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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 11.07.1996
Aktenzeichen: T-30/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, EWG/EAG BeamtStat, VerfO


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 173
EWG/EAG BeamtStat Art. 26
EWG/EAG BeamtStat Art. 90
EWG/EAG BeamtStat Art. 91
VerfO Art. 94 § 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 179 des Vertrages, der dem Gemeinschaftsrichter die Zuständigkeit für alle Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen verleiht, die im Statut der Beamten festgelegt sind oder sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten ergeben, ist so zu verstehen, daß er nicht nur für Personen gilt, die die Eigenschaft von Beamten oder sonstigen Bediensteten mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten haben, sondern auch für Personen, die diese Eigenschaft für sich in Anspruch nehmen. Denn die Artikel 90 und 91 des Statuts, in denen die Rechtsschutzmöglichkeiten geregelt sind, gelten nicht nur für die aktiven Beamten, sondern auch für die Bewerber um ein Amt.

Deshalb muß ein Kläger, der sich um das Amt eines Vorsitzenden oder eines Mitglieds einer Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt beworben hat, seine Klage zwingend auf Artikel 91 des Statuts stützen, da der Rechtsstreit seine Teilnahme an dem Ausleseverfahren betrifft, nicht dagegen auf Artikel 173 des Vertrages, der im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.


Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Dritte Kammer) vom 11. Juli 1996. - José Gomes de Sá Pereira gegen Rat der Europäischen Union. - Beschlüsse des Rates zur Ernennung der Vorsitzenden und der Mitglieder der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) - Aufhebungsantrag - Schadensersatzsantrag - Unzulässigkeit. - Rechtssache T-30/96.

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen und Sachverhalt

1 Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (im folgenden: Amt) wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) errichtet. Die Zusammensetzung und Organisation des Amtes sind im einzelnen in Titel XII (Artikel 111 bis 139) dieser Verordnung geregelt.

2 Das Amt verfügt über mehrere Beschwerdekammern, die für Entscheidungen über Beschwerden gegen bestimmte Entscheidungen des Amtes zuständig sind. Jede Beschwerdekammer besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Mitgliedern. Für die Anfangsphase war die Schaffung von drei Beschwerdekammern vorgesehen.

3 Die Vorsitzenden und die Mitglieder der Beschwerdekammern werden vom Rat der Europäischen Union (im folgenden: Rat) anhand einer Liste ernannt, die der Verwaltungsrat des Amtes aufstellt und die höchstens drei Kandidaten für jede zu besetzende Stelle vorsieht.

4 Der Verwaltungsrat veröffentlichte am 29. März 1995 die Bekanntgabe von zwei Stellenausschreibungen, eine für die Stellen der Vorsitzenden und die andere für die Stellen der Mitglieder der Beschwerdekammern (ABl. C 77 A, S. 1 bis 3).

5 Der Kläger reichte innerhalb der in diesen Ausschreibungen vorgesehenen Fristen seine Bewerbung für die Stelle eines Vorsitzenden oder eines Mitglieds ein.

6 Nach einer ersten Prüfung der eingegangenen Bewerbungen kam der Verwaltungsrat zu dem Ergebnis, daß 43 Bewerber, darunter der Kläger, die erforderlichen Mindestvoraussetzungen erfuellten. Diese 43 Bewerber nahmen somit an dem vom Verwaltungsrat veranstalteten Ausleseverfahren teil.

7 Nach Abschluß dieses Verfahrens stellte der Verwaltungsrat sechs beschränkte Listen auf, nämlich drei für die drei Stellen der Vorsitzenden der Beschwerdekammern und drei für die sechs Mitgliederstellen. In diesen Listen wurden jeweils ein einziger Bewerber für jede zu besetzende Vorsitzendenstelle und für jede der drei Beschwerdekammern drei Bewerber für die beiden zu besetzenden Mitgliederstellen vorgeschlagen.

8 Der Name des Klägers befindet sich auf keiner dieser Listen, da seine Bewerbung im Ausleseverfahren abgelehnt worden war.

9 Der Verwaltungsrat übersandte dem Rat die beschränkten Bewerberlisten. Dieser erließ auf seiner Tagung vom 23. Oktober 1995 drei Ernennungsbeschlüsse, jeweils für eine Beschwerdekammer. Er ernannte u. a. Herrn F. für die erste Beschwerdekammer. Die drei Beschlüsse wurden am 25. November 1995 veröffentlicht (ABl. C 314, S. 3 bis 5).

10 Der Kläger ersuchte das Amt durch Telefax vom 19. Dezember 1995 unter Bezugnahme auf seine Bewerbung, ihn über eine eventuelle Entscheidung oder über den Stand des Einstellungsverfahrens zu unterrichten. Das Amt übermittelte ihm am 17. Januar 1996 per Telefax die drei Ernennungsbeschlüsse des Rates in der veröffentlichten Form.

11 Zur selben Zeit teilte der Präsident des Verwaltungsrats dem Kläger mit Schreiben vom 10. Januar 1996, das dieser am 18. Januar 1996 erhielt, mit, daß seine Bewerbung nicht berücksichtigt worden sei und daß der Rat am 23. Oktober 1995 andere Bewerber ernannt habe.

12 Der Kläger ersuchte den Präsidenten des Verwaltungsrats durch Telefax vom 26. Januar 1996, ihm eine Kopie der Lebensläufe der neun vom Rat für die Stellen der Präsidenten und Mitglieder der Beschwerdekammern ernannten Bewerber zu übermitteln, um eventuell eine Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 EG-Vertrag zu erheben.

13 Der Präsident des Verwaltungsrats antwortete dem Kläger mit Schreiben vom 26. Februar 1996, er könne ihm keine Kopie der genannten Lebensläufe übersenden, da sich diese in den Personalakten der betreffenden Personen befänden und folglich gemäß Artikel 26 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) der Geheimhaltungspflicht unterlägen. Er beschrieb jedoch, um Transparenz bemüht, in demselben Schreiben die verschiedenen Phasen des vom Verwaltungsrat und vom Rat angewandten Verfahrens der Auslese und Ernennung der Bewerber.

14 Zur selben Zeit ersuchte der Kläger mit Telefax vom 2. Februar 1996 den Generalsekretär des Rates, ihm die "vorbereitenden Informationen" in bezug auf die Ernennungsbeschlüsse des Rates vom 23. Oktober 1995 bekanntzugeben. Der Rat trägt vor, daß die zuständige Dienststelle des Generalsekretariats dieses Telefax nicht erhalten habe und daß er deshalb nicht darauf habe antworten können.

Verfahren und Anträge der Parteien

15 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 11. März 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage auf der Grundlage von Artikel 173 EG-Vertrag erhoben.

16 Er beantragt,

° die drei Beschlüsse des Rates vom 23. Oktober 1995 zur Ernennung der Vorsitzenden und der Mitglieder der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) für nichtig zu erklären;

° hilfsweise, den Beschluß zur Ernennung des Vorsitzenden und der Mitglieder der ersten Beschwerdekammer insgesamt oder, ganz hilfsweise, insoweit für nichtig zu erklären, als er Herrn F. betrifft;

° den Rat zum Ersatz des ihm durch die angefochtenen Beschlüsse entstandenen Schadens in Höhe eines zur Durchführung des Urteils festzusetzenden Betrages zu verurteilen;

° dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17 Der Rat beantragt,

° die Klage als unzulässig abzuweisen;

° hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

° dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

18 Der Kläger hat mit besonderem Schriftsatz, der am 15. März 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Prozeßkostenhilfe gemäß Artikel 94 § 1 der Verfahrensordnung beantragt.

19 Auf Aufforderung des Kanzlers des Gerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. April 1996 einen Voranschlag der Kosten und Honorare, für die er Prozeßkostenhilfe beantragt, vorgelegt.

20 Der Rat hat mit Schriftsatz vom 10. Mai 1996 mitgeteilt, daß er gegen diesen Antrag keine Einwände erhebe.

Zur Zulässigkeit der Klage

21 Nach Artikel 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluß entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist. Im vorliegenden Fall ist dieser Artikel nach Auffassung des Gerichts anzuwenden.

Zur Zulässigkeit des Aufhebungsantrags

22 Nach Artikel 112 der Verordnung Nr. 40/94 gelten die Vorschriften des Statuts, der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften und der von den Organen der Europäischen Gemeinschaften im gegenseitigen Einvernehmen erlassenen Regelungen zur Durchführung dieser Vorschriften für das Personal des Amtes.

23 Die Präsidenten und die Mitglieder der Beschwerdekammern gehören ebenso wie die anderen "hohen Beamten" zum Personal des Amtes (siehe Artikel 120 und 131 der Verordnung Nr. 40/94). Sie haben nach den Angaben in den oben (in Randnr. 4) genannten Stellenausschreibungen die Eigenschaft von Bediensteten auf Zeit, die den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten unterliegen.

24 Artikel 179 EG-Vertrag, der dem Gemeinschaftsrichter die Zuständigkeit für alle Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen verleiht, die im Statut der Beamten festgelegt sind oder sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten ergeben, ist so zu verstehen, daß er nicht nur für Personen gilt, die die Eigenschaft von Beamten oder sonstigen Bediensteten mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten haben, sondern auch für Personen, die diese Eigenschaft für sich in Anspruch nehmen (Beschluß des Gerichts vom 16. Dezember 1994 in der Rechtssache T-177/94, Altmann u. a./Kommission, Slg. ÖD 1994, II-969, Randnrn. 34 und 35). Denn die Artikel 90 und 91 des Statuts, in denen die Rechtsschutzmöglichkeiten geregelt sind, gelten nicht nur für die aktiven Beamten, sondern auch für die Bewerber um ein Amt (Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1965 in der Rechtssache 23/64, Vandevyvere/Parlament, Slg. 1965, 218, 227; Beschluß des Gerichtshofes vom 27. Februar 1991 in der Rechtssache C-126/90 P, Bocos Viciano/Kommission, Slg. 1991, I-781, Randnr. 13).

25 Da nach Artikel 46 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten Titel VII des Statuts über den Beschwerdeweg und Rechtsschutz entsprechend gilt, sind die Artikel 90 und 91 des Statuts auf Bewerber um ein Amt anwendbar, das in den Geltungsbereich dieser Beschäftigungsbedingungen fällt.

26 Demnach hätte der Kläger die vorliegende Klage zwingend auf Artikel 91 des Statuts stützen müssen, da der Rechtsstreit seine Teilnahme an dem Ausleseverfahren für die Bewerber um die Stellen der Vorsitzenden und der Mitglieder der Beschwerdekammern betrifft. Indem der Kläger in seiner Klageschrift (S. 1 und 7) auf Artikel 173 EG-Vertrag Bezug nahm, hat er seine Klage auf eine Vorschrift gestützt, die im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

27 Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, die mit der Neuheit der Verordnung Nr. 40/94 zusammenhängen, hält es das Gericht für angemessen, die Klage, insbesondere ihre Zulässigkeit, gemäß Artikel 91 des Statuts zu prüfen.

28 Eine Klage beim Gemeinschaftsrichter ist nach Artikel 91 Absatz 2 des Statuts nur zulässig, wenn zuvor bei der Anstellungsbehörde eine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts gegen die beschwerende Maßnahme eingereicht worden ist. Nach der Rechtsprechung führt der Umstand, daß innerhalb der festgesetzten Frist keine Beschwerde eingelegt worden ist, zur offensichtlichen Unzulässigkeit der Klage (Beschluß des Gerichtshofes vom 10. Juni 1987 in der Rechtssache 317/85, Pomar/Kommission, Slg. 1987, 2467, Randnrn. 11 und 13), es sei denn, die Klage richtet sich gegen eine Handlung, die nicht von der Anstellungsbehörde selbst ausgeht, wie z. B. eine Entscheidung des Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren (Urteil des Gerichts vom 20. Juni 1990 in der Rechtssache T-133/89, Burban/Parlament, Slg. 1990, II-245, Randnr. 17) oder eine dienstliche Beurteilung (Urteil des Gerichts vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache T-1/91, Della Pietra/Kommission, Slg. 1992, II-2145, Randnr. 23).

29 Dem vorliegenden Aufhebungsantrag, der nicht gegen eine Entscheidung des Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren gerichtet ist, ging jedoch keine Beschwerde im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts voraus. Insbesondere können die Telefaxe vom 19. Dezember 1995, 26. Januar 1996 und 2. Februar 1996, mit denen der Kläger das Amt und den Rat ersuchte, ihm bestimmte Informationen oder Schriftstücke zu übermitteln, nicht als Beschwerde angesehen werden. Darin wird nämlich weder die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidungen bestritten noch die Anstellungsbehörde, nämlich der Rat, um eine Überprüfung dieser Entscheidungen ersucht.

30 Unter diesen Umständen ist der Aufhebungsantrag offensichtlich unzulässig.

Zur Zulässigkeit des Schadensersatzantrags

31 Wird eine Klage erhoben, die zugleich auf Aufhebung der Handlung eines Organs und auf Gewährung einer Entschädigung für den durch diese Handlung verursachten Schaden gerichtet ist, so stehen diese Anträge in einem derart engen Zusammenhang, daß die Unzulässigkeit des Aufhebungsantrags nach ständiger Rechtsprechung auf dem Gebiet des öffentlichen Dienstes die Unzulässigkeit des Schadensersatzantrags nach sich zieht (Beschluß des Gerichts vom 24. Juni 1992 in der Rechtssache T-11/90, H. S./Rat, Slg. 1992, II-1869, Randnr. 25; Urteil des Gerichts vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache T-82/91, Latham/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-61, Randnr. 34).

32 Im vorliegenden Fall steht der Schadensersatzantrag in engem Zusammenhang mit dem Aufhebungsantrag. Deshalb ist er ebenso wie dieser offensichtlich unzulässig.

Zum Antrag auf Prozeßkostenhilfe

33 Nach Artikel 94 § 2 Absatz 3 der Verfahrensordnung prüft die Kammer, die über die Bewilligung oder die Zurückweisung eines Antrags auf Prozeßkostenhilfe zu entscheiden hat, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Zuvor prüft sie jedoch, ob die Klage nicht offensichtlich unzulässig ist.

34 Im vorliegenden Fall ist der Antrag auf Prozeßkostenhilfe im Hinblick auf die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

beschlossen:

1. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe wird zurückgewiesen.

2. Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 11. Juli 1996

Ende der Entscheidung

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