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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 12.02.2004
Aktenzeichen: T-282/01
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 91 Abs. 1 Buchst. a
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 239
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 Art. 905
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 Art. 907
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 12. Februar 2004. - Aslantrans AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Zollrecht - Erstattung von Einfuhrabgaben - Während des Transports gestohlene Zigarettenladung - Begriff des besonderen Falles im Sinne des Artikels 905 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 - Fristwahrung. - Rechtssache T-282/01.

Parteien:

In der Rechtssache T-282/01

Aslantrans AG mit Sitz in Rickenbach bei Wil (Schweiz), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Weigell,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch R. Tricot und S. Fries, sodann durch X. Lewis und S. Fries als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung REM 19/00 der Kommission vom 18. Juli 2001, mit der der Antrag der Bundesrepublik Deutschland auf Erstattung der Einfuhrabgaben an die Klägerin abgelehnt wurde,

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin P. Lindh sowie der Richter R. García-Valdecasas und J. D. Cooke,

Kanzler: I. Natsinas, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom

11. November 2003,

erlässt

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1. Nach Artikel 91 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im Folgenden: Zollkodex) können Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr in ein Drittland bestimmt sind, im externen Versandverfahren zwischen zwei innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelegenen Orten befördert werden, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben, anderen Abgaben oder handelspolitischen Maßnahmen unterliegen.

2. Gemäß Artikel 37 des Zollkodex unterliegen Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, vom Zeitpunkt des Verbringens an der zollamtlichen Überwachung. Diese Waren bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, bis sie wieder ausgeführt werden. Gemäß Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

3. Artikel 239 des Zollkodex sieht allerdings die Möglichkeit vor, die entrichteten Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 des Zollkodex genannten Fällen, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind, vollständig oder teilweise zu erstatten oder zu erlassen.

4. Dieser Artikel 239 wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung), zuletzt geändert, was den für die vorliegende Rechtssache einschlägigen rechtlichen Rahmen angeht, durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 (ABl. L 212, S. 18), präzisiert und näher ausgeführt.

5. Nach Artikel 899 der Durchführungsverordnung erstattet oder erlässt die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlass gestellt worden ist, die betreffenden Einfuhrabgaben, wenn sie feststellt, dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 900 bis 903 der Durchführungsverordnung beschriebenen Tatbestände erfuellen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt.

6. Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe a der Durchführungsverordnung sieht hierzu vor, dass die Einfuhrabgaben erstattet oder erlassen werden, wenn Nichtgemeinschaftswaren, die sich in einem Zollverfahren mit vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben befinden, gestohlen worden sind, sofern diese Waren kurzfristig wieder gefunden und in dem Zustand, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Diebstahls befanden, wieder ihren ursprünglichen zollrechtlichen Status erhalten.

7. Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt, dass, wenn die Zollbehörde nicht in der Lage ist, nach Artikel 899 zu entscheiden, und die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission vorlegt. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung muss die der Kommission übermittelte Vorlage alle für eine vollständige Prüfung des Falles notwendigen Angaben enthalten. Die Kommission kann zusätzliche Angaben anfordern, wenn sich herausstellt, dass die von dem Mitgliedstaat mitgeteilten Angaben nicht ausreichen, um in voller Kenntnis der Sachlage über den Fall zu entscheiden.

8. Nach Artikel 906a der Durchführungsverordnung teilt die Kommission, wenn sie eine Entscheidung zu Lasten des die Erstattung oder den Erlass beantragenden Beteiligten treffen will, diesem in einem Schreiben alle der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente mit und übersendet ihm alle Unterlagen, auf die sie die Entscheidung stützt. Der Antragsteller hat sodann einen Monat Zeit, um Stellung zu nehmen.

9. Artikel 907 der Durchführungsverordnung bestimmt, dass die Entscheidung der Kommission, ob die besonderen Umstände die Erstattung oder den Erlass rechtfertigen oder nicht, innerhalb von neun Monaten nach Eingang der Vorlage bei der Kommission zu treffen ist. Sieht sich die Kommission veranlasst, bei dem Mitgliedstaat zusätzliche Auskünfte anzufordern, so wird diese Frist um die Zeit verlängert, die zwischen dem Zeitpunkt der Absendung dieses Ersuchens durch die Kommission und dem Zeitpunkt des Eingangs der Auskünfte bei ihr verstrichen ist. Hat die Kommission dem Antragsteller ihre Argumente mitgeteilt, so verlängert sich die Frist entsprechend um den Zeitraum zwischen dem Datum der Absendung besagter Argumente durch die Kommission und dem Datum des Eingangs der Stellungnahme des Beteiligten oder, im Falle der unterbliebenen Stellungnahme, dem Datum des Ablaufs der zur Stellungnahme gesetzten Frist.

10. Nach Artikel 908 Absatz 2 der Durchführungsverordnung trifft die zuständige Behörde des Mitgliedstaats ihre Entscheidung über den Antrag anhand der Entscheidung der Kommission. Artikel 909 der Durchführungsverordnung bestimmt, dass die nationale Zollbehörde dem Antrag auf Erstattung oder Erlass stattgibt, wenn die Kommission innerhalb der in Artikel 907 genannten Frist von neun Monaten keine Entscheidung getroffen hat.

Sachverhalt

11. Am 14. Mai 1997 legte die Klägerin beim Hafenzollamt von Antwerpen (Belgien) eine Anmeldung über die Überführung einer Ladung von 12 110 000 Zigaretten in das externe Versandverfahren vor, die von Antwerpen nach Montenegro (Serbien und Montenegro) befördert werden sollte. Bestimmungszollstelle war Karawanken/Rosenbach (Österreich). Der Lkw mit Auflieger und Ladung wurde mit Eintritt in das Zollgebiet der Gemeinschaft zur vorübergehenden Verwendung abgefertigt. Der Lkw, der Auflieger und die Ladung wurden der zollamtlichen Überwachung unterstellt.

12. Am 15. Mai 1997 wurde der Lkw mit dem Auflieger und der Zigarettenladung auf dem Autobahnrastplatz Rhein-Böllen (Deutschland) nahe der belgischen und der niederländischen Grenze gestohlen.

13. Die Zugmaschine wurde am 2. Juni 1997 auf einem Autobahnparkplatz in Grevenbroich-Kappeln (Deutschland) aufgefunden. Am 3. Juni 1997 wurde der Auflieger in Zonhoven (Belgien) leer aufgefunden. Die Ladung konnte jedoch nicht gefunden werden.

14. Die deutsche Kriminalpolizei führte die den Diebstahl betreffenden Ermittlungen und nahm dabei mit den zuständigen Dienststellen der belgischen Polizei Kontakt auf. Sie nahm in ihren Ermittlungsberichten vom 2. Juni und vom 29. Oktober 1997 einen Zusammenhang zwischen diesem Diebstahl und anderen Diebstählen und Diebstahlsversuchen an, die auf Autobahnparkplätzen in der Nähe desjenigen stattgefunden hatten, auf dem der hier fragliche Diebstahl verübt worden war, und kam zu dem Ergebnis, dass es sich möglicherweise um eine Gruppe von Tätern handelte, die in organisierter Weise im Grenzgebiet zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden operierte.

15. Das zuständige Hauptzollamt Koblenz erließ am 27. Mai 1997 gegenüber der Klägerin als der für den ordnungsgemäßen Ablauf des Versandverfahrens Verantwortlichen gemäß Artikel 203 des Zollkodex einen Steuerbescheid über Zoll in Höhe von 395 392,01 DM für die Zigarettenladung.

16. Mit Antrag vom 28. Mai 1998 beantragte die Klägerin, die den geforderten Betrag bereits gezahlt hatte, bei den deutschen Behörden, den auf die gestohlenen Zigaretten festgesetzten Zoll zu erstatten.

17. Mit Schreiben vom 1. August 2000, das am 24. August 2000 bei der Kommission einging, ersuchte das deutsche Bundesministerium der Finanzen die Kommission, zu entscheiden, ob die von der Klägerin beantragte Erstattung der Einfuhrabgaben im vorliegenden Fall gerechtfertigt sei.

18. Mit Schreiben vom 1. März 2001, abgesandt am 6. März 2001, teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, eine abschlägige Entscheidung zu treffen, wobei sie die für die Ablehnung des Erstattungsantrags sprechenden Gründe vortrug und die Klägerin aufforderte, sich binnen eines Monats zu äußern.

19. Mit Schreiben vom 30. März 2001 äußerte sich die Klägerin zu den Bedenken, die die Kommission in Bezug auf den Erstattungsantrag geltend gemacht hatte.

20. Mit Schreiben vom 15. Mai 2001 wies die Klägerin die Kommission auf Presseartikel hin, wonach ein hoher Beamter des Bundesministeriums der Finanzen aus dem Bereich Zoll/Zollfahndung der Bestechlichkeit und des Verrats von Dienstgeheimnissen verdächtigt werde und die Ermittlungen gegen den organisierten Zigarettenschmuggel seit dem Amtsantritt dieses Beamten torpediert worden seien.

21. Mit Schreiben vom 17. Mai 2001 forderte die Kommission das Bundesministerium der Finanzen auf, ihr mitzuteilen, ob der betreffende Beamte zur Zeit der Zollschuldentstehung im Fahndungsbereich tätig gewesen und ob es möglich sei, dass dessen Aktivitäten einen direkten Einfluss auf den vorliegenden Fall gehabt hätten.

22. Mit Schreiben vom 30. Mai 2001, das am 14. Juni 2001 bei der Kommission einging, erklärte das Bundesministerium der Finanzen, dass der betreffende Beamte das Fahndungsreferat zur Bekämpfung von Zollbetrug erst im Dezember 1997 übernommen habe, d. h. nach den Ereignissen, die zur Entstehung der fraglichen Zollschuld geführt hätten. Die deutschen Behörden übermittelten der Kommission mit Telefax vom 27. Juni 2001 die Erklärung der Klägerin, wonach diese vom Schreiben der Kommission und der Antwort des Bundesministeriums Kenntnis genommen habe.

23. Am 15. Juni 2001 konsultierte die Kommission auf Antrag der deutschen Behörden die im Rahmen des Ausschusses für den Zollkodex zusammentretende Sachverständigengruppe aus Vertretern aller Mitgliedstaaten.

24. Mit der Entscheidung REM 19/00 vom 18. Juli 2001 entschied die Kommission, dass die Einfuhrabgaben nicht zu erstatten sind (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). In der Begründungserwägung 29 dieser Entscheidung stellte die Kommission fest, dass die Tatbestände im vorliegenden Fall weder einzeln noch zusammengenommen als ein besonderer Umstand im Sinne des Artikels 239 [des Zollkodex] gewertet werden [könnten].

25. Nachdem die Kommission diese Entscheidung der deutschen Verwaltung mitgeteilt hatte, lehnte diese am 27. August 2001 den Erstattungsantrag der Klägerin ab.

Verfahren und Anträge der Parteien

26. Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 2. November 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

27. Das Gericht (Fünfte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

28. Die Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 11. November 2003 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

29. In der Sitzung hat die Klägerin ihren Antrag, das Gericht möge die Bundesrepublik Deutschland ermächtigen, ihr gemäß ihrem Antrag vom 28. Mai 1998 den bereits entrichteten Zoll zu erstatten, zurückgenommen.

30. Die Klägerin beantragt,

- die Entscheidung REM 19/00 der Kommission vom 18. Juli 2001 für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

31. Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

32. Die Klägerin stützt ihre Anträge darauf, dass erstens die für den Erlass der angefochtenen Entscheidung vorgesehene Frist nicht eingehalten worden sei und zweitens ein besonderer Fall vorliege, in dem weder offensichtliche Fahrlässigkeit noch betrügerische Absicht im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex und des Artikels 905 der Durchführungsverordnung gegeben sei.

Zum ersten Klagegrund: Nichteinhaltung der für den Erlass der angefochtenen Entscheidung vorgesehenen Frist

Vorbringen der Parteien

33. Die Klägerin macht geltend, dass die Kommission die angefochtene Entscheidung nach Ablauf der in Artikel 907 der Durchführungsverordnung festgelegten Frist von neun Monaten erlassen habe, die ab dem Zeitpunkt des Eingangs der von den nationalen Behörden übermittelten Unterlagen laufe. Die Kommission könne sich zum Zweck einer Verlängerung dieser Frist nicht auf die Anfrage berufen, die sie am 17. Mai 2001 an die deutschen Behörden in Bezug auf einen etwaigen Korruptionsfall in deren Zollfahndungsdienst gerichtet habe, denn diese Anfrage sei völlig überfluessig gewesen.

34. Erstens seien der Kommission die Tatsachen und die Umstände, die sie mit Schreiben vom 17. Mai 2001 abgefragt habe, bereits bekannt gewesen. Die Kommission sei über den Zeitpunkt informiert gewesen, zu dem die unter Korruptionsverdacht stehende Person ihre Tätigkeit für den Zollfahndungsdienst aufgenommen habe, weil der mit den Ermittlungen beauftragte Kommissionsbeamte vorher im deutschen Bundesministerium der Finanzen gearbeitet und diesen Fall deshalb persönlich gekannt habe.

35. Zweitens hätten die Tatsachen, die Gegenstand der Anfrage der Kommission gewesen seien, keine Auswirkungen auf die Behandlung des Erstattungsantrags haben können, da die deutsche Zollfahndung in dem fraglichen Fall überhaupt nicht tätig geworden sei. Ermittelt habe vielmehr die deutsche Kriminalpolizei. Die Klägerin habe die Kommission in ihrem Schreiben vom 15. Mai 2001 lediglich darauf hingewiesen, dass der von ihr angeführte etwaige Korruptionsfall ein weiteres Indiz für die offensichtlich vorliegenden Mängel darstelle, keineswegs aber geltend gemacht, dass dies einen wie auch immer gearteten Einfluss auf die Behandlung ihres Erstattungsantrags gehabt haben könnte.

36. Die Kommission trägt vor, dass die Entscheidung innerhalb der vorgeschriebenen Frist ergangen sei, da diese nach Artikel 907 der Durchführungsverordnung durch ihr an die deutsche Behörde gerichtetes Auskunftsersuchen wirksam verlängert worden sei.

Würdigung durch das Gericht

37. Nach Artikel 905 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Durchführungsverordnung kann die Kommission zusätzliche Angaben anfordern, wenn sich herausstellt, dass die von der nationalen Behörde mitgeteilten Angaben nicht ausreichen, um in voller Kenntnis der Sachlage über den Fall zu entscheiden. Nach Artikel 907 Absatz 2 der Durchführungsverordnung wird durch ein solches Auskunftsersuchen die Frist verlängert, über die die Kommission verfügt, um zu dem Erstattungsantrag Stellung zu nehmen.

38. Um feststellen zu können, ob die Anfrage der Kommission bei den deutschen Behörden vom 17. Mai 2001 die Frist für den Erlass der angefochtenen Entscheidung wirksam verlängert hat, ist zunächst zu prüfen, ob die Auskünfte, die Gegenstand dieser Anfrage waren, die Stellungnahme der Kommission zum Erstattungsantrag hätten beeinflussen können.

39. Mit ihrem Schreiben vom 17. Mai 2001 hat die Kommission das Bundesministerium der Finanzen gebeten, ihr mitzuteilen, ob der unter Korruptionsverdacht stehende Beamte zur Zeit der Entstehung der fraglichen Zollschuld im Fahndungsbereich tätig gewesen und ob es möglich sei, dass dessen Aktivitäten einen direkten Einfluss auf den vorliegenden Fall gehabt hätten. Nach der Rechtsprechung muss die Kommission für die Frage, ob nach Lage des Falles besondere Umstände vorliegen, sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen (Urteil des Gerichts vom 10. Mai 2001 in den Rechtssachen T-186/97, T-187/97, T-190/97 bis T-192/97, T-210/97, T-211/97, T-216/97 bis T-218/97, T-279/97, T280/97, T-293/97 und T-147/99, Kaufring u. a./Kommission, Slg. 2001, II-1337, Randnr. 222). Nach Ansicht des Gerichts durfte die Kommission im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass in der Sphäre der Tätigkeit der nationalen Verwaltung liegende Umstände, wie die Möglichkeit eines Falles von Korruption in deren Dienststellen, unter Umständen - unter der Voraussetzung, dass ein Kausalzusammenhang mit der Entstehung der Zollschuld bestanden hätte - auf einen besonderen Fall im Sinne der Artikel 239 des Zollkodex und 905 der Durchführungsverordnung schließen lassen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 7. September 1999 in der Rechtssache C61/98, De Haan, Slg. 1999, I5003, Randnr. 53). Somit ist die Kommission zu Recht davon ausgegangen, dass die erbetenen Auskünfte erheblich seien und es ihr ermöglichen würden, in voller Kenntnis der Sachlage über den Erstattungsantrag zu entscheiden.

40. Dem steht das Vorbringen der Klägerin, die deutsche Zollfahndung sei an den Ermittlungen bezüglich des Warendiebstahls nicht beteiligt gewesen, nicht entgegen. Es ändert nämlich nichts daran, dass die unter Korruptionsverdacht stehende Person ein hoher, im Bundesministerium der Finanzen tätiger Verwaltungsbeamter war, der über spezifische Befugnisse im Bereich der Zollfahndung verfügte und daher Zugang zu Informationen hätte haben können, die den Diebstahl, die Hehlerei oder die Verdeckung der Straftat hätten erleichtern können.

41. Darüber hinaus steht dieses Vorbringen der Klägerin im Widerspruch zu dem, was sie sowohl im Verwaltungsverfahren als auch vor dem Gericht im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes vorgetragen hat. So war es die Klägerin, die die Kommission mit Schreiben vom 15. Mai 2001 auf das mögliche Vorliegen eines Korruptionsfalls aufmerksam gemacht hatte. Auch hat die Klägerin in ihrer Klageschrift wiederholt Bezug auf die Ermittlungen zum Verhalten des unter Korruptionsverdacht stehenden Beamten genommen, insbesondere um darzulegen, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen.

42. Zweitens ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen, die Kommission habe bereits über die von der deutschen Verwaltung erbetenen Auskünfte verfügt. Hierzu genügt der Hinweis, dass - selbst wenn es als bewiesen anzusehen wäre, dass der für den Fall zuständige Kommissionsbeamte aufgrund seiner früheren Tätigkeit in der deutschen Finanzverwaltung über Informationen in Bezug auf den angeblichen Korruptionsfall verfügt hat - die bloße Tatsache, dass ein Beamter möglicherweise eigene Kenntnisse von Einzelheiten eines bestimmten Falles hat, es keinesfalls überfluessig macht, geeignete Beweisstücke zu erlangen. Hier konnten solche Beweise nur von der von dem Korruptionsverdachtsfall betroffenen nationalen Behörde, und zwar im Wege eines Auskunftsersuchens auf der Grundlage des Artikels 905 der Durchführungsverordnung, erlangt werden.

43. Das Vorgehen der Kommission stand demnach in Einklang mit Artikel 905 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Durchführungsverordnung. Dieses Auskunftsersuchen an die deutschen Behörden hat somit die für den Erlass der Entscheidung festgelegte Frist nach Artikel 907 Absatz 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung verlängert. Die angefochtene Entscheidung ist daher innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist erlassen worden.

44. Der erste Klagegrund ist folglich zurückzuweisen.

Zweiter Klagegrund: Bestehen eines besonderen Falles und Nichtvorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit und betrügerischer Absicht im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex und des Artikels 905 der Durchführungsverordnung

Vorbringen der Parteien

45. Die Klägerin trägt vor, sie habe sich in einer besonderen Lage befunden, die sich aus Umständen ergeben habe, bei denen ihrerseits weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne der Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex und 905 der Durchführungsverordnung vorgelegen habe, so dass der Erstattungsantrag gerechtfertigt sei.

46. Erstens sei sie weder an der Verhinderung des normalen Ablaufs und der Wiedergestellung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens in betrügerischer Absicht beteiligt gewesen, noch habe sie sich in dieser Hinsicht einer offensichtlichen Fahrlässigkeit schuldig gemacht. Sie sei vielmehr Opfer krimineller Machenschaften im Rahmen der organisierten Kriminalität geworden, an denen keiner ihrer Vertreter beteiligt gewesen sei. Sie habe insbesondere durch den Einbau eines Satellitenortungssystems sämtliche technischen Möglichkeiten ausgeschöpft, um einen Diebstahl des Lkw zu verhindern und diesen im Fall eines Diebstahls schnellstmöglich wieder aufzufinden.

47. Zweitens sei der Diebstahl des Fahrzeugs und der Zigaretten unter besonderen Umständen im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex erfolgt. Besondere Umstände im Sinne dieser Vorschrift lägen vor, wenn sich der Steuerpflichtige in einer Lage befinde, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausübten, außergewöhnlich sei (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C-86/97, Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041).

48. Der Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98 (Söhl & Söhlke, Slg. 1999, I-7877) festgestellt, dass außergewöhnliche Umstände solche sein könnten, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd seien - nicht zu den Ereignissen gehörten, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt sei. Zwar beziehe sich dieses Urteil auf außergewöhnliche Umstände im Rahmen des Artikels 49 des Zollkodex, aber erstens handele es sich sowohl bei Artikel 49 als auch bei Artikel 239 des Zollkodex um Billigkeitsregelungen, und zweitens seien die jeweiligen Durchführungsvorschriften zu diesen Artikeln, d. h. die Artikel 859 und 905 der Durchführungsverordnung, im Wesentlichen die gleichen.

49. Unter den Umständen des vorliegenden Falles habe sich nicht nur das Diebstahlrisiko verwirklicht, dem jeder innergemeinschaftliche Warentransport ausgesetzt sei, sondern diese Umstände seien auch außergewöhnliche Umstände im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die den Zigarettendiebstahl erst ermöglicht bzw. erleichtert hätten. Die Klägerin verweist erneut darauf, dass sie Opfer der organisierten Kriminalität geworden sei. Außerdem hätten die zuständigen deutschen Strafverfolgungsbehörden die Wiedergestellung der gestohlenen Zigaretten in das gemeinschaftliche Versandverfahren in mehrfacher Hinsicht verhindert. Insbesondere sei die fehlende Zusammenarbeit der deutschen Polizei mit der belgischen und der niederländischen Polizei zu beanstanden. Ferner sei auf das gegen einen Referatsleiter im Bereich der Zollfahndung laufende Ermittlungsverfahren wegen Behinderung der Zollfahndung im Bereich Zigarettenschmuggel zu verweisen. Den zuständigen Polizeibehörden sei zwar seit März 1997 bekannt gewesen, dass in dem fraglichen Gebiet für hochwertige Warenlieferungen ein erhöhtes Diebstahlsrisiko bestanden habe, sie hätten jedoch keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen für die fragliche Beförderung ergriffen und es versäumt, die Klägerin auf die bestehenden Gefahren aufmerksam zu machen. Somit sei die Klägerin auf der von ihr zu befahrenden Strecke einem wesentlich höheren Diebstahlsrisiko ausgesetzt gewesen als vergleichbare Transportunternehmen auf anderen europäischen Fahrstrecken. Die Kommission sei angesichts der institutionellen Schwäche der grenzübergreifenden Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union, die den Diebstahl begünstigt habe, untätig geblieben.

50. Schließlich macht die Klägerin geltend, dass sich die Umstände des vorliegenden Falles von denen unterschieden, die dem Urteil des Gerichtshofes vom 5. Oktober 1983 in den Rechtssachen 186/82 und 187/82 (Magazzini Generali, Slg. 1983, 2951) zugrunde gelegen hätten. In jenem Fall seien ausschließlich italienische Behörden mit den Ermittlungen befasst gewesen, deren Arbeit nicht durch eigene Beamte behindert worden sei. Außerdem habe der Gerichtshof im Urteil Magazzini Generali entscheiden müssen, ob ein Diebstahl grundsätzlich ein Akt höherer Gewalt sein könne. Im vorliegenden Fall stelle sich hingegen nicht die Frage, ob ein Diebstahl grundsätzlich ein besonderer Umstand im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex sei, sondern ob aufgrund sämtlicher dem fraglichen Diebstahl zugrunde liegender Tatsachen besondere Umstände vorlägen, die ausnahmsweise eine Haftung der Klägerin nicht rechtfertigten.

51. Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, dass Diebstahl oder betrügerische Handlungen Dritter als solche keine besonderen Umstände im Sinne des Artikels 239 des Zollkodex seien, sondern ein gewöhnliches Risiko darstellten, dem der Wirtschaftsteilnehmer im Normalfall ausgesetzt sei. Auch von den Argumenten, die die Klägerin zu den Umständen des vorliegenden Falles vorgetragen habe, sei keines geeignet, die Beurteilung dieses Diebstahls als außergewöhnlichen Fall und die Anwendung der Billigkeitsregelung des Artikels 239 Zollkodex zu rechtfertigen.

Würdigung durch das Gericht

52. Artikel 905 der Durchführungsverordnung, der die Regelung des Artikels 239 des Zollkodex präzisiert und näher ausführt, stellt eine allgemeine Billigkeitsklausel für außergewöhnliche Fälle dar, die als solche unter keinen der in den Artikeln 900 bis 904 der Durchführungsverordnung beschriebenen Tatbestände fallen (Urteil Trans-Ex-Import, Randnr. 18).

53. Aus Artikel 905 ergibt sich, dass die Erstattung von Eingangsabgaben von der Erfuellung zweier kumulativer Voraussetzungen abhängt, nämlich erstens vom Vorliegen eines besonderen Falles und zweitens vom Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit und betrügerischer Absicht des Beteiligten (vgl. in diesem Sinne Urteil De Haan, Randnr. 42, und Urteil des Gerichts vom 18. Januar 2000 in der Rechtssache T-290/97, Mehibas Dordtselaan/Kommission, Slg. 2000, II15, Randnr. 87). Der Erlass der Abgaben ist daher bereits dann zu versagen, wenn eine der beiden Voraussetzungen fehlt (Urteil des Gerichts vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-75/95, Günzler Aluminium/Kommission, Slg. 1996, II497, Randnr. 54; Urteil Mehibas Dordtselaan/Kommission, Randnr. 87).

54. Da die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten hat, es sei nicht gerechtfertigt, dem Erstattungsantrag stattzugeben, weil die Tatbestände im vorliegenden Fall nicht als ein besonderer Umstand gewertet werden könnten, hat sie die zweite Voraussetzung - Fehlen betrügerischer Absicht und offensichtlicher Fahrlässigkeit der Klägerin - nicht geprüft. Infolgedessen ist hier nur die Frage zu prüfen, ob die Kommission den Begriff des besonderen Falles falsch ausgelegt hat.

55. Nach ständiger Rechtsprechung verfügt die Kommission über einen Beurteilungszeitraum, wenn sie in Anwendung der auf Billigkeitserwägungen beruhenden Generalklausel des Artikels 905 der Durchführungsverordnung eine Entscheidung erlässt (vgl. entsprechend die Urteile des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94, France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II2841, Randnr. 34; vom 17. September 1998 in der Rechtssache T50/96, Primex Produkte Import-Export u. a./Kommission, Slg. 1998, II3773, Randnr. 60, und Mehibas Dordtselaan/Kommission, Randnrn. 46 und 78). Ferner stellt die Erstattung oder der Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem dar, so dass die Vorschriften, die eine solche Erstattung oder einen solchen Erlass vorsehen, eng auszulegen sind (Urteil Söhl & Söhlke, Randnr. 52).

56. So hat der Gerichtshof entschieden, dass auf einen besonderen Fall im Sinne des Artikels 905 der Durchführungsverordnung geschlossen werden kann, wenn im Licht des an der Billigkeit ausgerichteten Regelungszwecks des Artikels 239 des Zollkodex Umstände festgestellt werden, aufgrund deren sich der Antragsteller in einer Lage befinden kann, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (Urteile Trans-Ex-Import, Randnr. 22, und De Haan, Randnr. 52; Urteil des Gerichtshofes vom 27. September 2001 in der Rechtssache C-253/99, Bacardi, Slg. 2001, I-6493, Randnr. 56).

57. Die Klägerin macht hier geltend, dass bei ihr nicht wegen des bloßen Diebstahls der Ware, sondern aufgrund sämtlicher Umstände dieses Falles besondere Umstände vorlägen, die ihre Inanspruchnahme ausnahmsweise nicht rechtfertigten. Es ist daher zu prüfen, ob anhand der von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte auf einen besonderen Fall im Sinne des Artikels 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung geschlossen werden kann.

58. Die Klägerin trägt erstens vor, der Diebstahl sei das Werk organisierter Kriminalität. Nach Ansicht des Gerichts ist der Umstand, dass der Diebstahl anscheinend von einer Gruppe begangen wurde, die Teil der so genannten organisierten Kriminalität ist, nicht geeignet, ihm einen Ausnahmecharakter zu verleihen. Die Wirtschaftsteilnehmer, die im Bereich der Beförderung hochwertiger Waren tätig sind, sind nämlich generell dem Risiko strafbarer Handlungen gut organisierter krimineller Gruppen ausgesetzt. Ein hoher Organisationsgrad der Diebe kann dem Delikt im Hinblick auf die Anwendung der Zollbestimmungen jedenfalls keinen Ausnahmecharakter verleihen. So hat der Gerichtshof im Zuge der Auslegung der Begriffe höhere Gewalt und unwiederbringlicher Verlust der Ware gemäß der Richtlinie 79/623/EWG des Rates vom 25. Juni 1979 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Zollschuld (ABl. L 179, S. 31) entschieden, dass die Entwendung zollpflichtiger Waren durch Dritte, auch wenn den Abgabenpflichtigen daran keine Schuld trifft, nicht zum Erlöschen der Abgabenschuld für diese Waren führt, unabhängig von den Begleitumständen ihrer Begehung (Urteil Magazzini Generali, Randnrn. 14 und 15).

59. Zweitens verweist die Klägerin auf die angeblich fehlende Zusammenarbeit der deutschen, belgischen und niederländischen Polizeidienststellen bei den Diebstahlsermittlungen. Die Frage des Ablaufs der Ermittlungen bezieht sich jedoch auf einen Zeitpunkt nach der Entstehung der Zollschuld, die nach Artikel 203 Absatz 2 des Zollkodex mit der Entwendung der Ware aus der zollamtlichen Überwachung erfolgt ist. Angebliche Unzulänglichkeiten der polizeilichen Ermittlungen können daher keine Umstände darstellen, die auf einen besonderen Fall im Sinne des Artikels 905 der Durchführungsverordnung schließen lassen.

60. Drittens macht die Klägerin geltend, dass ein Ermittlungsverfahren gegen einen Mitarbeiter der deutschen Steuerverwaltung eingeleitet worden sei, der die Ermittlungen im Bereich Zigarettenschmuggel behindert habe. Hierzu genügt der Hinweis, dass diese Frage im Verwaltungsverfahren Gegenstand eines Auskunftsersuchens der Kommission an die deutschen Behörden war, die ausschlossen, dass dieser vermutete Korruptionsfall irgendeinen Einfluss auf die vorliegende Rechtssache gehabt haben könnte. Diese Tatsache - ihren Nachweis unterstellt - kann folglich nicht begründen, dass bei der Klägerin besondere Umstände vorliegen.

61. Viertens ist auch das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, sie sei auf der von ihr zu befahrenden Strecke einem höheren Diebstahlsrisiko ausgesetzt gewesen als vergleichbare Wirtschaftsteilnehmer auf anderen europäischen Fahrstrecken, weil den zuständigen Behörden zwar bekannt gewesen sei, dass in dem fraglichen Gebiet für hochwertige Waren ein erhöhtes Diebstahlsrisiko bestanden habe, sie aber weder besondere Sicherheitsvorkehrungen ergriffen noch die Klägerin über dieses Risiko informiert hätten. Denn selbst wenn diese Behauptungen zuträfen, wären doch alle Wirtschaftsteilnehmer, die diese Strecke nutzten, gleichermaßen betroffen, und die Klägerin befände sich somit nicht in einer im Vergleich zu den zahlreichen anderen Wirtschaftsteilnehmern außergewöhnlichen Lage.

62. Fünftens macht die Klägerin geltend, die Kommission sei angesichts der institutionellen Schwäche der grenzübergreifenden Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union, die diesen Diebstahl und andere unter ähnlichen Umständen begangene Diebstähle begünstigt habe, untätig geblieben. Selbst wenn dies zutreffen sollte, würde es die Klägerin ebenso wenig in eine besondere Lage versetzen, da davon eine unbestimmte Anzahl von Wirtschaftsteilnehmern, nämlich diejenigen, die Waren durch Grenzregionen der Europäischen Union befördern, gleichermaßen betroffen wäre.

63. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte weder einzeln noch zusammengenommen geeignet sind, sie in eine im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnliche Lage im Sinne der in Randnummer 56 zitierten Rechtsprechung zu versetzen.

64. Diese Schlussfolgerung kann durch den Verweis der Klägerin auf das Urteil Söhl & Söhlke nicht entkräftet werden, in dem der Gerichtshof in Auslegung des Begriffes Umstände im Sinne des Artikels 49 Absatz 2 des Zollkodex festgestellt hat, dass der Antragsteller durch außergewöhnliche Umstände, die - auch wenn sie ihm nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmäßig ausgesetzt ist, in eine Lage versetzt werden kann, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (Urteil Söhl & Söhlke, Randnrn. 73 und 74).

65. Hierbei ist zu beachten, dass das Urteil Söhl & Söhlke die Auslegung des Artikels 49 Absatz 2 des Zollkodex betraf, in dem es um die Verlängerung der Fristen für die Erfuellung von Förmlichkeiten geht, die vorgeschrieben sind, damit Waren, für die eine summarische Anmeldung abgegeben worden ist, eine zollrechtliche Bestimmung erhalten, während Artikel 239 des Zollkodex eine ganz andere Materie betrifft, nämlich die Erstattung oder den Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben. Unabhängig von der Frage der Einschlägigkeit des Urteils Söhl & Söhlke für die Auslegung des Artikels 239 des Zollkodex sind die in diesem Urteil genannten Kriterien in der vorliegenden Rechtssache jedenfalls nicht erfuellt. Keiner der von der Klägerin angeführten Gesichtspunkte stellt einen besonderen Umstand dar, der nicht Teil der der Geschäftstätigkeit innewohnenden Geschäftsrisiken im Sinne dieser Rechtsprechung wäre. Wie die Kommission in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, zählt Diebstahl zu den am häufigsten festgestellten Schadensfällen, gegen die die Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere diejenigen, die sich auf die Beförderung von aufgrund ihrer hohen Besteuerung so genannten Risikowaren spezialisiert haben, gewöhnlich versichert sind.

66. Folglich hat die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie die Auffassung vertreten hat, dass nach den Umständen des vorliegenden Falles kein besonderer Fall im Sinne der Artikel 239 des Zollkodex und 905 der Durchführungsverordnung vorliegt.

67. Der zweite Klagegrund ist daher unbegründet.

68. Folglich ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

69. Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten und diejenigen der Kommission aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission.

Ende der Entscheidung

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