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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 27.09.2005
Aktenzeichen: T-26/03
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92, Verordnung (EWG) Nr. 2454/93


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Art. 37
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Art. 91
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Art. 92
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 341
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 346
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 348
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 350
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 356
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 358
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

27. September 2005(*)

"Zollunion - Externe gemeinschaftliche Versandverfahren - Fleischausfuhren nach Marokko - Betrug - Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben - Artikel 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 - Artikel 905 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 - Billigkeitsklausel - Vorliegen eines besonderen Falles - Fehlen betrügerischer Absicht und offensichtlicher Fahrlässigkeit"

Parteien:

In der Rechtssache T-26/03

GeoLogistics BV, früher LEP International BV, mit Sitz in Schiphol Rijk (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte H. de Bie und K. Schellaars, dann Rechtsanwälte De Bie und A. Huizing,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt F. Tuytschaever, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich Spanien, vertreten durch L. Fraguas Gadea und J. M. Rodríguez Cárcamo, abogados del Estado, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung REM 08/00 der Kommission vom 7. Oktober 2002, mit der festgestellt wird, dass der vom Königreich der Niederlande beantragte Erlass von Einfuhrabgaben zugunsten der Klägerin nicht gerechtfertigt ist,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. D. Cooke sowie des Richters R. García-Valdecasas und der Richterin I. Labucka,

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. April 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

Das externe gemeinschaftliche Versandverfahren

1 Nach den Artikeln 37, 91 und 92 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) können in die Gemeinschaft eingeführte Nichtgemeinschaftswaren, die, anstatt sofort den Einfuhrabgaben unterworfen zu werden, Gegenstand des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens sind, unter zollamtlicher Überwachung im Zollgebiet der Gemeinschaft befördert werden, bis sie am Bestimmungsort der dortigen Zollstelle gestellt werden.

2 Wer das externe gemeinschaftliche Versandverfahren in Anspruch nimmt, ist nach der Definition im Zollkodex "Hauptverpflichteter": Er hat die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der einschlägigen Bestimmungen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen (Artikel 96 des Zollkodex). Diese Verpflichtungen enden, wenn die Waren und das dazugehörige Dokument am Bestimmungsort der dortigen Zollstelle gestellt werden (Artikel 92 des Zollkodex).

3 Nach Artikel 94 des Zollkodex hat der Hauptverpflichtete eine Sicherheit zu leisten, damit die Erfüllung der Zollschuld und die Zahlung der sonstigen Abgaben, die gegebenenfalls für die Waren entstehen, sichergestellt sind. Artikel 191 des Zollkodex erläutert hierzu, dass die Zollbehörden auf Antrag des Beteiligten zulassen, dass für mehrere Vorgänge, bei denen eine Zollschuld entsteht oder entstehen kann, eine Gesamtsicherheit geleistet wird. Gemäß Artikel 198 des Zollkodex verlangen die Zollbehörden, wenn sie feststellen, dass eine geleistete Sicherheit die fristgerechte Erfüllung der Zollschuld nicht oder nicht mehr sicher oder vollständig gewährleistet, vom Beteiligten nach dessen Wahl die Leistung einer zusätzlichen Sicherheit oder die Ersetzung der ursprünglichen Sicherheit durch eine neue.

4 Nach den Artikeln 341, 346, 348, 350, 356 und 358 der mehrfach geänderten Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (ABl. L 253, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung oder DVO) sind die betreffenden Waren zunächst der Abgangszollstelle zusammen mit einer Versandanmeldung T1 zu gestellen. Die Abgangszollstelle bestimmt die Frist, innerhalb deren die Waren der Bestimmungszollstelle zu gestellen sind, versieht die Versandanmeldung T1 mit den entsprechenden Angaben, behält das für sie bestimmte Exemplar ein und händigt die übrigen Exemplare dem Hauptverpflichteten aus. Der Versandschein T1 muss die Waren bei der Beförderung begleiten. Nach der Gestellung der Waren vermerkt die Bestimmungszollstelle auf den ihr übermittelten Exemplaren des Versandscheins T1 das Ergebnis ihrer Prüfung und sendet der Abgangszollstelle unverzüglich ein Exemplar dieses Versandscheins über eine zentrale Stelle zurück.

5 Nach Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird. Gemäß Artikel 203 Absatz 3 des Zollkodex gehört zu den Zollschuldnern die Person, die die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben.

6 Nach Artikel 217 des Zollkodex muss jeder einer Zollschuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag unmittelbar bei Vorliegen der erforderlichen Angaben von den Zollbehörden berechnet und in die Bücher oder in sonstige statt dessen verwendete Unterlagen eingetragen werden (buchmäßige Erfassung). Ist der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht nach den Artikeln 218 und 219 des Zollkodex buchmäßig erfasst oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden, so hat gemäß Artikel 220 Absatz 1 des Zollkodex die buchmäßige Erfassung des zu erhebenden Betrages oder des nachzuerhebenden Restbetrags innerhalb von zwei Tagen nach dem Tag zu erfolgen, an dem die Zollbehörden diesen Umstand feststellen und in der Lage sind, den gesetzlich geschuldeten Betrag zu berechnen sowie den Zollschuldner zu bestimmen. Diese Frist kann nach Artikel 219 verlängert werden. Nach Artikel 221 Absatz 1 des Zollkodex ist der Abgabenbetrag dem Zollschuldner in geeigneter Form mitzuteilen, sobald der Betrag buchmäßig erfasst worden ist.

7 Ist eine Sendung der Bestimmungsstelle nicht gestellt worden und kann der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden, so teilt die Abgangsstelle dies nach Artikel 379 Absatz 1 der Durchführungsverordnung dem Hauptverpflichteten so schnell wie möglich, spätestens jedoch vor Ablauf des elften Monats nach dem Zeitpunkt der Registrierung der Versandanmeldung mit. Gemäß Artikel 379 Absatz 2 DVO ist in dieser Mitteilung insbesondere die Frist anzugeben, innerhalb deren bei der Abgangsstelle der Nachweis für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens oder der Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung zu erbringen ist. Diese Frist beträgt drei Monate vom Zeitpunkt der Mitteilung nach Absatz 1 an gerechnet.

Regelungen über die Erstattung oder den Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben

8 Nach Artikel 239 des Zollkodex können Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in Fällen erstattet oder erlassen werden, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

9 Artikel 239 des Zollkodex ist mit den Artikeln 899 bis 909 der Durchführungsverordnung durchgeführt worden. Artikel 905 Absatz 1 DVO bestimmt für den Fall, dass die nationale Zollbehörde, bei der ein Antrag auf Erlass von Abgaben gestellt worden ist, nicht in der Lage ist, eine Entscheidung auf der Grundlage von Artikel 899 zu treffen, und die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, dass der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission vorlegt.

Sachverhalt

Die betreffenden externen gemeinschaftlichen Versandverfahren

10 Zwischen dem 16. Januar und dem 7. August 1995 erstellte die Klägerin, ein Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden, das früher unter der Firma LEP International BV tätig war, als Zollagentin vierzehn Anmeldungen zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren für die Beförderung mehrerer Lieferungen von Fleisch (insbesondere Rindfleisch, Kalbsbries und Geflügel) nach Marokko, wobei sie für diese Vorgänge die Rolle der Hauptverpflichteten übernahm. Diese Anmeldungen wurden für Rechnung eines einzigen Auftraggebers, des Unternehmens Hector International mit Sitz im Vereinigten Königreich, ausgestellt. Es geht um folgende Versandscheine T1:

- Nr. 5100507 vom 16. Januar 1995;

- Nr. 5100508 vom 16. Januar 1995;

- Nr. 5102442 vom 8. März 1995;

- Nr. 5102443 vom 8. März 1995;

- Nr. 5104186 vom 25. April 1995;

- Nr. 5104187 vom 25. April 1995;

- Nr. 5104188 vom 25. April 1995;

- Nr. 5105833 vom 12. Juni 1995;

- Nr. 5105896 vom 13. Juni 1995;

- Nr. 2501311 vom 17. Juni 1995;

- Nr. 5106710 vom 4. Juli 1995;

- Nr. 5106874 vom 7. Juli 1995;

- Nr. 5107619 vom 28. Juli 1995;

- Nr. 5107922 vom 7. August 1995.

11 Nach Erhalt einer Mitteilung der belgischen Behörden, in der auf Zuwiderhandlungen in Bezug auf Ladungen von tiefgefrorenem Kalbsbries hingewiesen wurde, leitete das Douane informatie Centrum (Zollfahndungsstelle, im Folgenden: DIC) Rotterdam (Niederlande) eine Untersuchung ein, in deren Verlauf es eine Anzahl von Anmeldungen für eine eingehendere Prüfung auswählte. Am 20. März 1995 erkundigte sich das DIC Rotterdam schriftlich bei den spanischen Zollbehörden, ob das Zollpapier, das zu dem von der Klägerin am 16. Januar 1995 ausgestellten Versandschein T1 Nr. 5100508 gehöre, zur Erledigung vorgelegt worden sei. Mit Telefax vom 20. März 1995 antworteten die spanischen Behörden, dass dieses Papier nicht im Register des Zollamts Cadix (Spanien) aufgeführt sei. Mit Telefax vom 23. März 1995 teilten sie den niederländischen Behörden mit, dass der Stempel auf dem betreffenden Versandschein eine Fälschung des vom Zollamt Cadix verwendeten Stempels sei und dass die Unterschrift, mit dem der Versandschein versehen sei, nicht von einem Beamten dieses Zollamts stamme. Am 31. März 1995 unterrichtete das DIC Rotterdam den Fiscale Inlichtingen en Opsporingsdienst (Dienst für Steuerauskünfte und -ermittlungen, im Folgenden: FIOD) Haarlem von dieser Zuwiderhandlung. Am 18. April 1995 gab der FIOD Haarlem den Fall an den FIOD Rotterdam ab.

12 Am 16. Mai 1995 sandte das Zollamt Kerkrade (Heerlen, Niederlande) im Rahmen einer Stichprobe den Zollbehörden von Cadix zwei Anträge auf nachträgliche Überprüfung betreffend die von der Klägerin am 8. März 1995 ausgestellten Versandscheine T1 Nrn. 5102442 und 5102443. Am 29. Juni 1995 teilten die spanischen Behörden den niederländischen Behörden mit, dass die Zollpapiere nicht der zuständigen Stelle vorgelegt worden seien, dass die beiden Stempel gefälscht seien und dass die Unterschriften nicht von einem Beamten der zuständigen Stelle stammten. Am 11. Juli 1995 informierte das Zollamt Kerkrade den FIOD Rotterdam hierüber.

13 Am 12. Juni 1995 richtete das Zollamt Kerkrade anlässlich einer erneuten Kontrolle an die Zollbehörden von Cadix zwei Anträge auf nachträgliche Überprüfung betreffend die von der Klägerin am 25. April 1995 ausgestellten Versandscheine T1 Nrn. 5104187 und 5104188. Am 10. Juli 1995 teilten die spanischen Behörden den niederländischen Behörden mit, dass die Zollpapiere nicht dem zuständigen Amt vorgelegt worden seien und dass Stempel und Unterschriften gefälscht seien. Am 19. Juli 1995 leitete das Zollamt diese Feststellungen an den FIOD Rotterdam weiter.

14 Am 9. August 1995 nahm die niederländische Finanzverwaltung mit der Klägerin wegen der nicht ordnungsgemäß erledigten Anmeldungen Kontakt auf. Am 14. August 1995 durchsuchten die niederländischen Behörden die Geschäftsräume der Klägerin und nahmen die Unterlagen über die für Rechnung von Hector International ausgestellten Anmeldungen zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren mit.

15 Die Untersuchung der niederländischen Zollbehörden ergab, dass vierzehn von der Klägerin ausgestellte Zollanmeldungen nicht ordnungsgemäß erledigt worden waren, da die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden waren. Der niederländische Zoll stellte daher gemäß Artikel 203 des Zollkodex fest, dass die Klägerin im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Hauptverpflichtete des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens im Rahmen der fraglichen Vorgänge Zollschuldnerin geworden war. Von Januar bis April 1996 sandten die niederländischen Behörden der Klägerin die Nacherhebungsbescheide für die von ihr geschuldeten Einfuhrabgaben. Später hob die niederländische Finanzverwaltung die Nacherhebungsbescheide in Bezug auf die Anmeldungen der Klägerin für zwei Ladungen Fleisch, die durch Feuer in Spanien vernichtet worden waren, auf (T1 Nr. 5107619 vom 28. Juli und T1 Nr. 5107922 vom 7. August 1995).

Verwaltungsverfahren betreffend den Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben

16 Am 21. August 1996 reichte die Klägerin bei den niederländischen Zollbehörden einen Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben ein.

17 Am 23. März 2000 legten die niederländischen Behörden der Kommission einen Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben zugunsten der Klägerin vor.

18 Am 24. Mai 2000 richtete die Kommission ein erstes Auskunftsersuchen an die niederländischen Behörden, in dem sie um Angabe der genauen Höhe des beantragten Erlasses bat. Mit Schreiben vom 16. Juni 2000 erklärten die niederländischen Behörden, dass der von der Klägerin gestellte Antrag auf Erlass nur die Anmeldungen betreffe, die nach dem 23. März 1995 ausgestellt worden seien, also nach dem Tag, an dem die spanischen Zollbehörden ihre niederländischen Amtskollegen erstmals darauf hingewiesen hätten, dass es im Zusammenhang mit einer Anmeldung der Klägerin zu Zuwiderhandlungen gekommen sei. Der Antrag auf Erlass bezog sich konkret auf einen Gesamtbetrag von 925 706,20 niederländischen Gulden (NLG) bzw. 420 067,16 Euro.

19 Am 4. Juli 2000 sandte die Kommission den niederländischen Behörden ein zweites Auskunftsersuchen. Dieses Ersuchen betraf den Informationsaustausch zwischen den niederländischen und den spanischen Behörden und insbesondere das Telefax der spanischen Behörden an ihre niederländischen Amtskollegen vom 23. März 1995. Die niederländischen Behörden antworteten der Kommission mit Schreiben vom 28. Juli 2000.

20 Am 24. November 2000 versandte die Kommission ein drittes Auskunftsersuchen. Es bezog sich u. a. auf den Verlauf der Nachforschungen der Zollbehörden zu den nicht ordnungsgemäß erledigten Anmeldungen, die Rolle, die die Klägerin bei den streitigen Vorgängen gespielt hatte, und die Kriterien, anhand deren die niederländischen Behörden zu dem Schluss gekommen waren, dass die Klägerin nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt hatte. Die niederländischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 8. August 2001, dem das Protokoll eines Berichtes des FIOD Rotterdam vom 2. September 1996 beigefügt war.

21 Mit Schreiben vom 11. Oktober 2001 teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, den Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben abzulehnen, wobei sie der Klägerin ihre Einwände gegen den Erlass erläuterte und diese aufforderte, sich binnen eines Monats hierzu zu äußern.

22 Mit Schreiben vom 9. November 2001 nahm die Klägerin zu den Einwänden der Kommission Stellung. Die Klägerin machte die Kommission u. a. darauf aufmerksam, dass der Betrug durch das Verhalten eines oder mehrerer spanischer Zöllner oder durch Verstöße der spanischen Behörden gegen das Zollrecht ermöglicht worden sei.

23 Im Anschluss an die Vorwürfe der Klägerin richtete die Kommission am 22. November 2001 ein erneutes Auskunftsersuchen an die niederländischen Behörden. Dieses vierte Ersuchen betraf im Wesentlichen die angebliche Beteiligung spanischer Zollbeamten an dem Betrug. Die Kommission erbat außerdem umfassendere Angaben zu den Gründen, aufgrund deren die niederländischen Behörden zu dem Schluss gekommen seien, dass die Klägerin nicht fahrlässig gehandelt habe. Mit Schreiben vom 2. August 2002 beantworteten die niederländischen Behörden das vierte Auskunftsersuchen der Kommission.

24 Am 7. Oktober 2002 erließ die Kommission die Entscheidung REM 08/00 zur Feststellung, dass der Erlass der Einfuhrabgaben im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt ist (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

25 In der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission erstens fest, dass vorliegend kein besonderer Fall im Sinne von Artikel 239 des Zollkodex gegeben sei. Zweitens führt die Kommission aus, dass die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Insbesondere habe sie, obwohl es sich bei ihr um eine erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin handele, die das Zollrecht und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Geschäftsrisiken kennen müsse, nicht alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, um sich gegen diese Risiken abzusichern, beispielsweise durch Überwachung der Beteiligten und Abschluss geeigneter Versicherungen.

26 Mit Schreiben vom 10. Dezember 2002 teilten die niederländischen Behörden der Klägerin mit, dass der Erlassantrag abgelehnt worden sei.

Verfahren und Anträge der Beteiligten

27 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 28. Januar 2003 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben. Mit Schreiben vom 31. Januar 2003 hat sie ihre Klageschrift ergänzt und deren Mängel behoben.

28 Am 30. April 2003 hat das Königreich Spanien beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 5. Juni 2003 hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts das Königreich Spanien als Streithelfer zugelassen. Am 23. Juli 2003 hat das Königreich Spanien einen Streithilfeschriftsatz eingereicht.

29 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen hat es die Kommission zur Vorlage bestimmter Dokumente aufgefordert. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen.

30 Die Beteiligten haben in der öffentlichen Sitzung vom 12. April 2005 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

31 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

32 Die Kommission und das Königreich Spanien als ihr Streithelfer beantragen,

- die Klage als unbegründet abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

33 Die Klägerin stützt ihre Klage auf einen einzigen Grund, nämlich Beurteilungsfehler und eine Verletzung der Begründungspflicht. Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil wird das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 der Durchführungsverordnung behauptet. Mit dem zweiten Teil wird geltend gemacht, dass weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne dieser Bestimmungen vorlägen.

34 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 239 des Zollkodex die Möglichkeit einer vollständigen oder teilweisen Erstattung der entrichteten Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder eines Erlasses einer Zollschuld vorsieht. Die in dieser Bestimmung enthaltene Regelung ist in Artikel 905 Durchführungsverordnung präzisiert worden, bei dem es sich um eine allgemeine Billigkeitsklausel insbesondere für außergewöhnliche Fälle handelt, die als solche unter keinen der in den Artikeln 900 bis 904 dieser Verordnung beschriebenen Tatbestände fallen (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C-86/97, Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041, Randnr. 18).

35 Aus Artikel 905 ergibt sich, dass die Erstattung von Einfuhrabgaben von der Erfüllung zweier kumulativer Voraussetzungen abhängt, nämlich erstens vom Vorliegen eines besonderen Falles und zweitens vom Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit und betrügerischer Absicht des Beteiligten (Urteil des Gerichts vom 12. Februar 2004 in der Rechtssache T-282/01, Aslantrans/Commission, Slg. 2004, II-0000, Randnr. 53).

Zum ersten Teil des Klagegrundes: Vorliegen eines besonderen Falles

Einleitung

- Vorbringen der Beteiligten

36 Die Klägerin trägt vor, die Kommission sei zu Unrecht zu der Ansicht gelangt, dass hier kein besonderer Fall vorliege. Ein solcher Fall ergebe sich insbesondere aus folgenden Umständen: erstens aus den Rechtsverstößen und der mangelnden Sorgfalt der niederländischen Behörden bei der Aufdeckung des Betruges sowie der verspäteten Benachrichtigung der Klägerin von den Zuwiderhandlungen in Bezug auf die von ihr ausgestellten Zollpapiere trotz frühzeitiger Kenntnis dieser Behörden von den betreffenden Zuwiderhandlungen; zweitens aus der möglichen Verwicklung eines spanischen Zollbeamten in den Betrug sowie den Verstößen des spanischen Zolles gegen das Zollrecht der Gemeinschaft und drittens aus den Verstößen der Kommission gegen ihre zollrechtlichen Verpflichtungen.

37 Nach Auffassung der Kommission liegt kein besonderer Fall im Sinne des Zollrechts vor. Da somit eine der in Artikel 239 des Zollkodex vorgesehenen kumulativen Voraussetzungen nicht erfüllt sei, genüge dies als Begründung für die Ablehnung des Antrags auf Erlass von Einfuhrabgaben.

38 Das Königreich Spanien vertritt die Ansicht, dass hier kein besonderer Fall vorliege, der den Erlass von Einfuhrabgaben rechtfertige, und macht insbesondere geltend, dass es weder einen Beweis für die Beteiligung spanischer Beamten an den in der angefochtenen Entscheidung erwähnten Betrugshandlungen gebe noch sonst etwas hierfür spreche.

- Würdigung durch das Gericht

39 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung auf einen besonderen Fall im Sinne von Artikel 905 DVO geschlossen werden kann, wenn im Licht des an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszwecks des Artikels 239 des Zollkodex Umstände festgestellt werden, aufgrund deren sich der Antragsteller in einer Lage befinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (Urteile des Gerichtshofes Trans-Ex-Import, Randnr. 22, und vom 27. September 2001 in der Rechtssache C-253/99, Bacardi, Slg. 2001, I-6493, Randnr. 56, sowie Urteil Aslantrans/Kommission, Randnr. 56). Denn diese im Zollrecht der Gemeinschaft vorgesehene Billigkeitsklausel soll dann Anwendung finden, wenn es angesichts des Verhältnisses zwischen Wirtschaftsteilnehmer und Verwaltung unbillig wäre, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte (vgl. entsprechend Urteile des Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der Rechtssache 58/86, Coopérative agricole d'approvisionnement des Avirons, Slg. 1986, 1525, Randnr. 22, und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-222/01, British American Tobacco, Slg. 2004, I-4863, Randnr. 63).

40 Bei der Prüfung, ob nach Lage des Falles besondere Umstände vorliegen, muss die Kommission sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteile des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94, France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II-2841, Randnr. 34, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache T-205/99, Hyper/Kommission, Slg. 2002, II-3141, Randnr. 93). Verfügt die Kommission bei der Anwendung einer Billigkeitsklausel über einen Beurteilungsspielraum, so muss sie gleichwohl bei der Ausübung dieser Befugnis das Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, wirklich gegeneinander abwägen (vgl. entsprechend Urteil Hyper/Kommission, Randnr. 95).

41 Anhand dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, indem sie in der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, dass nach Lage des Falles, wie ihn die Klägerin geschildert habe, keine besonderen Umstände vorlägen.

Zu der angeblich mangelnden Sorgfalt der niederländischen Behörden bei der Aufdeckung des Betruges sowie der verspäteten Benachrichtigung der Klägerin von den Zuwiderhandlungen in Bezug auf die von ihr ausgestellten Zollpapiere

- Vorbringen der Parteien

42 Die Klägerin trägt vor, auch wenn der Betrug ein normales Risiko sei, das die Wirtschaftsteilnehmer zu tragen hätten, sei der Hauptverpflichtete dadurch, dass die nationalen Behörden im Interesse der Ermittlungen die Begehung von Zuwiderhandlungen und Ordnungswidrigkeiten absichtlich nicht verhindert und so die Entstehung einer ihn treffenden Zollschuld bewirkt hätten, in eine Lage gebracht worden, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausübten, aussergewöhnlich sei (Urteil des Gerichtshofes vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-61/98, De Haan, Slg. 1999, I-5003, Randnr. 56).

43 Am 23. März 1995 hätten die spanischen Behörden dem DIC Rotterdam mitgeteilt, dass die Stempel auf einem der Versandscheine T1 der Klägerin gefälscht seien. Am 31. März 1995 habe das DIC Rotterdam den FIOD Haarlem von dieser Zuwiderhandlung informiert, der eine Untersuchung eingeleitet habe. Die niederländischen Behörden hätten also ab März 1995 von einem Betrug zum Nachteil der Klägerin Kenntnis gehabt. Die niederländischen Behörden hätten es jedoch fünf Monate lang versäumt, die Klägerin hiervon zu unterrichten. Es sei praktisch unmöglich, dass die Zollbehörden nicht absichtlich entschieden hätten, sie erst in einem späteren Stadium zu informieren. Da die Zollbehörden und das DIC Rotterdam beide zur niederländischen Finanzverwaltung gehörten, könne diese die verspätete Unterrichtung der Klägerin nicht damit begründen, dass verschiedene Instanzen mit der Untersuchung des Betruges betraut gewesen seien.

44 Für den Fall, dass das Gericht der Ansicht sein sollte, dass die niederländischen Behörden nicht absichtlich einen Betrug nicht verhindert haben, führt die Klägerin aus, dass sie insbesondere dadurch mangelnde Sorgfalt gezeigt hätten, dass sie die Klägerin nicht sofort von den betrügerischen Machenschaften informiert hätten, von denen sie Kenntnis gehabt hätten. Außerdem seien die niederländischen Behörden bei ihren Untersuchungen zu den fraglichen Zuwiderhandlungen nicht sorgfältig genug gewesen.

45 Das Zurückhalten dieser Information durch die Zollbehörden könne nicht damit gerechtfertigt werden, dass zunächst ein Zusammenhang mit anderen Dokumenten habe hergestellt werden müssen. Bereits im März 1995 hätten die betreffenden Behörden den Zusammenhang zwischen den im Namen von Hector International ausgestellten Versandscheinen T1 und den gefälschten Stempeln herstellen können. Zwar hätten die fraglichen Anmeldungen andere Erzeugnisse betroffen, aber es habe sich in allen Fällen um den Transport von Fleisch gehandelt, und in den betreffenden Anmeldungen seien immer dieselben Anmelder, Warenemfänger und Warenführer sowie Abgangs- und Bestimmungszollstellen genannt worden. Die mangelnde Sorgfalt der Zollbehörden bei Ermittlung und Abgleich der maßgeblichen Informationen sowie die lange Dauer ihrer Untersuchung hätten zur Folge gehabt, dass die Klägerin, die von den Zuwiderhandlungen nicht in Kenntnis gesetzt worden sei und daher weiterhin Versandscheine T1 ausgestellt habe, unnötigerweise Zollschuldnerin geworden sei. Dem Beteiligten dürfe aber aus der falschen, nachlässigen und verspäteten Reaktion der Zollbehörden kein Schaden entstehen.

46 Außerdem müssten die Zollbehörden nach Artikel 379 Absatz 1 DVO dem Anmelder festgestellte Zuwiderhandlungen so schnell wie möglich mitteilen. Selbst wenn die letzte Gewissheit am Vorliegen eines Betruges fehle, müsse der bloße Verdacht die Zollbehörden veranlassen, den Beteiligten zu benachrichtigen.

47 Die Klägerin fährt fort, als Zollanmelderin sei sie nach Artikel 94 des Zollkodex verpflichtet gewesen, für die erteilten Versandscheine T1 Sicherheit zu leisten. So habe sie für die aufeinander folgenden Vorgänge gemäß Artikel 191 des Zollkodex eine Gesamtsicherheit geleistet. Nachdem die Zollbehörden festgestellt hätten, dass der Versandschein T1 Nr. 5100508 vom 16. Januar 1995 nicht als erledigt angesehen werden dürfe, sei klar gewesen, dass ihr Abgaben auferlegt würden, die mit der gestellten Sicherheit zu begleichen sein würden. Die Zollbehörden hätten die Abgaben jedoch entgegen Artikel 220 Absatz 1 und Artikel 221 Absatz 1 des Zollkodex nicht binnen kurzer Frist buchmäßig erfasst und nacherhoben. Deshalb sei die von ihr gestellte Sicherheit Ende März 1995 nicht mehr ausreichend gewesen. Somit hätte sie danach nicht mehr in der Lage sein dürfen, Versandscheine T1 auszustellen, solange nicht nach Artikel 198 des Zollkodex eine zusätzliche Sicherheit geleistet worden sei. Dieser Verstoß der niederländischen Behörden gegen das Zollrecht der Gemeinschaft habe ihr schweren Schaden zugefügt.

48 Die Klägerin folgert, dass sie die Entstehung der späteren Zollschuld hätte verhindern können, wenn die niederländischen Behörden sie davon unterrichtet hätten, dass möglicherweise ein Betrug vorliege. Indem sie fälschlicherweise zu spät tätig geworden seien, hätten die niederländischen Behörden einen besonderen Fall geschaffen, in dessen Folge sich die Klägerin in einer ungünstigeren Position als die anderen Wirtschaftsteilnehmer befunden habe (Urteil des Gerichts vom 7. Juni 2001 in der Rechtssache T-330/99, Spedition Wilhelm Rotermund/Kommission, Slg. 2001, II-1619).

49 Die Kommission trägt vor, dass die niederländischen Behörden im vorliegenden Fall anders als in der Rechtssache De Haan weder über den Betrug im Bilde gewesen seien noch bewusst im Interesse der Untersuchung Zuwiderhandlungen hingenommen hätten. Wie sich sowohl aus dem Erlassantrag der niederländischen Behörden als auch aus dem Schreiben der Steuerabteilung des Zollbezirks Rotterdam vom 24. September 1998 ergebe, mit dem der Einspruch der Klägerin zurückgewiesen worden sei, habe der FIOD nämlich erst am 24. Juli 1995 einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Zuwiderhandlungen hergestellt, die in verschiedenen, anfangs getrennten Untersuchungen aufgedeckt worden seien.

50 Außerdem hätten die niederländischen Behörden nicht unnötig gezögert, einen Zusammenhang zwischen den verfügbaren Informationen herzustellen und die Klägerin hiervon zu unterrichten. So sei die Zeit, die nach Eingang der Mitteilung über das erste nicht ordnungsgemäß erledigte Dokument in den Niederlanden verstrichen sei, absolut erforderlich gewesen, um den Zusammenhang mit den in Bezug auf vier andere Dokumente festgestellten Zuwiderhandlungen herzustellen und Art und Umfang dieser Zuwiderhandlungen zu ermitteln; dies sei von der niederländischen Finanzverwaltung in ihrer Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs der Klägerin bestätigt worden. Im Verlauf der betreffenden Untersuchung hätten die jeweils beteiligten Dienststellen der niederländischen Verwaltung großen Eifer an den Tag gelegt.

51 Zudem seien die nationalen Behörden rechtlich nicht verpflichtet, einen Anmelder sofort zu benachrichtigen, wenn sie Zuwiderhandlungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens feststellten; eine solche Pflicht würde von vornherein jede Untersuchung über die mögliche Beteiligung des Anmelders an den Zuwiderhandlungen ausschließen. Es sei nicht sachgerecht, das Urteil De Haan auf den vorliegenden Fall zu übertragen, da dies der engen Auslegung zuwiderliefe, die im Fall von Bestimmungen, die einen Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben vorsähen, geboten sei (Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98, Söhl & Söhlke, Slg. 1999, I-7877).

52 Zum Vorbringen der Klägerin, dass die niederländischen Behörden gegen Artikel 379 Absatz 1 DVO sowie die Artikel 220 Absatz 1 und 221 Absatz 1 des Zollkodex verstoßen hätten, führt die Kommission aus, dass es sich um neue Angriffsmittel handele, die die Klägerin erstmals in der Erwiderung vorgebracht habe und die nicht auf Gründe gestützt seien, die erst während des Verfahrens zutage getreten seien. Die Kommission beantragt daher, sie für unzulässig zu erklären. Hilfsweise bemerkt die Kommission, dem Wortlaut von Artikel 379 Absatz 1 DVO zufolge hätten die niederländischen Behörden den Anmelder spätestens vor Ablauf des elften Monats nach dem Zeitpunkt der Registrierung der Versandanmeldung benachrichtigen müssen. Was den angeblichen Verstoß gegen die Artikel 220 und 221 des Zollkodex angehe, so hätten die niederländischen Behörden, sobald sie betrügerische Machenschaften festgestellt hätten, die Klägerin rasch informiert und gemäß der anwendbaren Regelung den Betrag der dadurch entstandenen Zollschuld buchmäßig erfasst, mitgeteilt und nacherhoben.

- Würdigung durch das Gericht

53 Zunächst stellt das Gericht fest, dass der Kommission nicht gefolgt werden kann, soweit sie vorträgt, dass die Klägerin erstmals in der Erwiderung zwei neue Angriffsmittel vorgebracht habe, nämlich einen Verstoß der niederländischen Behörden gegen Artikel 379 Absatz 1 DVO sowie gegen Artikel 220 Absatz 1 und 221 Absatz 1 des Zollkodex. Denn mit diesem Vorbringen führt die Klägerin lediglich den Vorwurf näher aus, dass die niederländischen Behörden sie zu spät über die Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit der Erledigung ihrer Zollanmeldungen informiert hätten. Dieser Vorwurf wird sehr wohl in der Klageschrift erhoben (vgl. insbesondere Randnr. 24 sowie Randnrn. 34 bis 40 der Klageschrift).

54 In der Sache ist festzustellen, dass die Erfordernisse einer Untersuchung zur Ermittlung und Ergreifung der Täter oder Teilnehmer eines bereits begangenen oder in Vorbereitung befindlichen Betruges es rechtfertigen können, eine vollständige oder teilweise Unterrichtung des Hauptverpflichteten über die Einzelheiten der Untersuchung selbst dann bewusst zu unterlassen, wenn er in keiner Weise in die Begehung der betrügerischen Handlungen verwickelt ist (Urteil De Haan, Randnr. 32). Die nationalen Behörden sind somit berechtigt, die Begehung von Zuwiderhandlungen oder Ordnungswidrigkeiten absichtlich nicht zu verhindern, um besser ein Netz zerschlagen, Betrüger ermitteln und Beweise finden oder untermauern zu können. Dagegen widerspricht es dem Ziel der Billigkeitsklausel, die Artikel 905 DVO zugrunde liegt, dem Abgabenschuldner eine Zollschuld aufzubürden, die sich aus diesen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Verfolgung von Zuwiderhandlungen ergibt, und ihn dadurch in eine Lage zu bringen, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist. Wird der Abgabenschuldner aufgrund der Erfordernisse einer Untersuchung der Zoll- oder Polizeibehörden nicht über deren Verlauf unterrichtet, so begründet dies daher, wenn dem Abgabenschuldner keine betrügerische Absicht oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, einen besonderen Fall (Urteile De Haan, Randnr. 53, und British American Tobacco, Randnr. 64; Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2004 in der Rechtssache T-332/02, Nordspedizionieri di Danielis Livio u. a./Kommission, Slg. 2004, II-0000, Randnr. 51).

55 Wie aus dem Bericht des FIOD Rotterdam vom 2. September 1996 hervorgeht, wurde der Betrug in Bezug auf die von der Klägerin ausgestellten Anmeldungen bei drei voneinander unabhängigen Untersuchungen verschiedener Dienststellen der niederländischen Behörden entdeckt. Die erste Zuwiderhandlung wurde am 20. und 23. März 1995 vom DIC Rotterdam im Rahmen einer Untersuchung zu Transporten von Kalbsbries (siehe oben, Randnr. 11) aufgedeckt. Die zweite wurde am 29. Juni 1995 vom Zollamt Kerkrade bei einer Stichprobe festgestellt (siehe oben, Randnr. 12). Die dritte wurde am 10. Juli 1995 vom Zollamt Kerkrade im Anschluss an die Feststellung entdeckt, dass in zwei Zollanmeldungen die Rubrik "Prüfung durch die Bestimmungszollstelle" nicht vollständig ausgefüllt worden war (siehe oben, Randnr. 13). Die beiden zuletzt genannten Zuwiderhandlungen betrafen außerdem andere Fleischerzeugnisse als Kalbsbries, nämlich Rindfleisch und Geflügel. Zudem stellte der FIOD Rotterdam erst am 24. Juli 1995 einen Zusammenhang zwischen diesen drei Fällen her. Daraus kann hier gefolgert werden, dass die niederländischen Zollbehörden die Begehung von Zuwiderhandlungen nicht absichtlich nicht verhindert haben, um die Täter oder Komplizen der verübten Betrugsdelikte zu ermitteln und zu ergreifen.

56 Jedenfalls war den niederländischen Zollbehörden bereits am 23. März 1995 ein Betrugsfall bekannt, der ein externes gemeinschaftliches Versandverfahren betraf, das von der Klägerin angemeldet worden war und für das diese als Hauptverpflichtete im Sinne des Versandverfahrens in Erscheinung trat. Die niederländischen Behörden benachrichtigten die Klägerin jedoch erst am 9. August 1995, also viereinhalb Monate später.

57 Zu beachten ist, dass nach Artikel 379 Absatz 1 DVO für den Fall, dass wie hier eine Sendung nicht der Bestimmungsstelle gestellt worden ist und der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden kann, die Abgangsstelle dies dem Hauptverpflichteten "so schnell wie möglich" mitteilt. Somit legt Artikel 379 Absatz 1 DVO zwar keine bestimmte Frist für die Mitteilung an den Hauptverpflichteten fest, da er lediglich vorsieht, dass diese Mitteilung spätestens vor Ablauf des elften Monats nach dem Zeitpunkt der Registrierung der Versandanmeldung stattfinden muss, doch er legt er den nationalen Behörden gleichwohl eine Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Benachrichtigung des Hauptverpflichteten auf.

58 Mit dieser Mitteilung über die fehlende Erledigung des Zollvorgangs an den Beteiligten werden mehrere Ziele verfolgt. Erstens ist nach Artikel 379 Absatz 2 DVO in dieser Mitteilung insbesondere die Frist von drei Monaten anzugeben, innerhalb deren der Beteiligte bei der Abgangsstelle den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder den Nachweis über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung erbringen kann. Deshalb stellt die Mitteilung der betreffenden Frist an den Hauptverpflichteten eine Voraussetzung für die Nacherhebung der Zollschuld durch die Zollbehörden dar und dient dem Schutz seiner Interessen (Urteil des Gerichtshofes vom 20. Januar 2005 in der Rechtssache C-300/03, Honeywell Aerospace, Slg. 2005, I-0000, Randnrn. 23 und 24). Zweitens setzt diese Mitteilung den gutgläubigen Wirtschaftsteilnehmer davon in Kenntnis, dass eine Sendung der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde, und ermöglicht es ihm, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass durch ähnliche spätere Sendungen eine Zollschuld entsteht. Drittens kann der Hauptverpflichtete, wenn er von der betreffenden Zuwiderhandlung weiß, gegebenenfalls gemäß Artikel 198 des Zollkodex eine zusätzliche Sicherheit für die Erfüllung der Zollschuld leisten.

59 Wird dem Beteiligten die Aufdeckung eines ihn betreffenden Betruges nicht sofort mitgeteilt und werden zunächst Untersuchungen im Hinblick auf den Betrugsfall durchgeführt, so stellt dies jedoch kein fahrlässiges Verhalten der Zollbehörden dar. Denn ebenso, wie die Zollbehörden berechtigt sind, die Begehung von Zuwiderhandlungen nicht zu verhindern, um besser ein Netz zerschlagen, Betrüger ermitteln und Beweise finden oder untermauern zu können (Urteil De Haan, Randnr. 53), dürfen sie Untersuchungen zu den Zuwiderhandlungen durchführen, die im Rahmen eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens aufgedeckt werden, ohne den Hauptverpflichteten vorab hierüber zu informieren, um insbesondere Art und Umfang der festgestellten Zuwiderhandlungen zu ermitteln und die Verantwortung der an dem fraglichen Vorgang Beteiligten einschließlich des Hauptverpflichteten selbst zu beurteilen. Würden die an dem Zollvorgang Beteiligten vorab über das Vorliegen eines Betruges informiert, so könnte dies in der Tat der Untersuchung schaden und die Beschaffung entsprechenden Beweismaterials erschweren.

60 Wie jedoch der Gerichtshof im Urteil De Haan ausgeführt hat, sind die Zoll- oder Polizeibehörden zwar berechtigt, ihre Untersuchungsbefugnisse wahrzunehmen, doch begründen die Erfordernisse einer Untersuchung durch diese Behörden einen besonderen Fall, wenn dem Abgabenschuldner keine betrügerische Absicht oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann und er nicht über deren Verlauf unterrichtet wird (Urteil De Haan, Randnr. 53). Wie nämlich die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, führt die Tatsache, dass ein Betrug verübt wird und der Hauptverpflichtete als Opfer dieses Betruges nicht zu einem nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmenden Zeitpunkt hierüber informiert wird, dazu, dass für den Hauptverpflichteten ein besonderer Fall vorliegt, soweit es um die Zollschuld aufgrund betrügerischer Vorgänge geht, die nach Aufdeckung dieses Betruges liegen und mit ihm verbunden sind, aber vor dem Zeitpunkt stattfanden, zu dem der Hauptverpflichtete von dem Betrug unterrichtet wurde.

61 Dem gutgläubigen Wirtschaftsteilnehmer eine Zollschuld aufzubürden, die sich daraus ergibt, dass die nationalen Behörden ihn nicht oder verspätet von der Begehung eines Betruges unterrichtet haben, widerspräche der Billigkeitsklausel, da der Abgabenschuldner dadurch in eine Lage gebracht würde, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist. Es wäre deshalb unbillig, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte (Urteile Coopérative agricole d'approvisionnement des Avirons, Randnr. 22, und British American Tobacco, Randnr. 63) und der nicht mehr unter das normale Geschäftsrisiko fiele, das mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden ist (Urteil Hyper/Kommission, Randnr. 95).

62 Im vorliegenden Fall bedarf es der Feststellung, ab welchem Zeitpunkt die niederländischen Behörden die Klägerin über die fraglichen Zuwiderhandlungen hätten informieren können. Am 23. März 1995 entdeckte das DIC Rotterdam den ersten Betrugsfall zum Nachteil der Klägerin, und zwar in Bezug auf den Versandschein T1 Nr. 5100508 vom 16. Januar 1995. Der FIOD Haarlem erfuhr hiervon am 31. März 1995 und der FIOD Rotterdam am 18. April 1995. Unstreitig ist, dass es sich beim FIOD um die Behörde handelt, die für die Untersuchung der fraglichen Zuwiderhandlungen und deren Mitteilung an die Klägerin zuständig war. Der FIOD Rotterdam leitete am 18. April 1995 seine Untersuchung des entdeckten Betruges ein. Er teilte der Klägerin die festgestellte Zuwiderhandlung jedoch erst am 9. August 1995 mit.

63 Obwohl die niederländischen Behörden im Verlauf ihrer Untersuchungen nicht nachlässig gehandelt haben, ist nach alledem die Tatsache, dass sie die Klägerin geraume Zeit wegen der Erfordernisse dieser Untersuchungen nicht von dem zu ihrem Nachteil begangenen Betrug informiert haben, ein Umstand, aufgrund dessen für die Klägerin in Bezug auf einen Teil der Zollschuld für die streitigen Vorgänge im Rahmen des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens ein besonderer Fall vorliegt. Denn hätten die Zollbehörden die Klägerin über die Fehlerhaftigkeit der Anmeldungen in angemessener Frist nach dem 18. April 1995 - dem Tag, an dem der FIOD hiervon unterrichtet worden war - informiert, so hätte diese die erforderlichen Maßnahmen ergreifen können, um nach der betrügerischen Entziehung der betreffenden Sendungen zu verhindern, dass sie Zollschuldnerin für die Sendungen wird, die ab dem 12. Juni 1995 erfolgen. Deshalb sind nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen für das Vorliegen eines besonderen Falles hier in Bezug auf die Zollschuld aufgrund der von der Klägerin ab dem 12. Juni 1995 ausgestellten Anmeldungen gegeben.

64 Daher hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie die Ansicht vertreten hat, bei der Klägerin sei im Hinblick auf die Zollschuld aufgrund der Vorgänge ab dem 12. Juni 1995 kein besonderer Fall im Sinne von Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 DVO gegeben.

65 Folglich greift der erste Teil des Klagegrundes durch, ohne dass die anderen Umstände, auf die sich die Klägerin beruft, geprüft zu werden brauchten.

Zum zweiten Teil des Klagegrundes: Weder betrügerische Absicht noch offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin

Vorbringen der Parteien

66 Die Klägerin trägt vor, es sei unstreitig, dass sie in gutem Glauben gehandelt habe und nicht in den Betrug verwickelt gewesen sei. Dennoch werfe ihr die Kommission zu Unrecht vor, offensichtlich fahrlässig gehandelt zu haben.

67 Die niederländischen Behörden hätten in ihrem Antrag auf Erlass von Abgaben der Kommission gegenüber angegeben, dass man der Klägerin keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorwerfen könne. Sie hätten diesen Standpunkt im Verlauf des Verwaltungsverfahrens bestätigt, insbesondere in ihren Antworten auf die beiden Auskunftsersuchen der Kommission vom 8. August 2001 bzw. 2. August 2002. Die Entscheidung der Kommission über das Vorliegen einer solchen Fährlässigkeit müsse auf der Grundlage aller relevanten Tatsachen, einschließlich der Erklärungen der nationalen Behörden vorgenommen werden (Urteil France-aviation/Kommission, Randnr. 36), bei denen der Beteiligte das Recht habe, gehört zu werden (Urteil des Gerichts vom 18. Januar 2000 in der Rechtssache T-290/97, Mehibas Dordtselaan/Kommission, Slg. 2000, II-15, Randnrn. 27 bis 29). Die Kommission sei jedoch von der Meinung der niederländischen Behörden abgewichen, ohne ausreichende Gründe hierfür anzugeben.

68 Wie sowohl aus der Praxis der Kommission (Entscheidung der Kommission REM 21/00, 22/00, 23/00 und 24/00 vom 23. Juli 2001, Randnr. 42) als auch aus der Rechtsprechung (Urteil des Gerichts vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler & Malt/Kommission, Slg. 1998, II-401, Randnrn. 159 und 160) hervorgehe, müsse außerdem, damit auf offensichtliche Fahrlässigkeit geschlossen werden könne, geprüft werden, ob das Verhalten des Betroffenen gegen die gängige Praxis im Handel verstoßen habe. Im vorliegenden Fall jedoch habe ihr Verhalten dieser Praxis entsprochen. Was insbesondere den Vorwurf angehe, dass sie für den Transport der Waren keine Versicherung abgeschlossen habe, so hätten die niederländischen Behörden in ihrer Antwort vom 2. August 2002 auf das Auskunftsersuchen der Kommission erklärt, dass es seinerzeit nicht einfach gewesen sei, Versicherungen abzuschließen, und dass dies auch nicht üblich gewesen sei. Zudem habe die Frage, ob sie eine Versicherung abgeschlossen habe, keinen Einfluss auf das Vorliegen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit. Schließlich macht die Klägerin geltend, die Kommission habe zwar ausgeführt, dass der Abschluss einer Versicherung nur eines der Kriterien für die Beurteilung darstelle, ob eine offensichtliche Fahrlässigkeit gegeben sei, aber die anderen Kriterien, die im vorliegenden Fall angewandt worden seien, weder genannt noch erläutert.

69 Ferner stellt die Klägerin fest, sie habe sich in ihren Handelsbeziehungen zu Hector International nicht fahrlässig verhalten. Seit März 1993 habe dieses Unternehmen Transporte für LEP International UK, eine Schwestergesellschaft der Klägerin, zu deren vollster Zufriedenheit durchgeführt. Auf die Bitte von Hector International habe LEP International UK sie mit der Klägerin in Kontakt gebracht. Die Klägerin habe erst damit begonnen, Versandscheine T1 für Hector International auszustellen, nachdem sie sich vergewissert habe, dass diese zahlungsfähig sei, und nachdem sie eine Haftungserklärung und Garantien von Hector International für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Erledigung von Zollpapieren erhalten habe. Außerdem habe sie dafür gesorgt, dass jedesmal nur eine beschränkte Zahl von Versandscheinen T1 und neue Versandscheine nur dann ausgestellt worden seien, wenn die vorhergehenden Versandscheine vernünftigerweise als erledigt hätten betrachtet werden können. Sie habe bei Hector International immer auf die Rückgabe des Kontrollabschnitts des Exemplars Nr. 5 der Versandscheine T1 gedrungen, auf dem sich immer ein Stempel des spanischen Zolles und die Unterschrift eines spanischen Zollbeamten befunden hätten, die sich jedoch anschließend als gefälscht herausgestellt hätten. Die Klägerin erhalte ferner für jede Sendung unterschriebene und mit Eingangsstempel versehene CMR-Frachtbriefe zurück, die bewiesen, dass das Fleisch tatsächlich an seinen Bestimmungsort gelangt sei. Somit habe sie alle angemessenen Vorkehrungen getroffen, um Schaden durch die fehlende Erledigung von Zollpapieren abzuwenden, und sich daher nicht fahrlässig verhalten.

70 Die Kommission vertritt die Ansicht, sie habe in der angefochtenen Entscheidung rechtlich hinreichend dargelegt, dass die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt habe.

71 Die Frage nach der offensichtlichen Fahrlässigkeit der Klägerin habe nichts damit zu tun, ob sie gutgläubig gewesen sei. Zwar hätten die niederländischen Behörden ihr mitgeteilt, dass es weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin gegeben habe. So habe sie die betreffenden Behörden aber zweimal um Erläuterung ihres Standpunkts ersucht, erstmals in ihrem Auskunftsersuchen vom 24. November 2000 und ein zweites Mal in ihrem Auskunftsersuchen vom 22. November 2001. Die Antworten der niederländischen Behörden seien für die Feststellung, ob die Klägerin im vorliegenden Fall fahrlässig gehandelt habe, nicht hilfreich gewesen, da sich die betreffenden Behörden darin auf die Anwendung der Unschuldsvermutung beschränkt hätten, indem sie ausgeführt hätten, dass die Klägerin bis zum Beweis des Gegenteils als gutgläubig anzusehen sei.

72 Um festzustellen, ob der Hauptverpflichtete offensichtlich fahrlässig gehandelt habe, sei seine besondere Verantwortung im Rahmen des gemeinschaftlichen Versandverfahrens zu berücksichtigen. Wie in Randnummer 46 der angefochtenen Entscheidung angegeben, müsse zu diesem Zweck der Erfahrung des Beteiligten, der von ihm aufgewandten Sorgfalt und der Komplexität der einschlägigen Rechtsvorschriften Rechnung getragen werden (Urteil des Gerichts vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-75/95, Günzler Aluminium/Kommission, Slg. 1996, II-497). In ihrer Eigenschaft als Zollspediteurin sei die Klägerin eine erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin gewesen, die die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Geschäftsrisiken haben kennen müssen (Randnr. 47 der angefochtenen Entscheidung). Außerdem seien in den Rechtsvorschriften für Versandverfahren die Pflichten des Hauptverpflichteten und die sich daraus ergebende Verantwortung klar festgelegt (Randnr. 48 der angefochtenen Entscheidung). Schließlich habe es dem Hauptverpflichteten oblegen, alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um sich gegen das Geschäftsrisiko abzusichern, was er nicht getan habe (Randnrn. 49 und 50 der angefochtenen Entscheidung).

73 Was insbesondere die Frage angehe, ob die Klägerin die nötige Sorgfalt aufgewandt habe, so sei der Abschluss einer Versicherung nur ein Element der Beurteilung. Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles sei die Kommission zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass die Klägerin nicht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen habe, um sich gegen Risiken abzusichern.

74 Zu den Vorkehrungen, die die Klägerin getroffen habe, um sich der Verlässlichkeit von Hector International zu vergewissern, bemerkt die Kommission, dass die Klägerin die betreffenden Tatsachen erst in ihrer Erwiderung vorgetragen habe. Die Klägerin habe eine Erklärung unterzeichnet, wonach sie den von den niederländischen Behörden übermittelten Akten nichts hinzuzufügen habe und Gelegenheit gehabt habe, zu dem Schreiben der Kommission vom 11. Oktober 2001 Stellung zu nehmen, in dem die Kommission ausdrücklich zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Die Klägerin sei daher nicht berechtigt, sich in diesem Verfahrensstadium auf neue Tatsachen zu stützen, um der Kommission eine unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung vorzuwerfen.

Würdigung durch das Gericht

75 Zur Beantwortung der Frage, ob offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne von Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 DVO vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden. (Urteil Söhl & Söhlke, Randnr. 56).

76 Hier hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung erstens ausgeführt, dass die Klägerin als erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin das Zollrecht und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Geschäftsrisiken habe kennen müssen (Randnr. 47), zweitens, dass in den Rechtsvorschriften für Versandverfahren die Pflichten des Hauptverpflichteten und die sich daraus ergebende Verantwortung klar festgelegt seien (Randnr. 48), und drittens, dass es der Klägerin aufgrund ihrer Haftungspflichten als Hauptverpflichteter oblegen habe, alle notwendigen Vorkehrungen gegen das Geschäftsrisiko zu treffen (Randnr. 49).

77 Die drei vorerwähnten Gesichtspunkte, nämlich die Komplexität der Rechtsvorschriften, die Berufserfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers stellen jedoch keine Kriterien dar, anhand deren die Kommission im konkreten Fall beurteilen kann, ob sich der Wirtschaftsteilnehmer offensichtlich fahrlässig verhalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Söhl & Söhlke, Randnr. 59). Denn die Kommission ist im Rahmen ihrer Analyse gehalten, die konkreten Handlungen oder Unterlassungen des den Erlass Beantragenden zu benennen, die für sich genommen oder insgesamt insbesondere im Licht der erwähnten Kriterien eine offensichtliche Fahrlässigkeit begründen.

78 Die niederländischen Behörden sind sowohl in ihrem Erlassantrag als auch anschließend zweimal während des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission zu dem Schluss gekommen, der Klägerin könne weder betrügerische Absicht noch offensichtliche Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. Gleichwohl vertrat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin als Ergebnis offensichtlicher Fahrlässigkeit zu werten sei (Randnr. 51). Zwar durfte die Kommission vom Standpunkt der nationalen Behörden abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil France-aviation/Kommission, Randnr. 36), doch oblag es ihr, auf der Grundlage des konkreten Sachverhalts ein offensichtlich fahrlässiges Verhalten der Klägerin nachzuweisen.

79 Wie jedoch die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, werden in der angefochtenen Entscheidung nur zwei spezifische Verhaltensweisen der Klägerin benannt, mit denen möglicherweise deren offensichtlich fahrlässiges Verhalten nachgewiesen werden kann: Erstens seien die Beteiligten nicht überwacht worden, und zweitens seien keine angemessenen Versicherungen abgeschlossen worden (Randnr. 49).

80 Zum ersten Vorwurf, dem der angeblich fehlenden Überwachung der Beteiligten durch die Klägerin, wird in der angefochtenen Entscheidung in keiner Weise erläutert, inwiefern die Klägerin in dieser Beziehung fahrlässig gewesen sein soll. Mangels Erläuterung, und sei sie noch so knapp, muss das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass dieser Vorwurf nicht belegt worden ist. Diesen Vorwurf für berechtigt zu erklären, hieße, die Ansicht zu vertreten, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer, der Opfer betrügerischer Machenschaften Dritter ist, mit denen er Handelsbeziehungen unterhalten hat, sich zwangsläufig offensichtlich fahrlässig verhalten hätte.

81 Außerdem hat die Klägerin ausgeführt, dass sie eine ganze Reihe von Vorkehrungen in Bezug auf Hector International getroffen habe. So habe sie erst damit begonnen, Versandscheine T1 für Hector International auszustellen, nachdem sie sich vergewissert habe, dass dieses Unternehmen zahlungsfähig sei, und nachdem sie eine Erklärung zur Haftung und dessen Garantien für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Erledigung von Zollpapieren erhalten habe. Zudem habe sie dafür gesorgt, dass jedesmal nur eine beschränkte Zahl von Versandscheinen T1 und neue Versandscheine nur dann ausgestellt worden seien, wenn die vorhergehenden Versandscheine vernünftigerweise als erledigt hätten betrachtet werden können. Schließlich habe sie bei Hector International immer auf die Rückgabe des Kontrollabschnitts des Exemplars Nr. 5 der Versandscheine T1 gedrungen, auf dem sich immer ein Stempel des spanischen Zolles und die Unterschrift eines spanischen Zollbeamten befunden hätten; Entsprechendes gelte für die unterschriebenen und mit Eingangsstempel versehenen CMR-Frachtbriefe. Diese Vorkehrungen, deren Existenz von der Kommission nicht bestritten worden sei, lassen ein vorsichtiges und angemessenes Verhalten der Klägerin bei der Überwachung der an den fraglichen Zollvorgängen Beteiligten erkennen.

82 Das Gericht vermag dem Vorbringen der Kommission nicht zu folgen, dass sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf diese Tatsachen berufen könne, da sie erstmals in der Erwiderung geltend gemacht worden seien. Es obliegt nämlich der Kommission, im konkreten Fall eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin nachzuweisen. Die Kommission hat jedoch in ihrem Schreiben vom 11. Oktober 2001, in dem sie ihre Einwände mitgeteilt hat, nicht erläutert, warum sie der Auffassung war, dass die Klägerin bei der Überwachung der Beteiligten fahrlässig gehandelt habe. Die Klägerin hat in ihrem Schreiben vom 9. November 2001 ausgeführt, dass sie sich nicht fahrlässig verhalten habe, wobei sie insbesondere erklärt hat, dass sie in Bezug auf den Transport gewissenhaft gehandelt habe und nicht habe überprüfen können, ob bei der Erledigung Zuwiderhandlungen begangen worden seien. Anschließend erhielt die Kommission in der angefochtenen Entscheidung den Vorwurf aufrecht, dass es Mängel bei der Überwachung der Beteiligten gegeben habe, ohne ihn jedoch näher zu erläutern. In ihrer Klageschrift in der vorliegenden Rechtssache hat die Klägerin wiederholt, dass ihr in Bezug auf die festgestellten Zuwiderhandlungen kein Vorwurf gemacht werden könne; sie ist dabei geblieben, dass ihr Verhalten im vorliegenden Fall der üblichen Praxis im Handel entsprochen habe. In ihrer Klagebeantwortung wiederholt die Kommission ihren Standpunkt und bestreitet die Ausführungen der Klägerin. Nach alledem kann der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie in ihrer Erwiderung die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte im Hinblick auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung und der Klagebeantwortung ergänzt hat.

83 Was den zweiten Vorwurf angeht, dem zufolge die Klägerin nicht die geeigneten Versicherungen abgeschlossen habe, so ist es zwar Sache der Wirtschaftsteilnehmer, sich gegen die normalen Geschäftsrisiken abzusichern, so dass der bloße Eintritt eines finanziellen Schadens keinen besonderen Fall im Sinne des Zollrechts der Gemeinschaft darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Hyper/Kommission, Randnrn. 113 et 114). Der fehlende Abschluss einer Versicherung für sich allein kann aber nicht generell als ein offensichtlich fahrlässiges Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers betrachtet werden. Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung nicht erläutert, warum es unter den vorliegenden Umständen offensichtlich fahrlässig gewesen sein soll, dass die Klägerin die sich aus den fraglichen Vorgängen ergebenden Risiken nicht versichert hat. Davon, ob eine Versicherung abgeschlossen worden ist, hängt es ab, wer die Zollschuld und den Schaden aufgrund der streitigen Vorgänge trägt, der Zollagent oder sein Versicherer. Dass sich die Klägerin nicht an eine Versicherungsgesellschaft wenden könnte, um den Betrag der Zollschuld, die sie begleichen müsste, zurückzuerlangen, und sie daher selbst tragen müsste, hat keine Bedeutung für die Voraussetzungen für den Anspruch auf Erlass dieser Schuld aus Billigkeitsgründen und damit auch nicht für die Verpflichtung der Kommission zu Gewährung des Erlasses, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Außerdem könnte sich der Versicherer entweder die Ansprüche des Zollagenten gegenüber den Zollbehörden abtreten lassen oder den Ausgang des Vorgehens des Zollagenten bei der Kommission abwarten. Dass keine Versicherung abgeschlossen wurde, ist somit nicht fahrlässig.

84 Darüber hinaus können nach Artikel 239 des Zollkodex Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in Fällen erstattet oder erlassen werden, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Ebenso muss nach Artikel 905 DVO der Antrag auf Erlass mit einer Begründung versehen sein, die auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt. Schon aus dem Wortlaut der Vorschriften geht hervor, dass eine Verbindung zwischen der dem Wirtschaftsteilnehmer vorgeworfenen Fahrlässigkeit und dem festgestellten besonderen Fall bestehen muss. Ohne eine solche Verbindung wäre es unbillig, den Antrag auf Erlass oder Erstattung abzulehnen. Hier hat der fehlende Abschluss einer Versicherung durch die Klägerin weder zur Begehung des Betruges beigetragen noch seine Entdeckung erschwert. Erst recht hat dieser Umstand nicht das Geringste damit zu tun, dass die niederländischen Behörden der Klägerin eine Zeit lang das Vorliegen eines Betruges betreffend eine ihrer Anmeldungen nicht mitgeteilt haben.

85 Daher hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt habe.

86 Folglich ist der zweite Teil des Klagegrundes begründet.

87 Demnach ist der vorliegenden Klage stattzugeben.

Kostenentscheidung:

Kosten

88 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Klägerin einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind ihr ihre eigenen Kosten sowie diejenigen der Klägerin aufzuerlegen.

89 Gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung trägt das Königreich Spanien als Streithelfer seine eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung REM 08/00 der Kommission vom 7. Oktober 2002 wird für nichtig erklärt, soweit mit ihr der Erlass der Einfuhrabgaben abgelehnt wird, die der Klägerin für die Zollvorgänge auferlegt wurden, die sie ab dem 12. Juni 1995 durchgeführt hatte.

2. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Klägerin.

3. Das Königreich Spanien trägt seine eigenen Kosten.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. September 2005.

Ende der Entscheidung

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