wurde nach Aufgabe des strittigen Zugangskriteriums in Frankreich eine sogenannte "Markenumfeldklausel" in die Vertriebsvereinbarungen aufgenommen, wonach der Vertriebshändler bei Meidung des Entzugs der Zulassung verpflichtet ist, Vichy-Produkte in einem Umfeld zu präsentieren, die aus mindestens fünf Marken mit vergleichbarem Markenbild besteht.

96 Allgemein ist in Übereinstimmung mit der Kommission festzustellen, daß die Prüfung der beiden letzten Argumente der Klägerin zu einer Relativierung des Standpunktes der Klägerin führen muß. Tatsächlich bestreitet die Kommission der Klägerin nicht das Recht, ihre Produkte über Verkaufsstellen, in denen diplomierte Pharmazeuten tätig sind, zu vertreiben. Einziger Streitpunkt sind daher die Vorteile des Apothekenvertriebs gegenüber einem Vertrieb über solche Verkaufsstellen, in denen die Kundschaft sich von einem diplomierten Pharmazeuten beraten lassen kann. Unter diesem Gesichtspunkt betrifft lediglich das erste Argument der Klägerin den Apothekenvertrieb im eigentlichen Sinne.

Angemessene Beteiligung des Verbrauchers am Gewinn

97 Der Klägerin zufolge unterscheiden die Berufserfahrung, die Standesregeln sowie die persönliche Beziehung zur Kundschaft den Apotheker von einem diplomierten Pharmazeuten und tragen auf diese Art und Weise dazu bei, die Qualität der dem Verbraucher gebotenen Dienstleistung zu erhöhen.

98 Vorliegend können wie bereits dargelegt nur diejenigen Vorteile, die dem Verbraucher im engen Sinne unmittelbar aus dem Apothekenvertrieb erwachsen, Gegenstand der Erörterung sein. Die Klägerin hat indessen nicht nachgewiesen, daß Aufklärung und Beratung nur in Apotheken möglich sind und eine gleichwertige Dienstleistung nicht auch von diplomierten Pharmazeuten ausserhalb dieses Vertriebsweges erbracht werden können. So hat sie nicht nachgewiesen, inwieweit die Öffnung ihres Vertriebsnetzes für Personen, die zwar nicht Apotheker, wohl aber Inhaber eines pharmazeutischen Diploms sind, die Markteinführung innovativer Produkte und die Entwicklung ihres Markenbildes behindern sollte. Ebenfalls nicht nachgewiesen ist, daß diplomierte Pharmazeuten, die im allgemeinen Handel und nicht in der Apotheke tätig sind, nicht in der Lage sein sollten, eine vergleichbare Berufserfahrung zu erwerben und eine persönliche Beziehung zur Kundschaft herzustellen. Im übrigen ist jedenfalls der Hinweis auf die bestehenden Standesregeln zurückzuweisen, da die Eigenschaften der vertriebenen Produkte keineswegs einen Vertrieb unter Beachtung besonderer Standesregeln erforderlich machen, einmal unterstellt, daß Apotheker strengeren Standesregeln unterworfen sind als diplomierte Pharmazeuten. Wie die angefochtene Entscheidung zudem zu Recht feststellt, kann die Klägerin nicht behaupten, der Verbraucher sei angemessen am Gewinn aus einem Vertriebssystem beteiligt, das den Vertrieb vergleichbarer und austauschbarer Produkte innerhalb und ausserhalb von Apotheken jeweils unter unterschiedlicher Markenbezeichnung erlaubt und so eine wohlerwogene Auswahlentscheidung verhindert. Die angeführten Vorteile der Klägerin blieben daher, wie die angefochtene Entscheidung in Randnummer 29 zu Recht feststellt, auch bei einer Öffnung des Vertriebssystems für diplomierte Pharmazeuten erhalten.

99 Folglich hat die Kommission ihre Auffassung, daß im vorliegenden Fall die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 nicht gerechtfertigt sei, bei ihrer vorläufigen Beurteilung weder auf fehlerhafte Tatsachenfeststellungen gestützt, noch hat sie dabei rechtsfehlerhaft gehandelt oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. Der vierte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der Unanwendbarkeit von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17

Vorbringen der Parteien

100 Die Klägerin bringt vor, die Kommission habe Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 zu Unrecht angewandt, da die besonderen Voraussetzungen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes für die Anwendung dieser Vorschrift erfuellt sein müssten, im vorliegenden Fall nicht gegeben seien. Erforderlich seien ein schwerwiegender und offensichtlicher Verstoß, Bösgläubigkeit des betroffenen Unternehmens und Eilbedürftigkeit.

101 Bezueglich der beiden letzten Voraussetzungen hat die Klägerin in ihrer Erwiderung eingeräumt, sie seien nicht eigentlich in Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 enthalten. Durch die Berufung auf die Voraussetzungen der Bösgläubigkeit und der Eilbedürftigkeit habe sie lediglich auf tatsächliche Umstände aufmerksam machen wollen, die zu berücksichtigen seien, nämlich zum einen auf die Tatsache, daß die Kommission der Annahme zuneige, die Klägerin sei nicht guten Glaubens gewesen, und zum anderen auf die Tatsache, daß die Kommission eine vorläufige Beurteilung vorgenommen habe, obwohl sie seit August 1989 alle Unterlagen besessen habe, die zu einer vollständigen Gesamtbeurteilung des von der Klägerin angemeldeten Vertriebssystems notwendig gewesen seien.

102 Zum Vorliegen eines schweren und offensichtlichen Verstosses habe der Gerichtshof in dem Urteil vom 15. März 1967 (a. a. O.) entschieden, daß Entscheidungen nach Artikel 15 Absatz 6 den Vertrag verletzten, wenn nicht "im konkreten Einzelfall alle Tatbestandsmerkmale des Artikels 85 Absatz 1 erfuellt sind". Die angefochtene Entscheidung werde diesen Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht: Die Überlegungen der Kommission zur Anwendbarkeit von Artikel 15 Absatz 6 seien sachfremd, da die Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf einem zuvor definierten relevanten Markt nicht festgestellt worden sei. Indem die Kommission ihre Untersuchung auf das für Vertriebshändler notwendige Zugangskriterium der Niederlassung als Apotheker beschränkt und die übrigen Durchführungsmodalitäten der Vertriebsvereinbarung der Klägerin ausser acht gelassen habe, habe sie, ohne ihre Entscheidung zu begründen, die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismässigkeit verletzt.

103 Die von der Kommission für ihre Entscheidung angeführten Gründe seien allesamt unzutreffend. Weder der Hinweis auf die nationale Rechtsprechung, die von Cosimex erhobene Beschwerde oder ihre eigene Entscheidung vom 14. Dezember 1989 (Association pharmaceutique belge, APB, IV-32.202, ABl. 1990, L 18, S. 35) noch die Existenz zweier unterschiedlicher Vertriebssysteme innerhalb des Gemeinsamen Marktes könnten die angefochtene Entscheidung rechtfertigen. Das Urteil der Cour d' appel Paris betreffe nur die Änderung des Vertriebssystems für Frankreich, nicht aber für die anderen Mitgliedstaaten und sei daher unerheblich. Ebensowenig reiche die Beschwerdeerhebung durch die Firma Cosimex aus, um einen schweren und offensichtlichen Verstoß zu begründen. Im übrigen stamme die Beschwerde nicht von einer Partei, die aus dem Vertriebsnetz ausgeschlossen worden sei. Schließlich könne sich die Kommission auch nicht auf ihre Entscheidung vom 14. Dezember 1989 (a. a. O.) berufen, da diese nicht die ihr von der Kommission beigelegte Tragweite besitze. Mit dieser Entscheidung, die Apothekenvertriebsvereinbarungen für parapharmazeutische Erzeugnisse in Belgien zum Gegenstand gehabt habe, habe die Kommission Herstellern das Recht zuerkannt, frei über die Form des Absatzes ihrer Produkte zu entscheiden. Diese Entscheidung präjudiziere daher nicht die Möglichkeit für den Hersteller, seine Erzeugnisse selektiv über Apotheken zu vertreiben. Sie enthalte keinerlei Bewertung eines vom Hersteller eingerichteten Vertriebsystems, sondern beschränke sich vielmehr darauf, die Wettbewerbssituation innerhalb eines einzigen Vertriebsweges zu untersuchen, während es bei Kosmetika darauf ankomme, den lebhaften Wettbewerb zwischen den verschiedenen Vertriebskanälen in Rechnung zu stellen.

104 Das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Vertriebssysteme innerhalb des Gemeinsamen Marktes gehe nicht auf die Klägerin zurück, sondern beruhe auf den Gegebenheiten des französischen Rechts, nämlich den Anordnungen des Conseil de la Concurrence zur Änderung des Vertriebssystems für den französischen Markt. Sie habe ihrerseits alle Maßnahmen getroffen, um den freien Verkehr ihrer Waren innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu ermöglichen. Die Kommission führe keinerlei Fakten als Beleg dafür an, daß Vertriebshändler ausserhalb der Apotheken besser in der Lage seien, einen Preiswettbewerb zu garantieren. Dieser Verstoß sei im übrigen nicht in der Liste der ihr von der Kommission mitgeteilten Verstösse enthalten gewesen. Allein aus diesem Grund sei die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären.

105 Nach Auffassung der Kommission macht die Klägerin zu Unrecht die Anwendung von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 von vier Voraussetzungen abhängig, nämlich von der Offensichtlichkeit des Verstosses, seiner Schwere, der Bösgläubigkeit des betroffenen Unternehmens sowie von der Eilbedürftigkeit der beabsichtigten Maßnahme. Die beiden letztgenannten Voraussetzungen seien für die Anwendbarkeit von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 nie gefordert worden. Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung seien nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 15. März 1967 (a. a. O.) lediglich die Offensichtlichkeit und die Schwere des Verstosses.

106 Die Kommission rechtfertigt die angefochtene Entscheidung einmal mit den von ihr angeführten Urteilen und zum anderen damit, daß die Klägerin keine Rechtfertigung für das Nebeneinander zweier Vertriebssysteme innerhalb des Gemeinsamen Marktes vorgebracht habe. Unter dem Blickwinkel beider Voraussetzungen sei die angefochtene Entscheidung hinreichend begründet worden: Die Aufrechterhaltung des ausschließlichen Apothekenvertriebssystems in zehn Mitgliedstaaten stelle bei Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte einen schweren und offensichtlichen Verstoß dar. Diese Gesichtspunkte seien auch nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit bewertet worden und ließen die Offensichtlichkeit und Schwere des Verstosses erkennen.

107 Da zunächst der französische Conseil de la concurrence, sodann die Cour d' appel Paris und schließlich die Cour de cassation entschieden hätten, daß das ausschließliche Apothekenvertriebssystem nicht nur gegen nationales französisches Recht, sondern auch gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstosse, stelle die Aufrechterhaltung dieses Systems in der übrigen Gemeinschaft einen offensichtlichen Verstoß dar.

108 Die von Cosimex erhobene Beschwerde sei zu Recht berücksichtigt worden, da sie zeige, daß der Verstoß nicht nur theoretischer Natur sei. Die Beschwerde diene zusammen mit den anderen angeführten Gesichtspunkten dem Beweis der Schwere und der Offensichtlichkeit des Verstosses.

109 In der APB-Entscheidung habe sie ihre Auffassung deutlich gemacht, daß die Verpflichtung für den Hersteller, seine Erzeugnisse nur über Apotheken zu vertreiben, eine Beschränkung des Wettbewerbs darstelle, die dem Verbraucher die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Vertriebskanälen nehme, ohne ihm gleichzeitig einen verbesserten Vertrieb zu gewähren. Die Tatsache, daß bei der APB-Entscheidung die angemeldete Vereinbarung den Hersteller selbst zum ausschließlichen Vertrieb über Apotheken verpflichtet habe, während im vorliegenden Fall der Hersteller entschieden habe, seine Produkte nur über Apotheken zu vertreiben, ändere die Bewertung nach Artikel 85 nur unwesentlich, da die Auswirkung auf den Wettbewerb in beiden Fällen gleich sei.

110 Zu Recht sei auf das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Vertriebssysteme innerhalb des Gemeinsamen Marktes abgestellt worden, da dies zu einer den Zielen des Vertrags widersprechenden Abschottung und Aufspaltung des Marktes führe. Daß dieser Verstoß der Klägerin nicht mitgeteilt worden sei, entspreche nicht den Tatsachen, wie sich aus Nummer 85 der Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Klägerin ergebe. Ebensowenig könne der Kommission vorgeworfen werden, vor Gericht einen neuen Vorwurf der Einschränkung und der Aufspaltung des Marktes eingeführt zu haben, denn in Randnummer 32 der angefochtenen Entscheidung heisse es: "Vichy hat jedoch keine tragenden Argumente für die Rechtfertigung der Koexistenz von zwei unterschiedlichen Vertriebssystemen innerhalb des Gemeinsamen Marktes vortragen können."

Würdigung durch das Gericht

111 Wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 15. März 1967 (a. a. O.) entschieden hat, betrifft das Verfahren nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 "im praktischen Ergebnis die Frage..., ob offensichtlich ein so schwerwiegender Verstoß gegen das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 vorliegt, daß eine Befreiung nach Artikel 85 Absatz 3 ausgeschlossen erscheint". Es ist daher zu untersuchen, ob der von der Kommission im Rahmen ihrer vorläufigen Beurteilung festgestellte Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1, der die Grundlage der gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 ergangenen Entscheidung bildet, schwer und offensichtlich im Sinne dieser Rechtsprechung ist.

112 Zur Begründung des Verstosses beruft sich die Kommission zum einen auf drei Präzedenzfälle und zum anderen auf die Aufspaltung des Gemeinsamen Marktes infolge der Einrichtung zweier unterschiedlicher Vertriebssysteme.

Die angeführten Präzedenzfälle

113 In der angefochtenen Entscheidung führt die Kommission dreierlei an: die Beschwerde der Firma Cosimex, die Entscheidung der Kommission bezueglich der Association pharmaceutique belge (APB) und die Entscheidungen im Bereich des französischen Rechts. Im schriftlichen Verfahren hat die Kommission mitgeteilt, daß sie sich auf diese drei Gründe nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit berufen wolle.

114 Zu der Beschwerde der Firma Cosimex aus dem Jahre 1988 wegen der Nichtzulassung zum Vertriebssystem der Klägerin, von der diese gegen Ende desselben Jahres Kenntnis erlangte, ist festzustellen, daß sie zwar, wie die Klägerin zu Recht bemerkt, nicht ausreicht, um mit Sicherheit auf einen Verstoß des Vertriebssystems gegen den Vertrag zu schließen. Immerhin aber zeigt die Beschwerde, daß zumindest einem Wirtschaftsteilnmehmer der Zugang zum Vertriebssystem der Klägerin verweigert wurde, weil er das Zugangskriterium der Niederlassung als Apotheker nicht erfuellte. Zwar hat die Kommission im Vorfeld der hier angefochtenen Entscheidung der betreffenden Beschwerde nicht stattgegeben; dennoch zeigt diese Beschwerde, daß die Behinderung des Wettbewerbs durch das von der Klägerin angewandte Vertriebssystem nicht bloß theoretisch besteht. Die Kommission hat demnach zu Recht diesen Gesichtspunkt bei der von ihr vorgenommenen vorläufigen Beurteilung berücksichtigt.

115 Zur APB-Entscheidung vom 14. Dezember 1989 ist festzustellen, daß die Kommission berechtigt war, diese gemäß Artikel 85 Absatz 3 getroffene Entscheidung bei der Beurteilung der Frage, ob ein schwerer und offensichtlicher Vertragsverstoß vorgelegen hat, zu berücksichtigen, auch wenn der Sachverhalt nicht völlig mit dem vorliegenden übereinstimmt, da es sich dort um den Vertrieb parapharmazeutischer Produkte über Apotheken gehandelt hat. In den Randnummern 28 und 29 der angeführten Entscheidung wird festgestellt, daß der ausschließliche Apothekenvertrieb parapharmazeutischer Produkte in Belgien den Wettbewerb zwischen den Apothekern einerseits und den übrigen Vertriebswegen andererseits behindert, so daß es nicht möglich war, Artikel 85 Absatz 1 nach Absatz 3 dieses Artikels für nicht anwendbar auf die Vereinbarung in ihrer angemeldeten Form zu erklären. Der Entscheidung zufolge verhinderte das angemeldete Vertriebssystem eine Wahl des Verbrauchers zwischen unterschiedlichen Vertriebskanälen. Da die Kommission verpflichtet ist, sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die ihr zum Zeitpunkt des Erlasses einer Entscheidung gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 bekannt sind, durfte sie die APB-Entscheidung berücksichtigen, selbst wenn diese erst nach der Anmeldung der Vereinbarung der Klägerin ergangen ist. Die Kommission hat daher im Rahmen ihrer vorläufigen Beurteilung zu Recht die genannte Entscheidung zur Beantwortung der Frage herangezogen, ob ein schwerer und offensichtlicher Vertragsverstoß vorgelegen hat.

116 Zu den Entscheidungen im Bereich des französischen Rechts ist festzustellen, daß die Anmeldung der unterschiedlichen Vertriebssysteme für Frankreich einerseits und für die übrigen Mitgliedstaaten andererseits durch die Klägerin erst im Anschluß an das Urteil der französischen Cour de Cassation vom 25. April 1989 erfolgt ist, mit dem das Urteil der Cour d' appel Paris vom 28. Januar 1988 bestätigt wurde, das wiederum die Entscheidung des Conseil de la concurrence vom 9. Juni 1987 bestätigt hatte. In diesen drei Entscheidungen, die zwischen Juni 1987 und April 1989 ergangen sind, ist jeweils ein Verstoß sowohl gegen Artikel 7 der Ordonnance vom 1. Dezember 1986 zur Preis- und Wettbewerbsfreiheit wie gegen Artikel 85 EWG-Vertrag wegen des auch von der Klägerin angewandten ausschließlichen Apothekenvertriebssystems für Kosmetika festgestellt worden. Bezueglich der Vertriebsvereinbarungen der Klägerin hat der französische Conseil de la Concurrence in seiner Entscheidung vom 9. Juni 1987 der Klägerin zum einen aufgegeben, die Klausel, wonach Vertriebshändler einander nicht beliefern dürfen, zu streichen und zum anderen das Zugangskriterium der Niederlassung als Apotheker nicht mehr zu verwenden.

117 Die Entscheidung des französischen Conseil de la concurrence sowie die Urteile der Cour d' appel Paris und der französischen Cour de cassation erlegen der Klägerin zwar lediglich, wie diese zutreffend bemerkt, die Verpflichtung auf, ihren Vertriebsvertrag für Frankreich zu ändern, was auch geschehen ist. Indes musste die Klägerin bei der Anmeldung des Vertriebssystems für die übrigen Mitgliedstaaten wegen der Gleichheit der von den Gemeinschaftsorganen und den zuständigen französischen Stellen angewandten Maßstäbe bezueglich der Zulässigkeit selektiver oder ausschließlicher Vertriebssysteme verständigerweise damit rechnen, daß das von ihr angemeldete Vertriebssystem für unvereinbar mit Artikel 85 erklärt werden könnte.

118 Aus den Akten ergibt sich zudem, daß die Klägerin um so weniger verkennen konnte, daß die bei der Kommission für die anderen Mitgliedstaaten als Frankreich angemeldeten Vereinbarungen aller Wahrscheinlichkeit nach als Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag gewertet werden würden, als die Anordnung des französischen Conseil de la Concurrence, das Lieferverbot für Vertragshändler untereinander zu streichen - im Gegensatz zu der Anordnung betreffend das Zugangskriterium für Vertriebshändler - für alle angemeldeten Vereinbarungen, also sowohl die für Frankreich als auch die für die übrigen Mitgliedstaaten geltenden, erfuellt wurde. Daraus ist zu schließen, daß die zweite Anordnung des Conseil de la concurrence absichtlich und bewusst nur für die in Frankreich geltenden Vereinbarungen befolgt wurde. Die Kommission hat daher weder rechtsfehlerhaft gehandelt noch einen Beurteilungsfehler begangen, als sie bei der vorläufigen Beurteilung der Frage, ob der festgestellte Verstoß schwer und offensichtlich war, die Entscheidungen im Bereich des französischen Rechts herangezogen hat.

Die Abschottung des Marktes

119 Die Kommission wirft der Klägerin im wesentlichen vor, mit der Anmeldung zweier unterschiedlicher Vertriebssysteme für den Gemeinsamen Markt zu dessen Abschottung beigetragen zu haben. In Randnummer 32 der angefochtenen Entscheidung werde festgestellt, daß die Klägerin, nachdem sie sich dem Gemeinschaftsrecht in Frankreich angepasst habe, für die übrigen Mitgliedstaaten ein ausschließliches Apothekenvertriebssystem angemeldet habe, ohne jedoch im Hinblick auf Artikel 85 das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Vertriebssysteme zu rechtfertigen; demnach stelle "die Beibehaltung des ausschließlichen Apothekenvertriebs für zehn Mitgliedstaaten einen schwerwiegenden und offensichtlichen Verstoß gegen Artikel 85" dar. Die Klägerin tritt diesem Vorwurf aus Verfahrensgründen und in der Sache entgegen.

120 Die Klägerin ist der Auffassung, daß die Entscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden müsse, da dieser Beschwerdepunkt, der in den Gründen der Entscheidung enthalten sei, ihr nicht mitgeteilt worden sei. Dies bestreitet die Kommission und verweist auf Nummer 85 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, wo es heisse: "Der Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 hat vor etwa dreissig Jahren mit der Einführung des ausschließlichen Apothekenvertriebs in Frankreich begonnen. Im Laufe der 70er Jahre wurde dieses System auf die übrigen Mitgliedstaaten ausser Dänemark ausgedehnt. 1985 wurde das System für Frankreich angemeldet, doch wurde die im Jahre 1989 erfolgte Veränderung des Vertriebsystems nicht auf die anderen Mitgliedstaaten ausgedehnt. Bei dieser Sachlage ist eine Mitteilung gemäß Artikel 15 Absatz 6 unumgänglich."

121 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. die Urteile vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, und vom 7. Juni 1983, a. a. O.) müssen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die wesentlichen Tatsachen, auf die sich die Kommission stützt, sei es auch nur in gedrängter Form, klar angegeben werden, sofern die Kommission nur die zur Verteidigung notwendigen Angaben im Laufe des Verwaltungsverfahrens macht. Eine Ahndung kann daher rechtmässig nur dann erfolgen, wenn der entsprechende Beschwerdepunkt dem betroffenen Unternehmen zuvor mitgeteilt und ihm hinreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich in zweckdienlicher Weise zu den von der Kommission herangezogenen Tatsachen und Schriftstücken sowie zu deren Schlußfolgerungen zu äussern (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461). Wegen der mit einer Mitteilung nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 verbundenen Wirkungen kann eine solche Mitteilung nur dann rechtmässig erfolgen, wenn das betroffene Unternehmen in Übereinstimmung mit Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und der von der Kommission vorliegend befolgten Verfahrensweise in die Lage versetzt wurde, seinen Standpunkt zu den ihm vorgeworfenen Beschwerdepunkten zweckdienlich zu äussern. Auch wenn nämlich die Tatsachen und Schriftstücke, auf die sich die Kommission stützt, dem betroffenen Unternehmen bekannt sind, da es diese zuvor der Kommission bei der Anmeldung selbst übermittelt hat, so verlangt doch die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, daß die Kommission, bevor sie eine Mitteilung gemäß Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 an das Unternehmen richtet, diesem bekannt gibt, welche Schlußfolgerungen sie aufgrund der erfolgten Anmeldung zu ziehen gedenkt, und welche Überlegungen dem zugrunde liegen.

122 Bei der Beurteilung des Teils des Klagegrundes, mit dem die Unanwendbarkeit von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend gemacht wird, ist zu prüfen, ob die Kommission die genannten Grundsätze bei ihrem Vorwurf der Marktabschottung genau beachtet hat. Ein Vergleich zwischen Nummer 85 der Mitteilung der Beschwerdepunkte und Randnummer 32 der angefochtenen Entscheidung ergibt, daß sich die Formulierung des Vorwurfs in der Entscheidung nicht wesentlich von derjenigen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte unterscheidet. Die Klägerin behauptet daher zu Unrecht, daß ihr keine Gelegenheit gegeben worden sei, Stellung zu den Überlegungen zu nehmen, auf die die Kommission ihre Entscheidung gestützt hat. Dieser Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

123 Zur Tragfähigkeit der von der Kommission insoweit angeführten Begründung ist festzustellen, daß die französische Cour de cassation in Bestätigung des Urteils der Cour d' appel Paris vom 28. Januar 1988 und in Übereinstimmung mit der davor ergangenen Entscheidung des Conseil de la Concurrence entschieden hat, daß die von der Klägerin angewandte Vertriebsvereinbarung insbesondere gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstösst; gleichwohl hat die Klägerin für zehn Mitgliedstaaten eine Mustervereinbarung bei der Kommission angemeldet, in der das gleiche Zugangskriterium für Vertragshändler vorgesehen war, das Gegenstand der genannten Entscheidungen und Urteile der französischen Behörden und Gerichte gewesen war. Demnach musste die Klägerin vernünftigerweise damit rechnen, daß die Kommission gegenüber der angemeldeten Vereinbarung dießelbe Haltung einnehmen würde wie die französischen Behörden und Gerichte. Der Klägerin konnte nämlich nicht entgehen, daß die Haltung der französischen Behörden und Gerichte, die sich ausdrücklich auf das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft bezogen und die aufgeworfene Frage für so eindeutig erachtet haben, daß sie von einer Vorlage zur Vorabentscheidung gemäß Artikel 177, die unter den im Urteil des Gerichtshofes vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache 283/81 (CILFIT und Lanificio di Gavardo, Slg. 1982, 3415) angeführten Voraussetzungen zumindest der Cour de cassation oblegen hätte, abgesehen haben, mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu ausschließlichen und selektiven Vertriebssystemen in Einklang stand. Diese besonders im Bereich des Kosmetikvertriebs reichhaltige Rechtsprechung, die in der angefochtenen Entscheidung in Randnummer 18 zitiert und mit dem vorliegenden Urteil konkretisiert wird, ist Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und daher als bekannt vorauszusetzen, insbesondere wenn es sich um einen Wirschaftsteilnehmer handelt, der auf diesem Sektor in elf der zwölf Mitgliedstaaten tätig ist und zudem einem Konzern angehört, der eine starke Stellung auf dem entsprechenden Markt innehat. Der Klägerin war somit bekannt, daß das von ihr bei der Kommission angemeldete Vertriebssystem mit seinem quantitativen und unverhältnismässigen Zugangskriterium offensichtlich gegen Artikel 85 verstösst.

124 Schließlich kann die Klägerin im Rahmen der vorliegenden Klage, die die vorläufige Beurteilung der bei der Kommission am 29. August 1989 angemeldeten Vereinbarung für die anderen Mitgliedstaaten als Frankreich betrifft, nicht geltend machen, daß ihr berechtigtes Vertrauen, das sich auf das Schweigen der Kommission im Anschluß an die 1985 erfolgte Anmeldung des für Frankreich geltenden Vertriebssystems gegründet habe, verletzt worden sei, da zum einen die Kommission diesem ursprünglichen Antrag auf Erteilung eines Negativattestes bzw. Abgabe einer Erklärung der Unanwendbarkeit nicht stattgegeben hatte und zum anderen zwischen 1985 und 1989 die drei Entscheidungen des französischen Conseil de la concurrence, der Cour d' appel Paris sowie der Cour de cassation ergangen sind, mit denen das französische Vertriebssystem, wie es anfangs von der Klägerin bei der Kommission angemeldet worden war, für rechtswidrig erklärt worden war.

125 Es ist daher hinreichend erwiesen, daß die Klägerin die Mustervereinbarung, die Anlaß der angefochtenen Entscheidung war, in voller Kenntnis der Sach- und Rechtslage angemeldet hat. Selbst wenn keiner der Gründe der angefochtenen Entscheidung für sich genommen ausreicht, einen schweren und offensichtlichen Verstoß gegen Artikel 85 und die Anwendung von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 zu belegen, so ergibt sich ein solcher Verstoß doch hinreichend aus all diesen Gründen zusammengenommen.

126 Folglich hat die Kommission im Rahmen der vorläufigen Beurteilung auf der Grundlage der beiderseitigen Argumente und der ihr vorliegenden Unterlagen bei Berücksichtigung zum einen der gesamten Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der eine Verletzung des Artikels 85 Absatz 1 festgestellt und eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 abgelehnt wurde, und zum anderen der Gründe der Entscheidung bezueglich der Anwendung von Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 sich nicht auf fehlerhafte Tatsachenfeststellungen gestützt, nicht rechtsfehlerhaft gehandelt und auch keinen Beurteilungsfehler begangen, als sie zu der Auffassung gelangt ist, daß unter den gegebenen Umständen der festgestellte Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 so schwer und offensichtlich sei, daß eine Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 ausgeschlossen erscheine und demnach der Erlaß einer Entscheidung nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 gerechtfertigt sei.

127 Der fünfte Klagegrund, mit dem das Fehlen eines schweren und offensichtlichen Verstosses gegen Artikel 85 gerügt wird, ist daher zurückzuweisen.

128 Die Klage ist demnach insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

129 Gemäß Artikel 87 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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