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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 13.03.1990
Aktenzeichen: T-34/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Artikel 90 Absatz 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 3 des Anhangs VII des Statuts, wonach das Kind, für das die Erziehungszulage beantragt wird, "regelmässig und vollzeitig eine Lehranstalt" besuchen muß, ist dahin auszulegen, daß der betreffende Student dem in der Regelung der besuchten Lehranstalt vorgesehenen Lehrplan tatsächlich zu folgen hat.

Ein von dem Betreffenden absolviertes Praktikum kann dem regelmässigen Besuch der Lehrveranstaltungen nicht gleichgestellt werden; die Voraussetzungen für den Anspruch auf die Erziehungszulage sind demnach nur erfuellt, wenn das absolvierte Praktikum von der Universität als wesentlicher Bestandteil des Lehrplans im Hinblick auf die Erlangung des Abschlußzeugnisses angesehen wird. Dagegen genügt die blosse Zustimmung oder etwaige Unterstützung der Lehranstalt nicht, um die Gewährung der Zulage zu rechtfertigen.

2. Der Begriff "so offensichtlich", der den Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung charakterisiert, der zu einer Rückforderung zuviel gezahlter Beträge nach Artikel 85 des Statuts führt, bedeutet nicht, daß der Beamte nicht die geringste Mühe auf Überlegungen oder auf eine Nachprüfung zu verwenden braucht.

Die Voraussetzung, daß der Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung der Erziehungszulage, deren Gewährung aufgrund von Daten geändert werden kann, die nur der Beamte imstande ist, der Verwaltung mitzuteilen, offensichtlich ist, ist erfuellt, wenn sich der Betroffene, statt eine Nachprüfung bei den zuständigen Behörden zu veranlassen, nur auf eine persönliche, zweifelhafte Auslegung des Statuts stützt und der zuständigen Dienststelle unter Verstoß gegen seine ausdrückliche Verpflichtung, der Verwaltung jede Änderung anzuzeigen, die sich auf seinen Anspruch auf die Zulage auswirken könnte, die zweifellos bedeutsame Änderung seiner familiären Situation nicht sofort mitteilt, wobei insoweit zu Unrecht gezahlte Beträge einbehalten werden.

3. Die von einem Beamten geltend gemachten Klagegründe des Verstosses gegen Artikel 85 des Statuts und gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, dessen Ausdruck Artikel 85 selbst ist, können nicht gegen eine Entscheidung durchgreifen, die innerhalb angemessener Frist die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Erziehungszulage anordnet, wenn die Verwaltung die Erziehungszulage, die Gegenstand der Rückforderung ist, aufgrund des Verstosses des Betroffenen gegen seine Verpflichtung, die Änderung seiner familiären Situation mitzuteilen, gewährt hatte.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 13. MAERZ 1990. - MARIO COSTACURTA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - EINSTELLUNG DER ZAHLUNG DER ZULAGE FUER UNTERHALTSBERECHTIGE KINDER UN DER ERZIEHUNGSZULAGE. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN T-34/89 UND T-67/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Der Kläger, Mario Costacurta, ein in Luxemburg beschäftigter Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ist der Vater von Nadia Costacurta, für die er im Herbst 1986 einen Antrag auf Zahlung einer Erziehungszulage für das Studienjahr 1986/87 stellte. Aufgrund der vorgelegten Nachweise gewährte ihm die Beklagte eine Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder ( Kinderzulage ) und eine Erziehungszulage für seine Tochter Nadia, die in Paris ein Hochschulstudium absolvierte.

2 Im Studienjahr 1986/87 besuchte Nadia Costacurta Vorlesungen an der Universität Paris-I ( Panthéon-Sorbonne ) mit dem Ziel, ein DEA ( diplôme d' études approfondies ) im internationalen Privatrecht zu erwerben; diese Vorlesungen endeten nach den Angaben der Universitätsverwaltung am 16. Mai 1987. Für das Studienjahr 1987/88 bewarb sich Nadia Costacurta am 30. Juni 1987 um die Einschreibung zur Vorbereitung auf ein anderes Diplom an derselben Universität. Auf diesen Antrag gestattete ihr die Universität, sich am 13. November 1987 für diese Vorlesungen einzuschreiben.

3 Nach Abschluß eines bezahlten Praktikums ( 22 000 BFR monatlich ) bei den Dienststellen der Kommission in Brüssel vom 16. März 1987 bis zum 31. Juli 1987 wurde Nadia Costacurta eine Tätigkeit als Hilfskraft für sechs Monate angeboten. Am 30. Juli teilte die Betroffene der Abteilung "Laufbahnen" mit, daß sie ihren Dienst am 1. September 1987 antreten könne; daraufhin wurde ihr Dienstvertrag als Hilfskraft zwischen den beiden Parteien ausgefertigt und unterzeichnet. In der Folge wurde Nadia Costacurta, nachdem sie erfolgreich an einem allgemeinen Auswahlverfahren teilgenommen hatte, zur Beamtin der Kommission ernannt und deren Dienststellen in Brüssel zugewiesen.

4 Mit Schreiben vom 10. September 1987 teilte der Kläger der Personalabteilung der Kommission in Luxemburg mit, daß seine Tochter Nadia seit dem 1. September 1987 von ihm nicht mehr unterhalten werde, da sie für sechs Monate von der Kommission als Hilfskraft eingestellt worden sei.

5 Mit Schreiben vom 30. Oktober 1987 teilte der Leiter der Personalabteilung in Luxemburg dem Kläger mit, daß die Kinderzulage und die Erziehungszulage für seine Tochter Nadia mit Wirkung vom 1. Juli 1987 weggefallen seien. Wie in diesem Schreiben und in einem weiteren Schreiben vom 16. November 1987 erwähnt wurde, beruhte diese Entscheidung darauf, daß Nadia Costacurta am 1. September 1987 eine einträgliche Berufstätigkeit begonnen habe und demnach ihr Studium bereits am 16. Mai 1987, dem Ende des Studienjahres 1986/87, unterbrochen habe. Die dem Kläger für seine Tochter ab 1. Juli 1987 gezahlten Zulagen wurden zurückverlangt.

6 Mit Schreiben vom 24. November 1987, das am 3. Dezember 1987 im Generalsekretariat der Kommission eingetragen wurde, legte der Kläger bei der Beklagten Beschwerde nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften ein. Er wandte sich gegen den Wegfall der Zulagen für die Zeit vor dem 1. September 1987 mit der Begründung, daß seine Tochter Nadia für das Jahr 1987/88 bei einer Hochschule eingeschrieben und folglich bis zu ihrem Dienstantritt bei der Kommission eine - in den Ferien befindliche - Studentin und damit ein dem Kläger gegenüber unterhaltsberechtigtes Kind gewesen sei. Ausserdem stehe Artikel 85 des Statuts einer Rückforderung der für die Zeit ab 1. Juli 1987 gezahlten Zulagen entgegen, da der Kläger bei diesen Zahlungen den Mangel des rechtlichen Grundes nicht gekannt habe und seine Tochter Nadia in diesem Zeitraum noch eine ihm gegenüber unterhaltsberechtigte Studentin gewesen sei.

7 Da der Kläger innerhalb der Frist gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts keine Antwort auf die Beschwerde erhielt, hat er am 20. Mai 1988 eine erste Klage auf Aufhebung der in Form der Schreiben vom 30. Oktober und 16. November 1987 ergangenen Entscheidung erhoben ( Rechtssache T-34/89 ).

8 Die Beschwerde des Klägers führte jedoch dazu, daß die Dienststellen der Beklagten seine Ansprüche erneut prüften; daraufhin teilte der Generaldirektor für Personal und Verwaltung dem Kläger mit Schreiben vom 26. April 1988 in Abänderung der Entscheidung, gegen die sich die Beschwerde richtete, mit,

- daß ihm seine Ansprüche auf die Kinderzulage für seine Tochter Nadia für die Zeit bis zum 31. August 1987 wieder zuerkannt würden und

- daß er ab 31. März 1987 und nicht ab 1. Juli 1987, wie in der der Beschwerde zugrundeliegenden Entscheidung angegeben, keinen Anspruch mehr auf die Erziehungszulage habe.

9 Was die Kinderzulage angeht, so wurde die Änderung der Entscheidung vom 30. Oktober 1987 damit begründet, daß der Begriff der "Berufsausbildung" in Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe b des Anhangs VII des Statuts seit dem 1. März 1981 dahin ausgelegt werde, daß es sich dabei um eine Berufsausbildung handele, die zur Zahlung der Kinderzulage führe, wenn das dem Betroffenen gezahlte Entgelt unterhalb des "Existenzminimums" liege. Da das Praktikum der Nadia Costacurta als Berufsausbildung angesehen werden konnte und das ihr gezahlte Entgelt unterhalb des "Existenzminimums" lag, hatte der Kläger demnach weiterhin Anspruch auf die Kinderzulage für seine Tochter bis zum 31. August 1987.

10 Was die Erziehungszulage angeht, so führte der Generaldirektor für Personal und Verwaltung folgendes aus : "... Nadia Costacurta war Ihnen gegenüber unterhaltsberechtigtes Kind im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts. Nach den Unterlagen ihrer persönlichen Akte ( Studentenausweis für das Studienjahr 1986/87 ) kann man annehmen, daß sie die Universität Paris bis zum 16. März 1987 regelmässig und vollzeitig besuchte. Zu diesem Zeitpunkt begann sie ein Praktikum bei der Kommission in Brüssel. Da dieses Praktikum am 31. Juli 1987 endete und ihr Dienstantritt als Hilfskraft bei der Kommission am 1. September 1987 stattfand, hat Fräulein Costacurta nach dem 16. März 1987 keine Lehranstalt mehr besucht. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der ( seit dem 1. März 1975 angewandten ) allgemeinen Durchführungsbestimmungen über die Gewährung der Erziehungszulage haben Sie folglich bis zum 31. März 1987 Anspruch auf die Erziehungszulage."

11 In demselben Schreiben teilte der Generaldirektor mit, daß er beschlossen habe, die Erziehungszulagen für April, Mai und Juni zurückzufordern. Er fügte hinzu :

"Da also eine neue Entscheidung hinsichtlich der Rückforderung der als Erziehungszulage ohne rechtlichen Grund gezahlten Beträge ergangen ist, besteht kein Grund, Ihre vorliegende Beschwerde der Kommission zu unterbreiten."

12 Aus den Akten ergibt sich, daß der Leiter der Personalabteilung in Luxemburg am 13. April 1988 dem Leiter der Abteilung "Statut" der Kommission mitteilte, daß ihm zu dem Zeitpunkt, als er seine Entscheidung vom 30. Oktober 1987 getroffen habe, nicht bekannt gewesen sei, daß Nadia Costacurta ein Praktikum bei der Kommission in Brüssel absolviert habe.

13 Gegen die Entscheidung vom 26. April 1988 legte der Kläger am 31. Mai 1988 eine neue Beschwerde ein, die die Beklagte mit Entscheidung vom 18. November 1988 zurückwies. In seiner Beschwerde machte der Kläger namentlich geltend, daß seine Tochter Nadia, da das Praktikum bei der Kommission in Brüssel im Zusammenhang mit ihrem Studium gestanden habe, für die Dauer des Praktikums weiterhin vollzeitig Studentin gewesen sei.

14 In ihrer Zurückweisungsentscheidung antwortete die Beklagte auf die Argumente des Klägers unter anderem, daß "Fräulein Costacurta ihr spezialisiertes Hochschulstudium des Rechts des Gemeinsamen Marktes 1987 bereits beendet hatte ( Diplom im November 1986 erworben ). Nur im Rahmen dieses Studiums hatte sie ein Praktikum zur Ergänzung des theoretischen Unterrichts und der praktischen Seminare zu absolvieren. Dieses leistete sie im Sommer 1986 in der Kanzlei Lefebvre ab.".

15 Zu der Art des Studiums der Nadia Costacurta vom Wintersemester 1986/87 an bemerkte die Beklagte folgendes : "Vom Wintersemester 1986/87 bis zum Beginn ihres Praktikums bei der EWG besuchte Fräulein Costacurta zur Vorbereitung auf das entsprechende Diplom ( DEA ) Vorlesungen des internationalen Privatrechts. Unabhängig von der Frage nach dem Nutzen, den ein Praktikum bei der Kommission im Rahmen dieses Studiums haben konnte, ist darauf hinzuweisen, daß dieses Studium für die Erlangung des Diploms keinerlei Pflichtpraktikum während der Zeit der Vorlesungen vorsah."

16 Zur Auslegung von Artikel 3 des Anhangs VII des Statuts ist zu bemerken, daß das Kollegium der Verwaltungschefs in seiner 160. Sitzung vom 15. Januar 1987 folgenden Beschluß fasste ( Beschluß 166/87 ):

"a ) Die Verwaltungschefs sind der Auffassung, daß die in Artikel 3 Absatz 1 des Anhangs VII des Statuts für die Zahlung der Erziehungszulage aufgestellte Voraussetzung des 'vollzeitigen' Besuchs einer Lehranstalt erfuellt ist,

- ohne weiteres, wenn die besuchte Lehranstalt dem betroffenen Schüler oder Studenten wöchentlich mindestens 16 Stunden Unterricht und/oder praktischer Arbeiten erteilt;

- in den Fällen, in denen diese Stundenzahl nicht erreicht wird, nur, wenn es sich bei den absolvierten Studien um vollständige Studien handelt, also um solche mit staatlich anerkanntem Ziel, und der Betroffene den für diese Studienart üblichen Stundenplan einhält;

in diesen Fällen wird davon ausgegangen, daß die persönliche Arbeitszeit den Unterschied zwischen den besuchten Unterrichtsstunden und den im ersten Gedankenstrich genannten 16 Mindeststunden ausgleicht.

b ) Die Verwaltungschefs sind der Auffassung, daß die in Artikel 3 Absatz 1 des Anhangs VII aufgestellte Voraussetzung des 'regelmässigen' Besuchs einer Lehranstalt erfuellt ist, wenn eine Lehranstalt von einem Schüler oder Studenten für eine Mindestdauer von drei Monaten besucht wird.

Dieser Beschluß ist ab 1. Februar 1987 anwendbar."

17 Am 6. März 1989 hat der Kläger eine zweite Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 26. April 1988 und der Entscheidung der Kommission vom 18. November 1988, mit der seine Beschwerde ausdrücklich zurückgewiesen wurde, erhoben ( Rechtssache T-67/89 ).

18 In beiden Rechtssachen sind die schriftlichen Verfahren vollständig vor dem Gerichtshof abgelaufen, der diese Rechtssachen gemäß dem Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften mit Beschluß vom 15. November 1989 an das Gericht verwiesen hat.

Mit Beschluß vom 8. Dezember 1989 hat das Gericht die beiden Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

19 Die Parteien haben folgende Anträge gestellt.

In der Rechtssache T-34/89 beantragt der Kläger,

1 ) die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

2)festzustellen, daß die Beklagte gegen die Artikel 2 und 3 des Anhangs VII des Statuts sowie gegen Artikel 85 des Statuts verstossen hat;

3 ) demgemäß die Schreiben des Leiters der Personalabteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg vom 30. Oktober und 16. November 1987 aufzuheben;

4 ) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder und die Erziehungszulage für seine Tochter Nadia für Juli und August 1987 zuzueglich der gesetzlichen Zinsen ab ihrer Einbehaltung zu zahlen;

5 ) der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

1 ) die Klage abzuweisen;

2)für den Fall, daß das Gericht die Beklagte verurteilen sollte, dem Kläger die Erziehungszulage für Juli und August 1987 zu zahlen, den Antrag des Klägers auf Zahlung der gesetzlichen Zinsen aus diesem Betrag als unzulässig abzuweisen;

3 ) über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

20 In der Rechtssache T-67/89 beantragt der Kläger,

1 ) die vorliegende Klage für zulässig und begründet zu erklären;

2)festzustellen, daß die Beklagte gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie gegen die Artikel 85 und 90 des Statuts und die Artikel 2 und 3 des Anhangs VII des Statuts verstossen hat;

3 a ) demgemäß das Schreiben des Generaldirektors für Personal und Verwaltung vom 26. April 1988 aufzuheben,

b ) hilfsweise, die Entscheidung der Kommission vom 18. November 1988, mit der die Verwaltungsbeschwerde des Klägers zurückgewiesen wurde, aufzuheben;

4)die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Erziehungszulage für seine Tochter Nadia für April, Mai und Juni 1987 zuzueglich der gesetzlichen Zinsen ab ihrer Einbehaltung zu zahlen;

5)der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

1)die Klage abzuweisen;

2)für den Fall, daß das Gericht die Beklagte verurteilen sollte, dem Kläger die Erziehungszulage für April, Mai und Juni 1987 zu zahlen, den Antrag des Klägers auf Zahlung der gerichtlichen Zinsen aus diesem Betrag als unzulässig abzuweisen;

3 ) über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

Zur Begründetheit

21 Es ist festzustellen, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Anträge auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Kinderzulage für Juli und August 1987 zurückgenommen hat. Über diese Anträge braucht folglich nicht entschieden zu werden.

22 Im übrigen hat der Kläger seine Anträge auf Aufhebung der beiden Entscheidungen der Kommission aufrechterhalten, mit denen die Rückforderung der Erziehungszulagen für April bis August 1987 angeordnet wurde.

23 Der Kläger stützt seine Anträge in erster Linie darauf, daß er gemäß Artikel 3 des Anhangs VII des Statuts Anspruch auf die fraglichen Zulagen habe. Die Zulagen für April bis Juni 1987 würden ihm deshalb geschuldet, weil Nadia Costacurta ihr Praktikum bei der Kommission in Brüssel mit Zustimmung und Unterstützung der Universität abgeleistet habe und dieses Praktikum folglich dem regelmässigen und vollzeitigen Besuch einer Lehranstalt im Sinne dieses Artikels gleichgestellt werden könne.

24 Ausserdem trägt der Kläger vor, die Unterscheidung, die die Beklagte zwischen der Kinderzulage und der Erziehungszulage vornehme, sei im vorliegenden Fall unzutreffend. Seine Tochter Nadia habe keine Berufsausbildung im Sinne von Artikel 2 des Anhangs VII erhalten, denn das Praktikum bei der Kommission sei keine "Berufsausbildung", sondern Teil einer "Schulausbildung" im Sinne dieser Vorschrift. Diese Beurteilung werde durch die Bestimmungen über die Praktika bei der Kommission gestützt. Der Beschluß 166/1987 des Kollegiums der Verwaltungschefs sei daher auf den Fall von Nadia Costacurta anzuwenden. Am 16. März 1987 habe sie mit Zustimmung und Unterstützung der Universität den Besuch der Lehrveranstaltungen unterbrochen, um das Praktikum in Brüssel zu absolvieren. Sie habe aber deswegen nicht ihr Studium abgebrochen.

25 Die Beklagte weist zunächst darauf hin, daß sowohl nach Artikel 3 des Anhangs VII wie nach den allgemeinen Durchführungsbestimmungen über die Gewährung der Erziehungszulage ein Anspruch auf diese Zulage nur bestehe, wenn das unterhaltsberechtigte Kind regelmässig und vollzeitig eine Lehranstalt besuche. Es sei zwischen der Kinderzulage einerseits und der Erziehungszulage andererseits zu unterscheiden, da die Kinderzulage auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt werden könne, ohne daß gleichzeitig die Erziehungszulage, deren Gewährung an eine zusätzliche Voraussetzung geknüpft sei, gezahlt werde. Nadia Costacurta habe während ihres Praktikums in Brüssel eine Berufsausbildung absolviert, aber sie habe nicht "regelmässig und vollzeitig eine Lehranstalt besucht", was notwendige Voraussetzung für die Gewährung der Erziehungszulage sei.

26 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 3 des Anhangs VII des Statuts das Kind, für das die Zulage beantragt wird, regelmässig und vollzeitig eine Lehranstalt besuchen muß. Dieser Artikel 3 ist dahin auszulegen, daß der betreffende Student dem in der Regelung der besuchten Lehranstalt vorgesehenen Lehrplan tatsächlich zu folgen hat.

27 Dies bedeutet im vorliegenden Fall, daß die Voraussetzungen für den Anspruch auf die Erziehungszulage nur erfuellt waren, wenn das absolvierte Praktikum von der Universität als wesentlicher Bestandteil des Lehrplans im Hinblick auf die Erlangung des Abschlußzeugnisses angesehen wurde. Dagegen genügt die blosse Zustimmung oder etwaige Unterstützung der Lehranstalt nicht, um die Gewährung der Zulage zu rechtfertigen.

28 Die Beklagte bestreitet, daß dieses Praktikum wesentlicher Bestandteil des Studiums von Nadia Costacurta gewesen sei, und weder der Akteninhalt noch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erteilten Auskünfte haben ergeben, daß dieses Praktikum von der Universität tatsächlich als wesentlicher Bestandteil des Lehrplans im Hinblick auf die Erlangung des DEA anerkannt wurde.

29 Somit ist festzustellen, daß das fragliche Praktikum nicht dem regelmässigen Besuch der Lehrveranstaltungen, den Nadia Costacurta am 16. März 1987 bei ihrem Dienstantritt als Praktikantin bei der Kommission unterbrochen hat, gleichgestellt werden kann.

30 Folglich waren die Voraussetzungen für die Gewährung der streitigen Zulage seit diesem Zeitpunkt nicht mehr erfuellt, da Nadia Costacurta ihr Studium nach dem Praktikum nicht wiederaufnahm. Daraus ergibt sich eindeutig, daß auch die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Zulage während der Semesterferien im Sommer 1987 nicht erfuellt waren.

31 Zu dem Vorbringen des Klägers, daß ihm die Kinderzulage gezahlt worden sei, ohne daß ihm gleichzeitig die Erziehungszulage gewährt worden sei, genügt die Feststellung, daß die Beklagte tatsächlich annahm, das bei der Kommission abgeleistete Praktikum sei eine Berufsausbildung im Sinne von Artikel 2 des Anhangs VII des Statuts und die Kriterien dieses Artikels und die des Artikels 3 seien verschieden.

32 Der Klagegrund des Verstosses gegen Artikel 3 des Anhangs VII greift demnach nicht durch.

33 In zweiter Linie führt der Kläger aus, die Rückforderung der streitigen Erziehungszulagen sei von der Beklagten unter Verstoß gegen Artikel 85 des Statuts angeordnet worden. Der Kläger macht geltend, Nadia Costacurta sei, während sie ihr Praktikum bei der Kommission in Brüssel absolviert habe, für ihn noch Studentin gewesen. Er habe sie im Juli und August als eine in den Ferien befindliche Studentin angesehen.

34 Der Kläger trägt ausserdem vor, die Rückforderung der für April bis Juni 1987 gezahlten Zulagen verstosse gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und die entsprechende Entscheidung, die ein Jahr nach der Zahlung ergangen sei, sei verspätet.

35 Vorab ist auf die Regelung hinzuweisen, die für das Verwaltungsverfahren auf diesem Gebiet gilt.

36 Der Antrag auf Gewährung der Erziehungszulage wird für jedes Schuljahr mit einem Formular gestellt, dem gegebenenfalls Belege beizufügen sind. Mit seiner Unterschrift verpflichtet sich der Beamte, der Verwaltung "jede Änderung anzuzeigen, die eine Änderung des Anspruchs auf die Zulage zur Folge haben kann, wobei insoweit zu Unrecht empfangene Beträge von (( seinem )) Gehalt einbehalten werden ".

37 Diese Erklärung findet ihre Grundlage zum Teil in Artikel 7 der allgemeinen Durchführungsbestimmungen, wonach der Beamte "verpflichtet ist, jede Änderung mitzuteilen, die den Wegfall oder die Kürzung der Erziehungszulage zur Folge haben kann ".

38 In diesem Kontext ist Artikel 85 des Statuts über die Rückforderung von Beträgen auszulegen, deren Zahlung aufgrund von Faktoren geändert werden kann, die nur der Beamte imstande ist, der Verwaltung mitzuteilen.

39 Wie der Gerichtshof mehrfach, zuletzt in seinem Urteil vom 17. Januar 1989 in der Rechtssache 310/87 ( Stempels/Kommission, Slg. 1989, 43 ), entschieden hat, bedeutet der in Artikel 85 des Statuts enthaltene Begriff "so offensichtlich", der den Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung charakterisiert, nicht, daß der Beamte nicht die geringste Mühe auf Überlegungen oder auf eine Nachprüfung zu verwenden braucht.

40 Im vorliegenden Fall musste der Kläger, der sich nicht auf eine mangelnde Kenntnis der einschlägigen Regelung beruft, ganz offensichtlich zu der Feststellung gelangen, daß seine persönliche Auslegung von Artikel 3 des Anhangs VII des Statuts und der Durchführungsbestimmungen dazu zumindest zweifelhaft war und daß Grund bestand, eine Nachprüfung bei den zuständigen Behörden vorzunehmen. Der Kläger hat sich jedoch damit begnügt, sich auf seine falsche Auslegung der Regelung zu stützen, ohne der zuständigen Dienststelle bereits am 16. März 1987 die Änderung seiner familiären Situation mitgeteilt zu haben, die zweifellos bedeutsam war.

41 Der Kläger hat daher die Verpflichtung verletzt, die ihm nach den einschlägigen Vorschriften oblag und die er durch die Unterzeichnung des erwähnten Formulars ausdrücklich anerkannt hatte.

42 Somit ist die in Artikel 85 des Statuts aufgestellte Voraussetzung für die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge - nämlich daß der Mangel des rechtlichen Grundes so offensichtlich war, daß der Kläger ihn hätte kennen müssen - im vorliegenden Fall erfuellt.

43 Zum Klagegrund des Verstosses gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, auf den sich der Kläger beruft, ist zudem darauf hinzuweisen, daß Artikel 85 selbst Ausdruck dieses Grundsatzes ist und daß diese Vorschrift unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles auszulegen ist.

44 Der Kläger trägt vor, die Entscheidung vom 26. April 1988 sei unter Verletzung des berechtigten Vertrauens ergangen, das ein Beamter in die Entscheidungen seiner Verwaltung setzen können müsse. Seit Mai 1987 sei die Verwaltung von dem Praktikum der Nadia Costacurta bei der Kommission in Brüssel unterrichtet gewesen. Der Kläger selbst habe den Dienststellen der Verwaltung in Luxemburg die Anschrift seiner Tochter während des Praktikums in Brüssel mitgeteilt. Die Anstellungsbehörde habe folglich ihre Entscheidung im Oktober 1987 in Kenntnis des gesamten Akteninhalts getroffen. Der Leiter der Personalabteilung in Luxemburg habe ebenfalls über das Praktikum der Nadia Costacurta Bescheid gewusst.

45 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß es einem normal sorgfältigen Beamten nicht entgehen kann, daß eine Mitteilung über die Änderung seiner familiären Situation klar und unzweideutig unmittelbar an die zuständige Dienststelle der Verwaltung zu richten ist. Dies hat der Kläger im übrigen im September 1987 getan.

46 Dagegen kann sich der Beamte nicht die Tatsache zunutze machen, daß die Verwaltung diese Informationen zufällig erhalten hat.

47 Im vorliegenden Fall führte gerade der Verstoß des Klägers gegen seine Verpflichtung, die Änderung seiner familiären Situation bereits am 16. März 1987 ordnungsgemäß mitzuteilen, dazu, daß die im Oktober 1987 von der Verwaltung getroffene Entscheidung erging, ohne daß das Praktikum der Nadia Costacurta berücksichtigt wurde.

48 Aus demselben Grund erging die Entscheidung über die Rückforderung der zuviel gezahlten Zulagen, die auf den Angaben beruhte, die die Verwaltung nach verschiedenen Nachprüfungen erhielt, erst im April 1988. Unter diesen Umständen ist die Entscheidung innerhalb angemessener Frist getroffen worden. Sie kann folglich nicht als verspätet bezeichnet werden.

49 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der Klagegrund des Verstosses gegen Artikel 85 wie auch der des Verstosses gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht durchgreifen können.

50 Zur Begründung seines Antrags auf Aufhebung der Entscheidung vom 26. April 1988 beruft sich der Kläger schließlich auf einen Verstoß gegen Artikel 90 des Statuts. Seines Erachtens hätte der Generaldirektor die am 3. Dezember 1987 eingetragene Beschwerde der Kommission vorlegen müssen, damit sie eine offizielle Entscheidung über die Rückforderung der für Juli und August 1987 gezahlten Erziehungszulage traf. Diese Entscheidung hätte die Beschwerdefrist erneut in Gang gesetzt. Die Tatsache, daß keine ausdrückliche Entscheidung ergangen sei, habe den Kläger gezwungen, eine zweite Klage zu erheben.

51 Die Beklagte hält dem entgegen, daß eine etwaige ausdrückliche Antwort sich nicht auf Punkte hätte beziehen können, die nicht Beschwerdegegenstand gewesen seien, also auf die Ansprüche für April, Mai und Juni. Die erneute Ingangsetzung der Klagefrist gegen die Entscheidung vom Oktober 1987 hätte nicht zu einer Verlängerung geführt, die ausreichend gewesen wäre, damit innerhalb dieser verlängerten Frist eine - jedenfalls stillschweigende - Zurückweisung der neuen Beschwerde hätte ergehen können. Auf jeden Fall sei der Klagegrund keineswegs so aufzufassen, daß er sich auf einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften beziehe, der zur Nichtigkeit führe.

52 Insoweit ist festzustellen, daß der Kläger nicht nachgewiesen hat, daß seine Lage anders gewesen wäre, wenn die Kommission die erste der angefochtenen Entscheidungen selbst getroffen hätte. Hieraus folgt, daß dieser Klagegrund zurückzuweisen ist.

53 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß die beiden Klagen abzuweisen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

54 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT ( Dritte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klagen werden abgewiesen.

2 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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