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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 22.02.2001
Aktenzeichen: T-209/00 (1)
Rechtsgebiete: EGV, Beschluss 94/262/EGKS, EG, Euratom


Vorschriften:

EGV Art. 195
Beschluss 94/262/EGKS, EG, Euratom
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine Klage gegen den Europäischen Bürgerbeauftragten und das Europäische Parlament auf Ersatz des durch das Verhalten des Bürgerbeauftragten im Rahmen der Behandlung einer Beschwerde angeblich erlittenen Schadens ist für unzulässig zu erklären, soweit sie gegen das Parlament gerichtet ist. Aus Artikel 195 Absatz 3 EG ergibt sich nämlich, dass das Parlament keine rechtliche Handhabe hat, um die Behandlung einer beim Bürgerbeauftragten eingereichten Beschwerde durch diesen zu beeinflussen, so dass eventuelle Fehler, die der Bürgerbeauftragte bei der Ausübung der ihm durch den EG-Vertrag übertragenen Aufgaben begeht, keinesfalls dem Parlament zugerechnet werden können.

( vgl. Randnrn. 15-19 )


Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Dritte Kammer) vom 22. Februar 2001. - Frank Lamberts gegen Europäischer Bürgerbeauftragter und Europäisches Parlament. - Außervertragliche Haftung - Bürgerbeauftragter - Parlament - Unabhängigkeit des Bürgerbeauftragten - Offensichtliche Unzulässigkeit der Klage gegen das Parlament. - Rechtssache T-209/00.

Parteien:

In der Rechtssache T-209/00

Frank Lamberts, wohnhaft in Linkebeek (Belgien), Prozessbevollmächtigter: E. Boigelot, avocat, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Europäischer Bürgerbeauftragter, vertreten durch J. Sant'anna als Bevollmächtigten, Zustellunganschrift in Luxemburg,

und

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück und C. Karamarcos als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Ersatzes des materiellen und immateriellen Schadens, den der Kläger durch das Verhalten des Bürgerbeauftragten im Rahmen der Behandlung einer vom Kläger am 23. Juni 1998 bei ihm eingereichten Beschwerde erlitten zu haben behauptet,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter K. Lenaerts und M. Jaeger,

Kanzler: H. Jung

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Artikel 195 EG lautet:

(1) Das Europäische Parlament ernennt einen Bürgerbeauftragten, der befugt ist, Beschwerden von jedem Bürger der Union oder von jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnort oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft, mit Ausnahme des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz in Ausübung ihrer Rechtsprechungsbefugnisse, entgegenzunehmen.

Der Bürgerbeauftragte führt im Rahmen seines Auftrags von sich aus oder aufgrund von Beschwerden, die ihm unmittelbar oder über ein Mitglied des Europäischen Parlaments zugehen, Untersuchungen durch, die er für gerechtfertigt hält; dies gilt nicht, wenn die behaupteten Sachverhalte Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sind oder waren. Hat der Bürgerbeauftragte einen Missstand festgestellt, so befasst er das betreffende Organ, das über eine Frist von drei Monaten verfügt, um ihm seine Stellungnahme zu übermitteln. Der Bürgerbeauftragte legt anschließend dem Europäischen Parlament und dem betreffenden Organ einen Bericht vor. Der Beschwerdeführer wird über das Ergebnis dieser Untersuchungen unterrichtet.

Der Bürgerbeauftragte legt dem Europäischen Parlament jährlich einen Bericht über die Ergebnisse seiner Untersuchungen vor.

(2) Der Bürgerbeauftragte wird nach jeder Wahl des Europäischen Parlaments für die Dauer der Wahlperiode ernannt. Wiederernennung ist zulässig.

Der Bürgerbeauftragte kann auf Antrag des Europäischen Parlaments vom Gerichtshof seines Amtes enthoben werden, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfuellt oder eine schwere Verfehlung begangen hat.

(3) Der Bürgerbeauftragte übt sein Amt in völliger Unabhängigkeit aus. Er darf bei der Erfuellung seiner Pflichten von keiner Stelle Anweisungen anfordern oder entgegennehmen. Der Bürgerbeauftragte darf während seiner Amtszeit keine andere entgeltliche oder unentgeltliche Berufstätigkeit ausüben.

(4) Das Europäische Parlament legt nach Stellungnahme der Kommission und nach mit qualifizierter Mehrheit erteilter Zustimmung des Rates die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten fest."

2 Am 9. März 1994 erließ das Parlament gemäß Artikel 195 Absatz 4 EG-Vertrag den Beschluss 94/262/EGKS, EG, Euratom über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten (ABl. L 133, S. 15).

Sachverhalt

3 Der vorliegende Rechtstreit geht zurück auf die Teilnahme des Klägers an einem von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften veranstalteten internen Auswahlverfahren zur Verbeamtung von Bediensteten auf Zeit der Laufbahngruppe A (KOM/T/A/98). Nach Bestehen der schriftlichen Prüfung nahm der Kläger am 27. April 1998 an der mündlichen Prüfung teil, obwohl er am 2. April 1998 einen Unfall erlitten hatte, der eine erhebliche medizinische und medikamentöse Behandlung erforderte. Nachdem ihm nach dieser mündlichen Prüfung mitgeteilt worden war, dass er die für die Prüfungen insgesamt erforderliche Mindestpunktzahl nicht erreicht habe und folglich nicht in die Eignungsliste aufgenommen worden sei, beantragte er beim Vorsitzenden des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren die Überprüfung seines Falles. Er berief sich in diesem Zusammenhang darauf, dass er während der mündlichen Prüfung unter dem Einfluss von Medikamenten gestanden habe, die Ermüdungszustände hervorrufen können, er sich aber dennoch gezwungen gesehen habe, an der Prüfung teilzunehmen, da es im Einladungsschreiben geheißen habe, dass die Organisation der Prüfungen keine Änderung der [ihm] angegebenen Termine zulässt." Mit Schreiben vom 10. Juni 1998 bestätigte der zuständige Abteilungsleiter der Kommission das Ergebnis des Auswahlverfahrens.

4 Am 23. Juni 1998 erhob der Kläger beim Bürgerbeauftragten eine Beschwerde gegen die Entscheidung vom 10. Juni 1998, mit der das Ergebnis des Auswahlverfahrens bestätigt worden war. In seiner Entscheidung über diese Beschwerde vom 21. Oktober 1999 stellte der Bürgerbeauftragte fest, dass die Kommission im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung eine Klausel in die schriftliche Einladung zur mündlichen Prüfung hätte aufnehmen sollen, um die Bewerber darüber zu informieren, dass sie bei außergewöhnlichen Umständen, die sie daran hinderten, zum in der Einladung genannten Termin anwesend zu sein, dessen Verschiebung verlangen könnten. Er kam jedoch zu dem Schluss, dass angesichts dessen, dass die Beschwerde des Klägers sich auf Verfahren in Bezug auf spezifische, in der Vergangenheit liegende Tatsachen [beziehe], kein Anlass [bestehe], eine gütliche Lösung zu suchen", um den Interessen des Klägers zu entsprechen. Auf diese Entscheidung hin hat sich der Kläger mehrmals mit der Bitte an den Bürgerbeauftragten gewandt, mit der Kommission eine gütliche Lösung für seinen Fall zu suchen. Diesen Vorschlag hat der Bürgerbeauftragte zurückgewiesen.

Verfahren und Anträge

5 Mit Klageschrift vom 9. August 2000, eingegangen bei der Kanzlei des Gerichts am 10. August 2000, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

6 Der Kläger beantragt,

- die Klage gegen den Bürgerbeauftragten und das Parlament für zulässig und begründet zu erklären;

- den Bürgerbeauftragten und das Parlament gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 2 468 787 Euro oder hilfsweise von 1 234 394 Euro zum Ersatz des materiellen Schadens sowie von 124 000 Euro zum Ersatz des immateriellen Schadens zuzüglich der gerichtlich festgesetzten Zinsen bis zur vollständigen Zahlung zu verurteilen;

- dem Bürgerbeauftragten und dem Parlament gesamtschuldnerisch die Kosten aufzuerlegen.

7 Mit getrennten Schriftsätzen, eingegangen bei der Kanzlei des Gerichts am 13. und am 16. Oktober 2000, haben der Bürgerbeauftragte und das Parlament jeweils die Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.

8 Der Bürgerbeauftragte beantragt,

- die Klage für offensichtlich unzulässig zu erklären;

- über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

9 Das Parlament beantragt,

- die Klage für unzulässig zu erklären;

- die Kosten dem Kläger aufzuerlegen.

10 Der Kläger hat am 21. November 2000 seine Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit eingereicht.

Zulässigkeit

11 Nach Artikel 114 §§ 1 und 4 der Verfahrensordnung kann das Gericht vorab über die Unzulässigkeit entscheiden, wenn eine Partei dies beantragt.

12 Im vorliegenden Fall ist die Klage gegen den Bürgerbeauftragten und das Parlament gerichtet. Soweit die Klage gegen das Parlament gerichtet ist, hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Informationen für ausreichend, um nach Artikel 114 § 3 der Verfahrensordnung ohne mündliche Verhandlung über den Antrag zu entscheiden. Der vorliegende Beschluss bezieht sich daher nur auf die Zulässigkeit der Klage, soweit diese gegen das Parlament gerichtet ist.

13 Nach Auffassung des Parlaments, die vom Bürgerbeauftragten geteilt wird, ist die Klage unzulässig, soweit sie gegen das Parlament gerichtet ist, da die Handlungen des Bürgerbeauftragten in Ausübung seiner Aufgaben keinesfalls dem Parlament zugerechnet werden können.

14 Der Kläger räumt ein, dass der Bürgerbeauftragte kein Organ des Parlaments ist. Dennoch sei er einem durch Auftrag Verpflichteten vergleichbar, der seine Aufgaben vollständig und zuverlässig zu erfuellen habe, um nicht die zivilrechtliche Haftung seines Auftraggebers, d. h. des Parlaments, zu begründen. Die Handlungen des Bürgerbeauftragten seien dem Parlament nämlich aufgrund einer Vielzahl von Umständen zuzurechnen, die eine Verbindung zwischen dem Organ und dem Bürgerbeauftragten schüfen. So lasse sich Artikel 195 EG entnehmen, dass der Bürgerbeauftragte vom Parlament ernannt werde und auf Antrag des Parlaments vom Gerichtshof seines Amtes enthoben werden könne und dass das Parlament eine Kontrollfunktion gegenüber dem Bürgerbeauftragten ausübe, da dieses Organ die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten festlege. Im Übrigen ergänze die Tätigkeit des Bürgerbeauftragten insofern die des Parlaments, als es eine Zusammenarbeit zwischen dem Bürgerbeauftragten und dem Petitionsausschuss des Parlaments und eine Kontroll- und Weisungsbefugnis des Parlaments gegenüber dem Bürgerbeauftragten bei der Prüfung des Jahresberichts des Bürgerbeauftragten gebe. Schließlich sei der Bürgerbeauftragte vom Parlament finanziell abhängig.

15 Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger dem Bürgerbeauftragten im Rahmen der vorliegenden Rechtssache zum einen vorwirft, ihm nicht rechtzeitig geraten zu haben, eine Klage gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren beim Gericht einzureichen, und zum anderen, es schuldhaft unterlassen zu haben, mit der Kommission eine gütliche Lösung zu seinen Gunsten zu suchen. Die vorliegende Klage ist demnach auf Schadensersatz wegen eines Verhaltens des Bürgerbeauftragten in Ausübung von Aufgaben gerichtet, die ihm Artikel 195 EG zuweist.

16 Artikel 195 Absatz 3 EG bestimmt jedoch Folgendes:

Der Bürgerbeauftragte übt sein Amt in völliger Unabhängigkeit aus. Er darf bei der Erfuellung seiner Pflichten von keiner Stelle Anweisungen anfordern oder entgegennehmen."

17 Das Parlament hat daher keine rechtliche Handhabe, um die Behandlung der am 23. Juni 1998 beim Bürgerbeauftragten eingereichten Beschwerde durch diesen zu beeinflussen, so dass eventuelle Fehler, die der Bürgerbeauftragte bei der Ausübung der ihm durch den EG-Vertrag übertragenen Aufgaben begeht, keinesfalls dem Parlament zugerechnet werden können.

18 Anders als der Kläger geltend macht, ändert der Umstand, dass zwischen dem Bürgerbeauftragten und dem Parlament gemäß Artikel 195 EG bestimmte Verbindungen bestehen, daran nichts. Die genannten Verbindungen, die nur allgemein organisatorischer und nicht funktioneller Natur sind, ermöglichen es dem Parlament nämlich nicht, die Vorgehensweise des Bürgerbeauftragten in Bezug auf die Behandlung einer bestimmten, bei diesem gemäß Artikel 195 Absatz 1 EG eingereichten Beschwerde zu beeinflussen.

19 Folglich ist die Klage, soweit sie gegen das Parlament gerichtet ist, für unzulässig zu erklären.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Wenn ein außergewöhnlicher Grund vorliegt, kann das Gericht jedoch nach Artikel 87 § 3 beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

21 Im vorliegenden Fall erscheint es wegen des allgemeinen Interesses an der in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfenen Frage, die noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Gerichtshofes oder des Gerichts war, angemessen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Klage trägt, soweit diese gegen das Parlament gerichtet ist.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie gegen das Parlament gerichtet ist.

2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Klage, soweit diese gegen das Parlament gerichtet ist.

Ende der Entscheidung

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