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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: T-3/00
Rechtsgebiete: EGV, Beschluss 93/731/EG


Vorschriften:

EGV Art. 230 Abs. 5
Beschluss 93/731/EG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTS (Erste Kammer)

14. Februar 2001 (1)

"Unzulässigkeit - Zugang zu den Dokumenten der Organe"

Parteien:

In der Rechtssache T-3/00

Athanasios Pitsiorlas, wohnhaft in Thessaloniki (Griechenland), Prozessbevollmächtigter: D. Papafilippou, Dikigoros,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer, S. Kyriakopoulou und D. Zachariou als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und

Europäische Zentralbank, vertreten durch C. Zilioli, P. Vospernik und C. Kroppenstedt als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates vom 30. Juli 1999 und der Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 8. November 1999, mit denen dem Kläger der Zugang zu einem Dokument verwehrt wurde,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter M. Vilaras und N. J. Forwood,

Kanzler: H. Jung

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1. Der Kläger promoviert an der Universität Thessaloniki (Griechenland) über ein rechtswissenschaftliches Thema.

2. Mit Schreiben vom 6. April 1999, das am 9. April 1999 beim Generalsekretariat des Rates einging, beantragte er gemäß dem Beschluss 93/731/EG des Rates vom 20. Dezember 1993 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. L 340, S. 43) in der Fassung des Beschlusses 96/705/Euratom, EGKS, EG des Rates vom 6. Dezember 1996 (ABl. L 325, S. 19) Zugang zu der "Basel/Nyborg"-Vereinbarung über die Stärkung des Europäischen Währungssystems (EWS), der der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister bei seinem informellen Treffen in Nyborg (Dänemark) am 12. September 1987 zugestimmt habe.

3. Das Generalsekretariat des Rates antwortete mit Schreiben vom 11. Mai 1999, das dem Kläger am 15. Mai 1999 zuging, wie folgt:

"Das Generalsekretariat hat Ihren Antrag sorgfältig geprüft; da das Dokument jedoch nicht aufgefunden werden konnte, gehen wir davon aus, dass es sich sehrwahrscheinlich um ein Dokument der [Europäischen Zentralbank] handelt. Es wäre daher besser, wenn Sie sich unmittelbar an diese wenden würden ..."

4. Mit Schreiben vom 8. Juni 1999, das am 10. Juni 1999 in das Register des Generalsekretariats des Rates eingetragen wurde, stellte der Kläger einen Zweitantrag gemäß Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses 93/731.

5. Mit Schreiben vom 5. Juli 1999 teilte das Generalsekretariat des Rates dem Kläger mit, dass es nicht möglich sei, innerhalb der in Artikel 7 Absatz 3 des Beschlusses 93/731 vorgeschriebenen Frist von einem Monat eine Entscheidung zu treffen, und dass daher beschlossen worden sei, diese Frist gemäß Absatz 5 dieses Artikels zu verlängern. Dieser lautet:

"In Ausnahmefällen kann der Generalsekretär nach vorheriger Unterrichtung des Antragstellers die in Absatz 1 und Absatz 3 festgelegten Fristen um einen Monat verlängern."

6. Gleichzeitig beantragte der Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 1999 an die Direktion für externe Beziehungen der Europäischen Zentralbank (EZB) Zugang zu dem vorgenannten Dokument gemäß dem Beschluss 1999/284/EG der EZB vom 3. November 1998 über den Zugang der Öffentlichkeit zur Dokumentation und zu den Archiven der Europäischen Zentralbank (ABl. 1999, L 110, S. 30). Nachdem dieser Antrag mit Schreiben vom 6. Juli 1999 abgelehnt worden war, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 27. Juli 1999 eine erneute Prüfung auf der Grundlage von Artikel 23.3 der Geschäftsordnung der EZB vom 7. Juli 1998 (ABl. 1998, L 338, S. 28) in der geänderten Fassung vom 22. April 1999 (ABl. 1999, L 125, S. 34).

7. Mit Schreiben vom 2. August 1999, das dem Kläger am 8. August 1999 zugestellt wurde, teilte das Generalsekretariat des Rates dem Kläger die Entscheidung des Rates vom 30. Juli 1999 mit, mit der sein Zweitantrag angelehnt wurde (im Folgenden: Entscheidung des Rates). In dieser Entscheidung heißt es:

"Nach eingehender Prüfung haben wir festgestellt, dass das in Ihrem Antrag genannte Dokument den .Bericht des Ausschusses der Präsidenten über die Stärkung des EWS' betrifft, den der Ausschuss der Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten der EWG in Nyborg am 8. September 1987 veröffentlicht hat.

Die Vorschriften über das verwaltungstechnische Funktionieren des EWS waren nie Bestandteil des Gemeinschaftsrechts; der Rat hatte daher insoweit nie eine Entscheidung zu treffen.

Da das gewünschte Dokument von den Präsidenten der Zentralbanken erstellt worden ist, empfehlen wir Ihnen, Ihren Antrag unmittelbar an die Präsidenten der Zentralbanken oder an die EZB zu richten."

8. Im selben Schreiben wies das Generalsekretariat den Kläger auch auf die Artikel 195 EG und 230 EG hin, soweit sie die Bedingungen für die Befassung des Bürgerbeauftragten und die Rechtmäßigkeitskontrolle der Handlungen des Rates durch den Gerichtshof betreffen.

9. Mit Schreiben vom 8. November 1999, das dem Kläger am 13. November 1999 zugestellt wurde, wurde ihm die Entscheidung des EZB-Rates mitgeteilt, ihm keinen Zugang zu dem in Rede stehenden Dokument zu gewähren (im Folgenden: Entscheidung der EZB).

Verfahren und Anträge der Parteien

10. Unter diesen Umständen hat der Kläger mit Klageschrift, die am 20. Januar 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung des Rates und die Entscheidung der EZB erhoben.

11. Mit Schreiben vom 10. Januar 2000 hat der Kläger Prozesskostenhilfe beantragt. Dieser Antrag ist durch Beschluss des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts vom 8. Mai 2000 abgelehnt worden.

12. Mit besonderem Schriftsatz, der am 11. April 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Rat eine Unzulässigkeitseinrede gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung erhoben, wozu der Kläger am 29. Juni 2000 Stellung genommen hat.

13. Der Rat beantragt insoweit,

- die Klage gegen die Entscheidung des Rates als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne über die Begründetheit zu entscheiden;

- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

14. In seiner Stellungnahme zu der Einrede beantragt der Kläger,

- die Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen und über die Begründetheit der Klage zu entscheiden;

- dem Rat aufzugeben, das Protokoll über das Treffen vom 30. Juli 1999 und die Protokolle der mit der Prüfung seines Antrags befassten Ausschüsse vorzulegen;

- anzuordnen, dass der Rat die Berichte und Protokolle des von der EZB in ihrem Schreiben vom 8. November 1999 erwähnten Währungsausschusses zu den Akten einzureichen hat;

- bestimmte Beweiserhebungen hinsichtlich der EZB anzuordnen;

- dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit der Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates

15. Gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei und unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 dieses Artikels vorab über die Unzulässigkeit entscheiden. Vorliegend hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, ohne Eröffnung der mündlichen Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates zu entscheiden, ohne in die Prüfung der Begründetheit dieser Klage oder der Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der EZB einzutreten.

16. Zur Anordnung der vom Kläger beantragten prozessleitenden Maßnahmen oder Beweiserhebungen besteht kein Anlass, da sie für die Entscheidung über die Zulässigkeit weder erheblich noch erforderlich sind.

Vorbringen der Parteien

17. Der Rat macht geltend, die vorliegende Klage sei, soweit sie gegen seine Entscheidung gerichtet sei, verspätet, weil sie erst nach Ablauf der Zweimonatsfrist des Artikels 230 Absatz 5 EG erhoben worden sei. Entgegen dem Vorbringen des Klägers könne die Ausschlusswirkung nicht aufgrund eines entschuldbaren Irrtums entfallen. Zum einen ergebe sich aus der Entscheidung des Rates, dass sie nicht geeignet gewesen sei, beim Kläger eine verständliche Verwirrung hervorzurufen, da sie klar als endgültige Entscheidung erkennbar gewesen sei, die mit einer Klage anfechtbar sei. Zum anderen sei der Kläger gerade als Rechtsanwalt und Doktorand der Rechtswissenschaften imstande gewesen, zu begreifen, dass die Entscheidung des Rates habe angefochten werden müssen, ohne die Entscheidung der EZB abzuwarten.

18. Der Kläger bestreitet nicht, dass die Erhebung der Klage gegen den Rat verspätet ist, macht aber geltend, diese Verspätung beruhe auf einem entschuldbaren Irrtum im Sinne der Rechtsprechung (vgl. Urteile des Gerichts vom 16. März 1993 in den Rechtssachen T-33/89 und T-74/89, Blackman/Parlament, Slg. 1993, II-249, und des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C-195/91 P, Bayer/Kommission, Slg. 1994, I-5619). Er sei insofern einem Täuschungsmanöver der betreffenden Gemeinschaftsorgane erlegen, als er veranlasst worden sei, die Entscheidung des Rates nicht unverzüglich anzufechten und die Entscheidung der EZB abzuwarten. Die Klage sei daher ausnahmsweise zulässig.

Würdigung durch das Gericht

19. Gemäß Artikel 230 Absatz 5 EG beträgt die Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage zwei Monate und läuft je nach Lage des Falles von derBekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat. Bei Parteien, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Griechenland haben, verlängert sich diese Frist gemäß Artikel 102 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts in Verbindung mit Anlage II zur Verfahrensordnung des Gerichtshofes mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung um zehn Tage.

20. Im vorliegenden Fall wurde die Entscheidung des Rates dem Kläger am 8. August 1999 durch ein Schreiben des Generalsekretariats mitgeteilt. Die mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung um zehn Tage verlängerte Frist für die Erhebung einer Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung ist somit am Montag, den 18. Oktober 1999, um Mitternacht abgelaufen.

21. Da die Klageschrift am 20. Januar 2000 eingereicht worden ist, ist die Klage verspätet erhoben worden.

22. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein entschuldbarer Irrtum unter außergewöhnlichen Umständen durchaus bewirken, dass kein Fristversäumnis des Klägers eintritt (Urteile des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1977 in der Rechtssache 25/68, Schertzer/Parlament, Slg. 1977, 1729, Randnr. 19, und vom 5. April 1979 in der Rechtssache 117/78, Orlandi/Kommission, Slg. 1979, 1613, Randnr. 11; Beschluss des Gerichtshofes vom 26. Oktober 2000 in der Rechtssache C-165/99, Österreich/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 17). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das betroffene Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich genommen oder aber maßgeblich geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der alle Sorgfalt aufwendet, die von einem Wirtschaftsteilnehmer mit normalem Kenntnisstand zu verlangen ist, eine verständliche Verwirrung hervorzurufen (vgl. Urteile Blackman/Parlament, Randnr. 34, und Bayer/Kommission, Randnr. 26).

23. Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch keinen Beweis für sein Vorbringen erbracht, der Rat habe ein solches Verhalten an den Tag gelegt. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger durch das Schreiben des Generalsekretariats, mit dem ihm die Entscheidung des Rates mitgeteilt wurde, gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Beschlusses 93/731 auch über den Inhalt der Artikel 195 EG und 230 EG unterrichtet wurde, soweit sie die Bedingungen für die Befassung des Bürgerbeauftragten und die Rechtmäßigkeitskontrolle der Handlungen des Rates durch den Gerichtshof betreffen. Ein durchschnittlich sorgfältiger Rechtsbürger konnte daher weder in Bezug auf die Endgültigkeit dieser Entscheidung noch in Bezug auf die Klagefrist nach Artikel 230 EG Zweifel hegen.

24. Da die vom Kläger geltend gemachten Umstände nicht als außergewöhnliche Umstände anzusehen sind, die einen entschuldbaren Irrtum begründen, ist die Klage somit als unzulässig abzuweisen, soweit sie gegen die Entscheidung des Rates gerichtet ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

25. Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates unterlegen ist und der Rat beantragt hat, ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, sind dem Kläger seine eigenen Kosten in Bezug auf die Unzulässigkeitseinrede und die Kosten des Rates aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie gegen die Entscheidung des Rates vom 30. Juli 1999 gerichtet ist.

2. Der Kläger trägt seine eigenen Kosten in Bezug auf die Unzulässigkeitseinrede sowie die Kosten des Rates.

Luxemburg, den 14. Februar 2001

Ende der Entscheidung

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