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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 20.04.2005
Aktenzeichen: T-318/03
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, Verordnung Nr. 40/94


Vorschriften:

Verordnung Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke Art. 8 Abs. 1 Buchst. b
Verordnung Nr. 40/94 Art. 74 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichts erster Instanz (Zweite Kammer) vom 20. April 2005. - Atomic Austria GmbH gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM). - Gemeinschaftsmarke - Wortmarke ATOMIC BLITZ - Widerspruch des Inhabers der nationalen Wortmarken ATOMIC - Nachweis der Verlängerung der Eintragung der älteren Marke - Umfang der Prüfung des HABM - Zurückweisung des Widerspruchs - Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 40/94. - Rechtssache T-318/03.

Parteien:

In der Rechtssache T318/03

ATOMIC Austria GmbH mit Sitz in Altenmarkt (Österreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. Kucsko und C. Schumacher,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) , vertreten durch G. Schneider und B. Müller als Bevollmächtigte,

Beklagter,

anderer Beteiligter des Verfahrens vor der Beschwerdekammer des HABM:

Fabricas Agrupadas de Muñecas de Onil, SA mit Sitz in Onil (Spanien),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des HABM vom 9. Juli 2003 (Sache R 95/2003-2) in einem Widerspruchsverfahren zwischen der ATOMIC Austria GmbH und der Fabricas Agrupadas de Muñecas de Onil SA

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Pirrung sowie des Richters A. W. H. Meij und der Richterin I. Pelikánová,

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund der am 15. September 2003 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 3. Februar 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2004

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1. Am 13. November 2000 meldete die spanische Gesellschaft Fabricas Agrupadas de Muñecas de Onil SA nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABI. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung eine Gemeinschaftsmarke beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) an.

2. Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen ATOMIC BLITZ.

3. Die Waren, für die die Eintragung angemeldet wurde, gehören zur Klasse 28 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung und entsprechen folgender Beschreibung: Spiele, Spielzeug; Turn- und Sportartikel, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind.

4. Die Anmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 60/2001 vom 9. Juli 2001 veröffentlicht.

5. Am 3. Oktober 2001 legte die ATOMIC Austria GmbH (im Folgenden: Klägerin) unter Berufung auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 Widerspruch gegen die Eintragung ein. Der Widerspruch wurde auf fünf ältere Marken gestützt, die aus dem Zeichen ATOMIC bestehen (im Folgenden: ältere Marken) und in Österreich wie folgt eingetragen wurden:

- Wortmarke Nr. 75 086, angemeldet am 16. März 1973 und eingetragen am 23. August 1973;

- Wortmarke Nr. 76 640, angemeldet am 8. Februar 1974 und eingetragen am 15. März 1974;

- Wortmarke Nr. 85 558, angemeldet am 2. März 1977 und eingetragen am 16. Mai 1977;

- Wortmarke Nr. 97 370, angemeldet am 27. März 1981 und eingetragen am 22. Juli 1981;

- Wortmarke Nr. 106 849, angemeldet am 28. Juni 1984 und eingetragen am 10. September 1984.

6. Zusammen mit der Widerspruchsschrift legte die Klägerin für jede der älteren Marken einen Auszug aus dem österreichischen Markenregister mit englischer Übersetzung sowie eine Bescheinigung des die Klägerin vor dem HABM vertretenden Patentanwalts vor, wonach... die fünf Eintragungen für alle in den Auszügen und meiner Übersetzung angegebenen Waren vollständig gültig sind. Die Auszüge trugen das Datum des 19. April 1999.

7. Mit Schreiben vom 23. November 2001 teilte die Widerspruchsabteilung des HABM der Klägerin mit, dass ihr Widerspruch der Anmelderin übermittelt worden sei, und gewährte ihr eine Frist von vier Monaten bis zum 23. März 2002 für die Vorlage von ergänzenden Tatsachen, Nachweisen oder Erklärungen, die sie zur Stützung ihres Widerspruchs für erforderlich halte.

8. Diesem Schreiben war ein Merkblatt über die zur Substantiierung eines Widerspruchs erforderlichen Nachweise beigefügt (im Folgenden: Merkblatt). Weder das Schreiben noch das Merkblatt enthielten eine explizite Aufforderung zur Nachreichung von konkret bezeichneten fehlenden Unterlagen.

9. Die Klägerin legte innerhalb der ihr gesetzten Frist keine weiteren Unterlagen zur Stützung ihres Widerspruchs vor.

10. Mit Entscheidung vom 9. Dezember 2002 wies die Widerspruchsabteilung des HABM den Widerspruch in vollem Umfang zurück, weil die Klägerin es versäumt habe, innerhalb der ihr gesetzten Frist Beweise für die Verlängerung der älteren Marken vorzulegen und damit deren Rechtsgültigkeit nachzuweisen.

11. Am 17. Januar 2003 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung des HABM Beschwerde ein. Sie machte geltend, dass die Widerspruchsabteilung die Bescheinigung des Patentanwalts nicht berücksichtigt habe, dass die Kopien der vorgelegten Auszüge keine Hinweise enthielten, die darauf hindeuteten, dass die Eintragungen nicht mehr gültig seien, und dass die Widerspruchsabteilung sie ausdrücklich zur Vorlage der fehlenden Dokumente hätte auffordern müssen.

12. Mit Entscheidung vom 9. Juli 2003 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Zweite Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung zurück.

13. Die Beschwerdekammer führte aus, das dem Schreiben des HABM vom 23. November 2001 beigefügte Merkblatt habe den klaren und eindeutigen Hinweis enthalten, dass die Verlängerung der älteren Marken durch eine Verlängerungsurkunde oder gleichwertige Beweismittel nachgewiesen werden müsse. Die Bescheinigung der Gültigkeit der älteren Marken durch den Patentanwalt, der die Klägerin vor dem HABM vertreten habe, könne nicht als ein der amtlichen Verlängerungsurkunde gleichwertiges Beweismittel angesehen werden. Schließlich unterscheide sich der vorliegende Fall durch den Umstand, dass dem Schreiben vom 23. November 2001 das Merkblatt beigefügt gewesen sei, von den Fällen, die den von der Klägerin angeführten Entscheidungen der Beschwerdekammern zugrunde gelegen hätten, in denen eine weitere Aufforderung durch die Widerspruchsabteilung für erforderlich gehalten worden sei.

Verfahren

14. Das HABM hat mit Schreiben vom 27. Oktober 2004 einige Bemerkungen zum Sitzungsbericht eingereicht.

15. Das Gericht hat die Parteien am 16. November 2004 im Anschluss an die mündliche Verhandlung aufgefordert, ihm die Rechtsvorschriften vorzulegen, die die Dauer des Markenschutzes nach österreichischem Recht regeln. Die Klägerin und das HABM sind dieser Aufforderung mit Schreiben vom 25. und 29. November 2004 nachgekommen.

16. Auf die Antworten der Parteien hin ist das mündliche Verfahren am 10. Dezember 2004 abgeschlossen worden.

Anträge der Parteien

17. Die Klägerin beantragt:

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

18. Das HABM beantragt:

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

19. Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe: Die Beschwerdekammer habe nicht gerügt, dass die von ihr erbrachten Nachweise nicht berücksichtigt worden seien, hilfsweise, die Beschwerdekammer habe keinen Verfahrensfehler darin gesehen, dass die Widerspruchsabteilung es unterlassen habe, die Klägerin auf die fehlenden Unterlagen aufmerksam zu machen, ebenfalls hilfsweise, die Beschwerdekammer habe den fehlenden Hinweis der Widerspruchsabteilung auf deren geänderte Praxis nicht als Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gewertet.

Zum ersten Klagegrund: Keine Berücksichtigung der erbrachten Nachweise durch die Widerspruchsabteilung

20. Der erste Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Im Rahmen des ersten Teils trägt die Klägerin vor, dass die von ihr vorgelegten Auszüge des österreichischen Markenregisters einen ausreichenden Nachweis der Gültigkeit der älteren Marken darstellten. Im Rahmen des zweiten Teils macht sie hilfsweise geltend, dass sie einen solchen Nachweis mittels der Bescheinigung des Patentanwalts erbracht habe.

21. Zunächst ist der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

22. Die Klägerin trägt vor, dass die der Widerspruchsschrift vom 3. Oktober 2001 beigefügten Unterlagen vollständig gewesen seien. Der von Regel 16 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1) geforderte Nachweis sei erbracht worden, da die amtlichen Registerauszüge über die älteren Marken erkennen ließen, dass diese noch Bestand hätten. Wenn der Schutz der älteren Marken nämlich im Zeitpunkt der Ausfertigung der Registerauszüge z. B. erloschen gewesen wäre, hätte das Österreichische Patentamt die Auszüge mit einem Löschungsvermerk versehen. Da die von der Klägerin vorgelegten Auszüge über die älteren Marken keine derartigen Vermerke enthalten hätten, habe die Widerspruchsabteilung folglich keinen Grund zur Annahme gehabt, dass die Eintragung nicht mehr gültig sei.

23. Außerdem sei mit Ausnahme der Marke Nr. 97 370 zwischen dem Tag der Ausfertigung der Registerauszüge und dem Tag der Einlegung des Widerspruchs keine Erneuerung der älteren Marken fällig gewesen. Daher sei auch weder eine Verlängerungsurkunde noch ein gleichwertiger Nachweis im Sinne des Merkblatts vorzulegen gewesen.

24. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ausgeführt, dass die Dauer des Schutzes einer Marke, wie sie sich aus einem amtlichen Schriftstück ergeben könne, nicht garantiere, dass die Marke genau während dieser Dauer geschützt sei. Zum einen könne der Schutz verlängert werden; in der Tat könne in Österreich die Verlängerung innerhalb einer Frist erfolgen, die erst sechs Monate nach Ende der Schutzdauer ablaufe. Zum anderen könne eine Marke vor Ablauf der Schutzdauer durch eine Gerichtsentscheidung für nichtig erklärt werden, oder der Inhaber könne auf seine Marke verzichten. Selbst die Angabe der Schutzdauer garantiere daher nicht, dass die Marke tatsächlich bis zum angegebenen Zeitpunkt geschützt sei; die Bedeutung der Schutzdauer sei daher nicht mit der Bedeutung anderer Merkmale der Marke wie des Verzeichnisses der erfassten Erzeugnisse oder Dienstleistungen vergleichbar.

25. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass das Österreichische Patentamt keine besonderen Urkunden über die Verlängerung der Marke ausstelle. Die Klägerin habe deshalb beschlossen, die Gültigkeit der älteren Marken mit Hilfe der Registerauszüge zu beweisen.

26. Das HABM erinnert daran, dass der Nachweis des Bestands des älteren Rechts, auf das der Widerspruch gestützt werde, vom Widersprechenden zu erbringen sei. Der Nachweis einer älteren Marke umfasse auch den Nachweis ihrer eventuellen Verlängerung. In Ermangelung einer Verlängerung verliere eine Marke nämlich ihre Gültigkeit und könne daher der Eintragung neuer Marken nicht mehr entgegenstehen.

27. Aus den Registerauszügen des Österreichischen Patentamts über die älteren Marken, die der Widerspruchsschrift der Klägerin beigefügt gewesen seien, ergebe sich nicht der Zeitpunkt des Ablaufs der Schutzdauer der älteren Marken, die ein wesentlicher Bestandteil des durch die Marke gewährten Rechts sei. In Ermangelung besonderer Ausführungen der Klägerin zur Dauer des Schutzes der älteren Marken habe das HABM diese mit zehn Jahren angenommen. Dieser Zeitraum sei für alle älteren Marken, die zwischen 1973 und 1984 eingetragen worden seien, abgelaufen gewesen.

28. Das HABM macht unter Befürwortung einer entsprechenden Anwendung der im Beschluss des Gerichts vom 17. November 2003 in der Rechtssache T235/02 (Strongline A/S/HABM [SCALA], Slg. 2003, II-0000) entwickelten Grundsätze außerdem geltend, der Umstand, dass sich der Zeitpunkt des Ablaufs der Schutzdauer nicht aus den Registerauszügen ergebe, mache es dem anderen Beteiligten im Widerspruchsverfahren und der Beschwerdekammer unmöglich, mit hinreichender Sicherheit den rechtlichen Status und die Inhaberschaft der älteren Marken zu überprüfen. Die vorgelegten Registerauszüge seien daher als alleiniger Nachweis des Bestehens der älteren Marken ungeeignet.

29. In der mündlichen Verhandlung hat das HABM ergänzt, dass die ihm von der Klägerin vorgelegten Auszüge zum Zeitpunkt der Vorlage zu alt gewesen seien. Ferner hätte die Klägerin, selbst wenn es ihr nicht möglich gewesen sein sollte, eine amtliche Verlängerungsurkunde beizubringen, die Verlängerung der älteren Marken durch Vorlage von österreichischen Rechtsvorschriften, die die Dauer des Markenschutzes regelten, oder der Begleitschreiben des Österreichischen Patentamts zu den Eintragungsurkunden der älteren Marken beweisen können.

30. Darüber hinaus trägt das HABM auch eine Reihe von Argumenten für den ersten Teil des vorliegenden Klagegrundes und damit den Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung vor.

Würdigung durch das Gericht

31. Zunächst ist daran zu erinnern, dass, wie sich aus der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 40/94 ergibt, das Gemeinschaftsmarkenrecht nicht an die Stelle der Markenrechte der Mitgliedstaaten tritt. Das durch diese Verordnung geschaffene System setzt die Berücksichtigung älterer nationaler Marken oder Rechte durch das HABM voraus.

32. So bestimmt Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a Ziffern ii und iii der Verordnung, dass der Inhaber einer älteren für einen Mitgliedstaat registrierten nationalen oder internationalen Marke unter den in der genannten Vorschrift festgelegten Voraussetzungen der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke widersprechen kann.

33. Wie insbesondere aus Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 hervorgeht, ist es in Verfahren bezüglich relativer Eintragungshindernisse Sache des Beteiligten, der der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke unter Berufung auf eine ältere nationale Marke widerspricht, deren Existenz und gegebenenfalls ihren Schutzumfang nachzuweisen.

34. Dagegen hat das HABM zu prüfen, ob in einem Widerspruchsverfahren die Voraussetzungen für das Vorliegen eines geltend gemachten Eintragungshindernisses erfüllt sind. In diesem Rahmen muss es die angeführten Tatsachen und die Beweiskraft der von den Beteiligten vorgelegten Beweisstücke würdigen.

35. Das HABM kann veranlasst sein, insbesondere das nationale Recht des Mitgliedstaats zu berücksichtigen, in dem die ältere Marke geschützt ist, auf die der Widerspruch gestützt wird. In diesem Fall muss es sich von Amts wegen mit den ihm hierzu zweckdienlich erscheinenden Mitteln über das nationale Recht des betreffenden Mitgliedstaats informieren, soweit entsprechende Kenntnisse für die Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen des fraglichen Eintragungshindernisses und vor allem für die Würdigung der vorgetragenen Tatsachen oder der Beweiskraft der vorgelegten Unterlagen erforderlich sind. Die Beschränkung der tatsächlichen Grundlage der Prüfung durch das HABM schließt nämlich nicht aus, dass dieses neben den von den Beteiligten des Widerspruchsverfahrens ausdrücklich vorgetragenen Tatsachen offenkundige Tatsachen berücksichtigt, d. h. Tatsachen, die jeder kennen kann oder die allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können (Urteil des Gerichts vom 22. Juni 2004 in der Rechtssache T185/02, Ruiz-Picasso u. a./HABM - DaimlerChrysler [PICARO], Slg. 2004, II-0000, Randnr. 29, insoweit nicht mit Rechtsmittel angefochten).

36. Wenn das HABM dies für zweckdienlich hält, kann es die Beteiligten auch auffordern, ihm Auskünfte zu bestimmten Punkten des nationalen Rechts zu erteilen. Der interessierte Beteiligte ist jedoch nicht verpflichtet, von sich aus allgemeine Angaben zum Recht des geistigen Eigentums zu machen, das in dem betreffenden Mitgliedstaat gilt.

37. Die Prüfung der dem HABM vorgelegten Tatsachen und Beweisstücke hat unter Wahrung der Verteidigungsrechte der Beteiligten des Widerspruchsverfahrens und der Fairness des Verfahrens zu erfolgen. Hat der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke Zweifel an der Beweiskraft der Unterlagen, die der Widersprechende als Beweis für das geltend gemachte ältere Recht vorgelegt hat, oder bezüglich des Umfangs dieses Rechts, so kann er diese Zweifel im Verfahren vor dem HABM zum Ausdruck bringen, das die betreffenden Ausführungen sorgfältig prüfen muss.

38. Das HABM kann sich jedoch nicht einer umfassenden Würdigung der vorgebrachten Tatsachen und vorgelegten Unterlagen mit der Begründung entziehen, dass es Sache des Widersprechenden sei, ihm von sich aus detaillierte und durch Beweise gestützte Auskünfte zum Recht des Mitgliedstaats zu erteilen, in dem die ältere Marke, auf die der Widerspruch gestützt wird, geschützt ist.

39. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass weder die Verordnung Nr. 40/94 noch die Verordnung Nr. 2868/95 festlegen, welche Form die Beweise haben müssen, die der Widersprechende vorzulegen hat, um sein älteres Recht darzutun. Die Verordnung Nr. 2868/95 bestimmt lediglich in Regel 16 Absatz 2: Beruht der Widerspruch auf einer älteren Marke, die keine Gemeinschaftsmarke ist, so ist der Widerspruchsschrift nach Möglichkeit ein Nachweis über die Eintragung oder Anmeldung, z. B. eine Urkunde der Eintragung, beizufügen. Außerdem enthält Artikel 76 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94, der die Beweisaufnahme in den Verfahren vor dem HABM betrifft, nur eine nicht abschließende Aufzählung möglicher Maßnahmen (... sind insbesondere folgende Beweismittel zulässig...).

40. Daraus folgt, dass der Widersprechende die Beweise, von denen er annimmt, dass ihre Vorlage beim HABM der Stützung seines Widerspruchs dient, frei wählen kann und dass das HABM alle vorgelegten Beweisstücke daraufhin prüfen muss, ob sie tatsächlich die Eintragung oder Anmeldung der älteren Marke nachweisen, ohne von vornherein eine bestimmte Art Beweismittel allein aufgrund seiner Form als unzulässig zurückweisen zu können.

41. Diese Feststellung wird durch die Unterschiede in der Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten gestützt. Könnte das HABM nämlich Formvoraussetzungen für die beizubringenden Beweise aufstellen, so würde dies in bestimmten Fällen dazu führen, dass den Beteiligten die Vorlage derartiger Beweise unmöglich wäre. Dies könnte hier der Fall sein, da die Klägerin - insoweit unwidersprochen - geltend macht, dass das Österreichische Patentamt kein amtliches Schriftstück ausstellt, das die Verlängerung einer Marke bescheinigt, und dass es ihr daher nicht möglich gewesen sei, ein solches Schriftstück vorzulegen.

42. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin Auszüge vorgelegt, die das Österreichische Patentamt am 19. April 1999 erstellt hat. In den fünf Auszügen, die jeweils eine ältere Marke betreffen, enthält das Feld Erloschen am keine Eintragung. Diese Unterlagen bestätigen daher die Gültigkeit der älteren Marken zum Zeitpunkt der Erstellung der Auszüge, d. h. am 19. April 1999. Aus den Auszügen ergibt sich ferner, dass die älteren Marken am 23. August 1973 (Marke Nr. 75 086), 15. März 1974 (Marke Nr. 76 640), 16. Mai 1977 (Marke Nr. 85 558), 22. Juli 1981 (Marke Nr. 97 370) und 10. September 1984 (Marke Nr. 106 849) eingetragen wurden.

43. In Ermangelung besonderer Angaben der Klägerin hat die Beschwerdekammer angenommen, dass die Dauer des Markenschutzes nach österreichischem Recht zehn Jahre ab ihrer Eintragung betrage. Wie sich aus den von den Parteien auf Bitte des Gerichts vorgelegten nationalen Rechtsvorschriften ergibt, war die Annahme des HABM zwar richtig, doch durfte sich das HABM, das eine auf den Bereich des geistigen Eigentums spezialisierte Gemeinschaftseinrichtung ist und daher über erhebliche Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt, bezüglich wesentlicher Tatsachen, die den Schutz der älteren Marken betreffen, nicht auf eine bloße Annahme beschränken. Die Beschwerdekammer hat nämlich erstens widersprüchlich gehandelt, indem sie sich einerseits auf einen angenommenen Zeitraum von zehn Jahren für den Schutz einer österreichischen Marke gestützt hat und es andererseits abgelehnt hat, diese Annahme bezüglich der Schutzdauer bei ihrer Beurteilung der Beweiskraft der von der Klägerin vorgelegten Registerauszüge vollständig zu berücksichtigen. Zweitens ergibt sich aus den Randnummern 31 bis 41 des vorliegenden Urteils, dass die Beschwerdekammer die Dauer des Markenschutzes in Österreich nach dem Recht dieses Staates hätte prüfen müssen.

44. Nach § 19 Absatz 1 des Markenschutzgesetzes 1970 endet die Schutzdauer einer österreichischen Marke zehn Jahre nach dem Ende des Monats, in dem die Marke registriert worden ist. Diese Dauer kann verlängert werden. Im Fall der Verlängerung ist die neue Schutzdauer, die ebenfalls zehn Jahre beträgt, ohne Rücksicht auf den Tag der tatsächlichen Erneuerung vom Ende der unmittelbar vorangegangenen Schutzdauer an zu berechnen.

45. Damit der Schutz erhalten blieb, musste somit jede der älteren Marken alle zehn Jahre verlängert werden. Der Umstand, dass, wie oben in Randnummer 42 dargestellt, alle älteren Marken am 19. April 1999 gültig waren, bedeutet, dass die Verlängerungen, die 1991 (Marke Nr. 97 370), 1993 (Marke Nr. 75 086), 1994 (Marke Nr. 76 640 und Marke Nr. 106 849) sowie 1997 (Marke Nr. 85 558) vorzunehmen waren, tatsächlich erfolgt sind. Das bedeutet aber auch, dass sich die Schutzdauer bei der Marke Nr. 75 086 bis zum 31. August 2003, bei der Marke Nr. 76 640 bis zum 31. März 2004, bei der Marke Nr. 85 558 bis zum 31. Mai 2007, bei der Marke Nr. 97 370 bis zum 31. Juli 2001 und bei der Marke Nr. 106 849 bis zum 30. September 2004 erstreckte.

46. Entgegen dem Vorbringen des HABM ermöglichten die von der Klägerin vorgelegten Auszüge es somit, den Zeitpunkt des Ablaufs des Schutzes der älteren Marken festzustellen und darüber hinaus zu dem Schluss zu gelangen, dass vier der fünf älteren Marken (ausgenommen ist die Marke Nr. 97 370) zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beschwerdekammer, also am 9. Juli 2003, gültig waren.

47. Dass die Auszüge zum Zeitpunkt ihrer Vorlage beim HABM über 29 Monate alt waren, ist nicht geeignet, diese Feststellung zu erschüttern. Zwar wäre es vorzuziehen gewesen, dass die Klägerin neuere Auszüge vorlegt, doch hängt die vorstehend in den Randnummern 45 bis 46 dargestellte Bewertung nicht vom Alter der Auszüge ab. Außerdem ist unstreitig, dass sich der Status der fünf älteren Marken zwischen der Erstellung der Auszüge und deren Vorlage nicht geändert hat. Im Übrigen hat der Patentanwalt der Klägerin, um diese zeitliche Lücke zu schließen, die bei der Vorlage amtlicher Dokumente unvermeidbar ist, den Auszügen seine Bescheinigung der Fortdauer der Gültigkeit der älteren Marken beigefügt.

48. Zurückzuweisen ist auch das Vorbringen des HABM, dass die Klägerin einschlägige Auszüge des österreichischen Rechts oder die Begleitschreiben des Österreichischen Patentamts zu den Eintragungsurkunden der älteren Marken hätte vorlegen können, um die Verlängerung der älteren Marken zu beweisen.

49. Wie oben in den Randnummern 31 bis 41 und 43 dargestellt worden ist, war die Klägerin nämlich nicht verpflichtet, von sich aus allgemeine Informationen zum österreichischen Markenrecht vorzulegen.

50. Die Begleitschreiben sind, legt man das vom HABM in der mündlichen Verhandlung beispielhaft zitierte Schreiben zugrunde, allgemein gefasst und geben lediglich die Bestimmungen des Markenschutzgesetzes 1970 über die Schutzdauer wieder. Die eventuelle Vorlage dieser Schreiben ist daher für den vorliegenden Fall irrelevant.

51. Was schließlich die vom HABM zitierte Rechtsprechung bezüglich der Verpflichtung zur Vorlage einer ausreichenden Übersetzung der Beweise und Belege (Beschluss SCALA) angeht, so verlangt der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens zwar, dass der andere am Widerspruchsverfahren Beteiligte in der Lage ist, in der Verfahrenssprache Kenntnis von den vom Antragsteller vorgelegten Beweisen zu nehmen, doch kann dieser Grundsatz nicht dahin ausgelegt werden, dass bereits diese Beweise allein es ihm ermöglichen müssten, die Gültigkeit älterer Marken ohne Hilfe eines Beistands oder Rückgriff auf allgemein zugängliche Informationsquellen außerhalb der vorgelegten Beweise festzustellen.

52. Der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes hat somit Erfolg.

53. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass es notwendig wäre, die vom HABM zur Stützung des ersten Teils des ersten Klagegrundes der Klägerin vorgetragenen Argumente heranzuziehen, und folglich ohne dass das Gericht über deren Zulässigkeit entscheiden müsste.

54. Da der Klage im Hinblick auf den ersten Klagegrund stattgegeben wird, sind die von der Klägerin hilfsweise vorgetragenen Klagegründe nicht zu prüfen.

Kosten

55. Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) vom 9. Juli 2003 (Sache R 95/2003-2) wird aufgehoben.

2. Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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