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Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 14.05.1998
Aktenzeichen: T-327/94
Rechtsgebiete: EG, VerfO, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, EMRK


Vorschriften:

EG Art. 85 Abs. 1
EG Art. 190
VerfO Art. 48 § 2 Abs. 1
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages Art. 15 Abs. 2
EMRK Art. 6 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

10 Steht fest, daß eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln begangen wurde, so ist der juristischen Person, die für den Betrieb des Unternehmens verantwortlich war, als die Zuwiderhandlung begangen wurde, dessen rechtswidriges Verhalten zuzurechnen. Solange diese juristische Person besteht, haftet ihr die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten des Unternehmens an, selbst wenn die materiellen und personellen Faktoren, die an der Begehung der Zuwiderhandlung beteiligt waren, später auf Dritte übergingen.

11 Die Begründung einer beschwerenden Entscheidung muß eine wirksame Überprüfung ihrer Rechtmässigkeit ermöglichen und dem Betroffenen die erforderlichen Hinweise geben, anhand deren er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist. Ob eine Begründung ausreicht, ist anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts der Maßnahme, der Art der vorgetragenen Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten an Erläuterungen haben können. Um diese Funktionen zu erfuellen, muß eine ausreichende Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, klar und unzweideutig wiedergeben.

Betrifft eine Entscheidung über die Anwendung von Artikel 85 oder 86 des Vertrages mehrere Adressaten und stellt sich die Frage, wem die Zuwiderhandlung zuzurechnen ist, so muß sie in bezug auf jeden Adressaten ausreichend begründet sein, insbesondere aber in bezug auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung in der Entscheidung zur Last gelegt wird. Führt ein Unternehmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission mehrere Gründe an, aus denen ihm die gerügte Zuwiderhandlung nicht zugerechnet werden könne, so muß die Entscheidung daher, um ihm gegenüber ausreichend begründet zu sein, eine eingehende Darstellung der Gründe enthalten, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, ihm die Zuwiderhandlung zuzurechnen.

12 Nach der durch die Artikel 85 ff. des Vertrages geschaffenen Wettbewerbsordnung kommt es auf die wirtschaftlichen Ergebnisse von Vereinbarungen oder ähnlichen Formen der Abstimmung oder Koordinierung an, nicht aber auf ihre Rechtsform. Bei ausser Kraft getretenen Kartellen reicht es folglich für die Anwendbarkeit von Artikel 85 des Vertrages aus, daß ihre Wirkungen über ihr formales Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen.

13 Bei der Bestimmung der Höhe der wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzusetzenden Geldbusse ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten. Zu den Gesichtspunkten, die als mildernde Umstände berücksichtigt werden können, gehört u. a. die Durchführung eines Programms zur Befolgung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft. Hat sich ein solches Programm aber als wirkungslos erwiesen, so braucht die Kommission es nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen.

14 Die Tatsache, daß sich ein Unternehmen, dessen Beteiligung an einer Preisabsprache mit seinen Konkurrenten erwiesen ist, auf dem Markt nicht in der mit ihnen vereinbarten Weise verhalten hat, ist bei der Bestimmung der Höhe der zu verhängenden Geldbusse nicht zwangsläufig als mildernder Umstand zu berücksichtigen. Ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen.

15 Bei der Bestimmung der Höhe der wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzusetzenden Geldbusse ist eine Herabsetzung der Geldbusse aufgrund einer Kooperation während des Verwaltungsverfahrens nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des beschuldigten Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden.

Insoweit kann bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, daß es die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestreite, davon ausgegangen werden, daß es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat. Die Kommission ist berechtigt, ein solches Verhalten in ihren Entscheidungen, in denen eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt wird, als Eingeständnis der behaupteten Tatsachen und damit als Beweis für die Begründetheit der fraglichen Behauptungen zu werten. Ein solches Verhalten kann daher eine Herabsetzung der Geldbusse rechtfertigen.

Etwas anderes gilt, wenn ein Unternehmen in seiner Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die darin aufgestellten Behauptungen der Kommission im wesentlichen bestreitet, wenn es überhaupt nicht antwortet oder wenn es nur erklärt, daß es zu den von der Kommission aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht Stellung nehme. Durch ein solches Verhalten während des Verwaltungsverfahrens trägt das Unternehmen nämlich nicht zur Erleichterung der Aufgabe der Kommission bei.

Da Bußgeldnachlässe nur dann als zulässig angesehen werden können, wenn die betreffenden Unternehmen ausdrücklich mitgeteilt haben, daß sie die Tatsachenbehauptungen nicht bestritten, kann ein Unternehmen, das sich nicht in dieser Weise verhalten hat, keinen Anspruch auf die Gewährung eines Nachlasses aufgrund der Kooperation während des Verwaltungsverfahrens erheben, denn selbst wenn man unterstellt, daß die Kommission ein rechtswidriges Kriterium angewandt hätte, indem sie die Geldbussen von Unternehmen herabsetzte, die ebenfalls keine solche ausdrückliche Mitteilung gemacht hatten, muß die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmässigen Handelns in Einklang gebracht werden, das besagt, daß sich niemand zu seinem Vorteil auf eine gegenüber anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann.

16 Die Höhe der Geldbusse wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft hängt von der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung ab. Dabei ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

Die Kommission darf bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Tatsache Rechnung tragen, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismässig häufig sind; es steht ihr daher frei, das Niveau der Geldbussen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen.

Im übrigen kann die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung die von den betreffenden Unternehmen zur Verschleierung der Absprache getroffenen Maßnahmen berücksichtigen.

Schließlich kann die Kommission bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen u. a. die lange Dauer und die Offenkundigkeit einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages berücksichtigen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission hätte darstellen müssen.

17 Bei der Bestimmung der Höhe der wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzusetzenden Geldbussen können zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung je nach den Umständen die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Grösse und die Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluß gehören, den es auf den Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, daß bei der Festsetzung der Geldbusse sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der - wenn auch nur annähernd und unvollständig - etwas über dessen Grösse und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes herangezogen werden darf, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, daß weder der einen noch der anderen dieser Umsatzzahlen eine im Verhältnis zu den anderen Beurteilungskriterien übermässige Bedeutung zugemessen werden darf und daß die Festsetzung der Geldbussen nicht das Ergebnis eines blossen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann.

Da zur Ermittlung des Verhältnisses zwischen den festzusetzenden Geldbussen auf den Umsatz der an derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen abzustellen ist, ist die Kommission berechtigt, die Geldbussen der einzelnen Unternehmen durch Anwendung des maßgeblichen Bußgeldsatzes auf einen für die betreffenden Unternehmen identischen Referenzumsatz zu berechnen, damit die erlangten Zahlen möglichst gut vergleichbar sind.

18 Die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen hat den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde.

Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbussen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

Ausserdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbussen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden.

Schließlich muß die Begründung einer Entscheidung in der Entscheidung selbst enthalten sein; nachträgliche Erläuterungen der Kommission können nur unter aussergewöhnlichen Umständen berücksichtigt werden.

Wenn die Kommission in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbussen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbussen heranzieht, muß sie diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbusse zu überprüfen und festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte erweiterte Kammer) vom 14. Mai 1998. - SCA Holding Ltd gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag - Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung - Geldbuße - Begründung - Mildernde Umstände. - Rechtssache T-327/94.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 - Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstössen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbussen festgesetzt.

2 Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten "GC", "GD" und "SBS" zugeordnet werden.

3 Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.

4 Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weisse Lage und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.

5 SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weissen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.

6 Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.

7 Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.

8 Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig Nachprüfungen vor.

9 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.

10 Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.

11 Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.

12 Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende Bestimmungen enthält:

"Artikel 1

Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard - the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH & Co. KG, Kartonfabriek "De Eendracht" NV (unter der Firma BPB de Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A., Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper & Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstossen, indem sie sich

- im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990,

- im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 und

- im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,

- in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,

an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft

- sich regelmässig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen;

- sich über regelmässige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten;

- gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten;

- sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;

- in zunehmendem Masse ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen;

- als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten.

...

Artikel 3

Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten Verstoß folgende Geldbussen festgesetzt:

...

xvi) gegen SCA Holding Limited eine Geldbusse in Höhe von 2 200 000 ECU;

..."

13 Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens "Produktgruppe Karton" (im folgenden: PG Karton).

14 Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens "Presidents' Working Group" (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der (etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.

15 Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern vorzunehmenden Preiserhöhungen gefasst.

16 Der PWG habe der "Präsidentenkonferenz" (PK) Bericht erstattet, an der (mehr oder weniger regelmässig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum zweimal pro Jahr getagt.

17 Ende 1987 sei das "Joint Marketing Committee" (JMC) eingesetzt worden. Die Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und, wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen.

18 Schließlich habe die "Wirtschaftliche Kommission" (WK) u. a. die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder - bis Ende 1987 - dessen Vorgänger, dem "Marketing Committee", über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr zusammengetreten.

19 Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zuerich (Schweiz) unterstützt wurden. In der Entscheidung heisst es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der FIDES regelmässig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefassten Daten erhalten.

20 Die Firma Reed Paper & Board Ltd (im folgenden: Reed P&B) war während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung Eigentümerin der Kartonfabrik Colthrop Mill (im folgenden: Colthrop).

21 Reed P&B war bis Juli 1988 eine Tochtergesellschaft der Reed International plc. Im Juli 1988 führte die Übernahme mehrerer Unternehmen des Reed-International-Konzerns durch deren Management zur Gründung der Reedpack Ltd (im folgenden: Reedpack) und zum Erwerb von Reed P&B durch Reedpack.

22 Im Juli 1990 übernahm der schwedische Konzern Svenska Cellulosa Aktiebolag (SCA) Reedpack und damit Reed P&B sowie mehrere Fabriken, darunter Colthrop. Der Firmenname von Reed P&B wurde erstmals am 1. Februar 1991 in SCA Aylesford Ltd (im folgenden: SCA Aylesford) und ein zweites Mal am 4. Februar 1992 in SCA Holding Ltd (im folgenden: SCA Holding) geändert.

23 Im Mai 1991 wurde Colthrop an die Field Group Ltd verkauft, die sie im Oktober 1991 an die Mayr-Melnhof AG weiterverkaufte. Zum letztgenannten Zeitpunkt war Colthrop bereits als Kapitalgesellschaft unter dem Namen Colthrop Board Mill Ltd eingetragen worden.

24 Der Entscheidung zufolge beteiligte sich Reed P&B insbesondere durch die Teilnahme an einigen Sitzungen des JMC und des PWG an der fraglichen Zuwiderhandlung. Darüber hinaus war die Kommission der Ansicht, daß SCA Holding nur eine andere Bezeichnung für SCA Aylesford und Reed P&B sei und daß es sich folglich um ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit handele; sie richtete die Entscheidung daher an SCA Holding (Randnrn. 155 ff. der Entscheidung).

Verfahren

25 Mit Klageschrift, die am 12. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

26 Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94).

27 Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

28 Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten Geldbusse haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt (verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).

29 Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

30 Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äussern sollten. In dieser Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen Verbindung einverstanden erklärt.

31 Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.

32 Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.

33 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen Ersuchen nachgekommen.

34 Die Parteien in den in Randnummer 30 genannten Rechtssachen haben in der Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

35 Die Klägerin beantragt,

- Artikel 1 und/oder Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Klägerin betreffen;

- hilfsweise, die in Artikel 3 gegen die Klägerin festgesetzte Geldbusse spürbar herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

36 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zulässigkeit einiger Klagegründe

37 In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen die Entscheidung Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung die Möglichkeit gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von ihnen in Betracht zu ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren Klageschriften die den gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden Klagegründe auch tatsächlich geltend gemacht haben.

38 Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller betreffenden Unternehmen vorgelegt worden ist, haben diese mitgeteilt, daß sie sechs Fragen im Rahmen gemeinsamer mündlicher Ausführungen behandeln wollten, darunter

a) die Beschreibung des Marktes und die fehlenden Auswirkungen des Kartells,

b) den Begriff der einheitlichen Zuwiderhandlung und die Anforderungen an die Beweise sowie

c) die Behauptung, daß es eine Absprache über die Mengenkontrolle gegeben habe.

39 Die Klägerin hat mit Telefax, das am 23. Juni 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, mitgeteilt, daß sie an allen gemeinsamen mündlichen Ausführungen teilnehmen werde. Dabei räumte sie ein, daß sie zu den drei oben genannten Fragen keine Klagegründe geltend gemacht habe, berief sich aber darauf, daß dieser Umstand sie nicht daran hindern könne, sich den betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anzuschließen. Sowohl in diesem Schreiben als auch in der Verhandlung führte sie aus, sie habe in ihrer Klageschrift weder die Existenz der verschiedenen Bestandteile der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung noch die Würdigung der Auswirkungen dieser Zuwiderhandlung durch die Kommission in Frage stellen können, da die Personen, die sie in dem angeblichen Kartell vertreten haben sollten, nicht mehr bei ihr beschäftigt seien. Erst als ihr der Inhalt der betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen bekannt geworden sei, habe sie daher von den Tatsachen erfahren, die ihr die Geltendmachung der entsprechenden Klagegründe ermöglichten.

40 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

41 Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall war die Klägerin nicht daran gehindert, in ihrer Klageschrift die in der Entscheidung enthaltenen rechtlichen und tatsächlichen Behauptungen anzufechten, und sie hat keinen bestimmten erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder tatsächlichen Grund angeführt, der neue Angriffsmittel rechtfertigen könnte.

42 Daher sind die Klagegründe, auf die sich die Klägerin erstmals in ihrem Telefax vom 23. Juni 1997 berufen hat, für unzulässig zu erklären.

Begründetheit

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Artikel 1 und 3 der Entscheidung

A - Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß SCA Holding nicht die richtige Adressatin der Entscheidung sei

Vorbringen der Parteien

43 Die Klägerin macht geltend, das Verhalten von Colthrop habe ihr nicht zugerechnet werden dürfen, so daß sie nicht die richtige Adressatin der Entscheidung sei.

44 Zunächst seien nach dem Verkauf von Colthrop im Mai 1991 und der Änderung des Firmennamens von Reed P&B in SCA Aylesford Ltd und dann in SCA Holding Ltd Umstrukturierungen bei den Tätigkeiten des SCA-Konzerns im Vereinigten Königreich vorgenommen worden, aufgrund deren SCA Holding, die Klägerin, zur Holdinggesellschaft geworden sei.

45 Zweitens sei Colthrop als das vom Verfahren betroffene Unternehmen anzusehen. Sie sei schon von jeher und immer noch eine "erkennbar gesonderte wirtschaftliche Einheit", die ein "eigenes Nutzenzentrum" bilde und von der Zuwiderhandlung betroffen sei (vgl. Randnrn. 97 bis 102 der Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/31.149 - Polypropylen, ABl. L 230, S. 1; im folgenden: Polypropylen-Entscheidung]), oder eine "organisatorische Zusammenfassung von personellen und sachlichen Mitteln..., mit denen auf Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird" (Bekanntmachung 90/C 203/06 der Kommission über Konzentrations- und Kooperationstatbestände nach der Verordnung [EWG] Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1990, C 203, S. 10).

46 Daß Colthrop eine selbständige Stellung gehabt habe, die sie befähigt habe, gegen das Wettbewerbsrecht zu verstossen, ergebe sich im einzelnen daraus, daß a) Colthrop die einzige im Kartonsektor tätige Einheit jedes der Konzerne gewesen sei, zu denen die Klägerin während des maßgeblichen Zeitraums nacheinander gehört habe, b) die organisatorische Struktur von Colthrop ihre Selbständigkeit unterstrichen habe, und c) Colthrop gegenüber Dritten als selbständige Einheit aufgetreten sei. Colthrop sei später mit den gleichen Aktiva, dem gleichen Personal und dem gleichen Leiter (Herrn Dalgleish) in eine Gesellschaft, die Colthrop Board Mill Ltd, umgewandelt worden. Ausserdem seien die organisatorischen Verbindungen zwischen Colthrop und Reed P&B nie so eng gewesen, wie die Kommission behaupte.

47 Auf die Selbständigkeit von Colthrop habe der Erwerb von Reedpack durch den SCA-Konzern keinen Einfluß gehabt. Einige Aktiva von Reedpack, darunter Colthrop, hätten SCA nicht interessiert, was den Weiterverkauf von Colthrop im Mai 1991 erkläre. Auch in der Zeit, in der Colthrop im Besitz von SCA gewesen sei, habe SCA nicht in die Geschäftsführung von Colthrop eingegriffen.

48 Drittens hätte die Entscheidung, da Colthrop als das betroffene Unternehmen anzusehen sei, an die Colthrop Board Mill Ltd als Nachfolgerin dieses Unternehmens gerichtet werden müssen. Nach dem materiellen Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft sei der Begriff des "Unternehmens" maßgebend, und die Rechtspersönlichkeit solle nur insoweit von Bedeutung sein, als aus praktischen Gründen zur Erleichterung der Vollstreckbarkeit die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Entscheidung an eine rechtsfähige Einheit zu richten und die Geldbusse gegen diese zu verhängen seien. Auch wenn es zutreffe, daß die Kommission aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit von Colthrop zur maßgeblichen Zeit berechtigt gewesen sei, eine juristische Person zu bestimmen, der die Zuwiderhandlung zum Zweck der Vollstreckung der Entscheidung zugerechnet werden könne, werfe die vorliegende Sache doch ein Problem der Rechtsnachfolge auf, weil Colthrop, das betroffene Unternehmen, nach der Zuwiderhandlung, aber vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit geworden sei, die in wirtschaftlicher und funktioneller Hinsicht der Nachfolger von Colthrop sei.

49 In einem solchen Fall müsse die Frage der Rechtsnachfolge dadurch gelöst werden, daß man das betreffende Unternehmen über die verschiedenen Übertragungen und Umorganisationen hinweg verfolge, falls nicht erwiesen sei, daß sich der frühere Eigentümer unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt habe. Dies gehe indirekt aus der Erwägung im Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89 (Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623, Randnr. 55) und in der Polypropylen-Entscheidung (bezueglich der Verhängung einer Geldbusse gegen Statoil) hervor, daß das Unternehmen, das tatsächlich am Kartell beteiligt gewesen sei, nicht ohne Geldbusse davonkommen dürfe.

50 Viertens hätte die Entscheidung auch dann, wenn Colthrop nicht das von der Zuwiderhandlung betroffene Unternehmen sei, nicht an die Klägerin gerichtet werden dürfen. In der Entscheidung 84/388/EWG der Kommission vom 23. Juli 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/30.988 - Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Flachglassektor in den Benelux-Ländern, ABl. L 212, S. 13) sei davon ausgegangen worden, daß eine Muttergesellschaft, die zwei Unternehmen erworben habe, nicht die Zeit gehabt habe, zwischen dem Zeitpunkt ihres Erwerbs und der Beendigung der Zuwiderhandlung (fünf Monate) die volle Kontrolle über sie zu erlangen. Aus den gleichen Gründen hätte die Kommission die Entscheidung nicht an die Klägerin richten dürfen.

51 Hilfsweise macht die Klägerin geltend, die Kommission sei irrtümlich davon ausgegangen, daß Reed P&B das Unternehmen gewesen sei, denn diese sei nach ihrem Erwerb durch SCA umorganisiert worden und nur noch eine Zwischengesellschaft ohne Autonomie hinsichtlich ihrer Geschäftsstrategie und ohne Kontrolle über ihre Aktiva gewesen. Die Kommission hätte daher prüfen müssen, ob die Verantwortung für die Handlungen von Colthrop die Konzernspitze treffe, die mehrfach gewechselt habe. Die Kommission hätte daher jedenfalls die Verantwortung auf Reed International plc, Reedpack und SCA verteilen müssen, bei letzterer allerdings beschränkt auf die Zeit von Juli bis November 1990.

52 Schließlich nehme die Kommission zu Unrecht an, daß Reed P&B und SCA Holding dasselbe Unternehmen seien, denn SCA Holding könne im Hinblick darauf, daß sie nur mittelbar (über eine Tochtergesellschaft) eine der sechs ursprünglich im Besitz von Reed P&B befindlichen Kartonfabriken kontrolliere, nicht als dasselbe Unternehmen wie Reed P&B angesehen werden. Die Kommission stütze ihre Feststellung, daß Reed P&B und SCA Holding dasselbe Unternehmen seien, nur auf ihren Sitz und die Registrierungsnummer. Auf solche rein formalen Gesichtspunkte könne aber die Ermittlung eines Unternehmens nicht gestützt werden.

53 Die Kommission hält das Vorbringen der Klägerin für unbegründet, da die Entscheidung an das Unternehmen und die Gesellschaft gerichtet worden sei, die die Zuwiderhandlung begangen hätten. Wenn eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festgestellt werde, müsse die hierfür verantwortliche juristische Person ermittelt werden, denn nur diese könne Adressat einer Entscheidung sein, mit der Geldbussen verhängt würden. Im vorliegenden Fall sei Reed P&B die für die Zuwiderhandlung verantwortliche juristische Person und habe deshalb für sie einzustehen.

54 Reed P&B als betroffenes Unternehmen habe in ihrem Werk Colthrop Karton hergestellt, wobei Colthrop während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung und auch nach dem Erwerb von Reed P&B durch den SCA-Konzern nur ein Vermögenswert gewesen sei, der zunächst Reed P&B, dann SCA Aylesford und schließlich SCA Holding gehört habe.

55 In diesem Zusammenhang sei darauf zu verweisen, daß zwei Personen, die an den Erörterungen in der PK und im JMC teilgenommen hätten, dies nicht als Vertreter der Kartonfabrik Colthrop, sondern von Reed P&B getan hätten.

56 Ausserdem habe Reed P&B, nachdem sie als Teil der Reedpack-Gruppe vom SCA-Konzern übernommen worden sei, weiterhin am gleichen Ort mit dem gleichen Personal das gleiche Produkt hergestellt, wobei einige Angehörige von SCA auf Geschäftsführungs- und Vorstandsebene hinzugekommen seien. Reed P&B habe dann nur im Februar 1991 in SCA Aylesford Ltd und am 4. Februar 1992 in SCA Holding Ltd umfirmiert, doch habe es sich stets um die gleiche Gesellschaft gehandelt, denn SCA Holding habe die gleiche Anschrift und die gleiche Registrierungsnummer wie Reed P&B und SCA Aylesford.

57 Der Verkauf des in der Kartonfabrik Colthrop bestehenden Vermögenswerts und ihre spätere Umwandlung in eine Gesellschaft änderten nichts daran, daß Reed P&B als das Unternehmen und die Gesellschaft zu betrachten sei, die die Zuwiderhandlung begangen hätten. Wie in Randnummer 156 der Entscheidung ausgeführt, müsse zwischen juristischen Personen und blossen Vermögenswerten unterschieden werden; dies habe das Gericht im Urteil Enichem Anic/Kommission (Randnrn. 236 bis 240) bestätigt.

58 Entgegen der Auffassung der Klägerin werfe der vorliegende Fall kein Problem der Rechtsnachfolge auf.

59 Auch wenn die Kommission die Entscheidung an den neuen Eigentümer der Kartonfabrik hätte richten können, bedeute dies keineswegs, daß sie es nicht habe vorziehen können, die Entscheidung an Reed P&B, nunmehr SCA Holding, zu richten. Falls nämlich Colthrop als betroffenes Unternehmen angesehen werden könnte, würde dies lediglich bedeuten, daß die Kommission bezueglich des Adressaten der Entscheidung ein Wahlrecht gehabt hätte (vgl. Urteil des Gerichts vom 1. April 1993 in der Rechtssache T-65/89, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1993, II-389, bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 6. April 1995 in der Rechtssache C-310/93 P, Slg. 1995, I-865).

60 Schließlich seien die Ausführungen der Klägerin zur Autonomie von Colthrop, die nicht einmal den Tatsachen entsprächen, unerheblich.

Würdigung durch das Gericht

61 Es steht fest, daß in der Fabrik von Colthrop Karton hergestellt wurde und daß diese Fabrik im gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung zunächst Reed P&B, dann SCA Aylesford Ltd und schließlich SCA Holding gehörte.

62 Sodann ist festzustellen, daß Reed P&B, SCA Aylesford Ltd und SCA Holding (die Klägerin) die von derselben juristischen Person nacheinander geführten Firmennamen sind.

63 Unter den Umständen des vorliegenden Falles stellen sich daher keine Fragen der Rechtsnachfolge. Nach der Rechtsprechung des Gerichts (Urteil Enichem Anic/Kommission, Randnrn. 236 bis 238) ist der juristischen Person, die für den Betrieb des Unternehmens verantwortlich war, als die Zuwiderhandlung begangen wurde, dessen rechtswidriges Verhalten zuzurechnen. Solange diese juristische Person besteht, haftet ihr die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten des Unternehmens an, selbst wenn die materiellen und personellen Faktoren, die an der Begehung der Zuwiderhandlung beteiligt waren, später auf Dritte übergingen.

64 Die Kommission hat die Entscheidung daher zu Recht an die juristische Person gerichtet, die für das im Zeitraum der Zuwiderhandlung festgestellte wettbewerbswidrige Verhalten verantwortlich war und die bis zum Erlaß der Entscheidung fortbestand.

65 Selbst wenn man unterstellt, daß Colthrop als Unternehmen im Sinne von Artikel 85 des Vertrages angesehen werden könnte und daß dieses Unternehmen zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung im Eigentum der juristischen Person Colthrop Board Mill Ltd stand, könnte das Vorbringen der Klägerin folglich allenfalls darauf hinauslaufen, daß die Kommission hinsichtlich des Adressaten der Entscheidung eine Wahlmöglichkeit hatte. Die von der Kommission getroffene Wahl kann unter solchen Umständen nicht mit Erfolg in Frage gestellt werden.

66 Ausserdem stand Reed P&B auf der Mitgliederliste der PG Karton.

67 Gemäß Randnummer 143 der Entscheidung hat die Kommission diese aber grundsätzlich an die in der Mitgliederliste der PG Karton genannte Firma gerichtet, ausgenommen folgende Fälle:

"1. War mehr als ein Unternehmen eines Konzerns an dem Verstoß beteiligt oder

2. [lagen] ausdrückliche Beweise dafür vor, daß die Muttergesellschaft oder der Konzern in die Kartellteilnahme der Tochtergesellschaft verwickelt war,

so war der (von der Muttergesellschaft vertretene) Konzern der Adressat."

68 Da nach Ansicht der Kommission keine dieser beiden Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem in Randnummer 143 aufgestellten Grundsatz vorlag, war sie berechtigt, die Entscheidung nicht an die Gesellschaften zu richten, die nacheinander die Muttergesellschaften von Reed P&B/SCA Aylesford/SCA Holding waren.

69 Der vorliegende Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

B - Zum Klagegrund einer unzureichenden oder falschen Begründung für die Einstufung von Reed P&B als betroffenes Unternehmen und SCA Holding als Adressatin der Entscheidung

Vorbringen der Parteien

70 Die Klägerin weist darauf hin, daß das Gericht im Urteil vom 28. April 1994 in der Rechtssache T-38/92 (AWS Benelux/Kommission, Slg. 1994, II-211, Randnr. 26) ausgeführt habe, daß eine gemäß den Artikeln 85 und 86 des Vertrages erlassene Entscheidung, die sich an mehrere Adressaten richte und bei der sich die Frage stelle, wem die Zuwiderhandlung zuzurechnen sei, in bezug auf jeden Adressaten und insbesondere in bezug auf diejenigen, gegen die Geldbussen verhängt würden, klar begründet sein müsse.

71 Der vorliegende Fall sei ähnlich gelagert wie die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, weil die Klägerin im Verfahren vor der Kommission energisch bestritten habe, der richtige Adressat der Entscheidung zu sein. Die Kommission habe sich indessen im vorliegenden Fall entschlossen, nicht an die bei der Begehung der Zuwiderhandlung verwendeten Vermögenswerte anzuknüpfen, sondern der juristischen Person, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihr unmittelbarer Besitzer gewesen sei, die Verantwortung aufzuerlegen. Diese Wahl des Adressaten sei allein auf Zweckmässigkeitserwägungen gestützt worden.

72 Darüber hinaus habe die Kommission ihre Feststellung, daß Reed P&B das betroffene Unternehmen sei, allein darauf gestützt, daß sie auf der Mitgliederliste der PG Karton stehe. Dies genüge aber nicht den Anforderungen an eine angemessene Begründung.

73 Der Vergleich, den die Kommission in Randnummer 155 der Entscheidung zum Fall von MoDo/Iggesund gezogen habe, gehe fehl, da Colthrop nicht mehr zum SCA-Konzern gehöre und ihm nur einige Monate angehört habe, während Iggesund seit 1989 zum MoDo-Konzern gehöre. Diese beiden Fälle seien daher entgegen den Angaben in der Entscheidung keineswegs vergleichbar.

74 Die Entscheidung sei auch hinsichtlich der Behauptung, daß SCA Holding der wirtschaftliche Nachfolger von Reed P&B sei, unzureichend begründet. Die Kommission stütze sich hierbei allein darauf, daß SCA Holding gegenwärtig die Aktien zweier Gesellschaften halte, auf die ein Teil der Aktiva von Reed P&B übergegangen sei. Ausserdem komme es nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663) auf die Kontinuität zwischen dem betroffenen Unternehmen und seinem Nachfolger an, bei dem es sich im vorliegenden Fall um Colthrop Board Mill Ltd handele.

75 Nach Randnummer 145 der Entscheidung hafte eine Muttergesellschaft oder eine Gruppe, die an dem Verstoß beteiligt gewesen sei und eine Tochtergesellschaft an ein anderes Unternehmen übertrage, für die Zeit bis zur Übertragung für diese Tochtergesellschaft. Aus der Entscheidung gehe jedoch nicht hervor, weshalb sie nicht im Einklang mit diesen Erwägungen an Reed International als die eigentliche Eigentümerin von Colthrop bis Juli 1988 gerichtet worden sei.

76 Schließlich habe die Kommission nach den Angaben in Randnummer 143 der Entscheidung beschlossen, die Entscheidung an die in der Mitgliederliste der PG Karton genannten Firmen zu richten, sofern nicht "ausdrückliche Beweise dafür vor[lagen], daß die Muttergesellschaft oder der Konzern in die Kartellteilnahme der Tochtergesellschaft verwickelt war"; in diesem Fall sei die Entscheidung an die Muttergesellschaft gerichtet worden. Obwohl die Kommission gegen SCA kein Verfahren eingeleitet habe, behaupte sie weiterhin ohne konkrete Beweise, daß SCA an der Geschäftsführung von Colthrop beteiligt gewesen sei. Wenn die Kommission der Ansicht sei, daß SCA an der Geschäftsführung von Colthrop beteiligt gewesen sei, hätte sie dies in der Entscheidung eingehender prüfen müssen, um genau zu ermitteln, welches das betroffene Unternehmen sei.

77 Die Kommission ist der Ansicht, daß sie in den Randnummern 155 bis 157 der Entscheidung die Gründe, aus denen SCA Holding die richtige Adressatin der Entscheidung sei, eingehend dargelegt habe. Die in der Entscheidung gegebene Begründung laute im wesentlichen, daß SCA Holding nur der neue Name von Reed P&B sei.

Würdigung durch das Gericht

78 Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung einer beschwerenden Entscheidung eine wirksame Überprüfung ihrer Rechtmässigkeit ermöglichen und dem Betroffenen die erforderlichen Hinweise geben, anhand deren er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist. Ob eine Begründung ausreicht, ist anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts der Maßnahme, der Art der vorgetragenen Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten an Erläuterungen haben können. Um diese Funktionen zu erfuellen, muß eine ausreichende Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, klar und unzweideutig wiedergeben. Betrifft eine Entscheidung über die Anwendung von Artikel 85 oder 86 des Vertrages wie im vorliegenden Fall mehrere Adressaten und stellt sich die Frage, wem die Zuwiderhandlung zuzurechnen ist, so muß sie in bezug auf jeden Adressaten ausreichend begründet sein, insbesondere aber in bezug auf diejenigen, denen die Zuwiderhandlung in der Entscheidung zur Last gelegt wird (vgl. u. a. Urteil AWS Benelux/Kommission, Randnr. 26).

79 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission unstreitig mehrere Gründe angeführt, aus denen ihr die gerügte Zuwiderhandlung nicht zugerechnet werden könne.

80 Daraus folgt, daß die angefochtene Entscheidung, um in bezug auf die Klägerin ausreichend begründet zu sein, eine eingehende Darstellung der Gründe enthalten musste, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, der Klägerin die Zuwiderhandlung zuzurechnen.

81 Da die Einwände der Klägerin speziell die Randnummern 155 bis 157 der Entscheidung betreffen, ist zu prüfen, ob diese Randnummern eine ausreichende Begründung enthalten.

82 Randnummer 155 Absatz 1 lautet: "Die Übernahme von Reedpack PLC - der eigentlichen Eigentümerin des Colthrop-Kartonwerks - durch die schwedische Forstproduktgruppe SCA gibt hinsichtlich des in Randnummer 143 beschriebenen Konzepts [siehe oben, Randnr. 67] kein besonderes Problem auf."

83 In Randnummer 155 Absatz 2 führt die Kommission aus, daß Reed P&B auf der Mitgliederliste der PG Karton gestanden habe.

84 In Randnummer 156 Absatz 1 gibt sie sodann folgende Erläuterung:

"Zwischen Reed Paper & Board (UK) Ltd, SCA Aylesford Ltd und SCA Holding Ltd besteht eine deutliche Unternehmenskontinuität, da es sich um ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit unter verschiedenen Namen handelt. Die Tatsache, daß das Colthrop-Werk im Mai 1991 veräussert wurde, berührte nicht die Existenz der SCA Holding Ltd. Die Verantwortung für die Kartellteilnahme geht nicht mit dem Colthrop-Werk über, das nur einen ihrer Aktivposten bildete..."

85 Zur Stützung ihrer Behauptung nimmt sie (in dieser Randnummer) auf das Urteil Enichem Anic/Kommission (Randnrn. 236 bis 240) Bezug; diese Bezugnahme ist geeignet, ihre Vorgehensweise klarzustellen.

86 In Anbetracht dieser Angaben in der Entscheidung hat die Kommission die Gründe, die sie dazu veranlassten, die Entscheidung an die Klägerin zu richten, nach Ansicht des Gerichts hinreichend dargelegt.

87 Die Randnummern 155 bis 157 der Entscheidung enthalten ferner eine Zusammenfassung der Haupteinwände der Klägerin hinsichtlich der Identität des Unternehmens, dem die Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, und die Antworten der Kommission auf diese Einwände.

88 Aus diesen Randnummern geht klar hervor, daß die Kommission das Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren geprüft und gewürdigt hat.

89 Das Vorliegen einer ausreichenden Begründung kann daher in bezug auf dieses Vorbringen nicht in Frage gestellt werden.

90 Soweit schließlich mit dem oben in den Randnummern 73 bis 76 dargestellten Vorbringen der Klägerin nur die Stichhaltigkeit der Gründe in Abrede gestellt werden soll, die die Kommission dazu veranlassten, die Entscheidung an die Klägerin zu richten, überschreitet ihre Prüfung die im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes vorzunehmende Würdigung. Folglich ist dieses Vorbringen unerheblich.

91 Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

C - Zum Klagegrund eines Fehlers hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

92 Die Klägerin macht geltend, daß jede Teilnahme von Colthrop an den Sitzungen der einzelnen Gremien der PG Karton und an deren Tätigkeiten Ende November 1990 geendet habe, als SCA sich einer möglichen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft durch dieses Gremium bewusst geworden sei (vgl. auch Randnr. 157, letzter Satz, der Entscheidung). Die Kommission müsse daher ihre Behauptung beweisen, daß sich die Zuwiderhandlung auch nach diesem Zeitpunkt weiterhin ausgewirkt habe (Urteil Enichem Anic/Kommission, Randnrn. 90 bis 100). Sie habe indessen nicht den geringsten Beweis für diese Behauptung geliefert und stelle nur unbestätigte Spekulationen an.

93 Die Klägerin wendet sich insbesondere gegen die Behauptung der Kommission, daß Colthrop eine im Oktober 1990 beschlossene und zwischen Januar und April 1991 vorzunehmende Preiserhöhung durchgeführt habe. Die wirklichen Preise von Colthrop Anfang 1991 seien dieser Preiserhöhung weder dem Betrag nach noch im zeitlichen Ablauf gefolgt. Ende Oktober 1990 habe Colthrop eine Erhöhung von 40 UKL/t angekündigt, die Ende Januar 1991 habe eintreten sollen. Tatsächlich sei diese Erhöhung für die grössten Kunden bis 1. März oder 1. April 1991 hinausgeschoben worden. Colthrop habe daher einseitig und unabhängig den Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Preiserhöhung geändert. Ausserdem sei diese wegen einer Kostensteigerung und einer Verbesserung des Erzeugnisses gerechtfertigt gewesen.

94 Die Kommission ist der Auffassung, bei der Ermittlung der Dauer der Zuwiderhandlung zu Recht davon ausgegangen zu sein, daß diese bis zur Beendigung des Gesamtkartells weiterhin Wirkungen entfaltet habe.

Würdigung durch das Gericht

95 Nach der durch die Artikel 85 ff. des Vertrages geschaffenen Wettbewerbsordnung kommt es auf die wirtschaftlichen Ergebnisse von Vereinbarungen oder ähnlichen Formen der Abstimmung oder Koordinierung an, nicht aber auf ihre Rechtsform. Bei ausser Kraft getretenen Kartellen reicht es folglich für die Anwendbarkeit von Artikel 85 aus, daß ihre Wirkungen über ihr formales Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 243/83, Binon, Slg. 1985, 2015, Randnr. 17).

96 Im vorliegenden Fall bestreitet die Klägerin nicht, daß sie sich im Oktober 1990, als auch von ihr die letzte abgestimmte Preiserhöhung angekündigt wurde (vgl. Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung), am Kartell beteiligte.

97 In bezug auf die tatsächliche Durchführung dieser Erhöhung, die ab Januar 1991 gelten sollte, teilte die Klägerin der Rechtsabteilung der Muttergesellschaft des SCA-Konzerns mit Schreiben vom 23. Januar 1991 folgendes mit:

"Wir haben eine Preiserhöhung um 40 £/Tonne ab Ende Januar 1991 angekündigt. Dies stieß auf starken Widerstand, und wir befürchteten, daß sie erheblich verzögert oder geringer ausfallen würde. Wir wissen jetzt, daß die meisten unserer Kunden die Erhöhung ab dem vorgesehenen Zeitpunkt bezahlen werden; bei einigen Großkunden wird sich dies bis 1. März/1. April verzögern. Dies ist jedoch besser, als bis vor kurzem angenommen."

98 Dies zeigt eindeutig, daß sich die Klägerin bemühte, die tatsächliche Durchführung der im Oktober 1990 angekündigten abgestimmten Preiserhöhung zum vereinbarten Zeitpunkt sicherzustellen. Da sich die Klägerin auf dem Markt vereinbarungsgemäß verhielt, bestanden die Wirkungen des Kartells somit in bezug auf sie über November 1990, als sie die Teilnahme an den Sitzungen der Gremien der PG Karton einstellte, hinaus fort.

99 Da sich die von den Unternehmen vereinbarte Höhe der Listenpreise im April 1991 - dem Monat, in dem Beamte der Kommission in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen Nachprüfungen gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 17 vornahmen - noch nicht geändert hatte, wurde dieser Monat zu Recht als Zeitpunkt der Beendigung der von der Klägerin begangenen Zuwiderhandlung angesehen.

100 Demnach ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbusse

A - Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die Kommission mehrere besondere Umstände zu Unrecht nicht berücksichtigt habe

101 Die Klägerin beruft sich auf eine Reihe von Umständen, die ihrer Ansicht nach bei der Ermittlung der Höhe der gegen sie festgesetzten Geldbusse als mildernde Umstände hätten berücksichtigt werden müssen. Im vorliegenden Fall ist jeder dieser Umstände gesondert zu prüfen.

Zum Einwand, daß Colthrop nur einen geringen Teil der vom SCA-Konzern erworbenen Reedpack-Unternehmen dargestellt habe und nicht wirklich in den SCA-Konzern eingegliedert worden sei

102 Die Klägerin trägt vor, Colthrop habe nur einen geringen Teil der vom SCA-Konzern erworbenen Reedpack-Unternehmen dargestellt, da auf sie nur 2,3 % des Umsatzes von Reedpack entfallen seien. Ausserdem habe der SCA-Konzern beabsichtigt, Colthrop weiterzuverkaufen, und dies 1991 auch getan. Vor der Übernahme von Reedpack habe kein Vertreter des Konzerns dieses Unternehmen auch nur besucht. Schließlich sei es aufgrund der schlechten Ergebnisse von Colthrop schwierig gewesen, das Unternehmen zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen.

103 Diese Gesichtspunkte seien im Hinblick auf zwei Kriterien relevant, die die Kommission gemäß Randnummer 169 der Entscheidung angeblich herangezogen habe, und zwar die Stellung des betreffenden Unternehmens und die Rolle, die jedes Unternehmen gespielt habe. Sie belegten die geringe Grösse von Colthrop, das mangelnde Interesse von SCA und der Klägerin am Kartongeschäft und ihre fehlende Mitwirkung daran.

104 Nach Ansicht des Gerichts wurde der Klägerin die festgestellte Zuwiderhandlung jedoch zu Recht zugerechnet.

105 Was die geringe Grösse von Colthrop anbelangt, so wurde die festgesetzte Geldbusse anhand des Umsatzes berechnet, den die Klägerin im Jahr 1990 über die Kartonfabrik Colthrop auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielte. Folglich hat die Kommission bei der Festlegung der Höhe der Geldbusse die Wirtschaftskraft der Klägerin auf dem betreffenden Markt berücksichtigt.

106 Zum Vorbringen, daß die Kartonbranche und insbesondere die Kartonfabrik Colthrop für den SCA-Konzern nicht von Interesse gewesen seien, genügt die Feststellung, daß die Kommission das Vorliegen eines vorsätzlichen Verstosses der Klägerin gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages tatsächlich nachgewiesen hat. Im übrigen ist die Frage, ob die Kartonbranche für den SCA-Konzern von Interesse war, unerheblich, da sich die Entscheidung nicht an den SCA-Konzern richtet und ihm darin nicht vorgeworfen wird, in seiner Eigenschaft als Muttergesellschaft der Klägerin in die festgestellte Zuwiderhandlung verwickelt gewesen zu sein.

107 Dem Einwand der Klägerin kann daher nicht gefolgt werden.

Zum Einwand, daß der SCA-Konzern nicht an der Geschäftsführung von Colthrop und an den angeblichen Zuwiderhandlungen beteiligt gewesen sei

108 Die Klägerin wiederholt die Argumente, die sie im Rahmen des ersten Klagegrundes vorgetragen hat, um nachzuweisen, daß SCA nicht an der Geschäftsführung von Colthrop beteiligt gewesen sei. Diese fehlende Beteiligung der Muttergesellschaft hätte berücksichtigt werden müssen, da die Belastung durch die Geldbusse sie und nicht die Klägerin als blosse Holdinggesellschaft treffe.

109 Dem kann nicht gefolgt werden. Da die Zuwiderhandlung der Klägerin zu Recht zugerechnet wurde, spielt es bei der Ermittlung der Höhe der Geldbusse keine Rolle, ob der SCA-Konzern an der Geschäftsführung von Colthrop beteiligt war und ob die eigentliche Muttergesellschaft des Konzerns von der Zuwiderhandlung wusste.

110 Dieser Einwand ist daher zurückzuweisen.

Zum Einwand, daß die von Colthrop begangene Zuwiderhandlung im November 1990 geendet habe

111 Die Klägerin wiederholt, daß die Teilnahme von Colthrop an den Sitzungen der verschiedenen Gremien der PG Karton im November 1990 geendet habe (siehe oben, Randnrn. 92 ff.). Colthrop habe sich daher nicht von der Anfang 1991 vom Kartell angekündigten Preiserhöhung zu "distanzieren" brauchen, da sie ihm zu diesem Zeitpunkt nicht angehört habe.

112 Insoweit braucht nur darauf hingewiesen zu werden, daß die Klägerin zu Recht als Teilnehmerin an der festgestellten Zuwiderhandlung bis April 1991 angesehen wurde (siehe oben, Randnrn. 95 ff.).

113 Der vorliegende Einwand ist daher zurückzuweisen.

Zum Einwand, mit dem die mangelnde Berücksichtigung der vom SCA-Konzern verfolgten strikten Politik der Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht gerügt wird

114 Die Klägerin führt aus, SCA verfolge seit 1988 eine strikte Politik der Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht. An den wichtigsten Standorten des Konzerns in Europa seien mehrere Informationsveranstaltungen durchgeführt worden, um den Mitarbeitern diese Politik zu erläutern. Unter diesen Umständen könne die Klägerin für das einem anderen Unternehmen zur Last gelegte Verhalten, das den Bemühungen von SCA zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft klar zuwiderlaufe, nicht verantwortlich gemacht werden.

115 Die Kommission weist u. a. darauf hin, daß sich das fragliche Befolgungsprogramm als wirkungslos erwiesen habe, da nichts geschehen sei, um die Fortsetzung der Zuwiderhandlung zu verhindern.

116 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluß des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54). Zu den Gesichtspunkten, die als mildernde Umstände berücksichtigt werden können, gehört u. a. die Durchführung eines Befolgungsprogramms (vgl. hierzu das Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549, Randnr. 93).

117 Im vorliegenden Fall macht die Klägerin zwar geltend, daß sie die Teilnahme an den Sitzungen der PG Karton sofort eingestellt habe, als ihr im Anschluß an die Beschwerde der BPIF der mögliche Verstoß gegen Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bewusst geworden sei (vgl. Randnr. 163 Absatz 2 der Entscheidung); dennoch hat die Kommission zutreffend festgestellt, daß die Zuwiderhandlung bis April 1991 fortdauerte (siehe oben, Randnrn. 95 ff.).

118 Da sich das angesprochene Befolgungsprogramm somit als wirkungslos erwies, brauchte die Kommission es nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen.

119 Der Einwand der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

Zum Einwand einer Nichtberücksichtigung der Tatsache, daß Colthrop nur ein ganz untergeordnetes Mitglied der PG Karton gewesen sei - Vorbringen der Parteien

120 Die Klägerin macht im einzelnen folgendes geltend:

- Colthrop habe nicht zu den "Anführern" gehört und sei zu klein gewesen, um von ihnen als wichtig angesehen zu werden;

- Colthrop sei ein kleiner Hersteller gewesen, der lediglich GD-Karton produziert habe; die Kommission räume ein, daß die Absprache bei dieser Sorte weniger erfolgreich gewesen sei;

- Colthrop habe nie an Sitzungen des PWG teilgenommen;

- Colthrop werde in den von der Kommission angeführten Schriftstücken nur sehr selten erwähnt;

- Colthrop sei nicht Mitglied der Paper Agents' Association gewesen, die die Zuwiderhandlungen auf nationaler Ebene umgesetzt haben solle (Randnrn. 94 bis 99 der Entscheidung);

- Colthrop habe im Gegensatz zu den anderen Herstellern nach der Veröffentlichung der Beschwerde Ende November 1990 nicht mehr an Sitzungen der PG Karton teilgenommen;

- Colthrop gehöre nicht zu den Unternehmen, die beschuldigt würden, am System der Mengenkontrolle beteiligt gewesen zu sein.

121 Ausserdem habe die Kommission beschlossen, die Entscheidung nicht an eine Reihe von Unternehmen zu richten, die (bezogen auf den Kartonumsatz in der Gemeinschaft) bedeutender als Colthrop und für das Kartell vielleicht nicht weniger wichtig als Colthrop seien. Unter diesen Umständen sei nicht auszuschließen, daß die Kommission dadurch beeinflusst worden sei, daß Colthrop zum Zeitpunkt der Aufdeckung der Zuwiderhandlung zum SCA-Konzern gehört habe.

122 Schließlich habe die Klägerin nie die Beteiligung von Colthrop an einem gegen Artikel 85 des Vertrages verstossenden gemeinsamen Branchenplan bestritten. Sie verlange lediglich, daß die Kommission die von ihr selbst aufgestellten Kriterien für die Bußgeldberechnung heranziehe.

123 Die Kommission führt aus, nach ihren Feststellungen hätten sich alle Adressaten der Entscheidung an einer einheitlichen Zuwiderhandlung in Form eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs beteiligt, der abgesprochene Preiserhöhungen, eine Vereinbarung über die Marktaufteilung, abgestimmte Maßnahmen zur Angebotskontrolle und den Austausch von Geschäftsdaten zur Absicherung dieser Pläne umfasst habe (Randnrn. 116 ff. der Entscheidung). Alle Adressaten der Entscheidung hätten diese Zuwiderhandlung in vollem Umfang begangen, so daß die verhängten Geldbussen gerechtfertigt gewesen seien. Die Klägerin könne keine Herabsetzung ihrer Geldbusse verlangen, nur weil sie keine Maßnahmen zur Einschränkung ihrer eigenen Produktion getroffen habe. Zwar hätten nur die grossen an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller diese Einschränkung vorgenommen. Sie hätten dies aber zum Nutzen aller an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen getan. Die Klägerin könne daher nicht mit der Begründung, sie sei nur ein "untergeordneter Beteiligter" am Kartell gewesen, eine Herabsetzung der Geldbusse fordern.

124 Darüber hinaus habe Reed P&B häufig an Sitzungen des Kartells teilgenommen. Die Kommission habe jedoch nie behauptet, daß sie an Sitzungen des PWG teilgenommen habe. Da sie insbesondere an Sitzungen des JMC teilgenommen und die vereinbarten Preise angewandt habe, könne sie nicht als ein untergeordneter Beteiligter angesehen werden und in den Genuß einer Herabsetzung der Geldbusse gelangen. Es habe keine untergeordneten Beteiligten, sondern lediglich gewöhnliche Beteiligte und "Anführer" gegeben.

- Würdigung durch das Gericht

125 Bei der Festsetzung der Höhe der gegen die einzelnen Adressaten der Entscheidung verhängten Geldbusse hat die Kommission u. a. der Rolle jedes von ihnen bei den Absprachen Rechnung getragen (Randnr. 169 Absatz 1, erster Gedankenstrich, der Entscheidung). In Randnummer 170 führt sie aus, daß die Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich als "Anführer" des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen "gewöhnliche Mitglieder" angesehen worden seien. In ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen und in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat sie hinzugefügt, daß die Geldbussen auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet worden seien und daß sodann Basissätze von 9 % für die "Anführer" des Kartells und von 7,5 % für dessen "gewöhnliche Mitglieder" angewandt worden seien, um die festzusetzende Geldbusse zu ermitteln.

126 Diese Angaben werden durch eine von der Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegte Tabelle bestätigt, die die Festlegung der Höhe der Geldbussen betrifft.

127 Die Klägerin erklärt, daß sie die Beteiligung von Colthrop an dem in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen gemeinsamen Plan zur Einschränkung des Wettbewerbs nicht bestreite. Auch gegen die Beschreibung der Rolle der einzelnen Gremien der PG Karton in der Entscheidung erhebt sie keine Einwände.

128 Hierzu geht aus der Entscheidung hervor, daß der PWG das Gremium war, in dem die hauptsächlichen wettbewerbsfeindlichen Entscheidungen getroffen wurden. Ausserdem sind zwar nach Ansicht der Kommission alle in Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen als Teilnehmer an sämtlichen Bestandteilen der dort beschriebenen Zuwiderhandlung anzusehen; der Entscheidung ist jedoch zu entnehmen, daß die Absprache, nach der vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile der führenden Hersteller aufrechterhalten bleiben sollten, nur die Marktanteile der an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Unternehmen betraf (Randnrn. 51 bis 60 der Entscheidung). Schließlich räumt die Kommission in bezug auf die Abstellzeiten der Anlagen folgendes ein: "Erneut dürften es die führenden Hersteller gewesen sein, die die Last der Ausstoß-Drosselung zur Absicherung des Preisniveaus auf ihre Schultern nahmen" (Randnr. 71 Absatz 2 der Entscheidung).

129 In Anbetracht dessen kann dem Einwand der Klägerin, daß die Kommission ihre Rolle im Kartell nicht zutreffend gewürdigt habe, nicht gefolgt werden.

130 Erstens wurde die Klägerin nicht zu den "Anführern" des Kartells gezählt. Die Kommission hat somit berücksichtigt, daß die Klägerin nicht an den Sitzungen des PWG teilnahm. Überdies hat sie durch die Wahl der Basissätze von 9 % und 7,5 % des relevanten Umsatzes bei der Berechnung der gegen die "Anführer" des Kartells und gegen dessen "gewöhnliche Mitglieder" verhängten Geldbussen die Schwere der jeweiligen Zuwiderhandlung dieser beiden Gruppen von Unternehmen zutreffend bewertet.

131 Zweitens wird in der Entscheidung ausgeführt, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, über die dort gefassten Beschlüsse in den Sitzungen des JMC informiert worden seien und daß dieses Gremium den hauptsächlichen Rahmen sowohl für die Vorbereitung der vom PWG gefassten Beschlüsse als auch für eingehende Erörterungen zur Umsetzung dieser Beschlüsse dargestellt habe (vgl. insbesondere Randnrn. 44 bis 48 der Entscheidung). Da die Klägerin weder die in der Entscheidung enthaltene Beschreibung der Aufgaben des JMC noch die Beteiligung von Colthrop an den verschiedenen Bestandteilen der Zuwiderhandlung bestreitet und zu den regelmässigsten Teilnehmern an den Sitzungen des JMC gehörte (vgl. Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung), kann sie sich unter diesen Umständen nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Kommission ihr eine weniger wichtige Rolle im Kartell als den übrigen als "gewöhnliche Mitglieder" angesehenen Unternehmen hätte zuschreiben müssen.

132 Daß die Klägerin nach November 1990 nicht mehr an den Sitzungen der verschiedenen Gremien der PG Karton teilnahm, ändert daran nichts, da die Zuwiderhandlung bis April 1991 fortdauerte (siehe oben, Randnrn. 95 ff.).

133 Drittens wurde der Bedeutung der einzelnen Unternehmen in der Kartonbranche zwangsläufig Rechnung getragen, da der in dieser Branche erzielte Umsatz bei der Ermittlung der Höhe der gegen die Adressaten der Entscheidung jeweils festgesetzten Geldbusse als Referenzumsatz herangezogen wurde. Die Klägerin behauptet somit zu Unrecht, daß die Kommission der geringen Grösse und Bedeutung von Colthrop in der Branche nicht Rechnung getragen habe.

134 Was schließlich die Tatsache anbelangt, daß Colthrop nur GD-Karton herstellt, so bestreitet die Klägerin nicht, daß die Zuwiderhandlung sowohl GC-Karton und SBS-Karton als auch GD-Karton betraf und daß ihr individuelles Verhalten nicht zur Minderung der wettbewerbswidrigen Wirkungen der Zuwiderhandlung beitrug (siehe auch unten, Randnrn. 143 ff.). Unter diesen Umständen hat es die Kommission zu Recht nicht als mildernden Umstand angesehen, daß die Absprache allein bei der von Colthrop hergestellten Kartonsorte möglicherweise weniger erfolgreich war.

135 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist der vorliegende Einwand zurückzuweisen.

Zum Einwand einer mangelnden Berücksichtigung der Tatsache, daß die Preise von Colthrop den vom Kartell angekündigten Preisen nicht entsprochen hätten

- Vorbringen der Parteien

136 Die Klägerin trägt vor, sie habe in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 15 bis 20) dargetan, daß die Preise von Colthrop im allgemeinen in keinem Zusammenhang mit den erkennbaren Preisen des Kartells gestanden hätten. Sie habe anhand einer Darstellung der Entwicklung ihrer angekündigten und angewandten Preise bei acht repräsentativ ausgewählten Kunden gezeigt, daß bei drei von ihnen die Preise nur um 10 % bis 15 % gestiegen seien, während sich die durchschnittlichen Listenpreise von Colthrop um nahezu 30 % und die Durchschnittspreise des Kartells um mehr als 35 % erhöht hätten. Bei einem Kunden seien die ihm berechneten Preise sogar gesunken. Bei den übrigen vier Kunden seien die Preise weder den Listenpreisen von Colthrop noch den vom Kartell angekündigten Preisen gefolgt.

137 Selbst die von Colthrop angekündigten Preise hätten sich offenbar nicht nach den vom Kartell angekündigten Preisen gerichtet. Einige der Preiserhöhungen des Kartells seien von Colthrop nicht nachvollzogen worden, da sie sich nicht auf GD-Karton oder den britischen Markt bezogen hätten. Ausserdem hätten die Preiserhöhungen von Colthrop weder zeitlich noch im Umfang den Erhöhungen anderer Hersteller entsprochen. Schließlich seien sie wegen des Anstiegs der tatsächlichen Kosten gerechtfertigt gewesen.

138 Die Klägerin leugne nicht, an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages beteiligt gewesen zu sein. Allerdings hätte die Kommission berücksichtigen müssen, daß Colthrop die Preisbeschlüsse des Kartells nicht umgesetzt habe. Dies zeige, daß das Verhalten von Colthrop keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb oder die Kunden gehabt habe. In ihrer Erwiderung weist die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Kommission die im Vergleich zur Polypropylen-Entscheidung höhere Geldbusse damit gerechtfertigt habe, daß das Kartell seine Ziele weitgehend erreicht habe. Dies gelte aber nicht für Colthrop, deren Zuwiderhandlung weniger schwerwiegend gewesen sei.

139 Nach Auffassung der Kommission legt die Klägerin lediglich den Unterschied zwischen dem Listenpreis und dem tatsächlich angewandten Preis dar und weist darauf hin, daß das Kartell die Listenpreise betroffen habe. Im übrigen verweist die Kommission auf die Randnummern 89, 101 und 102 der Entscheidung.

140 Die von der Klägerin angekündigten Preiserhöhungen hätten in mehreren Fällen den abgestimmten Preisen entsprochen (vgl. die Tabellen zu den Preiserhöhungsinitiativen im Anhang der Entscheidung). Die Klägerin widerlege mit ihrem Vorbringen nicht, daß Grundlage der von den Kunden verlangten Preise der Listenpreis, d. h. der abgestimmte Preis, gewesen sei. Schließlich habe sich kein anderer Hersteller darüber beschwert, daß die Klägerin den vereinbarten Preis nicht anwende, während es bei mindestens einem anderen Kartellbeteiligten Indizien dafür gebe (Randnr. 59 der Entscheidung).

- Würdigung durch das Gericht

141 Die Klägerin bestreitet nicht, daß sich Colthrop an der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Preisabsprache beteiligte. Diese Zuwiderhandlung wurde ihr zu Recht zugerechnet. Die Klägerin wendet sich auch nicht gegen die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der allgemeinen Auswirkungen dieser Absprache auf den Markt (vgl. insbesondere Randnrn. 100 bis 102, 115 und 135 bis 137 der Entscheidung).

142 Die Tatsache, daß sich ein Unternehmen, dessen Beteiligung an einer Preisabsprache mit seinen Konkurrenten erwiesen ist, auf dem Markt nicht in der mit ihnen vereinbarten Weise verhalten hat, ist bei der Bestimmung der Höhe der zu verhängenden Geldbusse nicht zwangsläufig als mildernder Umstand zu berücksichtigen. Ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen.

143 Im vorliegenden Fall lassen die von der Klägerin vorgetragenen Anhaltspunkte nicht den Schluß zu, daß ihr tatsächliches Marktverhalten geeignet war, die wettbewerbswidrigen Wirkungen der festgestellten Zuwiderhandlung aufzuheben. Sie hat insbesondere zur Stützung des vorliegenden Einwands Schaubilder vorgelegt, in denen die von Stora angekündigten Preise, die von der Klägerin angekündigten Preise und deren tatsächliche Verkaufspreise miteinander verglichen werden. Die Schaubilder zu den tatsächlichen Verkaufspreisen der Klägerin beziehen sich aber nur auf acht von ihr ausgewählte Kunden, ohne daß die an sie jeweils gelieferte Tonnage angegeben wird. Ausserdem geht aus den Schaubildern hervor, daß die tatsächlichen Verkaufspreise bei den einzelnen Kunden stark schwankten und bisweilen sogar über den sowohl von der Klägerin als auch von Stora angekündigten Preisen lagen. Schließlich räumt die Kommission in der Entscheidung ein, daß die tatsächlichen Verkaufspreise nicht immer mit den angekündigten Preisen übereingestimmt hätten. Sie führt u. a. aus: "Selbst wenn alle Hersteller entschlossen waren, die volle Preiserhöhung durchzusetzen, bedeutete die für die Kunden bestehende Möglichkeit, auf eine billigere Qualität oder Sorte auszuweichen, daß die Hersteller unter Umständen ihren angestammten Kunden bestimmte Terminzugeständnisse machen oder zusätzliche Anreize in Form von Mengenrabatten oder Skonti für Grossaufträge geben mussten, um bei ihnen die volle Basis-Preiserhöhung durchsetzen zu können. Eine Preiserhöhung käme damit erst nach einer gewissen Zeit voll zum Tragen" (Randnr. 101 Absatz 6 der Entscheidung).

144 Die von der Klägerin vorgelegten Schaubilder belegen daher nicht, daß sich ihre tatsächlichen Verkaufspreise spürbar von den Preisen der übrigen Teilnehmer an der festgestellten Zuwiderhandlung unterschieden.

145 Im übrigen trägt die Klägerin nicht vor, daß die anderen am Kartell beteiligten Unternehmen Druck auf sie ausgeuebt hätten. Sie trägt auch nicht vor, daß sie sich offen von den Beschlüssen distanziert habe, die in den Sitzungen, an denen sie teilnahm, in bezug auf Preiserhöhungen getroffen wurden.

146 Unter diesen Umständen war die Kommission berechtigt, das Marktverhalten der Klägerin, das angeblich von dem in der PG Karton vereinbarten Verhalten abwich, nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen.

147 Der Einwand der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

B - Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die Kommission die bei der Festsetzung der Geldbussen herangezogenen Kriterien auf SCA Holding/Colthrop nicht oder in diskriminierender Weise angewandt habe

Vorbringen der Parteien

148 Die Klägerin weist darauf hin, daß die Kommission nach den Angaben, die das für die Wettbewerbspolitik zuständige Kommissionsmitglied bei einer Pressekonferenz am 13. Juli 1994 gemacht habe, die Geldbusse der Unternehmen, die die von der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte gegen sie vorgebrachten Tatsachenbehauptungen in der Substanz nicht bestritten hätten, um ein Drittel herabgesetzt habe.

149 Der Klagegrund gliedert sich sodann in zwei Teile.

150 Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, ihre Geldbusse sei nicht herabgesetzt worden, obwohl sie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die von der Kommission gegen Colthrop vorgebrachten Tatsachenbehauptungen in der Substanz nicht bestritten habe (vgl. Randnr. 172 der Entscheidung). Diese Benachteiligung sei um so weniger zu rechtfertigen, als sie keinerlei Kenntnis von der Zuwiderhandlung gehabt und über keine Anhaltspunkte verfügt habe, um die Tatsachenbehauptungen der Kommission bestreiten zu können.

151 Daß sie in Abrede gestellt habe, rechtlich gesehen der richtige Adressat der Entscheidung zu sein, ändere nichts daran, daß sie die wesentlichen Tatsachenbehauptungen der Kommission nicht bestritten habe. Diese Haltung habe der Kommission einen Zeitgewinn ermöglicht, was offenbar das Hauptkriterium für die Gewährung eines Bußgeldnachlasses gewesen sei.

152 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes trägt die Klägerin vor, die Kommission habe nach eigenen Angaben die Ansicht vertreten, daß einige Hersteller, obwohl sie bereits Mitglieder der PG Karton gewesen seien, dort vor der Errichtung des JMC Ende 1987 oder Anfang 1988 anscheinend keine aktive Rolle gespielt hätten. Da Colthrop nie eine aktive Rolle in der PG Karton gespielt habe, hätte die Kommission sie zu diesen Unternehmen zählen müssen.

153 Die Kommission hält zum ersten Teil des Klagegrundes daran fest, daß die Klägerin kein Geständnis abgelegt und lediglich ihre Verantwortung abgestritten habe, was nicht als Unterstützung gelten könne. Nur die Hilfe bei der Sachverhaltsermittlung, das Geständnis rechtswidriger Verhaltensweisen und ein Zeitgewinn hätten es verdient, belohnt zu werden. Die Behauptung, nicht der richtige Adressat zu sein, verdiene daher keine Belohnung, was dadurch bestätigt werde, daß sie gezwungen gewesen sei, in den Randnummern 154 bis 157 der Entscheidung ausführlich darzulegen, weshalb die Klägerin deren richtige Adressatin sei.

154 Auf den zweiten Teil des Klagegrundes geht die Kommission nicht ein.

Würdigung durch das Gericht

155 In bezug auf den ersten Teil des Klagegrundes ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte folgendes ausführt:

"SCA Holding wird in ihrer Verteidigung dadurch beeinträchtigt, daß niemand bei SCA Kenntnis von den Tätigkeiten der PG Karton oder dem in der Mitteilung [der Beschwerdepunkte] beschriebenen Verhalten hat. Ausserdem war SCA nie im Kartongeschäft tätig und hat keine Branchenkenntnis. SCA Holding kann und wird daher zum Vorliegen oder dem Umfang der angeblichen Zuwiderhandlung nicht Stellung nehmen."

156 Die Kommission hat zu Recht die Ansicht vertreten, daß sich die Klägerin mit dieser Erwiderung nicht in einer Weise verhalten habe, die eine Herabsetzung der Geldbusse aufgrund einer Kooperation während des Verwaltungsverfahrens rechtfertige. Eine Herabsetzung aus diesem Grund ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021, Randnr. 393).

157 Bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, daß es die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestreite, kann davon ausgegangen werden, daß es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat. Die Kommission ist berechtigt, ein solches Verhalten in ihren Entscheidungen, in denen sie eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln feststellt, als Eingeständnis der behaupteten Tatsachen und damit als Beweis für die Begründetheit der fraglichen Behauptungen zu werten. Dieses Verhalten kann daher eine Herabsetzung der Geldbusse rechtfertigen.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 694A0327.1

158 Etwas anderes gilt, wenn ein Unternehmen in seiner Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die von der Kommission aufgestellten Behauptungen im wesentlichen bestreitet, wenn es gar nicht antwortet oder wenn es - wie die Klägerin - nur erklärt, daß es zu den von der Kommission aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht Stellung nehme. Durch ein solches Verhalten während des Verwaltungsverfahrens trägt das Unternehmen nicht zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission bei.

159 Wenn die Kommission in Randnummer 172 Absatz 1 der Entscheidung erklärt, daß sie gegen die Unternehmen, die in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die von ihr vorgebrachten Tatsachenbehauptungen in der Substanz nicht angefochten hätten, eine niedrigere Geldbusse festgesetzt habe, so können diese Bußgeldnachlässe folglich nur dann als zulässig angesehen werden, wenn die betreffenden Unternehmen ausdrücklich mitgeteilt haben, daß sie die fraglichen Behauptungen nicht bestritten.

160 Selbst wenn man unterstellt, daß die Kommission ein rechtswidriges Kriterium angewandt hätte, indem sie die Geldbussen von Unternehmen herabsetzte, die nicht ausdrücklich erklärt hatten, daß sie die Tatsachenbehauptungen nicht bestritten, ist darauf hinzuweisen, daß die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmässigen Handelns in Einklang gebracht werden muß, das besagt, daß sich niemand zu seinem Vorteil auf eine gegenüber anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache 134/84, Williams/Rechnungshof, Slg. 1985, 2225, Randnr. 14). Da die Argumentation der Klägerin gerade darauf hinausläuft, ihr einen Anspruch auf eine rechtswidrige Herabsetzung der Geldbusse einzuräumen, kann dem ersten Teil des Klagegrundes nicht gefolgt werden.

161 Zum zweiten Teil des Klagegrundes geht aus Randnummer 162 der Entscheidung hervor, daß nach Ansicht der Kommission einige Kartonhersteller, obwohl sie bereits Mitglieder der PG Karton waren, dort vor der Errichtung des JMC Ende 1987 oder Anfang 1988 anscheinend keine aktive Rolle spielten, so daß bei diesen Herstellern davon auszugehen sei, daß sie sich erst später an der festgestellten Zuwiderhandlung beteiligt hätten.

162 Gemäß Artikel 1 der Entscheidung hat sich die Klägerin ab Mitte 1986 an der festgestellten Zuwiderhandlung beteiligt. Da sie diesen Ausgangspunkt nicht in Abrede stellt, rechtfertigt die Tatsache, daß Colthrop vor der Errichtung des JMC Ende 1987 oder Anfang 1988 keine aktive Rolle in der PG Karton gespielt haben mag, keine Gleichbehandlung der Klägerin mit den Herstellern, bei denen von einem späteren Beginn der Beteiligung an der festgestellten Zuwiderhandlung ausgegangen wurde.

163 Folglich kann auch dem zweiten Teil des Klagegrundes nicht gefolgt werden.

164 Daher ist der Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.

C - Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbusse angesichts ihrer fehlenden Schuld und der Ziele von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 dem Betrag nach überhöht und unverhältnismässig sei

Vorbringen der Parteien

165 Dieser Klagegrund gliedert sich in drei Teile.

166 Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, daß die verhängte Geldbusse - 7,5 % des Gesamtumsatzes von Colthrop auf dem relevanten Markt oder 9 % bei Abzug der internen Verkäufe - wesentlich höher sei als die Geldbussen, die in vergleichbaren Fällen in Anbetracht des Unternehmens, des Umfangs seiner Tätigkeiten und des Ausmasses seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung verhängt worden seien. Die in der Polypropylen-Entscheidung verhängten Geldbussen hätten durchschnittlich 4 % der Umsätze der Adressaten mit dem betreffenden Erzeugnis in Westeuropa betragen.

167 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes weist die Klägerin darauf hin, daß das Gericht im Urteil Parker Pen/Kommission (Randnr. 94) entschieden habe, daß die Geldbusse unter Heranziehung des Gesamtumsatzes des Unternehmens, der etwas über die Grösse und die Wirtschaftskraft des betreffenden Unternehmens aussage, sowie des Umsatzes auf dem relevanten Markt, der einen Hinweis auf das Ausmaß der Zuwiderhandlung gebe, zu ermitteln sei. Da die verhängte Geldbusse ohne Rücksicht auf den Gesamtumsatz von Colthrop berechnet worden sei, habe die Kommission ausser acht gelassen, daß Colthrop im Referenzjahr ausserhalb des relevanten Marktes keine Umsätze erzielt habe. Folglich habe sie die geringe Grösse und Wirtschaftskraft von Colthrop nicht berücksichtigt. Die Geldbusse stehe daher ausser Verhältnis zu den Geldbussen von Unternehmen, die auch ausserhalb des relevanten Marktes beträchtliche Umsätze erzielten. Dieses Ergebnis stehe im Widerspruch zu den vom Gericht im Urteil Parker Pen/Kommission aufgestellten Erfordernissen.

168 Mit dem dritten Teil des Klagegrundes weist die Klägerin darauf hin, daß der allgemeine Zweck der Geldbussen darin bestehe, die Durchsetzung der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft sicherzustellen und die Begehung neuer Zuwiderhandlungen zu verhindern (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 45/69, Böhringer Mannheim/Kommission, Slg. 1970, 769, 805, und vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825). Unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen zur Stützung des Klagegrundes, daß sie nicht die richtige Adressatin der Entscheidung sei, führt sie aus, daß die Geldbusse im vorliegenden Fall einen unbeteiligten Dritten treffe und daß die Kommission daher keines der Ziele von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 erreiche.

169 Die Kommission trägt vor, daß die Geldbusse mangels individueller mildernder Umstände unter Heranziehung der für die Zuwiderhandlung als Ganzes geltenden Kriterien (Randnrn. 167 bis 169 der Entscheidung) festzulegen sei. Diese Kriterien seien stichhaltig und würden in der Entscheidung hinreichend erläutert. Sie seien insbesondere ähnlich, ja sogar identisch mit denen, die der Gerichtshof und das Gericht wiederholt gebilligt hätten (Urteile des Gerichts zur Polypropylen-Entscheidung, insbesondere Urteil vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867). Die für die Zuwiderhandlung als Ganzes maßgebenden Kriterien seien auf den Umsatz jedes Adressaten anzuwenden.

170 Im vorliegenden Fall hätten Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung ein hohes allgemeines Bußgeldniveau gerechtfertigt. Im Vergleich dazu habe das Durchschnittsniveau in der Polypropylen-Entscheidung bei 4 % gelegen, wobei die Standardgeldbussen zwischen 4 % und 5 % betragen hätten. Das etwas höhere Bußgeldniveau im vorliegenden Fall sei deshalb gerechtfertigt, weil die Zuwiderhandlung anders als im Fall der Polypropylen-Entscheidung in einem Zeitraum begangen worden sei, in dem die Branche insgesamt mit Gewinn gearbeitet habe, und weil das Kartell seine Ziele weitgehend erreicht habe. Ausserdem sei das Gericht offenbar der Auffassung gewesen, daß die in der Polypropylen-Entscheidung verhängten Geldbussen noch höher hätten ausfallen dürfen, denn es habe ausgeführt, daß die Schwere der Zuwiderhandlung sie bei weitem gerechtfertigt habe (Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-3/89, Atochem/Kommission, Slg. 1991, II-1177, Randnr. 226).

171 Die Adressaten der vorliegenden Entscheidung hätten aus der im August 1986 veröffentlichten Polypropylen-Entscheidung nicht den Schluß gezogen, daß sie sich rechtstreu verhalten müssten. Sie hätten im Gegenteil Maßnahmen getroffen, um ihre Handlungen zu verschleiern, und unverfängliche Erklärungen für die Marktvorgänge ersonnen.

172 Gegen die Klägerin sei eine Geldbusse verhängt worden, weil sie mit Reed P&B, die die Zuwiderhandlung begangen habe, identisch sei, und weil die Zuwiderhandlung auch nach dem Auftreten des SCA-Konzerns weitergegangen sei. Folglich könne sie nicht als unbeteiligter Dritter betrachtet werden.

173 Schließlich sei darauf hinzuweisen, daß bei einem kleinen Unternehmen auch die Geldbusse absolut gesehen gering ausfalle.

Würdigung durch das Gericht

174 Zunächst sind der erste und der zweite Teil des Klagegrundes gemeinsam zu würdigen.

175 Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission gegen Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen haben, durch Entscheidung Geldbussen in Höhe von 1 000 ECU bis 1 000 000 ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Die Höhe der Geldbusse richtet sich sowohl nach der Schwere als auch nach der Dauer der Zuwiderhandlung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).

176 Zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere können die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Grösse und die Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluß gehören, den es auf den Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, daß bei der Festsetzung der Geldbusse sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der - wenn auch nur annähernd und unvollständig - etwas über dessen Grösse und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes herangezogen werden darf, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann. Zum anderen folgt daraus, daß weder der einen noch der anderen dieser Umsatzzahlen eine im Verhältnis zu den anderen Beurteilungskriterien übermässige Bedeutung zugemessen werden darf und daß die Festsetzung der Geldbussen nicht das Ergebnis eines blossen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann (vgl. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 120 und 121).

177 Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei der Festsetzung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Dauer der Zuwiderhandlung (Randnr. 167 der Entscheidung) und folgenden Erwägungen Rechnung getragen (Randnr. 168 der Entscheidung):

"- Preis- und Marktaufteilungsabsprachen stellen als solche schwere Wettbewerbsbeschränkungen dar;

- das Kartell erstreckte sich praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft;

- der EG-Kartonmarkt ist ein bedeutender Industriesektor, der jedes Jahr einen Wert von bis zu 2,5 Milliarden ECU darstellt;

- die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen repräsentieren praktisch den gesamten Markt;

- das Kartell wurde in einem System regelmässiger Sitzungen institutionalisiert, in denen der Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert wurde;

- es wurden aufwendige Schritte unternommen, um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.);

- das Kartell war, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich."

178 Ausserdem wurden Basissätze von 9 % für die "Anführer" des Kartells und von 7,5 % für dessen "gewöhnliche Mitglieder" angewandt, um die gegen sie festzusetzende Geldbusse zu ermitteln (siehe oben, Randnr. 125).

179 Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Tatsache Rechnung tragen darf, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismässig häufig sind, und daß es ihr daher freisteht, das Niveau der Geldbussen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. u. a. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 105 bis 108, und Urteil ICI/Kommission, Randnr. 385).

180 Zweitens hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles kein direkter Vergleich zwischen dem allgemeinen Niveau der Geldbussen in der streitigen Entscheidung und dem Niveau nach der früheren Entscheidungspraxis der Kommission - insbesondere in der Polypropylen-Entscheidung, die die Kommission selbst als die mit dem vorliegenden Fall am besten vergleichbare Entscheidung ansieht - vorgenommen werden kann. Im Gegensatz zu dem Fall, der Gegenstand der Polypropylen-Entscheidung war, wurde hier nämlich bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen kein genereller mildernder Umstand berücksichtigt. Ausserdem zeigen die zur Verschleierung der Absprache getroffenen Maßnahmen, daß sich die betreffenden Unternehmen der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens voll und ganz bewusst waren. Die Kommission konnte diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigen, da sie einen besonders schwerwiegenden Aspekt der Zuwiderhandlung darstellten, der diese von den zuvor von der Kommission aufgedeckten Zuwiderhandlungen unterscheidet.

181 Drittens ist auf die lange Dauer und die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages hinzuweisen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und insbesondere die Polypropylen-Entscheidung hätte darstellen müssen.

182 Aufgrund dieser Gesichtspunkte rechtfertigen die in Randnummer 168 der Entscheidung wiedergegebenen Kriterien das von der Kommission festgelegte allgemeine Niveau der Geldbussen.

183 In diesem Zusammenhang ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß die Grösse und die Wirtschaftskraft von Colthrop nicht hätten berücksichtigt werden können, da der von ihr im Jahr 1990 erzielte Gesamtumsatz dem auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft in diesem Jahr erzielten Umsatz entsprochen habe.

184 Zum einen hat die Kommission die oben genannten Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Schwere herangezogen. Zum anderen ist die Kommission nicht verpflichtet, bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung das Verhältnis zwischen dem Gesamtumsatz eines Unternehmens und dem Umsatz bei den Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, zu berücksichtigen (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121, und Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).

185 Da zur Ermittlung des Verhältnisses zwischen den festzusetzenden Geldbussen auf den Umsatz der an derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen abzustellen ist, ist die Kommission ferner berechtigt, die Geldbussen der einzelnen Unternehmen durch Anwendung des maßgeblichen Bußgeldsatzes auf einen für die betreffenden Unternehmen identischen Referenzumsatz zu berechnen, damit die erlangten Zahlen möglichst gut vergleichbar sind.

186 Der erste und der zweite Teil des Klagegrundes sind daher als unbegründet zurückzuweisen.

187 Auch der dritte Teil des Klagegrundes, der auf der Annahme beruht, daß die Klägerin ein "unbeteiligter Dritter" sei, ist zurückzuweisen. Insoweit genügt der Hinweis, daß die Kommission die Entscheidung nach den Feststellungen des Gerichts zu Recht an die Klägerin richtete.

188 Der Klagegrund ist somit in vollem Umfang zurückzuweisen.

D - Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die Festsetzung einer Geldbusse gegen die Klägerin Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 sowie den tragenden Grundsatz der Billigkeit verletze

189 Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe durch die Festsetzung einer Geldbusse gegen sie Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 sowie den tragenden Grundsatz der Billigkeit verletzt. Zur Stützung dieser These verweist sie im wesentlichen auf Argumente, die sie im Rahmen des Klagegrundes angeführt hat, mit dem sie geltend macht, daß sie nicht die richtige Adressatin der Entscheidung sei. Sie schließt daraus, daß gegen sie eine Geldbusse festgesetzt worden sei, ohne daß sie ein Verschulden treffe.

190 Die Entscheidung wurde zu Recht an die Klägerin gerichtet, und diese streitet die Existenz der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht ab. Folglich kann sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß gegen sie eine Geldbusse festgesetzt worden sei, ohne daß sie ein Verschulden treffe.

191 Daher ist der vorliegende Klagegrund ebenfalls zurückzuweisen.

E - Zum Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht hinsichtlich der Geldbussen

Vorbringen der Parteien

192 Die Klägerin weist darauf hin, daß sie von bestimmten wesentlichen Aspekten der Gründe und Kriterien, auf die sich die Kommission bei der Bußgeldberechnung gestützt habe, erst durch eine Aufzeichnung der am Tag des Erlasses der Entscheidung von dem für Wettbewerbspolitik zuständigen Kommissionsmitglied abgehaltenen Pressekonferenz erfahren habe. Die Kommission sei zwar nach der Rechtsprechung nicht verpflichtet, die genaue Berechnung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen bekanntzugeben, doch dies bedeute nicht, daß ihre Erwägungen nicht transparent sein müssten.

193 Da die vorgenommenen Berechnungen und die in der vorliegenden Sache verfolgte "Nachlasspolitik" der Presse mitgeteilt worden seien, hätten diese Angaben auch in der Entscheidung enthalten sein müssen. Die Klägerin wäre nämlich nicht in der Lage gewesen, sich zu der erlittenen Diskriminierung zu äussern, wenn sie nicht aus inoffiziellen Quellen von der Existenz einer Aufzeichnung der Pressekonferenz erfahren hätte.

194 Die Kommission verweist darauf, daß die Begründung der vorliegenden Entscheidung in bezug auf die Geldbussen ebenso detailliert sei wie die in anderen Rechtssachen, insbesondere in den Polypropylen-Urteilen, nicht beanstandeten Begründungen (vgl. z. B. Urteil Rhône-Poulenc/Kommission). Wie die Klägerin selbst einräume, sei die Kommission nicht verpflichtet, bei der Berechnung der Geldbussen eine mathematische Formel anzuwenden, weil ein solches Vorgehen es den Unternehmen ermöglichen würde, im voraus einzuschätzen, ob sich eine Zuwiderhandlung lohnen könnte (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439).

Würdigung durch das Gericht

195 Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der Rechtssache T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, Randnr. 51).

196 Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der wie im vorliegenden Fall gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbussen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).

197 Ausserdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbussen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).

198 Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen und der Höhe der individuellen Geldbussen herangezogenen Kriterien finden sich in den Randnummern 168 und 169 der Entscheidung. Zudem führt die Kommission in bezug auf die individuellen Geldbussen in Randnummer 170 aus, daß die Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich als "Anführer" des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen "gewöhnliche Mitglieder" angesehen worden seien. Schließlich weist sie in den Randnummern 171 und 172 darauf hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbussen erheblich niedriger auszufallen hätten, um deren aktiver Kooperation mit der Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere Unternehmen ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang herabgesetzten Geldbusse kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten hätten.

199 Wie bereits ausgeführt, hat die Kommission im Verfahren vor dem Gericht zusätzliche Angaben zu der im vorliegenden Fall angewandten Berechnungsweise der Geldbussen gemacht (siehe oben, Randnr. 125). Sie hat erläutert, daß sie gegebenenfalls dem kooperativen Verhalten bestimmter Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen und aus diesem Grund die Geldbussen bei zwei Unternehmen um zwei Drittel und bei anderen Unternehmen um ein Drittel herabgesetzt habe.

200 Im übrigen ergibt sich aus einer von der Kommission vorgelegten Tabelle, die Angaben zur Festlegung der Höhe aller individuellen Geldbussen enthält, daß diese zwar nicht durch streng mathematische Anwendung allein der oben genannten Zahlen ermittelt wurden, daß diese Zahlen jedoch bei der Berechnung der Geldbussen systematisch herangezogen wurden.

201 In der Entscheidung wird aber nicht erläutert, daß die Geldbussen auf der Grundlage des von den einzelnen Unternehmen auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet wurden. Auch die zur Berechnung der festgesetzten Geldbussen angewandten Basissätze von 9 % für die als "Anführer" angesehenen Unternehmen und von 7,5 % für die "gewöhnlichen Mitglieder" sind in der Entscheidung nicht zu finden. Gleiches gilt für den Umfang der Herabsetzung bei Rena und Stora einerseits und bei acht anderen Unternehmen andererseits.

202 Im vorliegenden Fall ist erstens davon auszugehen, daß die Randnummern 169 bis 172 der Entscheidung bei einer Auslegung im Licht der in der Entscheidung zu findenden eingehenden Darstellung der jedem ihrer Adressaten zur Last gelegten Sachverhalte ausreichende und sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten enthalten, die bei der Beurteilung der Schwere und der Dauer der von den einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 264).

203 Zweitens würde, wenn die Höhe der jeweiligen Geldbussen wie hier auf der Grundlage der systematischen Heranziehung einiger ganz bestimmter Daten ermittelt wird, die Angabe all dieser Faktoren in der Entscheidung den Unternehmen die Beurteilung der Frage erleichtern, ob die Kommission bei der Festlegung der Höhe der individuellen Geldbusse Fehler begangen hat und ob die Höhe jeder individuellen Geldbusse in Anbetracht der angewandten allgemeinen Kriterien gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall wäre mit der Angabe der fraglichen Faktoren - Referenzumsatz, Referenzjahr, angewandte Basissätze und Umfang der Herabsetzung der Geldbussen - in der Entscheidung keine möglicherweise gegen Artikel 214 des Vertrages verstossende implizite Preisgabe des genauen Umsatzes der Adressaten der Entscheidung verbunden gewesen. Denn der Endbetrag der individuellen Geldbussen ergibt sich, wie die Kommission selbst ausgeführt hat, nicht aus einer streng mathematischen Anwendung dieser Faktoren.

204 Die Kommission hat im übrigen in der Verhandlung eingeräumt, daß sie in der Entscheidung die systematisch berücksichtigten und in einer Pressekonferenz am Tag ihres Erlasses bekanntgegebenen Faktoren durchaus hätte aufzählen können. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Begründung einer Entscheidung nach ständiger Rechtsprechung in der Entscheidung selbst enthalten sein muß und daß nachträgliche Erläuterungen der Kommission nur unter aussergewöhnlichen Umständen berücksichtigt werden können (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992 in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnr. 131; in diesem Sinne auch Urteil Hilti/Kommission, Randnr. 136).

205 Gleichwohl ist festzustellen, daß die Begründung zur Festlegung der Höhe der Geldbussen in den Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung mindestens ebenso detailliert ist wie die Begründung in früheren Entscheidungen der Kommission, die ähnliche Zuwiderhandlungen betrafen. Zwar ist der Klagegrund eines Begründungsmangels von Amts wegen zu berücksichtigen, doch hatte der Gemeinschaftsrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung noch in keinem Fall die Praxis der Kommission bei der Begründung der festgesetzten Geldbussen gerügt. Erst im Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89 (Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) und in zwei anderen Urteilen vom selben Tag in den Rechtssachen T-147/89 (Société métallurgique de Normandie/Kommission, Slg. 1995, II-1057, abgekürzte Veröffentlichung) und T-151/89 (Société des treillis et panneaux soudés/Kommission, Slg. 1995, II-1191, abgekürzte Veröffentlichung) hat es das Gericht erstmals als wünschenswert bezeichnet, daß die Unternehmen die Berechnungsweise der gegen sie verhängten Geldbusse im einzelnen in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck gerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen.

206 Folglich muß die Kommission, wenn sie in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbussen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbussen heranzieht, diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbusse zu überprüfen und festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.

207 Unter den zuvor in Randnummer 205 genannten besonderen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission bereit war, im gerichtlichen Verfahren alle Auskünfte über den Berechnungsmodus der Geldbussen zu geben, kann das Fehlen einer speziellen Begründung für den Berechnungsmodus der Geldbussen in der Entscheidung im vorliegenden Fall nicht als Verstoß gegen die Begründungspflicht angesehen werden, der die völlige oder teilweise Nichtigerklärung der festgesetzten Geldbussen rechtfertigt.

208 Daher kann dem vorliegenden Klagegrund nicht gefolgt werden.

209 Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

210 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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