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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 12.09.2007
Aktenzeichen: T-30/05
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 81
EG Art. 81 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

12. September 2007(*)

"Wettbewerb - Kartelle - Europäischer Markt für Kurzwaren (Nadeln) - Aufteilung der Produktmärkte - Aufteilung des räumlichen Markts - Geldbuße - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen - Begründungspflicht - Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung - Mitteilung über Zusammenarbeit"

Parteien:

In der Rechtssache T-30/05

William Prym GmbH & Co. KG mit Sitz in Stolberg (Deutschland),

Prym Consumer GmbH & Co. KG mit Sitz in Stolberg,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H. Meyer-Lindemann,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Castillo de la Torre und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2004) 4221 endg. der Kommission vom 26. Oktober 2004 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F-1/38.338 - PO/Nadeln), soweit sie die Klägerinnen betrifft, hilfsweise wegen Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung sowie der Richter N. J. Forwood und S. Papasavvas,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2006

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Rechtsstreits und Sachverhalt

I - Gegenstand des Rechtsstreits

1 Mit Entscheidung K(2004) 4221 endg. vom 26. Oktober 2004 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F-1/38.338 - PO/Nadeln) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung oder Entscheidung) stellte die Kommission fest, dass die Klägerinnen, die William Prym GmbH & Co. KG (im Folgenden: Prym) und die Prym Consumer GmbH & Co. KG (im Folgenden: Prym Consumer), in der Zeit vom 10. September 1994 bis zum 31. Dezember 1999 zusammen mit zwei britischen Unternehmen und ihren jeweiligen Tochtergesellschaften, und zwar der Coats Holdings Ltd (im Folgenden: Coats) und der J & P Coats Ltd (im Folgenden: J & P Coats) sowie der Entaco Group Ltd (im Folgenden: Entaco Group) und der Entaco Ltd (im Folgenden: Entaco), an einer Reihe von Vereinbarungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG im Nadelsektor beteiligt waren.

2 Aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung verhängte die Kommission gegen die Klägerinnen eine Geldbuße von 30 Mio. Euro.

II - Die Klägerinnen und die anderen beteiligten Unternehmen

A - Prym und Prym Consumer

3 Prym ist ein deutsches Unternehmen, das nach eigenen Angaben eine der führenden europäischen Marken für Kurzwaren aus Metall und Kunststoff (im Folgenden: Hartkurzwaren) und Nähmaterial ist. Das Unternehmen verfügt über drei Hauptgeschäftsbereiche, die Prym Tec GmbH & Co. KG, die Prym Fashion GmbH & Co. KG und Prym Consumer. Prym erzielte 2003 einen Umsatz von 337 Mio. Euro. Der Umsatz von Prym Consumer im Jahr 2002 lag bei etwa 126 Mio. Euro.

4 Im Januar 1977 erwarb die Coats Patons Ltd (die Rechtsvorgängerin von Coats) eine Beteiligung von 24,9 % an der William Prym-Werke KG (der Rechtsvorgängerin von Prym). Coats hielt diese Beteiligung bis 1994.

5 Prym Consumer vertreibt ein Sortiment von Handnähnadeln, Stricknadeln, Sicherheitsnadeln und Kurzwaren für Endverbraucher. Prym Consumer ist die 100%ige Muttergesellschaft des englischen Unternehmens Newey Group plc. Über diese Tochtergesellschaft hielt Prym Consumer von September 1994 bis März 1997 10,1 % des Gesellschaftskapitals von Entaco.

B - Coats und J & P Coats

6 Bis Februar 1991 war die Coats Viyella plc (jetzt Coats) über ihre 100%ige Tochter, die Needles Industries Ltd (im Folgenden: NIL), als Nadelhersteller tätig. Im April 1991 verkaufte die Coats Viyella plc im Rahmen eines von ehemaligen Beschäftigten von NIL durchgeführten Management-Buyouts NIL an ein neues Unternehmen, Entaco. Entaco erwarb die Herstellungsanlagen und die Verpackungsmaterialien von NIL, während bei der Coats Viyella plc die Verpackung und die Endfertigung der Nadeln von NIL verblieben. Sie betätigte sich in diesem Bereich, bis dieser am 10. September 1994 im Rahmen eines zweiten Management-Buyouts ebenfalls von Entaco übernommen wurde.

7 Seit 1994 vertreibt Coats Nadeln auf der Groß- und Einzelhandelsstufe. Im Jahr 2002, dem letzten Jahr, für das die Kommission über den veröffentlichten Jahresabschluss verfügt, belief sich der Umsatz von Coats auf 1 156 Mio. GBP.

8 J & P Coats ist eine auf dem Markt des Vereinigten Königreichs tätige 100%ige Tochtergesellschaft von Coats und betreibt sämtliche Tätigkeiten von Coats auf dem Markt für Hartkurzwaren im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).

C - Entaco und Entaco Group

9 Entaco betreibt hauptsächlich die Herstellung von Handnähnadeln, medizinischen Geräten, gewerblichen Fischereisystemen und zugehörigen Drahtwaren. Im Jahr 2002 erzielte sie einen Umsatz von 7 Mio. GBP.

10 Entaco Group ist seit März 1997 die Muttergesellschaft von Entaco und hält 100 % von deren Gesellschaftskapital.

III - Das Verwaltungsverfahren

11 Am 7. und 8. November 2001 nahm die Kommission gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), Nachprüfungen in den Geschäftsräumen verschiedener Hersteller und Vertriebshändler von Kurzwaren in der Gemeinschaft (u. a. Entaco, Coats und Prym) vor. Diese Nachprüfungen wurden aufgrund von Informationen durchgeführt, die Herr E., der im maßgebenden Zeitraum Marketing- und Verkaufsleiter von Entaco war, zwischen dem 23. August 2000 und dem 6. August 2001 übermittelt hatte. Die Kommission betrachtete die Lieferung dieser Informationen als Antrag von Entaco auf Anwendung der Kronzeugenregelung.

12 Am 14. April und am 15. Mai 2003 übersandte die Kommission den betroffenen Unternehmen Auskunftsverlangen nach Art. 11 der Verordnung Nr. 17. Am 15. März 2004 übersandte sie Prym, Entaco und Coats eine Mitteilung der Beschwerdepunkte. Die Unternehmen beantworteten diese Mitteilung fristgemäß. Die Kommission gewährte ihnen Akteneinsicht in elektronischer Form. Eine Anhörung fand am 18. Juni 2004 statt.

13 Am 26. Oktober 2004 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung.

IV - Die angefochtene Entscheidung

14 Der Entscheidung zufolge schlossen die drei fraglichen Unternehmen und ihre jeweiligen Tochterunternehmen zwischen dem 10. September 1994 und dem 31. Dezember 1999 eine Reihe von schriftlichen, der Form nach bilateralen Vereinbarungen, die in der Praxis aber eine dreiseitige Vereinbarung darstellten, mit der diese Unternehmen die Produktmärkte (durch Segmentierung des europäischen Markts für Hartkurzwaren) und die räumlichen Märkte (durch Segmentierung des europäischen Markts für Nadeln) aufteilten oder zu deren Aufteilung beitrugen.

A - Relevante Märkte

15 Der betroffene Wirtschaftszweig ist die Fertigung und Verpackung von Nadeln und anderen Hartkurzwaren.

16 In der Entscheidung heißt es, Prym, Entaco und Coats seien die größten Anbieter von Nadeln in Europa. Prym Consumer und Entaco beherrschten den Sektor der Nadelherstellung in der Europäischen Union und auf dem Weltmarkt. Dagegen werde der Vertrieb von Nadeln in Europa von Coats beherrscht, und zwischen Coats und Prym bestünden umfassende Vereinbarungen über den Vertrieb von Hartkurzwaren in der gesamten Europäischen Union.

17 Die Kommission ist der Ansicht, dass Handnäh- und Handwerkernadeln Teil desselben, vom Markt für Maschinennadeln zu unterscheidenden Markts seien. Im Rahmen der Entscheidung ging sie deshalb von drei relevanten Produktmärkten aus:

- dem europäischen Markt für Handnäh- und Handwerkernadeln (einschließlich insbesondere Spezialnadeln);

- dem europäischen Markt für "sonstige Näh- und Strickerzeugnisse einschließlich Steck- und Stricknadeln";

- dem europäischen Markt für sonstige Hartkurzwaren einschließlich Reißverschlüssen und sonstigen Verschlüssen.

Auf dem erstgenannten Markt habe es zwischen dem 10. September 1994 und dem 31. Dezember 1999 eine Aufteilung des sachlichen und räumlichen Markts gegeben; auf den beiden letztgenannten Märkten habe zwischen dem 10. September 1994 und dem 13. März 1997 eine Aufteilung des sachlichen Markts stattgefunden.

18 Die Kommission führt aus, die in Europa vertriebenen Steck- und anderen Nadeln würden hauptsächlich in der Europäischen Union durch europäische Hersteller produziert. Der Markt für Nadeln sei daher ein zumindest europaweiter Markt.

19 Nach ihren Feststellungen wies der Markt für Nadeln im Jahr 2002 auf der Ebene der Europäischen Union einen Umsatz von rund 30 Mio. Euro auf. Auf der Großhandelsstufe sei der Nadelmarkt auf ungefähr 30 Mio. Euro zu schätzen. Auf der Einzelhandelsstufe könne allein der Markt für Handnähnadeln ebenfalls auf rund 30 Mio. Euro geschätzt werden. Im vorliegenden Fall gehe der relevante Markt allerdings über den Markt für Handnähnadeln hinaus. Einbezogen worden seien daher die Märkte für Zubehörteile, für andere Verschlüsse als Reißverschlüsse und für sonstige Näh- und Strickerzeugnisse einschließlich Steck- und Stricknadeln. Der gemeinschaftsweite Umsatz auf den zuletzt genannten Märkten belaufe sich wiederum auf 30 Mio. Euro. Eine vorsichtige Schätzung des Gesamtmarkts für sonstige Verschlüsse in der Europäischen Union bewege sich zwischen 1 Mrd. Euro und 1,5 Mrd. Euro.

B - Schilderung des Sachverhalts

1. Zusammenkünfte und Vereinbarungen in den Jahren 1993 und 1994

20 Die Ereignisse, die Gegenstand der vorliegenden Klage sind, spielten sich hauptsächlich in den Jahren 1993 und 1994 ab.

a) Zusammenkünfte und Schriftwechsel

21 Die Kommission nennt in ihrer Entscheidung fünf dreiseitige Zusammenkünfte zwischen Prym, Coats (oder NIL) und Entaco, von denen vier 1993 und eine 1995 stattgefunden hätten. Im Protokoll der ersten Zusammenkunft vom 11. Februar 1993, das Prym am 18. Februar 1993 Entaco per Fax übermittelte, heißt es:

"... Hintergrund Verhältnis Coats/Prym - Prym ist offenbar für Hartkurzwaren zuständig. [Prym] glaubte, Coats sei moralisch verpflichtet, die aktuelle Lage von [NIL] in Ordnung zu bringen, damit das ursprüngliche Ziel, dass Coats die Herstellung von Weichkurzwaren kontrolliert und Prym Hartkurzwaren vertreibt, endlich erreicht werden könne."

22 In einem Schreiben an Prym vom 10. Mai 1993 habe Entaco ausdrücklich die der Aufteilung des europäischen Markts zwischen den drei Unternehmen zugrunde liegenden Interessen und die ursprünglichen Vorschläge sowie die folgenden Schlüsse dargelegt:

"Hauptziel von Prym ist es im Grunde, Entacos Zutritt zum Kurzwarenmarkt rückgängig zu machen oder zu neutralisieren. Zu diesem Zweck machen wir folgende Vorschläge, die unseres Erachtens diesem Ziel Rechnung tragen:

...

... Außerdem könnten wir Prym dadurch unterstützen, dass wir unsere aktuellen Pläne zur Erweiterung des Sortiments von Hartkurzwaren fallen lassen und unseren Tätigkeitsbereich auf Nadeln mit Ausnahme von Sicherheitsnadeln, Stecknadeln und vierteiligen Verschlüssen beschränken."

23 In einem an Coats gerichteten Schreiben vom 30. Juni 1993 habe Prym im Einzelnen erläutert, weshalb Entaco, Prym und Coats Interesse an einer gegenseitigen Verpflichtung hätten:

"Ein weiterer Wettbewerber auf dem Markt für Hartkurzwaren in Europa ist das Letzte, was wir brauchen! Daher wäre es sinnvoll, wenn die drei beteiligten Unternehmen - Coats/NIL, Entaco und Prym - zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der europäische Markt für Nadeln nicht weiter unter selbst zugefügten Wunden leidet!"

24 Bei einer den eventuellen Kauf des Geschäftsbereichs Verpackung von NIL betreffenden Zusammenkunft zwischen Coats, Prym und Entaco am 6. Oktober 1993 habe Prym Coats mitgeteilt, dass der ursprüngliche Plan eines Gemeinschaftsunternehmens von Entaco und Prym zugunsten einer von Entaco gewünschten Direktinvestition von Prym in Entaco aufgegeben worden sei. Prym sei nämlich der Ansicht, dass es für den Markt annehmbarer wäre, wenn Entaco nach außen hin unabhängig sei. Der Vertreter von Coats habe daraufhin erklärt, "er akzeptiere diese neue Lösung vorbehaltlich zweier Punkte: 1. dass Entaco konkurrierende Erzeugnisse an Wettbewerber nicht zu günstigeren Preisen abgebe, als sie Coats eingeräumt würden, und 2. dass Herr F. [Generaldirektor von Coats] einverstanden sei".

b) Übersicht über die 1994 getroffenen Vereinbarungen

25 Am 10. September 1994 wurden die nachstehend aufgeführten, nach Ansicht der Kommission rechtswidrigen Vereinbarungen getroffen.

26 Prym (oder Prym Consumer) und Entaco schlossen folgende Vereinbarungen:

- Kernübereinkunft (unterzeichnet am 15. oder 16. Juni 1994, in Kraft getreten jedoch am 10. September 1994);

- Vereinbarung über den Ver- und Ankauf von 10,1 % des ausgegebenen Gesellschaftskapitals von Entaco und über künftige Beziehungen zwischen den Gesellschaftern (im Folgenden: 10,1%-Vereinbarung);

- Kaufvereinbarung;

- Vertriebsvereinbarung.

27 Coats und Entaco schlossen folgende Vereinbarungen:

- Vereinbarung über den Ver- und Ankauf von Geschäftsteilen (zweites Management-Buy-out);

- Liefer- und Kaufvereinbarung.

Kernübereinkunft

28 Im Juni 1994 unterzeichneten Entaco und Prym eine Kernübereinkunft, die am 10. September 1994 in Kraft trat. Diese Übereinkunft trafen die Beteiligten zum Zweck der Übernahme der Geschäftsbereiche Verpackung und Endherstellung von NIL (die zuvor im Eigentum von Coats stand) mit Wirkung vom Tag dieser Übernahme. Nach ihrer Präambel sollte sie so lange wirksam bleiben, wie Prym im Besitz von mindestens 10,1 % der Stammaktien von Entaco blieb.

29 In dieser Übereinkunft verpflichtete sich Prym, Entaco bei der Entwicklung als Hersteller von Spezialnadeln zu unterstützen. Prym wies daher ihre amerikanische Tochtergesellschaft Prym-Dritz Inc. an, ihren gesamten Bedarf an Nähnadeln bei Entaco zu decken. Im Gegenzug verpflichtete sich Entaco, "während der Laufzeit der Übereinkunft ihre Herstellungs- und Vertriebstätigkeiten in der Kurzwarenbranche auf Nadeln zu begrenzen und ohne vorherige Zustimmung von Prym ihre Tätigkeiten nicht auf Stecknadeln, Sicherheitsnadeln, vierteilige Verschlüsse, Stricknadeln oder andere Kurzwaren auszudehnen" und "Prym als ausschließlichen Vertriebshändler für alle verpackten Handnähnadeln außer den Coats-Marken in Europa mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und der Republik Irland zu benennen".

10,1%-Vereinbarung

30 Diese Vereinbarung sah vor, dass Prym Consumer von der 3i Group plc (im Folgenden: 3i Group) 10,1 % des ausgegebenen Gesellschaftskapitals von Entaco erwirbt; diese Beteiligung wurde von September 1994 bis März 1997 von einem Tochterunternehmen von Prym Consumer, der Newey Group plc, gehalten.

Kaufvereinbarung und Vertriebsvereinbarung

31 Nach der Kaufvereinbarung durfte Prym Consumer nicht mit Entaco in Wettbewerb treten und verpflichtete sich, ihren Gesamtbedarf an den in Tabelle I der Vereinbarung genannten Produkten ausschließlich bei Entaco zu beziehen (Abschnitte 2.2 und 2.3 der Kaufvereinbarung).

32 In der Vertriebsvereinbarung verpflichtete sich Entaco, ihre Erzeugnisse im "Gebiet" (Europa mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands) ausschließlich an "Eigenmarkenkunden", den "Vertreiber" (Prym Consumer) und Coats zu verkaufen (Abschnitt 2.2 dieser Vereinbarung). Die entsprechenden Erzeugnisse sollten in Tabelle I der Vereinbarung aufgeführt sein, bei der es sich allerdings um ein leeres Blatt handelt.

2. Geschehnisse nach 1994

33 Am 13. März 1997 verkaufte Prym ihre Beteiligung von 10,1 % am Kapital von Entaco durch eine Vereinbarung über den Verkauf von 11 222 Stammaktien von Entaco an die Entaco Group. Die Vereinbarung stand unter der Voraussetzung, dass die Kauf- und die Vertriebsvereinbarung zwischen Entaco und Prym Consumer für fünf Jahre ab 1. April 1997 verlängert werden.

34 Am 1. April 1997 unterzeichneten Prym Consumer und Entaco eine zweite Vertriebsvereinbarung, mit der sie die erste Vertriebsvereinbarung für Handnähnadeln verlängerten. Der relevante Markt war Europa mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands. Auch die Kaufvereinbarung verlängerten sie durch eine weitere Vereinbarung vom 1. April 1997. Diese sah vor, dass Prym keine Handnäh- oder Handwerkernadeln herstellt und vertreibt. Durch die erwähnten Klauseln wurde somit der Grundsatz einer Aufteilung der Märkte zwischen Entaco und Prym aufrechterhalten, jedoch beschränkt auf Nadeln.

3. Beendigung der verschiedenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen

35 Mit dem Verkauf der Beteiligung von 10,1 % an Entaco durch Prym im März 1997 war die Kernübereinkunft beendet. Die Kommission führt aus, dies habe aber nicht das Ende der Vereinbarung über die Aufteilung der Produktmärkte bedeutet, denn in Punkt 7 der Vereinbarung vom 13. März 1997 (über den Verkauf von 11 222 Stammaktien) sei der Grundsatz geheimer Absprachen zwischen Prym und Entaco ebenso enthalten gewesen wie in der Kernübereinkunft von 1994.

36 Prym Consumer kündigte die Kaufvereinbarung durch Schreiben vom 14. Dezember 1998 mit einer Frist von zwölf Monaten. Sie endete somit am 31. Dezember 1999. Die Kommission führt aus, sie wisse nicht, ob die Vertriebsvereinbarung ebenfalls zum 31. Dezember 1999 gekündigt worden sei, doch habe Prym ausgeführt, dass sie die Vertriebsvereinbarung und die Kaufvereinbarung als eine einzige Vereinbarung ansehe, was darauf hindeute, dass die Vertriebsvereinbarung infolge der Kündigung der Kaufvereinbarung ebenfalls geendet habe.

37 Prym macht geltend, die Parteien hätten sich spätestens Ende April 1999 nicht mehr an die beiden Vereinbarungen gehalten. Die Kommission ist jedoch der Ansicht, faktisch seien die Kaufvereinbarung bis 31. Dezember 1999 und die Vertriebsvereinbarung mindestens bis zu diesem Zeitpunkt rechtsverbindlich in Kraft geblieben. Folglich hätten diese beiden Vereinbarungen am 31. Dezember 1999 geendet.

C - Rechtsausführungen

1. Anwendung von Art. 81 EG

38 Nach den Angaben in der Entscheidung nahmen Entaco, Coats und Prym an zahlreichen bi- oder trilateralen Zusammenkünften teil und unterzeichneten eine Reihe formal zweiseitiger den Wettbewerb beschränkender Vereinbarungen, die einer dreiseitigen Vereinbarung gleichkamen.

39 Diese Verhaltensweisen führten nach Ansicht der Kommission zu einer Änderung der Wettbewerbsbedingungen, die nicht mehr den ordnungsgemäßen Marktbedingungen entsprochen und die beteiligten Wettbewerber daran gehindert hätten, ihr Geschäftsgebaren, wie in Art. 81 Abs. 1 EG gefordert, unabhängig voneinander zu bestimmen. Im vorliegenden Fall seien daher die dreiseitige Vereinbarung und die vorbereitenden Zusammenkünfte von Prym, Entaco und Coats sowie die bilateralen Zusammenkünfte von Prym und Entaco als Vereinbarungen und/oder als abgestimmte Verhaltensweisen zu qualifizieren.

40 Das fragliche wettbewerbswidrige Verhalten habe den Zweck und die Wirkung gehabt, den Wettbewerb in der Gemeinschaft einzuschränken. Im Rahmen aller im vorliegenden Fall betrachteten Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen könnten folgende Aspekte als relevant für die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG angesehen werden:

- die Aufteilung der sachlichen und räumlichen Märkte;

- die Teilnahme an vorbereitenden und/oder regelmäßigen Treffen und die Pflege sonstiger Kontakte, um die genannten Beschränkungen abzusprechen, umzusetzen und/oder gegebenenfalls zu modifizieren.

41 Die Kommission ist der Ansicht, die langjährige Absprache zwischen den Herstellern habe nennenswerte Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehabt, denn im vorliegenden Fall hätten sich die Kartellvereinbarungen nicht nur auf fast den gesamten Handel mit Nadeln in der Europäischen Union, sondern auch auf den Handel im wichtigeren Sektor der sonstigen Hartkurzwaren bezogen, indem der Zutritt von Entaco zu diesen Märkten verhindert worden sei.

2. Beteiligte Unternehmen

42 Die Kommission führt aus, um bestimmen zu können, ob eine Muttergesellschaft für das rechtswidrige Verhalten einer ihrer Tochtergesellschaften verantwortlich sei, müsse nachgewiesen werden, dass die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimme, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolge. Prym habe die Kernübereinkunft unterzeichnet, sei die 100%ige Muttergesellschaft von Prym Consumer gewesen und trage daher die Verantwortung für die von Prym Consumer unterzeichneten Vereinbarungen.

3. Geldbußen

43 In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission die Geldbuße anhand von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung - den beiden ausdrücklich in Art. 23 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) genannten Kriterien - ermittelt.

44 Die Kommission weist darauf hin, dass sie bei der Ermittlung der Schwere einer Zuwiderhandlung ihre Art und ihre konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar seien, sowie den Umfang des betreffenden räumlichen Markts berücksichtigen müsse. Im vorliegenden Fall hätten die von der Entscheidung betroffenen Unternehmen einen "besonders schweren" Verstoß begangen, der sie veranlasst habe, den Ausgangsbetrag der Geldbuße von Prym auf 20 Mio. Euro festzusetzen.

45 Zur Dauer des Kartells vertritt die Kommission die Ansicht, die Vereinbarungen zur Aufteilung des sachlichen und räumlichen Markts zwischen Prym, Entaco und Coats hätten ab Inkrafttreten der Kernübereinkunft und ab Unterzeichnung der bilateralen Vereinbarungen vom 10. September 1994, die in der Praxis als dreiseitige Vereinbarung zu sehen seien, mindestens bis zum 31. Dezember 1999 bestanden, dem Zeitpunkt der Kündigung der Vertriebs- und der Kaufvereinbarung zwischen Prym Consumer und Entaco. Sie erhöhte deshalb den Ausgangsbetrag der Geldbuße um 50 %, um der Dauer der Zuwiderhandlung Rechnung zu tragen. Infolgedessen setzte sie den Grundbetrag der Geldbuße von Prym auf 30 Mio. Euro fest.

46 In Bezug auf mildernde Umstände führt die Kommission aus, die vorzeitige Kündigung der rechtswidrigen Vereinbarung gehe nicht auf ein Vorgehen ihrerseits oder einen Entschluss von Prym zurück, den Verstoß zu beenden, sondern im Wesentlichen auf die gestiegene Produktionskapazität von Prym in der Tschechischen Republik. Zudem habe sie die vorgezogene Kündigung der Vereinbarung bereits bei der Ermittlung der Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigt; das auf einem möglichen Zusammenschluss zwischen Entaco und Prym Consumer beruhende Argument könne nicht geltend gemacht werden, da es dazu nie gekommen sei.

47 Zur Anwendung der Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) vertritt die Kommission die Ansicht, nur Entaco habe sie über die Existenz der Marktaufteilungsvereinbarungen informiert und ihr entscheidende Beweise vorgelegt, ohne die diese Vereinbarungen möglicherweise unerkannt geblieben wären. Daher erfülle allein Entaco die Voraussetzungen von Abschnitt B dieser Mitteilung.

D - Verfügender Teil

48 Infolgedessen hat die Kommission den verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung erlassen und in Art. 2 anhand der erwähnten Kriterien folgende Geldbußen festgesetzt:

- 30 Mio. Euro gegen Prym und Prym Consumer, die gesamtschuldnerisch haften;

- 30 Mio. Euro gegen Coats und J & P Coats, die gesamtschuldnerisch haften.

49 Am 26. Oktober 2004 wurde der verfügende Teil der angefochtenen Entscheidung den Klägerinnen zugestellt; der volle Wortlaut der Entscheidung mit deren Begründung wurde ihnen dagegen erst am 22. November 2004 übermittelt.

Verfahren und Anträge der Parteien

50 Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 28. Januar 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

51 Das Gericht (Zweite Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und den Parteien einige Fragen zu stellen. Die Parteien haben darauf fristgerecht geantwortet.

52 In der Sitzung vom 22. November 2006 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

53 Die Klägerinnen beantragen,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;

- hilfsweise, die gegen sie als Gesamtschuldner festgesetzte Geldbuße aufzuheben oder höchst hilfsweise zu vermindern;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

54 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

55 Die Klägerinnen machen drei Klagegründe geltend, von denen zwei, nämlich die Verletzung wesentlicher Formvorschriften und materielle Fehler bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG, den Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung stützen, während der dritte Klagegrund den Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße stützen soll.

I - Zu den ersten beiden Klagegründen, die auf die Nichtigerklärung der Entscheidung abzielen

A - Erster Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften

56 Der erste Klagegrund umfasst drei Rügen: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Kommission und Verletzung der Begründungspflicht.

1. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör

a) Vorbringen der Parteien

57 Die Klägerinnen machen erstens geltend, ursprünglich habe es ein einheitliches Verfahren "Hartkurzwaren" gegeben. Durch dessen Aufteilung in zwei verschiedene Verfahren, nämlich "Hartkurzwaren: Nadeln" (im Folgenden: Verfahren "Nadeln") und "Hartkurzwaren: Verschlüsse" (im Folgenden: Verfahren "Verschlüsse"), habe die Kommission ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

58 Zweitens mache die in der angefochtenen Entscheidung verhängte Geldbuße bereits etwa 8,9 % des weltweiten Gesamtumsatzes von Prym und 14,3 % ihres EU-weiten Gesamtumsatzes im Jahr 2003 aus. Die Ausklammerung des anderen Verfahrens im Rahmen der angefochtenen Entscheidung habe dazu geführt, dass die Geldbuße der Klägerinnen wegen der Verstöße, die Gegenstand des Verfahrens "Nadeln" seien, weit höher ausgefallen sei, als dies bei einer gemeinsamen Prüfung der beiden Verfahren im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Fall gewesen wäre.

59 Drittens hätten die Klägerinnen auf die Äußerung eines Beamten der Kommission bei einem Treffen am 7. Mai 2004 vertraut, dass die Kommission beabsichtige, über das Verfahren "Nadeln" in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Verfahren "Verschlüsse" zu entscheiden. Die Kommission habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil sie ihnen nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, dass sie von ihrer ursprünglichen Absicht abgerückt sei; dies hätte es ihnen ermöglicht, ihre Verteidigung im Verfahren "Nadeln" entsprechend einzurichten. In diesem Fall hätten sie die Kommission darauf hingewiesen, dass die Summe der in den beiden Verfahren gegen Prym verhängten Geldbußen wegen ihres sachlichen Zusammenhangs höchstens 10 % des europaweiten Gesamtumsatzes von Prym betragen dürfe.

60 Die Kommission trägt vor, die Trennung der Ermittlungen auf dem Markt für Hartkurzwaren in zwei verschiedene Verfahren habe die Klägerinnen nicht beschwert. Dadurch seien die Verteidigungsrechte der Klägerinnen nicht beeinträchtigt worden, da die Mitteilung der Beschwerdepunkte eine unmissverständliche Überschrift trage.

b) Würdigung durch das Gericht

61 Zum Argument der Klägerinnen, durch die Aufspaltung des ursprünglich einheitlichen Verfahrens in zwei getrennte Verfahren seien ihre Verteidigungsrechte und insbesondere ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, ist festzustellen, dass die den Klägerinnen am 15. März 2004 übermittelte Mitteilung der Beschwerdepunkte die eindeutige Überschrift "Mitteilung der Beschwerdepunkte im Verfahren PO/Hartkurzwaren: Nadeln" trägt. Die Klägerinnen wussten daher spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass die Kommission ein getrenntes Verfahren in Bezug auf den Nadelmarkt eröffnet hatte. Sie waren somit in der Lage, sich in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gegen die Aufspaltung des Verfahrens zu wehren.

62 Folglich hat die Kommission durch die Aufspaltung der Ermittlungen auf dem Kurzwarenmarkt in zwei getrennte Verfahren die Verteidigungsrechte der Klägerinnen nicht verletzt.

63 Zu den Argumenten, die die Obergrenze von 10 % und die behauptete Verpflichtung der Kommission zur Vornahme einer "Gesamtbetrachtung" der Verfahren "Nadeln" und "Verschlüsse" betreffen, ist festzustellen, dass Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 nur vorsieht, dass die Geldbuße für jeden Teilnehmer an der Zuwiderhandlung 10 % seines im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen darf. Von der Summe der verschiedenen gegen ein Unternehmen verhängten Geldbußen ist in dieser Bestimmung keine Rede. Falls die Klägerinnen tatsächlich gesonderte Zuwiderhandlungen begangen haben, spielt es keine Rolle, ob die Zuwiderhandlungen in mehreren Entscheidungen oder in einer einzigen Entscheidung behandelt werden. Die einzige Frage ist somit, ob tatsächlich gesonderte Zuwiderhandlungen vorliegen.

64 In diesem Zusammenhang ist das Recht der Kommission, Verfahren aus objektiven Gründen zu trennen oder auch zu verbinden, im Urteil des Gerichts vom 15. Juni 2005, Tokai Carbon u. a./Kommission (T-71/03, T-74/03, T-87/03 und T-91/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: Urteil Tokai II), implizit anerkannt worden. In Randnr. 118 dieses Urteils hat das Gericht festgestellt, dass es der Kommission freistand, gegen SGL Carbon, eine der Klägerinnen in diesen Rechtssachen, drei gesonderte Geldbußen (in zwei Entscheidungen) jeweils nach Maßgabe von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 festzusetzen, sofern SGL Carbon drei gesonderte Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 Abs. 1 EG begangen hatte.

65 Der vorliegende Fall ist nicht ganz mit der Sachlage vergleichbar, die dem oben in Randnr. 64 angeführten Urteil Tokai II zugrunde lag, denn die Verfahren "Nadeln" und "Verschlüsse" überschneiden sich nach Angaben der Klägerinnen hinsichtlich ihres Ursprungs, der relevanten Märkte, des Zeitraums der Zuwiderhandlungen und der betroffenen Unternehmen. Die Klägerinnen weisen darauf hin, dass die Definition des Markts in der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Verfahren "Verschlüsse" der Definition in Randnr. 46 der angefochtenen Entscheidung "fast wörtlich" entspreche.

66 Dieses Vorbringen kann jedoch erst nach Erlass der Entscheidung im Verfahren "Verschlüsse" überprüft werden. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission bestätigt, dass dort das Verwaltungsverfahren noch nicht beendet und noch keine Entscheidung ergangen ist. Folglich sind alle Annahmen in Bezug auf den möglichen Ausgang dieses Verfahrens und zum behaupteten Fehlen objektiver Gründe für die Aufspaltung der Verfahren (vgl. zu diesem Erfordernis die Randnrn. 119 bis 124 des oben in Randnr. 64 angeführten Urteils Tokai II) spekulativer Art und können die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage stellen.

67 Schließlich machen die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen, ein Beamter der Kommission habe ihnen zugesagt, dass die Kommission die beiden Verfahren in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang behandeln werde, im Wesentlichen einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend. Es ist aber bereits entschieden worden, dass ein Generaldirektor in einem Bereich, in dem sich seine Befugnis darauf beschränkt, dem Kollegium Vorschläge zu unterbreiten, die dieses annehmen oder ablehnen kann, nicht in der Lage ist, präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite zu geben, die geeignet sind, begründete Erwartungen zu wecken (Urteil des Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T-236/01, T-239/01, T-244/01 bis T-246/01, T-251/01 und T-252/01, Slg. 2004, II-1181, im Folgenden: Urteil Tokai I, Randnrn. 152 f.). Dies gilt erst recht für Zusicherungen rangniedrigerer Beamter.

68 Folglich sind die Verteidigungsrechte der Klägerinnen und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden. Die Rügen sind daher zurückzuweisen.

2. Zum Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Kommission

a) Vorbringen der Parteien

69 Die Klägerinnen tragen vor, die beinahe einmonatige Verzögerung zwischen dem Erlass der angefochtenen Entscheidung und der Zustellung ihres vollständigen Wortlauts (einschließlich der Begründung) wecke bei ihnen starke Vermutungen, dass die Begründung im Nachhinein geändert worden sein könnte. Sie beantragen, nach Art. 64 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts als prozessleitende Maßnahme die Vorlage des Entwurfs der angefochtenen Entscheidung in der Fassung anzuordnen, die dem Kommissionskollegium zur Beschlussfassung vorgelegen habe, einschließlich der entsprechenden Zusammenfassung für die Kommissionsmitglieder sowie der die angefochtene Entscheidung betreffenden Auszüge aus dem Sitzungsprotokoll der Kommission.

70 Die Kommission führt aus, es entspreche ihrer ständigen Praxis, den Adressaten kartellrechtlicher Entscheidungen deren verfügenden Teil unverzüglich, die Begründung jedoch erst später mitzuteilen. Wegen des Umzugs ihres Generalsekretariats im November 2004 habe die Zustellung des vollständigen Wortlauts der angefochtenen Entscheidung länger als üblich gedauert.

b) Würdigung durch das Gericht

71 Im Urteil vom 15. Juni 1994, Kommission/BASF u. a. (C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555), hat der Gerichtshof eine Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt, weil die Begründung der Entscheidung nach ihrem Erlass durch das Kommissionskollegium geändert worden war; er hat darin u. a. einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Kommission gesehen.

72 Das Gericht hat die Kommission aufgefordert zu erläutern, weshalb sich durch den Umzug ihres Generalsekretariats die Zustellung der angefochtenen Entscheidung, die am 26. Oktober 2004 erlassen worden ist, an die Klägerinnen um fast einen Monat verzögert hat. Die Kommission hat darauf geantwortet, dass der Umzug ihres Generalsekretariats am 27. Oktober 2004 begonnen habe. Die Abfassung des Schreibens, mit dem die Entscheidung zugestellt worden sei, habe die Zusammenarbeit mehrerer Dienststellen der Kommission erfordert, namentlich des Generalsekretariats, der Generaldirektion Wettbewerb und der Generaldirektion Haushalt. Die Woche vom 1. bis 7. November 2004 habe aufgrund der Feiertage am 1. und 2. November nur drei Arbeitstage aufgewiesen, und der Arbeitsrhythmus ihrer Dienststellen könne während der ersten Novemberwochen durch den Dienstantritt der neuen Kommission verlangsamt worden sein.

73 Anders als in der oben in Randnr. 71 angeführten Rechtssache Kommission/BASF u. a. genügen die von der Kommission in ihrer Antwort auf die Frage des Gerichts angegebenen Gründe als Erklärung für die Zeitspanne von fast einem Monat zwischen Erlass und Zustellung des vollständigen Wortlauts der angefochtenen Entscheidung. Die Klägerinnen haben in ihren Schriftsätzen und während der mündlichen Verhandlung keinen zusätzlichen konkreten Anhaltspunkt zur Stützung ihres Vorbringens geliefert. Unter diesen Umständen ist ihrem Antrag, die Vorlage des Entwurfs der angefochtenen Entscheidung in der dem Kommissionskollegium vorgelegten Form anzuordnen, nicht stattzugeben, und die Rüge eines Verstoßes gegen die Geschäftsordnung der Kommission ist zurückzuweisen. 3. Zur Verletzung der Begründungspflicht

a) Vorbringen der Parteien

74 Die Klägerinnen machen geltend, die Begründung der angefochtenen Entscheidung genüge den Anforderungen an die Begründung einer Bußgeldentscheidung nicht, denn die Kommission habe ihre Erwägungen nicht so klar zum Ausdruck gebracht, dass sie für die Klägerinnen nachvollziehbar seien und eine gerichtliche Nachprüfung ermöglichten.

75 Die Kommission habe sich insbesondere nicht zu dem Vorbringen geäußert, dass Entaco gar nicht in der Lage gewesen sei, andere Kurzwaren als Öhrnadeln herzustellen, und dass Entaco ohne die mit Prym Consumer getroffenen Vereinbarungen gar nicht als eigenständiger Wettbewerber auf dem Markt für Öhrnadeln hätte tätig werden können.

76 In Bezug auf die Marktdefinition bleibe unklar, welche Produkte den von der Kommission abgegrenzten Märkten angehörten. Daher sei es den Klägerinnen nicht möglich, diese Marktdefinitionen zu überprüfen. So sei ihnen nicht klar, was die Kommission unter "sonstigen Näh- und Strickwaren" verstehe.

77 Die Ausführungen der Kommission zur Größe des von der Marktaufteilung betroffenen Markts für Öhrnadeln seien widersprüchlich und aus diesem Grund nicht nachvollziehbar. Die Kommission komme zu dem Ergebnis, dass der Markt auf den drei analysierten Stufen mehr oder weniger gleich groß sei (30 Mio. Euro). Ein solches Ergebnis sei offensichtlich unlogisch, weil der Markt jedenfalls auf seiner dritten Stufe, der des Einzelhandels, größer sein müsse als auf der ersten (Verkauf durch Hersteller und Importeure) oder der zweiten Stufe (Verkauf durch Großhändler).

78 Schließlich sei nicht nachvollziehbar, wie die Kommission stillschweigend davon ausgehen könne, dass eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorgelegen habe, was Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 81 Abs. 1 EG sei.

79 Was die Rechtsfolgen der Feststellung einer Zuwiderhandlung angehe, so genügten die sehr knappen Ausführungen zu ihrer Schwere den Anforderungen an die Begründung nicht. Selbst nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), genüge es für die Ermittlung der Schwere einer Zuwiderhandlung nicht, nur deren abstrakte Art zu bestimmen. Hinzukommen müsse die Würdigung ihrer Auswirkungen auf den Markt, die hier fehle.

80 Insbesondere fehle in den Ausführungen der Kommission zur Bußgeldbemessung jede Begründung dafür, weshalb sich die im Zeitablauf unterschiedlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung nicht in der Bemessung der Geldbuße niedergeschlagen hätten. Ab der Mitte des Zeitraums der Zuwiderhandlung habe der von der Aufteilung der sachlichen Märkte betroffene Markt mit 30 Mio. Euro nur noch rund 1 % bis 2 % seines Umfangs während der ersten Hälfte des Zeitraums der Zuwiderhandlung gehabt, der der Kommission zufolge 1,3 Mrd. bis 2,1 Mrd. Euro betragen habe.

81 Die angefochtene Entscheidung enthalte auch keine Begründung dafür, weshalb die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis herangezogene mildernde Umstände in der vorliegenden Sache nicht berücksichtigt habe und weshalb die Geldbuße der Klägerinnen nicht wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts nach der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 herabgesetzt worden sei.

82 Die Kommission macht zunächst geltend, sie müsse nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen eingehen, die die Klägerinnen im Verwaltungsverfahren vorgebracht hätten. Zur Marktabgrenzung sei darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung einer Vereinbarung anhand von Art. 81 EG der konkrete Rahmen, in dem diese ihre Wirkungen entfalte, nicht zu berücksichtigen sei, wenn es sich um eine Vereinbarung handele, die offenkundige Beschränkungen des Wettbewerbs wie die Festsetzung von Preisen, die Aufteilung des Markts oder die Kontrolle des Absatzes umfasse. Sie sei daher im vorliegenden Fall nicht zu einer Marktabgrenzung oder zu einem Nachweis der Auswirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung verpflichtet gewesen.

83 Nach ständiger Rechtsprechung genüge die Kommission ihrer Begründungspflicht, wenn sie in Bußgeldentscheidungen die Elemente angebe, die es ihr ermöglicht hätten, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu bemessen. Sie sei dagegen nicht zu eingehenderen Ausführungen oder Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbußen verpflichtet.

84 Auf die Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 sei sie nie ausdrücklich eingegangen, da die Klägerinnen die Voraussetzungen für ihre Anwendung nicht erfüllt hätten. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen habe sie die unterschiedlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung zur Kenntnis genommen und bei der Festsetzung der Geldbuße berücksichtigt.

b) Würdigung durch das Gericht

Vorbemerkungen

85 Die Kommission hat u. a. vorgetragen, sie sei nicht zu einer Marktabgrenzung oder zu einem Nachweis der Auswirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung verpflichtet gewesen. In Randnr. 333 der Entscheidung hat sie jedoch selbst ausgeführt, dass "[d]ie Größe der relevanten Märkte und die tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten der zuwiderhandelnden Unternehmen, anderen Unternehmen großen Schaden zuzufügen, ... in der Würdigung der Schwere berücksichtigt" worden seien. Entsprechend hat sie in ihrer Klagebeantwortung anerkannt, dass sie den Umsatz heranziehen musste, den die Unternehmen mit den fraglichen Waren auf dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Markt erzielten. Daher ist der Umfang der Begründungspflicht der Kommission zu prüfen.

86 Hierzu geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Kommission in einer Entscheidung nach Art. 81 EG nur dann den relevanten Markt abgrenzen muss, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezweckt oder bewirkt (Urteil des Gerichts vom 19. März 2003, CMA CGM u. a./Kommission, T-213/00, Slg. 2003, II-913, im Folgenden: Urteil CMA CGM, Randnr. 206; vgl. in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 15. September 1998, European Night Services u. a./Kommission, T-374/94, T-375/94, T-384/94 und T-388/94, Slg. 1998, II-3141, Randnrn. 93 bis 95 und 103).

87 Im vorliegenden Fall bezweckte die Kernübereinkunft eine Aufteilung der sachlichen und räumlichen Märkte. Folglich war die Kommission nicht verpflichtet, im Rahmen der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG eine Marktabgrenzung vorzunehmen.

88 Im verfügenden Teil der Entscheidung wird jedoch nicht nur eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG festgestellt, sondern auch eine Geldbuße in Anwendung der Verordnung Nr. 1/2003 verhängt. In diesem Zusammenhang sind die tatsächlichen Feststellungen zum betroffenen Markt relevant, auch wenn ihre Unzulänglichkeit nicht zur völligen Nichtigerklärung der Entscheidung führen kann.

89 Nach den Leitlinien ist nämlich bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes nicht nur seine Art "zu berücksichtigen", sondern auch "die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind" (Nr. 1 A Abs. 1). Um die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu ermitteln, muss dieser aber abgegrenzt werden. Weiter heißt es in den Leitlinien, zur Ermittlung der Schwere eines Verstoßes sei es "nötig", "die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber ... zu schädigen, zu berücksichtigen" (Nr. 1 A Abs. 4); dies bedeutet, dass die Größe der Märkte und die Marktanteile der betreffenden Unternehmen ermittelt werden müssen.

90 Hierzu hat das Gericht in Randnr. 193 des Urteils vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission (T-224/00, Slg. 2003, II-2597, im Folgenden: Urteil ADM), festgestellt, dass die Untersuchung der tatsächlichen Fähigkeit der betreffenden Unternehmen, spürbaren Schaden anzurichten, eine Beurteilung der tatsächlichen Bedeutung dieser Unternehmen auf dem relevanten Markt umfasst, d. h. ihres Einflusses auf diesen Markt. Für die Ermittlung des Einflusses, den ein Unternehmen auf den Markt ausüben konnte, sind aber seine Marktanteile von Bedeutung (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C-185/95 P, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 139).

91 Die Kommission war folglich nach der Rechtsprechung verpflichtet, eine Abgrenzung des relevanten Markts vorzunehmen sowie die Größe des Markts und den Umsatz der Klägerinnen zu ermitteln, da diese Daten für die Berechnung ihrer Marktanteile unerlässlich waren.

Zur Begründung in Bezug auf den relevanten Markt

92 Zunächst ist nach ständiger Rechtsprechung zwischen der Rüge des Fehlens oder der Unzulänglichkeit der Begründung und der Rüge der Unrichtigkeit der Entscheidungsgründe (wegen eines Fehlers bei der Ermittlung des Sachverhalts oder der rechtlichen Würdigung) zu unterscheiden. Der letztgenannte Bereich gehört zur Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung und nicht zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften; er kann daher keinen Verstoß gegen Art. 253 EG darstellen (Urteil des Gerichtshofs vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink's France, C-367/95 P, Slg. 1998, I-1719, Randnrn. 67 und 72, und Urteil des Gerichts vom 7. November 1997, Cipeke/Kommission, T-84/96, Slg. 1997, II-2081, Randnr. 47).

93 Was das behauptete Fehlen einer Antwort auf das Vorbringen der Klägerinnen angeht (siehe oben, Randnr. 75), so ist festzustellen, dass - anders als sie geltend machen - in der angefochtenen Entscheidung auf die Frage eingegangen wurde, ob Entaco in der Lage war, andere Kurzwaren als Öhrnadeln herzustellen. Insoweit verweist die Kommission in Randnr. 57 der Entscheidung auf ein Schreiben von Entaco an Prym vom 10. Mai 1993, in dem Entaco vorschlägt, Prym dadurch zu unterstützen, dass sie ihren Tätigkeitsbereich auf Nadeln beschränkt (siehe oben, Randnr. 22). Dieser Vorschlag bedeutet, dass Entaco die Möglichkeit hatte, ihr Sortiment zu erweitern. Ferner hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass Entaco auf anderen Märkten hätte tätig werden können (Randnr. 45 der Entscheidung), was ebenfalls eine solche Erweiterungsfähigkeit voraussetzt. Auch wenn Zweifel an einer solchen Fähigkeit von Entaco geäußert werden konnten, betreffen diese Zweifel die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung und nicht einen Begründungsmangel.

94 Zur Abgrenzung und wirtschaftlichen Bedeutung der relevanten Märkte ist festzustellen, dass die Ausführungen der Kommission nicht sehr klar sind, insbesondere soweit vom "oben definierten Markt für 'sonstige Näh- und Strickerzeugnisse einschließlich Steck- und Stricknadeln'" (Randnr. 45 der Entscheidung) die Rede ist. Der Begriff "Strickerzeugnisse" deutet nämlich darauf hin, dass auch Textilien wie z. B. Pullover umfasst sind. Da jedoch keines der betroffenen Unternehmen Textilien herstellt oder vertreibt, zählen diese offensichtlich nicht zum Referenzmarkt.

95 Dennoch liegt in Bezug auf die Abgrenzung der relevanten Märkte kein Begründungsmangel vor. Auch ohne von einer entsprechenden Verpflichtung auszugehen, hat die Kommission gleichwohl eine Beschreibung der in Rede stehenden Produkte (Randnrn. 9 bis 13 der angefochtenen Entscheidung), der Marktstruktur (Randnrn. 14 bis 19), der relevanten sachlichen Märkte (Randnrn. 20 bis 38) und des räumlich relevanten Markts (Randnrn. 39 bis 43) vorgenommen. Ihre Schlussfolgerungen sind in Randnr. 47 der angefochtenen Entscheidung zu finden. Die Feststellung der Kommission zu "Strickerzeugnissen" (siehe oben, Randnr. 76), auf die sich die Kritik der Klägerinnen im Wesentlichen bezieht, ist nur das Ergebnis einer falschen Übersetzung der Entscheidung, die offenbar nicht in Deutsch abgefasst wurde. In der englischen Fassung der Entscheidung ist von "sewing and knitting products" die Rede, also eher von Strickwerkzeugen als von Strickerzeugnissen wie Pullovern. Unter diesen Umständen brauchte die Kommission ihre Definition der relevanten sachlichen Märkte nicht näher zu erläutern.

96 Was die Feststellungen der Kommission zur Größe des Markts in Randnr. 45 der Entscheidung angeht, so ist zunächst auf zwei Übersetzungsfehler in der deutschen Fassung hinzuweisen (die deutsche und die englische Fassung der angefochtenen Entscheidung sind verbindlich). So räumt die Kommission in ihrer Klagebeantwortung ein, dass der Satz "Der gemeinschaftsweite Umsatz in diesen zuletzt genannten Märkten beläuft sich wiederum auf 30 Mio. EUR" auf einem Übersetzungsfehler beruht und unter Bezugnahme allein auf den zweiten der erwähnten Märkte, den Markt für "sonstige Näh- und Strickerzeugnisse einschließlich Steck- und Stricknadeln", lauten müsste: "Der gemeinschaftsweite Umsatz in diesem zuletzt genannten Markt beläuft sich wiederum auf 30 Mio. EUR".

97 Ferner geht aus der englischen Fassung der Entscheidung klar hervor, dass sich der Satz "Auf der Produktionsstufe muss der Markt als nah bei 30 Millionen EUR betrachtet werden" auf den Großhandel bezieht und daher lauten müsste: "Auf der Großhandelsstufe muss der Markt als nah bei 30 Millionen EUR betrachtet werden". Weder die Kommission noch die Klägerinnen haben auf diesen Übersetzungsfehler hingewiesen, was das Vorbringen der Klägerinnen erklären mag, dass die Kommission offenbar zu dem Ergebnis komme, der Markt sei auf den drei analysierten Stufen mehr oder weniger gleich groß. Überdies hat die Kommission darauf hingewiesen, dass sich der für die letzte Stufe, den Einzelhandel, angegebene Umsatz nur auf den Markt für Handnähnadeln beziehe.

98 Trotz dieser Erläuterungen bleiben die Feststellungen der Kommission zur Größe der drei von ihr als relevant angesehenen sachlichen Märkte (Randnrn. 45 und 46 der Entscheidung) lückenhaft und erlauben es nicht, die Größe aller betroffenen Märkte zu prüfen. Diese Feststellungen lassen sich in der nachstehenden Tabelle zusammenfassen:

Größe der Märkte (Mio. Euro)

Handnäh- und Handwerkernadeln

Sonstige Näh- und Strickartikel einschließlich Steck- und Stricknadeln

Sonstige Hartkurzwaren einschließlich Reißverschlüssen und sonstigen Verschlüssen

Absatz der Hersteller

30

?

?

Großhandel

30

?

?

Einzelhandel

? (allein Handnähnadeln: 30)

?

?

Gesamtgröße

?

30

1 000 - 1 500

99 Das Gericht hat die Kommission in einer schriftlichen Frage aufgefordert, die Größe der in der angefochtenen Entscheidung als relevant angesehenen sachlichen Märkte durch Ergänzung dieser Tabelle zu präzisieren. Die Antwort der Kommission - selbst wenn sie nicht als unzulässige Ergänzung der Begründung anzusehen sein sollte - hat es nicht erlaubt, die Lücken zu füllen. Folglich ist die Entscheidung unzureichend begründet, was zu ihrer teilweisen Nichtigerklärung führen könnte, es sei denn, dass die Feststellungen der Kommission zur tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeit der fraglichen Unternehmen, erheblichen Schaden zu verursachen, auf anderen Gründen der angefochtenen Entscheidung beruhen.

100 Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen die Feststellungen der Kommission in der angefochtenen Entscheidung, aus denen sich auch ohne die oben genannten Daten ergibt, dass eine solche Möglichkeit bestand, nie angefochten. In Randnr. 325 der Entscheidung hat die Kommission ausgeführt, dass Prym und Entaco während des Zeitraums der Zuwiderhandlung die europäischen Marktführer bei der Herstellung von Nadeln gewesen seien und dass es nur sehr geringen Wettbewerb (hauptsächlich durch die Needle Industries [India] Ltd) gegeben habe, dass Prym der europäische Marktführer bei anderen Hartkurzwaren wie Verschlüssen und Stecknadeln sowie einer der stärksten Wettbewerber auf dem Markt für Reißverschlüsse gewesen sei und dass Coats und Prym mit ihren jeweiligen Marken für Handnähnadeln (Milward und Newey) führend auf der Einzelhandelsstufe gewesen seien.

101 Diese Ausführungen sind zwar mit "Differenzierte Behandlung" überschrieben, befinden sich aber in dem der "Schwere der Zuwiderhandlung" gewidmeten Teil der angefochtenen Entscheidung und enthalten Bezugnahmen auf die maßgebenden Kriterien für die Beurteilung der tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeit eine Zuwiderhandlung begehender Unternehmen, erheblichen Schaden zu verursachen. Die Klägerinnen haben auch nie bestritten, dass sie zu den bedeutendsten Wirtschaftsteilnehmern in der fraglichen Branche gehörten.

Zur Begründung in Bezug auf die spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen

102 Nach ständiger Rechtsprechung fällt eine Vereinbarung nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie den Wettbewerb nur geringfügig einschränkt oder den Handel zwischen Mitgliedstaaten nur geringfügig beeinträchtigt (De-minimis-Regel) (Urteile des Gerichtshofs vom 30. Juni 1966, Société technique minière, 56/65, Slg. 1966, 282, 303 f., vom 9. Juli 1969, Völk, 5/69, Slg. 1969, 295, Randnr. 7, und vom 28. April 1998, Javico, C-306/96, Slg. 1998, I-1983, Randnrn. 12 und 17; Urteil CMA CGM, oben in Randnr. 86 angeführt, Randnr. 207).

103 Die Kommission ist zwar nicht verpflichtet, bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG die wettbewerbswidrigen Wirkungen der Vereinbarungen zu quantifizieren, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken (siehe oben, Randnr. 87), doch müssen diese Vereinbarungen spürbare Wettbewerbsbeschränkungen herbeiführen können (vgl. in diesem Sinn Urteil Völk, oben in Randnr. 102 angeführt, Randnr. 7). Daher ist zu prüfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall der ihr insoweit obliegenden Begründungspflicht nachgekommen ist.

104 Obwohl die Entscheidung zum einen die Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten (Randnrn. 277 bis 285) und zum anderen die Einschränkung des Wettbewerbs (Randnrn. 261 bis 276) behandelt, prüft sie die gesonderte Frage, ob die festgestellten Einschränkungen unter die in der Rechtsprechung aufgestellte De-minimis-Regel fallen, nicht ausdrücklich.

105 Die Entscheidung enthält allerdings in diesem letzten Teil Feststellungen zu den relevanten Märkten, den Klägerinnen und den getroffenen Vereinbarungen, denen sich die Gründe entnehmen lassen, aus denen die Kommission es ausgeschlossen hat, dass die Vereinbarungen keine spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen herbeiführen konnten. Außerdem stellt die Kommission in Randnr. 15 der angefochtenen Entscheidung fest, dass "zwei große Unternehmen den Markt für Nadeln in der Europäischen Union beherrschten: Prym Consumer und Entaco". Angesichts dieser Feststellungen war die Kommission zu der Annahme berechtigt, dass die Kernübereinkunft eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezweckte, und sie brauchte die Entscheidung nicht noch darüber hinaus und speziell in Bezug auf die Spürbarkeit der fraglichen Wettbewerbsbeschränkung zu begründen.

Zur Begründung in Bezug auf die Bußgeldbemessung

106 Die Ausführungen zur Bußgeldbemessung sind sehr kurz. In den Randnrn. 316 bis 339 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission ihre Schlussfolgerungen in Bezug auf die Schwere, die Dauer und die übrigen für die Bußgeldbemessung relevanten Kriterien begründet.

107 Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, sich bei der Beurteilung der Schwere auf die Bestimmung der abstrakten Art der Zuwiderhandlung beschränkt zu haben, ohne ihre Auswirkungen auf den Markt zu berücksichtigen (siehe oben, Randnrn. 79 und 80). 108 Insoweit hat der Gerichtshof in Randnr. 143 des Urteils ADM (oben in Randnr. 90 angeführt) darauf hingewiesen, dass die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung nach Nr. 1 A Abs. 1 der Leitlinien die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt prüfen muss, wenn diese Auswirkungen messbar erscheinen (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 5. April 2006, Degussa/Kommission, T-279/02, Slg. 2006, II-897, Randnr. 216).

109 Die Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen auf den Markt ist folglich nur dann erforderlich, "wenn sie messbar erscheinen". Die Kommission hat jedoch während des Verfahrens nie geltend gemacht, dass die Auswirkungen im vorliegenden Fall nicht messbar seien, und in ihrer Klagebeantwortung hat sie sich auf den Hinweis beschränkt, dass die Aufteilung der Produktmärkte und der räumlichen Märkte, die in den zwischen den Klägerinnen und Entaco abgeschlossenen Verträgen vorgesehen war, durchgeführt worden sei und somit "zwangsläufig reale Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen auf den Gemeinschaftsmärkten" gehabt habe.

110 Diese Schlussfolgerung ist aber nicht überzeugend. Die Durchführung einer Vereinbarung ist nicht zwangsläufig mit realen Auswirkungen verbunden. So erwähnt die Kommission in Randnr. 181 der Entscheidung selbst eine Rechtssache, in der sie keine Auswirkung auf den Markt der Gemeinschaft feststellte (diese Sache ist Gegenstand der Entscheidung 2000/627/EG der Kommission vom 16. Mai 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG], Sache IV/34.018 - Far East Trade Tariff Charges and Surcharges Agreement [FETTCSA], ABl. L 268, S. 1, und des oben in Randnr. 86 angeführten Urteils CMA CGM; vgl. in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T-43/02, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 157). Außerdem haben die Klägerinnen geltend gemacht, dass die Vereinbarungen nicht zu einer Erhöhung des Verkaufspreises von Öhrnadeln geführt hätten. Die Kommission durfte sich daher nicht darauf beschränken, auf die vorgenommene Marktaufteilung hinzuweisen und aus der Umsetzung des Kartells zu schließen, dass es tatsächliche Auswirkungen auf den Markt hatte.

111 In den Randnrn. 318 bis 320 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission auf "[k]onkrete Auswirkungen der Zuwiderhandlung" hingewiesen. Dort beschränkt sie sich aber auf eine Bezugnahme auf den mit "Umsetzung der verschiedenen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen" überschriebenen Abschnitt der Entscheidung. Dieser Abschnitt enthält jedoch keine Angaben zu den konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt. Die Kommission hat sich somit ausschließlich auf einen Kausalzusammenhang zwischen der Umsetzung des Kartells und seinen konkreten Auswirkungen auf den Markt gestützt, was für die Bußgeldbemessung jedoch nicht ausreicht.

112 Folglich ist die Kommission der ihr insoweit obliegenden Begründungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Auf die daraus abzuleitenden Rechtsfolgen wird nachstehend in den Randnrn. 190 ff. eingegangen.

113 Dagegen hat die Kommission - entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen - die Entscheidung in Bezug auf die Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 in den Randnrn. 336 bis 339 begründet. In Randnr. 336 hat sie u. a. ausgeführt, Entaco habe als einziges Unternehmen die Anwendung der Kronzeugenregelung entsprechend der Mitteilung über Zusammenarbeit beantragt. Da die Klägerinnen außerdem nach Ansicht der Kommission nie die Voraussetzungen für die Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 erfüllten, war sie nicht verpflichtet, diesen Punkt eingehend zu prüfen. Das Vorbringen, mit dem die Klägerinnen die Richtigkeit dieser Ausführungen in Abrede stellen, betrifft die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung, auf die nachstehend in den Randnrn. 245 ff. eingegangen wird, und nicht die Unzulänglichkeit der Begründung.

114 Schließlich erläutert die Kommission in den Randnrn. 330 bis 333, aus welchen Gründen der Ausgangsbetrag der Geldbußen nicht wegen mildernder Umstände herabzusetzen war.

115 Nach alledem ist der Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften außer in Bezug auf die unzureichende Begründung für die konkreten Auswirkungen der fraglichen Zuwiderhandlung auf den Markt zurückzuweisen.

B - Zweiter Klagegrund: Materielle Fehler bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG

116 Der zweite Klagegrund besteht aus drei Teilen, die die Marktaufteilung, das Fehlen spürbarer Auswirkungen der Wettbewerbsbeschränkung und die mangelnde Verantwortlichkeit der Klägerin Prym betreffen.

1. Zur Marktaufteilung

a) Vorbringen der Parteien

117 Die Klägerinnen unterscheiden zwischen zwei Marktaufteilungen, derjenigen des räumlichen Markts und derjenigen der sachlichen Märkte, und wenden sich in beiden Fällen gegen die Beurteilung seitens der Kommission.

118 Zur Aufteilung der sachlichen Märkte machen die Klägerinnen geltend, sie habe nur den Markt für Hartkurzwaren für private Verbraucher (im Folgenden: Handelsmarkt) und nicht den Markt für Hartkurzwaren für die Industrie (im Folgenden: Industriemarkt) betroffen. Auf dem Handelsmarkt habe sich die Marktaufteilung faktisch nur auf den Vertrieb und nicht auf die Produktion erstreckt, da Entaco zur Herstellung anderer Hartkurzwaren als Nähnadeln nicht in der Lage gewesen sei.

119 Die Kommission habe nicht zwischen dem Handelsmarkt und dem Industriemarkt unterschieden, sondern sei von einem einheitlichen Markt für Kurzwaren ausgegangen. Diese falsche Einschätzung der Funktionsweise der Märkte im Bereich der Hartkurzwaren ergebe sich aus der völlig unzutreffenden Feststellung der Kommission (Randnr. 34 der angefochtenen Entscheidung), wonach Hauptabnehmer des traditionellen Nadelangebots die Bekleidungs-, die Lederwaren-, die Schuh- und die Kartonindustrie seien.

120 Die Schätzungen der Kommission in Bezug auf die Marktgröße (300 bis 600 Mio. Euro beim Markt für Reißverschlüsse und 1 bis 1,5 Mrd. Euro beim Markt für "sonstige Verschlüsse", insbesondere Druckknöpfe) seien bereits für den Industriemarkt und erst recht für den Handelsmarkt bei Weitem zu hoch gegriffen.

121 Nach den Schätzungen der Klägerinnen betrug das jährliche Marktvolumen auf dem Handelsmarkt (außer Öhrnadeln) in der Europäischen Union auf der allein betroffenen ersten Marktstufe in den Jahren 1994 bis 1997 (dem von der sachlichen Marktaufteilung betroffenen Zeitraum) zwischen 88 und 110 Mio. Euro. Das von der sachlichen Marktaufteilung betroffene jährliche Marktvolumen betrage damit nur einen Bruchteil des von der Kommission angenommenen Marktvolumens von insgesamt 1,3 bis 2,1 Mrd. Euro.

122 Schließlich sei der "befangene Umsatz" in der vorliegenden Rechtssache jener Umsatz, den Entaco während der Dauer der sachlichen Marktaufteilung hätte erzielen können, aber nicht erzielt habe. Die sachliche Marktaufteilung habe für Entaco zu einem jährlichen Umsatzverlust von höchstens 30 000 Euro geführt.

123 In Bezug auf die räumliche Marktaufteilung wenden sich die Klägerinnen gegen die Annahmen der Kommission in Bezug auf die Marktgröße und die Dauer der Zuwiderhandlung. Zum letztgenannten Punkt führen sie aus, mangels Rechtswirksamkeit der wettbewerbswidrigen Vereinbarungen richte sich das Ende der Zuwiderhandlung nicht nach dem Ende der Kündigungsfrist, sondern nach dem Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung der Zuwiderhandlung. Sie hätten Umstände vorgetragen (und zwar die von Entaco gegen Prym Consumer erhobene Klage auf Feststellung, dass die Kündigung der Vereinbarungen unwirksam sei, und das Treffen von Entaco und Prym am 14. April 1999), die dagegen sprächen, dass die Zuwiderhandlung über den 30. April 1999 hinaus angedauert habe. Entgegen den Feststellungen der Kommission in der angefochtenen Entscheidung habe die Zuwiderhandlung somit nicht fünf Jahre und drei Monate, sondern nur vier Jahre und sieben Monate gedauert. Die Kommission hätte daher einen geringeren Aufschlag wegen der Dauer der Zuwiderhandlung vornehmen müssen.

124 Die Kommission weist darauf hin, dass sie nur eine einzige fortgesetzte Zuwiderhandlung festgestellt habe, und trägt vor, die Rügen in Bezug auf die Marktabgrenzung seien unschlüssig und griffen nicht durch. Zur Dauer der Zuwiderhandlung führt sie aus, bei der Berechnung der Dauer einer Zuwiderhandlung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecke, brauche nur bestimmt zu werden, wie lange die Vereinbarung bestanden habe, d. h. der Zeitraum von ihrem Abschluss bis zu ihrer Beendigung.

b) Würdigung durch das Gericht

125 Zu den Feststellungen in Bezug auf die relevanten Märkte ist bereits ausgeführt worden, dass die Erwägungen der Kommission zur Abgrenzung und wirtschaftlichen Bedeutung dieser Märkte lückenhaft sind und Übersetzungsfehler enthalten (siehe oben, Randnrn. 92 ff.).

126 Selbst wenn das Vorbringen der Klägerinnen zur Abgrenzung des Markts, seiner Größe oder dem "befangenen Umsatz" begründet sein sollte, könnte es jedoch nicht zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen und geht daher im Zusammenhang mit dem zweiten Klagegrund ins Leere.

127 Insoweit ist daran zu erinnern, dass im Rahmen einer Nichtigkeitsklage bei der Frage, ob ein Klagegrund ins Leere geht, auf seine Eignung abzustellen ist, im Fall seiner Begründetheit die vom Kläger angestrebte Nichtigerklärung herbeizuführen (Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2000, EFMA/Rat und Kommission, C-46/98 P, Slg. 2000, I-7079, Randnr. 38). Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG der Nachweis tatsächlicher wettbewerbswidriger Auswirkungen einer Vereinbarung überflüssig, wenn feststeht, dass sie die Einschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt (siehe oben, Randnrn. 85 ff; Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322, 390, und Urteil des Gerichts vom 6. April 1995, Ferriere Nord/Kommission, T-143/89, Slg. 1995, II-917, Randnr. 30).

128 Infolgedessen braucht bei der Beurteilung einer Vereinbarung anhand von Art. 81 Abs. 1 EG der konkrete Rahmen, in dem sie ihre Wirkungen entfaltet, nicht berücksichtigt zu werden, sofern es sich um eine Vereinbarung handelt, die offensichtliche Beschränkungen des Wettbewerbs wie die Festsetzung von Preisen, die Aufteilung des Markts oder die Kontrolle des Absatzes umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteil European Night Services u. a./Kommission, oben in Randnr. 86 angeführt, Randnr. 136).

129 Die von den Klägerinnen und Entaco geschlossenen Vereinbarungen (die Kernübereinkunft, die Kaufvereinbarung und die Vertriebsvereinbarung) bezweckten eine Aufteilung des räumlichen Markts und eine Aufteilung der sachlichen Märkte, also zwei offenkundige Wettbewerbsbeschränkungen. In der Kernübereinkunft erklärte sich Entaco nämlich ausdrücklich bereit, "ihre Herstellungs- und Vertriebstätigkeiten in der Kurzwarenbranche auf Nadeln zu beschränken und ihre Tätigkeiten nicht ohne vorherige Zustimmung von Prym auf Steck- und Sicherheitsnadeln, vierteilige Verschlüsse, Stricknadeln oder sonstige Kurzwaren auszudehnen". Unter diesen Umständen kann dem Argument der Klägerinnen, die Aufteilung der sachlichen Märkte habe nur den Vertrieb und nicht die Produktion betroffen, nicht gefolgt werden.

130 Dieser Teil des Klagegrundes geht folglich ins Leere, soweit er auf die Feststellung einer Verletzung von Art. 81 Abs. 1 EG gerichtet ist.

131 Hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung besteht zwischen den Parteien Einigkeit darüber, dass die Kartelle bei anderen Hartkurzwaren als Nadeln (von den Klägerinnen als "Aufteilung der sachlichen Märkte" bezeichnet) am 13. März 1997 endeten (siehe oben, Randnrn. 33 ff.).

132 In Bezug auf die den Nadelmarkt betreffenden Kartelle (von den Klägerinnen als "Aufteilung des räumlichen Markts" bezeichnet) sind die Klägerinnen der Ansicht, dass sich mangels Rechtswirksamkeit der Vereinbarungen das Ende der Zuwiderhandlung nicht nach dem Ende der Kündigungsfrist richte, sondern nach dem Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung der Zuwiderhandlung. Ferner hätten sie Umstände vorgetragen, die dagegen sprächen, dass die Zuwiderhandlung über den 30. April 1999 hinaus angedauert habe.

133 Das Gericht hat jedoch bereits in dem oben in Randnr. 86 angeführten Urteil CMA CGM (Randnr. 280) festgestellt, dass für die Berechnung der Dauer einer Zuwiderhandlung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt, nur bestimmt zu werden braucht, wie lange die Vereinbarung bestanden hat, d. h. der Zeitraum von ihrem Abschluss bis zu ihrer Beendigung; dies gilt selbst dann, wenn die fragliche Vereinbarung nicht in Kraft gesetzt worden ist.

134 Festzustellen ist jedenfalls, dass das tatsächliche Vorbringen der Klägerinnen unbegründet ist. Es trifft zu, dass sie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geltend gemacht hatten, nach April 1999 hätten sich Prym Consumer und Entaco nicht mehr an die Kauf- und die Vertriebsvereinbarung gehalten, wie sich durch Schriftstücke in den Akten der Kommission belegen lasse. Die der Klageschrift beigefügten Schriftstücke vermögen diese Behauptung jedoch nicht zu stützen.

135 Die von den Klägerinnen angeführten Umstände (siehe oben, Randnr. 123) sind nämlich kein Beleg dafür, dass die Vereinbarungen zwischen Prym Consumer und Entaco ab Ende April 1999 faktisch nicht mehr angewandt wurden. Die von den Klägerinnen gelieferten Anhaltspunkte zeigen, dass die Klageerhebung gegen die Kündigung der Vereinbarungen und das Treffen am 14. April 1999 nur eine etwaige Verlängerung der Kartelle über den 31. Dezember 1999 hinaus betrafen.

136 Mangels überzeugender Beweise für eine Beendigung der Zuwiderhandlung Ende April 1999 war die Kommission folglich zu der Feststellung berechtigt, dass die Vereinbarungen bis zum 31. Dezember 1999 in Kraft blieben.

137 Nach alledem ist dieser Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

2. Zu der Behauptung, die Wettbewerbsbeschränkung sei nicht spürbar gewesen

a) Vorbringen der Parteien

138 Die Klägerinnen sind der Ansicht, mangels nennenswerter Auswirkungen habe es an der erforderlichen Spürbarkeit der Zuwiderhandlung gefehlt; zu berücksichtigen sei auch, dass die Vereinbarungen nicht zu einem Anstieg der Abgabepreise von Prym Consumer für Öhrnadeln geführt hätten.

139 Die Kommission trägt vor, Vereinbarungen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckten, fielen unabhängig von ihren konkreten Wirkungen unter Art. 81 EG.

b) Würdigung durch das Gericht

140 Entgegen dem Vorbringen der Kommission fällt auch eine Vereinbarung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt, nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie tatsächlich den Wettbewerb oder den Handel zwischen Mitgliedstaaten nur unwesentlich beeinträchtigen kann (siehe oben, Randnrn. 102 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).

141 Auch wenn die Kommission der Ansicht war, dass sie zum Nachweis der Spürbarkeit nicht verpflichtet sei, hat sie jedoch gleichwohl die nötigen Feststellungen getroffen, die den Schluss zulassen, dass die Vereinbarungen den Wettbewerb spürbar einschränken konnten. Insbesondere hat sie in Randnr. 15 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass Prym Consumer und Entaco den Markt für Nadeln in der Europäischen Union beherrschten (siehe oben, Randnr. 105).

142 Außerdem haben die Klägerinnen nicht geltend gemacht, dass ihre Vereinbarungen mit Entaco von untergeordneter Bedeutung gewesen seien (de minimis). In ihrer Klageschrift schätzen sie, dass ihr Anteil am Markt für Handnähnadeln zwischen 45 % und 60 % betrage. Unter diesen Umständen war die Kommission zu dem Schluss berechtigt, dass eine gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßende Wettbewerbsbeschränkung vorlag.

143 Folglich ist dieser Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

3. Zur Verantwortlichkeit der Klägerin Prym

a) Vorbringen der Parteien

144 Die Klägerinnen machen geltend, Prym sei nur an der Kernübereinkunft aus dem Jahr 1994 beteiligt gewesen, die am 13. März 1997 geendet habe. Nach dem 13. März 1997 sei Prym an keiner Vereinbarung mit Entaco mehr beteiligt gewesen. Die Beteiligung von Prym Consumer sei Prym nicht zuzurechnen; der Umstand, dass Prym Consumer die 100%ige Tochtergesellschaft von Prym sei, reiche für sich genommen nicht aus, dieser das Verhalten von Prym Consumer zuzurechnen, da sich Prym auf reine Holdingfunktionen beschränkt habe.

145 Die Kommission trägt vor, wenn eine Tochtergesellschaft zu 100 % im Eigentum ihrer Muttergesellschaft stehe, sei zu vermuten, dass diese entscheidenden Einfluss ausübe.

b) Würdigung durch das Gericht

146 Nach ständiger Rechtsprechung ist, wenn das Kapital einer Tochtergesellschaft zu 100 % von ihrer Muttergesellschaft gehalten wird, zu vermuten, dass die Muttergesellschaft in der Lage ist, die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft entscheidend zu beeinflussen (vgl. in diesem Sinn Urteile des Gerichtshofs vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission, 107/82, Slg. 1983, 3151, Randnr. 50, und vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C-286/98 P, Slg. 2000, I-9925, Randnrn. 26 ff.). Folglich oblag es Prym als Muttergesellschaft, diese Vermutung durch Vorlage ausreichender Beweise zu widerlegen. Solche Beweise hat Prym aber nicht vorgelegt.

147 Vielmehr gehörte Herr G., der alleinige Geschäftsführer von Prym Consumer, auch der Unternehmensführung von Prym an (vgl. Randnr. 292 der Entscheidung). Er unterzeichnete sowohl die Kernübereinkunft als auch die Kauf-, die Vertriebs- und die 10,1%-Vereinbarung sowie die Vereinbarung vom 13. März 1997 über den Anteilsverkauf an Entaco. Die Behauptung, Prym sei nicht in der Lage gewesen, die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft entscheidend zu beeinflussen, ist daher nicht überzeugend.

148 Folglich ist dieser Teil des Klagegrundes zurückzuweisen. Nach alledem ist der Klagegrund, mit dem materielle Fehler bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG gerügt werden, zurückzuweisen.

II - Zum dritten Klagegrund, der auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße abzielt

149 Der dritte Klagegrund, mit dem die Verletzung allgemeiner Rechtsgrundsätze und materielle Fehler bei der Bußgeldbemessung gerügt werden, umfasst mehrere Rügen und richtet sich gegen die Höhe der Geldbuße.

A - Zu den Rügen in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Rechtsgrundlagen für die Geldbuße

1. Zu dem Argument, es habe an einer Rechtsgrundlage für die Verhängung der Geldbußen gefehlt

a) Vorbringen der Parteien

150 Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Geldbuße von 30 Mio. Euro diene nicht einmal teilweise der Abschöpfung rechtswidrig erzielter Gewinne, sondern habe sowohl nach ihrem Zweck als auch nach ihrer Funktion strafrechtsähnlichen Charakter. Sie müsse deshalb nach dem Grundsatz nulla poena sine lege auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen.

151 Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 genüge diesem Gebot nicht, da hinreichend bestimmte gesetzliche Kriterien zur Festlegung der Bußgeldhöhe fehlten. Zudem mangele es, wenn man der Auslegung dieses Artikels durch die Kommission folge, wonach die 10%-Grenze eine bloße Kappungsgrenze darstelle, an einem gesetzlich bestimmten Bußgeldrahmen.

152 Die Kommission weist dieses Vorbringen zurück.

b) Würdigung durch das Gericht

153 Erstens geht aus dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 hervor, dass die Entscheidungen der Kommission, mit denen Geldbußen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft verhängt werden, keinen strafrechtlichen Charakter haben (vgl. in Bezug auf Art. 15 der Verordnung Nr. 17 Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994, Tetra Pak/Kommission, T-83/91, Slg. 1994, II-755, Randnr. 235).

154 Zweitens wird das Ermessen der Kommission durch die Kriterien des Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 - Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung - und durch die Obergrenze von 10 % eingeschränkt. Auch wenn diese Obergrenze keinen rechtlichen Rahmen der Geldbuße in dem von den Klägerinnen verstandenen Sinn darstellt, handelt es sich doch um einen bezifferbaren und absoluten Höchstbetrag, so dass der maximale Betrag der möglichen Geldbuße eines Unternehmens im Voraus bestimmbar ist (vgl. in diesem Sinn Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 108 angeführt, Randnr. 75).

155 Drittens muss die Kommission die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts beachten. Hierzu ist festzustellen, dass es im 37. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 ausdrücklich heißt, dass sie in Übereinstimmung mit den Grundrechten und den Prinzipien, die insbesondere in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, auszulegen und anzuwenden ist.

156 Schließlich unterliegt die Ermessensausübung durch die Kommission bei der Bußgeldbemessung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung; es hat darüber zu wachen, dass die genannten Grundsätze und die Pflicht zur Anwendung der Verordnung in Übereinstimmung mit den Grundrechten beachtet werden.

157 Unter diesen Umständen kann der Rüge, es habe an einer Rechtsgrundlage für die Verhängung der Geldbußen gefehlt, nicht gefolgt werden.

2. Zur geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Leitlinien

a) Vorbringen der Parteien

158 Die Klägerinnen führen aus, die Leitlinien, die sich die Kommission in Bezug auf die Bußgeldbemessung auferlegt habe, seien für sie verbindlich und hätten normativen Charakter. Vor Inkrafttreten der Leitlinien seien die Geldbußen noch bezogen auf den befangenen Umsatz und den Gesamtumsatz der betroffenen Unternehmen ermittelt worden; mit den Leitlinien habe die Kommission eine Abkehr von dieser umsatzbezogenen Bußgeldfestsetzung vollzogen und verhänge seitdem Geldbußen anhand bestimmter Pauschalbeträge je nach Kategorie des Verstoßes. Die Leitlinien verstießen dadurch, dass sie auf Sachverhalte vor ihrer Veröffentlichung am 14. Januar 1998 angewandt würden, gegen den allgemeinen Grundsatz des Rückwirkungsverbots strafrechtlicher Bestimmungen.

159 Die mit den Leitlinien vollzogene Abkehr von einer Bußgeldbemessung aufgrund des wettbewerbswidrigen Umsatzes hin zu einer Bußgeldbemessung anhand der Kategorie des Verstoßes und anhand von Pauschalbeträgen führe jedenfalls bei "besonders schweren" Verstößen zwangsläufig zu einer unverhältnismäßigen Ahndung von Wettbewerbsverstößen kleiner und mittlerer Unternehmen. Daher verstießen die Leitlinien als solche gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung.

160 Durch dieses Vorgehen sei die in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegte Obergrenze von 10 % in rechtswidriger Weise zu einer bloßen Kappungsgrenze gemacht worden, d. h. zu einer Grenze, die nur für den Endbetrag der Geldbuße gelte, während sie als gesetzliche Obergrenze den Bußgeldrahmen vorgebe. Die Verhängung einer Geldbuße nahe der 10%-Grenze könne nur dann in Betracht kommen, wenn es sich um einen in jeder Hinsicht besonders schweren Fall handele.

161 Die Kommission trägt vor, Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 verleihe ihr ein Ermessen bei der Festsetzung von Geldbußen. Die betroffenen Unternehmen müssten sich folglich dessen bewusst sein, dass sie jederzeit beschließen könne, das Niveau der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Zudem sei eine Geldbuße nicht unverhältnismäßig, wenn ihr Endbetrag die 10%-Grenze nicht übersteige.

162 Auch von einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung könne keine Rede sein.

b) Würdigung durch das Gericht

163 Zum Rückwirkungsverbot ist darauf hinzuweisen, dass die von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung verhängten Sanktionen erstens Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003, der dem zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung geltenden Art. 15 der Verordnung Nr. 17 entspricht, und zweitens den Leitlinien unterliegen.

164 Die Leitlinien stellen zwar nicht die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung dar, enthalten jedoch eine allgemeine und abstrakte Regelung des Verfahrens, das sich die Kommission zur Festsetzung der in dieser Entscheidung verhängten Geldbußen auferlegt hat, und schaffen damit Rechtssicherheit für die Unternehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Randnr. 213).

165 Wie der Gerichtshof in seinem oben in Randnr. 164 angeführten Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission (Randnr. 225) festgestellt hat, besteht die wesentliche Neuerung der Leitlinien darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung ein Grundbetrag verwendet wird, der innerhalb von hierfür in den Leitlinien vorgesehenen Spannen festgelegt wird, wobei die Spannen den verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer - wenn auch relativen und flexiblen - Tarifierung der Geldbußen.

166 Unabhängig von der formalen Einstufung als "Verwaltungsverfahren" und nicht als "Strafverfahren" müssen zwar in jedem Verfahren, das zu Sanktionen führen kann, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zum Schutz der Grundrechte des Einzelnen beachtet werden (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 164 angeführt, Randnr. 202; Urteile des Gerichts vom 20. März 2002, Lögstör Rör/Kommission, T-16/99, Slg. 2002, II-1633, Randnr. 218, und LR AF 1998/Kommission, T-23/99, Slg. 2002, II-1705, Randnr. 220), zu denen auch das Rückwirkungsverbot gehört.

167 Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 verleiht der Kommission jedoch ein Ermessen bei der Festsetzung von Geldbußen, dessen Ausübung insbesondere von ihrer allgemeinen Politik im Bereich des Wettbewerbs abhängt (vgl. in Bezug auf Art. 15 der Verordnung Nr. 17 Urteil Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 157). Wie die Klägerinnen in ihrer Klageschrift selbst anerkennen, bedeutet dies insbesondere, dass das Niveau der Geldbußen innerhalb der in der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegten Obergrenze angehoben werden kann, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verlangt, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 164 angeführt, Randnr. 227).

168 Die Unternehmen müssen sich also dessen bewusst sein, dass die Kommission beschließen kann, die Höhe der Geldbußen gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten Niveau anzuheben. Das gilt nicht nur dann, wenn die Kommission das Niveau der Geldbußen durch die Verhängung von Geldbußen in Einzelentscheidungen anhebt, sondern auch dann, wenn diese Anhebung dadurch erfolgt, dass Verhaltensnormen mit allgemeiner Geltung, wie die Leitlinien, auf konkrete Fälle angewandt werden (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 164 angeführt, Randnrn. 228 bis 230).

169 Die Kommission hat daher nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, als sie in der angefochtenen Entscheidung die Leitlinien auf vor deren Erlass begangene Zuwiderhandlungen anwandte.

170 Zu den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung genügt die Feststellung, dass der Gerichtshof in seinem oben in Randnr. 164 angeführten Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission (Randnr. 347) die Rechtsmittelgründe zurückgewiesen hat, die sich auf einen Verstoß gegen diese Grundsätze bei der Festsetzung von Geldbußen nach der Berechnungsmethode der Leitlinien stützten. Damit diese Grundsätze beachtet werden, können nämlich nach Nr. 3 der Leitlinien als "Mildernde Umstände" unter der Rubrik "Sonstiges" außergewöhnliche Sachverhalte berücksichtigt werden. Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass nur der Endbetrag der verhängten Geldbuße auf die Obergrenze von 10 % herabzusetzen ist und dass Art. 15 der Verordnung Nr. 17 (jetzt Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003) der Kommission nicht verbietet, bei ihrer Berechnung einen Zwischenbetrag heranzuziehen, der diese Grenze übersteigt, sofern die letztlich verhängte Geldbuße nicht darüber liegt (Randnrn. 277 und 278 des genannten Urteils; vgl. auch Urteil Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 367).

171 Unter diesen Umständen ist die auf die Rechtswidrigkeit der Leitlinien gestützte Rüge zurückzuweisen.

3. Zur geltend gemachten Verletzung von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003

a) Vorbringen der Parteien

172 Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass sich die in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Obergrenze von 10 % auf den Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens in der Europäischen Union beziehe.

173 Das Gericht habe zwar in der Vergangenheit bereits festgestellt, dass Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 keine räumliche Grenze für den bei der Bemessung der Geldbuße zugrunde zu legenden Umsatz vorsehe. Es sei aber zu bezweifeln, dass das Gericht damit auch die Frage habe entscheiden wollen, ob sich die Obergrenze von 10 % auf den weltweiten oder nur auf den EU-weiten Gesamtumsatz beziehe, denn der Sachverhalt habe keinen Anlass gegeben, diese Frage zu entscheiden.

174 Selbst wenn die Kommission also berechtigt gewesen sein sollte, auch gegen Prym eine Geldbuße zu verhängen, wäre die Obergrenze von 10 % dennoch überschritten, da Prym im Jahr 2003 in der Europäischen Union einen Umsatz von rund 210 Mio. Euro erzielt habe.

175 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

b) Würdigung durch das Gericht

176 Nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission gegen Unternehmen, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen haben, durch Entscheidung Geldbußen verhängen, die für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen 10 % seines im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Umsatzes nicht übersteigen dürfen.

177 Der in dieser Bestimmung erwähnte Umsatz bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung (zu Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17) auf den Gesamtumsatz des betreffenden Unternehmens (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 119; Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, JFE Engineering u. a./Kommission, T-67/00, T-68/00, T-71/00 und T-78/00, Slg. 2004, II-2501, Randnr. 533, und Urteil Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 367).

178 Im vorliegenden Fall hat Prym im Jahr 2003 einen Gesamtumsatz von 337 Mio. Euro erzielt; die Geldbuße von 30 Mio. Euro beträgt somit 8,9 % des Gesamtumsatzes von Prym in diesem Jahr und übersteigt daher nicht die Obergrenze von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003.

179 Folglich ist dieser Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

B - Zu den Rügen, mit denen geltend gemacht wird, dass die verhängte Geldbuße im Licht der Leitlinien rechtswidrig sei

1. Vorbemerkungen

180 1998 erließ die Kommission die Leitlinien, um - wie es in deren erstem Erwägungsgrund heißt - die Transparenz und Objektivität ihrer Entscheidungen auf diesem Gebiet zu erhöhen.

181 Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Leitlinien beruht das neue Verfahren der Kommission für die Festsetzung des Betrags der Geldbuße auf dem in den Leitlinien vorgesehenen Schema, dem die Errechnung eines Grundbetrags zugrunde liegt, wobei Aufschläge zur Berücksichtigung erschwerender und Abzüge zur Berücksichtigung mildernder Umstände vorgenommen werden können. Der Grundbetrag wird nach Nr. 1 der Leitlinien nach Maßgabe der Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung errechnet.

182 Die Schwere der Zuwiderhandlungen ist anhand zahlreicher Elemente zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juli 1997, Ferriere Nord/Kommission, C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411, Randnr. 33). Außerdem verfügt die Kommission nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Verordnung Nr. 17 über ein Ermessen bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen, um die Unternehmen dazu anhalten zu können, die Wettbewerbsregeln einzuhalten (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. Oktober 1997, Deutsche Bahn/Kommission, T-229/94, Slg. 1997, II-1689, Randnr. 127 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Gericht, das insoweit eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat, hat jedoch zu prüfen, ob der Betrag der festgesetzten Geldbuße in einem angemessenen Verhältnis zu Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung steht (Urteil Deutsche Bahn/Kommission, Randnr. 127), und es hat die Schwere der Zuwiderhandlung und die von der Klägerin geltend gemachten Umstände gegeneinander abzuwägen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 14. November 1996, Tetra Pak/Kommission, C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951, Randnrn. 48 und 49).

183 Das Vorbringen der Parteien ist unter Berücksichtigung dieser Erwägungen zu analysieren.

2. Zur Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung

a) Vorbringen der Parteien

184 Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Einstufung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung als "besonders schwer" stehe im Widerspruch zu den in Nr. 1 A der Leitlinien aufgeführten und von der Kommission in ihrer Entscheidungspraxis angewandten Kriterien. In früheren Fällen habe die Kommission Verstöße, die nach den Leitlinien als "besonders schwer" einzustufen wären, nur als "schwer" eingestuft, wenn es, wie hier, keine Belege für konkrete wesentliche Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den betroffenen Markt gegeben habe. Die Kommission hätte zumindest erläutern müssen, weshalb sich die enorme Verringerung der Größe des von der Zuwiderhandlung betroffenen Markts nach dem 13. März 1997 (siehe oben, Randnrn. 34 und 80) nicht auf die Berechnung der Geldbuße ausgewirkt habe, obwohl sie in Randnr. 320 der Entscheidung ausdrücklich anerkannt habe, dass die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt in diesem Zeitraum geringer gewesen seien.

185 Ferner rügen die Klägerinnen, dass die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße den durch die Wettbewerbsbeschränkung erzielten Gewinn unberücksichtigt gelassen habe, obwohl es sich hierbei um einen maßgeblichen Faktor für die Beurteilung der Schwere eines Verstoßes handele. Die Kommission habe insoweit außer Acht gelassen, dass Prym Consumer während der Dauer der Zuwiderhandlung bei einigen der betroffenen Produkte erhebliche Verluste erlitten habe.

186 Die Kommission trägt erstens vor, sie habe im vorliegenden Fall keinen Anlass gehabt, die Geldbuße aufgrund der Größe der betroffenen Branche herabzusetzen, zumal sie den niedrigsten Ausgangsbetrag für eine besonders schwere Zuwiderhandlung festgesetzt habe. Zweitens sei sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keineswegs verpflichtet, die Existenz eines Gewinns bei der Ermittlung der Schwere des Verstoßes nachzuweisen oder zu berücksichtigen.

b) Würdigung durch das Gericht

187 Nach den Leitlinien wird die Schwere der Zuwiderhandlung anhand einer Reihe von Kriterien ermittelt, von denen die Kommission einige zwingend berücksichtigen muss (Urteil ADM, oben in Randnr. 90 angeführt, Randnr. 183).

188 Im vorliegenden Fall war Gegenstand der Zuwiderhandlung eine Aufteilung der Produktmärkte (durch Segmentierung des europäischen Markts für Nadeln und andere Hartkurzwaren) und der räumlichen Märkte (durch Segmentierung des europäischen Markts für Handnähnadeln, Handwerkernadeln, Strick- und Häkelnadeln). Eine solche offensichtliche Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht wiegt ihrer Natur nach besonders schwer. Sie läuft den grundlegenden Zielsetzungen der Gemeinschaft und insbesondere der Verwirklichung des Gemeinsamen Markts zuwider (vgl. in diesem Sinn Urteil des Gerichts vom 22. April 1993, Peugeot/Kommission, T-9/92, Slg. 1993, II-493, Randnr. 42).

189 Folglich war es angesichts der Definition in den Leitlinien gerechtfertigt, die Zuwiderhandlung in der angefochtenen Entscheidung als "besonders schwer" einzustufen.

190 Zur Beurteilung der konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt ist bereits festgestellt worden, dass die Kommission in der Entscheidung der ihr obliegenden Begründungspflicht nicht nachgekommen ist (siehe oben, Randnr. 111). Insbesondere enthalten die Ausführungen der Kommission zur Bußgeldbemessung keine Erläuterung dafür, dass die Verringerung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung nach dem 13. März 1997, die sie im Übrigen in Randnr. 320 der Entscheidung ausdrücklich anerkannt hat, keinen Einfluss auf die Berechnung der Geldbuße hatte. Diese unzureichende Begründung kann jedoch unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht zur Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße führen, da die Einstufung der Zuwiderhandlung als "besonders schwer" begründet war und die Kommission den niedrigsten in den Leitlinien für eine solche Zuwiderhandlung vorgesehenen Ausgangsbetrag gewählt hat (genauer gesagt den Höchstbetrag für eine "schwere" Zuwiderhandlung), nämlich 20 Mio. Euro. Wie die Kommission zutreffend ausführt, genügt die Wahl des Mindestbetrags im vorliegenden Fall, um der Verringerung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung während des Zeitraums der Zuwiderhandlung Rechnung zu tragen.

191 In Bezug auf den mittels der Wettbewerbsbeschränkung erzielten Gewinn stellt die Kommission zutreffend fest, dass sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht verpflichtet ist, einen Gewinn bei der Ermittlung der Schwere des Verstoßes nachzuweisen oder zu berücksichtigen. Das Gericht hat zwar in dem oben in Randnr. 86 angeführten Urteil CMA CGM (Randnr. 340) ausgeführt, dass zu den Faktoren, die für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes eine Rolle spielen können, der Vorteil gehört, den das Unternehmen aus seinem Verhalten ziehen konnte; zudem erwähnt die Kommission diesen Faktor in Nr. 5 Buchst. b der Leitlinien. Wie ebenfalls bereits entschieden wurde, bedeuten diese Hinweise aber nicht, dass die Kommission sich für die Zukunft verpflichtet hat, unter allen Umständen bei der Festsetzung der Geldbuße den mit der festgestellten Zuwiderhandlung verbundenen finanziellen Vorteil zu ermitteln (Urteil CMA CGM, oben in Randnr. 86 angeführt, Randnr. 343). Der in den Leitlinien verwendete Ausdruck "je nach Fall" bedeutet nämlich, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, den dank der Wettbewerbsbeschränkung erzielten Gewinn systematisch zu berücksichtigen. Das auf die Geringfügigkeit ihrer Gewinne gestützte Vorbringen der Klägerinnen ist daher zurückzuweisen.

3. Zur Dauer der Zuwiderhandlung und zu dem deshalb vorgenommenen Aufschlag

a) Vorbringen der Parteien

192 Die Klägerinnen machen zunächst erneut geltend, die Kommission habe verkannt, dass die räumliche Marktaufteilung in Wirklichkeit nicht erst am 31. Dezember 1999 (als die Frist für die Kündigung der Vereinbarungen zwischen Prym Consumer und Entaco abgelaufen sei), sondern spätestens am 30. April 1999 beendet worden sei (siehe oben, Randnr. 123).

193 Sodann tragen sie vor, die Kommission habe außer Acht gelassen, dass sich die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt während des Zeitraums der Zuwiderhandlung verringert hätten. Der von der Kommission vorgenommene Aufschlag um 50 % sei überhöht, denn ein gleichmäßiger Aufschlag von 10 % für jedes Jahr des Verstoßes, d. h. der höchstmögliche Aufschlag, werde dem Umstand nicht gerecht, dass sich die Zuwiderhandlung, wie die Kommission selbst angebe, zwischen dem 10. September 1994 und dem 13. März 1997 auf Märkte mit einem Volumen zwischen 1,3 und 2,1 Mrd. Euro und vom 13. März 1997 bis zum 31. Dezember 1999 nur noch auf einen Markt mit einem Volumen von 30 Mio. Euro bezogen habe.

194 Die Kommission weist das Vorbringen der Klägerinnen unter Bezugnahme auf ihre früheren Ausführungen zurück, wonach die Zuwiderhandlung mindestens fünf Jahre und drei Monate gedauert habe (siehe oben, Randnr. 124). Zum Aufschlag wegen der Dauer der Zuwiderhandlung führt die Kommission aus, Schwankungen in der Intensität der Zuwiderhandlungen änderten nichts an der Einordnung der Zuwiderhandlung anhand ihrer Schwere.

b) Würdigung durch das Gericht

195 Das Gericht hat das Vorbringen der Klägerinnen zur Dauer der Zuwiderhandlung bereits im Rahmen des zweiten Klagegrundes zurückgewiesen (siehe oben, Randnrn. 131 ff.).

196 Was die Erhöhung der Geldbuße aufgrund der Dauer der Zuwiderhandlung angeht, so sieht Nr. 1 B der Leitlinien vor, dass bei einem "Verstoß von langer Dauer (in der Regel mehr als fünf Jahre)" "für jedes Jahr des Verstoßes bis zu 10 % des für die Schwere des Verstoßes ermittelten Betrags" angesetzt werden können. Überdies kann die Kommission, sofern Schwankungen in der Intensität der Auswirkungen der Zuwiderhandlungen während des Zuwiderhandlungszeitraums nichts an der Einordnung der Zuwiderhandlung anhand ihrer Schwere ändern, den gleichen Erhöhungssatz anwenden. Die Zuwiderhandlung war aber während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums als "besonders schwer" einzustufen (siehe oben, Randnrn. 187 ff.). Die Kommission war daher berechtigt, für den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung den gleichen Erhöhungssatz anzuwenden.

4. Zur Berücksichtigung mildernder Umstände

a) Vorbringen der Parteien

197 Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, allein die Art der Zuwiderhandlung in Betracht gezogen und die im vorliegenden Fall vorhandenen mildernden Umstände außer Acht gelassen zu haben.

198 Erstens sei die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis wiederholt unter dem in den Leitlinien vorgesehenen Betrag geblieben, wenn konkrete Auswirkungen des Verstoßes auf den Markt nicht feststellbar gewesen seien. Auch im vorliegenden Fall habe die Zuwiderhandlung keine solchen Auswirkungen gehabt. Ebenso wie die fehlende konkrete Auswirkung einer Zuwiderhandlung habe auch der geringe Umfang des betroffenen Markts die Kommission schon mehrfach veranlasst, unter dem in den Leitlinien vorgesehenen Grundbetrag zu bleiben. Dass die Kommission im vorliegenden Fall nicht entsprechend verfahren sei, verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

199 Zweitens habe sich die Hartkurzwarenbranche in der Europäischen Union spätestens seit den siebziger Jahren nicht nur wegen des steten Umsatzrückgangs, sondern auch infolge der Verlagerung der Textilienproduktion von Westeuropa nach Osteuropa und Asien in einer zunehmend schwierigeren wirtschaftlichen Lage befunden. Ungeachtet der schwierigen wirtschaftlichen Lage habe die Kommission den Klägerinnen keine mildernden Umstände wegen der Krisensituation in dem betreffenden Wirtschaftszweig zugebilligt; dies stelle angesichts der früheren Entscheidungspraxis der Kommission einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung dar.

200 Drittens habe die Kommission nicht berücksichtigt, dass die 1994 geschlossenen Vereinbarungen zwischen Prym Consumer und Entaco im Jahr 1997 aufgrund einer entsprechenden Forderung des Finanzinvestors 3i Group, eines Gesellschafters von Entaco, bestätigt und verlängert worden seien.

201 Viertens habe Prym Consumer die Kaufvereinbarungen mit Entaco im Dezember 1998 zum 31. Dezember 1999 gekündigt und sie damit deutlich vor der ersten Ermittlungstätigkeit der Kommission im September 2000 aus eigenem Antrieb beendet. Ohne das Tätigwerden von Prym Consumer wären die Vereinbarungen, die am 1. April 1997 für eine Dauer von fünf Jahren geschlossen worden seien, bis zum 1. April 2002 bestehen geblieben.

202 Schließlich sei auf die Vorgeschichte der fraglichen Vereinbarungen zu verweisen; in diesem Zusammenhang hätte die Kommission berücksichtigen müssen, dass es sich vorliegend nicht um den klassischen Fall einer Absprache handele. Insbesondere sei die Initiative zum Abschluss der Vereinbarungen von Entaco und nicht von Prym ausgegangen, und die Vereinbarungen hätten nicht dazu gedient, einen bereits bestehenden Wettbewerb zwischen unabhängigen Unternehmen zu beschränken. Vielmehr sei es darum gegangen, einem von den anderen beteiligten Unternehmen abhängigen Unternehmen überhaupt erst den Zutritt auf den relevanten Markt zu eröffnen, wenn auch unter gewissen Beschränkungen. Die Vereinbarungen hätten somit einen Wettbewerb beschränkt, der ohne sie gar nicht möglich gewesen wäre. Es handele sich somit um einen atypischen und "minder schweren" Fall.

203 Die Kommission führt aus, sie habe in der angefochtenen Entscheidung auf die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung hingewiesen; den geringen Umfang des betroffenen Markts habe sie nie als mildernden Umstand berücksichtigt. Zu der kritischen wirtschaftlichen Lage des betroffenen Wirtschaftszweigs sei festzustellen, dass Kartelle im Allgemeinen dann entstünden, wenn eine Branche in Schwierigkeiten sei. Was die Verlängerung der Vereinbarungen angehe, so seien es die Klägerinnen gewesen, die ihre Beteiligung an Entaco nicht hätten verkaufen wollen, und nicht die 3i Group, die sich aufgedrängt habe. Die Kommission sei nicht verpflichtet, im Rahmen ihres Ermessens eine Geldbuße wegen der Beendigung einer offensichtlichen Zuwiderhandlung herabzusetzen, unabhängig davon, ob die Zuwiderhandlung vor oder nach ihrem Eingreifen beendet worden sei. Schließlich sei auf den Abschnitt des oben in Randnr. 23 angeführten Schreibens zu verweisen, in dem Prym erklärt habe, dass ein weiterer Wettbewerber auf dem Markt unerwünscht sei. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Klägerinnen unter diesen Umständen behaupten könnten, dass die Zuwiderhandlung atypisch und "minder schwer" sei.

b) Würdigung durch das Gericht

204 Nach der Rechtsprechung verfügt die Kommission über ein Ermessen, das es ihr erlaubt, bei der Festsetzung der Geldbußen, die sie verhängen möchte, nach Maßgabe insbesondere der Umstände des Einzelfalls bestimmte Faktoren zu berücksichtigen oder nicht zu berücksichtigen. Mangels verbindlicher Angaben in den Leitlinien zu den mildernden Umständen, die herangezogen werden können, ist daher davon auszugehen, dass der Kommission ein gewisses Ermessen verbleibt, um im Weg einer Gesamtwürdigung über den Umfang einer etwaigen Herabsetzung der Geldbußen wegen mildernder Umstände zu entscheiden (Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T-44/00, Slg. 2004, II-2223, Randnr. 275, und Urteil Tokai II, oben in Randnr. 64 angeführt, Randnr. 289).

205 Außerdem bedeutet der Umstand, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis in einigen Fällen bestimmte Maßnahmen als mildernde Umstände berücksichtigt hat, nicht, dass sie verpflichtet wäre, in jedem Einzelfall ebenso vorzugehen (Urteil Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 343). Die Kommission muss jedoch den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten, der einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt. Sie darf daher nicht vergleichbare Sachverhalte verschieden oder verschiedene Sachverhalte gleich behandeln, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 1984, Sermide, 106/83, Slg. 1984, 4209, Randnr. 28, und Urteil Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 110 angeführt, Randnr. 88).

Zu den konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung und zum Umfang des betroffenen Markts

206 Die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt sind ein Kriterium, das bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung eine Rolle spielt, und seine Berücksichtigung durch die Kommission ist bereits oben in Randnr. 190 geprüft worden. Im Übrigen hat die Kommission die Größe des Produktmarkts nie als mildernden Umstand angesehen. Die Klägerinnen können daher insoweit keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend machen. Die von ihnen genannten Beispiele betreffen nämlich Entscheidungen, in denen die Kommission der geringen Größe des Markts im Rahmen der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung Rechnung getragen hat. Zudem übersteigen die von den Klägerinnen vorgelegten Zahlen (zwischen 86 und 116 Mio. Euro) jedenfalls bei Weitem die Umsatzzahlen der Unternehmen, deren Geldbuße von der Kommission wegen der geringen Größe des betroffenen Wirtschaftszweigs herabgesetzt wurde.

Zur wirtschaftlichen Lage in dem betroffenen Wirtschaftszweig

207 Die Kommission macht zu Recht geltend, dass Kartelle im Allgemeinen dann entstehen, wenn eine Branche in Schwierigkeiten ist. Würde man der Argumentation der Klägerinnen folgen, so müsste die Geldbuße in fast allen Fällen herabgesetzt werden. Aus diesem Grund ist die Kommission nicht verpflichtet, die schlechte Finanzlage im fraglichen Sektor als mildernden Umstand zu behandeln (Urteile Lögstör Rör/Kommission, oben in Randnr. 166 angeführt, Randnrn. 319 und 320, und Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 345). Dagegen trifft es zu, dass in der Entscheidungspraxis der Kommission Strukturkrisen als mildernde Umstände angesehen wurden.

208 Die Kommission muss jedoch nicht deshalb, weil sie in früheren Rechtssachen die wirtschaftliche Situation in der Branche als mildernden Umstand berücksichtigt hat, dies zwangsläufig auch weiterhin tun (Urteil Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 345). Jedenfalls ist festzustellen, dass sich nach den Angaben der Klägerinnen ihr Umsatz auf dem Markt für Handnähnadeln (3,3 Mio. Euro im Jahr 1994, 2,8 Mio. Euro im Jahr 1997, 3,25 Mio. Euro im Jahr 2003 und 2,86 Mio. Euro im Jahr 2004) zwischen 1994 und 2004 kaum veränderte. Folglich ist die auf die wirtschaftliche Lage in dem betroffenen Wirtschaftszweig gestützte Rüge zurückzuweisen.

Zur Verlängerung der Vereinbarungen im Jahr 1997

209 Es ist unstreitig, dass die Klägerinnen die fraglichen Verträge 1994 unterzeichneten und 1997 verlängerten. Ferner hat die Kommission einen Schriftwechsel vorgelegt, der sich auf die Verhandlungen zur Vorbereitung der Vertragsverlängerung bezieht. Die Klägerinnen schweigen zu diesen Verhandlungen und stützen sich nur auf das Schreiben der 3i Group vom 21. November 1996. Am 8. November 1996 hatte Prym aber noch ein Angebot der 3i Group (in Höhe von 909 000 GBP, während die Klägerinnen ursprünglich 280 000 GBP für die Beteiligung an Entaco gezahlt hatten) abgelehnt und erklärt, sie wolle "die mit Entaco bestehenden Vereinbarungen fortführen".

210 Folglich wurde die Verlängerung der Vereinbarungen im eigenen Interesse der Klägerinnen vorgenommen und kann nicht als mildernder Umstand angeführt werden.

Zur Kündigung der Vereinbarungen durch Prym Consumer

211 Nach ständiger Rechtsprechung kann von einem mildernden Umstand im Sinn von Nr. 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien nur dann gesprochen werden, wenn die fraglichen Unternehmen durch das Eingreifen der Kommission zur Beendigung ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens veranlasst wurden. Wie das Gericht bereits ausgeführt hat, soll diese Bestimmung die Unternehmen darin bestärken, ihr wettbewerbswidriges Verhalten unmittelbar nach Einleitung einer entsprechenden Untersuchung der Kommission zu beenden, so dass eine Herabsetzung der Geldbuße aus diesem Grund nicht in Betracht kommt, wenn die Zuwiderhandlung bereits vor dem ersten Eingreifen der Kommission beendet wurde. Bei einer Herabsetzung unter solchen Umständen würde nämlich die Dauer der Zuwiderhandlungen bei der Bußgeldbemessung doppelt berücksichtigt (Urteil Tokai II, oben in Randnr. 64 angeführt, Randnr. 291).

212 Wie aus Randnr. 331 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, ging die vorzeitige Kündigung der rechtswidrigen Vereinbarung aber nicht auf ein Eingreifen der Kommission oder einen Entschluss von Prym, die Zuwiderhandlung zu beenden, zurück, sondern im Wesentlichen auf die gestiegene Produktionskapazität von Prym in der Tschechischen Republik, wie Prym selbst in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte angibt.

213 Die vorzeitige Kündigung der Vereinbarung wurde somit bereits bei der Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigt. Sie kann daher keinen mildernden Umstand darstellen.

Zu dem Argument, es habe sich um einen "minder schweren" und atypischen Fall gehandelt

214 Die Klägerinnen behaupten, es handele sich vorliegend nicht um einen klassischen Fall einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, die vor dem Abschluss des Kartells seit Langem als Konkurrenten unabhängig auf dem Markt tätig gewesen seien.

215 Hierzu ist festzustellen, dass die Klägerinnen anfänglich NIL kaufen wollten (Randnr. 53 der angefochtenen Entscheidung). Im Schreiben an Coats vom 30. Juni 1993 erklärte Prym: "Ein weiterer Konkurrent auf dem Markt für Hartkurzwaren in Europa ist das Letzte, das wir brauchen!" Anschließend erarbeiteten sie mit Entaco einen Plan zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zum Zweck des Kaufs von NIL. Später wurde dieser Plan aufgegeben, da die Klägerinnen eine Direktinvestition in Entaco für opportun hielten. Der einzige Grund dafür war jedoch, dass es "für den Markt annehmbarer [wäre], wenn Entaco nach außen hin unabhängig ist" (Randnr. 59 der angefochtenen Entscheidung). Unter diesen Umständen können die Klägerinnen nicht behaupten, dass die Verhinderung des Marktzutritts von Entaco über einen Zeitraum von fünf Jahren nur eine atypische und minder schwere Zuwiderhandlung sei.

216 Die Klägerinnen haben jedenfalls nicht dargetan, dass die Nichtberücksichtigung des von ihnen angeführten Sachverhalts gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstieß und damit über den Ermessensspielraum der Kommission hinausging.

217 Folglich greift der auf die mangelnde Berücksichtigung mildernder Umstände gestützte Klagegrund nicht durch.

5. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a) Vorbringen der Parteien

218 Die Klägerinnen machen geltend, die Geldbuße sei in mehrfacher Hinsicht unverhältnismäßig, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung, die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und die ausstehende Geldbuße von Prym im Verfahren "Verschlüsse".

219 Zum ersten Punkt vertreten sie die Ansicht, die Geldbuße von 30 Mio. Euro belaufe sich "auf mehr als 300 % des jährlichen Volumens der ersten ... Marktstufe der betroffenen Märkte" oder rund 1 150 % des befangenen Umsatzes und stehe damit vollkommen außer Verhältnis zu dem angeblichen Schaden für den Wettbewerb.

220 Zum zweiten Punkt führen sie aus, die Kommission müsse berücksichtigen, ob die von ihr verhängte Geldbuße zu unangemessenen Folgen für das betroffene Unternehmen führe. Im vorliegenden Fall habe sie jedoch außer Acht gelassen, ob die Klägerinnen zur Zahlung der Geldbuße in der Lage seien, und habe die Geldbuße so hoch angesetzt, dass diese das Überleben der Klägerinnen gefährde.

221 Zum dritten Punkt weisen sie erneut darauf hin, dass bei der Kommission noch das Verfahren "Verschlüsse" anhängig sei. Da die beiden Verfahren zusammenhingen, dürfe die Kommission für sämtliche Zuwiderhandlungen von Prym und ihren Tochterunternehmen in beiden Verfahren insgesamt nur eine Geldbuße von maximal 10 % des Gesamtumsatzes von Prym verhängen. Andernfalls könnte die Kommission die Obergrenze der Geldbuße durch die Aufspaltung eines einheitlichen Verfahrens in mehrere getrennte Verfahren umgehen.

222 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen und trägt insbesondere vor, die Auswirkungen einer Zuwiderhandlung seien kein abschließendes und schlüssiges Kriterium zur Erfassung ihrer Schwere.

b) Würdigung durch das Gericht

223 Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zum Erreichen der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die verursachten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Urteile des Gerichtshofs vom 13. November 1990, Fedesa u. a., C-331/88, Slg. 1990, I-4023, Randnr. 13, und vom 5. Mai 1998, Vereinigtes Königreich/Kommission, C-180/96, Slg. 1998, I-2265, Randnr. 96).

224 Folglich dürfen die Geldbußen nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen - Beachtung der Wettbewerbsregeln - stehen, und die einem Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung im Bereich des Wettbewerbs auferlegte Geldbuße ist so zu bemessen, dass sie bei einer Gesamtwürdigung der Zuwiderhandlung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Schwere in angemessenem Verhältnis zu ihr steht (Urteil JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 177 angeführt, Randnr. 532).

225 Die Kommission scheint in ihrer Klagebeantwortung davon auszugehen, dass eine Geldbuße nie unverhältnismäßig ist, wenn sie die Obergrenze von 10 % nicht übersteigt. Sie hat dies jedoch in der mündlichen Verhandlung relativiert und eingeräumt, dass die Umstände des Einzelfalls bei der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sein könnten.

226 Zwar stellt die in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene 10%-Grenze eine absolute Obergrenze dar, doch kann eine solche abstrakte Grenze keine abschließende Antwort auf die Frage geben, ob die Geldbuße in einem konkreten Fall verhältnismäßig ist. Folglich vermag die Einhaltung dieser Verordnung nicht automatisch die Verhältnismäßigkeit der Geldbuße zu garantieren. Außerdem gehört der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und hat daher einen höheren rechtlichen Stellenwert als die Verordnung Nr. 1/2003. Im Übrigen greifen das Ermessen der Kommission und die ihm von ihr selbst gezogenen Grenzen jedenfalls nicht der Ausübung der dem Gemeinschaftsrichter zustehenden Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung vor (Urteil JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 177 angeführt, Randnr. 538).

227 Nach Ansicht der Klägerinnen steht die Geldbuße von 30 Mio. Euro außer Verhältnis zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung, die insbesondere anhand der Größe der betroffenen Märkte im Verhältnis zu dem angeblichen Schaden für den Wettbewerb zu bemessen seien.

228 Selbst nach den Schätzungen der Klägerinnen und auch bei Berücksichtigung allein der ersten Marktstufe lag das Volumen des ursprünglich von den Absprachen erfassten Handelsmarkts auf der Ebene der Europäischen Union in der Zeit von 1994 bis April 1997 zwischen 93,2 und 116,7 Mio. Euro pro Jahr (vgl. Anlage A.13 zur Klageschrift). Unter diesen Umständen trifft die Auffassung der Klägerinnen nicht zu, dass sich die Geldbuße von 30 Mio. Euro "auf mehr als 300 % des jährlichen Volumens der ersten ... Marktstufe der betroffenen Märkte" belaufe. Der aus den genannten Zahlen resultierende Satz liegt eher bei 30 %. Ein solcher Prozentsatz erscheint aber nicht in einem Maß überhöht, dass er zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße führen würde.

229 Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Größe und die Wirtschaftskraft von Prym ist zunächst daran zu erinnern, dass die Geldbuße 8,9 % des Gesamtumsatzes von Prym entspricht und somit nicht über die Obergrenze von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 hinausgeht.

230 Außerdem ist die Kommission grundsätzlich nicht verpflichtet, bei der Bemessung der Geldbuße die defizitäre finanzielle Lage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteile Tokai I, oben in Randnr. 67 angeführt, Randnr. 370, Tokai II, oben in Randnr. 64 angeführt, Randnr. 333, CMA CGM, oben in Randnr. 86 angeführt, Randnr. 351, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 164 angeführt, Randnr. 327).

231 Überdies war Prym während der Zuwiderhandlung und ist auch heute noch ein rentables Unternehmen, das in seinem Jahresbericht seine jährlichen Überschüsse für 1998 mit 8 Mio. Euro und für 2002 mit 3,4 Mio. Euro bezifferte. Unter diesen Umständen ist kein Missverhältnis der Geldbuße erkennbar.

232 Schließlich ist in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Geldbuße, die Prym im Verfahren "Verschlüsse" droht, daran zu erinnern, dass das Vorbringen im gegenwärtigen Stadium dieses noch laufenden Verfahrens spekulativer Natur ist, da für diesen Bereich der Kurzwaren noch keine Entscheidung getroffen wurde (siehe oben, Randnrn. 63 ff.). Folglich können die Argumente der Klägerinnen nur in einem etwaigen späteren, gegen die dort ergangene Entscheidung gerichteten Verfahren geltend gemacht werden.

233 Die auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützte Rüge ist daher in vollem Umfang zurückzuweisen.

6. Zum Grundsatz der Gleichbehandlung

a) Vorbringen der Parteien

234 Die angefochtene Entscheidung verstößt nach Ansicht der Klägerinnen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil sie und Coats wegen ihrer Beteiligung an derselben Zuwiderhandlung mit exakt der gleichen Geldbuße belegt worden seien, obwohl sie sich in Größe und Wirtschaftskraft erheblich voneinander unterschieden.

235 Die Kommission habe auch dadurch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, dass sie ihnen ebenso wenig wie Coats einen Bußgeldrabatt wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts gewährt habe, obwohl sie ihre Beteiligung an den Vereinbarungen über die Marktaufteilung eingeräumt und die Ausführungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu den damit verfolgten Zielen nicht bestritten hätten, während Coats nachdrücklich die Erkenntnisse der Kommission und die Erklärungen von Entaco in Abrede gestellt habe.

236 Die Kommission macht geltend, ein Vergleich der Gesamtumsätze der Unternehmen könne nicht zur Ermittlung ihrer wirtschaftlichen Bedeutung auf dem relevanten Markt herangezogen werden, da sich die Angaben zum Gesamtumsatz nicht eigneten, um die Bedeutung eines Unternehmens auf den betroffenen Märkten zu ermitteln. Außerdem wäre ein Vergleich allein anhand der mit den betroffenen Produkten erzielten Umsätze angreifbar, da bei der Festsetzung der Geldbuße eine Vielzahl von Kriterien zu berücksichtigen sei.

237 Gleichwohl habe sie die Umsätze zu berücksichtigen, die die Unternehmen mit den fraglichen Waren auf dem von dem Verstoß betroffenen Markt erzielt hätten. Der anhand dieser Marktanteile berechnete Ausgangsbetrag sei die Mindestgeldbuße für jedes beteiligte Unternehmen. Eine solche Berechnung der Geldbuße auf der Grundlage der Marktanteile bei jedem betroffenen Produkt trage dem wirtschaftlichen Schaden Rechnung, für den jedes Unternehmen durch seine Teilnahme am Kartell verantwortlich sei.

b) Würdigung durch das Gericht

238 Nach Nr. 1 A Abs. 6 der Leitlinien können in bestimmten Fällen die innerhalb der Schwerekategorien festgesetzten Beträge gewichtet werden, um das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren.

239 Entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihrer Klagebeantwortung (siehe oben, Randnr. 237) hat sie den Ausgangsbetrag nicht auf der Grundlage der Marktanteile bei jedem betroffenen Produkt ermittelt.

240 Aus der Verwendung der Ausdrücke "in bestimmten Fällen" und "vor allem" in den Leitlinien ergibt sich jedoch, dass eine Gewichtung nach der individuellen Unternehmensgröße kein durchgehend zu vollziehender Berechnungsschritt ist, zu dem sich die Kommission verpflichtet hat, sondern eine Anpassungsmöglichkeit, die sie sich, soweit erforderlich, vorbehält (Urteil Mannesmannröhren-Werke/Kommission, oben in Randnr. 204 angeführt, Randnr. 246).

241 Außerdem hat das Gericht festgestellt, dass die Kommission bei der Ermittlung der Höhe der Geldbußen anhand von Schwere und Dauer der fraglichen Zuwiderhandlung nicht verpflichtet ist, für den Fall, dass gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen Geldbußen festgesetzt werden, dafür zu sorgen, dass in den von ihr errechneten Endbeträgen der Geldbußen der betreffenden Unternehmen alle Unterschiede in Bezug auf ihren Gesamtumsatz oder ihren Umsatz auf dem relevanten Produktmarkt zum Ausdruck kommen (Urteil LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 166 angeführt, Randnr. 278, im Rechtsmittelverfahren vom Gerichtshof im Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 164 angeführt, Randnr. 312, bestätigt).

242 Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Randnrn. 323 ff. der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass während des Zeitraums der Zuwiderhandlung die Klägerinnen und Entaco die europäischen Marktführer bei der Herstellung von Nadeln gewesen seien und dass es sehr geringen Wettbewerb gegeben habe. Entaco habe im Übrigen nur über ein Viertel der Produktionskapazität von Prym verfügt. Prym sei auch der europäische Marktführer bei anderen Kurzwaren (Verschlüssen und Stecknadeln) und einer der stärksten Wettbewerber bei der Herstellung von Reißverschlüssen gewesen. Über diese Feststellungen besteht im Wesentlichen Einigkeit zwischen den Parteien.

243 Coats war nach den Angaben der Kommission im Großhandel mit Nadeln und im Vertrieb von Hartkurzwaren in Europa und auf dem Weltmarkt auf der Groß- und Einzelhandelsstufe führend. Coats sei zudem einer der stärksten Wettbewerber bei der Herstellung von Reißverschlüssen gewesen. Coats und Prym hätten den Einzelhandelsmarkt mit ihren jeweiligen Marken für Handnähnadeln (Milward und Newey) beherrscht. Unter diesen Umständen war die Kommission zu der Annahme berechtigt, dass Prym und Coats über eine vergleichbare wirtschaftliche Fähigkeit zur Herbeiführung eines Schadens verfügten.

244 Die auf das behauptete Nichtbestreiten des Sachverhalts gestützte Rüge wird nachstehend in den Randnrn. 245 ff. geprüft.

7. Zur Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996

a) Vorbringen der Parteien

245 Die Klägerinnen führen aus, ihnen sei kein Bußgeldrabatt wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts gewährt worden, obwohl die Voraussetzungen, unter denen die Kommission in früheren Fällen eine solche Ermäßigung nach Abschnitt D Nr. 2 zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 gewährt habe, im vorliegenden Fall erfüllt seien und sie auch zumindest konkludent einen Antrag auf Anwendung der Mitteilung gestellt hätten.

246 Die Kommission habe ihr Geständnis in der angefochtenen Entscheidung erwähnt und zugleich festgestellt, dass Coats den Sachverhalt bestritten habe. Dennoch sei nicht nur Coats, sondern auch ihnen kein Bußgeldrabatt wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts eingeräumt worden.

247 Die Kommission weist darauf hin, dass sie nach der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte über ein weites Ermessen bei der Beurteilung der Qualität und Nützlichkeit der Zusammenarbeit verschiedener Mitglieder eines Kartells verfüge, so dass nur eine offensichtliche Überschreitung dieses Ermessens beanstandet werden könne.

248 Die allgemeine Erklärung eines Unternehmens, dass es den festgestellten Sachverhalt nicht bestreite, reiche nach der genannten Mitteilung nicht aus, wenn die Erklärung im konkreten Fall ohne jeden Nutzen für sie sei.

249 Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen in ihrer Klageschrift hätten sie den in den Beschwerdepunkten und in der angefochtenen Entscheidung dargestellten Sachverhalt nie uneingeschränkt eingeräumt. Insbesondere hätten sie die Dreiseitigkeit der Vereinbarung nie eindeutig zugegeben, sondern darauf bestanden, dass sie nur mit Entaco ein Kartell gebildet hätten. Sie hätten der Kommission folglich nicht geholfen, die Unklarheiten bezüglich der Teilnahme von Coats am Kartell auszuräumen.

b) Würdigung durch das Gericht

250 In dem mit "Spürbar niedrigere Festsetzung der Geldbuße" überschriebenen Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 heißt es:

"1. Arbeitet ein Unternehmen mit der Kommission zusammen, ohne dass es alle Voraussetzungen [der Abschnitte B und C] erfüllt, so wird die Höhe der Geldbuße, die ohne seine Mitarbeit festgesetzt worden wäre, um 10 bis 50 % niedriger festgesetzt.

2. Dies gilt insbesondere, wenn

...

- ein Unternehmen der Kommission nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitteilt, dass es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, nicht bestreitet."

251 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Herabsetzung einer Geldbuße, die gegen ein Unternehmen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängt wird, aufgrund einer Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des fraglichen Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen (vgl. Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Mayr-Melnhof/Kommission, T-347/94, Slg. 1998, II-1751, Randnrn. 309 und 330 und die dort angeführte Rechtsprechung).

252 Im vorliegenden Fall trifft es zu, dass die Klägerinnen der Kommission nie geholfen haben, die Unklarheiten bezüglich der Teilnahme von Coats am Kartell auszuräumen. Um in den Genuss einer Herabsetzung der Geldbuße nach Abschnitt D Nr. 2 zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 zu kommen, genügt es jedoch, dass ein Unternehmen der Kommission "mitteilt", dass es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, "nicht bestreitet". Diese Bestimmung verlangt dagegen nicht, dass das Unternehmen der Kommission aktiv bei der Beseitigung tatsächlicher Unklarheiten hilft. Eine aktive Rolle ist nur erforderlich, wenn das Unternehmen erreichen möchte, dass die Geldbuße nach den Abschnitten B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 nicht oder erheblich niedriger festgesetzt wird.

253 Die Klägerinnen haben sowohl in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte als auch in der Anhörung ausdrücklich erklärt, dass sie den in der Mitteilung der Beschwerdepunkte geschilderten Sachverhalt nicht bestreiten. Die in der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 genannten Voraussetzungen waren somit erfüllt. Die Klägerinnen haben ihr Eingeständnis zwar bisweilen durch die Verwendung des Wortes "grundsätzlich" relativiert. Dies ist jedoch verständlich, da die Entscheidung mehrere Begründungsmängel aufweist.

254 Zur Dreiseitigkeit der Vereinbarungen ist festzustellen, dass dieser Aspekt für die Verhängung von Sanktionen gegen die Klägerinnen irrelevant ist, da er in Bezug auf sie nicht "den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt," betrifft. Die Charakterisierung der Vereinbarungen als dreiseitig ist jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falles keine tatsächliche Frage, sondern eine Rechtsfrage (zur Veranschaulichung dieser Unterscheidung vgl. Urteil des Gerichts vom 15. März 2006, BASF/Kommission, T-15/02, Slg. 2006, II-497, Randnrn. 292 und 293). Da Coats die Vereinbarungen zwischen Prym (oder Prym Consumer) und Entaco nicht unterzeichnet hat, hängt ihre Verwicklung in das Kartell nämlich von rechtlichen Schlussfolgerungen ab, die aus den zwischen den Parteien unstreitigen Beweisen gezogen werden können. Die Frage, ob Coats an den Absprachen zwischen Prym und Entaco teilnahm, ist somit eine Frage der rechtlichen Einordnung des Sachverhalts und keine tatsächliche Frage. Den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einstufung der fraglichen Vereinbarungen als dreiseitig stützt, haben die Klägerinnen aber nie bestritten.

255 Die Urteile Mayr-Melnhof/Kommission, oben in Randnr. 251 angeführt, und JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 177 angeführt, auf die die Kommission Bezug nimmt, um die Folgen des Nichtbestreitens des Sachverhalts in Frage zu stellen, sind im vorliegenden Fall irrelevant. In Randnr. 309 des Urteils Mayr-Melnhof/Kommission hat das Gericht eine Herabsetzung der Geldbuße abgelehnt, wenn "zu den Tatsachenbehauptungen in der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht Stellung genommen wird [und] in dieser Erwiderung die wesentlichen oder alle in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Tatsachenbehauptungen bestritten werden". In der dem Urteil JFE Engineering u. a./Kommission zugrunde liegenden Rechtssache hatte die Klägerin JFE NKK der Kommission im Verwaltungsverfahren nie mitgeteilt, dass sie die Richtigkeit des Sachverhalts einräume, und diesen vor dem Gericht weiterhin bestritten (Randnr. 505 des Urteils).

256 Ebenso hatte in der Rechtssache, die Gegenstand des oben in Randnr. 164 angeführten Urteils Dansk Rørindustri u. a./Kommission war, in dem der Gerichtshof einen wirklichen "Geist der Zusammenarbeit" forderte, die Klägerin, die sich auf Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 berief, unvollständige und teilweise unzutreffende Auskünfte gegeben (Randnrn. 395 und 397 des Urteils). Das Gleiche gilt für die Rechtssache, die Gegenstand des Urteils des Gerichtshofs vom 29. Juni 2006, Kommission/SGL Carbon (C-301/04 P, Slg. 2006, I-5915, Randnr. 69), war.

257 Schließlich enthalten die Ausführungen der Klägerinnen in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte entgegen dem Vorbringen der Kommission zumindest implizit einen Antrag auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 wegen Nichtbestreitens des in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellten Sachverhalts.

258 Im Ergebnis wurde den Klägerinnen zu Unrecht eine Herabsetzung der Geldbuße wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts nach Abschnitt D Nr. 2 zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 versagt. Auch wenn die Kommission im Bereich der Geldbußen über ein weites Ermessen verfügt, muss sie die selbst auferlegten Regeln sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten.

259 Unter diesen Umständen ist es Sache des Gerichts, eine angemessene Herabsetzung vorzunehmen. Nach Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 hat das Gericht nämlich bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße festsetzt, eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Sinn von Art. 229 EG und kann die festgesetzte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen. In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hält es das Gericht für angebracht, die Geldbuße um 10 % auf einen Endbetrag von 27 Mio. Euro herabzusetzen.

260 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass das auf eine Herabsetzung der Geldbuße gerichtete Vorbringen der Klägerinnen mit Ausnahme der Ausführungen zur Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 zurückzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

261 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 87 § 3 Abs. 1 kann das Gericht die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt.

262 Da die Klägerinnen teilweise obsiegt haben, erscheint es bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, dass sie 90 % ihrer eigenen Kosten und 90 % der Kosten der Kommission tragen und dass diese 10 % ihrer eigenen Kosten und 10 % der Kosten der Klägerinnen trägt.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die in Art. 2 der Entscheidung K(2004) 4221 endg. der Kommission vom 26. Oktober 2004 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F-1/38.338 - PO/Nadeln) gegen die William Prym GmbH & Co. KG und die Prym Consumer GmbH & Co. KG verhängte Geldbuße wird auf 27 Mio. Euro festgesetzt.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die William Prym GmbH & Co. KG und die Prym Consumer GmbH & Co. KG tragen 90 % ihrer eigenen Kosten und 90 % der Kosten der Kommission; diese trägt 10 % ihrer eigenen Kosten und 10 % der Kosten der William Prym GmbH & Co. KG und der Prym Consumer GmbH & Co. KG.

Ende der Entscheidung

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