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Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 03.10.2006
Aktenzeichen: T-313/04
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92
Vorschriften:
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Art. 239 |
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)
3. Oktober 2006
"Verweigerung der Erstattung von Einfuhrabgaben - Nichtigkeitsklage - Einfuhr von Druckern und Druckerpatronen aus Singapur - Besonderer Fall - Billigkeitsklausel - Artikel 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92"
Parteien:
In der Rechtssache T-313/04
Hewlett-Packard GmbH mit Sitz in Böblingen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. Boulanger, M. Mrozek und M. Tervooren,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung REM 06/02 der Kommission vom 7. April 2004, mit der den deutschen Behörden mitgeteilt wird, dass die Einfuhrabgaben auf Drucker und Druckerpatronen aus Singapur der Klägerin nicht zu erstatten sind,
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung, des Richters A. W. H. Meij und der Richterin I. Pelikánová,
Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
Rechtlicher Rahmen
1 Artikel 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) bestimmt:
"(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle
- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;
- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
(2) Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.
Jedoch können in begründeten Ausnahmefällen die Zollbehörden diese Frist verlängern."
2 Artikel 239 wurde präzisiert und näher ausgeführt durch die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (ABl. L 253, S. 1), zuletzt geändert, was die für die vorliegende Rechtssache relevante Rechtslage angeht, durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 (ABl. L 212, S. 18, im Folgenden: Durchführungsverordnung).
3 Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung sieht vor, dass, wenn die nationale Zollbehörde, bei der ein Antrag auf Erlass der Abgaben gestellt worden ist, nicht in der Lage ist, nach Artikel 899 der Durchführungsverordnung zu entscheiden, und die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission vorlegt.
4 Artikel 12 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) bestimmt, dass die Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der Kombinierten Nomenklatur zusammen mit den Zollsätzen veröffentlicht, wie sie sich aus den vom Rat oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung wird spätestens am 31. Oktober im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht und gilt jeweils ab 1. Januar des folgenden Jahres.
Sachverhalt
5 Zwischen dem 21. und dem 29. Dezember 1995 fertigte die Klägerin aus Singapur eingeführte Drucker und Druckerpatronen, die sich in ihrem Zolllager in Deutschland befanden, zum zollrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft ab.
6 Bis zum 31. Dezember 1995 unterlagen die Waren dem Präferenzzollsatz von 2,6 % für Waren der Unterposition 8471 6040 der Kombinierten Nomenklatur und von 2,1 % für Waren der Unterposition 8473 3090 der Kombinierten Nomenklatur.
7 Nach der Verordnung (EG) Nr. 3281/94 des Rates vom 19. Dezember 1994 über ein Mehrjahresschema allgemeiner Zollpräferenzen für bestimmte gewerbliche Waren mit Ursprung in Entwicklungsländern für den Zeitraum 1995-1998 (ABl. L 348, S. 1), mit der die genannten Präferenzzollsätze mit Wirkung vom 1. Januar 1996 endgültig aufgehoben wurden, hätten die fraglichen Waren von diesem Datum an dem Drittlandszollsatz von 2,9 % bzw. 2,4 % unterworfen werden müssen. Diese Sätze wurden in die Verordnung (EG) Nr. 2448/95 der Kommission vom 10. Oktober 1995 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung Nr. 2658/87 (ABl. L 259, S. 1) übernommen, mit der gemäß Artikel 12 der Verordnung Nr. 2658/87 die vollständige Fassung der Kombinierten Nomenklatur zusammen mit den Zollsätzen veröffentlicht wurde.
8 Jedoch wurde die im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) von 1947 ursprünglich für 1997 vorgesehene Senkung der Drittlandszollsätze mit der Verordnung (EG) Nr. 3093/95 des Rates vom 22. Dezember 1995 zur Festlegung der nach dem Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union in den Verhandlungen gemäß Artikel XXIV Absatz 6 des GATT vereinbarten und von der Gemeinschaft anzuwendenden Zollsätze auf den 1. Januar 1996 vorgezogen. Diese Verordnung ist im Amtsblatt L 334 vom 30. Dezember 1995 enthalten, das tatsächlich am 20. Februar 1996 veröffentlicht wurde. Die Verordnung (EG) Nr. 3009/95 der Kommission vom 22. Dezember 1995 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 legte den ab 1. Januar 1996 anzuwendenden Drittlandszoll für die im vorliegenden Fall fraglichen Waren auf 2 % bzw. 1,6 % fest. Sie ist im Amtsblatt L 319 vom 30. Dezember 1995 enthalten, das tatsächlich am 8. Januar 1996 veröffentlicht wurde.
9 Ferner hatte die Kommission unter dem 6. Dezember 1995 einen Verordnungsvorschlag vorgelegt mit dem Titel "Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Festlegung der nach dem Beitritt [der Republik Österreich], [der Republik Finnland] und [des Königreichs Schweden] in den Verhandlungen gemäß Artikel XXIV Absatz 6 des GATT vereinbarten und von der Gemeinschaft anzuwendenden Zollsätze" (Dokument KOM[1995] 604). Im Amtsblatt C 341 vom 19. Dezember 1995 wurde die Übermittlung des Vorschlags an den Rat erwähnt und darauf hingewiesen, dass dieses Dokument bei den nationalen Vertriebsbüros erhältlich sei.
10 Am 11. November 1996 beantragte die Klägerin bei den zuständigen deutschen Zollbehörden die Erstattung eines Betrages von 235 489,42 Euro. Es handelt sich dabei um die Differenz zwischen den bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Präferenzzollsätzen und den Zollsätzen, die anwendbar gewesen wären, wenn die Waren nach dem 31. Dezember 1995 in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden wären.
11 Dieser Antrag wurde abgelehnt. Der dagegen eingelegte Einspruch der Klägerin wurde als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung des Hauptzollamts Stuttgart erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg.
12 Im Verfahren vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg legte die Klägerin ein Schreiben des Amtes für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Juni 2000 vor, in dem es heißt, dass die tatsächliche Veröffentlichung der Verordnung Nr. 3009/95 erst am 8. Januar 1996 erfolgte.
13 Das Hauptzollamt vertrat daraufhin die Ansicht, dass für die Klägerin ein besonderer Fall im Sinn von Artikel 905 der Durchführungsverordnung vorgelegen habe. Das Bundesministerium der Finanzen, das um eine Stellungnahme gebeten worden war, legte den Fall nach Artikel 905 der Durchführungsverordnung der Kommission vor.
14 Mit der Entscheidung REM 06/02 vom 7. April 2004 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission fest, dass die Erstattung der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt sei.
15 Mit Bescheid vom 16. Juni 2004 übermittelte das Hauptzollamt der Klägerin die angefochtene Entscheidung und lehnte die Erstattung von Einfuhrabgaben endgültig ab.
Verfahren und Anträge der Parteien
16 Mit Klageschrift, die am 30. Juli 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
17 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.
18 Die Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 1. Februar 2006 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.
19 Die Klägerin beantragt,
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
20 Die Kommission beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Vorbringen der Parteien
21 Zur Begründung ihrer Klage erhebt die Klägerin mehrere Rügen, die zu einem einzigen Klagegrund zusammengefasst zu prüfen sind, nämlich einem Verstoß gegen Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, einer Bestimmung, die den in Artikel 239 des Zollkodex niedergelegten Grundsatz präzisiert und weiterentwickelt. Sie macht geltend, dass die angefochtene Entscheidung einen offensichtlichen Fehler der Kommission aufweise, da diese das Vorliegen eines "besonderen Falles" im Sinn von Artikel 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung verneint habe. Im Übrigen verweist sie auf das Fehlen einer betrügerischen Absicht oder offensichtlicher Fahrlässigkeit von ihrer Seite.
22 Das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinn von Artikel 905 der Durchführungsverordnung sei nachgewiesen, wenn sich ergebe, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausübten, in einer außergewöhnlichen Lage befinde und es nach den Umständen unbillig wäre, ihm einen Nachteil aufzuerlegen, den er normalerweise nicht erlitten hätte.
23 Im Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 160/84 (Oryzomyli Kavallas u. a./Kommission, Slg. 1986, 1633, Randnrn. 15 und 16) habe der Gerichtshof entschieden, dass ein außergewöhnlicher Fall dann anzunehmen sei, wenn sowohl den Zollbeteiligten als auch den zuständigen Behörden die maßgeblichen Zollvorschriften in der Landessprache nicht zur Verfügung gestanden hätten und die Zollbeteiligten ihr Verhalten an den fehlerhaften Informationen der zuständigen Behörden ausgerichtet hätten. In jener Rechtssache sei unstreitig gewesen, dass von der Tatsache der fehlenden griechischen Fassung der anwendbaren Gemeinschaftsverordnungen nicht nur die Kläger, sondern alle Wirtschaftsteilnehmer betroffen gewesen seien. Aus diesem Urteil folge, dass der Vergleich mit anderen Wirtschaftsteilnehmern nicht allein zu berücksichtigen sei. Das Verhalten der zuständigen Behörden und das hieraus resultierende Verhalten des Betroffenen könnten ebenfalls eine außergewöhnliche Lage kennzeichnen.
24 Vorliegend hätte die Kommission den gesamten Sachverhalt würdigen und das Interesse der Gemeinschaft sowie das Interesse des Wirtschaftsteilnehmers daran, keine über das normale Geschäftsrisiko hinausgehenden Nachteile zu erleiden, gegeneinander abwägen müssen. Sie hätte insbesondere die Auswirkungen ihres eigenen Fehlverhaltens und des der anderen Gemeinschaftsorgane auf die fragliche Situation würdigen müssen (Urteil des Gerichts vom 17. September 1998 in der Rechtssache T-50/96, Primex Produkte Import-Export u. a./Kommission, Slg. 1998, II-3773, Randnr. 116). Artikel 905 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. Juli 2003 (ABl. L 187, S. 16) beziehe sich insbesondere auf Pflichtverletzungen dieses Organs. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ergänzt, dass die Kommission die Auswirkungen ihrer Pflichtverletzungen hätte berücksichtigen müssen, auch wenn die Verordnung Nr. 1335/2003 im Zeitpunkt der Übermittlung des Falles an sie noch nicht in Kraft gewesen sei.
25 Hier ergebe sich das Vorliegen eines besonderen Falles erstens daraus, dass die Kommission gegen das Gebot der Vorhersehbarkeit des Handelns der Gemeinschaftsorgane und gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen habe, als sie die Verordnung Nr. 3009/95 verspätet tatsächlich veröffentlicht und nicht rechtzeitig bekannt gemacht, sie absichtlich rückdatiert und auf die Verordnung Nr. 3093/95 Bezug genommen habe, die am 20. Februar 1996 veröffentlicht worden sei (wie oben in Randnr. 8 erwähnt). Die Kommission hätte diese Umstände und ihren Einfluss auf das Verhalten der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigen müssen.
26 Die Klägerin hätte von der Überführung der betreffenden Waren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft vor dem 1. Januar 1996 abgesehen, wenn sie von der Änderung der Zollsätze gewusst hätte. Das rechtswidrige Verhalten der Kommission habe sie zu den Importen vor diesem Datum veranlasst.
27 Denn bis zum 31. Dezember 1995 habe die Klägerin von der Verordnung Nr. 3009/95 und somit von den ab dem 1. Januar des Folgejahres anwendbaren niedrigeren Zollsätzen keine Kenntnis nehmen können. Sie habe ihre wirtschaftliche Disposition auf die ab dem 1. Januar 1996 geltende Verordnung Nr. 2448/95 vom 10. Oktober 1995 gegründet, die für die betreffenden Waren einen höheren Zollsatz als den bis zum 1. Januar 1996 geltenden eingeführt habe.
28 Die Kommission habe das Amtsblatt L 319 absichtlich auf den 30. Dezember 1995 rückdatiert, um sicherzustellen, dass die Verordnung Nr. 3009/95 zu dem dort in Artikel 2 vorgesehenen Zeitpunkt, nämlich dem 1. Januar 1996, in Kraft trete. Diese Verordnung sei jedoch erst am 8. Januar 1996 veröffentlicht worden (wie oben in Randnr. 12 erwähnt).
29 Ferner habe die Verordnung Nr. 3009/95 auf die Verordnung Nr. 3093/95 des Rates Bezug genommen, die im Amtsblatt vom 20. Februar 1996 veröffentlicht worden sei. Die Kommission habe demnach die Änderung der anwendbaren Zollsätze unter Verweisung auf eine Verordnung des Rates vollzogen, die zum Zeitpunkt dieser Änderung noch nicht existent gewesen sei.
30 Außerdem habe die Kommission die Pflicht aus Artikel 12 der Verordnung Nr. 2658/87 verletzt. Dieser Artikel konkretisiere Artikel 254 EG und den Grundsatz der Rechtssicherheit. Er bezwecke, die Wirtschaftsteilnehmer über die finanziellen Konsequenzen der bevorstehenden Maßnahmen zuverlässig zu informieren und ihnen damit eine sichere Grundlage für die Planung ihrer Handlungen zu geben.
31 Durch die Veröffentlichung der Verordnung Nr. 3009/95 im Amtsblatt vom 30. Dezember 1995 habe die Kommission die am 31. Oktober ablaufende Frist des Artikels 12 der Verordnung Nr. 2658/87 nicht gewahrt. Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die Kommission eine Verordnung zur Änderung der Zollsätze nach dem 31. Oktober 1995 nur im Fall von unvorhersehbaren Ereignissen erlassen dürfe, die ein sofortiges Eingreifen erforderten. Ein solcher Fall sei vorliegend nicht gegeben.
32 Die im Rahmen des GATT von der Europäischen Gemeinschaft eingereichten Zollzugeständnislisten seien in dem Zeitraum von 1995 bis 2000 nach Jahren gestaffelt gewesen. Dennoch habe die Kommission mit der Verordnung Nr. 3009/95 beschlossen, mit Wirkung vom 1. Januar 1996 neue Zollsätze aufzustellen, obwohl eine vollständige Fassung der Kombinierten Nomenklatur, die am 1. Januar 1996 hätte in Kraft treten sollen, bereits verabschiedet worden sei und mit der Verordnung Nr. 2448/95 vom 10. Oktober 1995 im Amtsblatt L 259 innerhalb der in Artikel 12 der Verordnung Nr. 2658/87 vorgesehenen Frist erschienen sei. Die Verordnung Nr. 2448/95 habe die aus dem GATT resultierende und für das Jahr 1996 vorgesehene zweite Zollsatzsenkung bereits berücksichtigt. Dass die Kommission die dritte Stufe der Zollreduzierung, die für 1997 vorgesehen gewesen sei, vorziehen und 1996 eine doppelte Zollsatzänderung eintreten werde, sei für die Klägerin daher nicht ersichtlich gewesen.
33 Die Klägerin widerspricht der Ansicht der Kommission, dass die Änderung der Verordnung Nr. 2448/95 in Anbetracht der Bekanntmachung ihres Vorschlags KOM(1995) 604 im Amtsblatt C 341 vom 19. Dezember 1995 vorhersehbar gewesen sei und dass sich die Klägerin über die Verhandlungen im Rahmen des GATT auf dem Laufenden hätte halten müssen. Die allein veröffentlichte Überschrift des Vorschlags habe sich lediglich auf einen Beschluss und eine Verordnung des Rates bezogen. Aus ihr sei nicht ersichtlich gewesen, wie die Zollsätze geändert würden.
34 Ferner sei in der Überschrift des Vorschlags kein Hinweis darauf enthalten, dass es sich um ein außerplanmäßiges Vorziehen der dritten Stufe der GATT-Zollsatzsenkungen handele. Zudem sei der Vorschlag vor dem 31. Dezember 1995 beim Bundesanzeigerverlag nicht zu beschaffen gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin jedoch auf Nachfrage des Gerichts erklärt, dass sie von der Existenz dieses Vorschlags nichts gewusst und deshalb nichts unternommen habe, um sich den Text des Vorschlags zu beschaffen.
35 Zweitens macht die Klägerin geltend, dass ein besonderer Fall auch deshalb vorliege, weil sie auf die Beibehaltung der Zollsätze der Verordnungen Nrn. 3281/94 und 2448/95 vertraut habe und habe vertrauen können, wobei die Verordnung Nr. 3281/94 (wie oben erwähnt) vom Rat am 19. Dezember 1994 und die Verordnung Nr. 2448/95 von der Kommission am 10. Oktober 1995 erlassen worden seien. Sie habe die Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr zum letztmöglichen Zeitpunkt vorgenommen.
36 Dabei weist die Klägerin das Vorbringen der Kommission zurück, die Wirtschaftsteilnehmer seien nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die durch Ermessensentscheidungen der Gemeinschaftsorgane verändert werden könne. Der Gestaltungsspielraum, der der Kommission zustehe, entbinde diese nicht von der Erfüllung der sich aus Artikel 254 EG und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ergebenden Pflichten.
37 Die Klägerin sei im vorliegenden Fall, als sie die Entscheidung getroffen habe, die betreffenden Waren vor dem 31. Dezember 1995 einzuführen, nicht in der Lage gewesen, eine erneute Änderung der Rechtsvorschriften zu berücksichtigen, da weder der Vorschlag der Kommission zur Änderung der ab 1. Januar 1996 geltenden Zollsätze noch die Verordnungen, die die Sätze ab 1. Januar 1996 geändert hätten, den Wirtschaftsteilnehmern bekannt gegeben worden seien. Außerdem habe sie sich nicht auf das Vorliegen eines solchen Änderungsvorschlags verlassen können, da dieser Vorschlag vom Rat noch habe geändert, angepasst oder abgelehnt werden können (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1989 in der Rechtssache 161/88, Binder, Slg. 1989, 2415, Randnr. 22).
38 Die Kommission trägt vor, dass die vergleichende Betrachtung der Lage verschiedener Wirtschaftsteilnehmer einen wesentlichen Schritt bei der Anwendung des rechtlichen Maßstabs für das Vorliegen eines besonderen Falles darstelle. Dennoch dürfe das Vorliegen einer außergewöhnlichen Lage nicht ausschließlich durch einen Vergleich mit der Lage anderer Wirtschaftsteilnehmer ermittelt werden.
39 Vorliegend hätte die Klägerin, um zu beweisen, dass für sie ein besonderer Fall vorliege, einen Vergleich ziehen müssen zwischen der Lage anderer Wirtschaftsteilnehmer, die im Zeitraum zwischen dem 21. und 29. Dezember 1995 die gleiche Tätigkeit wie sie ausgeübt hätten, und ihrer eigenen Lage in demselben Zeitraum. Sie aber beschränke sich auf Ausführungen über ihre individuelle Lage in dem genannten Zeitraum und erwähne die Lage anderer Wirtschaftsteilnehmer nicht.
40 Im Übrigen weist die Kommission die Behauptung der Klägerin zurück, dass sie das Amtsblatt L 319 absichtlich auf den 30. Dezember 1995 rückdatiert habe. Dieses Amtsblatt sei bedingt durch die Feiertage zum Jahreswechsel erst am 8. Januar 1996 veröffentlicht worden.
41 Jedenfalls lägen sowohl das Datum des Amtsblatts L 319 (30. Dezember 1995) als auch das Datum des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 3009/95 nach dem Zeitraum, in dem die Klägerin die betreffenden Waren in den zollfreien Verkehr überführt habe (21. bis 29. Dezember 1995).
42 Die Klägerin, die von den laufenden Verhandlungen im Rahmen des GATT habe wissen können, habe durch Einsichtnahme in das Amtsblatt C 341 vom 19. Dezember 1995 von der Existenz eines Vorschlags für eine Ratsverordnung zur Festlegung der von der Gemeinschaft im Anschluss an diese Verhandlungen anzuwendenden Zollsätze Kenntnis nehmen können. Eine Änderung der geltenden Regelung sei somit vorhersehbar gewesen.
43 Außerdem habe sich die Klägerin anhand der im Amtsblatt C 341 vom 19. Dezember 1995 veröffentlichten Bekanntmachung des im Dokument KOM(1995) 604 enthaltenen Vorschlags darüber informieren können, dass die Kommission den Vorschlag für eine Ratsverordnung vorgelegt habe, der die in der Gemeinschaft geltenden Zollsätze im Anschluss an die nach Artikel XXIV Absatz 6 des GATT nach dem Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden geführten Verhandlungen betreffe. Es sei klar gewesen, dass dieser Vorschlag die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin berühren könne.
44 Deshalb habe die Klägerin als umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer allen Grund gehabt, entsprechende Erkundigungen über den Inhalt des genannten Verordnungsvorschlags einzuholen, bevor sie über den Zeitpunkt der Überführung der betreffenden Waren in den zollrechtlich freien Verkehr entschieden habe.
45 Nach Ansicht der Kommission kann sich die Klägerin nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. Die Klägerin habe nämlich weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass die Kommission ihr gegenüber begründete Erwartungen geweckt oder bestimmte Zusicherungen in Bezug auf das Unterbleiben einer Änderung der betreffenden Zollsätze für 1996 gegeben habe. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission u. a. bekräftigt, dass sie nie fehlerhafte Auskünfte erteilt habe, die zu einem Missverständnis hätten führen können.
46 Die Klägerin habe nicht in schützenswerter Weise darauf vertrauen können, dass nach dem Erlass der Verordnung Nr. 2448/95 mit der vollständigen Fassung der Kombinierten Nomenklatur und den - im Vergleich zu 1995 höheren - Zollsätzen, die am 1. Januar 1996 hätten in Kraft treten sollen, Artikel 12 der Verordnung Nr. 2658/87 jeder späteren Änderung dieser Sätze entgegenstehen würde. Insoweit verfüge die Kommission über ein weites gesetzgeberisches Ermessen, zumal wenn internationale Verpflichtungen der Gemeinschaft im Rahmen der Welthandelsorganisation Änderungen erforderlich machten (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 2004 in den Rechtssachen C-37/02 und C-38/02, Di Lenardo und Dilexport, Slg. 2004, I-6911, Randnr. 71).
47 Die Klägerin habe daher ebenso wenig wie andere Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausübten, in schützenswerter Weise darauf vertrauen können, dass die Kommission von ihrem weiten Ermessensspielraum mit Wirkung für einen bestimmten Zeitraum keinen Gebrauch machen werde.
48 Im Übrigen bestreitet die Kommission, dass sie verpflichtet gewesen sei, die Klägerin auf die durch die Verordnung Nr. 3009/95 bewirkte Änderung hinzuweisen. Sie sei nur dazu verpflichtet, Verordnungen im Amtsblatt zu veröffentlichen.
49 Nach alledem habe es zum gewöhnlichen und normalen Risiko eines jeden Wirtschaftsteilnehmers gehört, dass die ab 1. Januar 1996 geltenden Zollsätze nicht höher, sondern niedriger sein würden als im Zeitraum zwischen dem 21. und 29. Dezember 1995.
Würdigung durch das Gericht
Vorbemerkungen
50 Es steht fest, dass die Überführung der fraglichen Waren in den zollrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft zwischen dem 21. und 29. Dezember 1995 stattfand. Nach der seinerzeit geltenden Regelung unterlagen die fraglichen Waren den Präferenzzollsätzen von 2,6 % und 2,1 %. Die anwendbaren Zollsätze für in diesem Zeitraum durchgeführte Importe hat die Klägerin nicht bestritten.
51 Der Erstattungsantrag nach der Billigkeitsbestimmung in Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 seiner Durchführungsverordnung ist anhand der Regelungen, die im Zeitpunkt der Überführung der betreffenden Waren in den zollrechtlich freien Verkehr galten, und anhand der die Lage der Klägerin damals kennzeichnenden Umstände zu beurteilen. Daher ist die Tatsache, dass die anwendbaren Zollsätze niedriger gewesen wären, wenn die Klägerin ihre Waren nach dem 1. Januar 1996 in den zollrechtlich freien Verkehr überführt hätte, als solche für die Anwendung von Artikel 239 des Zollkodex ohne Belang.
52 Insbesondere käme die von der Klägerin beantragte Erstattung der Zollabgaben in Höhe der Differenz zwischen den bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Präferenzzollsätzen und den Zollsätzen, die gegolten hätten, wenn die Waren nach dem 31. Dezember 1995 in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden wären, der Anwendung der neuen, niedrigeren Zollsätze auf Vorgänge gleich, die noch vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung stattfanden. Bei Fehlen besonderer Umstände, die die Anwendung der Billigkeitsklausel rechtfertigen, führte aber eine solche Erstattung zu einer unterschiedlichen Behandlung von in technischer und zeitlicher Hinsicht vergleichbaren Vorgängen der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr, was mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbar wäre (Urteil des Gerichtshofes vom 12. November 1981 in den Rechtssachen 212/80 bis 217/80, Salumi u. a., Slg. 1981, 2735, Randnr. 14; Urteil des Gerichts vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler & Malt/Kommission, Slg. 1998, II-401, Randnr. 51).
53 Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass materiell-rechtliche Vorschriften - anders als Verfahrensvorschriften - grundsätzlich nicht auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, sondern im Allgemeinen dahin ausgelegt werden, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, wenn ihnen aufgrund ihres Wortlauts, ihrer Zielsetzung oder ihrer Struktur eine solche Wirkung eindeutig beizumessen ist (Urteile Salumi u. a., oben Randnr. 52, Randnr. 9, und Eyckeler & Malt/Kommission, oben Randnr. 52, Randnr. 55). Weder der Verordnung Nr. 3009/95 noch der Verordnung Nr. 3093/95 kann eine solche Rückwirkung beigemessen werden.
54 Das Vorbringen der Parteien zu den Anwendungsvoraussetzungen von Artikel 905 der Durchführungsverordnung und insbesondere zum Vorliegen eines besonderen Falles ist unter Berücksichtigung dieser Vorbemerkungen zu erörtern.
Zum Vorliegen eines besonderen Falles
55 Artikel 905 der Durchführungsverordnung, der den in Artikel 239 des Zollkodex niedergelegten Grundsatz präzisiert und weiterentwickelt, stellt eine allgemeine Billigkeitsklausel u. a. für außergewöhnliche Fälle dar, die als solche unter keinen der in den Artikeln 900 bis 904 der Durchführungsverordnung beschriebenen Tatbestände fallen (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C-86/97, Trans-Ex-Import, Slg. 1999, I-1041, Randnr. 18).
56 Nach dem Wortlaut dieses Artikels 905 hängt die Erstattung von Einfuhrabgaben von zwei kumulativen Voraussetzungen ab: erstens, dem Vorliegen eines besonderen Falles und, zweitens, dem Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder betrügerischer Absicht des Beteiligten. Daher ist die Erstattung der Abgaben bereits dann zu versagen, wenn es an einer der beiden Voraussetzungen fehlt (Urteil des Gerichtshofes vom 7. September 1999 in der Rechtssache C-61/98, De Haan, Slg. 1999, I-5003, Randnr. 42, und Urteil des Gerichts vom 18. Januar 2000 in der Rechtssache T-290/97, Mehibas Dordtselaan/Kommission, Slg. 2000, II-15, Randnr. 87).
57 Ein besonderer Fall liegt vor, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass sich der Zollpflichtige in einer Lage befindet, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (Urteile Trans-Ex-Import, oben Randnr. 55, Randnrn. 21 und 22, und De Haan, oben Randnr. 56, Randnrn. 52 und 53).
58 Daraus folgt jedoch nicht, dass eine außergewöhnliche Lage, die alle Wirtschaftsteilnehmer eines bestimmten Sektors betrifft, einen Erlass oder eine Erstattung von Abgaben nach Artikel 905 der Durchführungsverordnung nicht rechtfertigen könnte.
59 Denn Artikel 905 soll dann Anwendung finden, wenn die Umstände, die die Beziehung zwischen dem Wirtschaftsteilnehmer und der Verwaltung bestimmen, sich so darstellen, dass es unbillig wäre, diesem Wirtschaftsteilnehmer einen Nachteil aufzuerlegen, den er im Normalfall nicht erlitten hätte (Urteile des Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der Rechtssache 58/86, Coopérative agricole d'approvisionnement des Avirons, Slg. 1987, 1525, Randnr. 22, und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-222/01, British American Tobacco, Slg. 2004, I-4683, Randnr. 63).
60 Die Kommission muss bei der Prüfung, ob nach den jeweiligen Umständen ein besonderer Fall vorliegt, sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen (Urteile des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94, France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II-2841, Randnr. 34, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache T-205/99, Hyper/Kommission, Slg. 2002, II-3141, Randnr. 93). Auch wenn die Kommission bei der Anwendung einer Billigkeitsklausel über einen Beurteilungsspielraum verfügt, muss sie bei der Ausübung dieser Befugnis das Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Wirtschaftsteilnehmers daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, wirklich gegeneinander abwägen (Urteil Hyper/Kommission, Randnr. 95).
61 Außerdem stellen die Erstattung oder der Erlass von Einfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem dar. Daher sind die Vorschriften, die eine solche Erstattung oder einen solchen Erlass vorsehen, eng auszulegen (Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98, Söhl & Söhlke, Slg. 1999, I-7877, Randnr. 52).
62 Anhand dieser Vorgaben ist zu prüfen, ob die Kommission einen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie in der angefochtenen Entscheidung davon ausging, dass die von der Klägerin vorgetragenen Umstände keinen besonderen Fall darstellten.
63 Die Klägerin beruft sich vorliegend im Wesentlichen auf das Urteil Oryzomily Kavallas u. a./Kommission, oben Randnummer 23, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die außergewöhnlichen Tatsachen des Falles in ihrer Gesamtheit "besondere Umstände" im Sinn von Artikel 905 der Durchführungsverordnung darstellten. In jener Rechtssache lagen den klagenden Gesellschaften zu dem Zeitpunkt, als sie ihren Antrag auf Einfuhrlizenzen stellten, die einschlägigen geltenden Verordnungen nicht in griechischer Fassung vor. Da die Dienststellen des zuständigen Ministeriums selbst keine griechische Ausgabe des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften erhalten hatten, griffen sie auf anderssprachige Fassungen oder auf für den Dienstgebrauch bestimmte Übersetzungen zurück, die von griechischen Beamten angefertigt worden waren.
64 Der vorliegende Fall ist jedoch mit der Rechtssache Oryzomily Kavallas nicht vergleichbar und lässt nicht dieselbe Schlussfolgerung wie diese zu, da der Klägerin - genau wie den anderen Wirtschaftsteilnehmern - zum Zeitpunkt der Überführung der betreffenden Waren in den zollrechtlich freien Verkehr die geltende Regelung zugänglich war. Zwar trägt die Klägerin zu Recht vor, dass die Kommission sich, auch wenn die Verordnung Nr. 1335/2003 zum Zeitpunkt des vorliegenden Sachverhalts noch nicht in Kraft war, nicht darauf beschränken durfte, das Verhalten der Importeure zu berücksichtigen, sondern auch die Auswirkungen ihres eigenen, gegebenenfalls fehlerhaften Verhaltens auf die entstandene Lage würdigen musste (Urteil Hyper/Kommission, oben Randnr. 60, Randnr. 95), jedoch ist weder nachgewiesen noch auch nur vorgetragen, dass im vorliegenden Fall eine Zollabgabe nach einer Vorschrift erhoben wurde, die in der Sprache des Mitgliedstaats, in dem die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr stattfand, nicht verfügbar war.
65 Vor diesem Hintergrund sind, erstens, die besonderen Umstände zu untersuchen, mit denen die Klägerin das Vorliegen eines besonderen Falles aufgrund eines Verstoßes der Kommission gegen Artikel 254 EG und den Grundsatz der Rechtssicherheit nachweisen will.
66 Wie aus der Rechtsprechung hervorgeht, müssen die Rechtsakte der Gemeinschaft eindeutig sein, und ihre Anwendung muss für die Betroffenen vorhersehbar sein. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt, dass jede Maßnahme der Organe, die Rechtswirkungen entfaltet, klar und deutlich ist und dem Betroffenen so zur Kenntnis gebracht wird, dass er mit Gewissheit den Zeitpunkt erkennen kann, von dem an die genannte Maßnahme besteht und ihre Rechtswirkungen zu entfalten beginnt. Dieses Gebot der Rechtssicherheit gilt in besonderem Maße, wenn es sich um einen Rechtsakt handelt, der finanzielle Konsequenzen haben kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diesen Rechtsakt auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (Urteile des Gerichtshofes vom 9. Juli 1981 in der Rechtssache 169/80, Gondrand, Slg. 1981, 1931, Randnr. 17, vom 22. Februar 1984 in der Rechtssache 70/83, Kloppenburg, Slg. 1984, 1075, Randnr. 11, und vom 15. Dezember 1987 in der Rechtssache 325/85, Irland/Kommission, Slg. 1987, 5041, Randnr. 18; Urteile des Gerichts vom 7. Februar 1991 in den Rechtssachen T-18/89 und T-24/89, Tagaras/Gerichtshof, Slg. 1991, II-53, Randnr. 40, und vom 22. Januar 1997 in der Rechtssache T-115/94, Opel Austria/Rat, Slg. 1997, II-39, Randnr. 124).
67 Entgegen dem Vortrag der Klägerin kann im vorliegenden Fall der Umstand, dass Artikel 12 der Verordnung Nr. 2658/87 u. a. die jährliche Veröffentlichung spätestens am 31. Oktober der vollständigen Fassung der Kombinierten Nomenklatur zusammen mit den Zollsätzen in Form einer Verordnung vorsieht, die jeweils ab dem 1. Januar des folgenden Jahres gilt, das Ermessen der Gemeinschaftsorgane hinsichtlich der Änderung der anwendbaren Zollsätze nicht einschränken, die zu dem Zeitpunkt entschieden werden kann, den die Organe, insbesondere im Hinblick auf die internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft, für den geeignetsten halten. Die Gemeinschaftsorgane waren daher berechtigt, die ab dem 1. Januar 1996 geltenden Zollsätze, die mit der Verordnung Nr. 3281/94 festgelegt und in die Verordnung Nr. 2448/95 übernommen worden waren, zu ändern, indem sie die ursprünglich für 1997 vorgesehene Senkung der Drittlandszollsätze im Anschluss an die Verhandlungen gemäß Artikel XXIV Absatz 6 des GATT nach dem Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union auf den 1. Januar 1996 vorzogen.
68 Zudem verpflichtete weder Artikel 254 EG noch der Grundsatz der Rechtssicherheit die Kommission, die Verordnung Nr. 3009/95, mit der die ab 1. Januar 1996 geltenden niedrigeren Zollsätze festgelegt wurden und die im Amtsblatt L 319 vom 30. Dezember 1995 erschienen ist, vor dem 30. Dezember 1995 zu veröffentlichen. Gleiches gilt für die im Amtsblatt L 334 ebenfalls vom 30. Dezember 1995 erschienene Verordnung Nr. 3093/95, mit der die ursprünglich im Rahmen des GATT für 1997 vorgesehene Senkung der Zollabgaben auf den 1. Januar 1996 vorgezogen wurde.
69 Im vorliegenden Fall wurden die streitigen Importe vor dem 30. Dezember 1995 durchgeführt, nämlich zwischen dem 21. und 29. Dezember 1995. Selbst wenn die neue Regelung verspätet veröffentlicht worden wäre, könnte sie daher für die Klägerin keinen besonderen Fall im Sinn von Artikel 905 der Durchführungsverordnung begründen. Daraus folgt, dass die von der Klägerin behaupteten Unregelmäßigkeiten im vorliegenden Fall zumindest unerheblich sind, da sie nach den betreffenden Importen auftraten und deshalb keinen Einfluss auf den streitigen Sachverhalt haben konnten.
70 Daher ist das auf einen Verstoß gegen Artikel 254 EG und den Grundsatz der Rechtssicherheit gestützte Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, ohne dass auf die Rügen einzugehen wäre, wonach das tatsächlich am 8. Januar 1996 veröffentlichte Amtsblatt L 319 rückdatiert worden sei und die betreffenden Zollsätze durch die - da später veröffentlichte - noch nicht existente Verordnung Nr. 3093/95 geändert worden seien.
71 Zweitens ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen, für sie habe ein besonderer Fall vorgelegen, da sie sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes habe berufen können.
72 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich jeder Wirtschaftsteilnehmer, bei dem ein Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt hat, auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. Ist jedoch ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer seine Interessen berührenden Gemeinschaftsmaßnahme vorherzusehen, so kann er sich im Fall ihres Erlasses nicht auf diesen Grundsatz berufen (Urteile des Gerichtshofes vom 11. März 1987 in der Rechtssache 265/85, Van den Bergh en Jurgens und Van Dijk Food Products/Kommission, Slg. 1987, 1155, Randnr. 44, sowie vom 15. April 1997 in der Rechtssache C-22/94, Irish Farmers Association u. a., Slg. 1997, I-1809, Randnr. 25). Dabei gilt, dass niemand einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend machen kann, dem die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat.
73 Zwar gehört ferner der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu den grundlegenden Prinzipien der Gemeinschaft, doch dürfen Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die durch Ermessensentscheidungen der Organe verändert werden kann (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 245/81, Edeka, Slg. 1982, 2745, Randnr. 27, vom 28. Oktober 1982 in der Rechtssache 52/81, Faust/Kommission, Slg. 1982, 3745, Randnr. 27, vom 7. Mai 1987 in der Rechtssache 256/84, Koyo Seiko/Rat, Slg. 1987, 1899, Randnr. 20, und in der Rechtssache 258/84, Nippon Seiko/Rat, Slg. 1987, 1923, Randnr. 34).
74 Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Kommission die Klägerin durch ihr Verhalten zu der berechtigten Erwartung veranlasst hat, dass sich die in der Verordnung Nr. 2448/95 vorgesehenen Zollsätze ab dem 1. Januar 1996 nicht ändern würden (vgl. in diesem Sinne Urteile Van den Bergh en Jurgens und Van Dijk Food Products/Kommission, oben Randnr. 72, Randnr. 44, sowie Irish Farmers Association u. a., oben Randnr. 72, Randnr. 25).
75 Die Klägerin behauptet nicht, die Kommission habe ihr in irgendeiner Weise zugesichert, dass sie die in der Verordnung Nr. 2448/95 vorgesehenen Zollsätze ab dem 1. Januar 1996 nicht mehr ändern werde. Sie macht im Wesentlichen nur geltend, dass die Kommission es unterlassen habe, sie von der Änderung der Verordnung Nr. 2448/95 zu unterrichten, und sie daher in schützenswerter Weise auf die Beibehaltung der betreffenden in den Verordnungen Nrn. 3281/94 und 2448/95 festgelegten Zollsätze habe vertrauen können. Es ist aber festzustellen, dass die Kommission nach keiner Bestimmung des Gemeinschaftsrechts dazu verpflichtet ist, die Wirtschaftsteilnehmer im Voraus über die Änderung von Zollsätzen zu unterrichten. Die Klägerin durfte daher nicht deshalb, weil sie hiervon nicht unterrichtet wurde, darauf vertrauen, dass es im betreffenden Jahr keine Änderungen mehr geben werde.
76 Nach alledem hat die Kommission keinen Beurteilungsfehler begangen, als sie in der angefochtenen Entscheidung annahm, dass die Umstände des vorliegenden Falles keinen besonderen Fall begründeten.
77 Da es somit an einer der in Artikel 905 der Durchführungsverordnung vorgesehenen kumulativen Voraussetzungen für die Erstattung der Einfuhrabgaben fehlt, ist der auf den Verstoß gegen Artikel 239 des Zollkodex gestützte Klagegrund nicht begründet. Damit braucht das Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder einer betrügerischen Absicht des Beteiligten nicht mehr geprüft zu werden.
78 Die Klage ist daher abzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
79 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Oktober 2006.
Ende der Entscheidung
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