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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 19.06.1997
Aktenzeichen: T-260/94
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, EG


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs Art. 5
Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs Art. 8 Abs. 3
EG Art. 90 Abs. 2
EG Art. 173
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Die Beachtung der Verfahrensrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ist ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und muß auch dann sichergestellt werden, wenn eine besondere Regelung fehlt oder eine Regelung vorliegt, die ihnen nicht selbst Rechnung trägt. Für das Verfahren der Kommission zur Anwendung von Artikel 8 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 2408/92 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, nach denen ein Mitgliedstaat berechtigt ist, ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder der Identität des Luftfahrtunternehmens die Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems zu regeln, bedeutet dieser Grundsatz, daß, sofern das Verfahren nicht auf Antrag eines Mitgliedstaats, sondern von der Kommission von Amts wegen eingeleitet wird, diese dem Mitgliedstaat eine genaue und vollständige Darstellung der Gründe übermittelt, aus denen sie diesen Schritt unternommen hat, sowie eine ebenfalls genaue und vollständige Zusammenfassung der etwa von Dritten erhaltenen Beschwerden.

Einem Luftfahrtunternehmen steht das Recht zu, vor Erlaß einer Entscheidung, in der es ausdrücklich genannt und von deren wirtschaftlichen Folgen es unmittelbar getroffen wird, angehört zu werden, wenn es durch die streitige staatliche Maßnahme unmittelbar begünstigt und in der nationalen Urkunde, auf die es seine Ansprüche stützt, namentlich bezeichnet ist. Dieses Recht kann entweder unmittelbar in seinem Verhältnis zur Kommission oder mittelbar in seinem Verhältnis zu den nationalen Behörden gewährleistet werden.

4 Artikel 5 der Verordnung Nr. 2408/92 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, der vorsieht, daß auf Inlandstrecken, für die eine ausschließliche Genehmigung erteilt wurde und auf denen durch andere Verkehrsarten eine angemessene und ununterbrochene Bedienung nicht gewährleistet werden kann, diese Genehmigung während einer bestimmten Zeit aufrechterhalten werden kann, ist autonom auszulegen, wobei Wortlaut, allgemeine Systematik und Zweck zu berücksichtigen sind. Insoweit konnte nur auf einer "Inlandstrecke" im Sinne einer Verkehrsverbindung zwischen Städten oder Regionen und nicht zwischen Flughäfen eine ausschließliche Genehmigung aufrechterhalten werden. Wurde einem Luftfahrtunternehmen eine ausschließliche Genehmigung nur für Flüge von und nach einem Flughafen erteilt, während andere Luftfahrtunternehmen dieselben Strecken von und nach einem anderen Flughafen derselben Stadt oder Region bedienen dürfen, kann es folglich nicht durch Artikel 5 gerechtfertigt werden, wenn einem konkurrierenden Luftfahrtunternehmen der Zugang zu dem erstgenannten Flughafen verwehrt wird; dies stellt vielmehr eine durch Artikel 8 Absatz 1 verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder der Identität des Luftfahrtunternehmens dar.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite erweiterte Kammer) vom 19. Juni 1997. - Air Inter SA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Luftverkehr - Beibehaltung einer ausschließlichen Genehmigung für Inlandsstrecken - Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 - Artikel 5 und 8 - Rechte der Verteidigung - Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens - Grundsatz von Treu und Glauben - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag. - Rechtssache T-260/94.

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Zur fortschreitenden Einführung des Binnenmarktes im Bereich des Flugverkehrs hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in den Jahren 1987, 1990 und 1992 drei Reihen von Maßnahmen erlassen, die als "Pakete" bezeichnet werden, weil sie viele Rechtsvorschriften umfassen. Das dritte, am 23. Juli 1992 erlassene Paket besteht aus fünf Verordnungen, die zum einen die Dienstleistungsfreiheit im Bereich des Flugverkehrs und zum anderen die Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft in diesem Bereich gewährleisten sollen.

2 Eine dieser fünf Verordnungen ist die Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs (ABl. L 240, S. 8; nachstehend: Verordnung Nr. 2408/92 oder Verordnung), die gemäß ihrem Artikel 16 am 1. Januar 1993 in Kraft getreten ist.

3 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung enthält den Grundsatz, daß, "[v]orbehaltlich dieser Verordnung... Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft von den betroffenen Mitgliedstaaten die Genehmigung erteilt [wird], Verkehrsrechte auf Strecken in der Gemeinschaft auszuüben".

4 Artikel 5 lautet:

"Auf Inlandstrecken, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung durch Gesetz oder Vertrag eine ausschließliche Genehmigung erteilt wurde und auf denen durch andere Verkehrsarten eine angemessene und ununterbrochene Bedienung nicht gewährleistet werden kann, darf diese Genehmigung bis zu ihrem Erlöschen, längstens jedoch für drei Jahre, weiterhin in Anspruch genommen werden."

5 Artikel 8 bestimmt:

"(1) Diese Verordnung berührt nicht das Recht eines Mitgliedstaats, ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder der Identität des Luftfahrtunternehmens die Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems zu regeln.

(2) Die Ausübung von Verkehrsrechten unterliegt den veröffentlichten gemeinschaftlichen, einzelstaatlichen, regionalen oder örtlichen Vorschriften in den Bereichen Sicherheit, Umweltschutz und Zuweisung von Start- und Landezeiten.

(3) Die Kommission prüft auf Antrag eines Mitgliedstaats oder von sich aus die Anwendung der Absätze 1 und 2 und entscheidet innerhalb eines Monats ab Antragseingang nach Anhörung des in Artikel 11 genannten Ausschusses darüber, ob der Mitgliedstaat die Maßnahme weiterhin anwenden darf. Die Kommission teilt dem Rat und den Mitgliedstaaten ihre Entscheidung mit.

(4) Jeder Mitgliedstaat kann den Rat binnen Monatsfrist mit der Entscheidung der Kommission befassen. Der Rat kann binnen Monatsfrist mit qualifizierter Mehrheit unter aussergewöhnlichen Umständen anders entscheiden.

..."

6 Nach Artikel 2 Buchstabe m in Verbindung mit Anhang II der Verordnung gehören im Falle Frankreichs zu den "Flughafensystemen" im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 "Paris-Charles de Gaulle/Orly/Le Bourget".

7 Nach Artikel 11 der Verordnung wird die Kommission von einem Beratenden Ausschuß unterstützt, der sich aus den Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt.

8 Nach Artikel 12 kann die Kommission zur Erfuellung der ihr durch die Verordnung übertragenen Aufgaben von den betroffenen Mitgliedstaaten und den betroffenen Luftfahrtunternehmen alle erforderlichen Auskünfte einholen.

Sachverhalt

Verwaltungsverfahren

9 Mit Schreiben vom 21. Juni 1993 beantragte die Fluggesellschaft TAT European Airlines (im folgenden: TAT) mit Sitz in Tours (Frankreich) bei der Generaldirektion Zivilluftfahrt des französischen Ministeriums für Infrastruktur, Verkehr und Fremdenverkehr eine Genehmigung für den Betrieb der Strecken Paris (Orly)-Toulouse und Paris (Orly)-Marseille, wobei sie in ihrem Antrag auf die Verordnung Bezug nahm.

10 Mit Schreiben vom 21. Juli 1993 lehnte der Leiter der Generaldirektion Zivilluftfahrt diesen Antrag unter Berufung auf Artikel 5 der Verordnung ab. Er teilte der TAT in seinem Schreiben mit, daß die französischen Behörden gemäß dieser Vorschrift die ausschließliche Genehmigung aufrechterhalten dürften, die sie der Air Inter in einem zwischen dem französischen Staat und dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrag vom 5. Juli 1985 (nachstehend: Vertrag von 1985) erteilt hätten. Seinerzeit standen mehr als 70 % der Anteile an der Air Inter im Besitz der Air France, deren Anteile zu über 99 % dem französischen Staat gehörten.

11 Am 28. September 1993 legte die TAT bei der Kommission eine Beschwerde ein, in der sie einen Verstoß gegen die Artikel 3 Buchstabe f, 86 und 90 EWG-Vertrag und die Nichtbeachtung einer Übereinkunft geltend machte, die am 30. Oktober 1990 zwischen der Kommission, der französischen Regierung und der Air France getroffen worden war (nachstehend: Übereinkunft von 1990), um insbesondere die Strecken Paris-Toulouse und Paris-Marseille für den Wettbewerb zu öffnen. Hilfsweise machte die TAT eine Verletzung der Verordnung geltend. Sie führte aus, daß das Monopol des Air France-Konzerns auf den Strecken Paris (Orly)-Marseille und Paris (Orly)-Toulouse am 1. März 1992 habe erlöschen sollen, wie dies in der Übereinkunft von 1990 vorgesehen sei. Ausserdem sei Artikel 5 der Verordnung nicht anwendbar gewesen, weil Air Inter für die beiden Strecken keine ausschließliche Genehmigung besessen habe, denn gerade diese Strecken würden von der TAT vom Flughafen Roissy-Charles de Gaulle (nachstehend: CDG) aus bedient. Schließlich sei die diskriminierende Behandlung der TAT nicht mit Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung vereinbar gewesen.

12 Mit einer an den Leiter der Generaldirektion Verkehr der Kommission (im folgenden: GD VII) gerichteten Note vom 13. Oktober 1993 ergänzte die TAT ihre Argumente zu den Artikeln 5 und 8 Absatz 1 der Verordnung und ersuchte die Kommission, eine Entscheidung gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung zu erlassen.

13 Mit Schreiben vom 20. Oktober 1993 übermittelte die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission (im folgenden: GD IV), den französischen Behörden und dem Air France-Konzern eine Abschrift der Beschwerde der TAT mit der Bitte um Stellungnahme. Die von der TAT eingereichte Ergänzung der Beschwerde war diesem Schreiben nicht beigefügt.

14 Auch der Leiter der GD VII unterrichtete die französischen Behörden mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 vom Eingang einer Beschwerde der TAT, ohne ihnen jedoch eine Kopie davon zu übermitteln. Er teilte ihnen ausserdem mit, daß er die Argumente der TAT prima facie als stichhaltig ansehe.

15 Der Air Inter wurden von der Kommission weder die Beschwerde noch die Ergänzung dazu übersandt.

16 Als Antwort übermittelten die französischen Behörden mit Schreiben vom 21. Dezember 1993, das an den Generalsekretär der Kommission und abschriftlich an die DG IV und VII gerichtet war, ihre Stellungnahme zu der Beschwerde der TAT. Sie machten geltend, Artikel 5 der Verordnung sei anwendbar, da die in der Übereinkunft von 1990 vorgesehene Öffnung für den Wettbewerb mit Ausnahme der Strecke Paris-Nizza nur die Strecken von und nach dem Flughafen CDG betreffe, so daß die Air Inter weiterhin die ausschließliche Genehmigung für diese Verbindungen mit dem Flughafen Orly habe. Artikel 8 der Verordnung wurde in der Antwort nicht erwähnt.

17 Mit Schreiben vom 21. Januar 1994 informierte der Leiter der GD VII die französischen Behörden darüber, daß die TAT eine Ergänzung zu ihrer Beschwerde eingereicht habe, und wies darauf hin, daß Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung der Kommission eine eigene Entscheidungsbefugnis einräume.

18 In Beantwortung dieses Schreibens übermittelten die französischen Behörden der Kommission am 16. Februar 1994 eine Note mit einer Zusammenfassung ihres Standpunkts.

19 Nach diesem Schriftwechsel trat am 28. Februar 1994 der in Artikel 11 der Verordnung vorgesehene Beratende Ausschuß zusammen. In dieser Sitzung konnten die Delegationen der Mitgliedstaaten zu dem Entwurf einer auf Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung gestützten Entscheidung, den die Kommission ihnen am 10. Februar 1994 übermittelt hatte, Stellung nehmen.

20 Die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses war wie folgt formuliert:

"Die Mehrheit der anwesenden Mitglieder ist folgender Meinung: Nach den dem Ausschuß vorliegenden Informationen hat die unrichtige Anwendung des Artikels 5 durch Frankreich offenbar diskriminierende Auswirkungen. Die Mehrheit der Mitglieder hat sich jedoch gegen eine Entscheidung gemäß Artikel 8 der Verordnung ausgesprochen."

21 Am 4. März 1994 empfing eine Delegation unter Leitung des Kabinettchefs des für Verkehrsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission eine Delegation der Air Inter, um im Hinblick auf ihre Stellungnahme die möglichen Auswirkungen einer Entscheidung der Kommission auf die Zukunft von Air Inter auf dem Gemeinschaftsmarkt zu erörtern. Der Begegnung folgte eine Note der Air Inter, die von ihrem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden mit dem Datum 7. März 1994 unterzeichnet war und eine Beschreibung der "Lage der Air Inter vor Erlaß der Entscheidungen der Kommission in dem Verfahren TAT" enthält. Mit Schreiben vom 15. März 1994 brachten schließlich die Mitglieder des Vorstands der Air Inter ihre Sorge hinsichtlich der Zukunft der Gesellschaft im Rahmen der Liberalisierung des inländischen Flugverkehrs und insbesondere der Einführung des Wettbewerbs auf den rentabelsten Strecken des französischen Netzes zum Ausdruck.

22 Am 17. März 1994 übersandte die französische Regierung der Kommission eine weitere Note, in der sie auf die Erklärungen der französischen Delegation in der Sitzung des Beratenden Ausschusses hinwies, die diese insbesondere zu den Artikeln 5 und 8 der Verordnung, zu Artikel 90 EG-Vertrag sowie zu dem Vertrag von 1985 und der Übereinkunft von 1990 abgegeben habe.

23 Am 30. März 1994 kamen auf Ersuchen der französischen Regierung der Leiter der Direktion Rechtsangelegenheiten des Aussenministeriums und der Leiter der Generaldirektion Juristischer Dienst der Kommission zusammen, um über die Beschwerde der TAT zu sprechen.

24 Am 12. April 1994 traf sich das für Verkehrsfragen zuständige Mitglied der Kommission mit dem französischen Premierminister zu einem Gespräch über verschiedene Fragen betreffend den französischen Flugverkehr und insbesondere über die Aufteilung des Verkehrs innerhalb des Pariser Flughafensystems.

Angefochtene Entscheidung

25 Am 27. April 1994 erließ die Kommission die Entscheidung 94/291/EG in einem Verfahren zur Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates (Sache VII/AMA/IV/93 - TAT - Paris [Orly]-Marseille und Paris [Orly]-Toulouse) (ABl. L 127, S. 32; nachstehend: Entscheidung 94/291 oder angefochtene Entscheidung), deren verfügender Teil wie folgt lautet:

"Artikel 1

Frankreich darf den Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft die Ausübung von Verkehrsrechten auf den Strecken Paris (Orly)-Marseille und Paris (Orly)-Toulouse nicht mehr mit der Begründung verweigern, daß die französischen Behörden für diese Strecken die Bestimmungen von Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 geltend machen.

Artikel 2

Diese Entscheidung ist an die Französische Republik gerichtet...

Artikel 3

Frankreich ist gehalten, die vorliegende Entscheidung spätestens am 27. Oktober 1994 auszuführen."

26 In der Begründung der angefochtenen Entscheidung erklärte die Kommission zunächst, daß sie hinsichtlich der Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems die Befugnisse besitze, die ihr in Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung übertragen worden seien. Angesichts der Beschwerde der TAT sei es notwendig, diese Befugnisse wahrzunehmen. Die Maßnahme, mit der die französischen Behörden den Verkehrsunternehmen der Gemeinschaft und insbesondere der TAT die Ausübung der Verkehrsrechte auf den Strecken Paris (Orly)-Marseille und Paris (Orly)-Toulouse verweigerten, bewirke eine diskriminierende Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen des Flughafensystems von Paris, von der lediglich Air Inter profitiere.

27 Die Aufrechterhaltung der ausschließlichen Genehmigung der Air Inter stelle eine fehlerhafte Anwendung von Artikel 5 der Verordnung durch die französischen Behörden dar. Dieser Artikel solle die Kontinuität angemessener Verkehrsdienste zwischen zwei Punkten (Städten oder Regionen) innerhalb desselben Mitgliedstaats sichern. Eine ausschließliche Genehmigung gemäß Artikel 5 könne nur aufrechterhalten werden, wenn es im Eisenbahn-, Bus- oder - bei indirekten Flügen oder dem Bestehen eines Ausweichflughafens - Flugverkehr keine andere angemessene und ununterbrochene Beförderungsmöglichkeit zwischen zwei bestimmten Städten gebe. Eine ausschließliche Genehmigung auf einer Strecke von und nach einem Flughafensystem sei folglich nur sinnvoll, wenn sie für alle Flughäfen dieses Systems gelte.

28 Im übrigen lege der Vertrag von 1985 die der Air Inter ausschließlich zugeteilten Strecken selbst als Verbindungen von Punkt zu Punkt und nicht von Flughafen zu Flughafen fest; die einzelnen Flughäfen des Pariser Flughafensystems würden nicht einmal erwähnt. Die französischen Behörden hätten daher dadurch, daß sie den Betrieb der beiden Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse von und nach dem Flughafen CDG durch TAT European Airlines vom 1. März 1992 an genehmigten, der ausschließlichen Genehmigung der Air Inter ein Ende gesetzt. Zudem sei Air Inter bei Inkrafttreten der Verordnung nicht Inhaberin einer ausschließlichen Genehmigung auf den fraglichen Strecken gewesen. Hinsichtlich der Strecke Paris-Marseille sei in dem Vertrag von 1985 der Gesellschaft Air Afrique ausdrücklich das Recht eingeräumt worden, diese Strecke im Wettbewerb zu Air Inter zu betreiben. In bezug auf die Strecke Paris-Toulouse (und weiter auf die Strecke Paris-Marseille) gehe aus der Übereinkunft von 1990 hervor, daß der Ausschließlichkeitscharakter der Genehmigung für Air Inter auf dieser Strecke spätestens am 1. März 1992 erloschen sei.

29 Hilfsweise wies die Kommission darauf hin, daß Artikel 5 im vorliegenden Fall auch dann nicht anwendbar sei, wenn die Erteilung einer ausschließlichen Genehmigung für die Linienverkehrsdienste zwischen Orly einerseits und Marseille und Toulouse andererseits theoretisch festgelegt werden könnte. Es gebe ausser diesen Flugverbindungen noch andere Verkehrsarten, die eine angemessene und ununterbrochene Bedienung gewährleisten könnten, nämlich die Direktflugverbindungen Paris (CDG)-Marseille und Paris (CDG)-Toulouse.

30 Ferner habe die betreffende Diskriminierungsmaßnahme beträchtliche Auswirkungen. Der Flughafen Orly werde von den Kunden bevorzugt: über ihn würden zwischen 85 und 90 % des französischen Inlandflugverkehrs von und nach Paris abgewickelt. Ausserdem sei der Betrieb der Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse vom Flughafen CDG aus teurer als von Orly aus, was zum Teil auf geographische Gründe zurückzuführen sei.

31 Da die Entscheidung beträchtliche Folgen für die Struktur und die Organisation der betroffenen Routen haben könne, hielt die Kommission es für angemessen, einen Anpassungszeitraum vorzusehen, der spätestens am 27. Oktober 1994 endete.

Verfahren und Anträge der Parteien

32 Die Air Inter hat mit Klageschrift, die am 12. Juli 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

33 Die Französische Republik hat mit Klageschrift, die am 22. Juni 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, ebenfalls eine Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben. Diese Klage ist unter dem Aktenzeichen C-174/94 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden. Mit Beschluß vom 26. Oktober 1994 in der Rechtssache C-174/94 R (Frankreich/Kommission, Slg. 1994, I-5229) hat der Präsident des Gerichtshofes den Antrag der Französischen Republik auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.

34 Das Gericht erster Instanz hat sich mit Beschluß vom 28. Oktober 1994 gemäß Artikel 47 Absatz 3 Satz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes in der Rechtssache T-260/94 für nicht zuständig erklärt, damit der Gerichtshof über die Klage auf Nichtigerklärung entscheidet, die auch Gegenstand der Klage der Französischen Republik in der Rechtssache C-174/94 war. Der Abgabebeschluß ist unter dem Aktenzeichen C-301/94 in das Register des Gerichtshofes eingetragen worden.

35 Mit Beschlüssen vom 19. Januar und vom 8. Februar 1995 hat der Präsident des Gerichtshofes das Vereinigte Königreich und die TAT als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission in der Rechtssache C-301/94 zugelassen. Bestimmte vertrauliche Unterlagen sind den Streithelfern in einer von den Parteien vorgelegten nichtvertraulichen Fassung übermittelt worden.

36 Der Gerichtshof hat die Eröffnung der mündlichen Verhandlung in der Rechtssache C-301/94 ohne vorherige Beweisaufnahme beschlossen. Den Parteien ist ein Sitzungsbericht zugestellt worden.

37 Danach hat die Französische Republik, da sie an der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung kein Interesse mehr hatte, ihre Klage in der Rechtssache C-174/94 zurückgenommen. Mit Beschluß vom 19. März 1996 ist daher die Rechtssache C-174/94 im Register des Gerichtshofes gestrichen worden. Mit Beschluß vom 14. Mai 1996 hat der Gerichtshof die Rechtssache C-301/94 an das Gericht zurückverwiesen; die Kostenentscheidung ist vorbehalten worden.

38 Daher ist das vorliegende Verfahren in der Rechtssache T-260/94 vor dem Gericht wieder aufgenommen worden, das bestimmte prozeßleitende Maßnahmen erlassen hat. Das mündliche Verfahren hat im wesentlichen auf der Grundlage des bereits verteilten Sitzungsberichts in der Rechtssache C-301/94 stattgefunden.

39 In der Sitzung vom 13. November 1996 sind die Parteien gehört und die Fragen des Gerichts beantwortet worden, das sich aus dem Präsidenten C. W. Bellamy sowie den Richtern H. Kirschner, C. P. Briët, A. Kalogeropoulos und A. Potocki zusammensetzte.

40 Nach dem Ableben des Richters Kirschner am 6. Februar 1997 ist das vorliegende Urteil gemäß Artikel 32 Absatz 1 der Verfahrensordnung von den drei unterzeichneten Richtern beraten worden.

41 Die Klägerin beantragt,

- Artikel 1 der Entscheidung 94/291 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

42 Die Kommission beantragt, - die Klage als unbegründet abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

43 Die TAT beantragt,

- die Klage als unbegründet abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der TAT aufzuerlegen.

44 Das Vereinigte Königreich beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Vereinigten Königreichs aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

45 Die Klägerin stützt ihre Klage auf mehrere Klagegründe, die sich sowohl gegen die formelle als auch die materielle Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung richten. Was die formelle Rechtmässigkeit betrifft, wirft sie der Kommission vor, ihre Verteidigungsrechte verletzt und, hilfsweise, gegenüber der Französischen Republik gegen die Grundsätze der Anhörung und der Redlichkeit verstossen zu haben. Was die materielle Rechtmässigkeit betrifft, wirft sie der Kommission vor, sie habe das Verfahren des Artikels 8 Absatz 3 der Verordnung mißbraucht und, hilfsweise, gegen Artikel 5 der Verordnung verstossen. Ferner macht sie hilfsweise einen Verstoß gegen Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit geltend. Schließlich trägt sie als weiteres Hilfsvorbringen vor, daß die Weigerung der französischen Behörden, der TAT den Zugang zu den beiden fraglichen Strecken zu gewähren, keine Diskriminierung dieses Unternehmens bedeute, da die Ausschließlichkeit der der Klägerin für diese Strecken erteilten Genehmigung durch Artikel 5 der Verordnung gerechtfertigt sei.

Zum Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin

Vorbringen der Parteien

46 Die Klägerin macht geltend, daß nach ständiger Rechtsprechung die Beachtung der Verteidigungsrechte ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts sei, der auch im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens eingehalten werden müsse. Folglich müsse jemand, der durch eine Entscheidung der Kommission möglicherweise belastet werde, seine Auffassung vor Erlaß der Entscheidung geltend machen können.

47 In der vorliegenden Rechtssache habe die Kommission, obwohl die Klägerin der einzige von der angefochtenen Entscheidung betroffene Wirtschaftsteilnehmer sei, niemals Anstalten gemacht, sie förmlich zu laden, ihr keinerlei Schriftstück übermittelt und sie nicht aufgefordert, sich zu dem Vorgang zu äussern. Die Klägerin habe daher ihren Standpunkt nicht geltend machen können. Ihre Lage entspreche damit derjenigen der niederländischen Postunternehmen, die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-48/90 und C-66/90 (Niederlande u. a./Kommission, Slg. 1992, I-565) erörtert worden sei. Von Bedeutung sei ferner das Urteil des Gerichtshofes vom 29. Juni 1994 in der Rechtssache C-135/92 (Fiskano/Kommission, Slg. 1994, I-2885).

48 Der Behauptung der Kommission, sie habe die Klägerin am 4. März 1994 förmlich angehört, sei entgegenzuhalten, daß dieses Treffen auf eigenen Wunsch der Klägerin und erst vier Monate nach dem Zeitpunkt stattgefunden habe, zu dem die Kommission ihren Standpunkt festlegt habe. Ausserdem sei es dabei - wie übrigens auch bei der Note der Klägerin vom 7. März 1994 - nur um wirtschaftliche Fragen gegangen. Schließlich seien in dem Schreiben der Mitglieder des Vorstands der Klägerin vom 15. März 1994 nur deren Sorgen zum Ausdruck gekommen.

49 Die Klägerin widerspricht der Behauptung der Kommission, die angefochtene Entscheidung betreffe nicht die besondere Situation der Klägerin, sondern sei ein genereller Rechtsakt, da sie die Flughafenpolitik der französischen Regierung betreffe. Die fragliche nationale Maßnahme sei die Weigerung der französischen Behörden, der TAT die fraglichen Verkehrsrechte zu gewähren; diese Weigerung komme der Klägerin unmittelbar zugute. Überdies werde die Klägerin durch die angefochtene Entscheidung ausdrücklich betroffen, da sie die Rechtmässigkeit der der Klägerin gewährten ausschließlichen Genehmigung für die streitigen Strecken zum Gegenstand habe. Schließlich trage sie unmittelbar sämtliche Folgen der angefochtenen Entscheidung.

50 Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung verpflichte die Kommission, nicht nur dem betroffenen Mitgliedstaat, sondern auch jedem anderen unmittelbar Betroffenen wie der Klägerin Gelegenheit zu geben, seine Interessen geltend zu machen. Somit sei die Kommission verpflichtet gewesen, die zum wirksamen Schutz der Interessen der Klägerin geeigneten Verfahrensmodalitäten auch ohne besondere Bestimmungen von sich aus bereitzustellen. Der allgemeine Grundsatz des Schutzes der Verteidigungsrechte gelte nämlich nicht nur bei Vorliegen einer Sonderregelung, sondern auch und erst recht, wenn eine solche fehle.

51 Sollte das Gericht Artikel 8 Absatz 3 dahin auslegen, daß er eine Ausnahme vom Grundsatz des Schutzes der Verteidigungsrechte aller Betroffenen zulasse, so müsse es sich die Frage nach der Gültigkeit einer solchen Bestimmung stellen. Eine Gemeinschaftsregelung, die eine Ausnahme von einem fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts zulasse, verstosse nämlich bereits als solche gegen das Gemeinschaftsrecht. Folglich könne das Gericht nicht umhin, Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung für ungültig zu erklären.

52 Schließlich hält die Klägerin das Vorbringen in diesem Zusammenhang für abwegig, es sei ausreichend gewesen, die Vertreter der Mitgliedstaaten im Beratenden Ausschuß zu hören. Dessen Rolle sei es nämlich nicht, die Interessen privater Unternehmen zu vertreten, sondern die Kommission zu unterstützen und ihr die Standpunkte der Mitgliedstaaten mitzuteilen.

53 Die Kommission weist darauf hin, daß die Verordnung kein Verfahren vorsehe, das eine Beteiligung der betroffenen Unternehmen zulasse. So übernehme Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung in den Grundzuegen das Verfahren nach Artikel 169 EG-Vertrag, das ebenfalls keine Anhörungspflicht vorsehe. Im übrigen habe sie im Rahmen eines gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung auf Antrag eines Mitgliedstaats eingeleiteten Verfahrens innerhalb eines Monats zu entscheiden. Die Einhaltung dieser Frist sei praktisch unmöglich, wenn eine diskriminierende Maßnahme vielen Fluggesellschaften zugute komme.

54 Die erwähnten Urteile Niederlande u. a./Kommission und Fiskano/Kommission sind nach Auffassung der Kommission im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Insbesondere betreffe die angefochtene Entscheidung die Zuteilung der Flugstrecken innerhalb des Pariser Flughafensystems; die Klägerin trage die wirtschaftlichen Folgen dieser Entscheidung nur mittelbar und teilweise. Daß sich die französischen Behörden auf das Bestehen einer ausschließlichen Genehmigung zugunsten der Klägerin nach Artikel 5 der Verordnung berufen hätten, schließe nicht aus, daß die Grundfrage die sei, ob die von der Französischen Republik erlassenen allgemeinen Maßnahmen eine Diskriminierung bei der Aufteilung des Verkehrs innerhalb des Pariser Flughafensystems bewirken könnten und damit die Rechte aller Unternehmen der Gemeinschaft beeinträchtigten. Die fehlerhafte Anwendung dieser Bestimmung könne nicht für sich allein eine Pflicht zur Anhörung der Klägerin begründen.

55 Die Klägerin sei jedenfalls am 4. März 1994 angehört worden und habe insbesondere mit der Note vom 7. März 1994 ihren Standpunkt vorgetragen, was ihre erneute Anhörung durch die Kommission überfluessig gemacht habe. In ihrer Gegenerwiderung (Seite 6) führt die Kommission näher aus, daß die Klägerin von den französischen Behörden über die Entwicklung des Vorgangs ständig auf dem Laufenden gehalten worden sei. Dieser Informationsfluß sei in dem beim Gerichtshof anhängigen Parallelverfahren von den französischen Behörden selbst bestätigt worden. Die Kommission verweist insoweit auf Seite 10 der von der Französischen Republik in der Rechtssache C-174/94 eingereichten Erwiderung (siehe oben Randnr. 33).

56 Das Vereinigte Königreich schließt sich der Argumentation der Kommission an und führt aus, daß das genannte Urteil Niederlande u. a./Kommission im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei, weil das streitige Verfahren eben nicht "gegen die Klägerin eingeleitet" worden sei, sondern zwischen der Kommission und allein der Französischen Republik stattgefunden habe. Ausserdem betreffe das genannte Urteil die Anwendung von Artikel 90 Absatz 3 EG-Vertrag, der keine besonderen Vorschriften über die anzuhörenden Personen und das Anhörungsverfahren einführe, während im vorliegenden Fall die Verordnung Nr. 2408/92 besondere Vorschriften enthalte.

Würdigung durch das Gericht

57 Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung sieht keine unmittelbare Beteiligung der Luftfahrtunternehmen an dem Verwaltungsverfahren vor, das zum Erlaß einer Entscheidung der Kommission über die Aufteilung des Verkehrs innerhalb eines Flughafensystems führt. Nach der Verordnung wendet sich die Kommission nach Anhörung des Beratenden Ausschusses, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, nur an den betroffenen Mitgliedstaat. Nur allgemein und fakultativ ist vorgesehen, daß die Kommission zur Erfuellung ihrer Aufgaben bei den Luftfahrtunternehmen Auskünfte einholen "kann" (Artikel 12 der Verordnung). Einem Luftfahrtunternehmen in einer Lage wie derjenigen der Klägerin im vorliegenden Fall werden somit in der Verordnung selbst keine Verteidigungsrechte eingeräumt.

58 Die Kommission rechtfertigt dieses Schweigen der Verordnung damit, daß das Verfahren des Artikels 8 Absatz 3 dem Verfahren des Artikels 169 EG-Vertrag nachgebildet sei, an dem nur die Kommission und der betreffende Mitgliedstaat beteiligt seien. Jedoch wird im Rahmen des Artikels 169 EG-Vertrag die Vertragsverletzung seitens des Staates erst durch das Urteil des Gerichtshofes festgestellt, während im Rahmen des Artikels 8 Absatz 3 der Verordnung die Entscheidung der Kommission zu der von dieser gewünschten Aufteilung des Verkehrs verpflichtet. Das Verfahren nach Artikel 169 ist also im wesentlichen ein gerichtliches Verfahren, während das nach Artikel 8 Absatz 3 ein reines Verwaltungsverfahren ist. Folglich weisen die beiden Verfahren wesentliche Unterschiede auf, so daß dem auf Artikel 169 EG-Vertrag gestützten Vorbringen der Kommission nicht gefolgt werden kann.

59 Was das Verfahren nach Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung anbelangt, das zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung geführt hat, so ist nach ständiger Rechtsprechung die Beachtung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts; sie muß auch dann sichergestellt werden, wenn eine besondere Regelung fehlt (siehe z. B. Urteil Niederlande u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 44). Dieser Grundsatz gebietet es, daß der Betroffene seine Auffassung zu den einzelnen Gesichtspunkten, auf die sich die Kommission bei dem Erlaß ihrer Maßnahme stützt, in zweckdienlicher Weise darlegen kann (Urteil Fiskano/Kommission, a. a. O., Randnr. 40).

60 Die Kommission macht geltend, das angeführte Urteil Niederlande u. a./Kommission - das im Bereich des Artikels 90 Absatz 3 EG-Vertrag ergangen war - sei für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil das streitige Verfahren in einer Sonderregelung vorgesehen sei, die eine Beteiligung etwa beeinträchtigter Luftverkehrsunternehmen ausschließe. Jedoch kann der fundamentale Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte durch eine Verordnung weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden. Diese Rechte sind daher sowohl bei völligem Fehlen einer Sonderregelung als auch bei Vorliegen einer Regelung, die ihnen nicht selbst Rechnung trägt, zu beachten (vgl. sinngemäß Urteil des Gerichtshofes vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-32/95 P, Kommission/Lisrestal u. a., Slg. 1996, I-5373, Randnr. 30). Folglich ist das auf das Fehlen einer besonderen Bestimmung in der fraglichen Verordnung gestützte Vorbringen der Kommission zurückzuweisen.

61 Das Vereinigte Königreich bringt vor, das in der vorliegenden Rechtssache streitige Verfahren sei nicht "gegen die Klägerin eingeleitet" worden. Das fragliche Verfahren war zwar nicht förmlich gegen die Klägerin als einzelnen Wirtschaftsteilnehmer gerichtet, doch war dies auch in der Rechtssache, in der das Urteil Niederlande u. a./Kommission (a. a. O.) ergangen ist, nicht der Fall, wo sich die Kommission in einem auf der Grundlage von Artikel 90 Absatz 3 EG-Vertrag eingeleiteten Verfahren förmlich nur an das Königreich der Niederlande und nicht an die niederländischen Postunternehmen gewandt hatte. Das hinderte aber den Gerichtshof nicht daran, den Anspruch der letztgenannten auf Anhörung anzuerkennen, weil sie durch die streitige staatliche Maßnahme unmittelbar begünstigt wurden, in dem beanstandeten niederländischen Gesetz namentlich bezeichnet und in der streitigen Entscheidung ausdrücklich genannt waren und die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung sie unmittelbar trafen (Randnrn. 50 f. des angefochtenen Urteils).

62 Somit ist weiter zu prüfen, ob der Gedankengang, dem in dem Urteil Niederlande u. a./Kommission (a. a. O.) gefolgt wurde und mit dem der Anspruch privater Unternehmen auf Beachtung ihrer Verteidigungsrechte im Bereich des Artikels 90 Absatz 3 EG-Vertrag anerkannt wurde, auf den vorliegenden Fall übertragbar ist. Insoweit ist erstens erheblich, daß die Klägerin durch die streitige staatliche Maßnahme unmittelbar begünstigt wurde, nämlich durch die Aufrechterhaltung einer Vorzugsstellung auf den beiden streitigen Strecken, wobei es in diesem Stadium keiner Nachprüfung bedarf, ob sie sich tatsächlich auf eine rechtliche Ausschließlichkeit berufen konnte. Die wirtschaftliche Stellung der Klägerin wurde also durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt, die den Behörden aufgab, diese beiden Strecken für den Wettbewerb durch die anderen Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft zu öffnen. Daher hatte die Klägerin die wirtschaftlichen Folgen der angefochtenen Entscheidung unmittelbar zu tragen. Zweitens war die Klägerin in der nationalen Urkunde, auf die sie ihre ausschließlichen Verkehrsrechte stützte, nämlich den Vertrag von 1985, namentlich bezeichnet, ohne daß in diesem Zusammenhang zu prüfen ist, welche rechtliche Bedeutung dieser Vertrag hat. Schließlich ist die Klägerin in der angefochtenen Entscheidung wiederholt ausdrücklich genannt. Folglich sind die durch das Urteil Niederlande u. a./Kommission (a. a. O.) aufgestellten Voraussetzungen in der vorliegenden Rechtssache erfuellt.

63 Daraus ergibt sich, daß die Klägerin über Verteidigungsrechte verfügte, die in dem Verfahren, das zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung führte, zu beachten waren; es ist nicht erforderlich, die von der Kommission aufgeworfene allgemeine Frage zu prüfen, ob Verteidigungsrechte auch dann bestehen, wenn ein nach Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung eingeleitetes Verfahren, das innerhalb eines Monats abzuschließen ist, sich auf eine unbestimmte Zahl von Luftfahrtunternehmen auswirkt.

64 Für die Frage, ob die Verteidigungsrechte der Klägerin in der vorliegenden Rechtssache beachtet wurden, ist erheblich, daß das Gericht in seinem Urteil vom 6. Dezember 1994 in der Rechtssache T-450/93 (Lisrestal u. a./Kommission, Slg. 1994, II-1177), in dem es um die Kürzung des Zuschusses ging, der den begünstigten Unternehmen vom Europäischen Sozialfonds zunächst in einem Verfahren bewilligt worden war, in dem die nationale Behörde der einzige Gesprächspartner des Fonds gewesen war, das Recht der klagenden Unternehmen auf Anhörung anerkannt und dabei darauf hingewiesen hat, daß dieses Recht weder im Verhältnis zwischen der Kommission und den Begünstigten noch im Verhältnis zwischen der nationalen Behörde und den Begünstigten gewährleistet worden war (Randnrn. 49 f.).

65 In der vorliegenden Rechtssache ist somit zu prüfen, ob die Verteidigungsrechte der Klägerin konkret beachtet worden sind, sei es unmittelbar in ihrem Verhältnis zur Kommission, mittelbar durch die französischen Behörden oder durch eine Kombination dieser beiden Verwaltungswege.

66 Insoweit hat sich die Klägerin mit ihrer Note vom 7. März 1994 selbst an die Kommission gewandt, nachdem sie mit dieser am 4. März 1994 ein Gespräch hatte. In dieser Note schilderte sie ihr Unternehmen, insbesondere die erbrachten Flugdienste und ihre vertraglichen Beziehungen zum französischen Staat, der sie mit gemeinwirtschaftlichen Aufgaben betraut habe. Sie verwies auf ihre schwierige Finanzlage, die auf der Entwicklung des Wettbewerbs im Luft- und im Schienenverkehr beruhe. Alles in allem wehrte sie sich insbesondere gegen eine zu weitgehende und beschleunigte Öffnung der von ihr von und nach dem Flughafen Orly bedienten Hauptflugstrecken.

67 Zwar trug die Klägerin, wie sie vor Gericht hervorgehoben hat, bei dieser Gelegenheit "rein wirtschaftiche" Gesichtspunkte vor, doch hätte nichts sie daran gehindert, auch rechtliche Argumente vorzubringen. Daß sie davon absah, lässt sich nur mit der Annahme erklären, daß sie die Kommission auf rechtlicher Ebene für ausreichend unterrichtet hielt.

68 Die Kommission hat nämlich, ohne daß die Klägerin dem widersprochen hätte, - unter Bezugnahme auf die Erklärungen der französischen Behörden (siehe oben, Randnr. 55) - angegeben, daß die Klägerin von diesen Behörden über den Ablauf des Verfahrens auf dem Laufenden gehalten worden sei. Daraus ist zu folgern, daß die Klägerin die von den französischen Behörden der Kommission übermittelten Erklärungen zumindest kannte.

69 In diesen Erklärungen, insbesondere in den Noten vom 21. Dezember 1993 und vom 17. März 1994, ging es namentlich um die Auflagen, die der Klägerin in dem Vertrag von 1985 gemacht wurden, um die Gefährdung, die sich für den Betrieb des innerfranzösischen Luftverkehrsnetzes durch die Klägerin und das interne Ausgleichssystem ergebe, wenn die Strecken Orly-Toulouse und Orly-Marseille für den Wettbewerb geöffnet würden, um die Wirkungen der Übereinkunft von 1990, die nach Auffassung der französischen Behörden nur die Mehrfachbenennung vom Flughafen CDG aus betraf, sowie die angebliche Aufgabe des Ausschließlichkeitsrechts der Klägerin aufgrund der insbesondere der Air Afrique gewährten Rechte. Ausserdem wiesen die französischen Behörden in diesen Noten darauf hin, daß die Klägerin ein Unternehmen sei, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag betraut sei, und daß diese Bestimmung höherrangig sei als die Verordnung Nr. 2408/92, durch die die gemeinschaftliche Harmonisierung erfolge. Schließlich erörterten sie eingehend Artikel 5 der Verordnung, der die Verbindung zwischen zwei Flughäfen und nicht zwischen Städten betreffe und es daher zulasse, die der Klägerin gewährte ausschließliche Genehmigung aufrechtzuerhalten.

70 In den Erklärungen der französischen Behörden waren also alle wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkte des vorliegenden Falles, wie sie in der angefochtenen Entscheidung enthalten sind, angesprochen. Insbesondere war in ihnen die besondere Lage der Klägerin dargelegt. Die Klägerin hat in dem Verfahren vor dem Gericht niemals geltend gemacht, daß die Erklärungen insoweit unvollständig seien oder ihren Interessen widersprächen. Sonst hätte sie gewiß nicht versäumt, die Überlegungen der französischen Behörden zu ergänzen.

71 Dieser Feststellung steht die von der Klägerin im Rahmen eines anderen Klagegrundes vorgetragene Behauptung nicht entgegen, die Kommission habe ihre Auslegung der Begriffe "angemessen" und "ununterbrochen" im Sinne des Artikels 5 der Verordnung erstmals vor dem Gericht dargelegt, was beweise, daß die Klägerin insoweit im Verwaltungsverfahren nicht habe Stellung nehmen können (vgl. unten Randnr. 101). Wie unten (Randnr. 123) ausgeführt wird, hängt nämlich die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von der Auslegung dieser beiden Begriffe ab, die überdies in der angefochtenen Entscheidung nur hilfsweise in Betracht gezogen wurden (ABl. S. 36 rechte Spalte vorletzter Absatz). Es handelt sich also nicht um wesentliche rechtliche Gesichtspunkte des vorliegenden Falles.

72 Unter diesen Umständen sind die Verteidigungsrechte der Klägerin beachtet worden. Folglich kann der Klagegrund einer Verletzung dieser Rechte keinen Erfolg haben.

Zum Klagegrund einer Verletzung der Grundsätze der Anhörung und der Redlichkeit gegenüber der Französischen Republik

Vorbringen der Parteien

73 Die Klägerin wirft der Kommission vor, sie habe der französischen Regierung ihre positive Haltung zu den Vorstellungen der TAT mitgeteilt, noch bevor sie diese Regierung zu dem Vorbringen der TAT in ihrer Beschwerde und der Ergänzung dazu gehört habe. Diese Vorgehensweise beweise eine Voreingenommenheit der Kommission. Daran habe sich im weiteren Gang des Verfahrens, bei dessen Abschluß die Kommission der französischen Regierung tatsächlich Gelegenheit zur Äusserung gegeben habe, nichts ändern können. In Wirklichkeit habe die Kommission ihre Entscheidung nämlich schon vor der Anhörung der französischen Regierung getroffen.

74 Die Kommission sei in der vorliegenden Rechtssache nicht entsprechend dem Verfahren in Vertragsverletzungssachen oder in Sachen, auf die die Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, 13, S. 204) anzuwenden sei, vorgegangen, in denen sie zunächst dem betreffenden Mitgliedstaat und den betreffenden Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen die Beschwerdepunkte mit Aufforderung zur Stellungnahme mitteile und dann nach Erhalt der abgegebenen Stellungnahmen ihren eigenen Standpunkt festlege.

75 Artikel 5 EG-Vertrag, Artikel 10 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts (Beschluß des Gerichtshofes vom 13. Juli 1990 in der Rechtssache C-2/88 Imm., Zwartveld u. a. Slg. 1990, I-3365, Urteile des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90, Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223, und des Gerichtshofes vom 10. Juni 1993 in der Rechtssache C-183/91, Kommission/Griechenland, Slg. 1993, I-3131) zeigten, daß die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten zur redlichen Zusammenarbeit verpflichtet seien. Die Kommission müsse sich also gegenüber den Mitgliedstaaten loyal verhalten.

76 Die Kommission habe unredlich gehandelt, als sie behauptet habe, daß die der Klägerin erteilte ausschließliche Genehmigung von den französischen Behörden am 1. März 1992 selbst aufgehoben worden sei, als diese für die TAT die beiden Strecken Paris (CDG)-Marseille und Paris (CDG)-Toulouse geöffnet habe. Sie habe wissen müssen, daß die beiden fraglichen Strecken deshalb geöffnet worden seien, weil sie 1990 eine solche Öffnung gefordert habe. Sie könne daher nicht geltend machen, daß die französischen Behörden der ausschließlichen Genehmigung ein Ende gesetzt hätten, zumal diese Behörden und die Klägerin stets den festen Willen gehabt hätten, den Vertrag von 1985 bis zu seinem Ablauf anzuwenden. Gegenstand dieses Vertrages seien aber nicht Strecken, sondern das Luftverkehrsnetz als solches gewesen.

77 Die Kommission macht geltend, daß die französischen Behörden von Beginn des Verfahrens an über alle zur Verteidigung ihrer Interessen erforderlichen Auskünfte verfügt hätten. Nach dem Verfahren des Artikels 8 Absatz 3 der Verordnung könne sie ihre Entscheidung erst nach Stellungnahme des in Artikel 11 der Verordnung vorgesehenen Beratenden Ausschusses treffen. In diesem Ausschuß könnten alle Mitgliedstaaten, also auch der betroffene, ihre Auffassung zu den Fragen, die Gegenstand eines rechtzeitig mitgeteilten Entscheidungsentwurfs seien, vortragen. Dieser Entwurf sei in der vorliegenden Rechtssache fünfzehn Tage vor der Sitzung des Ausschusses mitgeteilt worden und enthalte eine genaue und vollständige Darstellung der Beanstandungen, die die Kommission gegen Frankreich habe erheben wollen, sowie eine vollständige und genaue Zusammenfassung des rechtlichen und tatsächlichen Vorbringens einschließlich desjenigen der TAT.

78 Wenn sie nach Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung von sich aus eine Untersuchung einleite, sei ihr keine Frist gesetzt; ihre Entscheidung stütze sich auf die im Lauf der Untersuchung gesammelten Daten ohne Einschränkung nach Ermittlungsbereich oder Informationsquelle. Sie sei daher nicht durch den Gegenstand einer Beschwerde gebunden.

79 Schließlich bestreitet sie unter Hinweis auf den Wortlaut der angefochtenen Entscheidung (ABl. S. 36), erklärt zu haben, daß die Ausschließlichkeit der der Klägerin erteilten Genehmigung von den französischen Behörden am 1. März 1992 selbst aufgehoben worden sei.

Würdigung durch das Gericht

80 Die Klägerin hat ein legitimes Interesse daran, eine Verletzung des Grundsatzes der Anhörung gegenüber der Französischen Republik geltend zu machen, da die an den betreffenden Mitgliedstaat gerichtete Aufforderung zur Stellungnahme ein wesentliches Formerfordernis im Sinne des Artikels 173 EG-Vertrag darstellt (vgl. sinngemäß Urteile des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-304/89, Oliveira/Kommission, Slg. 1991, I-2283, Randnrn. 17 und 21, und des Gerichts vom 7. März 1995 in den verbundenen Rechtssachen T-432/93, T-433/93 und T-434/93, Socurte u. a./Kommission, Slg. 1995, II-503, Randnr. 63).

81 Für die Frage, ob die Verteidigungsrechte der Französischen Republik beachtet worden sind, d. h. ob sie Gelegenheit hatte, ihre Auffassung zu den von der Kommission bei Erlaß der angefochtenen Maßnahme zugrunde gelegten Gesichtspunkten in zweckdienlicher Weise darzulegen, ist erheblich, daß die Kommission das Verfahren nach Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung auf Antrag eines Mitgliedstaats oder von Amts wegen einleiten kann.

82 In der vorliegenden Rechtssache hat die Kommission das Verfahren von Amts wegen eingeleitet. Nach der Struktur der angewendeten Bestimmung war die ursprüngliche und die ergänzende Beschwerde der TAT zur Einleitung des Verfahrens nicht erforderlich; sie zählten zu den Gesichtspunkten, die die Kommission zu der Auffassung veranlassen konnten, daß es geboten sei, dieses Verfahren von Amts wegen einzuleiten.

83 Daher musste die Kommission entsprechend dem im Urteil Niederlande u. a./Kommission (a. a. O., Randnr. 45) herausgearbeiteten Grundsatz der Französischen Republik nur eine genaue und vollständige Darstellung der Gründe übermitteln, aus denen sie das fragliche Verfahren von Amts wegen eingeleitet hatte. Sie konnte der Französischen Republik daher die Beschwerden der TAT entweder vollständig übermitteln oder ihren wesentlichen Inhalt in die genannte Darstellung aufnehmen.

84 Dem widerspricht der zweite in dem Urteil Niederlande u. a./Kommission (a. a. O., Randnr. 46) enthaltene Grundsatz nicht, daß der fragliche Mitgliedstaat Gelegenheit erhalten muß, "zu den Äusserungen beteiligter Dritter" Stellung zu nehmen. Der Gerichtshof hat es nämlich nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß die Kommission diese Äusserungen zusammenfasst und dem Mitgliedstaat eine solche Zusammenfassung übermittelt, soweit sie genau und vollständig ist. Er hat in diesem Urteil (Randnr. 49) das von der Kommission durchgeführte Verfahren nur mit der allgemeinen Begründung beanstandet, daß die betreffende Regierung nicht "über die Gespräche zwischen der Kommission und den [betroffenen] Wirtschaftsverbänden" gehört worden war.

85 In der vorliegenden Rechtssache hat die Kommission erstens mit Schreiben vom 20. Oktober 1993 die französischen Luftverkehrsbehörden über die Einreichung einer Beschwerde der TAT gegen die Französische Republik und den Air France-Konzern unterrichtet und ihnen eine Kopie dieser Beschwerde übermittelt mit der Aufforderung, ggf. Stellung zu nehmen. Ferner hat sie mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 an die französische Regierung die Beschwerde der TAT zusammengefasst und eine erste Beurteilung der Rechtslage vorgenommen und dies erneut mit der Aufforderung verbunden, ggf. Stellung zu nehmen. Die Kommission hat zwar bei diesem Anlaß mitgeteilt, daß ihr das Vorbringen der TAT "nach dem Stand der ihr vorliegenden Akten begründet erscheine", doch belegt diese Beurteilung keine Voreingenommenheit zu Lasten der Klägerin und der französischen Behörden, sondern konnte nur vorläufig sein, da die Stellungnahme der französischen Behörden noch nicht vorlag. Die Akten enthalten keinen Hinweis darauf, daß eine Änderung dieser Beurteilung vor dem Erlaß der endgültigen Entscheidung, die in der vorliegenden Rechtssache sechs Monate später ergehen sollte, ausgeschlossen sein würde.

86 Zweitens hat die Kommission mit Schreiben vom 21. Januar 1994 die französische Regierung davon unterrichtet, daß die TAT in Ergänzung ihrer ursprünglichen Beschwerde diese auch auf eine Verletzung des Artikels 8 Absatz 1 der Verordnung durch die französischen Behörden gestützt habe, und hinzugefügt, daß die TAT geltend mache, die französischen Behörden hätten mit der fehlerhaften Anwendung des Artikels 5 der Verordnung in Wirklichkeit zugunsten der Klägerin den Verkehr diskriminierend auf die Flughäfen innerhalb des Pariser Flughafensystems aufgeteilt, und daß die TAT daher von der Kommission verlange, eine Entscheidung aufgrund von Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung zu erlassen. Zwar fasste die Kommission damit nur den Inhalt dieser ergänzenden Beschwerde zusammen und übermittelte sie der französischen Regierung nicht als Kopie, doch behauptet die Klägerin nicht, daß diese Zusammenfassung falsch oder unvollständig sei. Sie macht insbesondere nicht geltend, daß die angefochtene Entscheidung neue Gesichtspunkte enthalte, die offensichtlich aus dem vollständigen Wortlaut der ergänzenden Beschwerde entnommen und von der Kommission im Verwaltungsverfahren nicht übermittelt worden seien.

87 Schließlich ist unstreitig, daß die Kommission vor der Sitzung des Beratenden Ausschusses am 28. Februar 1994 den französischen Behörden einen Entscheidungsentwurf übermittelt hatte und diese in bezug auf diesen Entwurf nicht geltend machten, die tatsächlichen und rechtlichen Umstände seien darin falsch oder unvollständig dargestellt. Überdies fanden vor dem endgültigen Erlaß der angefochtenen Entscheidung zwischen den Vertretern der Kommission und der französischen Regierung mehrere Gespräche statt (vgl. oben Randnrn. 13 bis 24).

88 Somit ist der Französischen Republik von der Kommission Gelegenheit gegeben worden, ihre Auffassung zu den wesentlichen Gesichtspunkten in zweckdienlicher Weise darzulegen, die die Kommission bei Erlaß der angefochtenen Maßnahme zugrunde legte. Im übrigen hat sie, wie oben festgestellt (Randnrn. 69 f.), ihre Verteidigungsrechte tatsächlich ausgeuebt, indem sie sich zu allen wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten, die für den Ablauf des Verwaltungsverfahrens maßgebend waren, äusserte.

89 Folglich ist der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Anhörung gegenüber der Französischen Republik zurückzuweisen.

90 Der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Redlichkeit gegenüber der Französischen Republik wird unten im Rahmen der Untersuchung der Klagegründe eines Verstosses gegen die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 2408/92 und eines Verstosses gegen Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag geprüft.

Zum Klagegrund eines Verstosses gegen die Verordnung Nr. 2408/92

91 Die Rügen, die sich auf die Anwendung der Verordnung Nr. 2408/92 durch die Kommission beziehen, sind zusammen zu erörtern. Die Erörterung betrifft die Auslegung der Artikel 8 und 5 der Verordnung. Sie schließt die Frage ein, ob die der Klägerin gewährte ausschließliche Genehmigung eine Diskriminierung anderer Luftverkehrsunternehmen wie der TAT darstellte, oder ob die Klägerin - wie sie dies mit ihrem zuletzt geprüften Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Redlichkeit gegenüber der Französischen Republik geltend gemacht hat - sich auf den Vertrag von 1985 und die Übereinkunft von 1990 berufen kann, um die Ausschließlichkeit ihrer Genehmigung auch unter der Geltung der Verordnung zu rechtfertigen.

Vorbringen der Parteien

92 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe das beschleunigte Verfahren des Artikels 8 Absatz 3 der Verordnung zu dem Zweck mißbraucht, die der Klägerin für die Strecken Orly-Marseille und Orly-Toulouse gemäß dem Vertrag von 1985 erteilte ausschließliche Genehmigung vor Ablauf der Dreijahresfrist gemäß Artikel 5 der Verordnung zu beenden. Die Frage des Bestehens ausschließlicher Genehmigungen sei jedoch in Artikel 8 Absätze 1 und 2 der Verordnung weder erwähnt noch werde sie von diesen Bestimmungen erfasst. Die Stellung der Klägerin bestehe seit mehreren Jahrzehnten und sei durch einen Vertrag geregelt, der auf den gemeinwirtschaftlichen Erfordernissen hinsichtlich der Raumordnung und einer Demokratisierung des Verkehrs beruhe. Wenn die Kommission wünsche, der ausschließlichen Genehmigung der Klägerin im innerfranzösischen Netz ein Ende zu setzen, so hätte sie das Verfahren nach Artikel 169 EG-Vertrag einleiten müssen.

93 Hilfsweise macht die Klägerin geltend, daß die Kommission Artikel 5 der Verordnung fehlerhaft ausgelegt habe. Zunächst sei die Grundannahme der Kommission, daß die Freiheit des Verkehrs die Regel und die Einschränkungen dieser Freiheit die Ausnahme seien, zurückzuweisen. Die Auslegung von Artikel 5 dürfe nicht einem Regel-Ausnahme-Denken, sondern müsse vielmehr der Vorstellung einer gemeinsamen Verkehrspolitik entsprechen, in deren Rahmen die gegensätzlichen Interessen zu berücksichtigen seien. Artikel 5 enthalte die Zugeständnisse, die den Vertretern der gemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkte im Rat gemacht worden seien.

94 Artikel 5 habe offensichtlich den Zweck, Rechtslagen, die vor Inkrafttreten der Verordnung bestanden hätten, drei Jahre lang aufrechtzuerhalten. Für diese Zeit dürften in jedem Mitgliedstaat, der seinen gemeinwirtschaftlichen Sektor nicht einschneidend ändern wolle, die Verträge, die im Luftverkehr ausschließliche Rechte gewährten, bestehen bleiben, damit die Mitgliedstaaten eine Regelung, die das Allgemeininteresse in einem mit dem neuen gemeinschaftsrechtlichen Kontext vereinbaren Umfang wahre, einführen und die betroffenen Unternehmen ihren Geschäftsbetrieb umstellen könnten.

95 Diese Auslegung werde durch die Materialien zu der Verordnung bestätigt. Als letzten Absatz von Artikel 4 habe der Entwurf der Bestimmung, die dann Artikel 5 geworden sei, nämlich eine "Übergangsregelung für bereits bestehende Genehmigungen im Bereich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen vorgesehen". Der Rat habe also solche Genehmigungen drei Jahre lang aufrechterhalten wollen.

96 Gemäß Artikel 5 könne der Vertrag von 1985, der ihr eine ausschließliche Genehmigung gewähre, bis zum 1. Januar 1996 fortbestehen. Da keine der Parteien diesen Vertrag gekündigt habe, sei er nicht hinfällig geworden. Daß dieser Vertrag der Air Afrique ausdrücklich den Betrieb der Strecke Paris-Marseille gestatte, ändere nichts an der Ausschließlichkeit der ihr erteilten Genehmigung. Ausgangsflughafen der von der Air Afrique betriebenen Strecken sei nämlich nur CDG und nicht Orly. Ausserdem sei die von Air Afrique betriebene Strecke nur eine nach Afrika verlängerte Kabotagelinie mit nur sehr wenigen Linienfluegen (ein Flug pro Woche).

97 Die Ausschließlichkeit der der Klägerin auf den beiden fraglichen Strecken erteilten Genehmigung sei auch nicht durch den Umstand aufgehoben worden, daß die TAT auf den Strecken CDG-Toulouse und CDG-Marseille Linienflugdienste betreibe. Diese Öffnungen seien Ausnahmen, die der französischen Regierung von der Kommission im Rahmen der Übereinkunft von 1990 auferlegt worden seien. Diese Übereinkunft sei jedoch im Lichte der ausschließlichen Rechte der Klägerin auszulegen. Überdies werde die Auslegung, daß die Klägerin die ausschließliche Genehmigung für Flüge ab Orly behalte, durch den Umstand bestätigt, daß die Kommission bei Abschluß der Übereinkunft von 1990 nicht die Erstellung eines neuen Vertrages verlangt habe.

98 Die Klägerin weist darauf hin, daß die ihr erteilte ausschließliche Genehmigung ein ganzes Netz mit vielen Strecken betreffe, da nur eine solche "Netz-Logik" den Ausgleich der Tarife ermöglicht habe, der für die vom französischen Staat gewünschte verkehrsmässige Erschließung des Staatsgebiets erforderlich sei. In der Sitzung hat sie hierzu näher ausgeführt, daß die Einrichtung von Netzen eine für Frankreich typische Besonderheit sei, die für einige der europäischen Partner Frankreichs nur schwer nachvollziehbar sei. Der Begriff des Netzes sei mit dem der gemeinwirtschaftlichen Leistung verknüpft. Von einem mit einer solchen Leistung betrauten Unternehmen wie der Klägerin werde verlangt, diese Leistung überall in Frankreich zu gleichen Preisen zu erbringen. Da die Klägerin ihren Flugverkehr ohne öffentliche Beihilfen ganz selbst finanzieren müsse, habe sie innerhalb des Netzes einen Ausgleich der Tarife vornehmen müssen. Im Rahmen dieses Ausgleichs seien die Einnahmen aus sogenannten "Millionärstrecken" wie Paris-Marseille und Paris-Toulouse zur Finanzierung defizitärer Strecken verwendet worden. Ein solches Finanzierungssystem könne aber ohne eine ausschließliche Genehmigung für die "Millionärstrecken" nicht funktionieren.

99 Die wörtliche Auslegung von Artikel 5 der Verordnung müsse von diesen Überlegungen geleitet sein. So seien "Inlandstrecken" die in den ausschließlichen Genehmigungen festgelegten Strecken, d. h. diejenigen, die zu dem genannten Netz gehörten, und nicht die Verbindungen zwischen Städten, wie es die Kommission behaupte. Diese Auslegung werde durch den Wortlaut der Verordnung bestätigt, in der wiederholt auf Verkehrsdienste zwischen Flughäfen Bezug genommen werde. Lege man Artikel 5 der Verordnung dahin aus, daß das Wort "Strecke" eine Verbindung zwischen zwei Städten bedeute, dann verliere diese Bestimmung ihren Sinn: es brauchten in einer Stadt nur zwei Flughäfen bestehen, und jede zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehende ausschließliche Genehmigung wäre vom Geltungsbereich des Artikels 5 ausgeschlossen.

100 Sodann widerspricht die Klägerin dem Vorbringen der Kommission, daß es jedenfalls eine "angemessene und ununterbrochene Bedienung" durch eine "andere Verkehrsart" gegeben habe, nämlich den Flugdienst Paris (CDG)-Marseille und Paris (CDG)-Toulouse, und daß die Verbindungen von Paris (Orly) nach Marseille und nach Toulouse deshalb von der Ausschließlichkeit hätten ausgenommen werden müssen. Der Begriff "Verkehrsart" sei insoweit als "Beförderungsmittel" zu verstehen, so daß Flugverbindungen nicht zu berücksichtigen seien. Jedenfalls könne der Flugdienst der TAT auf den Strecken CDG-Marseille und CDG-Toulouse, der seit März 1992 zwischen einem Flug pro Tag und einem Flug pro Woche schwanke, angesichts des Bedarfs der Geschäftskreise dieser Regionen nicht als "angemessene und ununterbrochene Bedienung" angesehen werden.

101 Die Klägerin behauptet ausserdem, sie habe von den Begriffen "angemessen" und "ununterbrochen" in der von der Kommission vertretenen Auslegung zum ersten Mal in der Klagebeantwortung erfahren. Dies beweise, daß sie sich nicht habe äussern können. Ausserdem scheue die TAT einen echten Wettbewerb, der in einer Entwicklung des Marktes vom Flughaften CDG aus bestehe, und ziehe es vor in Orly zu schmarotzen. Der TAT seien nämlich Toulouse und Marseille vom Flughafen CDG aus zugänglich gewesen, der aufgrund seiner Grösse, der Zahl der Start- und Landebahnen und der abgefertigten Passagiere eine wichtigere Basis als Orly darstelle. Wenn TAT in Wirklichkeit die Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse nicht vom Flughafen CDG aus betreiben wolle, so sei der Grund dafür also nicht eine angebliche Handhabung diskriminierender Praktiken durch die Klägerin oder die französische Regierung.

102 Schließlich lasse Artikel 5 der Verordnung den Mitgliedstaaten im Bereich ausschließlicher Genehmigungen eine Auffangkompetenz. Eine Ausschließlichkeit im Sinne dieser Bestimmung könne aber nicht beibehalten werden, ohne allen anderen Fluggesellschaften den Zugang zu der geschützten Strecke zu versagen. Somit schließe diese Bestimmung die Möglichkeit zur Verhängung von Maßnahmen ein, die die Kommission zu Unrecht als diskriminierend einstufe. Durch Erlaß der angefochtenen Verordnung versuche die Kommission eine sofortige vollständige Liberalisierung zu erzwingen, obwohl diese Liberalisierung fortschreitend und maßvoll sein und auf den Ausgleich der vielfältigen bestehenden Interessen abzielen müsse. Dabei müssten das Diskriminierungsverbot und zugleich die Erfordernisse einer gemeinwirtschaftlichen Leistung, insbesondere die der Raumordnung, des sozialen Zusammenhalts und der Rechte der Verbraucher sowie die mit der Umwelt und der Sicherheit zusammenhängenden Erfordernisse berücksichtigt werden.

103 Die Kommission führt zunächst aus, daß die streitige französische Maßnahme eine Maßnahme zur Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen des Pariser Systems sei, die nach Artikel 8 der Verordnung beurteilt werden könne. Diese Aufteilung sei auf eine Weise erfolgt, die eine versteckte Diskriminierung darstelle. Sie verstosse gegen das in Artikel 8 der Verordnung enthaltene Diskriminierungsverbot, und die Kommission verfüge deshalb über die in Artikel 8 Absatz 3 vorgesehenen Befugnisse.

104 Artikel 5 der Verordnung ziele darauf ab, eine Unterbrechung einer bestimmten Verbindung zwischen zwei Punkten in einem Mitgliedstaat zu vermeiden. Die Beibehaltung einer ausschließlichen Genehmigung unter bestimmten Bedingungen sei also durch das Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt, den Fortbestand einer Verbindung zwischen zwei Städten zu gewährleisten, wenn es keinen anderen angemessenen, ununterbrochenen Verkehrsdienst gebe. In der vorliegenden Rechtssache lägen diese Voraussetzungen aber nicht vor. Die Klägerin sei nämlich am 1. Januar 1993 nicht mehr Inhaberin einer ausschließlichen Genehmigung für die Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse gewesen, da die TAT am 1. März 1992 die Erlaubnis erhalten habe, zwischen Paris und den beiden fraglichen Städten zu fliegen. Der Vertrag von 1985 müsse daher als überholt angesehen werden. Gleich welches Ausgleichssystem sich die Französische Republik und die Klägerin 1985 ausgedacht hätten, dieses System sei künftig auf der Grundlage der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Verordnung Nr. 2408/92 zu beurteilen, die unvereinbaren nationalen Maßnahmen vorgingen.

105 Sodann seien die "Inlandstrecken" im Sinne des Artikels 5 der Verordnung Verbindungen zwischen zwei Städten und nicht Verbindungen von Flughafen zu Flughafen. Der Begriff "Strecke" sei ein Oberbegriff, der sich sowohl auf Flug- als auch auf Eisenbahn-, mit dem Bus zurückgelegte und sonstige Strecken beziehe. Zudem könne in der vorliegenden Rechtssache "eine angemessene und ununterbrochene Bedienung" "durch andere Verkehrsarten", nämlich die Flugverbindungen von und nach dem Flughafen CDG und mehrere Eisenbahnverbindungen, gewährleistet werden. Der Begriff "ununterbrochen" bedeute, daß keine Gefahr einer Unterbrechung aus klimatischen oder sonstigen Gründen bestehe, während die Angemessenheit sich nach verschiedenen Faktoren beurteile, etwa der Häufigkeit der Bedienung und der Reisedauer, aber auch der Bedürfnisse des Benutzers, der Preise und der angebotenen Kapazitäten.

Würdigung durch das Gericht

- Zur Auslegung von Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung

106 Die Klägerin rügt, die Kommission habe eine Entscheidung gemäß Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung erlassen, anstatt ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 169 EG-Vertrag einzuleiten. Sie hat jedoch nicht nach Artikel 184 EG-Vertrag gerügt, daß diese Verordnungsbestimmung rechtswidrig sei. Sie macht also nicht geltend, daß das Verfahren nach Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung als solches mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 169 EG-Vertrag, unvereinbar sei. Folglich ist im Rahmen dieser Rüge nur nachzuprüfen, ob die Kommission die genannte Verfahrensvorschrift richtig angewendet hat.

107 Hier ist von Belang, daß der Fluggesellschaft TAT, die bereits zur Bedienung der Strecken Paris-Toulouse und Paris-Marseille von und nach dem Flughafen CDG zugelassen war, der Zugang zum Flughafen Orly zur Ausübung von Verkehrsrechten auf denselben Strecken von den französischen Behörden mit der Begründung verweigert wurde, die Bedienung dieser Strecken von und nach Orly sei allein der Klägerin vorbehalten. Da diese beiden Flughäfen aber Teil des Pariser Flughafensystems im Sinne des Artikels 2 Buchstabe m in Verbindung mit Anhang II der Verordnung sind, muß die Maßnahme der französischen Behörden zwangsläufig im Rahmen der Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen dieses Systems im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 der Verordnung ergangen sein. Folglich durfte die Kommission auf ihre Befugnisse nach Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung zurückgreifen und die Anwendung des Artikels 8 Absatz 1 durch die französischen Behörden überprüfen.

108 Hinzu kommt, daß das Vorbringen der Klägerin, das Verfahren nach Artikel 8 Absatz 3 sei ein beschleunigtes Verfahren, fehlgeht, da die Kommission das streitige Verfahren nicht auf Antrag eines Mitgliedstaats - dann hätte es innerhalb eines Monats abgeschlossen werden müssen -, sondern von Amts wegen eingeleitet hat. Die Kommission hat dieses Verfahren nach der Beschwerde der TAT von Ende September 1993 von Amts wegen eingeleitet und Ende April 1994, also sieben Monate später, durch die angefochtene Entscheidung beendet.

109 Im übrigen ist die Verordnung Nr. 2408/92 am 23. Juli 1992 ergangen. Die Mitgliedstaaten mussten also ab Juli 1992 mit einer Anwendung des Artikels 8 Absatz 3 dieser Verordnung im Bereich der Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems rechnen.

110 Schließlich enthält Artikel 8 nichts, was den Schluß zuließe, der blosse Umstand, daß eine Maßnahme zur Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems im Rahmen eines Systems ausschließlicher Genehmigungen ergeht, das seit mehreren Jahrzehnten besteht, wie es die Klägerin geltend macht, reiche für sich allein aus, diese Maßnahme vom Anwendungsbereich des Verfahrens nach diesem Artikel auszuschließen.

111 Folglich hat die Kommission mit der Einleitung des streitigen Verfahrens weder einen Verfahrensmißbrauch begangen noch den Tatbestand des Artikels 8 Absatz 3 der Verordnung verfehlt. Die erste Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

- Zum Verhältnis zwischen den Artikeln 8 und 5 der Verordnung

112 Zu prüfen bleibt, ob die bei Abschluß des genannten Verfahrens erlassene angefochtene Entscheidung den anderen von der Klägerin hilfsweise vorgetragenen Rügen standhält. Die den Mitgliedstaaten durch Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung übertragene Befugnis, die Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems zu regeln, ist dahingehend beschränkt, daß diese Regelung keine "Diskriminierung aus Gründen... der Identität des Luftfahrtunternehmens" bewirken darf. Die Ablehnung des Antrags der TAT auf Zugang zum Flughafen Orly wurde auf Artikel 5 der Verordnung gestützt, weil dieser es zulasse, die der Klägerin für die Strecken Orly-Marseille und Orly-Toulouse erteilte ausschließliche Genehmigung aufrechtzuerhalten. Diese Ablehnung ist somit nur dann ohne Diskriminierung aus Gründen der Identität der TAT erfolgt, wenn die der Klägerin auf den beiden fraglichen Strecken erteilte ausschließliche Genehmigung tatsächlich durch Artikel 5 der Verordnung gedeckt war.

113 Im übrigen heisst es in Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung nur, daß die Französische Republik den Zugang zu diesen beiden Strecken nicht mehr "mit der Begründung verweigern [darf], daß die französischen Behörden für diese Strecken die Bestimmungen von Artikel 5... geltend machen". Da der Gegenstand der angefochtenen Entscheidung derart beschränkt ist, ist das gesamte Vorbringen der Klägerin betreffend die Rechte der Verbraucher sowie die mit der Umwelt und der Sicherheit zusammenhängenden Erfordernisse in dem vorliegenden, nur Artikel 8 Absätze 1 und 3 und Artikel 5 der Verordnung umfassenden Zusammenhang unerheblich.

- Zur Auslegung von Artikel 5 der Verordnung

114 Bereits der Wortlaut von Artikel 5 der Verordnung widerspricht dem Vorbringen der Klägerin, dieser Artikel diene im wesentlichen dazu, nationale Verträge, mit denen eine ausschließliche Genehmigung erteilt worden sei, aufrechtzuerhalten, und diese Verträge wirkten sich auf die Auslegung dieses Artikels entscheidend aus. Artikel 5 macht nämlich die Aufrechterhaltung einer bestehenden ausschließlichen Genehmigung von mehreren besonderen Voraussetzungen abhängig. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat also keine Regelung der Art erlassen, die die Klägerin unter Hinweis auf den Entwurf eines Artikels 4 letzter Absatz der Verordnung anführt, der einfach die Beibehaltung bestehender Genehmigungen vorgesehen hätte (vgl. oben Randnr. 95).

115 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind ausserdem gemeinschaftsrechtliche Begriffe grundsätzlich nicht in Anlehnung an eine nationale Rechtsordnung zu definieren, sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. Urteil vom 14. Januar 1982 in der Rechtssache 64/81, Corman, Slg. 1982, 13, Randnr. 8). Begriffen des Gemeinschaftsrechts, die für die Erläuterung der Bedeutung einer Vorschrift nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, ist in der Regel in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung zu geben, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und der mit der betreffenden Regelung verfolgten Zielsetzung zu ermitteln ist (siehe insbesondere Urteil vom 18. Januar 1984 in der Rechtssache 327/82, Ekro, Slg. 1984, 107, Randnr. 11). Daher ist Artikel 5 der Verordnung autonom auszulegen, wobei Wortlaut, allgemeine Systematik und Zweck zu berücksichtigen sind.

116 Unter Anwendung dieser Auslegungsregeln ist zunächst zu prüfen, ob die ausschließliche Genehmigung, auf die sich die Klägerin für die Strecken Orly-Marseille und Orly-Toulouse beruft, für "Strecken" im Inland erteilt worden ist.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 694A0260.1

117 Der Begriff "Strecken" wird in der Verordnung mehrfach und in unterschiedlichem Zusammenhang verwendet, ist aber nicht in der Liste der fünfzehn in Artikel 2 der Verordnung definierten Begriffe enthalten. Es handelt sich also um einen Begriff, dessen Bedeutung gegebenenfalls je nach Zusammenhang, insbesondere nach dem besonderen Zweck der jeweiligen Regelung verschieden sein und entweder eine Flugverbindung zwischen zwei Flughäfen oder als Oberbegriff eine Verkehrsverbindung zwischen zwei Städten oder Regionen bedeuten kann.

118 Die Systematik und der Zweck des Artikels 5 der Verordnung ergeben sich daraus, daß dieser nur für "Strecken" gilt, auf denen es keine andere angemessene und ununterbrochene Verkehrsart gibt. Mit dieser Formulierung müssen Verbindungen zwischen Städten oder Regionen und nicht, wie die Klägerin behauptet, Verbindungen zwischen Flughäfen gemeint sein. Die Flughäfen sind nämlich im Reise-, Fracht- und Postverkehr nicht das Endziel der Beförderung, sondern vielmehr eine notwendige Durchgangsstelle, während das Endziel die von dem betreffenden Flughafen bediente Stadt oder Region ist. Artikel 5 soll also als Übergangsmaßnahme die Kontinuität der durch eine ausschließliche Genehmigung geschützten Verkehrsdienste unter der Voraussetzung sicherstellen, daß ohne eine solche ausschließliche Genehmigung die Verbindungen zwischen bestimmten Städten oder Regionen in einer die Benutzer störenden Weise unterbrochen würden.

119 Für die Flughäfen Orly und CDG, die zum Pariser Flughafensystem gehören, wird dieses Ergebnis durch Artikel 2 Buchstabe m in Verbindung mit Anhang II der Verordnung bestätigt, wonach diese Flughäfen als Einheit die Stadt bzw. das Ballungsgebiet Paris bedienen. Es hat auch für die Flughäfen von Marseille und Toulouse zu gelten, die bei vernünftiger Betrachtungsweise nicht als Endziel einer in Paris begonnenen Reise angesehen werden können und ebenfalls die jeweilige Stadt bzw. das jeweilige Ballungsgebiet bedienen sollen. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin, der Begriff "Strecke" beziehe sich auf eine Flugverbindung zwischen zwei Flughäfen im technischen Sinn, zurückzuweisen.

120 Nur auf einer "Inlandstrecke" im Sinne einer Verkehrsverbindung zwischen bestimmten Städten bzw. Regionen konnte also eine ausschließliche Genehmigung zugunsten der Klägerin möglicherweise im Sinne des Artikels 5 fortbestehen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß diese aufgrund des Vertrages von 1985 und der Übereinkunft von 1990 auf den Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse tatsächlich über eine ausschließliche Genehmigung von und nach dem Flughafen Orly verfügte, steht jedoch fest, daß seit dem Inkrafttreten der Verordnung andere Fluggesellschaften als die Klägerin dieselben Strecken, wenn auch von und nach dem Flughafen CDG, bedient haben. Die Air Afrique durfte nämlich nach Artikel 19 des Vertrages von 1985 die "Strecke" Paris-Marseille betreiben. Ausserdem hat die Klägerin der in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Feststellung, die französischen Behörden hätten den Betrieb der beiden Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse von und nach dem Flughafen CDG durch die TAT ab 1. März 1992 genehmigt und später den Betrieb der gleichen Strecken durch andere Unternehmen der Gemeinschaft nicht unterbunden (ABl. S. 36), nicht widersprochen.

121 Daraus folgt, daß die Klägerin, unabhängig von der Auslegung des Vertrages von 1985 und der Übereinkunft von 1990, zur maßgeblichen Zeit auf den beiden "Inlandstrecken" im Sinne des Artikels 5, nämlich den Strecken zwischen der Stadt Paris und den Städten Marseille und Toulouse, nicht über eine ausschließliche Genehmigung verfügte.

122 Dem steht das Vorbringen der Klägerin nicht entgegen, die von Air Afrique betriebene Strecke sei nur eine Kabotagelinie und der Flugdienst der TAT von und nach CDG sei weder angemessen noch ununterbrochen, da er zwischen einem Flug pro Tag und einem Flug pro Woche schwanke. Aus dem Wortlaut des Artikels 5 geht nämlich hervor, daß sich die Frage, ob "durch andere Verkehrsarten eine angemessene und ununterbrochene Bedienung gewährleistet werden kann", nur dann stellt, wenn auf den fraglichen "Inlandstrecken" eine ausschließliche Genehmigung besteht. Da die Klägerin, wie söben festgestellt, keine solche ausschließliche Genehmigung besaß, ist die Frage nach einer etwaigen Angemessenheit und Kontinuität der Flugdienste der Air Afrique und der TAT auf den Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse ohne Belang.

123 Folglich ist auch das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe ihre Auslegung der Begriffe "angemessen" und "ununterbrochen" erstmals in der Klagebeantwortung ausgeführt, unerheblich (vgl. oben, Randnrn. 71 und 101).

124 Demzufolge kann Artikel 5 der Verordnung im vorliegenden Fall nicht angewendet werden. Entgegen der Behauptung der Klägerin läuft Artikel 5 damit nicht leer. Dieser Artikel erfasst insbesondere den Fall einer ausschließlichen Genehmigung, die für eine Strecke zwischen zwei Städten erteilt wurde, von denen keine zu einem Flughafensystem gehört, wie z. B. die Strecken Marseille-Ajaccio oder Nizza-Calvi, sofern es keine andere angemessene und ununterbrochene Verkehrsart gibt.

125 Schließlich ist das Vorbringen der Klägerin, die Nichtanwendbarkeit von Artikel 5 auf die beiden streitigen Strecken könne das spezifische französische System des internen Tarifausgleichs zunichte machen, im Rahmen von Klagegründen nicht stichhaltig, die nur auf einen Verstoß gegen die Verordnung gestützt sind. Artikel 5 der Verordnung sieht nämlich eine Prüfung "Strecke für Strecke" unter Ausschluß jeglicher "Netz-Logik" und jeglichen mit einem solchen Netz-Konzept verbundenen Tarifausgleichs vor. Die Fragen nach der Notwendigkeit des französischen Inlandnetzes und des damit zusammenhängenden Ausgleichssystems werden daher unten im Rahmen des auf einen Verstoß gegen Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag gestützten Klagegrundes geprüft. Zudem hat die Klägerin nicht behauptet, daß die Zulassung einer anderen Fluggesellschaft zum Flughafen Orly eine Beeinträchtigung ihrer auf den Strecken Paris-Marseille und Paris-Toulouse erbrachten Flugdienste zur Folge hätte, was den Kunden zum Nachteil geriete.

126 Folglich ist die Fluggesellschaft TAT, der der Zugang zum Flughafen Orly verwehrt wurde, im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 der Verordnung aus Gründen ihrer Identität diskriminiert worden, da diese Ablehnung nicht durch Artikel 5 der Verordnung gerechtfertigt war. Somit ist jede Rüge, mit der geltend gemacht wird, daß keine solche Diskriminierung vorgelegen habe, zurückzuweisen. Dies gilt insbesondere für das Vorbringen der Klägerin, daß der Flughafen CDG in Wirklichkeit für die wirtschaftlichen Zwecke der TAT eine günstigere Basis als der Flughafen Orly dargestellt habe. Da nämlich Artikel 5 nicht herangezogen werden kann, um den Zugang zum letztgenannten Flughafen zu verwehren, war es weder Sache der Klägerin noch der französischen Behörden, anstelle anderer Fluggesellschaften wie der TAT Entscheidungen über die für diese günstigste wirtschaftliche Basis zu treffen.

127 Daraus folgt, daß die Klägerin mit dem zweiten Teil ihres zweiten Klagegrundes (siehe oben, Randnr. 76) der Kommission nicht vorwerfen kann, sie habe mit dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung am 27. April 1994 gegenüber der Französischen Republik unredlich gehandelt. Die französischen Behörden mussten nämlich wissen, daß die Verordnung Nr. 2408/92 jeder unvereinbaren Regelung aus dem Bereich der innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Verträge vorgehen würde. Die Verordnung, die bereits am 23. Juli 1992 erlassen worden war, enthält nämlich keine nähere Bestimmung über das Verhältnis dieser neuen Rechtsvorschrift der Gemeinschaft zu den Besonderheiten der französischen Raumordnungspolitik, zur Verwaltung eines inländischen Luftverkehrsnetzes und zur Einführung eines Systems des Tarifausgleichs, wie sie die Klägerin geltend gemacht hat.

128 Nach alledem sind die Klagegründe eines Verstosses gegen die Verordnung einschließlich eines Verstosses gegen den Grundsatz der Redlichkeit gegenüber der Französischen Republik zurückzuweisen.

Zum Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag

Vorbringen der Parteien

129 Die Klägerin macht geltend, sie nehme auf der Grundlage eines Tarifausgleichs, der es ihr im wesentlichen dank der Rentabilität der Strecken Paris (Orly)-Marseille und Paris (Orly)-Toulouse ermögliche, etwa zwanzig unrentable inländische Flugstrecken zu betreiben, die gemeinwirtschaftliche Aufgabe wahr, im Rahmen der Raumordnung zur Verbesserung der Verkehrsverbindungen zahlreicher Städte und Regionen beizutragen. Sie nimmt damit die im Rahmen der bereits behandelten Klagegründe (siehe Randnr. 98) vorgetragene Argumentation wieder auf. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf eine der Klageschrift als Anhang 6 beigefügte Dokumentation, die zeige, daß die internen Subventionen, die ihre ausschließliche Genehmigung für die fraglichen Strecken möglich gemacht haben, im Jahr 1992 die Finanzierung der Defizite von 27 anderen Strecken erlaubt hätten. Im System der mit dem französischen Staat geschlossenen Verträge bestehe ihre Aufgabe darin, anstelle des Staates das französische Hoheitsgebiet im Bereich des Flugverkehrs zu erschließen. Folglich hätten ihr auch die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, nämlich die auf den beiden streitigen Strecken erzielten Gewinne.

130 Solange eine solche gemeinwirtschaftliche Aufgabe bestehe, sei die französische Regierung berechtigt, den konkurrierenden Fluggesellschaften den Zugang zu den beiden rentablen Strecken zu verweigern. Ein solches Verhalten sei nach den Urteilen des Gerichtshofes vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91 (Corbeau, Slg. 1993, I-2533) und vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92 (Almelo u. a., Slg. 1994, I-1477) gerechtfertigt. Folglich habe die Kommission gegen Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag verstossen, indem sie entschieden habe, daß die französische Regierung nicht berechtigt sei, den Wettbewerbern der Klägerin den Zugang zu den fraglichen rentablen Strecken zu verweigern.

131 Es lasse sich nicht behaupten, daß Artikel 4 der Verordnung mit Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag inhaltsgleich sei, da diese Bestimmung einen weiteren Anwendungsbereich als Artikel 4 habe. Es sei nicht mit der Hierarchie der Normen vereinbar, daß im abgeleiteten Recht eine ständige Ausnahme beschränkt werde, die in einer Bestimmung des EG-Vertrags enthalten sei. Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag erlaube es, Beschränkungen des Wettbewerbs zu rechtfertigen, und finde im Bereich des Artikels 5 Anwendung.

132 Die TAT behaupte zu Unrecht, daß die ausschließliche Genehmigung für die fraglichen Strecken nicht notwendig sei, damit die Klägerin den finanziellen Ausgleich ihres Netzes sicherstellen und die ihr obliegenden gemeinwirtschaftlichen Aufgaben wahrnehmen könne. Schließlich ergebe sich aus den Urteilen des Gerichtshofes vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 72/83 (Campus Oil, Slg. 1984, 2727) und vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069), daß Beschränkungen des Wettbewerbs aus ganz bestimmten Gründen gerechtfertigt sein könnten. Solche Gründe seien insbesondere Transparenz, Leistungspflicht, Einheitstarif und Gemeinschaftsinteresse. Alle diese Voraussetzungen seien in der vorliegenden Rechtssache durch den Vertrag von 1985 erfuellt.

133 Nach Auffassung der Kommission ist seit Erlaß der Verordnung Nr. 2408/92 der unmittelbare Rückgriff auf Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag versperrt, wenn es um gemeinwirtschaftliche Erfordernisse gehe, die im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften wahrgenommen würden. Mit Artikel 4 der Verordnung habe der Rat nämlich die abstrakte Bestimmung des Artikels 90 Absatz 2 auf dem Gebiet des Flugverkehrs innerhalb der Gemeinschaft unter Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen konkretisiert. Da der Rat den in Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag geregelten Tatbestand also für den Bereich der Luftfahrt geprüft habe, sei der Zweck des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag durch Artikel 4 der Verordnung erschöpft.

Würdigung durch das Gericht

134 Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag schließt die Anwendung der Vorschriften des Vertrages aus, soweit diese die Erfuellung der einem Unternehmen, das "mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut" ist, übertragenen "besonderen Aufgabe" rechtlich oder tatsächlich verhindert.

135 Diese Bestimmung ist, da sie unter bestimmten Umständen eine vom EG-Vertrag abweichende Regelung zulässt, eng auszulegen (Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1974 in der Rechtssache 127/73, BRT, Slg. 1974, 313, Randnr. 19). Ihre Anwendung ist nicht dem Ermessen des Mitgliedstaats überlassen, der ein Unternehmen mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut (Urteil des Gerichtshofes vom 20. März 1985 in der Rechtssache 41/83, Italien/Kommission, Slg. 1985, 873, Randnr. 30).

136 Im Lichte dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob sich die Klägerin in der vorliegenden Rechtssache zu Recht auf Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag beruft.

137 Die Klägerin widersetzt sich der Anwendung der wie oben ausgelegten Artikel 5 und 8 der gemäß Artikel 84 EG-Vertrag erlassenen Verordnung Nr. 2408/92.

138 Die Anwendung dieser Artikel könnte jedoch nur insoweit ausgeschlossen sein, als sie die Erfuellung der der Klägerin übertragenen Aufgabe "verhinderte". Da diese Voraussetzung eng auszulegen ist, reichte eine blosse Störung oder Erschwerung dieser Erfuellung nicht aus. Ausserdem war es Sache der Klägerin, eine etwaige Verhinderung der Erfuellung ihrer Aufgabe darzutun (vgl. sinngemäß Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, Sacchi, Slg. 1974, 409, Randnr. 15).

139 Die Klägerin hat lediglich behauptet, daß die Organisation des inländischen Flugverkehrs auf dem System des Ausgleichs zwischen rentablen und unrentablen Strecken beruht habe und daß die ihr für die Strecken Orly-Marseille und Orly-Toulouse gewährte ausschließliche Genehmigung durch ihre Verpflichtung gerechtfertigt gewesen sei, die unrentablen Strecken regelmässig zu annehmbaren Tarifen zu bedienen, um zu der verkehrsmässigen Erschließung des Hoheitsgebiets beizutragen. Sie beziffert nicht den im Fall einer Zulassung anderer, mit ihr auf den beiden streitigen Strecken konkurrierender Luftfahrtunternehmen wahrscheinlichen Einnahmeverlust. Sie legt auch nicht dar, daß dieser Einnahmeverlust einen solchen Umfang annehmen würde, daß sie gezwungen wäre, bestimmte Strecken ihres Netzes aufzugeben.

140 Zudem stellte die von der Klägerin geltend gemachte Verbindung des Systems des inländischen Luftverkehrsnetzes mit dem System des internen Ausgleichs keinen Selbstzweck dar, sondern ein vom französischen Staat gewähltes Mittel zur verkehrsmässigen Erschließung des französischen Staatsgebiets. Die Klägerin hat jedoch nicht behauptet, geschweige denn dargetan, daß es nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2408/92 kein anderes zur verkehrsmässigen Erschließung des Staatsgebiets und insbesondere zur Sicherstellung der Finanzierung defizitärer Strecken geeignetes System gegeben habe (vgl. auch Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes, Frankreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 35).

141 Folglich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, daß die angefochtene Entscheidung die Erfuellung der ihr übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Der Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag hat daher ebenfalls keinen Erfolg.

Zum Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit

Vorbringen der Parteien

142 Die Klägerin erinnert daran, daß nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 20. März 1979 in der Rechtssache 122/78, Buitoni, Slg. 1979, 677, und vom 5. Juli 1977 in der Rechtssache 114/76, Bela-Mühle, Slg. 1977, 1211) der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der die Prüfung verlange, ob die angefochtenen Rechtsakte hinsichtlich der angestrebten Ziele erforderlich und geeignet seien, von juristischen oder natürlichen Personen geltend gemacht werden könne, um jeglichen Rechtsakt eines Gemeinschaftsorgans, gleich ob Rechtssetzungs- oder Verwaltungsakt, anzufechten. In der vorliegenden Rechtssache habe die von der französischen Regierung getroffene Entscheidung, ein neues Gesetz über die Raumordnung sowie ein neues System zur Finanzierung der defizitären nationalen Strecken auszuarbeiten und eine fortschreitende Öffnung eben dieses nationalen Marktes für den Wettbewerb zu beschließen, völlig im Verhältnis zu dem Ziel gestanden, den Flugverkehr zu liberalisieren. Dagegen sei die Entscheidung der Kommission, die Öffnung der rentablen Strecken wenige Monate vor dem von der französischen Regierung festgelegten Zeitpunkt für den Wettbewerb zu erzwingen, gegenüber dem verfolgten Ziel unverhältnismässig gewesen und habe die Interessen der Klägerin missachtet, die eine Übergangszeit benötigt habe, um sich anzupassen.

143 Die Kommission trägt vor, daß die angeführten Urteile in der vorliegenden Rechtssache nicht einschlägig seien, da sie das Verfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag beträfen, während es sich hier um ein Verfahren nach Artikel 173 EG-Vertrag handle und die Kommission ihre Entscheidung auf der Grundlage einer Verordnung erlassen habe, deren Rechtswidrigkeit nur gemäß Artikel 184 EG-Vertrag geltend gemacht werden könne. Die Klägerin wende sich aber nicht gegen die Verordnung als solche, sondern gegen den Gebrauch, den die Kommission von den ihr nach dieser Verordnung verliehenen Befugnissen gemacht habe.

Würdigung durch das Gericht

144 Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, daß die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist, und daß dabei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist (vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 17. Mai 1984 in der Rechtssache 15/83, Denkavit Nederland, Slg. 1984, 2171, Randnr. 25, und vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 21).

145 In der vorliegenden Rechtssache ergibt die Prüfung der vorstehenden Klagegründe, daß die Kommission mit dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung die Artikel 8 und 5 der Verordnung Nr. 2408/92 richtig angewendet hat. Überdies ist die Rechtmässigkeit dieser Vorschriften nicht mit einer Einrede der Rechtswidrigkeit nach Artikel 184 EG-Vertrag in Abrede gestellt worden. Folglich kann die angefochtene Entscheidung nicht als überzogene Maßnahme angesehen werden, zumal Artikel 3 dieser Entscheidung der Französischen Republik sogar eine Sechsmonatsfrist zur Anpassung gewährte.

146 Folglich ist der Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit ebenfalls zurückzuweisen.

147 Da keiner der von der Klägerin vorgetragenen Klagegründe Erfolg hatte, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

148 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr im Hinblick auf den Antrag der Kommission die Kosten einschließlich der Kosten der Streithelferin TAT und der mit dem Verfahren in der Rechtssache C-301/94, das vor dem Gerichtshof stattgefunden hat, zusammenhängenden Kosten aufzuerlegen. Der Streithelfer Vereinigtes Königreich trägt gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.

149 Dem von der Klägerin erstmals in der Sitzung gestellten Antrag, der Kommission gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung die gesamten Kosten aufzuerlegen, ist nicht stattzugeben. Dieser Antrag enthält keinerlei Angabe darüber, daß etwa aussergewöhnliche Gründe vorlägen oder die Kommission der Klägerin grundlos oder böswillig Kosten verursacht habe.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens in der Rechtssache C-301/94, das vor dem Gerichtshof stattgefunden hat, sowie der Kosten der Streithelferin TAT, jedoch mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers Vereinigtes Königreich, der seine eigenen Kosten trägt.

Ende der Entscheidung

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