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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: T-302/06
Rechtsgebiete: Verordnung (EG) Nr. 40/94


Vorschriften:

Verordnung (EG) Nr. 40/94 Art. 4
Verordnung (EG) Nr. 40/94 Art. 7 Abs. 1 Buchst. b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

9. Juli 2008

"Gemeinschaftsmarke - Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke E - Absolutes Eintragungshindernis - Fehlende Unterscheidungskraft - Rechtsfehler - Mangelnde Einzelfallprüfung - Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 40/94"

Parteien:

In der Rechtssache T-302/06

Paul Hartmann AG mit Sitz in Heidenheim (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin K. Gründig-Schnelle,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch G. Schneider als Bevollmächtigten,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 5. September 2006 (Sache R 805/2006-4) über die Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke E

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter M. Prek und V. Ciuca (Berichterstatter),

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund der am 6. November 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 22. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Am 2. März 2005 meldete die Klägerin, die Paul Hartmann AG, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2 Bei der Anmeldemarke handelt es sich um das Wortzeichen E.

3 Die Marke wurde für folgende Waren der Klassen 5, 10 und 25 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

- Klasse 5: "Pflaster aller Art, Wundversorgungsmaterial, Verbandstoffe, Kompressen, Tupfer, Tampons, Mullbinden, Verbandmull, auch mit röntgenkontrastfähigem Material, Sets bestehend aus gleichen oder verschiedenen Verbandstoffen; Binden, insbesondere Fixierbinden, Universalbinden, Kompressionsbinden, Polsterbinden, Höschenwindeln und Saugvorlagen für Kranke und Inkontinente";

- Klasse 10: "Thermometer für medizinische Zwecke, elektrische oder elektronische Messgeräte und Messinstrumente, einschließlich Körpertemperaturmessgeräte; orthopädische Bandagen, Kunstharzverbände, Gips, Fixier-, Stütz- und Polsterbinden; Stülp- und Netzverbände; orthopädische Hilfsmittel, insbesondere Lagerungsschienen für die Rumpf-, Bein- und Armorthopädie; orthopädische Gelenkbandagen, Stützbandagen und Orthesen; Kompressionsstrümpfe, Anti-Thrombose-Strümpfe; Katheder, Kathedersets, chirurgische, ärztliche und medizintechnische Instrumente und Geräte; Blutdruck- und Blutzuckermessgeräte; Cholesterinmessgeräte; Inhalatoren, Untersuchungs-, Schutz- und Operationshandschuhe für ärztliche, medizinische und chirurgische Zwecke, Fangopackungen, Operationshauben und Kopfschleier, Abdecktücher für chirurgische Zwecke, Tücher zur Sterilabdeckung von Patienten und Gegenständen; Mund- und Nasenmasken; chirurgische Nähartikel";

- Klasse 25: "Fixierhöschen, gewirkt und/oder gestrickt aus Zellstoff zur Fixierung von Saugvorlagen, Fixierhöschen, gewirkt und/oder gestrickt aus Textilfäden, zur Fixierung von Saugvorlagen; Berufsbekleidungsstücke für medizinisches Personal sowie Patienten als Einmal- und Mehrwegbekleidung (soweit in Klasse 25 enthalten)".

4 Mit Entscheidung vom 25. April 2006 wies der Prüfer die Anmeldung mit der Begründung zurück, dass der GroßBuchstabe "E", auch wenn er abstrakt gesehen eine Marke im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 40/94 sein könne, im vorliegenden Fall hinsichtlich aller beanspruchten Waren ohne Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 sei. Da die Anzahl der Buchstaben des Alphabets beschränkt sei, werde das relevante Publikum in einem schmucklosen Einzelbuchstaben keinen Hinweis auf ein Unternehmen sehen. Der Prüfer fügte hinzu, dass im Rahmen einer Einzelfallbeurteilung der GroßBuchstabe "E" in Alleinstellung als Abkürzung oder Referenz für eine Vielzahl von Informationen stehen könne, z. B. für das pharmazeutische oder biochemische Zeichen für "Einheit", Glutaminsäure oder elektrische Potenzialdifferenz.

5 Am 14. Juni 2006 legte die Klägerin gegen die Entscheidung des Prüfers nach den Art. 57 bis 62 der Verordnung Nr. 40/94 beim HABM Beschwerde ein.

6 Mit Entscheidung vom 5. September 2006 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), der Klägerin zugestellt am 8. September 2006, wies die Vierte Beschwerdekammer die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass die Anmeldemarke keine Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 habe.

7 Die Beschwerdekammer stimmte zunächst in Randnr. 14 der angefochtenen Entscheidung dem Argument der Klägerin zu, dass dem Großbuchstaben "E" für die in Frage stehenden Waren keine beschreibende Bedeutung zukomme und er auch nicht allgemein verwendet werde.

8 Auch wenn eine konkrete Verwendung des Großbuchstabens "E" im fraglichen Warenbereich nicht nachgewiesen sei, ändere dies jedoch nichts daran, dass sich dieser einzelne Buchstabe, wie wohl jeder andere Buchstabe des Alphabets, auch als eine Typenbezeichnung, eine Bestellnummer, ein Hinweis auf eine bestimmte Größe oder als Bezeichnung für ein Ausstattungsmerkmal oder eine Ausstattungsvariante eigne. Auch wenn konkrete Nachweise hierfür nicht erbracht werden könnten, führe schon die bloße Eignung eines einzelnen Buchstabens, in dieser Weise verwendet zu werden, dazu, dass die Unterscheidungskraft dieses Einzelbuchstabens nicht von vornherein unterstellt werden dürfe (Randnr. 16 der angefochtenen Entscheidung).

9 Die Beschwerdekammer befand ferner, dass einzelnen Buchstaben ohne hinreichende grafische Ausgestaltung die Unterscheidungskraft abgesprochen werden müsse (Randnr. 17 der angefochtenen Unterscheidung) und dass eine Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94, der zufolge auch ein einzelner Buchstabe unterscheidungskräftig wäre, dieser Bestimmung, außer im Bereich der sogenannten "nichtkonventionellen" Marken (Farben, dreidimensionale Zeichen), jeden Anwendungsbereich nähme (Randnr. 19 der angefochtenen Entscheidung).

10 Die Beschwerdekammer kam zu dem Ergebnis, dass das relevante Publikum hinsichtlich der betroffenen Waren wie u. a. orthopädische Geräte, Bandagen und Saugvorlagen, wenn auf diesen oder ihrer Verpackung an irgendeiner Stelle der GroßBuchstabe "E" oder ein anderer Buchstabe angebracht wäre, nicht annehmen werde, dass die Waren lediglich aufgrund dieser Tatsache von unterschiedlichen Unternehmen stammten (Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung). An diesem Befund ändere auch der höhere Aufmerksamkeitsgrad des angesprochenen Publikums nichts. Es sei wahrscheinlich, dass das Publikum in einem einzelnen Buchstaben eine sachbezogene Angabe oder Typenbezeichnung vermuten werde, auch ohne darin eine konkret warenbeschreibende Angabe zu erkennen (Randnr. 23 der angefochtenen Entscheidung).

Verfahren und Vorbringen der Parteien

11 Mit bei der Kanzlei des Gerichts am 14. März 2007 eingegangenem Schreiben hat die Klägerin gemäß Art. 135 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, ihr die Einreichung einer Erwiderung zu gestatten. Am 30. März 2007 hat das Gericht (Erste Kammer) entschieden, dass ein zweiter Wechsel von Schriftsätzen nicht erforderlich ist.

12 Im Zuge einer Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Fünften Kammer zugeteilt worden, und infolgedessen ist die vorliegende Rechtssache dieser Kammer zugewiesen worden.

13 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

14 Das HABM beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

15 Die Klägerin führt für ihre Klage als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 an.

Vorbringen der Parteien

16 Die Klägerin rügt an der Begründung der angefochtenen Entscheidung erstens, dass die Beschwerdekammer behauptet habe, der GroßBuchstabe "E" eigne sich - wie jeder andere Buchstabe des Alphabets - als Hinweis auf eine bestimmte Größe oder ein Ausstattungsmerkmal der in der Anmeldung beanspruchten Waren, ohne diese Behauptung auf tatsächliche Feststellungen zu stützen. Zum einen enthalte die angefochtene Entscheidung keine tatsächliche Feststellung, die die Annahme stützen könnte, dass der GroßBuchstabe "E" als ein beschreibender Hinweis auf die beanspruchten Waren gebräuchlich wäre. Zum anderen stehe die angefochtene Entscheidung in Widerspruch zu einer anderen Entscheidung des HABM, der zufolge eine Verneinung der konkreten Unterscheidungskraft von Wortmarken in Form von Einzelbuchstaben tatsächliche Feststellungen voraussetze, denen entnommen werden könne, dass der angesprochene Verkehr den Buchstaben für bestimmte Waren nicht als Herkunftshinweis verstehe.

17 Zweitens wendet sich die Klägerin gegen das Argument der Beschwerdekammer, dass sich der GroßBuchstabe "E" als Typenbezeichnung oder Bestellnummer für die fraglichen Waren eigne. Die Frage, ob es sich bei einem Einzelbuchstaben oder einer Folge von Buchstaben oder Ziffern aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise um eine Bestellnummer oder Typenbezeichnung handele, sei abhängig von der konkreten Art und Weise ihrer Verwendung. So spreche, wenn der GroßBuchstabe "E" in hervorgehobener Größe und Alleinstellung auf der Verpackung einer der fraglichen Waren angebracht werde, diese Art der Verwendung dafür, dass es sich um einen Herkunftshinweis handele, wobei dieses Verkehrsverständnis noch dadurch verstärkt werden könne, dass dem Kennzeichen das Kürzel "(r)" oder "(tm)" beigefügt werde. Hingegen könne die Anbringung eines Buchstabens in kleiner Schriftgröße neben anderen Informationen den Eindruck erwecken, dass es sich um eine Typenbezeichnung handele. Dies seien jedoch Fragen der rechtserhaltenden Benutzung, die nicht mit der Frage der Schutzfähigkeit des Zeichens verwechselt werden dürften.

18 Drittens habe die Beschwerdekammer zu Unrecht ausgeführt, dass die Annahme, auch ein einzelner Buchstabe könne unterscheidungskräftig sein, für Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94, außer im Zusammenhang mit dreidimensionalen und Farbmarken, keinen vernünftigen Anwendungsbereich mehr ließe. Die Bestimmung bliebe insbesondere im Fall von Marken anwendbar, die nur aus beschreibenden Hinweisen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 40/94 bestünden, da in diesem Fall zugleich die Unterscheidungskraft fehle.

19 Viertens und letztens verweist die Klägerin darauf, dass sie die Marke E am 2. März 2005 für die gleichen Waren der Klassen 5, 10 und 25 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet habe und dass dieses die Marke eingetragen habe. Diese Eintragung belege, dass das Deutsche Patent- und Markenamt keine Zweifel an der Unterscheidungskraft der Marke gehabt habe, und sei damit ein weiteres Indiz für die Schutzfähigkeit des fraglichen Zeichens.

20 Das HABM bestreitet zunächst das Vorbringen der Klägerin, dass die angefochtene Entscheidung nicht auf tatsächlichen Feststellungen beruhe. Hinsichtlich des beschreibenden Gehalts des Großbuchstabens "E" habe die Beschwerdekammer in Randnr. 14 der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass sich ein solcher Gehalt nicht feststellen lasse.

21 Hinsichtlich der Unterscheidungskraft der Anmeldemarke sei daran zu erinnern, dass der Prüfer und die Beschwerdekammer im Wege einer Prognose zu prüfen hätten, ob das fragliche Zeichen geeignet sei, in den Augen der maßgeblichen Verkehrskreise, die aus den Verbrauchern der fraglichen Waren bestünden, diese von denen anderer Herkunft zu unterscheiden, wenn diese Verkehrskreise ihre Entscheidung im Geschäftsleben zu treffen hätten. Die Beschwerdekammer habe diese Prüfung dadurch vorgenommen, dass sie die Frage aufgeworfen habe, wie das - im vorliegenden Fall spezialisierte - Publikum, wenn der GroßBuchstabe "E" an irgendeiner Stelle auf den fraglichen Waren oder ihrer Verpackung angebracht wäre, dies wahrnehmen würde.

22 Die Beschwerdekammer habe ihre Prüfung auf die tatsächliche Feststellung gegründet, dass sich der GroßBuchstabe "E" als eine allgemeine Typenbezeichnung, als eine Bestellnummer, als ein Hinweis auf eine bestimmte Größe oder als Bezeichnung für ein Ausstattungsmerkmal oder eine Ausstattungsvariante eigne. Die Beschwerdekammer sei in den Randnrn. 22 und 23 der angefochtenen Entscheidung zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das relevante Publikum in einem Einzelbuchstaben eine sachbezogene Angabe oder Typenbezeichnung vermuten werde und nicht allein infolge dieses Buchstabens annehmen könne, dass die fraglichen Waren von demselben Unternehmen stammten. Es könne im Übrigen dahingestellt bleiben, ob diese prognostische Beurteilung für sämtliche Produkte und Verbrauchergruppen generalisiert werden könne.

23 Das Fehlen weiterer tatsächlicher Feststellungen könne möglicherweise als ein Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung im Sinne von Art. 73 der Verordnung Nr. 40/94 angesehen werden - den die Klägerin allerdings als solchen nicht gerügt habe -, jedoch keine Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung und der Rechtmäßigkeit der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 aufkommen lassen.

24 Das HABM führt verschiedene Fälle der Verwendung des Großbuchstabens "E" an, der häufig als Abkürzung für "elektronisch", für Thermometer und für elektronische Messgeräte oder in Zusammenhang mit einer Deutschen Industrienorm (DIN) für Wundschnellpflaster oder Verbandskästen benutzt werde und der bei Bandagen und Verbandmaterial für eine bestimmte Breite stehe.

25 Zweitens bestätige die Klägerin das Prüfungsergebnis der Beschwerdekammer selbst, wenn sie einräume, dass die Anbringung des Buchstabens in einer kleinen Schriftgröße neben anderen Informationen den Eindruck erwecke, dass es sich um eine Typenbezeichnung handele. Die Schriftgröße sei abhängig vom Vermarktungskonzept der Herstellerfirma, das sich nach der Eintragung der Gemeinschaftsmarke ändern könne (Urteil des Gerichts vom 30. April 2003, Axions und Belce/HABM [Form einer braunen Zigarre und Form eines Goldbarrens], T-324/01 und T-110/02, Slg. 2003, II-1897). Für die Prognoseentscheidung sei auf eine übliche Schriftgröße und eine übliche Verpackung der Ware abzustellen. Es sei schwer vorstellbar, dass der maßgebliche Verbraucher ein einzelnes "E" nicht als Typen- oder Sortimentsbezeichnung wahrnehmen sollte, sofern der Buchstabe nicht in einer besonders auffälligen Art und Dimension auf dem Produkt angebracht werde.

26 Drittens habe die Klägerin das von der Beschwerdekammer in Randnr. 19 der angefochtenen Entscheidung formulierte Argument missverstanden, dass für Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 kein vernünftiger Anwendungsbereich verbliebe, wenn einzelne Buchstaben als unterscheidungskräftig angesehen würden. Dieses Argument sei im Licht der Randnrn. 15 und 16 der angefochtenen Entscheidung zu lesen, in denen die Beschwerdekammer klargestellt habe, dass allein das Fehlen eines beschreibenden Charakters noch nicht automatisch zur Bejahung der Unterscheidungskraft einer Marke führen könne und dass von der abstrakten Markenfähigkeit von Buchstaben nicht automatisch auf deren konkrete Unterscheidungskraft geschlossen werden könne. Ein solcher Rückschluss nähme Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 tatsächlich jeden vernünftigen Anwendungsbereich.

27 Es sei einzuräumen, dass die Randnrn. 17 ff. der angefochtenen Entscheidung in einer Weise formuliert seien, die den Eindruck erwecke, als wolle die Beschwerdekammer einzelnen Buchstaben die Unterscheidungskraft grundsätzlich absprechen. Eine solche Interpretation der angefochtenen Entscheidung stünde jedoch in Widerspruch zu dem von der Beschwerdekammer in Randnr. 22 der Entscheidung verwendeten Prüfungskriterium, wonach eine Prognose in Anbetracht des relevanten Publikums und der relevanten Waren zu treffen sei.

28 Viertens schließlich erinnert das HABM daran, dass die in Mitgliedstaaten bereits vorliegenden Eintragungen nach ständiger Rechtsprechung einen Umstand bildeten, der für die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke lediglich berücksichtigt werden könne, ohne entscheidend zu sein. Keine Vorschrift der Verordnung Nr. 40/94 verpflichte das HABM oder im Fall einer Klage das Gericht, zu den gleichen Ergebnissen zu gelangen wie die nationalen Ämter in einem gleichartigen Fall (Urteil des Gerichtshofs vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C-173/04 P, Slg. 2006, I-551, Randnr. 49).

Würdigung durch das Gericht

29 Art. 4 der Verordnung Nr. 40/94 enthält eine Beispielliste von grafisch darstellbaren Zeichen, die eine Marke sein können, sofern sie geeignet sind, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden, d. h., die der Marke zukommende Funktion eines Herkunftshinweises für diese Waren oder Dienstleistungen zu erfüllen (vgl. Urteil des Gerichts vom 13. Juni 2007, IVG Immobilien/HABM [I], T-441/05, Slg. 2007, II-1937, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30 Zwar werden Buchstaben und Zahlen in Art. 4 der Verordnung Nr. 40/94 ausdrücklich genannt, jedoch folgt daraus, dass eine Kategorie von Zeichen allgemein geeignet ist, eine Marke zu sein, nicht, dass die zu dieser Kategorie gehörenden Zeichen im Hinblick auf eine bestimmte Ware oder Dienstleistung notwendig Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b besitzen (Urteile des Gerichts vom 9. Oktober 2002, KWS Saat/HABM [Orangeton], T-173/00, Slg. 2002, II-3843, Randnr. 26, und I, Randnr. 38).

31 Die Unterscheidungskraft fehlt nämlich Zeichen, die ungeeignet sind, konkret auf die Herkunft der gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung hinzuweisen und es dem Verbraucher, der diese Ware oder Dienstleistung erwirbt oder in Anspruch nimmt, zu ermöglichen, bei einem späteren Erwerb oder einer späteren Inanspruchnahme seine Entscheidung davon abhängig zu machen, ob er gute oder schlechte Erfahrungen gemacht hat (Urteile Orangeton, Randnr. 27, und I, Randnr. 39).

32 Im Übrigen vermag die Tatsache, dass die konkrete Beurteilung der Unterscheidungskraft bestimmter Marken gegebenenfalls größere Schwierigkeiten bereitet, nicht die Annahme zu rechtfertigen, diese Marken hätten a priori keine Unterscheidungskraft oder könnten diese nur gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 durch Benutzung erwerben (vgl. Urteil I, Randnr. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Unterscheidungskraft einer Marke, die von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 gefordert wird, zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den Verbrauchern dieser Waren oder den Empfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. Urteile Orangeton, Randnr. 28, und I, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34 Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 nicht zwischen verschiedenartigen Zeichen unterscheidet (Urteil Orangeton, Randnr. 29). Daher sind die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft von Marken, die aus einem einzelnen Buchstaben bestehen, die gleichen wie die für andere Arten von Marken.

35 Im vorliegenden Fall war somit im Rahmen einer konkreten Prüfung der potenziellen Eigenschaften des angemeldeten Zeichens zu ermitteln, ob es ausgeschlossen erscheint, dass dieses Zeichen geeignet ist, in den Augen der betroffenen Verkehrskreise die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Herkunft zu unterscheiden, wobei ein Minimum an Unterscheidungskraft genügt, um das absolute Eintragungshindernis des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 zu überwinden (vgl. in diesem Sinne Urteil I, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Bei dieser Prüfung berücksichtigen das HABM und im Fall einer Klage das Gericht alle relevanten Tatsachen und Umstände (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM, C-136/02 P, Slg. 2004, I-9165, Randnr. 48, und Urteil des Gerichts in der Rechtssache I, Randnr. 43).

36 Im Hinblick auf eine solche Prüfung wurde in der angefochtenen Entscheidung zunächst festgestellt, dass sich die beanspruchten Waren an ein spezialisiertes Publikum richteten, nämlich zum einen an medizinisch geschultes Fachpersonal und zum anderen an Patienten (Randnr. 11 der angefochtenen Entscheidung).

37 Die Beschwerdekammer vertrat sodann die Auffassung, dass einzelnen Buchstaben ohne hinreichende grafische Ausgestaltung die Unterscheidungskraft abgesprochen werden müsse (Randnr. 17 der angefochtenen Entscheidung).

38 Insoweit ist jedoch daran zu erinnern, dass nach dem Wortlaut von Art. 4 der Verordnung Nr. 40/94 Buchstaben zu den Zeichen gehören, die eine Marke sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil I, Randnrn. 37, 38 und 47).

39 Im Übrigen vermag nach der oben in den Randnrn. 32 und 33 angeführten Rechtsprechung die Tatsache, dass die konkrete Beurteilung der Unterscheidungskraft bestimmter Marken gegebenenfalls größere Schwierigkeiten bereitet, nicht die Annahme zu rechtfertigen, diese Marken hätten a priori keine Unterscheidungskraft oder könnten diese nur durch Benutzung erwerben. Die Unterscheidungskraft einer Marke, die von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 gefordert wird, ist in konkreter Weise zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der relevanten Verkehrskreise zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil I, Randnrn. 40 und 41).

40 Folglich ist festzustellen, dass der Beschwerdekammer dadurch, dass sie allgemein und abstrakt auf die fehlende Unterscheidungskraft von aus einem Einzelbuchstaben bestehenden Marken abstellte, bei der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 ein Rechtsfehler unterlaufen ist.

41 Die Beschwerdekammer gründete ihre Beurteilung zudem auf die Voraussetzung, dass auch dann, "wenn eine konkrete Verwendung des Buchstabens ,E' in dem fraglichen Warenbereich nicht nachgewiesen ist, ... dies doch nichts daran [ändert], dass sich dieser einzelne Buchstabe, wie wohl jeder andere Buchstabe des Alphabets, auch als allgemeine Typenbezeichnung, Bestellnummer, Hinweis auf eine bestimmte Größe oder ein Ausstattungsmerkmal oder Ausstattungsvariante eignet". Nach Auffassung der Beschwerdekammer führt schon die bloße Eignung eines einzelnen Buchstabens, in dieser Weise verwendet zu werden, dazu, dass die Unterscheidungskraft dieses Einzelbuchstabens nicht von vornherein unterstellt werden dürfe.

42 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 74 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 das HABM bei der Prüfung der absoluten Eintragungshindernisse von Amts wegen den relevanten Sachverhalt zu ermitteln hat, aus dem sich seine Feststellung ergeben könnte, dass ein absolutes Eintragungshindernis vorliegt. Stellt das HABM Tatsachen fest, die ein absolutes Eintragungshindernis begründen, muss es den Anmelder hierüber unterrichten und ihm nach Art. 38 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94 Gelegenheit geben, die Anmeldung zurückzunehmen oder zu ändern oder eine Stellungnahme einzureichen. (Urteil des Gerichts vom 15. März 2006, Develey/HABM [Form einer Kunststoffflasche], T-129/04, Slg. 2006, II-811, Randnrn. 16 und 17).

43 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass es sich bei der konkreten Beurteilung der Wirkung einer Marke auf die Verbraucherschaft, die durch die in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen klar definiert wird, um eine Tatsachenfeststellung handelt (Urteil des Gerichtshofs vom 15. September 2005, BioID/HABM, C-37/03 P, Slg. 2005, I-7975, Randnr. 42).

44 Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, dass die Stellen des HABM keine konkrete Tatsache anführten, die den Schluss rechtfertigen könnte, dass die Anmeldemarke vom relevanten Publikum als eine Typenbezeichnung, als Hinweis auf eine bestimmte Größe oder auf ein Ausstattungsmerkmal oder eine Ausstattungsvariante oder auch als eine Bestellnummer für die von der Anmeldemarke erfassten Waren aufgefasst werden könnte.

45 Zwar darf nach der Rechtsprechung das HABM, wenn es zu dem Ergebnis gelangt, dass es der Anmeldemarke von Haus aus an Unterscheidungskraft fehlt, seine Beurteilung auf Tatsachen stützen, die auf der allgemeinen praktischen Erfahrung mit der Vermarktung von Massenkonsumgütern beruhen und die jedermann bekannt sein können und insbesondere den Verbrauchern dieser Waren bekannt sind (vgl. Urteil Form einer Kunststoffflasche, Randnr. 19; vgl. entsprechend auch Urteil des Gerichts vom 22. Juni 2004 Ruiz-Picasso u. a./HABM - DaimlerChrysler [PICARO], T-185/02, Slg. 2004, II-1739, Randnr. 29).

46 In einem solchen Fall ist das HABM nicht verpflichtet, eine derartige praktische Erfahrung mit Beispielen zu belegen (Urteil Form einer Kunststoffflasche, Randnr. 19). Soweit die Anmelderin entgegen der auf eine solche Erfahrung gestützten Beurteilung des HABM geltend macht, dass die Anmeldemarke Unterscheidungskraft besitze, ist es, weil sie dazu wegen ihrer genauen Marktkenntnis wesentlich besser in der Lage ist, ihre Sache, durch konkrete und fundierte Angaben darzulegen, dass die Anmeldemarke Unterscheidungskraft entweder von Haus aus besitzt oder durch Benutzung erworben hat (Urteil Form einer Kunststoffflasche, Randnr. 21, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil des Gerichtshofs vom 25. Oktober 2007, Develey/HABM, C-238/06 P, Slg. 2007, I-9375, Randnr. 50; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 5. März 2003, Unilever/HABM [Ovoide Tablette], T-194/01, Slg. 2003, II-383, Randnr. 48).

47 Da jedoch im vorliegenden Fall die von der Anmeldemarke erfassten Waren von den Stellen des HABM nicht als Güter für den Massenkonsum, sondern als solche für ein spezialisiertes Publikum eingestuft wurden, lässt sich nicht sagen, dass diese Stellen ihre Beurteilung auf konkrete Tatsachen gestützt hätten, die jedermann bekannt sein können.

48 Das vom HABM in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, dass die von der Beschwerdekammer zugrunde gelegte Definition des fraglichen Publikums nicht für alle in der Anmeldung beanspruchten Waren gelte, da bestimmte dieser Waren, insbesondere Verbandsmaterial, gängige KonsumArtikel seien, entkräftet diesen Schluss nicht, da sich die Beschwerdekammer ausschließlich auf ein spezialisiertes Publikum bezogen hat.

49 Schließlich können die neuen Gesichtspunkte, die das HABM in seiner Klagebeantwortung und deren Anlagen zur Verwendung des Großbuchstabens "E" für die von der Anmeldemarke erfassten Waren angeführt hat, die angefochtene Entscheidung, wie das HABM in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, nicht stützen. Die Klage beim Gericht ist nämlich auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der von den Beschwerdekammern des HABM erlassenen Entscheidungen im Sinne von Art. 63 der Verordnung Nr. 40/94 gerichtet. Es ist daher nicht Aufgabe des Gerichts, im Licht erstmals bei ihm eingereichter Unterlagen den Sachverhalt zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 6. März 2003, DaimlerChrysler/HABM [Kühlergrill], T-128/01, Slg. 2003, II-701, Randnr. 18).

50 Nach alledem greift der einzige Klagegrund der Klägerin durch, so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

51 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM unterlegen ist, sind ihm seine eigenen Kosten und, wie von der Klägerin beantragt, deren Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 5. September 2006 (Sache R 805/2006-4) wird aufgehoben.

2. Das HABM trägt seine eigenen Kosten und die Kosten der Paul Hartmann AG.

Vilaras

Prek

Ciuca

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Juli 2008.



Ende der Entscheidung

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