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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 17.10.1991
Aktenzeichen: T-26/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat, Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 86
EWG/EAG BeamtStat Art. 1 Abs. 1 des Anhangs
Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften Art. 70
Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften Art. 71
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Statut sieht bei der Festlegung der Disziplinarordnung für die Beamten in seinen Artikeln 86 bis 89 und in seinem Anhang IX keine Verjährungsfrist bezueglich der Einleitung eines Disziplinarverfahrens vor. Eine Verjährungsfrist muß jedoch, um ihre Aufgabe, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, erfuellen zu können, vom Gemeinschaftsgesetzgeber im voraus festgelegt werden.

Mangels einer solchen Frist im Statut kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Ablauf der in Artikel 72 der Haushaltsordnung vorgesehenen Frist für die Entlastung der Rechnungsführer zur Verjährung jeder disziplinarischen Verfolgung der letztgenannten führen könnte. Das Disziplinarverfahren, das von den anderen Verwaltungsverfahren unabhängig ist, bezweckt nämlich die Erhaltung der inneren Ordnung des öffentlichen Dienstes, während die Erteilung der Entlastung nach Artikel 72 der Haushaltsordnung die Herbeiführung einer Kontrolle der Genauigkeit und Richtigkeit der Konten und, allgemeiner, der Rechnungslegung und -prüfung bezweckt, um die Ungewißheit im Hinblick auf die Verantwortung zu beenden, die auf dem betreffenden Rechnungsführer für ein bestimmtes Haushaltsjahr lastet.

Diese Unabhängigkeit der beiden Verfahren verbietet jedoch nicht, daß Feststellungen und Würdigungen des Entlastungsbeschlusses im Rahmen des Disziplinarverfahrens in der Sache selbst berücksichtigt werden.

2. Eröffnet die Anstellungsbehörde ein Disziplinarverfahren erneut, nachdem die von ihr gegen einen Beamten verhängte Disziplinarstrafe wegen eines Formfehlers, der das Disziplinarverfahren behaftet hatte, gerichtlich aufgehoben wurde, so kann diese Wiedereröffnung nicht als neue Befassung der zuständigen Stellen betrachtet, sondern muß als Wiederaufnahme des Verfahrens in dem Stadium angesehen werden, in dem der vom Gericht festgestellte Verfahrensfehler vorgekommen war.

3. Zwar sind die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen für die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats und für den Beschluß der Anstellungsbehörde keine Ausschlußfristen, doch lassen sie eine Regel ordnungsgemässer Verwaltung erkennen, die im Interesse sowohl der Verwaltung als auch der Beamten eine ungerechtfertigte Verzögerung bei dem Erlaß des Beschlusses, der das Disziplinarverfahren beendet, verhindern soll. Die Disziplinarbehörden sind daher verpflichtet, das Verfahren mit Umsicht zu betreiben und so vorzugehen, daß jede Verfolgungsmaßnahme innerhalb einer Frist erfolgt, die gegenüber der vorhergehenden Maßnahme angemessen ist. Die Nichteinhaltung dieser Frist - die nur aufgrund der besonderen Umstände des Falles festgestellt werden kann - kann nicht nur die Haftung des Organs begründen, sondern auch die Nichtigkeit der nach Fristablauf getroffenen Maßnahme zur Folge haben.

4. Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte gilt nicht für den eigentlichen Disziplinarbereich des öffentlichen Dienstes, da ein Disziplinarverfahren nicht "strafrechtlich" im Sinne dieser Vorschrift ist.

5. Wie sich aus den Artikeln 2 und 7 Absatz 1 des Anhangs IX des Statuts ergibt, können der von einem Disziplinarverfahren betroffene Beamte und seine Beistände von allen tatsächlichen Umständen, auf die sich die Disziplinarentscheidung stützt, so rechtzeitig Kenntnis erhalten, daß sie dazu Stellung nehmen können. Mangels eines Antrags des Betroffenen lässt sich indessen dem Statut keine Verpflichtung der Anstellungsbehörde entnehmen, die vollständige Akte des betreffenden Beamten zu übermitteln.

6. Die jeweiligen Zuständigkeiten und Aufgaben des Rechnungsführers und des Zahlstellenverwalters bezueglich der Verwaltung einer Zahlstelle sind insbesondere in den Artikeln 17 Absatz 3, 20, 49, 63 und 70 der Haushaltsordnung sowie in den Artikeln 46 bis 54 der zur Zeit der streitigen Ereignisse geltenden Durchführungsbestimmungen geregelt. Nach diesen Vorschriften ist die Errichtung und folglich auch die Änderung einer Zahlstelle Gegenstand einer Entscheidung der Haushaltsbehörden. Der Zahlstellenverwalter führt über die Mittel der Zahlstelle und die geleisteten Ausgaben Buch nach Weisungen des Rechnungsführers, dem gegenüber er für die Ausführung der Zahlungen verantwortlich ist. Die Rolle des Rechnungsführers, die Einziehungen und Zahlungen des Parlaments sicherzustellen, beschränkt sich, soweit es um die Verwaltung der Zahlstelle geht, nicht auf die Erteilung von Weisungen. Der Rechnungsführer hat durch unvorhergesehene Kontrollen, im allgemeinen an Ort und Stelle, das Vorhandensein der den Zahlstellenverwaltern anvertrauten Mittel und die Buchführung zu überprüfen.

Aus dieser Verteilung der Aufgaben auf Rechnungsführer und Zahlstellenverwalter folgt, daß der letztgenannte in erster Linie die Verantwortung für die Verwaltung der Zahlstelle trägt und hiervon nur für den Fall entbunden sein kann, daß er gegenteilige Weisungen des Rechnungsführers erhalten hat. Demgegenüber ist der Rechnungsführer mitverantwortlich, wenn er in Kenntnis etwaiger Unregelmässigkeiten nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift oder es unterlässt, gewöhnliche wie auch aussergewöhnliche Kontrollen der Buchführung der Zahlstelle vorzunehmen.

Hieraus ergibt sich ferner, daß die Verantwortung für die Vorlage und die Aufbewahrung der Belege der Zahlstelle in erster Linie dem Zahlstellenverwalter obliegt, der Rechnungsführer, der zur Kontrolle der Buchführung der Zahlstelle und zur Erteilung von Weisungen an den Zahlstellenverwalter verpflichtet ist, jedoch dann mitverantwortlich wird, wenn er es unterlässt, geeignete Weisungen für die Aufbewahrung der Belege zu erteilen.

7. Da zum einen jedes Disziplinarverfahren selbständig ist und zum anderen ein Kläger nicht eine zugunsten eines anderen begangene Rechtwidrigkeit geltend machen kann, kann sich ein Beamter gegenüber einer gegen ihn verhängten Strafe nicht mit Erfolg darauf berufen, daß gegen einen anderen Beamten, gegen den ein Disziplinarverfahren aufgrund von Tatsachen durchgeführt wurde, die in Zusammenhang mit den gegen ihn selbst erhobenen Vorwürfen stehen, keine Strafe verhängt wurde.

8. Sind die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen erwiesen, so kann die Anstellungsbehörde die angemessene Disziplinarstrafe wählen. Da die Artikel 86 bis 89 des Statuts keine festen Verknüpfungen zwischen den darin angegebenen Strafen und den verschiedenen Arten von Pflichtverletzungen der Beamten vorsehen, muß die Bestimmung der in jedem Einzelfall zu verhängenden Strafe auf einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und der erschwerenden oder mildernden Umstände des jeweiligen Falles durch die Anstellungsbehörde beruhen. Das Gericht kann die Beurteilung der Disziplinarbehörde nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen, es sei denn, es läge ein offensichtlicher Fehler oder ein Ermessensmißbrauch vor.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 17. OKTOBER 1991. - HENRI DE COMPTE GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - DISZIPLINARORDNUNG - SANKTION DER EINSTUFUNG IN EINE NIEDRIGERE BESOLDUNGSGRUPPE. - RECHTSSACHE T-26/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Im Juli 1981 begann der Rechnungshof gemäß Artikel 206a Absatz 4 EWG-Vertrag mit der Prüfung der Kasse der Mitglieder (Abgeordneten) des Europäischen Parlaments (im folgenden: Parlament). Seine ersten, dem Parlament im Oktober 1981 und April 1982 mitgeteilten Feststellungen waren sehr kritisch.

2 Am 30. April 1982 wurde Herr de Compte, damals Beamter der Besoldungsgruppe A 3 und Rechnungsführer des Parlaments, versetzt.

3 Am 6. Juli 1982 verabschiedete der Rechnungshof einen Sonderbericht über die Abgeordnetenkasse des Parlaments (ABl. C 202, S. 1), in dem er schwere Verletzungen der Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 356, S. 1, im folgenden: Haushaltsordnung) feststellte und das Parlament aufforderte, die notwendigen Maßnahmen zur Bereinigung der nicht ordnungsgemässen Rechnungsführung zu veranlassen, die geschuldeten Beträge einzuziehen und die etwaigen Verantwortlichkeiten insbesondere des Rechnungsführers, des Zahlstellenverwalters und des Finanzkontrolleurs klarzustellen.

4 Die vom Rechnungshof festgestellten Unregelmässigkeiten wurden durch einen Bericht bestätigt, den ein unabhängiges Wirtschaftsprüfungsunternehmen im Auftrag des Parlaments erstellt hatte.

5 Mit Schreiben vom 30. September 1982 teilte der Präsident des Parlaments als Anstellungsbehörde dem Vorsitzenden des Disziplinarrats mit, daß er beschlossen habe, gegen Herrn de Compte gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) und Artikel 71 der Haushaltsordnung ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

6 Nachdem der Kläger geltend gemacht hatte, er sei nicht zuvor gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts angehört worden, gab ihm der Präsident des Parlaments mit Schreiben vom 14. Januar 1983 seine Entscheidung bekannt, dieses Verfahren aufzuheben. Mit dem gleichen Schreiben teilte er ihm auch mit, daß es bestimmte Umstände im Zusammenhang mit der Führung der Abgeordnetenkasse des Parlaments gebe, die zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn führen könnten.

7 Am 28. Januar 1983 führte der Generaldirektor für Verwaltung, Personal und Finanzen des Parlaments gemäß Artikel 87 Absatz 2 die vorherige Anhörung des Betroffenen durch.

8 Am 13. April 1983 befasste der Präsident des Parlaments gemäß Artikel 87 des Statuts und Artikel 1 des Anhangs IX des Statuts (im folgenden: Anhang) den Disziplinarrat mit einem Bericht über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe. Der Disziplinarrat trat in der Zeit vom 2. Juni 1983 bis 10. Februar 1984 mehrmals zusammen.

9 Zum letztgenannten Zeitpunkt schlug der Disziplinarrat in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme mit drei gegen zwei Stimmen vor, gegen Herrn de Compte die Disziplinarstrafe des Verweises zu verhängen, während sich die beiden gegen eine solche Strafe stimmenden Mitglieder für den Freispruch des beschuldigten Beamten aussprachen.

10 In der Zwischenzeit hatte das Parlament mit Beschluß vom 18. Mai 1983 seinem Präsidenten Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 erteilt und die Entlastung des Rechnungsführers aufgeschoben, um dem Ausschuß für Haushaltskontrolle Gelegenheit zur Durchführung einiger Arbeiten zu geben (ABl. C 161, S. 98).

11 Am 16. März 1984 beschloß der Präsident des Parlaments, gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst ohne Kürzung oder Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche zu verhängen; in dieser Entscheidung wurden gegen den Kläger mehrere Vorwürfe erhoben, die sich auf verschiedene Unregelmässigkeiten bezogen, die er sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Rechnungsführer habe zuschulden kommen lassen.

12 Am 21. März 1984 legte der Kläger bei der Anstellungsbehörde gegen die Entscheidung vom 16. März 1984 über die Entfernung aus dem Dienst eine Beschwerde im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts ein. Diese Beschwerde wurde durch eine zusätzliche Beschwerde vom 11. April 1984 ergänzt, die er im wesentlichen darauf stützte, daß das Parlament ihm inzwischen Entlastung für das Haushaltsjahr 1981, also für das Jahr, in dem die ihm vorgeworfenen Handlungen begangen worden sein sollten, erteilt habe.

13 Das Parlament hatte in der Tat mit Beschluß vom 10. April 1984 dem Rechnungsführer des Organs für das Haushaltsjahr 1981 Entlastung erteilt. Dieser Beschluß stellte indessen, nachdem in seinen Bezugsvermerken E, F und G auf den Sonderbericht des Rechnungshofs über die Abgeordnetenkasse, auf den Beschluß des Parlaments vom 18. Mai 1983 zur Entlastung des Präsidenten und zum Aufschub der Entlastung des Rechnungsführers sowie auf das Schreiben des Präsidenten des Parlaments vom 6. Juni 1983 verwiesen worden war, in dem die Gründe für den Antrag auf Aufschub der Entlastung für den Rechnungsführer für 1981 dargelegt waren, in seiner ersten Begründungserwägung fest, daß "im Rahmen der Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 alle Faktoren einschließlich des Schreibens vom 6. Juni 1983 Berücksichtigung finden werden" (ABl. C 127, S. 43).

14 Am 24. Mai 1984 beschloß der Präsident des Parlaments auf die bei ihm eingelegte Beschwerde und zusätzliche Beschwerde, die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst in die der Rückstufung in Besoldungsgruppe A 7, Dienstaltersstufe 6, umzuwandeln. Zur Begründung dieser Entscheidung nahm er auf die Begründung der ursprünglichen Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst Bezug.

15 Am 4. Juni 1984 reichte Herr de Compte zugleich

- beim Präsidenten des Parlaments eine Beschwerde gegen diese neue Entscheidung vom 24. Mai 1984,

- beim Gerichtshof eine Klage auf Aufhebung der vorerwähnten Entscheidung vom 24. Mai 1984 über die Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe sowie

- einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes in der Hauptsache

ein.

16 Mit Beschluß vom 3. Juli 1984 in der Rechtssache 141/84 R (Slg. 1984, 2575) setzte der Präsident der Dritten Kammer des Gerichtshofes den Vollzug der Entscheidung vom 24. Mai 1984 bis zum Erlaß des Urteils in der Hauptsache aus.

17 Mit Entscheidung vom 4. Juli 1984 wies der Präsident des Parlaments die vom Kläger am 4. Juni 1984 eingelegte Beschwerde zurück.

18 Mit Urteil vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 141/84 (Slg. 1985, 1951) stellte der Gerichtshof fest, daß das Verfahren des Disziplinarrats mit einem wesentlichen Mangel behaftet war (Anhörung von Zeugen in Abwesenheit des Beschuldigten oder von dessen Verteidiger), und hob folglich die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 24. Mai 1984 auf.

19 Mit Schreiben vom 24. Juli 1985 übermittelte der Präsident des Parlaments dem Rechnungshof einen Antrag des Ausschusses für Haushaltskontrolle des Parlaments auf erneute Stellungnahme zu der geeignetsten Weise der Bereinigung des in der Abgeordnetenkasse des Parlaments für das Haushaltsjahr 1982 festgestellten Defizits.

20 Am 7. November 1985 gab der Rechnungshof sein Gutachten ab und sah eine Verantwortung des Rechnungsführers und des Zahlstellenverwalters im Hinblick auf Artikel 70 der Haushaltsordnung als gegeben an.

21 Mit Beschluß vom 11. Juli 1986 erteilte das Parlament seinem Präsidenten Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 und ermächtigte ihn, seinen Rechnungsführern für das gleiche Haushaltsjahr Entlastung zu erteilen "mit Ausnahme des Betrags von 91 263 ECU und der damit zusammenhängenden Fragen, die in dem Schreiben des Präsidenten des Rechnungshofs vom 7. November 1985 und [dem] beigefügten Gutachten des Rechnungshofs angesprochen werden". Es beauftragte ferner seinen Präsidenten, geeignete Maßnahmen zur Klärung der noch offenen Fragen zu ergreifen (ABl. C 227, S. 154).

22 Mit Schreiben vom 9. Dezember 1986 teilte der Präsident des Parlaments dem Kläger mit, er gedenke, das Disziplinarverfahren gegen ihn erneut zu eröffnen, und forderte ihn auf, sich zu dem Bericht über die ihm angelasteten Handlungen, mit dem der seinerzeit amtierende Präsident am 13. April 1983 den Disziplinarrat befasst hatte, zum Gutachten des Rechnungshofs vom 7. November 1985 und zum Beschluß des Parlaments vom 11. Juli 1986 zu äussern.

23 Herr de Compte wurde gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts am 12. Januar und 23. Februar 1987 angehört und nahm schriftlich am 30. Januar und 11. Februar 1987 Stellung.

24 Mit Schreiben vom 24. Juni 1987 an den Vorsitzenden des vom Parlament bestellten Disziplinarrats leitete der Präsident des Parlaments das zuvor gegen Herrn de Compte aufgrund des Berichts, mit dem am 13. April 1983 der vorherige Disziplinarrat befasst worden war, eingeleitete Disziplinarverfahren von neuem ein.

25 Der Disziplinarrat trat in der Zeit vom 9. Juli 1987 bis 27. November 1987 mehrmals zusammen. An dem letztgenannten Tag gab er eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab und schlug dem Präsidenten des Parlaments einstimmig vor, gegen Herrn de Compte wegen der Schwere der erhobenen Vorwürfe und unter Berücksichtigung mildernder Umstände die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe zu verhängen.

26 Der Kläger wurde gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs am 16. Dezember 1987 angehört und nahm mit Schreiben vom 7. Dezember 1987 abschließend Stellung.

27 Mit Entscheidung vom 18. Januar 1988, die dem Kläger mit Schreiben vom gleichen Tag mitgeteilt wurde und zum 1. Februar 1988 wirksam werden sollte, verhängte der Präsident des Parlaments gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der Rückstufung von Besoldungsgruppe A 3, Dienstaltersstufe 8, in Besoldungsgruppe A 7, Dienstaltersstufe 6.

28 Unter diesen Umständen hat Herr de Compte am 10. Februar 1988 die Entscheidung des Präsidenten des Parlaments angefochten, indem er zugleich

- eine Beschwerde bei der Anstellungsbehörde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts,

- die vorliegende Anfechtungsklage sowie

- einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung bis zum Erlaß des Urteils in der Hauptsache

eingereicht hat.

29 Mit Beschluß vom 16. März 1988 in der Rechtssache 44/88 R (Slg. 1988, 1669) wies der Präsident der Vierten Kammer des Gerichtshofes den Antrag auf einstweilige Anordnung zurück, weil der Kläger nicht die gemäß Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes erforderliche Dringlichkeit nachgewiesen hatte.

30 Mit Entscheidung vom 27. Mai 1988 wies der Präsident des Parlaments die vom Kläger am 10. Februar eingelegte Beschwerde zurück.

31 Das schriftliche Verfahren, das insgesamt vor dem Gerichtshof stattgefunden hat, ist ordnungsgemäß abgelaufen.

32 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht verwiesen.

33 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und zugleich das Parlament aufgefordert, ihm bestimmte nähere Angaben zu machen, die es zur Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig hielt.

34 Das Parlament hat am 15. Februar 1991 die gewünschten Unterlagen vorgelegt und auf die schriftlichen Fragen des Gerichts geantwortet.

35 Das mündliche Verfahren hat am 19. März 1991 stattgefunden. Die Vertreter der Parteien haben mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

36 Der Kläger beantragt,

- die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

- die Entscheidung vom 18. Januar 1988 aufzuheben, mit der der Präsident des Parlaments gegen ihn die Disziplinarstrafe der Rückstufung von Besoldungsgruppe A 3, Dienstaltersstufe 8, in Besoldungsgruppe A 7, Dienstaltersstufe 6, verhängt hat;

- dem Parlament die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

In seiner Erwiderung beantragt der Kläger hilfsweise zusätzlich,

- ein Kollegium von drei Sachverständigen zu bestellen und mit der Aufgabe zu betrauen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen abzugeben und auf alle erheblichen, von den Parteien gestellten Fragen zu antworten;

- die Kostenentscheidung in diesem Fall vorzubehalten.

Der Beklagte beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- dem Kläger gemäß Artikel 70 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zu den Vorwürfen der Anstellungsbehörde

37 Aus der Disziplinarentscheidung der Anstellungsbehörde und der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats ergibt sich, daß sämtliche gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe in drei Gruppen zusammengefasst werden können:

a) Eröffnung eines Anlagekontos auf Sicht bei der Midland Bank London am 21. Juli 1980 und Anlage eines Betrags von 400 000 UKL zu 16 % p. a. auf diesem Konto ohne vorherige Genehmigung, ohne Verbuchung dieser Vorgänge und ohne Verbuchung der Zinsen für 1980 und 1981 in den Büchern des Parlaments. Diese Handlungen sollen, soweit es die Kontöröffnung betrifft, eine Verletzung der Artikel 20 und 70 Absatz 1 Unterabsatz 3 der Haushaltsordnung und, soweit es das Unterlassen der Verbuchung anlangt, eine Verletzung der Artikel 63 der Haushaltsordnung und der Artikel 50 und 51 der Verordnung (75/375/Euratom, EGKS, EWG) der Kommission vom 30. Juni 1975 mit Durchführungsbestimmungen zu einigen Vorschriften der Haushaltsordnung vom 25. April 1973 (ABl. L 170, S. 1; im folgenden: Durchführungsbestimmungen) darstellen (Nrn. 127 bis 156 der mit Gründen versehenen Stellungnahme und Seite 3 der Entscheidung der Anstellungsbehörde).

b) Einziehung zweier auf die Midland Bank gezogener Schecks in Höhe von 17 189,15 UKL und 35 176,98 UKL am 4. September 1981 und 11. November 1981 ohne präzisen, triftigen Grund, die in Höhe von 2 700 000 BFR, 30 000 DM und 100 000 FF von der Bank Sogenal (Société générale alsacienne de banque) Luxemburg ausbezahlt wurden; keine Verbuchung dieser Vorgänge in den Büchern des Parlaments während des Haushaltsjahres 1981; Verbuchung mit sechs Monaten Verspätung (28. Februar 1982) auf dem Kontenblatt der Abgeordnetenkasse des Parlaments in Höhe eines Gesamtbetrags von 4 136 125 BFR, obwohl die Abhebung in verschiedenen Währungen erfolgt war. Diese Handlungen sollen einen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemässen Verwaltung der Zahlungsermächtigungen im Sinne der Artikel 20 Absatz 2, 63, 64 Absatz 2 und 70 Absatz 1 Unterabsatz 3 der Haushaltsordnung darstellen (Nrn. 157 bis 186 der mit Gründen versehenen Stellungnahme und Seite 4 f. der Entscheidung der Anstellungsbehörde);

c) Verstoß gegen die Pflicht des Rechnungsführers, Ausgaben nur bei Vorlage ordnungsgemässer Belege zu tätigen und die Werte des Parlaments zu erhalten. Das Fehlen ordnungsgemässer Belege betrifft eine Differenz zwischen dem Bestand der Abgeordnetenkasse des Parlaments und der allgemeinen Rechnungsführung in Höhe von 4 100 000 BFR, die nach der Verbuchung der 4 136 125 BFR aus Anlaß der Einziehung der zwei auf die Midland Bank gezogenen Schecks auftrat. Diese Handlungen sollen eine grobe Fahrlässigkeit des Rechnungsführers darstellen, die seine Haftung gemäß Artikel 70 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Haushaltsordnung begründen (Nrn. 187 bis 215 der mit Gründen versehenen Stellungnahme und Seite 5 f. der Entscheidung der Anstellungsbehörde).

38 Die Anstellungsbehörde hat zunächst bekräftigt, daß sie den gesamten Akteninhalt, die Stellungnahme des Disziplinarrats sowie die des Klägers sorgfältig geprüft habe, und sodann erklärt, daß der Kläger, selbst wenn man die ihm günstigste Auslegung der Tatsachen zugrunde lege, sich schwere Verstösse gegen die dem Rechnungsführer des Parlaments und allgemein den Beamten der Europäischen Gemeinschaften obliegenden Pflichten habe zuschulden kommen lassen. Sie habe auf die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe unter Berücksichtigung der vom Disziplinarrat zugestandenen mildernden Umstände - darunter die schlechte Organisation der Finanzdienststellen des Parlaments zur maßgebenden Zeit - erkannt.

Überblick über die Verwaltung der Bankkonten bei der Midland Bank London

39 Die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe beziehen sich auf die Verwaltung eines Bankkontos, das aus Mitteln der Zahlstellenverwaltung für die Zahlung verschiedener Vergütungen und die Erstattung der Reisekosten der Abgeordneten des Parlaments gespeist wurde. Der Sachverhalt bezueglich der Verwaltung dieses Bankkontos, wie er in der Stellungnahme des Rechnungshofs vom 7. November 1985 und der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats (Nrn. 127 bis 155) dargestellt wurde, ist nachstehend zusammengefasst. Der Kläger hat nicht bestritten, daß dieser Sachverhalt der Wirklichkeit entspricht.

40 Am 16. Mai 1980 teilte die Midland Bank London dem Parlament schriftlich mit, daß erhebliche Beträge, die damals auf dem Kontokorrentkonto Nr. 618094 standen, sinnvollerweise zinsbringend angelegt werden könnten.

41 Mit Schreiben vom 21. Juli 1980, das von dem Zahlstellenverwalter Offermann, Beamter der Abteilung "Kasse, Zahlungsverkehr und Buchhaltung", und von Fräulein Cesaratto, Beamtin der gleichen Abteilung, unterzeichnet war, wurde ein Anlagekonto auf Sicht (Nr. 1777912) bei dieser Bank eröffnet und ein Betrag von 400 000 UKL zum Zinssatz von 16 % p. a. auf dieses Konto überwiesen.

42 Nach den Erklärungen des Klägers vor dem Disziplinarrat war er über diesen Briefwechsel und die Entscheidung über die Eröffnung eines Anlagekontos von Anfang an unterrichtet. Der Betrag von 400 000 UKL blieb für dreizehn Monate stehen, und eine Buchung dieser Vorgänge in den Büchern des Parlaments fand nicht statt.

43 Im August 1981 wurde dieses Kapital auf Anweisung des Rechnungsführers, Herrn de Compte, und des Zahlstellenverwalters, Herrn Offermann, auf das Kontokorrentkonto Nr. 618094 überwiesen. Demgegenüber blieben die Zinsen mit einem Betrag von seinerzeit 50 347,59 UKL auf dem Anlagekonto auf Sicht Nr. 1777912 stehen. Auch diese Zinsen wurden weder 1980 noch 1981 in den Büchern des Parlaments verbucht.

44 Dem Konto Nr. 1777912 wurde für die Zinsen des zweiten Halbjahres 1981 ein weiterer Betrag von 9 152,85 UKL gutgeschrieben, was den Gesamtbetrag der Zinsen und damit den Saldo des Kontos auf einen Betrag von 59 500,44 UKL brachte.

45 Am 4. September 1981 und 11. November 1981 zahlte die Bank Sogenal Luxemburg Herrn de Compte auf dessen Anweisung folgende Beträge in bar aus: 2 700 000 BFR, 30 000 DM und 100 000 FF. Als Gegenleistung für diese Beträge reichte Herr de Compte zwei auf die Midland Bank London gezogene Schecks über 17 189,15 UKL und 35 176,98 UKL ein.

46 Die Midland Bank verweigerte die Einlösung dieser Schecks aus dem Anlagekonto (Nr. 1777912), weil dieses Konto nicht zur Ausstellung von Schecks und damit nicht zur unmittelbaren Abhebung berechtigte. Die Midland Bank trug die Nummer des ursprünglichen Kontokorrentkontos (618094) ein, und die beiden Schecks wurden aus diesem Konto beglichen. Keiner dieser beiden Schecks wurde aber in der entsprechenden Rechnungsführung in den Büchern des Parlaments während des Haushaltsjahres 1981 verbucht.

47 Am Sonntag, dem 28. Februar 1982, wurden die beiden Schecks auf dem Kontenblatt der Abgeordnetenkasse des Parlaments unter dem Konto der Midland Bank mit einem Gesamtbetrag von 4 136 125 BFR verbucht.

48 Offenbar am gleichen Tag, dem 28. Februar 1982, wurden vier Formulare "Kassenvorgänge" für diese beiden Schecks ausgefuellt, dabei jedoch auf den 16. September 1981 und den 26. November 1981 vordatiert.

49 In der Zwischenzeit, am 24. Februar 1982, war im Anschluß an ein Telefongespräch mit der Midland Bank London ein Betrag von 19 000 UKL von dem Anlagekonto auf das Kontokorrentkonto umgebucht worden, so daß der Saldo des Anlagekontos nunmehr 40 500,44 UKL betrug.

50 Am 18. März 1982 führte der Rechnungshof eine Überprüfung durch, bei der die Buchung in bezug auf die 4 136 125 BFR nicht festgestellt wurde, was seinem Vertreter bei seiner Vernehmung vor dem Disziplinarrat am 23. Oktober 1987 die Aussage gestattete, die Buchung vom 28. Februar 1982 sei tatsächlich nach dieser Überprüfung erfolgt.

51 Am 30. März 1982 erkannte Herr de Compte in einem Schreiben an den Präsidenten des Parlaments die unterlassene Buchung eines Betrags von 4 121 573 BFR im Debit an.

52 Im April 1982 teilte die Midland Bank dem Rechnungshof in Beantwortung einer Anfrage zur Überprüfung der Guthaben auf den Namen des Parlaments die Existenz des Kontos Nr. 1777912 mit.

53 Im Anschluß an die Versetzung des Klägers wurde am 30. April 1982 auf Anweisung des neuen Rechnungsführers das Anlagekonto geschlossen und der Saldo am 20. Mai 1982 auf das Kontokorrentkonto überwiesen.

54 Nach internen Überprüfungen durch die Finanzdienststellen des Parlaments wurde am 31. August 1982 in der allgemeinen Rechnungsführung des Parlaments eine Stornobuchung in Höhe eines Betrags von 4 136 125 BFR vorgenommen.

Zur Begründetheit

55 Zur Stützung seiner Anfechtungsklage beruft sich der Kläger in erster Linie auf acht die formelle Rechtmässigkeit betreffende Klagegründe im Zusammenhang mit der Ordnungsmässigkeit des Disziplinarverfahrens, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

- Die angefochtene Entscheidung sei nach Ablauf der in Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs vorgesehenen Frist getroffen worden;

- das Disziplinarverfahren sei nach Ablauf der Verjährungsfrist des Artikels 72 der Haushaltsordnung eingeleitet worden;

- das Disziplinarverfahren sei wegen der ihm für das Haushaltsjahr 1981 erteilten Entlastung unzulässig gewesen;

- die Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens sei unter Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung einer angemessenen Frist erfolgt;

- das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren sei wegen der Missachtung der Regel "ne bis in idem" des Artikels 86 des Statuts unzulässig gewesen;

- das Disziplinarverfahren weise Formfehler auf, die dem einleitenden Bericht und dem Protokoll vom 26. November 1987 anhafteten;

- die Rechte der Verteidigung seien mehrfach, insbesondere durch die unterlassene Übermittlung bestimmter Unterlagen, beeinträchtigt worden;

- die Unabhängigkeit des Disziplinarrats und die Freiheit der Verteidigung seien durch mehrere Erklärungen eines seinerzeit amtierenden Vizepräsidenten des Parlaments beeinträchtigt worden.

56 In zweiter Linie stützt der Kläger seine Anträge auf drei die materielle Rechtmässigkeit betreffende Klagegründe im Zusammenhang mit der Begründetheit der angefochtenen Entscheidung, die wie folgt zusammengefasst werden können:

- Verletzung des Artikels 86 des Statuts und der Artikel 70 und 72 der Haushaltsordnung sowie Missachtung des Rechtsgrundsatzes, nach dem die Begründung jedes Verwaltungsakts rechtlich zulässig und frei von Widersprüchen sowie von rechtlichen und/oder tatsächlichen Fehlern sein muß;

- hilfsweise, Verletzung des Artikels 86 Absatz 1 des Statuts und der Artikel 70 Absatz 1 und 71 der Haushaltsordnung, Missachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung, der Billigkeit und der zuteilenden Gerechtigkeit, sowie Ermessensmißbrauch;

- Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit wegen des Mißverhältnisses zwischen der Bedeutung der erhobenen Vorwürfe und der Schwere der verhängten Disziplinarstrafe.

Zu den Klagegründen betreffend die formelle Rechtmässigkeit

Zum Klagegrund der Nichtbeachtung der Frist nach Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs

57 In seiner Erwiderung hat der Kläger diesen Klagegrund fallengelassen.

Zum Klagegrund des Ablaufs der Verjährungsfrist

58 Der Kläger macht geltend, das Disziplinarverfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt habe, sei nach Ablauf der Verjährungsfrist des Artikels 72 der Haushaltsordnung eingeleitet worden, der bestimme: "Jedes Organ verfügt vom Zeitpunkt der Vorlage der Haushaltsrechnung an über eine Frist von zwei Jahren, um über die Entlastung zu beschließen, die dem Rechnungsführer für die betreffenden Rechnungsvorgänge zu erteilen ist."

59 Nach Auffassung des Klägers gilt nach Ablauf dieser Zweijahresfrist, wenn nicht zuvor die Entlastung erteilt oder ausdrücklich verweigert worden sei, die Entlastung von Rechts wegen als stillschweigend erteilt, denn der Rechnungsführer dürfe nicht Opfer der Saumseligkeit der Verwaltungsbehörde werden. Artikel 37 Absatz 2 der Haushaltsordnung, wonach die Belege für die Rechnungsführung fünf Jahre nach dem in Artikel 85 genannten Beschluß der Entlastung für die Ausführung des Haushaltsplans aufbewahrt würden, sei mit dieser These nicht unvereinbar, weil dieser Artikel lediglich eine nach diesem Entlastungsbeschluß einsetzende Pflicht verankere.

60 Die stillschweigende Entlastung könne keinen anderen Sinn haben als die Anerkennung der Ordnungsmässigkeit und Richtigkeit der Konten, was die endgültige Befreiung des Rechnungsführers von einer bestimmten Verantwortung bedeute, nämlich der für die formelle Ordnungsmässigkeit der Konten. Aus dieser Mindestbedeutung der Entlastung folge, daß ein etwaiges Disziplinarverfahren, das nur formelle Beanstandungen zum Gegenstand habe, ebenfalls bei Meidung der Verjährung binnen zwei Jahren eingeleitet werden müsse. Diese Frist beginne nach Maßgabe der Artikel 73 und 77 der Haushaltsordnung spätestens am 31. Mai des auf das betroffene Haushaltsjahr folgenden Jahres.

61 Der Kläger legt dar, vorliegend sei das Disziplinarverfahren am 24. Juni 1987 eingeleitet worden, d. h. nach Ablauf der genannten Zweijahresfrist, und zwar sowohl bezueglich seiner Tätigkeit für das Haushaltsjahr 1981 - Fristablauf spätestens am 31. Mai 1984 - als auch, hilfsweise, bezueglich seiner Tätigkeit für das Haushaltsjahr 1982 - Fristablauf spätestens am 31. Mai 1985 -, weil er vom 30. April 1982 an keine Aufgaben als Rechnungsführer mehr wahrgenommen habe. Der Kläger bemerkt im übrigen, daß das am 24. Juni 1987 eingeleitete Disziplinarverfahren auf keinen Fall als Wiedereröffnung eines früheren Disziplinarverfahrens betrachtet werden könne, weil das erste, am 30. September 1982 eingeleitete Verfahren nicht fortgeführt worden sei und das zweite, am 13. April 1983 begonnene Verfahren zu der Entscheidung vom 24. Mai 1984 geführt habe, die ihrerseits durch das Urteil des Gerichtshofes vom 20. Juni 1985, a. a. O., aufgehoben worden sei.

62 Zu der möglichen Verbindung zwischen den Artikeln 72 und 85 der Haushaltsordnung bemerkt der Kläger im übrigen, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist für den Entlastungsbeschluß anders als bei dem Entlastungsbeschluß des Artikels 85 nicht vorgesehen. Infolgedessen müsse die Frist des Artikels 72 für die Entlastung als Ausschlußfrist angesehen werden. Man dürfe auch nicht ausser acht lassen, daß die Frist des Artikels 85 ein Jahr vor der Frist des Artikels 72 ablaufe.

63 Der Beklagte entgegnet, nach den Vorschriften des Statuts dürfe auf keinen Fall eine Verbindung zwischen der Erteilung der Entlastung und dem Disziplinarverfahren geschaffen werden, was sich klar aus dem Beschluß vom 3. Juli 1984 im Verfahren der einstweiligen Anordnung in der gleichen Rechtssache, a. a. O., ergebe. Die angebliche Verjährung müsse ausdrücklich vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgelegt werden (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnrn. 18 bis 20), was für Artikel 72 der Haushaltsordnung nicht zutreffe.

64 Im übrigen erkenne die Haushaltsordnung, wenn sie in Artikel 37 Absatz 2 vorschreibe, daß die Belege auf die Dauer von fünf Jahren aufbewahrt würden, stillschweigend die Möglichkeit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens während eines längeren, die zwei für die Entlastung vorgesehenen Jahre übersteigenden Zeitraums an. Die Rechtswirkung der Entlastung bestehe darin, daß die mit der Haushaltskontrolle befasste Behörde mit deren Erteilung erkläre, daß sie gegen die Rechnungslegung keine Einwände habe. Die Entlastung stehe aber der Einleitung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen, wenn laufende Ermittlungen, die im Zusammenhang mit einem Disziplinarverfahren stuenden, neue Gesichtspunkte und insbesondere betrügerisches Verhalten zu Tage förderten.

65 Das Parlament vertritt ausserdem die Auffassung, daß eine Entlastung nur ausdrücklich erfolgen könne. Die insoweit in Artikel 72 der Haushaltsordnung vorgesehene Zweijahresfrist könne nicht als Ausschlußfrist ausgelegt werden, nach deren Ablauf der Rechnungsführer als stillschweigend entlastet gelte. Die Entscheidung über die Entlastung könne erst nach Ergehen des Entlastungsbeschlusses über die Ausführung des Haushalts erfolgen. Da die Frist für den Entlastungsbeschluß über die Ausführung des Haushalts gemäß Artikel 85 der Haushaltsordnung keine Ausschlußfrist sei, müsse das gleiche für die in Artikel 72 der Haushaltsordnung vorgesehene Frist gelten.

66 Hierzu bemerkt das beklagte Organ, daß auf jeden Fall die Disziplinarverfahren vom 30. September 1982 und 13. April 1983 vor dem 31. Mai 1984 eingeleitet und mithin die Fristen eingehalten worden seien. Zwar habe das Disziplinarverfahren im Anschluß an das Urteil des Gerichtshofes vom 20. Juni 1985, das die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 24. Mai 1984 aufgehoben habe, neu eröffnet werden müssen. Doch habe die Einleitung der früheren Disziplinarverfahren die Unterbrechung einer etwaigen Verjährung bewirkt (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juli 1967 in den verbundenen Rechtssachen 5/66, 7/66, 13/66 bis 24/66, Kampffmeyer/Kommission, Slg. 1967, 332, und vom 5. April 1973 in der Rechtssache 11/72, Giordano/Kommission, Slg. 1973, 417). Im übrigen sei die Anstellungsbehörde befugt gewesen, eine inhaltlich mit der zuvor wegen Formfehlers aufgehobenen übereinstimmende Entscheidung zu treffen, bei der diesmal die zuvor verletzten wesentlichen Formvorschriften beachtet worden seien (Urteil des Gerichtshofes vom 30. September 1982 in der Rechtssache 108/81, Amylum/Rat, Slg. 1982, 3107).

67 Zudem habe der Kläger im Gegensatz zu seiner Behauptung nie eine stillschweigende Entlastung erhalten. Hierzu sei folgendes klarzustellen. Der Beschluß vom 14. Januar 1983, mit dem das Parlament dem Kläger Entlastung erteilt habe, habe das Haushaltsjahr 1980 betroffen und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht berücksichtigt. Zwar habe das Parlament mit Beschluß vom 10. April 1984 dem Kläger Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 erteilt, jedoch ausdrücklich die Stellungnahme zum Kern der Probleme in Zusammenhang mit den gegen den Kläger eingeleiteten Disziplinarverfahren bis zur Entlastung für das Jahr 1982 aufgeschoben. Bei dieser Entlastung habe das Parlament in seinem Beschluß vom 11. Juli 1986 seinen Präsidenten ermächtigt, seine verantwortlichen Rechnungsführer für das Haushaltsjahr 1982 zu entlasten, mit Ausnahme der Differenz zwischen der Kasse und der allgemeinen Rechnungsführung in Höhe von 4 136 125 BFR.

68 Zu diesem Klagegrund weist das Gericht in erster Linie darauf hin, daß das Statut bei der Festlegung der Disziplinarordnung für die Beamten der Gemeinschaften in seinen Artikeln 86 bis 89 und in seinem Anhang IX keine Verjährungsfrist bezueglich der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten vorsieht, dem ein Verstoß gegen eine seiner statutarischen Pflichten angelastet wird. Eine Verjährungsfrist muß, um ihre Aufgabe, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, erfuellen zu können, vom Gemeinschaftsgesetzgeber im voraus festgelegt werden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, a. a. O.). Mangels einer ausdrücklichen Verjährungsfrist im Kapitel des Statuts über die Disziplinarordnung für die Beamten kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß der Ablauf der in Artikel 72 der Haushaltsordnung vorgesehenen Frist für die Entlastung der Rechnungsführer zur Verjährung jeder disziplinarischen Verfolgung der letztgenannten führen könnte.

69 Insoweit muß in zweiter Linie an den Grundsatz der Unabhängigkeit der Disziplinarmaßnahmen gegenüber anderen Verwaltungsverfahren erinnert werden. Disziplinarmaßnahmen bezwecken die Erhaltung der inneren Ordnung des öffentlichen Dienstes. Dagegen bezweckt die Erteilung der Entlastung nach Artikel 72 der Haushaltsordnung die Herbeiführung einer Kontrolle der Genauigkeit und Richtigkeit der Konten und, allgemeiner, der Rechnungslegung und -prüfung, um die Ungewißheit im Hinblick auf die Verantwortung zu beenden, die auf dem betreffenden Rechnungsführer für ein bestimmtes Haushaltsjahr lastet. Unter diesem Blickwinkel hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichtshofes in seinem Beschluß vom 3. Juli 1984 im Verfahren der einstweiligen Anordnung in der gleichen Rechtssache eine Unterscheidung zwischen den beiden Verfahren vorgenommen. Infolgedessen kann die angebliche stillschweigende Entlastung nach Ablauf einer Frist von zwei Jahren der disziplinarischen Verfolgung des Klägers nicht entgegenstehen.

70 Darüber hinaus ist festzustellen, daß, selbst wenn man der Auffassung des Klägers in diesem Punkt folgen wollte, der vorliegende Klagegrund dennoch als unbegründet zurückgewiesen werden müsste. Das Parlament geht nämlich zu Recht davon aus, daß das betreffende Disziplinarverfahren vor dem 31. Mai 1984 eingeleitet worden ist, vor dem Zeitpunkt also, auf den der Kläger die stillschweigende Erteilung der Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 festsetzt. Das Disziplinarverfahren gegen den Kläger muß als spätestens am 13. April 1983 eingeleitet betrachtet werden, zu welchem Zeitpunkt der Präsident des Parlaments den Disziplinarrat mit dem Bericht über die Vorwürfe gegen den Kläger befasst hat. Dieses Disziplinarverfahren hat zur Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 24. Mai 1984 geführt, mit der gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe ausgesprochen wurde. Nach Aufhebung dieser Disziplinarentscheidung wegen Verfahrensfehlers durch das Urteil des Gerichtshofes vom 20. Juni 1985 hat der Präsident des Parlaments am 24. Juni 1987 den Disziplinarrat auf der Grundlage des gleichen Berichts erneut befasst. Unter diesen Umständen kann die Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens nicht als neue Befassung der zuständigen Stellen betrachtet, sondern muß als Wiederaufnahme des Verfahrens in dem Stadium angesehen werden, in dem der vom Gerichtshof festgestellte Verfahrensfehler vorgekommen war. Insoweit ist daran zu erinnern, daß die Verwaltung grundsätzlich einen zuvor wegen Formfehlers aufgehobenen Verwaltungsakt erneut vornehmen kann, wenn sie diesmal die Formvorschriften beachtet, die ausser acht gelassen worden waren.

71 Aus all diesen Erwägungen ergibt sich, daß der Klagegrund des Ablaufs der angeblich in Artikel 72 der Haushaltsordnung vorgesehenen Verjährungsfrist als unbegründet zurückzuweisen ist.

Zum Klagegrund der Erteilung der Entlastung für das Haushaltsjahr 1981

72 Der Kläger führt aus, daß das Parlament ihm mit Beschluß vom 10. April 1984 aufgrund des Berichts des Ausschusses für Haushaltskontrolle vom 21. März 1984 Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 erteilt habe. Er macht geltend, daß allein dieser Beschluß das vorliegende Disziplinarverfahren unzulässig und damit nichtig mache, weil die einzigen gegen ihn erhobenen Vorwürfe ausschließlich die formelle Ordnungsmässigkeit der Konten beträfen.

73 In der Klageschrift macht der Kläger weiter geltend, es sei ohne Belang, daß die Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 ihm mit einem Vorbehalt im Hinblick auf den eigentlichen Kernpunkt dieser Angelegenheit, nämlich die Frage der 4 Millionen BFR, erteilt worden sei. Insoweit verweist er hauptsächlich darauf, daß die letztgenannte Frage durch die "Entlastungswirkung des Entlastungsbeschlusses 1981" erledigt worden sei, hilfsweise darauf, daß er für das Haushaltsjahr 1982 entlastet worden sei, und höchst hilfsweise darauf, daß bei seiner Versetzung am 30. April 1982 und seiner Ersetzung durch einen neuen Rechnungsführer keine Rechnungslegung stattgefunden habe, so daß es sich die Anstellungsbehörde selbst unmöglich gemacht habe, für das Haushaltsjahr 1982 festzustellen, was in seinen Verantwortungsbereich und was in den seines Nachfolgers falle.

74 In seiner Erwiderung beruft sich der Kläger auf zwei von ihm als wesentlich eingestufte Umstände, nämlich einmal auf den Beschluß vom 18. Mai 1983, mit dem das Parlament seinem Präsidenten für das Haushaltsjahr 1981 Entlastung erteilt habe, und zum anderen auf den erwähnten Beschluß des Parlaments vom 10. April 1984. Mit Rücksicht hierauf macht er erstens geltend, daß die dem Präsidenten am 18. Mai 1983 erteilte Entlastung stillschweigend die Entlastung für den Rechnungsführer bedeute, zweitens, daß die Entlastung nicht teilweise erfolgen könne, und drittens, daß die Geltung eines Entlastungsbeschlusses nicht durch eine Begründungserwägung dieses Beschlusses eingeschränkt werden könne. Hilfsweise ergänzt der Kläger für den Fall, daß die Frage der Entlastung für 1982 von Bedeutung sein sollte, daß davon ausgegangen werden müsse, daß er entlastet worden sei. Insoweit bezieht er sich auf seine Argumentation, daß eine Entlastung des Präsidenten durch das Parlament - vorliegend der Beschluß des Parlaments vom 11. Juli 1986 für das Haushaltsjahr 1982 - zugleich die Entlastung für den Rechnungsführer bedeute.

75 Der Beklagte tritt der Argumentation des Klägers unter Bezugnahme auf seine zuvor vorgetragenen Ausführungen zum Klagegrund des Ablaufs der Verjährungsfrist entgegen, weil nämlich dem Kläger stets für die Handlungen, die Gegenstand der disziplinarischen Verfolgung seien, die Entlastung versagt worden sei. Selbst wenn die Entlastung erteilt worden wäre, hätte dies in keiner Weise die Einleitung disziplinarischer Maßnahmen gehindert.

76 In seiner Gegenerwiderung äussert er ferner Vorbehalte bezueglich der Zulässigkeit der vom Kläger in seiner Erwiderung vorgebrachten Klagegründe, d. h. der Verbindung zwischen der Entlastung des Präsidenten durch das Parlament und der dem Rechnungsführer des Organs zu erteilenden Entlastung, der Unteilbarkeit der Entlastung und der Auswirkung einer Begründungserwägung auf die Geltung eines Entlastungsbeschlusses. Das Parlament meint, daß es sich dabei um drei neue Klagegründe handele.

77 Das Parlament hält diese Klagegründe ferner für unbegründet. Es hebt hervor, daß es für die eine und die andere Entlastung zwei unterschiedliche Verfahren gebe, was seines Erachtens schon für sich betrachtet bedeute, daß die eine nicht die andere umfassen könne. Die Entlastung des Präsidenten sei "notwendig", aber nicht "ausreichend" für die Entlastung des Rechnungsführers, und in dieser Richtung habe sich die Praxis der Organe entwickelt. Aus den gleichen Gründen sage Artikel 13 der Internen Vorschriften für die Ausführung des Haushaltsplans des Parlaments lediglich, daß die Entlastung des Präsidenten zugleich eine "Ermächtigung" sei, den Rechnungsführer zu entlasten, und nicht, daß sie ohne weiteres eine Entlastung bedeute. Infolgedessen habe das Parlament, als es seinen Präsidenten entlastet, dem Kläger aber die Entlastung verweigert habe, sicher nicht dessen Verantwortung beseitigen wollen. Hierzu hat das Parlament in Beantwortung der schriftlichen Fragen des Gerichts seine interne Regelung und seine Verwaltungspraxis bezueglich der Entlastung zur Ausführung des Haushaltsplans des Organs (Artikel 85 der Haushaltsordnung) und der Entlastung der Rechnungsführer (Artikel 72 der Haushaltsordnung) erläutert.

78 Das Gericht stellt fest, daß der Kläger mit diesem dritten Klagegrund im wesentlichen geltend macht, daß er für das Haushaltsjahr 1981, hilfsweise für das Haushaltsjahr 1982, eine ausdrückliche Entlastung erhalten habe, was das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren unzulässig mache.

79 Wie bereits bei der Behandlung des vorhergehenden Klagegrundes gezeigt, ist das Disziplinarverfahren nach dem Statut unabhängig von dem in der Haushaltsordnung vorgesehenen Verfahren der Entlastung. Mithin wäre, selbst wenn der Kläger Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 erhalten hätte, dieser Umstand kein Hindernis für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn gewesen, zumal diese auf den 13. April 1983 zurückgehende Einleitung auf jeden Fall den Beschlüssen des Parlaments vom 18. Mai 1983 und 10. April 1984, die dem Kläger nach seiner Auffassung stillschweigend Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 erteilt haben sollen, zeitlich vorausging.

80 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß diesem Klagegrund selbst dann kein Erfolg beschieden wäre, wenn man der These des Klägers folgen würde, daß die Erteilung der Entlastung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens entgegenstehe. Soweit sich nämlich der Kläger - erstmals in seiner Erwiderung - auf den Beschluß vom 18. Mai 1983, mit dem das Parlament seinen Präsidenten entlastet hat, beruft und geltend macht, diese Entlastung bedeute ohne weiteres auch die Erteilung der Entlastung des Rechnungsführers des Organs, ist unabhängig von den Zweifeln, denen seine Zulässigkeit begegnet, dieser Teil des Klagegrundes als nicht stichhaltig zu betrachten. In dem erwähnten Beschluß vom 18. Mai 1983 hat das Parlament ausdrücklich die Entlastung des Rechnungsführers aufgeschoben, "da vom Ausschuß für Haushaltskontrolle noch einige Arbeiten durchgeführt werden müssen". Auch soweit sich der Kläger im Rahmen dieses Klagegrundes auf den Beschluß des Parlaments vom 10. April 1984 beruft, ist dieser Teil des Klagegrundes nicht stichhaltig. In Wahrheit ist bei der Ermittlung der Bedeutung dieses Beschlusses dessen Präambel zu berücksichtigen. Insbesondere ergibt sich aus den Punkten G und I dieser Präambel, daß das Parlament sich vorbehalten hat, im Rahmen der Entlastung für 1982 zu den Gesichtspunkten in bezug auf die Verantwortung des Klägers Stellung zu beziehen, die der Präsident des Parlaments zum Anlaß genommen hatte, mit Schreiben vom 6. Juni 1983 den Aufschub der Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 zu beantragen.

81 Weiterhin ist darauf hinzuweisen, daß das Haushaltsjahr 1981 nicht als das für die Prüfung der streitigen Fragen maßgebliche Haushaltsjahr angesehen werden kann. Wie sich nämlich aus den zu den Akten gereichten Unterlagen ergibt, hat der Umstand, daß während des gesamten Haushaltsjahres 1981 bezueglich des Betrags von 4 136 125 BFR weder eine Auszahlungs- noch eine Annahmebuchung vorgenommen wurde, bei der am Ende dieses Haushaltsjahres durchgeführten Kontrolle der Haushaltsführung nicht zur Feststellung eines Überschusses oder eines Defizits führen können. Mithin muß das Haushaltsjahr 1982 als das für die Prüfung der Verantwortung des Klägers als Rechnungsführer des Parlaments maßgebliche betrachtet werden. Für dieses Haushaltsjahr hat das Parlament zwar mit seinem Beschluß vom 11. Juli 1986 den Präsidenten ermächtigt, seine Rechnungsführer zu entlasten, hat aber gerade wegen der zwischenzeitlich festgestellten Differenz zwischen dem Bestand der Abgeordnetenkasse und der allgemeinen Rechnungsführung diese Ermächtigung mit einem ausdrücklichen Vorbehalt hinsichtlich "des Betrags von 91 263 ECU und der damit zusammenhängenden Fragen" versehen.

82 Hieraus ergibt sich, daß auf jeden Fall dieser Klagegrund ebenfalls zurückgewiesen werden muß.

Zum Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Wahrung einer angemessenen Frist

83 Der Kläger, der diesen Klagegrund hilfsweise unter anderem zu dem Klagegrund des Ablaufs der Verjährungsfrist vorbringt, macht geltend, nach einem allgemein anerkannten Grundsatz sei mit Recht anzunehmen, daß ein Disziplinarverfahren binnen einer angemessenen Frist nach dem Bekanntwerden der maßgeblichen Tatsachen eingeleitet und auch aus Gründen sowohl der Rechtssicherheit wie einer ordnungsgemässen Verwaltung binnen einer angemessenen Frist fortgeführt werden müsse.

84 Unter diesem Blickwinkel weist der Kläger darauf hin, daß das Disziplinarverfahren, wie es im Statut geregelt sei, normalerweise mit verhältnismässig kurzen Fristen ausgestattet sei. Vorliegend sei es mit unangemessener Verspätung eingeleitet und/oder fortgeführt worden. Zur Stützung dieser Behauptung erinnert er daran, daß das Disziplinarverfahren am 24. Juni 1987 eingeleitet oder jedenfalls wiedereingeleitet worden sei, obwohl die Frist schon am 31. Dezember 1981 (Ende des Haushaltsjahres 1981) oder, hilfsweise, am 30. April 1982 (Zeitpunkt seiner Versetzung) oder, weiter hilfsweise, am 20. Juni 1985 (Verkündung des Urteils des Gerichtshofes zur Aufhebung der Disziplinarmaßnahme vom 24. Mai 1984) begonnen habe.

85 In seiner Erwiderung stellt der Kläger den Ablauf des Geschehens seit seiner Beschuldigung im Jahre 1982 dar, um nachzuweisen, daß die fünf Jahre, die seit den beanstandeten Handlungen bis zur Einleitung des letzten Disziplinarverfahrens verstrichen sind, die Spanne einer angemessenen Frist überschritten. In diesem Zusammenhang beruft er sich erstens auf eine Verletzung des Artikels 6 Absatz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die er vorliegend für entsprechend anwendbar hält. Er prüft zweitens die Argumente des beklagten Organs und schließt daraus, daß es den Grundsatz nicht in Frage stelle, wonach für Einleitung und Fortführung eines Disziplinarverfahrens eine angemessene Frist erforderlich sei. Insoweit verweist er darauf, daß das Organ lediglich das Bestehen einer Verjährungsfrist für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens, nicht aber das einer angemessenen Frist in Abrede gestellt habe, die anderer Natur sei. Er ergänzt, daß die Stellungnahme des Disziplinarrats auf mildernde Umstände hinweise, die mit der übertriebenen Länge der Frist zwischen der Mitteilung der Vorwürfe durch die Anstellungsbehörde und dem Abschluß der disziplinarischen Verfolgung zusammenhingen. Die Anstellungsbehörde, die dieser Stellungnahme gefolgt sei, habe damit das Vorliegen einer übertrieben langen Frist anerkannt, die nicht dem Kläger anzulasten sei. Was drittens die tatsächliche Argumentation des beklagten Organs anlange, so betreffe die einzig erhebliche Diskussion den Zeitraum von anderthalb Jahren, der vom 20. Juni 1985, dem Tag der Verkündung des Urteils des Gerichtshofes, bis zum 9. Dezember 1986 verstrichen sei, dem Datum des Schreibens, mit dem die Anstellungsbehörde ihm mitgeteilt habe, daß sie gedenke, das Disziplinarverfahren erneut einzuleiten, und ihn aufgefordert habe, zu dem ursprünglich dem Disziplinarrat am 13. April 1983 übermittelten Bericht mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

86 Der Beklagte trägt seinerseits erneut vor, das Statut sehe keine Verjährungsfrist für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vor. Auf jeden Fall könne man ihm nicht vorwerfen, bei der Fortführung des gegen den Kläger eingeleiteten Disziplinarverfahrens nicht hinreichende Umsicht gezeigt zu haben, insbesondere wenn man den äusserst komplexen Charakter der festzustellenden Tatsachen und die Schwere der gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe bedenke. Die lange Geschichte der vom Beklagten eingehend dargelegten Tatsachen zeige die Richtigkeit dieses Arguments. Er bringt weiterhin vor, daß die Dauer der Ermittlungen sich durch die zahlreichen vom Kläger und seinen Rechtsbeiständen verursachten Zwischenfälle während des gesamten Disziplinarverfahrens sowie durch die zahlreichen Gerichtsverfahren erkläre, zu der diese Angelegenheit Anlaß gegeben habe, nämlich fünf Beschlüsse im Verfahren der einstweiligen Anordnung und ein Urteil. Schließlich weist der Beklagte darauf hin, daß der Kläger selbst die Tragweite seiner Rüge beträchtlich verringere, wenn er erkläre, daß die einzige, vorliegend erhebliche Frage den Zeitraum von zwei Jahren im Anschluß an die Verkündung des Urteils des Gerichtshofes vom 20. Juni 1985 betreffe, und zugleich einräume, daß während dieses Zeitraums eine Verzögerung von einem halben Jahr auf ihn selbst zurückzuführen sei. Die Frage gehe folglich dahin, ob die verbleibende Frist von anderthalb Jahren gerechtfertigt sei oder nicht.

87 Was insbesondere diese Frist von anderthalb Jahren betrifft, so macht der Beklagte geltend, daß die Anstellungsbehörde es mit Rücksicht auf die Ausführungen des Präsidenten der Dritten Kammer in seinem Beschluß vom 3. Juli 1984 nicht für tunlich gehalten habe, das Disziplinarverfahren sofort wiederaufzunehmen, und es vorgezogen habe, den Entlastungsbeschluß des Parlaments für das Haushaltsjahr 1982 abzuwarten. Insoweit erinnert das beklagte Organ daran, daß der Ausschuß für Haushaltskontrolle zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Gerichtshofes am 20. Juni 1985 bereits - am 18. Juni 1985 - das Verfahren für diese Entlastung eingeleitet gehabt habe. Der Präsident des Parlaments habe auf einen dahin gehenden Antrag des Ausschusses für Haushaltskontrolle durch Schreiben vom 24. Juli 1985 ebenfalls ein neues Gutachten des Rechnungshofs zu der geeignetsten Art und Weise angefordert, das in der Abgeordnetenkasse für das Haushaltsjahr 1982 festgestellte Defizit zu bereinigen. Die Anstellungsbehörde habe vor Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens das am 7. November 1985 abgegebene Gutachten des Rechnungshofs und weiterhin den Beschluß des Parlaments vom 11. Juli 1986 über die Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 abgewartet. Obwohl der Beklagte in Abrede stellt, daß eine etwaige Entlastung disziplinarischen Maßnahmen entgegenstehen könne, ist er doch der Meinung, daß eine sorgfältige Prüfung der Rechnungsführung des Klägers durch den Ausschuß für Haushaltskontrolle neues Licht in die Angelegenheit habe bringen können. Er schließt hieraus, daß dieser Beweggrund, der ausschließlich dem Interesse des Klägers gegolten habe, einen angemessenen Rechtfertigungsgrund für die Frist von anderthalb Jahren darstelle, die zwischen dem Aufhebungsurteil und der Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens verstrichen sei. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0026.1

88 Zu diesem Klagegrund ist festzustellen, daß das Statut zwar keine Verjährungsfrist für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vorsieht, daß es aber in seinem Anhang IX, genauer, in Artikel 7, eine Frist von einem Monat und bei kontradiktorischen Ermittlungen von drei Monaten für die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats sowie eine gleiche Frist von einem Monat für den Beschluß der Anstellungsbehörde vorsieht. Diese Fristen sind zwar keine Ausschlußfristen, lassen jedoch eine Regel ordnungsgemässer Verwaltung erkennen, die im Interesse sowohl der Verwaltung als auch der Beamten eine ungerechtfertigte Verzögerung beim Erlaß des Beschlusses, der das Disziplinarverfahren beendet, verhindern soll (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 4. Februar 1970 in der Rechtssache 13/69, Van Eick/Kommission, Slg. 1970, 3, vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, Slg. 1985, 275, und vom 19. April 1988 in der Rechtssache 209/86, M./Rat, 1988, 1891). Aus dem vom Gemeinschaftsgesetzgeber bekundeten Anliegen der ordnungsgemässen Verwaltung folgt, daß die Disziplinarbehörden verpflichtet sind, das Disziplinarverfahren mit Umsicht zu betreiben und so vorzugehen, daß jede Verfolgungsmaßnahme innerhalb einer Frist erfolgt, die gegenüber der vorhergehenden Maßnahme angemessen ist. Die Nichteinhaltung dieser Frist - die nur aufgrund der besonderen Umstände des Falles festgestellt werden kann - kann nicht nur die Haftung des Organs begründen, sondern auch die Nichtigkeit der nach Fristablauf getroffenen Maßnahme zur Folge haben.

89 Vorliegend ergibt die Prüfung der aufeinanderfolgenden Ermittlungsmaßnahmen, die vom 13. April 1983 an gegenüber dem Kläger getroffen worden und deren Ablauf vorstehend im Teil "Sachverhalt und Verfahren" dargestellt ist, daß das Disziplinarverfahren grundsätzlich ordnungsgemäß abgelaufen ist. Es ist indessen, nach Abzug der vom Kläger für die Sicherstellung seiner Verteidigung vor dem Gerichtshof benötigten Zeit, festzustellen, daß sich die Frage, ob eine angemessene Frist eingehalten wurde, bei zwei Gelegenheiten stellen kann. Die erste betrifft den Zeitraum von acht Monaten, in dem der erste Disziplinarrat (vom 2. Juni 1983 bis 10. Februar 1984) mit der Sache befasst war, die zweite die Frist von 18 Monaten, die zwischen der Verkündung des Aufhebungsurteils des Gerichtshofes und der Absendung des Schreibens des Präsidenten des Parlaments verstrichen ist, mit dem dieser den Kläger zur Stellungnahme gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts aufforderte (vom 20. Juni 1985 bis 9. Dezember 1986).

90 Wie das Parlament in seiner Klagebeantwortung (S. 26 bis 30) vorgetragen hat und wie auch aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme des ersten Disziplinarrats vom 10. Februar 1984 (Nrn. 6 bis 20) hervorgeht, war die Dauer der Arbeiten des Disziplinarrats zum einen auf eine Abwesenheit des Klägers von insgesamt vier Monaten aus medizinischen Gründen, zum anderen darauf zurückzuführen, daß kontradiktorische Ermittlungen angeordnet werden mussten. Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die vom ersten Disziplinarrat für die Abgabe seiner mit Gründen versehenen Stellungnahme in Anspruch genommene Zeit von acht Monaten die Grenzen einer angemessenen Frist nicht überschritten hat.

91 Bezueglich des Zeitraums von 18 Monaten zwischen dem Aufhebungsurteil des Gerichtshofes und der Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens hat der Beklagte geltend gemacht, die Anstellungsbehörde habe den Abschluß des bereits eingeleiteten Verfahrens des Parlaments über die Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 abwarten müssen. Vor der Würdigung dieser Begründung müssen bestimmte besondere Umstände in Erinnerung gerufen werden, die der Entstehung des vorliegenden Rechtsstreits zugrunde lagen.

92 Wie bereits ausgeführt, hat der Rechnungshof im Juli 1982 einen Sonderbericht über die Arbeitsweise der Abgeordnetenkasse erarbeitet und schwere Verstösse gegen die Haushaltsordnung festgestellt. Diese Unregelmässigkeiten wurden durch den Bericht eines unabhängigen Wirtschaftsprüfungsunternehmens bestätigt, das ein "Loch" von ungefähr 4 Millionen BFR ermittelte, das in den letzten Jahren "gegraben" worden sei. Es ist hinzuzufügen, daß die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger im Parlament zu beträchtlichen Reaktionen und lebhaften Debatten führte, die von der internationalen Presse aufgegriffen wurden, die zu verstehen gab, ein Skandal grossen Ausmasses sei aufgedeckt worden. Der Kläger für seinen Teil gab vor, er sei Opfer der administrativen, sächlichen und menschlichen Umgebung, in der er arbeite, geworden, und beschuldigte seine Vorgesetzten, allein für die entdeckten Unregelmässigkeiten verantwortlich zu sein. In diesem Zusammenhang äusserten sich zunächst die zuständigen Stellen des Parlaments mit einer gewissen Mehrdeutigkeit über die Verantwortung des Klägers. Auf Bericht des Ausschusses für Haushaltskontrolle behielt sich das Parlament in seinem Beschluß über die Entlastung für das Haushaltsjahr 1981 vor, die Frage des Defizits im Rahmen der Entlastung für 1982 zu prüfen. Der Disziplinarrat ging seinerseits davon aus, daß dem Kläger zu Recht von der Anstellungsbehörde eine Reihe schwerer Nachlässigkeiten bei der Ausübung seiner Aufgaben vorgeworfen worden sei, daß es indessen wegen mildernder Unmstände, die vor allem mit der schlechten Gesamtorganisation der Direktion, der er angehöre, zusammenhingen, nicht möglich sei, ihn für allein verantwortlich zu halten. Die Mehrheit des Disziplinarrats schlug vor, gegen ihn die Disziplinarstrafe des Verweises zu verhängen, während die Minderheit für Freispruch war. Die Anstellungsbehörde beschloß schließlich, die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst gegen ihn zu verhängen. In seinem Beschluß vom 3. Juli 1984 im Verfahren der einstweiligen Anordnung, mit dem der Vollzug der ersten Disziplinarstrafe ausgesetzt wurde, führte der Präsident der Dritten Kammer des Gerichtshofes aus, daß das Entlastungsverfahren vom Disziplinarverfahren zu unterscheiden sei, daß aber die Feststellungen des Ausschusses für Haushaltskontrolle zur Verantwortung des Klägers sich von denen der Anstellungsbehörde sehr stark entfernten. Bei der parallel dazu gegen die genannte Disziplinarentscheidung erhobenen Anfechtungsklage machte der Kläger unter anderem als Klagegrund geltend, daß sich der Disziplinarrat geweigert habe, seine Arbeiten auszusetzen, bis die Schlußfolgerungen des Ausschusses für Haushaltskontrolle vorlägen. Der Präsident des Parlaments als Anstellungsbehörde sah sich damit nicht nur einem Aktenvorgang von aussergewöhnlicher technischer Komplexität, sonderen auch einer lebhaft umstrittenen und heiklen Angelegenheit gegenüber, zu der das Parlament noch nicht im Rahmen des Entlastungsverfahrens Stellung genommen hatte. Ferner muß die besondere Stellung der Anstellungsbehörde in dieser Sache - die ohne Vorbild bei den anderen Organen der Gemeinschaft ist -berücksichtigt werden, nämlich der Umstand, daß der Präsident des Parlaments, der sowohl die Aufgaben der Anstellungsbehörde als auch die des Vorsitzenden der Versammlung wahrnimmt, sich zu einer Frage äussern musste, die, wenn auch in anderem Zusammenhang, zugleich von der Versammlung zu prüfen war.

93 Angesichts dieser tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte ist festzustellen, daß die Vielschichtigkeit der Angelegenheit, ihre heikle, den Ruf des Parlaments berührende Natur, die besondere Stellung der Anstellungsbehörde im Rahmen dieses Organs, die Erwägungen im Beschluß des Gerichtshofes vom 3. Juli 1984 bezueglich der Schlußfolgerungen des parlamentarischen Ausschusses für Haushaltskontrolle sowie die Unklarheit von Umfang und Verteilung der Verantwortung der beschuldigten Beamten und sonstigen Bediensteten besondere Umstände darstellen, die vorliegend den Entschluß der Anstellungsbehörde rechtfertigen, vor der Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens gegen den Kläger den Ausgang des parlamentarischen Verfahrens der Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 abzuwarten. Diese Beurteilung ist entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht unvereinbar mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit des Disziplinarverfahrens gegenüber dem Entlastungsverfahren. Auch wenn nämlich nach dem Grundsatz der Unabhängigkeit dieser beiden Verfahren die Erteilung einer Entlastung in formeller Hinsicht der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den betreffenden Beamten nicht entgegensteht, so bedeutet dieser Grundsatz doch nicht, daß Feststellungen und Würdigungen des Entlastungsbeschlusses im Rahmen des Disziplinarverfahrens in der Sache selbst nicht berücksichtigt werden dürften. Folglich ist davon auszugehen, daß der Zeitraum von 18 Monaten bis zur Wiedereröffnung des Disziplinarverfahrens die Grenzen einer angemessenen Frist nicht überschritten hat.

94 Was die entsprechende Anwendung des Artikels 6 Absatz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten betrifft, auf den sich der Kläger in seiner Erwiderung bezogen hat, so ist festzustellen, daß, sollte diese Vorschrift als neues Argument herangezogen werden, um den vorliegenden Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes einer angemessenen Frist zu untermauern, es im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen keiner besonderen Antwort bedürfte. Sollte indessen der Kläger aus einer Verletzung dieser Vorschrift einen vom Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes einer angemessenen Frist unabhängigen Klagegrund herleiten, so wäre dieser Klagegrund aus mehreren Gründen zurückzuweisen. Er wäre erstens unzulässig, weil er während des Verfahrens, genauer, zum ersten Mal in der Erwiderung, angeführt wurde. Zweitens wäre er sachlich unbegründet. Insoweit genügt die Feststellung, daß Artikel 6 der Konvention nicht für den eigentlichen Disziplinarbereich des öffentlichen Dienstes gilt. Die in der Konvention vorgesehene Europäische Kommission hat mehrere Anträge, mit denen eine Anwendung des Artikels 6 auf den Fall eines Disziplinarverfahrens gefordert worden war, mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, daß ein solches Verfahren nicht "strafrechtlich" im Sinne dieser Vorschrift sei (Entscheidungen vom 8. März 1976, Antrag Nr. 7374/76, X/Dänemark, D. R. 5, S. 157, vom 8. Oktober 1980, Antrag Nr. 8496/79, X/Vereinigtes Königreich, D. R. 21, S. 168).

95 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß der Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Wahrung einer angemessenen Frist zurückzuweisen ist.

Zum Klagegrund der Missachtung der Regel "ne bis in idem" 96 Der Kläger macht geltend, die gegen ihn am 30. April 1982 von Amts wegen verfügte Versetzung sei ihrer Art nach eine Disziplinarstrafe und der angefochtene Akt verstosse damit gegen Artikel 86 Absatz 3 des Statuts, der die Anwendung der Regel "ne bis in idem" im Disziplinarbereich anordne. Dieser Artikel sei im übrigen ein weiteres Mal verletzt worden, weil die Verwaltung sich zuvor geweigert habe, ihn im Wege der Beförderung ad personam in die Besoldungsgruppe A 2 einzustufen.

97 Der Umstand, daß die Versetzung nicht in der Liste der Disziplinarstrafen aufgeführt sei und dem Grundsatz nach keine Disziplinarstrafe darstelle, ist nach Auffassung des Klägers nicht entscheidend, weil sie, wenn sie disziplinarischer Natur sei, eine Disziplinarstrafe verbergen könne. Die Anstellungsbehörde habe diese Natur auch in einem an die Mitglieder der Versammlung während der Plenarsitzung des Parlaments im Juli 1982 verteilten Rundschreiben eingestanden. Im übrigen sei die Zustimmung des Klägers zu seiner Versetzung nicht erheblich, weil das Einverständnis mit einer Disziplinarstrafe die Natur dieser Maßnahme nicht ändern könne.

98 Was die ihm verweigerte Beförderung ad personam nach Besoldungsgruppe A 2 betrifft, so macht der Kläger geltend, die entsprechende Entscheidung habe nicht im Ermessen der Anstellungsbehörde gestanden, sondern sei Folge einer gebundenen Kompetenz gewesen, wenn man die von ihr zu beachtenden allgemeinen Regeln, das heisst die objektiven Voraussetzungen bezueglich Lebensalter und Dienst- bzw. Besoldungsdienstalter berücksichtige, die bei ihm seit 1986 erfuellt gewesen seien. Im übrigen setze eine Beförderung ad personam die Verfügbarkeit einer Planstelle nicht voraus.

99 Der Beklagte tritt der Argumentation des Klägers entgegen und verweist darauf, daß die aus dienstlichen Gründen erfolgende Versetzung eines Beamten nicht beschweren könne und auf jeden Fall in das Ermessen der Verwaltung gestellt sei. Im übrigen habe diese Entscheidung einem Antrag des Klägers entsprochen und sei eine vorsorgliche Maßnahme gewesen, die er seinerzeit nicht angefochten habe. Das Parlament weist ferner darauf hin, daß die Versetzung nicht in der abschließenden Aufzählung der Disziplinarstrafen in Artikel 86 des Statuts zu finden sei. Auf jeden Fall schließe die Regel "ne bis in idem" nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1969 in der Rechtssache 14/68 (Wilhelm, Slg. 1969, 1) die Zulässigkeit zweier paralleler, sanktionsbewehrter Verfahren mit unterschiedlichen Zielsetzungen nicht aus.

100 Zu dem Ausbleiben der Beförderung ad personam des Klägers beruft sich der Beklagte darauf, daß diese Befugnis a fortiori im alleinigen Ermessen der Anstellungsbehörde stehe und die Verfügbarkeit einer Planstelle voraussetze. Abgesehen davon, daß der Kläger keinen ausdrücklichen Beförderungsantrag gestellt habe, müsse mit dem Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1964 in der Rechtssache 27/63 (Raponi/Kommission, Slg. 1964, 273) die weitgehende Ermessensbefugnis unterstrichen werden, über die die Anstellungsbehörde in diesem Bereich verfüge.

101 Das Gericht stellt zunächst fest, daß zu den Disziplinarstrafen, die Artikel 86 Absatz 2 des Statuts aufzählt, weder die Versetzung noch die Versagung einer Beförderung gehören und daß in Absatz 3 dieser Vorschrift die Regel aufgestellt wird: "Ein und dieselbe Verfehlung kann nur eine Disziplinarstrafe nach sich ziehen."

102 Im übrigen ergibt sich aus Artikel 7 des Statuts, daß die Versetzung eine gewöhnliche Veränderung in der Laufbahn eines Beamten darstellt, die entweder von Amts wegen ausschließlich nach dienstlichen Gesichtspunkten oder aber auf Antrag des betreffenden Beamten erfolgt. Nach gefestigter Rechtsprechung steht eine Versetzung aus dienstlichen Gründen grundsätzlich im Ermessen der Verwaltung bei der Einrichtung ihrer Dienststellen (Urteil des Gerichtshofes vom 5. Mai 1966 in den verbundenen Rechtssachen 18/65 und 35/65, Gutman/Kommission EGKS, Slg. 1966, 154).

103 Vorliegend wurde die am 30. April 1982 verfügte Versetzung des Klägers von der Abteilung "Kasse, Zahlungsverkehr und Buchhaltung", die er leitete, zu einer anderen Dienststelle beschlossen, um den Gang der laufenden Untersuchungen zu erleichtern, bei denen die vom Rechnungshof bei der Abgeordnetenkasse festgestellten Unregelmässigkeiten aufgeklärt werden sollten. Diese Maßnahme wurde daher aus dienstlichen Gründen getroffen und hatte - anders als der Kläger behauptet - nicht den Charakter einer verdeckten Disziplinarmaßnahme. Zudem lässt die Prüfung des Rundschreibens des Präsidenten des Parlaments an die Mitglieder der Versammlung im Juli 1982 keinerlei Gesichtspunkte erkennen, die die Einschätzung der Natur dieser Maßnahme, der der Kläger überdies noch zugestimmt hatte, zu ändern vermögen.

104 Was die Beförderung ad personam betrifft, um die der Kläger sich unberechtigterweise gebracht sieht, so genügt der Hinweis darauf, daß der Kläger zu keinem Zeitpunkt dargelegt hat, daß er einen Antrag an die Anstellungsbehörde auf Erlaß der entsprechenden Entscheidung ihm gegenüber gestellt habe oder daß eine ausdrückliche oder stillschweigende Ablehnung ihm gegenüber erfolgt sei. Unter diesen Umständen kann diese Rüge, die durch keinerlei genauen Tatsachenvortrag gestützt wird, nicht erfolgreich sein.

105 Der Klagegrund der Missachtung der Regel "ne bis in idem" ist daher zurückzuweisen.

Zum Klaqegrund der Formmängel des Disziplinarverfahrens

Fehlen der Unterschrift und des Datums in dem Bericht der Anstellungsbehörde an den Disziplinarrat

106 Der Kläger betrachtet den Umstand, daß der das Disziplinarverfahren einleitende Bericht weder datiert noch unterschrieben gewesen sei, als einen Formmangel im Hinblick auf Artikel 1 Absatz 1 des Anhangs, so daß dieser Bericht als nichtig anzusehen sei, was das gesamte Verfahren und die bei dessen Abschluß getroffene Entscheidung nichtig mache. Der Mangel könne auch nicht dadurch geheilt worden sein, daß das Begleitschreiben zu diesem Bericht datiert und von der Anstellungsbehörde unterschrieben gewesen sei.

107 Der Beklagte entgegnet, die Unterschrift unter dem Begleitschreiben zeige klar, daß die Anstellungsbehörde sich den Inhalt des Berichts, unter dem übrigens das Datum des 12. April 1983 und der Name des Präsidenten gestanden hätten, zu eigen gemacht habe.

108 Es ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 1 des Anhangs der "Disziplinarrat... durch einen Bericht der Anstellungsbehörde befasst [wird], in dem die zur Last gelegten Handlungen und etwaige Tatumstände eindeutig anzugeben sind. Der Bericht ist dem Vorsitzenden des Disziplinarrats zu übermitteln, der ihn den Mitgliedern dieses Rates und dem beschuldigten Beamten zur Kenntnis bringt."

109 Die Überprüfung der Unterlagen in den Akten ergibt, daß der Präsident des Parlaments als Anstellungsbehörde den Disziplinarrat mit Schreiben vom 13. April 1983 befasst hat, dem der auf den 12. April 1983 datierte Bericht über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe beigefügt war. Nach Aufhebung der am 16. März 1984 verhängten Disziplinarstrafe durch den Gerichtshof hat der Präsident des Parlaments den Disziplinarrat erneut mit ordnungsgemäß unterzeichnetem Schreiben vom 24. Juni 1987 befasst. In diesem an den Vorsitzenden des Disziplinarrats gerichteten Schreiben gab die Anstellungsbehörde einen kurzen Abriß der Sache und teilte mit, daß sie den Kläger gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts aufgefordert habe, zu dem "Bericht, mit dem Präsident Dankert am 13. April 1983 den Disziplinarrat befasst hat", zum Gutachten des Rechnungshofs vom 7. November 1985 und zum Beschluß des Parlaments über die Entlastung für das Haushaltsjahr 1982, alles Unterlagen, die sich bei den Akten des Disziplinarverfahrens befanden, Stellung zu nehmen. In dem gleichen Schreiben erklärte die Anstellungsbehörde weiter, daß sie nach Anhörung des Klägers beschlossen habe, das Disziplinarverfahren wieder gegen ihn einzuleiten und "den Disziplinarrat erneut mit dem Bericht vom 12. April 1982 über die gegen Herrn de Compte erhobenen Vorwürfe zu befassen". Abschließend ersuchte die Anstellungsbehörde den Vorsitzenden des Disziplinarrats, den Rat einzuberufen und seinen Mitgliedern sowie dem beschuldigten Beamten die dem Schreiben beigefügte Disziplinarakte zur Kenntnis zu bringen. Unter Punkt A der Liste der Anhänge steht der Vermerk: "Bericht vom 12. April 1983 über die gegen Herrn de Compte erhobenen Vorwürfe".

110 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß das von der Anstellungsbehörde unterzeichnete Schreiben vom 24. Juni 1987 zusammen mit dem beigefügten Bericht ein einziges Dokument bildet, das keinen Zweifel bezueglich seines Inhalts, seines Datums und der Stelle, von der es stammt, zulässt. Dieses Dokument stellt eine ordnungsgemässe Befassung des Disziplinarrats im Einklang mit Artikel 1 des Anhangs dar. Mithin ist die abweichende Argumentation des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Genehmigung des Protokolls der Sitzung vom 26. November 1987 nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme

111 Der Kläger bringt weiter vor, die mit Gründen versehene Stellungnahme des Disziplinarrats vom 27. November 1987 leide an einem Formmangel, weil das Protokoll der Sitzung vom 26. November 1987 auf den 30. November 1987 datiert und mithin nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren nicht mehr beim Rat anhängig gewesen sei, erstellt worden sei. Dieser Mangel führe zur Nichtigkeit des gesamten Disziplinarverfahrens und der im Hinblick auf die Stellungnahme getroffenen Entscheidung der Anstellungsbehörde.

112 Der Beklagte weist darauf hin, daß keine Vorschrift dem Disziplinarrat vorschreibe, seine mit Gründen versehenen Stellungnahmen in Ansehung der Sitzungsprotokolle abzugeben, sondern im Hinblick auf die ihm vorgelegten Unterlagen und mit Rücksicht auf die Erklärungen des Beschuldigten und der Zeugen sowie der Ergebnisse der Untersuchung. Das fragliche Protokoll habe rein internen Charakter und habe daher nicht dem Kläger zur Unterzeichnung vorgelegt zu werden brauchen. Er beruft sich insoweit auf die in der Rechtsprechung getroffene klare Unterscheidung zwischen solchen Protokollen und den Protokollen über die Anhörung von Zeugen, die diese mit ihrer Unterschrift billigen müssten und die daher für die Parteien von Interesse seien (Urteil vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, a. a. O.).

113 Das Gericht stellt aufgrund einer Prüfung der zu den Akten gereichten Unterlagen fest, daß der Disziplinarrat in Gegenwart des Klägers und seines Verteidigers am Morgen des 26. November zusammengetreten ist. In dieser Sitzung hat der Rat das Protokoll der vorangegangenen Sitzung genehmigt, eine Erklärung seines Vorsitzenden über die Vorlage bestimmter Dokumente durch die Anstellungsbehörde zur Kenntnis genommen und sich über die Prüfung des Originals eines Dokuments seitens des Klägers informiert. Sodann haben die Mitglieder des Rates ihre Meinungen mit dem Verteidiger des Klägers bezueglich seiner Verteidigung ausgetauscht, und es wurde beschlossen, daß der Rat am Nachmittag des gleichen Tages sowie am Freitag, dem 27. November 1987, den ganzen Tag über in geheimer Sitzung zusammentreten sollte. Das Protokoll dieser Sitzung wurde am Montag, dem 30. November, genehmigt und am gleichen Tag dem Kläger übermittelt.

114 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Rüge, die mit Gründen versehene Stellungnahme sei mit einem Formfehler behaftet, weil das Protokoll nach Abschluß des Verfahrens vor dem Disziplinarrat genehmigt worden sei, nicht begründet ist. Die Rechtmässigkeit der mit Gründen versehenen Stellungnahme kann nämlich nicht einfach deshalb in Zweifel gezogen werden, weil das Protokoll der Sitzung vom 26. November 1987 zu einem späteren Zeitpunkt genehmigt wurde. Wenn Artikel 9 Absatz 1 des Anhangs vorsieht, daß der Sekretär "über die Sitzungen des Disziplinarrats ein Protokoll zu führen" hat, so verlangt er keineswegs, daß die Protokolle bei Meidung der Nichtigkeit unmittelbar nach der Sitzung dieses Kollegialorgans unterzeichnet werden.

115 Hieraus ergibt sich, daß dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen ist.

Zum Klagegrund der Beeinträchtigungen der Rechte der Verteidigung

Nichtübermittlung bestimmter Unterlagen

116 Nach Darstellung des Klägers war die Verwaltung nicht imstande, ihm rechtzeitig eine Reihe von Unterlagen, die er angefordert habe und für seine Verteidigung für erforderlich gehalten habe, zu übermitteln, worüber sich sein Verteidiger bereits in dem Schreiben vom 20. November 1987 an den Vorsitzenden des Disziplinarrats beschwert habe.

117 Der Kläger stellt jedoch in seiner Erwiderung klar, daß es sich hier um eine besondere, hilfsweise vorgebrachte Rüge im Verhältnis zu den schweren Beeinträchtigungen der Rechte der Verteidigung handele, die sich ganz allgemein aus Tatsachen wie der gegen ihn am 30. April 1982 verfügten Versetzung und der Weigerung ergeben habe, ihm freien Zutritt zur Buchhaltung zu gewähren. Unter diesen Umständen sei es Sache des Organs, die beanstandeten Verfehlungen nachzuweisen, da er selbst tatsächlich nicht in der Lage sei, die zu seiner Verteidigung notwendigen Unterlagen zu ermitteln. Dieses Problem hätte sich nicht gestellt, wenn er zur Sicherstellung seiner Verteidigung freien Zugang zur Buchhaltung gehabt hätte.

118 Der Beklagte entgegnet, der Disziplinarrat habe systematisch allen Anfragen des Klägers nach Unterlagen entsprochen, und verweist insoweit auf ein Schreiben des Generalsekretärs des Parlaments vom 17. August 1987, mit dem dieser dem Kläger sein grundsätzliches Einverständnis erklärt habe, damit dieser Zugang zu allen Unterlagen der Akten erhalte, sowie auf ein Schreiben vom 10. September 1987, mit dem der Vorsitzende des Disziplinarrats dem Verteidiger des Klägers zu verstehen gegeben habe, daß die einzelnen Unterlagen, deren Konsultation nützlich sein könne, auf Antrag der Verteidigung nach Maßgabe des Stands der Prüfung der Akten durch den Disziplinarrat zur Verfügung gestellt würden. Der Inhalt dieses Schreibens sei vom Beistand des Klägers, als dieser es in der Sitzung vom 9. Oktober 1987 gelesen habe, nicht beanstandet worden, und in der Folge seien jedesmal die eingereichten Anträge und die entsprechenden Antworten mit voller Zustimmung der Verteidigung festgehalten worden. So sei der Beistand des Klägers um Verdeutlichung bestimmter Anträge in bezug auf Unterlagen gebeten worden, deren Ermittlung der Anstellungsbehörde schwierig erschienen sei. Dieser habe sich daraufhin die Möglichkeit vorbehalten, die Anträge für die ihm noch nicht übermittelten Unterlagen aufrechtzuerhalten. Aber auch das Schreiben des Beistands des Klägers vom 20. November 1987 habe keine zusätzlichen Klarstellungen gebracht. Er sei insoweit gemahnt worden. Dieser Standpunkt sei von der Verteidigung nicht in Zweifel gezogen worden, die im übrigen in der Sitzung vom 26. November 1987 bestätigt habe, daß sie nicht auf der Vorlage weiterer Unterlagen bestehe.

119 Der Beklagte hat im übrigen in seiner Gegenerwiderung eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes erhoben und vorgebracht, die "allgemeinen Rügen" des Klägers in seiner Erwiderung, die sich auf die Versetzung am 30. April 1982 und auf die angebliche Weigerung, ihm freien Zugang zur Buchhaltung zu gewähren, bezögen, seien neue Klagegründe. Auf jeden Fall seien sie aber unbegründet. Bezueglich der Versetzung des Klägers sei daran zu erinnern, daß dieser sie selbst beantragt habe. Bezueglich der Behauptung des Klägers, ihm sei der freie Zugang zur Buchhaltung verweigert worden, weist der Beklagte darauf hin, daß das Schreiben, auf das sich der Kläger insoweit beziehe, ein Schreiben der Anstellungsbehörde vom 7. Dezember 1984, nur bezweckt habe, den Kläger um Angabe der Gründe zu bitten, aus denen er bestimmte Unterlagen für eine Zeit verlange, in der er nicht im Dienst gewesen sei. Übrigens habe der Kläger niemals einen solchen Antrag in so allgemeinen Wendungen gestellt. Der Beistand des Klägers habe sich in einem Schreiben vom 16. Juli 1987 darauf beschränkt, um Überlassung aller der Verteidigung dienlichen Unterlagen zu bitten, wenn er dies beantrage. Das Parlament fügt hinzu, daß die Anstellungsbehörde, wenn sie schon mangels eines entsprechenden Antrags nicht gehalten sei, dem Betroffenen die vollständigen ihn betreffenden Disziplinarakten zur Verfügung zustellen (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1985 in den verbundenen Rechtssachen 255/83 und 256/83, R./Kommission, Slg. 1985, 2473, Randnr. 18), erst recht nicht verpflichtet sei, Unterlagen zu übermitteln, die nicht Bestandteil der Akten seien. Schließlich müsse, wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1968 in der Rechtssache 35/67 (Van Eick, Slg. 1968, 490) ergebe, ein Antrag auf Übermittlung von Unterlagen genau die notwendigen Unterlagen bezeichnen und glaubhaft machen, daß sie für den Gegenstand des Rechtsstreits erheblich seien.

120 Das Gericht erinnert daran, daß gemäß Artikel 2 des Anhangs der beschuldigte Beamte "nach Erhalt des Berichts... berechtigt [ist], seine vollständige Personalakte einzusehen und von allen Verfahrensunterlagen Abschrift zu nehmen".

121 Im übrigen bestimmt Artikel 7 Absatz 1 des Anhangs, daß der Disziplinarrat aufgrund "der ihm vorgelegten Unterlagen und unter Berücksichtigung der etwaigen schriftlichen oder mündlichen Erklärungen des Beamten und der Zeugen sowie aufgrund der Ergebnisse der gegebenenfalls angestellten Ermittlungen... mit Stimmenmehrheit eine mit Gründen versehene Stellungnahme... ab[gibt]".

122 Angesichts dieser Vorschriften können der beschuldigte Beamte und seine Beistände von allen tatsächlichen Umständen, auf die sich die Disziplinarentscheidung stützt, so rechtzeitig Kenntnis erhalten, daß sie dazu Stellung nehmen können (Urteil des Gerichtshofes vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, a. a. O., Randnr. 23). Mangels eines Antrags des Betroffenen lässt sich indessen dem Statut keine Verpflichtung der Anstellungsbehörde entnehmen, die vollständige Akte des von einem Disziplinarverfahren betroffenen Beamten zu übermitteln (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache R./Kommission a. a. O., Randnrn. 17 und 18).

123 Vorliegend behauptet der Beklagte - und die Wahrheit dieser Behauptung wird durch die zu den Akten gereichten Unterlagen bestätigt -, daß sowohl die Anstellungsbehörde als auch der Vorsitzende des Disziplinarrats dem Kläger und seinem Verteidiger Zugang zu den vollständigen Akten und die Möglichkeit der Stellung von Anträgen auf Vorlage von Unterlagen je nach dem Stand der Prüfung der Akten durch den Disziplinarrat gewährt hätten (vgl. die mit Gründen versehene Stellungnahme, Nrn. 16 und 17, Schreiben des Präsidenten des Parlaments vom 26. Juni 1987 an den Kläger und Schreiben des Generalsekretärs des Parlaments vom 17. August 1987 an den Verteidiger des Klägers).

124 Der Kläger zieht die Durchführung dieses Grundsatzes offenbar nicht in Zweifel. Er ist jedoch der Meinung, daß die Anstellungsbehörde nicht imstande gewesen sei, ihm bestimmte Belege zu übermitteln, die er weder in der Klageschrift noch in der Erwiderung näher bezeichnet und die anscheinend die Rechnungsführung betreffen. Zu diesem Punkt hält das Protokoll der Sitzung des Disziplinarrats vom 26. November 1987 fest, daß die Anstellungsbehörde bestimmte Unterlagen nicht ermitteln konnte und daß sich der Verteidiger des Klägers vorbehalten hatte, bis zum 23. November 1987 die Zweckmässigkeit des Antrags auf Übermittlung der nicht ermittelten Unterlagen erneut zu prüfen. In dem gleichen Protokoll wird ebenfalls festgestellt, daß der Verteidiger des Klägers ausdrücklich erklärt hat, daß er "keinen Wert auf weitere Unterlagen" lege, auch wenn er zugleich ergänzte, daß er die Argumentation der Anstellungsbehörde, nach der es unmöglich gewesen sei, diese Unterlagen zu ermitteln, nicht billige. Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, daß der Kläger die Begründetheit seiner Darstellung, daß die Verwaltung es ohne irgendeine Begründung abgelehnt habe, ihm bestimmte Unterlagen zu übermitteln, nicht nachgewiesen hat.

125 Der Kläger hat in seiner Erwiderung hinzugefügt, daß sich das Problem der Ermittlung der verlangten Unterlagen nicht gestellt hätte, wenn man ihm nicht vom Tag seiner Versetzung, dem 30. April 1982, an den freien Zugang zur Buchhaltung verwehrt hätte. Soweit dieses Argument als neuer Klagegrund anzusehen ist, muß es gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichthofes für unzulässig erklärt werden, wie der Beklagte zu Recht geltend gemacht hat. Sollte es hingegen als Erweiterung eines vorher ausdrücklich oder stillschweigend in der Klageschrift vorgebrachten Klagegrundes anzusehen sein, so genügt, ohne daß zu prüfen wäre, ob die Verwaltung verpflichtet ist, den Beamten, die von einem Disziplinarverfahren betroffen sind, freien Zugang zu ihren Archiven zu gewähren, die Feststellung, daß aus den zu den Akten gereichten Unterlagen hervorgeht, daß vorliegend die Verwaltung dem Kläger zunächst sehr wohl Zugang zu ihren Archiven verschafft hat (vgl. Nr. 66 der ersten mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats vom 10. Februar 1984).

126 Hieraus ergibt sich, daß die erste zur Stützung dieses Klagegrundes angeführte Rüge als unbegründet zurückgewiesen werden muß.

Nicht rechtzeitige Übermittlung des Protokolls vom 26. November 1987

127 Der Kläger macht geltend, daß das Protokoll der letzten Sitzung des Disziplinarrats vom 26. November 1987 ihm erst am 30. November 1987 übersandt worden sei und er es erst am 2. Dezember 1987 zusammen mit der auf den 27. November 1987 datierten, mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats erhalten habe. Infolgedessen habe die Verteidigung keine Gelegenheit gehabt, etwaige Erklärungen zu diesem Protokoll abzugeben, obwohl es nicht als ein rein internes Schriftstück habe betrachtet werden können, weil es für sie wesentliche Elemente enthalten habe. Im übrigen sei allein die Feststellung des Protokolls, daß der Beistand des Klägers keinen Wert auf weitere Unterlagen lege, schon aufgrund ihrer Natur möglicher Anlaß für Bemerkungen oder Richtigstellungen gewesen.

128 Der Beklagte räumt ein, daß eine Sitzung tatsächlich am 26. November 1987 stattgefunden habe, erklärt jedoch, daß auf diese zwei weitere geheime Sitzungen gefolgt seien, von denen die zweite am Freitag, dem 27. November 1987, den ganzen Tag beansprucht habe. Bei diesen Gegebenheiten hätten die Protokolle nicht vor Montag, dem 30. November 1987, abgesandt werden können, und der Kläger habe auch bei Erhalt des fraglichen Protokolls insoweit keine Bemerkung gemacht. Auf jeden Fall habe das Protokoll rein formalen Charakter und sei für die endgültige Entscheidung des Disziplinarrats ohne Belang; seine verspätete Übermittlung habe daher nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens nicht beeinträchtigen können (Urteil vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, a. a. O.). Im übrigen stehe, selbst wenn der Kläger sich nunmehr auf eine angeblich verspätete Übermittlung des Protokolls berufe, doch fest, daß er jedenfalls nicht abstreite, daß sein Beistand in dieser Sitzung tatsächlich ausdrücklich zugestanden habe, daß er keine weitere Übermittlung von Unterlagen wünsche.

129 Wie der Gerichthof entschieden hat (Urteil vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, a. a. O., Randnrn. 25 bis 28), haben die eigentlichen Sitzungsprotokolle, die nur einen kurzen Überblick über die Beratungen des Disziplinarrats geben, rein internen Charakter, und ihre verspätete Übermittlung beeinträchtigt daher weder den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens vor dem Disziplinarrat noch die Rechte der Verteidigung des betroffenen Beamten.

130 Da es sich vorliegend um ein eigentliches Sitzungsprotokoll ohne Beurkundungen einer Zeugenvernehmung handelt, ist davon auszugehen, daß seine verspätete Übermittlung an den Kläger die Rechte der Verteidigung nicht beeinträchtigt hat.

131 Demzufolge ist die Rüge der Verspätung dieser Übermittlung zurückzuweisen.

Fehlende Genehmigung des an die Abteilung "Kasse, Zahlungsverkehr und Buchhaltung" des Parlaments gerichteten technischen Fragenkatalogs durch den Kläger

132 Der Kläger trägt vor, der Sekretär des Disziplinarrats habe es unterlassen, seinem Verteidiger die endgültige Fassung der an die Verwaltung gerichteten Fragen, wie in der Sitzung vom 10. November 1987 vereinbart, vor ihrer Absendung zur Genehmigung vorzulegen.

133 Der Beklagte entgegnet, daß die endgültige Fassung der Fragen dem Beistand des Klägers am Nachmittag des 10. November 1987 unterbreitet worden sei, wie dies das am 11. November 1987 an ihn gerichtete Schreiben des Vorsitzenden des Disziplinarrats beweise. Diese Fragen seien übrigens auf Antrag der Verteidigung in der Sitzung vom 10. November 1987 an die Verwaltung gerichtet worden. Die Überschrift der verschiedenen Fragen gehe fast Wort für Wort auf die verschiedenen Fragestellungen zurück, die in der vorläufigen Verteidigungsschrift vom 29. Oktober 1987 enthalten seien. Im übrigen sei dieses Argument zu keiner Zeit während der späteren Arbeiten des Disziplinarrats vorgebracht worden.

134 Das Gericht stellt fest, daß die vorliegende Rüge auf einer unzutreffenden Darstellung des Klägers beruht. Die Prüfung der zu den Akten gereichten Unterlagen, insbesondere des Schreibens des Vorsitzenden des Disziplinarrats vom 11. November 1987, das vom Beklagten vorgelegt und dessen Inhalt vom Kläger nicht bestritten worden ist, sowie der Nummer 11 der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats vom 27. November 1987, deren Inhalt der Kläger ebenfalls nicht in Zweifel gezogen hat, ergibt nämlich eindeutig, daß der Verteidiger des Klägers der Formulierung der technischen Fragen, die der Disziplinarrat auf Vorschlag der Verteidigung an die Abteilung "Kasse, Zahlungsverkehr und Buchhaltung" zu richten beschlossen hatte, vor der Übermittlung der Fragen zugestimmt hat.

135 Hieraus folgt, daß auch diese Rüge zurückzuweisen ist.

Die Note des Klägers vom 5. Juni 1981 an den Direktor für Finanzen und Informatik

136 Der Kläger macht geltend, der Disziplinarrat habe in seiner mit Gründen versehenen Stellungnahme als Hauptschriftstück "zur Abgrenzung der Zuständigkeiten" bezueglich des Vorwurfs der "Kontöröffnung bei der Midland Bank am 21. Juli 1980" eine Note betrachtet, die der Kläger am 5. Juni 1981 an den Direktor für Finanzen und Informatik geschrieben habe. Dieses Schriftstück sei der "Beschuldigungsschrift" nicht beigefügt, bei den Erörterungen vor dem Disziplinarrat nicht erwähnt und dem Kläger nicht übermittelt worden.

137 Der Beklagte räumt ein, daß die Note vom 5. Juni 1981 der "Beschuldigungsschrift" nicht beigefügt worden sei, verweist aber darauf, daß diese Unterlassung mit dem notwendigerweise knappen Charakter dieser Schrift in Zusammenhang gestanden habe. Bei den Arbeiten des Disziplinarrats sei die Note indessen in Gegenwart des Klägers, der nicht bestritten habe, ihr Urheber zu sein, sogar mehrmals erwähnt worden. Dieses Schriftstück sei im übrigen Teil der Anhänge der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats in dem gegen Herrn Offermann eingeleiteten Disziplinarverfahren gewesen, deren Aufnahme in die Akten der Kläger ausdrücklich verlangt habe. Infolgedessen habe der Kläger jederzeit Zugang zu ihr gehabt.

138 Ohne daß zu prüfen wäre, ob und in welchem Umfang dem Kläger die betreffende Note übermittelt wurde, ist diese Rüge als unbegründet zurückzuweisen. Der Kläger kann sich nämlich nicht aus dem Grund auf eine Beeinträchtigung der Rechte der Verteidigung berufen, weil eine Note, deren Urheber zu sein er einräumt und deren Inhalt sowie deren Auslegung er nicht bestritten hat, nicht Bestandteil der Disziplinarakte gewesen sei.

Die Stornobuchung vom 25. August 1982 über einen Betrag von 4 136 125 BFR

139 Der Kläger macht geltend, bis zum Vorabend der Beendigung des letzten Disziplinarverfahrens sei die einzige Unterlage, die ihm in bezug auf die am 25. August 1982 erfolgte Stornobuchung über 4 136 125 BFR übermittelt worden sei, ein vom Rechnungsführer nicht unterzeichnetes Schriftstück gewesen. Erst einige Tage vor Abschluß dieses Disziplinarverfahrens sei als Anlage zu den Antworten auf die vom Disziplinarrat an die Herren Young und De Poortere gerichteten Fragen ein Schriftstück aufgetaucht, das diesmal vom Nachfolger des Herrn de Compte, Herrn Brown, unterzeichnet gewesen sei. Der Kläger bemerkt hierzu, daß beide Schriftstücke zahlreiche Unterschiede aufwiesen, abgesehen davon, daß das erste im Gegensatz zum zweiten nicht vom Rechnungsführer unterzeichnet gewesen sei. So seien zum einen verschiedene Fehler in und fehlende Übereinstimmungen zwischen beiden Schriftstücken, zum anderen unterschiedliche Drucktypen in beiden Formularen festzustellen, was den Schluß zulasse, daß diese Schriftstücke, obwohl mit dem gleichen Datum versehen (25. August 1982), nicht gleichzeitig verfasst worden seien.

140 Der Kläger macht weiterhin geltend, daß die verspätete Übermittlung des Protokolls der Sitzung des Disziplinarrats vom 26. November 1987 ihn daran gehindert habe, Stellung zu der Erwähnung der am 19. November 1987 durchgeführten Prüfung des Originals der Stornobuchung vom 25. August 1982 im Protokoll zu beziehen. Zu der vom Parlament geäusserten Annahme, daß es sich bei der in seinem Besitz befindlichen Kopie um den nicht unterzeichneten Entwurf eines Kontenblatts handele, äussert der Kläger, eine solche Annahme könne tatsächlich eine Erklärung für einige der festgestellten Unterschiede sein, dies könne aber nicht für die unterschiedlichen Drucktypen in zwei Schriftstücken mit dem gleichen Datum gelten. Sein Interesse an dieser Frage belegt er durch den Hinweis darauf, daß die Stornobuchung ein "Hauptschriftstück" sei, weil vom Zeitpunkt einer solchen Buchung an "die Entscheidung gefallen ist, daß ein Verlust vorliegt".

141 Der Beklagte ist der Auffassung, daß die Übermittlung des Buchungsschriftstücks einige Tage vor Abschluß des Disziplinarverfahrens nicht zur Nichtigkeit des Verfahrens führen könne, selbst wenn diese angebliche Verspätung die Rechte der Verteidigung beeinträchtigt haben sollte. Der Kläger habe eine andere Fassung dieses Schriftstücks vor dem Disziplinarrat erwähnt, der zu diesem Zeitpunkt das Originalschriftstück habe vorlegen müssen. Die im Besitz des Klägers befindliche Kopie sei wahrscheinlich die eines nicht unterzeichneten Entwurfs gewesen, die er seinerzeit auf nicht offiziellem Wege erhalten habe. Dieser Punkt sei bei der Vernehmung der Herren Young und De Poortere eingehend untersucht worden.

142 Im übrigen habe am Donnerstag, dem 19. November 1987, in Gegenwart des Klägers eine Überprüfung der Originale der betreffenden Schriftstücke stattgefunden, und dies sei in der Sitzung des Disziplinarrats vom 26. November 1987 erwähnt worden. Darüber hinaus frage sich der Beklagte, warum der Kläger der Stornobuchung vom 25. August 1982 so grosse Bedeutung beimesse, da er doch am 30. März 1982 selbst verlangt habe, daß ein Verlust in Höhe eines nahezu gleichen Betrags in Ordnung gebracht werde. Ein solches Dokument, das nichts anderes tü, als in der Rechnungsführung einen eingetretenen Verlust festzustellen und zu verbuchen, sei übrigens ohne Belang, wenn es darum gehe, die Gründe für diesen Verlust zu ermitteln. Es sei auch nicht zu erkennen, wieso die unterschiedlichen Drucktypen in diesem Schriftstück und dem im Besitz des Klägers befindlichen besagten, daß letzteres kein blosser Entwurf sei, und das Interesse verdeutlichten, das diese Frage für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits habe.

143 Aufgrund der von den Parteien gegebenen Erläuterungen ist das Gericht der Auffassung, daß der Kläger nicht dargetan hat, wieso die Übermittlung des Originalschriftstücks mit der Stornobuchung vom 25. August 1982 kurz vor Abschluß des Disziplinarverfahrens die Rechte der Verteidigung in so hinreichend schwerwiegender Weise verletzt haben sollte, daß die Ordnungsmässigkeit dieses Verfahrens beeinträchtigt wäre. Darüber hinaus ist festzustellen, daß dieses Schriftstück dem Kläger am 19. November 1987 zur Verfügung gestellt wurde und dieser also die Möglichkeit hatte, etwaige Bemerkungen dazu in seiner endgültigen Verteidigungsschrift vorzutragen, die er dem Disziplinarrat am 24. November 1987 vorgelegt hat. Unter diesen Umständen ist das Gericht nicht in der Lage, irgendeine Beeinträchtigung der Rechte der Verteidigung des Klägers festzustellen, die auf eine verspätete Übermittlung des Originals des betreffenden Schriftstücks zurückzuführen wäre.

144 Die Rüge der verspäteten Übermittlung des Schriftstücks mit der Stornobuchung vom 25. August 1982 ist daher zurückzuweisen.

145 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich insgesamt, daß der Klagegrund angeblicher Beeinträchtigungen der Rechte der Verteidigung in allen seinen Teilen zurückzuweisen ist.

Zum Klagegrund der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Disziplinarrats und der Freiheit der Verteidigung

146 Der Kläger, der insoweit die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts stellt, macht geltend, daß in Nr. 3 des Protokolls der Sitzung des Disziplinarrats vom 22. und 23. Oktober 1987 eine Erklärung des damaligen Vizepräsidenten des Parlaments, Herrn Dankert, erwähnt sei, der in einer Sitzung des Präsidiums in Straßburg schwerwiegende Zweifel nicht nur an der Unabhängigkeit dieses Rates und insbesondere eines seiner Mitglieder, sondern auch an der Freiheit der Verteidigung in casu, nämlich derjenigen für den Kläger, den Generaldirektor für Verwaltung, Herrn Feidt, als Beistand zu wählen, geäussert habe. Der Kläger ist der Meinung, daß ein Vergleich zwischen den Empfehlungen der beiden im Abstand einiger Jahre mit den gleichen Vorwürfen befassten Disziplinarräte mittelbar den Nachweis erbringe, daß die Erklärung von Herrn Dankert tatsächlich einen Einfluß auf die Mitglieder des letzten Disziplinarrats ausgeuebt habe. Er müsse daher Zweifel anmelden, ob ein Parlamentarier, der in seiner Eigenschaft als Präsident des Parlaments zur Zeit der streitigen Vorgänge an dieser Sache unmittelbar beteiligt gewesen sei, die Freiheit zu solchen Meinungsäusserungen habe.

147 Der Beklagte vertritt die Auffassung, es sei nichts dagegen einzuwenden, daß sich ein Parlamentarier in Ausübung seiner Aufgaben frei äussere, auch wenn er wie im vorliegenden Fall die Unabhängigkeit eines der Mitglieder des Disziplinarrats in Frage gestellt und dem Kläger vorgeworfen habe, als Beistand den Generaldirektor für Verwaltung des Parlaments gewählt zu haben. Das Parlament beruft sich insoweit auf die Artikel 9 und 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (ABl. L 152, S. 13) und verweist ausserdem auf das Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 149/85 (Wybot, Slg. 1986, 2391).

148 Das Gericht stellt fest, daß das Protokoll vom 22. Oktober 1987 vermerkt, daß der Vorsitzende des Disziplinarrats eine Erklärung von Herrn Dankert vom 13. Oktober 1987 in Straßburg zu dem gegen den Kläger eingeleiteten Disziplinarverfahren sowie die diesem insoweit gegebenen Antworten des Generalsekretärs und des Präsidenten des Parlaments erwähnt habe. Nach den Angaben im gleichen Protokoll hat das in dieser Erklärung mittelbar angesprochene Mitglied des Disziplinarrats, Herr Prete, seine völlige Unabhängigkeit bekräftigt. Nach einem Meinungsaustausch zwischen den Mitgliedern des Disziplinarrats wurde beschlossen, diese Erklärung bei den Arbeiten des Disziplinarrats nicht zu berücksichtigen.

149 Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, daß die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen nicht beweiskräftig genug sind, um ihm die Feststellung irgendeiner Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Disziplinarrats oder der Rechte der Verteidigung zu erlauben. Die Ordnungsmässigkeit des Disziplinarverfahrens kann daher durch die Erklärung, die ein Parlamentarier in Ausübung seiner Aufgaben zu diesem Verfahren abgegeben hat, nicht in Frage gestellt worden sein.

150 Hieraus folgt, daß auch dieser Klagegrund zurückzuweisen ist.

Zu den Klagegründen betreffend die materielle Rechtmässigkeit

Zum Klagegrund der Verletzung des Artikels 86 des Statuts und der Artikel 70 und 72 der Haushaltsordnung sowie der Missachtung des Rechtsgrundsatzes, nach dem jeder Verwaltungsakt mit einer Begründung versehen sein muß, die rechtlich zulässig und frei von Widersprüchen sowie von rechtlichen und/oder tatsächlichen Fehlern ist

151 Der Kläger macht geltend, die Disziplinarentscheidung sei bezueglich der ihm vorgeworfenen Verfehlungen, nämlich der Eröffnung eines Anlagekontos bei der Midland Bank, der Verletzung der Pflicht zu ordnungsgemässer Verwaltung der Zahlungsermächtigungen und der Verletzung der Pflicht zur Tätigung von Ausgaben nur bei Vorlage ordnungsgemässer Belege und zur Aufbewahrung dieser Belege mit Widersprüchen sowie rechtlichen und tatsächlichen Fehlern behaftet.

Eröffnung eines Anlagekontos bei der Midland Bank

152 Der Kläger stellt vorab klar, daß sich diese Rüge auf die Begründungserwägung der Entscheidung beziehe, in der es heisse: "Die Entscheidung von Herrn de Compte, die einvernehmlich zwischen Parlament und Midland Bank festgelegten Bankbedingungen abzuändern, obwohl er hierzu nicht aufgefordert war und seine Zuständigkeit überschritt, stellt... eine Verletzung der dem Rechnungsführer obliegenden Pflichten dar."

153 Hierzu bringt der Kläger vor, die Anstellungsbehörde habe die Pflichten des Zahlstellenverwalters (vorliegend Herr Offermann) und die des Rechnungsführers (vorliegend der Kläger) verwechselt, denn es habe sich um ein Konto der Zahlstellenverwaltung gehandelt, für das der Rechnungsführer als solcher nicht verantwortlich sei. In dieser Angelegenheit sei in erster Linie Herr Offermann verantwortlich. Der Kläger räumt zwar ein, daß der Rechnungsführer eine besondere Rechtsstellung habe, weist aber darauf hin, daß dies auch für den Zahlstellenverwalter gelte, wie Artikel 70 der Haushaltsordnung zeige. Er ist ferner der Meinung, daß die Verantwortung des Rechnungsführers für die Zahlstellen nicht diejenige absorbieren könne, die den Zahlstellenverwalter treffe, weil letzterer die Aufgabe gehabt habe, die Abgeordnetenkasse zu verwalten. Seine Verpflichtung als Rechnungsführer, dem Zahlstellenverwalter bezueglich der Buchführung Weisungen zu erteilen, schließe per se die Verwaltung der Abgeordnetenkasse durch ihn selbst und damit auch seine Verantwortung aus.

154 Der Kläger verweist ferner darauf, daß die Änderung der zwischen Parlament und Midland Bank bestehenden Bankbedingungen im Anschluß an die Eröffnung des streitigen Anlagekontos auf eine Entscheidung nicht des Klägers, sondern des Zahlstellenverwalters und seiner Mitarbeiterin, Fräulein Cesaratto, zurückgegangen sei. Er bezieht sich zur Stützung dieser Behauptung auf die mit Gründen versehenen Stellungnahmen des Disziplinarrats in den gegen ihn und gegen Herrn Offermann eingeleiteten Disziplinarverfahren.

155 Der Kläger legt Wert auf die Feststellung, daß die streitige Änderung der Bankbedingungen in dem gegen Herrn Offermann eingeleiteten Disziplinarverfahren diesem nicht zum Vorwurf gemacht worden sei. Zu den Gründen, die zu dessen Freispruch geführt haben, verweist der Kläger auf die mit Gründen versehene Stellungnahme des Disziplinarrats, in der stehe, daß Herr Offermann geglaubt habe, die volle Zustimmung seines Vorgesetzten zu haben, daß der Vorgang nie verborgen worden sei, daß angesichts der Bankpraktiken der Zweifel für Herrn Offermann sprechen müsse und daß auf jeden Fall weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit festzustellen seien. Unter diesen Umständen frage sich der Kläger, wieso diese Gründe für den Urheber der beanstandeten Maßnahme, nicht aber für denjenigen gälten, der sie auf sich genommen habe. Hieraus müsse gefolgert werden, daß die Anstellungsbehörde ihm zu Unrecht eine Verletzung der in der angefochtenen Entscheidung genannten Rechtsvorschriften vorwerfe. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0026.2

156 In seiner Erwiderung tritt der Kläger der Behauptung des Parlaments entgegen, daß er die Existenz des streitigen Kontos seinen Vorgesetzten verschwiegen habe. Diese Behauptung stehe im Widerspruch zu den Feststellungen, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats in dem Verfahren Offermann getroffen worden seien, daß nämlich die Bankakte allen Vorgesetzten zur Verfügung gestanden habe. Ferner gebe es einen Widerspruch zwischen den Feststellungen in der mit Gründen versehenen Stellungnahme des zweiten Disziplinarrats in seinem Fall und den in der Stellungnahme des Disziplinarrats im Verfahren Offermann getroffenen Feststellungen bezueglich einer Anweisung, die Herr Paludan-Müller, damals Direktor für Finanzen und Anweisungsbefugter, im Februar 1982 wegen der Einziehung der Zinsen des streitigen Kontos erteilt habe, Herr Paludan-Müller habe seit der Unterredung, die er mit ihm kurz nach seinem Dienstantritt im Dezember 1980 gehabt habe, sehr wohl von der Existenz dieses Kontos gewusst. Schließlich schreibe Artikel 17 der Durchführungsbestimmungen nicht vor, daß ein Anlagekonto auf Sicht den Dienststellen des Parlaments mitzuteilen sei, da eine solche Verpflichtung lediglich für Einziehungen gelte.

157 Mit Rücksicht auf das Argument des Parlaments, er sei unter den Personen, die von der Eröffnung des Kontos gewusst hätten, der ranghöchste Beamte gewesen, untersucht der Kläger die Beziehungen "Rechnungsführer - Anweisungsbefugter - Finanzkontrolleur" und beruft sich auf einen im November 1982 veröffentlichten Artikel des damaligen Präsidenten des Rechnungshofs, wonach der Rechnungsführer der Gemeinschaften in Wirklichkeit nicht über eine echte Unabhängigkeit verfüge. Eine Bestätigung der in dieser Frage bestehenden Mehrdeutigkeit finde sich in dem Beschlußvorschlag, den der Berichterstatter Saby dem *usschuß für Haushaltskontrolle im Rahmen des Entlastungsverfahrens für das Haushaltsjahr 1981 (im folgenden: Bericht Saby) vorgelegt habe, soweit in diesem Vorschlag die "untrennbare Mitverantwortung von Anweisungsbefugtem und Rechnungsführer" festgestellt und die Schlußfolgerung gezogen werde, daß "die Haftung des Rechnungsführers erst nach der des Anweisungsbefugten und der des Finanzkontrolleurs tatsächlich ausgelöst werden" könne. Im gleichen Zusammenhang erinnert der Kläger daran, daß das Parlament in seinem Entlastungsbeschluß vom 10. April 1984 für das Haushaltsjahr 1981 ausdrücklich betont habe, "daß in der Haushaltsordnung und den Internen Vorschriften die jeweilige Unabhängigkeit des Anweisungsbefugten, des Finanzkontolleurs und des Rechnungsführers präzisiert werden muß".

158 Im übrigen weist der Kläger darauf hin, daß der Beklagte die einschlägigen Vorschriften - die Artikel 53 und 54 - der Durchführungsbestimmungen, die die Pflichten des Finanzkontrolleurs und damit seine Verantwortung parallel zu denen der Rechnungsführer gegenüber den Zahlstellenverwaltern regelten, mit Stillschweigen übergangen habe. Gleiches gelte für die Feststellung im Sonderbericht des Rechnungshofs vom 6. Juli 1982 ("Der Finanzkontrolleur hätte sich der Einführung dieses Verfahrens [durch die Abgeordnetenkasse] widersetzen müssen.") sowie für die Stellungnahme des Parlaments zu dieser Feststellung ("Die zuständige Stelle bedauert, daß der Finanzkontrolleur sie nicht auf diese Angelegenheit hingewiesen hat."). Mithin stelle sich der Kläger die Frage, weshalb die zur Last gelegten Tatsachen zwar die Beziehungen "Anweisungsbefugter - Finanzkontrolleur - Rechnungsführer", nicht aber die Beziehungen "Rechnungsführer - Zahlstellenverwalter" hätten durchbrechen können.

159 Der Beklagte räumt gern ein, daß der Zahlstellenverwalter die ursprüngliche Verantwortung für die Transaktionen trage, möchte aber betonen, daß sehr wohl der Kläger für die Anweisung an die Midland Bank, 400 000 UKL zu 16 % auf Sicht anzulegen, in erster Linie die Verantwortung trage. Selbst wenn die damit zusammenhängenden Verfügungen zum Teil von den Mitarbeitern des Klägers getroffen worden seien, sei dieser von Anfang an über die laufenden Vorgänge vollständig im Bilde gewesen, was für seine Haftung ausreiche. Im übrigen habe der Kläger, der unter den Personen, die die Eröffnung des Kontos gekannt hätten, der ranghöchste Beamte gewesen sei, nie erklären können, warum dieses Konto eröffnet worden sei und warum dieser Betrag über eine so lange Zeit im Vereinigten Königreich festgelegen habe. Auch habe er keine Erklärung dafür geliefert, warum dieses Konto nie in der Buchführung des Parlaments aufgetaucht sei und warum die Zinsen dieses Kontos zu keinem Zeitpunkt in der Buchführung wiedergegeben worden seien. Darüber hinaus sei die Existenz dieses Kontos von den Dienststellen des Parlaments nur zufällig entdeckt und ihnen zumindest zweimal verschwiegen worden.

160 Der Beklagte ist der Auffassung, daß der Kläger für die Transaktionen bezueglich der Konten der Zahlstellen insoweit verantwortlich gewesen sei, als er als Leiter der Abteilung "Kasse, Zahlungsverkehr und Buchhaltung" zeichnungsbefugt für diese Konten und mit der Kontrolle der Tätigkeit des Zahlstellenverwalters, Herrn Offermann, betraut gewesen sei, der den Dienstposten eines unterstellten Rechnungsführers bekleidet habe.

161 Das Parlament ist ferner der Auffassung, daß die Verantwortung des Klägers nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht feststehe, und verweist insoweit auf mehrere Artikel der Haushaltsordnung. Im einzelnen macht es geltend, daß gemäß Artikel 63 die Rechnungsführung "sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsjahres erfassen" müsse. Der Kläger sei daher gehalten gewesen, das neue Konto und die Zinsen in der allgemeinen Rechnungsführung unabhängig von der Rechnungsführung der Zahlstelle zu berücksichtigen. Der Rechnungsführer habe darüber hinaus bezueglich der Konten der Zahlstelle rechtlich eine besondere Verantwortung, weil er nach den Durchführungsbestimmungen dem Zahlstellenverwalter Weisungen für die Buchführung zu erteilen (Artikel 51) und dessen Buchführung zu überprüfen habe (Artikel 53) und weil der Zahlstellenverwalter dem Rechnungsführer gegenüber für die Ausführung der Zahlungen verantwortlich sei (Artikel 50). Die Mitwirkung des Rechnungsführers sei gemäß Artikel 49 Buchstabe f ebenfalls erforderlich, wenn bei der Entscheidung über die Errichtung einer Zahlstelle die Frist festzulegen sei, innerhalb deren die Transaktionen der Zahlstelle abgerechnet werden müssten. Der Beklagte kommt damit zu dem Ergebnis, daß die angefochtene Entscheidung zu Recht die Verantwortung des Klägers im Hinblick auf Artikel 70 Absatz 1 der Haushaltsordnung festgestellt habe.

162 Was den Umstand betreffe, daß gegen Herrn Offermann keine Disziplinarstrafe verhängt worden sei, so möchte das Parlament auf dessen untergeordnete Stellung hinweisen. Es erinnert daran, daß vorliegend eine Verantwortung von Herrn Offermann nicht festgestellt worden sei, weil er, wie der mit seinem Fall befasste Disziplinarrat festgestellt habe, geglaubt habe, "die volle Zustimmung seines Vorgesetzten (des Klägers)" zu haben.

163 Bezueglich der Verantwortung des Anweisungsbefugten und des Finanzkontrolleurs entgegnet der Beklagte, die Argumentation des Klägers sei insoweit gänzlich unerheblich, weil dieser nicht behaupte, diese beiden seien zu irgendeinem Zeitpunkt an der Eröffnung des Kontos bei der Midland Bank beteiligt gewesen. Um den Umfang der jeweiligen Verantwortungsbereiche zu bestimmen, müsse in erster Linie auf die Rechtsstellung des Rechnungsführers, wie sie in Artikel 209 EWG-Vertrag mit ausdrücklicher Nennung dieser Funktion geregelt sei, und auf die Artikel 17, 49 und 70 der Haushaltsordnung sowie auf Titel IX der Durchführungsbestimmungen hingewiesen werden. Aus diesem rechtlichen Rahmen sei zum einen abzuleiten, daß die Rechtsstellung des Rechnungsführers in besonderer Weise eingerichtet sei, und zum anderen, daß seine Position und Verantwortung autonom und unabhängig von jeder Zugehörigkeit zu einer Hierarchie seien. In zweiter Linie bezieht sich das Parlament zur Abgrenzung der jeweiligen Verantwortungsbereiche von Anweisungsbefugtem und Finanzkontrolleur auf Artikel 209 EWG-Vertrag sowie die Artikel 17, 19, 20, 68, 69 und 70 Absatz 1 der Haushaltsordnung. Das Parlament ist angesichts dieser Vorschriften der Meinung, daß eine Verantwortung dieser Beamten vorliegend rechtlich nicht begründet werden könne, da sich die dem Kläger vorgeworfenen Verfehlungen auf die Überweisung von Mitteln bezögen, das heisst auf Buchungsvorgänge, die keine vorherige Genehmigung eines Anweisungsbefugten oder des Finanzkontrolleurs erforderlich machten.

164 Was die Überlegungen des ehemaligen Präsidenten des Rechnungshofs über die "Abwertung des Rechnungsführers" in der täglichen Praxis angehe, wie sie in seinem Artikel vom November 1982 zum Ausdruck kämen, so änderten sie nichts an der Rechtslage. Im übrigen seien die Absätze des Beschlußvorschlags des Berichterstatters Saby, auf die sich der Kläger bezogen habe, vom Ausschuß für Haushaltskontrolle mit erdrückender Mehrheit abgelehnt worden.

165 Der Beklagte nimmt sodann eine Klarstellung der Verpflichtungen des Finanzkontrolleurs und insbesondere des Umstands vor, daß gemäß Artikel 53 der Durchführungsbestimmungen der Rechnungsführer das Vorhandensein der Mittel des Zahlstellenverwalters "unbeschadet der Kontrolle durch den Finanzkontrolleur" zu überprüfen habe. Dieser Artikel behandele nach seinem Dafürhalten lediglich die allgemeine Kontrollbefugnis des Finanzkontrolleurs, wie sie in Artikel 11 der Durchführungsbestimmungen geregelt sei, ohne daß man aus ihm ableiten könne, daß er insoweit für jede Veruntreuung bei dem Organ haftbar gemacht werden könne.

166 Das Gericht stellt fest, daß der Kläger das Vorliegen der Tatsachen hinsichtlich der Eröffnung des Anlagekontos auf Sicht Nr. 1777912 bei der Midland Bank, wie sie im Teil "Überblick über die Verwaltung der Bankkonten bei der Midland Bank London" dieses Urteils dargestellt sind, nicht bestreitet. Wie dort ausgeführt wird, ist das betreffende Bankkonto aufgrund eines vom Zahlstellenverwalter, Herrn Offermann, und einer Beamtin der Abteilung "Kasse, Zahlungsverkehr und Buchhaltung", Fräulein Cesaratto, unterzeichneten Schreibens eröffnet worden. Der Kläger beanstandet dagegen die rechtliche Würdigung dieser Tatsachen durch die Anstellungsbehörde und beruft sich darauf, daß nach den anzuwendenden Vorschriften der Haushaltsordnung und der Durchführungsbestimmungen die Verantwortung für die Führung der Konten der Zahlstelle bei Herrn Offermann gelegen habe. Die Disziplinarentscheidung sei daher rechtsfehlerhaft, weil sie ausser acht lasse, daß Herr Offermann als Zahlstellenverwalter ausschließlich für Eröffnung und Verwaltung des streitigen Kontos verantwortlich gewesen sei.

167 Es ist darauf hinzuweisen, daß die jeweiligen Zuständigkeiten und Aufgaben des Rechnungsführers und des Zahlstellenverwalters bezueglich der Verwaltung einer Zahlstelle insbesondere in den Artikeln 17 Absatz 3, 20, 49, 63 und 70 der Haushaltsordnung sowie in den Artikeln 46 bis 54 der zur Zeit der streitigen Ereignisse geltenden Durchführungsbestimmungen geregelt sind. Nach diesen Vorschriften ist die Errichtung und folglich auch die Änderung einer Zahlstelle Gegenstand einer Entscheidung der Haushaltsbehörden. Der Zahlstellenverwalter führt über die Mittel der Zahlstelle und die geleisteten Ausgaben Buch nach Weisungen des Rechnungsführers, dem gegenüber er für die Ausführung der Zahlungen verantwortlich ist. Die Rolle des Rechnungsführers, die Einziehungen und Zahlungen des Parlaments sicherzustellen, beschränkt sich, soweit es um die Verwaltung der Zahlstelle geht, nicht auf die Erteilung von Weisungen. Der Rechnungsführer hat durch unvorhergesehene Kontrollen, im allgemeinen an Ort und Stelle, das Vorhandensein der den Zahlstellenverwaltern anvertrauten Mittel und die Buchführung zu überprüfen.

168 Aus dieser Verteilung der Aufgaben auf Rechnungsführer und Zahlstellenverwalter folgt, daß der letztgenannte in erster Linie die Verantwortung für die Verwaltung der Zahlstelle trägt und von seiner Verantwortung nur für den Fall entbunden sein kann, daß er gegenteilige Weisungen des Rechnungsführers erhalten hat. Demgegenüber ist der Rechnungsführer mitverantwortlich, wenn er in Kenntnis etwaiger Unregelmässigkeiten nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift oder es unterlässt, gewöhnliche wie auch aussergewöhnliche Kontrollen der Buchführung der Zahlstelle vorzunehmen.

169 Vorliegend ergibt sich aus den zu den Akten gereichten Unterlagen, daß der Kläger durch Herrn Offermann von Anfang an über die Eröffnung des streitigen Kontos informiert worden ist. Dies wird vom Kläger nicht bestritten. Die Verantwortung für diese Entscheidung trifft mithin zwar in einem ersten Stadium den Zahlstellenverwalter, doch ist der Kläger als mitverantwortlich für alle Unregelmässigkeiten in bezug auf die Eröffnung dieses Kontos anzusehen, also für die fehlende Genehmigung seitens der Haushaltsbehörden im Hinblick auf die Abänderung der Bankbedingungen zwischen Parlament und Midland Bank, für die unterlassene Mitteilung von dieser Eröffnung an die zuständigen Stellen des Parlaments und für die Nichtverbuchung der damit zusammenhängenden Vorgänge sowie der entsprechenden Zinsen in den Büchern des Parlaments.

170 Die Tatsache, daß gegen den Zahlstellenverwalter am Ende des gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens keine Disziplinarstrafe verhängt worden ist, kann keinerlei Auswirkungen auf die Rechtmässigkeit der gegen den Kläger verhängten Disziplinarmaßnahme haben, da jedes Disziplinarverfahren selbständig ist. Unter diesem Blickwinkel lässt sich eine Übereinstimmung der tatsächlichen Feststellungen in den Stellungnahmen erkennen, die der Disziplinarrat in den beiden Verfahren abgegeben hat. Ein Unterschied besteht lediglich in der Würdigung der festgestellten Tatsachen. Im Rahmen des gegen Herrn Offermann eingeleiteten Verfahrens haben die Disziplinarbehörden die Auffassung vertreten, daß die Verantwortung für sein Verhalten seinen Vorgesetzten, d. h. den Kläger, treffe, während im Rahmen des gegen diesen eingeleiteten Verfahrens der Disziplinarrat sowohl die Verantwortung des Klägers als auch die von Herrn Offermann festgestellt hat (Nr. 222 der mit Gründen versehenen Stellungnahme). Jedenfalls könnte sich der Kläger, selbst wenn anzunehmen wäre, daß die gegenüber dem Zahlstellenverwalter getroffene Entscheidung der Anstellungsbehörde rechtswidrig war, nicht auf eine zugunsten eines anderen begangene Rechtswidrigkeit berufen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache 134/84, Williams/Rechnungshof, Slg. 1985, 2229).

171 Was die Frage des angeblichen Verschweigens des neuen Kontos seitens des Klägers gegenüber seinen Vorgesetzten sowie die Frage der etwaigen Verantwortung des Finanzkontrolleurs angeht, so kann die Auseinandersetzung zwischen den Parteien in der Erwiderung und der Gegenerwiderung nicht als entscheidungserheblich betrachtet werden. Wie nämlich die Antworten auf diese Fragen auch immer lauten mögen, sie könnten auf keinen Fall dazu führen, den Kläger von seiner Verantwortung zu entbinden, die wesentlich darauf beruht, daß er als Rechnungsführer des Organs nicht rechtzeitig eine Verbuchung der betreffenden Vorgänge vorgenommen hat.

172 Weiterhin ist festzustellen, daß sich aus den zu den Akten gereichten Unterlagen in keiner Weise ergibt, daß der Anweisungsbefugte oder der Finanzkontrolleur Kenntnis von der Eröffnung des streitigen Bankkontos gehabt hätte. Im Gegenteil lassen, worauf der Disziplinarrat in seiner mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 27. November 1987 (Nrn. 146 bis 154) hingewiesen hat, zwei Dokumente in den Akten die Annahme zu, daß diesen beiden Vorgesetzten des Klägers das Anlagekonto bei der Midland Bank unbekannt war. Es handelt sich um eine Note des Klägers vom 5. Juni 1981 an Herrn Paludan-Müller, seinerzeit Direktor für Finanzen und Anweisungsbefugter, und um eine Note von Herrn Etien, seinerzeit Finanzkontrolleur, vom 22. Januar 1982 an den Kläger. In der ersten Note weist der Kläger seinen Direktor darauf hin, daß das Parlament lediglich Kontokorrentkonten habe, und legt zugleich in der Anlage eine Liste der Bankkonten des Parlaments vor. Bei der Midland Bank ist das Kontokorrentkonto Nr. 618094 mit einem durchschnittlichen Saldo von 100 000 UKL angeführt, an keiner Stelle aber das Anlagekonto Nr. 1777912 erwähnt, auf dem damals ein Betrag von 400 000 UKL stand. In der zweiten Note bringt der Finanzkontrolleur sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß das Konto der Zahlstelle der Abgeordneten bei der Midland Bank Kosten verursache, ohne Zinsen zu tragen. Auf dieser Note findet sich ein handschriftlicher Vermerk von Herrn Paludan-Müller, in dem er den Kläger auffordert, mit der Midland Bank die Möglichkeit zu erörtern, dem Parlament Kosten zu ersparen und gegebenenfalls Zinsen zukommen zu lassen.

173 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der erste Teil dieses Klagegrundes zurückzuweisen ist.

Vorwurf der Verletzung der Pflicht zu ordnungsgemässer Verwaltung der Zahlungsermächtigungen

174 Vor der Darlegung seiner Argumente zum Vorwurf der Einziehung zweier auf die Midland Bank gezogener Schecks führt der Kläger die darauf bezuegliche Passage der angefochtenen Entscheidung an, die lautet: "... mit der Einziehung dieser beiden Schecks ohne präzisen, triftigen Grund,... mit der Unterlassung der Eintragung der Einzahlung bei der Kasse in Luxemburg in den 'Kontenblättern - Kassenauszuegen' ,... mit der Unterlassung der sofortigen Verbuchung der Einziehung dieser Schecks... hat Herr de Compte gegen seine Pflichten zur ordnungsgemässen Verwaltung der Zahlungsermächtigungen verstossen..."

175 Der Kläger versteht diesen Vorwurf dahin, daß ihm lediglich angelastet wird, nicht sofort die erforderlichen Buchungen bezueglich der Einziehung der beiden Schecks vorgenommen zu haben. In seiner Klageschrift weist er diesen Vorwurf, den er als "Nicht-Sofortbuchung" einstuft, unter Hinweis auf den erwähnten Bericht Saby zurück, der die Unzulänglichkeit der Personal- und Sachmittel im Zeitraum 1978 bis 1982, die Zusatzarbeit infolge der Ablehnung des Haushalts 1980 und die die Arbeitslast der Rechnungsführung erhöhenden Auswirkungen der im Juni 1979 durchgeführten allgemeinen Wahlen zum Europäischen Parlament festhalte, die zu einer Verdoppelung der Zahl der Abgeordneten sowie zu einem erheblichen Anstieg der Zahl der Beamten geführt habe. Der Kläger macht ferner geltend, der Disziplinarrat habe in seiner mit Gründen versehenen Stellungnahme als mildernde Umstände "die schlechte allgemeine Organisation der Finanzdienststellen des Parlaments zur damaligen Zeit und die Unzulänglichkeit der Sach- und Personalmittel" anerkannt, und hält es daher für widersprüchlich, eine solche Feststellung zu treffen und ihm zugleich eine Verspätung bei der Verbuchung der beiden Schecks anzulasten.

176 In seiner Erwiderung weist der Kläger darauf hin, daß er beschuldigt werde, seiner Pflicht zur Verwaltung zu einem Zeitpunkt nicht nachgekommen zu sein, zu dem ihm bezueglich der Abgeordnetenkasse eine solche Pflicht nicht oblegen habe, wie sich aus Artikel 51 der Durchführungsbestimmungen ergebe. Die fragliche Buchung hätte dagegen vom Zahlstellenverwalter ausgeführt werden müssen, weil es sich um Schecks gehandelt habe, die auf ein Konto der Zahlstelle für die Abgeordneten gezogen gewesen seien und deren Gegenwert in die "Kasse BFR" der Zahlstelle in Luxemburg eingezahlt worden sei. Dieser müsse daher für diese Verfehlung zur Verantwortung gezogen werden. Im übrigen sei es ohne Bedeutung, daß der Kläger tatsächlich bezueglich der Ausstellung und der Einziehung dieser Schecks Weisungen erteilt habe.

177 Der Beklagte macht geltend, das Fehlen von Buchungen sei in keiner Weise auf unzureichende Personal- und Sachmittel zurückzuführen, sondern auf die schwere Verfehlung des Klägers. Zur Stützung seiner Auffassung erinnert er zunächst an den unbestrittenen Ablauf der Geschehnisse. Am 4. September und 11. November 1981 habe die Bank Sogenal in Luxemburg dem Kläger auf dessen Anweisung hin in drei Währungen (BFR, DM, FF) einen Gesamtbetrag von 4 136 125 BFR als Gegenleistung für zwei auf die Midland Bank gezogene Schecks in bar ausgezahlt. Der Kläger habe zunächst versucht, diese Schecks auf das von ihm bei der Midland Bank eröffnete Anlagekonto zu ziehen, doch habe die Bank ihre Einlösung verweigert, weil dieses Konto nicht zur Ausstellung von Schecks berechtige. Die beiden Schecks seien daher dem ursprünglichen Kontokorrentkonto belastet worden. Das Parlament bestreitet die Behauptung des Klägers, daß der bare Gegenwert dieser Schecks sofort, noch am Tag ihrer Einziehung in den Tresor in Luxemburg gelangt sei. Wenn dies der Fall gewesen wäre, erklärt das Parlament, hätte er sich gemäß Artikel 25 der Haushaltsordnung eine Quittung ausstellen lassen müssen. Darüber hinaus hätte eine Reihe von Buchungen sofort vorgenommen werden müssen, doch sei keiner dieser Vorgänge erfolgt.

178 Nach Meinung des Beklagten hat der Kläger persönlich die beiden Schecks bei der Bank Sogenal eingezogen und das Geld persönlich in die Kasse gelegt, ohne daß entsprechende Buchungen in den Kassenauszuegen oder den Kontenblättern Kasse oder Bank vorgenommen worden wären. Erst mehr als sechs Monate nach der ersten Einziehung, das heisst am 28. Februar 1982 (einem Sonntag), seien in der Rechnungsführung zwei Buchungen in Höhe eines die beiden Scheckbeträge umfassenden Gesamtbetrags in belgischen Franken erfolgt, ohne daß diese Mittel jemals in dem Kassenbuch verbucht worden seien, das die Kassenbestände im Tresor begleite. Ob die Buchung am 28. Februar 1982 oder, wie der Rechnungshof meine, zu einem Zeitpunkt nach dem 18. März 1982 erfolgt sei, ändere an der Bedeutung der Verspätung nichts. Das Parlament weist ferner darauf hin, daß eine Bareinlage von 4 136 125 BFR in seine Kassen in Luxemburg ohne irgendeine Verbuchung spätestens am Ende des Jahres beim Vergleich zwischen dem Kassenbuch und der Zählung der Barmittel zu einem Ungleichgewicht hätte führen müssen. Dieses Ungleichgewicht sei aber erst nach Verbuchung der beiden Schecks eingetreten und das Gegenteil von dem gewesen, das hätte festgestellt werden müssen, wenn der Gegenwert der beiden Schecks sofort ohne Verbuchung in die Kasse eingelegt worden wäre. Der Beklagte macht schließlich geltend, daß aufgrund der anwendbaren Buchungsverfahren neben der Buchung der Zahlstelle die der allgemeinen Rechnungsführung hätte erfolgen müssen. Auch die Zinsen auf das Guthaben des Kontos bei der Midland Bank hätten in der allgemeinen Rechnungsführung verbucht werden müssen, selbst wenn es sich um die Zahlstelle gehandelt habe; nichts dergleichen sei aber geschehen, was eine Verletzung des Artikels 63 der Haushaltsordnung darstelle. Der Kläger habe damit ein äusserst schweres Vergehen begangen.

179 Was das zu seiner Entlastung vorgebrachte Argument des Klägers im Zusammenhang mit der schlechten allgemeinen Organisation der Finanzdienststellen des Parlaments und die darauf bezueglichen Hinweise im Bericht Saby betrifft, so weist der Beklagte zunächst darauf hin, daß dieser Bericht nie vom Parlament verabschiedet worden sei. Im übrigen könne die schlechte allgemeine Organisation der Dienststellen höchstens einen mildernden Umstand, aber nicht einen Rechtfertigungsgrund für den Kläger darstellen.

180 Nach Auffassung des Gerichts ist die Entwicklung der Argumentation des Klägers auf zwei wesentliche Punkte ausgerichtet: erstens darauf, daß die Verspätung von sechs Monaten bei der Verbuchung der Einziehung der beiden Schecks auf die schlechte Organisation der Finanzdienststellen des Parlaments zurückzuführen sei, und zweitens darauf, daß die Verantwortung für die betreffende Verbuchung beim Zahlstellenverwalter gelegen habe, weil es sich um Schecks gehandelt habe, die auf das Bankkonto einer Zahlstelle gezogen worden seien.

181 Zum ersten Punkt ist vorab festzustellen, daß der Kläger zu Unrecht den Umfang des gegen ihn erhobenen Vorwurfs auf die "Nicht-Sofortbuchung" der beiden Schecks beschränkt. In der Disziplinarentscheidung wird ihm nämlich auch angelastet, diese beiden Schecks ohne präzisen, triftigen Grund eingezogen und eine Verbuchung der Abhebung in den "Kontenblättern - Kassenauszuegen" der Kasse des Parlaments in Luxemburg in den drei Währungen, in denen sie erfolgt war, unterlassen zu haben.

182 Bezueglich der Begründetheit der Argumentation des Klägers ist darauf hinzuweisen, daß die Tatsache, daß in der Disziplinarentscheidung die schlechte Organisation der Finanzdienststellen des Parlaments zur maßgebenden Zeit sowie die seinerzeit bestehende Unzulänglichkeit der Personal- und Sachmittel als mildernde Umstände berücksichtigt werden, nicht als ein Widerspruch zur Bekräftigung der Pflicht des Klägers, die Zahlungsermächtigungen ordnungsgemäß zu verwalten, betrachtet werden kann. Die vom Kläger dargelegten und von den Disziplinarstellen berücksichtigten Umstände können ebenfalls, soweit es diesen Vorwurf gegen den Kläger betrifft, insoweit keinen Rechtfertigungsgrund darstellen, als die Verspätung bei der Verbuchung der beiden Schecks von einer Reihe weiterer Verfehlungen bei deren Einziehung begleitet war. Das Gericht ist ferner der Auffassung, daß die höhere Stellung, die der Kläger innerhalb der Finanzdienststellen bekleidete, es ihm nicht erlaubt, sich auf die materiellen Schwierigkeiten, die dort zu einer bestimmten Zeit möglicherweise geherrscht haben, zu berufen, um sich von jeder Verantwortung zu befreien.

183 Was den zweiten Punkt, das heisst die angebliche ausschließliche Verantwortung des Zahlstellenverwalters, betrifft, auf die sich der Kläger in seiner Erwiderung berufen hat, so braucht nur auf die vorstehend zu dem vorhergehenden Vorwurf dargelegten Erwägungen verwiesen zu werden. Dem ist noch hinzuzufügen, daß der Kläger viel stärker an den Verfehlungen im Zusammenhang mit der Einziehung der beiden Schecks als an denen im Zusammenhang mit der Eröffnung des Kontos beteiligt war.

184 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß auch der zweite Teil dieses Klagegrundes zurückgewiesen werden muß.

Vorwurf der Verletzung der Pflicht zur Tätigung von Ausgaben nur bei Vorlage ordnungsgemässer Belege und zur Aufbewahrung dieser Belege

185 Der Kläger meint unter Bezugnahme auf die Argumente, die er während des Disziplinarverfahrens in seiner vorläufigen Schrift vom 29. Oktober 1987 und der technischen Anlage dazu dargelegt hat, nachgewiesen zu haben, daß der fragliche Vorwurf auf einer Vermengung seitens der Anstellungsbehörde zwischen dem Gegenwert der beiden Schecks in belgischen Franken, für die Belege durchaus vorlägen, und einer im August 1982 festgestellten Differenz zwischen der Kasse der Zahlstelle und der Hilfsbuchhaltung beruhe. Diese Differenz sei aus einer Reihe von kohärenten technischen Gründen, die nicht notwendigerweise mit dem Fehlen von Belegen zusammenhingen, erklärbar. Auch habe er in der genannten vorläufigen Schrift in rechtlicher Hinsicht nachgewiesen, daß die Pflicht, Ausgaben nur bei Vorlage ordnungsgemässer Belege zu tätigen und diese Belege aufzubewahren, bei einer Zahlstelle in den Verantwortungsbereich des Zahlstellenverwalters und nicht in den des Rechnungsführers falle. Er fügt insoweit hinzu, man werfe ihm die Verletzung bestimmter Pflichten vor, für die der Zahlstellenverwalter nicht dem Rechnungsführer, sondern dem Anweisungsbefugten Rechenschaft abzulegen habe.

186 Hilfsweise bringt der Kläger vor, die vorliegende Angelegenheit sei ursprünglich auf ein irriges Postulat zurückgegangen und die folgenden Abläufe hätten in dem Versuch bestanden, die Tatsachen mit diesem Postulat in Einklang zu bringen. Das Gutachten des Rechnungshofs vom 7. November 1985 in der vorliegenden Angelegenheit erläutere die Bedeutung dieses Postulats und liefere den Beweis dafür, soweit dort zu lesen sei: "Die Einziehung dieser Beträge (der beiden Schecks) durch den Kassenführer ohne entsprechende Buchung hätte zu einem Kassenüberschuß in gleicher Höhe führen müssen. Die Kassenprüfung, die der Rechnungshof im März 1982 vorgenommen hat, hat indessen keine wesentliche Differenz erkennen lassen, was die Annahme zulässt, daß vor Einziehung der Schecks bereits ein Defizit von etwa 4,1 Millionen BFR bestand..." Nach Meinung des Klägers ist dieses Postulat irrig, weil der Schluß (angebliches Defizit von 4 Millionen BFR) nicht zu den Prämissen (nicht verbuchte Einziehung der beiden Schecks im Gesamtbetrag von 4 Millionen BFR und Kasse "Ausgeglichen" am 31. Dezember 1981) passe. Diese Beurteilung setze voraus, daß die Verspätung bei den Verbuchungsvorgängen nur die Verbuchung der beiden Schecks betreffe. Der Kläger sehe aber nicht, weshalb grundsätzlich die verspätete Verbuchung nicht global habe sein können. Er fügt in tatsächlicher Hinsicht hinzu, daß unabhängig vom allgemeinen Zusammenhang es einen Abstand zwischen den Zahlungen und ihrer Verbuchung gegeben habe und notwendigerweise habe geben müssen. Daraus folge, daß eine Verspätung bei der Verbuchung von Ausgaben genügen könne, um die Beurteilung, die der vorliegenden Angelegeheit zugrunde liege, zunichte zu machen. Der Kläger bezieht sich zur Stützung dieses Arguments auf eine Note von Herrn Overstall, seinerzeit dem Direktor für Finanzen unterstellter Finanzkontrolleur, vom 8. Februar 1985, wonach die Differenz zwischen dem Bestand der Kasse der Zahlstelle der Abgeordneten und der Hilfsbuchhaltung der gleichen Zahlstelle unter anderem auf eine Ansammlung nachträglich abgerechneter Einnahmen und Ausgaben zurückzuführen sei.

187 Der Kläger ist im übrigen der Auffassung, daß es Sache der Anstellungsbehörde sei, in technischer Hinsicht die Beschuldigung zu belegen, wonach der Verlust der Belege ihm allein zuzurechnen sei. Diese Beweisführung sei aber nicht erfolgt. Der Kläger meint, daß er, wenn er freien Zugang zur Buchhaltung gehabt hätte, den Beweis hätte erbringen können, daß jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Versetzung, am 30. April 1982, die kontinuierlich numerierten Anordnungen für Ausgaben, Einnahmen und Abrechnungen insgesamt vorhanden gewesen seien. Seiner Meinung nach hat die ihm angelastete Differenz in der Rechnungsführung ihrer Ursache und Natur nach mit dem seinerzeit geltenden Buchungssystem zusammengehangen und ein dauerhaftes und strukturelles Faktum dargestellt.

188 Der Kläger wendet sich sodann der Frage in bezug auf seine Note vom 30. März 1982 an den Präsidenten des Parlaments zu und räumt ein, daß darin ein Betrag von 4 121 573 BFR erwähnt sei, der nicht als Ausgabe verbucht worden sei. Er möchte jedoch unterstreichen, daß dieser Betrag nicht dem Gesamtwert der beiden streitigen Schecks entspreche und die Auseinandersetzung sich nicht auf denselben Gegenstand beziehe. Als der Rechnungshof ein Kassendefizit von 4 Millionen BFR festgestellt habe, habe es sich nach dem von diesem zugrunde gelegten Postulat um eine angebliche Abweichung zwischen dem Bestand der "Kassen BFR" und den Auszuegen dieser Kassen vor Einziehung der Schecks gehandelt. In seiner Note hingegen sei es um eine Abweichung zwischen den "Kassen BFR" und der Hilfsbuchhaltung der Zahlstelle gegangen, d. h. um eine mit dem System zusammenhängende strukturelle Abweichung. Der von ihm aufgezeigte Unterschied hätte analysiert werden müssen, was aber gerade niemals geschehen sei.

189 Bezueglich der von den Verwaltungsdienststellen erstellten Bilanz des Kontenstands zum 30. April 1982 macht der Kläger geltend, sie sei einseitig und ohne sein Wissen und nach seiner Versetzung entstanden. Sie könne ihm daher nicht entgegengehalten werden und nicht an die Stelle der unerläßlichen Rechnungslegung treten, die am Tag seiner Versetzung, also am 30. April 1982, hätte stattfinden müssen.

190 Hilfsweise bringt der Kläger vor, zumindest bestehe ein Zweifel bezueglich dieses Vorwurfs und die angefochtene Entscheidung habe den Grundsatz "in dubio pro reo" missachtet.

191 Der Beklagte weist erstens das Argument des Klägers als unzutreffend zurück, wonach die Abweichung von 4,1 Millionen BFR in der Buchführung mehrere Monate nach seiner Versetzung festgestellt worden sei. Er beruft sich zur Stützung seiner These der Reihe nach auf die Note des Klägers vom 30. März 1982 an den Präsidenten des Parlaments, in der der Kläger auf das Fehlen von Belegen für einen Betrag von etwa 4,1 Millionen BFR hingewiesen habe, auf die Bilanz des Kontenstands durch die Dienststellen der Verwaltung nach der Versetzung des Klägers, die ein Defizit in Höhe des Gegenwerts der beiden eingezogenen Schecks ausgewiesen habe, auf das Gutachten des Rechnungshofs vom 7. November 1985, in dem festgestellt worden sei, daß schon im November 1981 ein Defizit in Höhe von 4,1 Millionen BFR habe sichtbar werden müssen, und auf den Beschluß des Parlaments vom 11. Juli 1986 mit der Angabe, daß ein vor dem 30. April 1982 festgestellter Unterschied von 4 136 125 BFR in den Buchungsunterlagen des Parlaments eingetragen worden sei.

192 Der Beklagte weist zweitens das Argument des Klägers als unzutreffend zurück, daß kein Beweis dafür erbracht worden sei, daß der Unterschied von 4,1 Millionen BFR auf einen ihm zuzurechnenden Verlust von Belegen zurückzuführen sei. Herr Young, der Nachfolger des Klägers als Rechnungsführer, und Herr De Poortere, der Leiter der Dienststelle für parlamentarische Vergütungen, hätten schriftlich und mündlich auf die Fragen des Disziplinarrats zu den insoweit vom Kläger aufgeworfenen Problemen geantwortet und die Buchhaltungsabteilung sei bei jedem Einspruch des Klägers bezueglich der Erklärung von Zahlen oder Dokumenten in der Lage gewesen, nachzuweisen, daß Belege nur für die Summe gefehlt hätten, die den Beträgen der beiden auf die Midland Bank gezogenen Schecks entsprochen hätten. Das Parlament macht weiterhin geltend, daß die genaue Übereinstimmung zwischen dem Betrag der Schecks und dem des Defizits nur relative Bedeutung habe, sobald ein unstreitiges Defizit bestehe. Dem Kläger werde nämlich vorgeworfen, daß er keine Belege aufbewahrt habe, nicht aber, daß er das Defizit mit Hilfe der beiden Schecks ausgeglichen habe.

193 Was die Verteilung der Verantwortung auf Rechnungsführer und Zahlstellenverwalter bezueglich der Pflicht zur Aufbewahrung der Belege anbelangt, so wirft der Beklagte dem Kläger vor, bei seiner Analyse die eigene Verantwortung des Rechnungsführers verkannt zu haben. Die Barauszahlungen der Bank Sogenal in Luxemburg am 4. September und 11. November 1981 seien an den Rechnungsführer persönlich erfolgt. Aus diesem Grund habe nach seiner Ansicht der Disziplinarrat in der Sache Offermann eine Verantwortung des Zahlstellenverwalters nicht festgestellt. Der Rat habe den Umstand als entscheidend angesehen, daß der Zahlstellenverwalter "niemals die vollständig ausgefuellten, das heisst mit einer zweiten Unterschrift und der Schecksumme versehenen Schecks" gesehen habe und "Herr de Compte erklärt hat, er habe selbst die betreffenden Vorgänge verbucht und die Einzahlung der Mittel in die verschiedenen Kassen vorgenommen" (Nr. 63 der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats in der Sache Offermann). Nach Auffassung des Beklagten gründet sich die Verantwortung des Klägers auf die Artikel 17, 20 und 70 Absatz 1 der Haushaltsordnung.

194 Der Beklagte legt ausserdem in seiner Gegenerwiderung dar, daß mangels jeder Erklärung des betreffenden Defizits seitens des Klägers die folgende ihm am plausibelsten erscheine. Er erinnert daran, daß bei der Kontrolle der Abgeordnetenkasse durch den Rechnungshof am 18. März 1982 der zuständige Prüfer einen Mehrbetrag von 14 552 BFR festgestellt und dazu notiert habe: "zu belegende Abweichung", und weist darauf hin, daß bei Abzug dieser Summe von dem offiziell am 28. Februar 1982 auf dem Kontenblatt "Kasse BFR", in Wirklichkeit aber, laut Rechnungshof, später als am 18. März 1982 verbuchten Betrag von 4 136 125 BFR sich ein Betrag von 4 121 573 BFR ergebe, der genau dem entspreche, den der Kläger in seiner Note vom 30. März 1982 als nichtverbuchte Ausgabe anerkannt habe.

195 Das Gericht stellt fest, daß die Argumentation der Parteien zu diesem Vorwurf im wesentlichen zwei Fragen betrifft, nämlich in erster Linie die, ob rechtlich der Beweis gelungen ist, daß das Defizit in Höhe von 4,1 Millionen BFR, das in der Abgeordnetenkasse festgestellt wurde und für das Belege fehlen, auf die Buchung zurückzuführen ist, mit der die Einziehung der beiden auf die Midland Bank gezogenen Schecks in Höhe eines Gesamtbetrags in belgischen Franken festgehalten wurde, und in zweiter Linie die, ob die Pflicht und dementsprechend die Verantwortung im Rahmen einer Zahlstelle, Ausgaben nur gegen Vorlage von Belegen vorzunehmen und diese Belege aufzubewahren, den Zahlstellenverwalter oder den Rechnungsführer treffen.

196 Zur ersten Frage ist darauf hinzuweisen, daß die Anstellungsbehörde sich zur Begründung der Schlußfolgerung, zu der sie in ihrer Disziplinarentscheidung gelangt ist, auf folgende Feststellungen gestützt hat. Der Saldo des Kontos "Kasse BFR" am Ende des Haushaltsjahres 1981 entsprach dem Saldo auf dem Kontenblatt "Kasse BFR" zum Zeitpunkt der Kontrolle durch den Rechnungshof am 18. März 1982. Die Bücher des Parlaments zeigen, daß am 28. Februar 1982 eine Buchung über 4 136 125 BFR entsprechend dem Gesamtbetrag der beiden auf die Midland Bank gezogenen Schecks in BFR erfolgt ist. Der Rechnungshof stellt in Abrede, daß diese Buchung am 28. Februar 1982 habe erfolgt sein können, weil sie bei der Kontrolle der Abgeordnetenkasse im März 1982 nicht vorhanden gewesen sei. Diese Buchung ließ ein Ungleichgewicht zwischen den Konten "Kontenblätter - Midland Bank" und "Kasse BFR" einerseits und dem Kassenbuch, das über den Bestand im Tresor geführt wird, andererseits erkennen. Dieses Ungleichgewicht stellt ein Kassendefizit in gleicher Höhe, also von 4 136 125 BFR, dar, dessen Vorhandensein vom Rechnungshof, durch die internen Kontrollen des Parlaments und durch den Entlastungsbeschluß des Parlaments vom 11. Juli 1986 für das Haushaltsjahr 1982 bestätigt wurde. In seinem Schreiben vom 30. März 1982 an den Präsidenten des Parlaments hat der Kläger die Nichtverbuchung des Betrags von 4 121 573 BFR als Ausgaben anerkannt. Der Kläger, der als Rechnungsführer jeden Kassenvorgang nachweisen musste, hat weder einen Beleg für die Auszahlung eines dem Kassendefizit entsprechenden Betrags vorgelegt noch die Herkunft dieses Defizits erklärt.

197 Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß der Disziplinarrat in seiner mit Gründen versehenen Stellungnahme, der die Anstellungsbehörde gefolgt ist, dargelegt hat, daß er sich bei seinen Beratungen mit zwei widersprüchlichen Thesen konfrontiert sah. Die erste erklärte die Herkunft der Differenz zwischen der Kasse und der allgemeinen Rechnungsführung, indem sie sie mit der Einziehung der beiden Schecks der Midland Bank in Verbindung brachte; die zweite schloß diesen Zusammenhang aus und nahm an, daß das Defizit von einer ganzen Reihe zusammentreffender Buchungsfehler herrühre. Der Disziplinarrat hat angegeben, daß er eine Liste mit Fragen an Herrn Young, Rechnungsführer des Parlaments, und Herrn De Poortere, Leiter der Dienststelle für parlamentarische Vergütungen, gerichtet habe, um die verschiedenen vom Kläger in seiner vorläufigen Verteidigungsschrift bezueglich der Herkunft des Defizits aufgeworfenen Probleme zu klären. Herr Young und Herr De Poortere haben auf diese Fragen schriftlich geantwortet und sind dann in Gegenwart der Verteidigung angehört worden. Der Disziplinarrat hat bekräftigt, daß bei jedem Einspruch aus Auslaß der Darstellung oder Erklärung von Zahlen oder Dokumenten die Dienststelle Buchhaltung in der Lage war, nachzuweisen, daß "Belege nur für die Summe (fehlten), die den Beträgen der beiden Schecks der Midland Bank entsprachen". Der Disziplinarrat hat ebenfalls bekräftigt, daß der Kläger nie in der Lage gewesen ist, überzeugend die Gründe zu erklären, die die Feststellung erlaubt hätten, daß das ermittelte Defizit nicht im Zusammenhang mit den beiden Schecks stand. Der Disziplinarrat hat eingeräumt, daß es schwierig sei, aus der etwaigen Koinzidenz zwischen der festgestellten Differenz und dem Betrag der beiden Schecks einen Schluß zu ziehen, und führt insoweit die Bemerkung des Vertreters des Rechnungshofs bei seiner Anhörung an, daß selbst eine genaue Übereinstimmung zwischen diesen beiden Beträgen nicht mit absoluter Sicherheit den Schluß zulasse, daß das Defizit von der Einziehung der beiden Schecks herrühre. Schließlich hat der Disziplinarrat bekräftigt, daß er die Feststellungen des Rechnungshofs, die nachträglich durchgeführten internen Kontrollen und den Entlastungsbeschluß des Parlaments vom 11. Juli 1986 für das Haushaltsjahr 1982 zur Kenntnis genommen habe, und ausserdem erwähnt, daß der Rechnungsführer des Organs keine Belege für ein festgestelltes Defizit in Höhe von 4,1 Millionen BFR habe liefern können.

198 Ferner ist daran zu erinnern, daß der Rechnungshof im Juli 1981 mit der Prüfung der Abgeordnetenkasse des Parlaments begonnen hatte. Das Ergebnis dieser Prüfung war Gegenstand einer Note vom 29. Oktober 1981 und eines Sonderberichts vom 6. Juli 1982. Die Feststellungen in der Note verwiesen auf die ungewöhnliche Unordnung innerhalb der Zahlstelle für die Abgeordneten und das fast völlige Fehlen einer Kontrolle seitens des Rechnungsführers und des Finanzkontrolleurs. In seinem Sonderbericht hatte der Rechnungshof Gelegenheit, unter anderen bei der Verwaltung der Abgeordnetenkasse festgestellten Unregelmässigkeiten auch zu erwähnen, daß zwei Schecks über 35 176,98 und 17 189,15 UKL in bar eingelöst worden waren, ohne daß dieser Vorgang sich in den Konten der Zahlstelle hätte auffinden lassen.

199 Unter diesem Blickwinkel ist hinzuzufügen, daß der Präsident des Parlaments mit Schreiben vom 24. Juli 1985 den Rechnungshof im Namen des Ausschusses für Haushaltskontrolle ersucht hat, ein neues Gutachten über das Defizit der Abgeordnetenkasse abzugeben. Der Rechnungshof hat in seinem Gutachten vom 7. November 1985 sämtliche von ihm bei seiner Kontrolle festgestellten erheblichen Tatsachen sowie die möglicherweise hieraus zu ziehenden Schlüsse überprüft. Die wesentlichen Punkte seiner Schlußfolgerungen sind die nachstehenden. Seit spätestens November 1981 bestand in der Rechnungsführung der Abgeordnetenkasse ein Defizit in Höhe von 4,1 Millionen BFR, das dem Betrag der Schecks entsprach, die im September und November 1981 in UKL ausgestellt worden waren. Dieses Defizit wurde nicht sofort bei Erstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1981 und auch nicht bei der Kontrolle durch den Rechnungshof am 18. März 1982 festgestellt, weil der Einzug der beiden auf die Midland Bank gezogenen Schecks in den Büchern des Parlaments nicht verbucht worden war. Erst nach Verbuchung der betreffenden Vorgänge wurde das Defizit sichtbar. Der Rechnungshof vertrat die Auffassung, Rechnungsführer und Zahlstellenverwalter seien für die Situation der Abgeordnetenkasse verantwortlich zu machen, weil sie nicht, wie dies Artikel 20 der Haushaltsordnung fordere, in angemessener Weise für die Verwahrung der Werte des Parlaments gesorgt und nicht nach den Durchführungsbestimmungen eine ausreichende Buchhaltung geführt hätten.

200 Das Gericht gelangt aufgrund der Feststellungen in den vorstehend dargestellten Aktenunterlagen zu der Schlußfolgerung, daß die Anstellungsbehörde in der angefochtenen Entscheidung einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Defizits von 4,1 Millionen BFR in der Abgeordnetenkasse und der Einziehung der beiden auf die Midland Bank gezogenen Schecks angenommen hat, wobei sie davon ausgegangen ist, daß die Verbuchung dieses Vorgangs nicht am Sonntag, dem 28. Februar 1982, sondern nach dem 18. März 1982, dem Tag, an dem der Rechnungshof eine Kontrolle vornahm, erfolgt ist. Die Anstellungsbehörde hat es für erwiesen erachtet, daß die verspätete Verbuchung der Einziehung dieser Schecks ein dem Betrag der beiden Schecks entsprechendes Defizit von 4 136 215 BFR erkennen ließ. Das Gericht ist der Auffassung, daß diese Auslegung der ihr unterbreiteten Tatsachen durch die Anstellungsbehörde eine Stütze findet in den aufeinanderfolgenden Stellungnahmen des Rechnungshofs und des Disziplinarrats, die äusserst gründliche Prüfungen und Untersuchungen vorgenommen haben, um die dem Defizit zugrunde liegenden Umstände aufzuklären.

201 Somit ist auch bei Berücksichtigung der Erklärung des Vertreters des Rechnungshofs vor dem Disziplinarrat, wonach selbst eine genaue Übereinstimmung zwischen dem festgestellten Buchungsunterschied und dem Betrag der beiden Schecks keinen absolut sicheren Schluß dahin zulasse, daß das betreffende Defizit von der Einziehung dieser Schecks herrühre, davon auszugehen, daß in der angefochtenen Entscheidung es zu Recht als erwiesen erachtet wird, daß das Fehlen von Belegen vorliegend mit der Einziehung der beiden auf die Midland Bank gezogenen Schecks im Zusammenhang steht. Demnach ist dem Kläger nicht der Nachweis gelungen, daß die angefochtene Maßnahme an einem Begründungsmangel leidet oder daß sie mit einem offensichtlichen tatsächlichen oder rechtlichen Fehler oder einem Ermessensmißbrauch behaftet ist, Begriffe, die die Grenzen der Kontrolle der Rechtmässigkeit eines Verwaltungsakts durch das mit der Anfechtungsklage angerufene Gericht darstellen.

202 Hilfsweise ist daran zu erinnern, daß der Kläger, wie in der Disziplinarentscheidung angeführt, in seiner Note vom 30. März 1982 an den Präsidenten des Parlaments die Nichtverbuchung eines Ausgabenbetrags (4 121 573 BFR), der ungefähr dem Betrag der beiden Schecks entspricht, anerkannt und die Bereinigung dieser Situation durch Erteilung einer Auszahlungsanordnung gefordert hat. Selbst wenn man der These des Klägers folgen würde, wonach dieses Defizit keinen Bezug zu der Einziehung der beiden Schecks aufwies, wäre der hieraus zu ziehende Schluß kein anderer, weil der Kläger während des gesamten Disziplinarverfahrens nicht in der Lage war, die Belege für den betreffenden Betrag namhaft zu machen. Das Gericht kann sich nicht mit der allgemeinen Behauptung des Klägers begnügen, daß der aufgezeigte Unterschied auf eine strukturelle, mit dem beim Parlament seinerzeit bestehenden System der Rechnungsführung zusammenhängende Abweichung zurückzuführen sei.

203 Was die zweite Frage angeht, nämlich ob die Pflicht und damit die Verantwortung, die Belege für die Einziehung der beiden Schecks zufzubewahren, vorliegend den Kläger oder den Zahlstellenverwalter trafen, so ist auf die Artikel 20 und 70 Absätze 1 und 2 der Haushaltsordnung sowie auf die Artikel 50 bis 53 der Durchführungsbestimmungen zu verweisen. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, daß die Verantwortung für die Vorlage und die Aufbewahrung der Belege der Zahlstelle in erster Linie dem Zahlstellenverwalter obliegt. Der Rechnungsführer, der zur Kontrolle der Buchführung der Zahlstelle und zur Erteilung von Weisungen an den Zahlstellenverwalter verpflichtet ist, wird dann mitverantwortlich, wenn er es unterlässt, geeignete Weisungen für die Aufbewahrung der Belege zu erteilen.

204 Vorliegend war der Kläger, wie bereits ausgeführt, persönlich an der Einziehung der beiden Schecks beteiligt, weil er selbst die zweite Unterschrift geleistet und nach seinen eigenen Angaben selbst die in drei Währungen einkassierten Barmittel in den Tresor des Parlaments in Luxemburg eingelegt hat. Unter diesen Umständen wird in der Disziplinarentscheidung zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger dadurch eine grobe Fahrlässigkeit begangen hat, daß er nicht in angemessener Weise für die Verwahrung der Werte des Parlaments gesorgt hat.

205 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist der vorliegende Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

Zum hilfsweisen Klagegrund der Verletzung des Artikels 86 Absatz 1 des Statuts und der Artiekl 70 Absatz 1 und 71 der Haushaltsordnung, der Missachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung, der Billigkeit und der zuteilenden Gerechtigkeit sowie eines Ermessensmißbrauchs

206 Mit diesem Klagegrund macht der Kläger hilfsweise geltend, daß zum einen nicht davon ausgegangen werden könne, daß eine Fahrlässigkeit im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 des Statuts und noch weniger eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von Artikel 70 Absatz 1 der Haushaltsordnung vorgelegen habe, und daß zum anderen er die einzige Person sei, gegen die in dieser Sache eine Disziplinarstrafe verhängt worden sei. Es handele sich hier um eine Missachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung, der Billigkeit und der zuteilenden Gerechtigkeit sowie um einen Ermessensmißbrauch.

207 Die vom Kläger hierzu vertretene These geht dahin, daß, selbst wenn man die gegen ihn erhobenen Vorwürfe für ganz oder teilweise begründet halte, diese von Rechts wegen nicht zu seiner Bestrafung führen dürften, wenn man einmal den Zusammenhang der vorliegenden Sache, der Fahrlässigkeit und erst recht grobe Fahrlässigkeit ausschließe, und zum anderen den Umstand berücksichtige, daß er, der nicht der allein Verantwortliche sei, nicht bestraft werden könne, weil die anderen möglichen Verantwortlichen auch nicht bestraft worden seien oder, mit Ausnahme von Herrn Offermann, nicht einmal ein Verfahren gegen sie eingeleitet worden sei. Er beruft sich zur Stützung dieses Arguments auf Äusserungen von Herrn Aigner, Vorsitzender des Ausschusses für Haushaltskontrolle, und von Herrn Mart, Abgeordneter des Parlaments, in den Sitzungen des Parlaments vom 11. Juli 1986 und 10. April 1984. Diesen Äusserungen zufolge sei die Hierarchie der Verantwortungen nicht beachtet worden und seien alle Vorwürfe auf eine Person konzentriert worden, während doch die Erörterungen gezeigt hätten, daß ganz einfach das System mangelhaft gewesen sei. Schließlich verweist der Kläger ein weiteres Mal auf die schlechte Organisation der Finanzdienststellen des Parlaments, auf den Umstand, daß die Verantwortung des Zahlstellenverwalters und die des Anweisungsbefugten nach seiner Ansicht die des Rechnungsführers ausschlössen, auf das Fehlen einer Verantwortung infolge der Entlastung und das Fehlen einer Rechnungslegung bei der Amtsübergabe.

208 Im übrigen ist der Kläger der Auffassung, daß er in dieser Angelegenheit, die Verantwortung auf verschiedenen Ebenen ins Spiel bringe, als "Sündenbock" betrachtet werde. Um die Sache zum Abschluß zu bringen, habe man unbedingt ein "Sühneopfer" anbieten müssen, das wegen formeller Vorwürfe verfolgt worden sei - was die Einsparung einer materiellen Untersuchung ermöglicht habe, die zu unliebsamen Überraschungen hätte führen können -, aber so bestraft worden sei, als seien diese formellen Vorwürfe ordnungsgemäß nachgewiesene materielle Vorwürfe. Mit diesem Vorgehen habe die Verwaltung also einen Ermessensmißbrauch begangen.

209 Der Beklagte entgegnet, er habe zu diesem Klagegrund nichts Neues hinzuzufügen, da die Argumentation des Klägers mit der übereinstimme, die er zu dem vorhergehenden Klagegrund bezueglich der materiellen Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung entwickelt habe, und verweist daher auf seine hierzu gegebene Antwort. Er weist jedoch kategorisch die Behauptung des Klägers zurück, daß es vorliegend "eine fanatische Suche nach einem Sündenbock" gegeben habe, und nimmt zu dieser Behauptung im übrigen auch nicht Stellung, weil sie durch keinerlei Beweise untermauert sei. Zu den Meinungsäusserungen von Herrn Aigner und Herrn Mart bemerkt der Beklagte, sie stellten keinen Beweis für den angeblichen Ermessensmißbrauch dar. Selbst wenn der Zahlstellenverwalter ebenfalls einen Teil der Verantwortung getragen habe, so mindere das die Verantwortung des Klägers doch in keiner Weise.

210 Das Gericht stellt fest, daß dieser Klagegrund aus drei Teilen besteht: erstens Verstoß gegen Artikel 86 Absatz 1 des Statuts und die Artikel 70 Absatz 1 und 71 der Haushaltsordnung, weil die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe keine grobe Fahrlässigkeit darstellten, zweitens Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung, der Billigkeit und der zuteilenden Gerechtigkeit, weil der Kläger die einzige Person sei, gegen die Disziplinarstrafen verhängt worden seien, während Zahlstellenverwalter, Anweisungsbefugter und Finanzkontrolleur nicht disziplinarisch bestraft worden seien, und drittens Ermessensmißbrauch, weil der Kläger wegen formeller Vorwürfe so bestraft worden sei, als ob diese ordnungsgemäß erhärtete materielle Vorwürfe wären.

211 Zum ersten Teil dieses Klagegrundes ist das Gericht der Auffassung, daß die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von Artikel 70 Absatz 1 der Haushaltsordnung darstellen. Denn die Unregelmässigkeiten in bezug auf die Eröffnung des streitigen Kontos bei der Midland Bank in London, wie sie in Randnr. 169 dieses Urteils dargestellt sind, die unterlassene oder die verspätete Verbuchung bestimmter Vorgänge im Zusammenhang mit der Einziehung der beiden Schecks am 4. September und 21. November 1981 sowie die Verletzung der Pflicht, Ausgaben nur bei Vorlage ordnungsgemässer Belege vorzunehmen und diese aufzubewahren, allesamt Vorwürfe, die das Gericht als begründet erachtet hat, stellen eine um so gröbere Fahrlässigkeit des Klägers dar, als dieser in seiner Eigenschaft als Rechnungsführer den ranghöchsten Posten in der Buchhaltung des Organs bekleidete.

212 Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes ist zunächst auf die vorstehenden Erwägungen dieses Urteils (Randnrn. 167 bis 172, 183 sowie 203 und 204) zu verweisen, in denen das Gericht sich zur Abgrenzung der Verantwortung des Klägers gegenüber derjenigen der anderen Beamten der Finanzdienststellen geäussert hat. Der Unterschied zwischen den Entscheidungen, die zum Abschluß der gegen den Zahlstellenverwalter und gegen den Rechnungsführer eingeleiteten Disziplinarverfahren getroffen wurden, kann im vorliegenden Rechtsstreit in Anbetracht des Grundsatzes der Unabhängigkeit jedes Disziplinarverfahrens, mit dessen Beachtung die vom Kläger herangezogenen Grundsätze der Gleichbehandlung, der Billigkeit und der zuteilenden Gerechtigkeit in Einklang zu bringen sind, keinerlei Auswirkungen haben.

213 Was schließlich den dritten Teil dieses Klagegrundes betrifft, so ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung eine Verwaltungsentscheidung nur dann ermessensmißbräuchlich ist, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, daß sie zu anderen als den angegebenen Zwecken getroffen wurde (Urteile des Gerichts vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache T-108/89, Scheuer/Kommission, Slg. 1990, II-411, und vom 23. Oktober 1990 in der Rechtssache T-46/89, Pitrone/Kommission, Slg. 1990, II-577).

214 Vorliegend ist festzustellen, daß der Kläger keine schlüssigen Beweiselemente vorgebracht hat, die den Schluß zuließen, daß die Anstellungsbehörde mit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn ein anderes Ziel als die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung des europäischen öffentlichen Dienstes im Auge gehabt hätte. Die Tatsache, daß gegen den Kläger die Strafe der Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe wegen formeller Unregelmässigkeiten verhängt worden ist, kann nicht genügen, um darzutun, daß die Verwaltung ihn, wie er behauptet, nur mit dem Ziel disziplinarisch verfolgt hat, in seiner Person ein Sühneopfer zu finden.

215 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß dieser Klagegrund in allen drei Teilen zurückzuweisen ist.

Zum Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit

216 Hoechst hilfsweise macht der Kläger geltend, daß zwischen der Bedeutung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und der Schwere der Disziplinarstrafe, die gegen ihn verhängt worden sei, ein offensichtliches Mißverhältnis bestehe.

217 Seine erste Bemerkung gilt der Schwere der Disziplinarstrafe. Nach seiner Ansicht ist die ausgesprochene Strafe - die Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe - für sich genommen eine der schwersten möglichen Strafen. Sie sei vorliegend angesichts ihres Umfangs und in Anbetracht des Alters des Klägers, der praktisch die Hoechstzahl der bei der Berechnung des Ruhegehalts zu berücksichtigenden Dienstjahre erreicht habe, noch schwerer, als es eine Entfernung aus dem Dienst unter Aufrechterhaltung des Anspruchs auf das Ruhegehalt hätte sein können. Unter diesen Umständen hätten sich die vom Disziplinarrat berücksichtigten mildernden Umstände letztlich strafverschärfend ausgewirkt. Obwohl die gegen ihn erhobenen Vorwürfe formelle und nicht materielle Vorwürfe seien, sei die ausgesprochene Strafe die, die normalerweise zu verhängen gewesen wäre, wenn er wegen eines materiellen Vorwurfs verfolgt und dieser als begründet erachtet worden wäre.

218 Eine zweite Bemerkung des Klägers gilt dem Vergleich zwischen den beiden mit Gründen versehenen Stellungnahmen des ersten und des zweiten Disziplinarrats vom 10. Februar 1984 und 27. November 1987. Er sieht eine Inkohärenz zwischen diesen beiden Stellungnahmen, weil der erste Disziplinarrat, der nicht nur die vom zweiten Disziplinarrat festgestellten, sondern noch andere Vorwürfe gegen ihn erhoben habe, die Disziplinarstrafe des Verweises empfohlen, der zweite Disziplinarrat hingegen die der Rückstufung vorgeschlagen habe. Alles sei demnach so geschehen, als ob der zweite Disziplinarrat die von der Anstellungsbehörde gewünschte Disziplinarstrafe habe vorschlagen wollen, vor allem aber, als ob die mildernden Umstände nur pro forma berücksichtigt worden seien, ohne sich tatsächlich auf den Strafvorschlag und die verhängte Strafe auszuwirken.

219 Der Beklagte entgegnet, es sei unzutreffend, daß die Anstellungsbehörde bestrebt gewesen sei, sich eine Untersuchung "in der Sache" zu ersparen, indem sie letzten Endes nur formelle Vorwürfe erhoben habe. Auch wenn die Anstellungsbehörde dem Kläger nicht ausdrücklich Betrügereien habe vorwerfen wollen, was logischerweise zur Strafverfolgung hätte führen müssen, so seien doch die erhobenen formellen Vorwürfe schon ungewöhnlich zahlreich und schwerwiegend. Das Parlament macht weiter geltend, daß die Rückstufung nicht die im Statut vorgesehene schwerste Strafe sei und gegen den Kläger noch mehrere weit schwerere Strafen hätten ausgesprochen werden können, die die Anstellungsbehörde hätte anwenden können, wenn sie ihm Betrügereien zur Last gelegt hätte. Schließlich sei die Rückstufung erst zum 1. Februar 1988 und nicht früher wirksam geworden, obwohl eine rückwirkende Rückstufung rechtlich zulässig gewesen wäre, wenn man berücksichtige, daß der Gerichtshof die erste Disziplinarentscheidung lediglich wegen Formfehler aufgehoben habe.

220 Das Gericht erinnert zunächst daran, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Disziplinarbehörde, wenn die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen erwiesen sind, die angemessene Disziplinarstrafe wählen kann. Das Gericht kann die Beurteilung der Anstellungsbehörde nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen, es sei denn, es läge ein offensichtlicher Fehler oder ein Ermessensmißbrauch vor (Urteile vom 30. Mai 1973 in der Rechtssache 46/72, De Greef/Kommission, Slg. 1973, 543, vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, a. a. O., vom 11. Juli 1985 in den verbundenen Rechtssachen 255/83 und 256/83, R./Kommission, a. a. O., und vom 5. Februar 1987 in der Rechtssache 403/85, F./Kommission, Slg, 1987, 645).

221 Was insbesondere die Frage betrifft, ob die vorliegend verhängte Disziplinarstrafe ausser Verhältnis zu den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen steht, so ist darauf hinzuweisen, daß die Vorschriften des Statuts über die Disziplinarstrafen, nämlich die Artikel 86 bis 89, keine festen Verknüpfungen zwischen den darin angegebenen Strafen und den verschiedenen Arten von Pflichtverletzungen der Beamten vorsehen. Die Bestimmung der in jedem Einzelfall zu verhängenden Strafe muß auf einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und der erschwerenden oder mildernden Umstände des jeweiligen Falles beruhen (Urteil des Gerichtshofes vom 5. Februar 1987 in der Rechtssache 403/85, F./Kommission, a. a. O.).

222 Dazu ist zum einen festzustellen, daß die in der Disziplinarentscheidung gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe schwere Verstösse gegen Verpflichtungen betreffen, die ihm nach der Haushaltsordnung oblagen, und zum anderen, daß der Kläger als Rechnungsführer des Organs nach den Vorschriften dieser Haushaltsordnung für die ordnungsgemässe Verwaltung der mit der Rechnungsführung beauftragten Dienststelle hauptverantwortlich war. Es ist hinzuzufügen, daß die Anstellungsbehörde sowohl bezueglich der Feststellung der Tatsachen und ihrer rechtlichen Qualifizierung als auch bezueglich der Bewertung der mildernden Umstände und der Wahl der angemessenen Strafe den Empfehlungen des Disziplinarrats gefolgt ist. Somit sieht sich das Gericht nicht in der Lage, die Rückstufung des Klägers in die Besoldungsgruppe A 7 als eine offensichtlich unverhältnismässige Strafe zu betrachten.

223 Der letzte, auf die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit gestützte Anfechtungsgrund ist daher zurückzuweisen.

Zu den Anträgen auf Bestellung eines Sachverständigenkollegiums

224 Der Kläger beantragt in seiner Erwiderung hilfsweise, "ein Kollegium von drei Sachverständigen zu bestellen und mit der Aufgabe zu betrauen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen abzugeben und auf alle erheblichen, von den Parteien gestellten Fragen zu antworten".

225 Der Beklagte macht in seiner Gegenerwiderung darauf aufmerksam, daß es sich hier um neue Anträge handele. Er macht geltend, daß nach Artikel 38 § 1 Buchstabe d der Verfahrensordnung des Gerichtshofes die Anträge des Klägers in der Klageschrift enthalten sein müssten und daß nach Artikel 42 § 1 der Verfahrensordnung, wenn in der Erwiderung noch Beweismittel benannt würden, der Kläger diese Verspätung begründe müsse. Der Beklagte ist ferner der Auffassung, daß die Bestellung eines Sachverständigenkollegiums lediglich den Ablauf des Verfahrens verzögern würde und daß die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe bisher lange und gründlich genug untersucht worden seien, um nicht noch zusätzliche Ermittlungsmaßnahmen zu erfordern. So erinnert er daran, daß diese Sache mehrmals vom Rechnungshof, vom Ausschuß für Haushaltskontrolle des Parlaments, von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen und ausserdem von mehreren Disziplinarräten geprüft worden sei. Aus diesen Gründen ist der Beklagte der Auffassung, daß die Hilfsanträge des Klägers zurückzuweisen seien.

226 Das Gericht stellt fest, daß die Hilfsanträge des Klägers im wesentlichen darauf abzielen, daß das Gericht ein Sachverständigengutachten einholt über die Frage - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht hat -, ob der dritte Vorwurf, d. h. das Fehlen von Belegen für einen Betrag in Höhe von 4,1 Millionen BFR, begründet sei.

227 Insoweit ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 45 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die zur Zeit der mündlichen Verhandlung für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend galt, das Gericht "durch Beschluß die Beweismittel und die zu beweisenden Tatsachen [bezeichnet]". Aus dieser Vorschrift ergibt sich eindeutig, daß es Sache des Gerichts ist, die Nützlichkeit einer solchen Maßnahme zu beurteilen.

228 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem gesamten Inhalt der Akten, wie er bei der Prüfung der Begründetheit des Vorwurfs der unterlassenen Vorlage von Belegen (siehe oben Randnrn. 195 bis 202 dieses Urteils) durch das Gericht untersucht worden ist, aus dem Umstand, daß der Kläger sich nicht zu der - vom Parlament auf Verlangen des Gerichts vorgelegten - Bilanz des Kontenstands am 30. April 1982 geäussert hat, sowie aus der langen Zeit, die seit dem streitigen Geschehen verstrichen ist, daß die vom Kläger beantragte Beweisaufnahme für das Gericht, das die sich aus dem gesamten Verfahren ergebenden Angaben für ausreichend hält, nicht von Nutzen ist. Mithin sind auch diese Hilfsanträge zurückzuweisen.

229 Aus all diesen Erwägungen ergibt sich, daß die Klage in vollem Umfang abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

230 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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