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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 12.07.1990
Aktenzeichen: T-35/89
Rechtsgebiete: VerfO


Vorschriften:

VerfO Art. 83 § 2
VerfO Art. 93
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die von einem Prüfungsausschuß für die Abfassung einer schriftlichen Prüfungsarbeit eines allgemeinen Auswahlverfahrens aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen vorgeschriebene Hoechstzahl von Wörtern, deren Nichtbeachtung dazu führt, daß die Manuskripte nicht korrigiert werden, hat den Zweck, den Bewerbern bei der Behandlung des Themas der Prüfung die gleichen Bedingungen zu verschaffen und es den Korrektoren zu ermöglichen, auf vergleichbare Arbeiten in einheitlicher Weise objektive Kriterien anzuwenden.

Unter diesen Umständen stellt die den Korrektoren vom Prüfungsausschuß nach Ablauf der Prüfungen erteilte Weisung, die vorgeschriebene Hoechstzahl von Wörtern um bis zu 50 % anzuheben, eine wesentliche Unregelmässigkeit dar, die sowohl die Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Korrektur der Prüfung als auch die Handlungen des späteren Verfahrens fehlerhaft machen kann, deren Aufhebung jedoch nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Unregelmässigkeit das Endergebnis des Auswahlverfahrens verfälscht.

Es obliegt dem beklagten Organ, zu beweisen, daß dies nicht der Fall ist. Mangels eines solchen Beweises muß das Gericht, das weder nachprüfen kann, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bewerber bei der Korrektur der schriftlichen Prüfung beachtet worden ist, noch, ob die Unregelmässigkeit das Endergebnis des Auswahlverfahrens verfälschen konnte, sowohl die Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Korrektur der Prüfung als auch die späteren Handlungen des Verfahrens aufheben.

2. Die Bewerber, die eine schriftliche Prüfung eines Auswahlverfahrens nicht bestanden haben, haben ein berechtigtes Interesse daran, geltend zu machen, daß die Bedingungen des Auswahlverfahrens wesentlich geändert wurden durch die den Korrektoren vom Prüfungsausschuß nach Ablauf der Prüfung erteilte Weisung, die Hoechstzahl der Wörter anzuheben, die für die Abfassung der Prüfungsarbeit vorgeschrieben worden war, um sicherzustellen, daß nur vergleichbare Arbeiten korrigiert werden.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 12. JULI 1990. - ALESSANDRO ALBANI UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - EINSTELLUNG - AUSWAHLVERFAHREN AUFGRUND VON PRUEFUNGEN - RECHTSVERSTOESSE BEI DER KORREKTUR - AUFHEBUNG. - RECHTSSACHE T-35/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die Kommission eröffnete mit am 12. Februar 1987 veröffentlichter Bekanntgabe des Auswahlverfahrens KOM/A/482 ( ABl. C 34, S. 15 ) ein allgemeines Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zur Bildung einer Einstellungsreserve von Verwaltungsräten der Besoldungsgruppen 7 und 6 der Laufbahngruppe A in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei und Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern.

2 Die Prüfungen sollten gemäß der Bekanntgabe in zwei Phasen - einer schriftlichen und einer mündlichen - ablaufen.

3 Die schriftliche Phase war ebenfalls in zwei aufeinanderfolgende Abschnitte unterteilt : eine erste schriftliche Prüfung bestehend aus einer Reihe von Fragen mit mehreren Antwortvorgaben ( Multiple-choice-Verfahren ) zur Beurteilung der einschlägigen Kenntnisse des Bewerbers auf den Sachgebieten, auf die sich das Auswahlverfahren bezog; eine zweite - praktische - Prüfung zur Beurteilung der analytischen Fähigkeiten des Bewerbers und seiner Erfahrung bei der Bearbeitung eines Vorgangs. Nur wer die erste schriftliche Prüfung bestand, konnte an der zweiten teilnehmen.

4 Zur Teilnahme an der mündlichen Phase wurden die Bewerber zugelassen, die bei den beiden Prüfungen der schriftlichen Phase von insgesamt 100 Punkten mindestens 60 Punkte und bei jeder Einzelprüfung die Mindestpunktzahl erzielt hatten.

5 Die vier Kläger zählten zu den 877 Bewerbern, die zu den schriftlichen Prüfungen zugelassen worden waren. Die erste schriftliche Prüfung fand am 20. November 1987 an 19 verschiedenen Orten in Europa, Südamerika und Australien statt. Die Kläger erzielten die Mindestpunktzahl bei der Vorausscheidungsprüfung und nahmen an der zweiten schriftlichen Prüfung teil.

6 Bei dieser letztgenannten schriftlichen Prüfung, deren Dauer auf dreieinhalb Stunden festgesetzt worden war, gab der Prüfungsausschuß den Bewerbern auf, anhand eines Vorgangs einen für die gesamte Ausarbeitung auf 800 Wörter beschränkten Vermerk vorzulegen. Der - für den Präsidenten der Kommission abgefasste - Vermerk sollte eine Zusammenfassung des Sonderberichts des Rechnungshofs über das System zur Zahlung der Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie die persönlichen Ansichten des Bewerbers zu dem behandelten Problem umfassen.

7 Von den 800 Wörtern der Ausarbeitung sollten 300 der Darstellung der persönlichen Ansichten der Bewerber gewidmet sein. Die Bewerber sollten die verwendeten Wörter selbst zählen und diese Zahlen in entsprechende Tabellen eintragen. Die Nichtbeachtung der genannten Bedingungen sowie die Unleserlichkeit der Manuskripte sollten dazu führen, daß die Kopien als den Anweisungen nicht entsprechend nicht korrigiert wurden.

8 Nach der Durchführung der zweiten schriftlichen Prüfung und vor ihrer Korrektur wies der Prüfungsausschuß die Korrektoren an, die offensichtlich zu langen Manuskripte, das heisst die mit mehr als 1 200 Wörtern, nicht zu korrigieren.

9 Die Kläger bestanden die zweite schriftliche Prüfung nicht, da sie für die beiden Prüfungen nicht das erforderliche Minimum von 60 % der Punkte erreicht hatten. Daher wurden sie nicht zur Teilnahme an der mündlichen Prüfung zugelassen, wie der Leiter der Abteilung "Einstellungen" ihnen mit Schreiben vom 21. März 1988 mitteilte.

10 Nur 172 Bewerber wurden zur mündlichen Prüfung zugelassen, von denen 167 daran teilnahmen.

11 Schließlich wurde am 26. Mai 1988 eine Eignungsliste mit 67 erfolgreichen Bewerbern erstellt.

Verfahren

12 Unter diesen Umständen haben die Kläger mit Klageschrift, die am 25. Mai 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage erhoben gegen die Entscheidungen des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM/A/482.

13 Am Tag der Einreichung der Klageschrift haben die Kläger mit besonderem Schriftsatz einen Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung gestellt, mit dem sie die Aussetzung der weiteren Vorgänge des Auswahlverfahrens, insbesondere die Aussetzung der Erstellung oder der Bekanntgabe der aus diesem Auswahlverfahren resultierenden Eignungsliste, begehrten.

14 Am 12. Juni 1988 haben Anträge auf Zulassung als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kläger gemäß Artikel 93 der Verfahrensordnung eingereicht

- der Verband der internationalen und europäischen Beamten ( SFIE ),

- der Gewerkschaftsbund, Giovanni di Muro und Arlette Grynberg,

- die zentrale Personalvertretung.

Diese Anträge sind sowohl für das Verfahren der einstweiligen Anordnung als auch für das Hauptverfahren gestellt worden.

15 Durch Beschluß vom 13. Juni 1988 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichtshofes den Gewerkschaftsbund und den Verband der internationalen und europäischen Beamten als Streithelfer im Verfahren der einstweiligen Anordnung zugelassen und die Anträge von Herrn di Muro und Frau Grynberg zurückgewiesen.

16 In der mündlichen Verhandlung über die einstweilige Anordnung hat die Kommission angegeben, nur fünf der 172 Bewerber, die die schriftliche Prüfung bestanden hätten, hätten die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten und keiner von diesen fünf Bewerbern stehe auf der Eignungsliste. In derselben Sitzung hat die zentrale Personalvertretung ihren Streithilfeantrag zurückgenommen.

17 Mit Beschluß vom 21. Juni 1988 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichtshofes den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen. Der Gerichtshof hat zwar das Vorgehen der Kommission, diese anonymen Informationen erst in der mündlichen Verhandlung zu erteilen, als bedauerlich bezeichnet, er hat jedoch gemeint, daß er sie in diesem Stadium des Verfahrens seiner Entscheidung zugrunde legen dürfe. Er hat die Ansicht vertreten, daß diesen Informationen zufolge die angebliche Fehlerhaftigkeit nicht dazu angetan sei, das Endergebnis des Auswahlverfahrens zu verfälschen.

18 Mit Beschluß vom 13. Dezember 1988 hat der Gerichtshof ( Zweite Kammer ) den Gewerkschaftsbund und den Verband der internationalen und europäischen Beamten als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kläger im Hauptverfahren zugelassen.

19 Mit Beschlüssen vom 13. Dezember 1988 hat der Gerichtshof die Rücknahme der Streithilfeanträge von Herrn di Muro und Frau Grynberg sowie des Streithilfeantrags der zentralen Personalvertretung zur Kenntnis genommen.

20 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht erster Instanz verwiesen.

21 Mit Beschluß vom 13. Februar 1990 hat das Gericht ( Dritte Kammer ) die Kommission aufgefordert, folgende Unterlagen vorzulegen :

a ) die sich aus dem Auswahlverfahren KOM/A/482 ergebende Eignungsliste;

b ) den Zwischen - und den Abschlußbericht des Prüfungsausschusses über die zweite schriftliche Prüfung und die mündliche Prüfung dieses Auswahlverfahrens;

c ) die Aktenauszuege in bezug auf die zweite schriftliche Prüfung der 67 erfolgreichen Bewerber oder ein anderes sachdienliches Mittel, mit dem die Zahl der von diesen Bewerbern in ihrer Ausarbeitung für die zweite schriftliche Prüfung verwendeten Wörter bewiesen werden könnte.

22 Mit Beschluß vom 14. März 1990 hat das Gericht eine Verlängerung der zur Vorlegung dieser Unterlagen eingeräumten Frist gewährt.

23 Auf den Beschluß des Gerichts hat das beklagte Organ am 22. März 1990 einen Teil der angeforderten Unterlagen, und zwar die unter a und b angeführten, vorgelegt. Was Punkt c angeht, so hat die Kommission unter Hinweis darauf, daß sie "nicht in der Lage (( sei )), den fraglichen Punkt zu erfuellen", keine Unterlagen vorgelegt.

24 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Es hat die Kommission aufgefordert, einige Erläuterungen zu geben, die es für die Zwecke des Prozesses für notwendig hielt. Im einzelnen ist die Kommission aufgefordert worden, in der mündlichen Verhandlung folgende Erläuterungen zu geben :

a ) anzugeben, ob die Eignungsliste immer noch gilt und, falls ihre Geltung beendet ist, ob aufgrund dieser Liste Einstellungen vorgenommen worden sind;

b ) den Beweis zu erbringen, daß nur fünf Personen die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten haben ( davon eine mit 810, zwei mit 820 bis 830 und zwei weitere mit 840 bis 850 Wörtern );

c ) nachzuweisen, daß die obengenannten fünf Bewerber nicht auf der Liste der erfolgreichen Bewerber stehen.

25 In der Sitzung vom 3. Mai 1990 hat der Bevollmächtigte der Kommission erklärt, daß die Geltung der Eignungsliste bis zum 31. Dezember 1990 verlängert worden sei und daß aufgrund dieser Liste Einstellungen vorgenommen worden seien. Diese Informationen sind durch ein Schriftstück ergänzt worden, das er in der Sitzung überreicht hat und auf dem die Namen der bis zu dem Tag eingestellten erfolgreichen Bewerber stehen. Ausserdem hat der Bevollmächtigte der Kommission darauf hingewiesen, daß es ihm materiell unmöglich sei, die unter Punkt c des vorgenannten Beschlusses sowie unter den Punkten b und c des vom Gericht an die Kommission gerichteten Fragenkatalogs genannten schriftlichen Prüfungsarbeiten vorzulegen, da die schriftlichen Prüfungsarbeiten des Auswahlverfahrens trotz der von Herrn Kalbe, dem Leiter der Abteilung "Einstellungen", bei seiner Versetzung erteilten entgegengesetzten Weisungen vernichtet worden seien. In Anbetracht dieser Tatsache hat die Kommission beantragt, Herrn Kalbe als Zeugen vor dem Gericht zu vernehmen, damit er die genannten Fragen beantworte.

26 Mit Beschluß vom 15. Mai 1990 hat das Gericht, das sich seine Entscheidung über den Antrag auf Vernehmung des Herrn Kalbe vorbehielt, entschieden, es sei zweckmässig, die Mitglieder des Prüfungsausschusses Benda und Bouratsis als Zeugen zu vernehmen. Die Zeugen sind aufgefordert worden, sich zu den Vorgängen im Zusammenhang mit der Korrektur der schriftlichen Prüfungsarbeiten des genannten Auswahlverfahrens zu äussern und nach ihrer Erfahrung die Praxis der Verwaltung hinsichtlich der Aufbewahrung der Prüfungsarbeiten nach Ablauf eines Auswahlverfahrens zu beschreiben. Das Gericht hat nicht Herrn Ries als Vorsitzenden des Prüfungsausschusses als Zeugen vernehmen können, da sich dieser, der inzwischen in den Ruhestand versetzt worden ist, nach den der Kanzlei erteilten Informationen für unbestimmte Zeit auf einer weiten Reise befand.

27 In der Sitzung vom 6. Juni 1990 hat das Gericht Herrn Benda und - auf Antrag der Kommission - auch Herrn Heine, den stellvertretenden Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, vernommen.

28 Herr Benda hat unter anderem ausgesagt, er könne weder die genaue Zahl der Bewerber, die die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten hätten, noch die Zahl der verwendeten Wörter angeben. Auf jeden Fall dürfte es sich dabei um nicht mehr als zehn Bewerber gehandelt haben, und die Zahl der Wörter, die die Hoechstzahl überschritten hätten, dürfte nicht über 200 gelegen haben. Auch könne er nicht sagen, ob einer dieser Bewerber in die Eignungsliste aufgenommen worden sei. Die Weisungen an die Korrektoren, wonach die Korrektur der 1 200 Wörter nicht überschreitenden Manuskripte erlaubt gewesen sei, hätten bezweckt, deren Aufgabe durch Einräumung einer gewissen Flexibilität zu erleichtern. Schließlich hat der Zeuge ausgesagt, ihm sei die Praxis der Verwaltung hinsichtlich der Aufbewahrung der Unterlagen eines Auswahlverfahrens nicht bekannt.

29 Der zweite Zeuge, Herr Heine, hat unter anderem ausgesagt, er wisse nicht, ob es zur mündlichen Prüfung zugelassene Bewerber gegeben habe, die die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten hätten. Von dem Zeitpunkt an, zu dem beschlossen worden sei, die Überschreitung von 800 Wörtern zuzulassen, sei diese Frage nicht mehr geprüft worden. Der Prüfungsausschuß habe sich damit begnügt, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Korrektoren keine erhebliche Überschreitung von 800 Wörtern festgestellt hätten. Er erinnere sich auch nicht, ob sich unter den 67 erfolgreichen Bewerbern einer befunden habe, der die Schwelle von 800 Wörtern überschritten habe. Er kenne auch nicht die Praxis hinsichtlich der Aufbewahrung der Unterlagen nach Ablauf eines Auswahlverfahrens. Was das fragliche Auswahlverfahren angehe, so seien zwei Sekretärinnen der Generaldirektion ( GD ) IX damit betraut worden, die Prüfungsarbeiten aufzubewahren. Seiner Ansicht nach hätten diese Sekretärinnen sie nicht selbst vernichten können.

30 Mit Beschluß vom 6. Juni 1990 hat das Gericht entschieden, es sei zweckmässig, dem Antrag der Kommission auf Vernehmung des Herrn Kalbe als Zeuge zu den Vorgängen im Zusammenhang mit der Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung und zum Schicksal der Prüfungsarbeiten nach Ablauf des streitigen Auswahlverfahrens stattzugeben.

31 In der Sitzung vom 20. Juni 1990 hat das Gericht Herrn Bouratsis und Herrn Kalbe als Zeugen vernommen.

32 Herr Bouratsis hat unter anderem ausgesagt, die Bewerber hätten die verwendeten Wörter selbst zählen müssen und die Korrektoren hätten natürlich eine Kontrolle vornehmen müssen. Die Weisung, die Prüfungsarbeiten mit mehr als 800 Wörtern zu korrigieren, sei eine Initiative des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses gewesen, die den übrigen Ausschußmitgliedern später mitgeteilt worden sei. Im übrigen sei er ausserstande, die Zahl der zu den mündlichen Prüfungen zugelassenen Bewerber zu nennen, die die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten hätten. Er hat ebenfalls ausgesagt, daß er die Verwaltungspraxis hinsichtlich der Aufbewahrung der Prüfungsarbeiten nach Ablauf eines Auswahlverfahrens nicht kenne. Was die fraglichen Prüfungsarbeiten angehe, so erinnere er sich, daß die Sekretärinnen die Vorgänge nach Ablauf des Auswahlverfahrens in einen Safe der GD IX gelegt hätten; ihr späteres Schicksal kenne er jedoch nicht.

33 Herr Kalbe hat unter anderem ausgesagt, daß die Weisungen an die Korrektoren vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses vor der Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung erteilt worden seien. Die Frage nach der Überschreitung der erlaubten Wörterzahl habe sich für den Prüfungsausschuß gestellt, als der Gewerkschaftsbund sie in einer Mitteilung an das Personal vor der Durchführung der mündlichen Prüfungen aufgeworfen habe. Zu dem Zeitpunkt habe der Prüfungsausschuß das Sekretariat um Vornahme einer Kontrolle gebeten. Eine zweite Kontrolle sei während des Verfahrens der einstweiligen Anordnung vor dem Gerichtshof durchgeführt worden. Die Kontrolle habe sich auf die Prüfungsarbeiten der 172 Personen bezogen, die zum Mündlichen zugelassen worden seien. Von diesen Prüfungsarbeiten habe das Sekretariat diejenigen kontrolliert, auf denen eine Zahl von etwa 800 Wörtern angegeben gewesen sei. Bei den übrigen Arbeiten habe er Stichproben vorgenommen. Am Ende dieser Kontrolle habe sich gezeigt, daß nur fünf Bewerber die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten hätten. Er selbst könne die Namen dieser fünf Personen nicht mitteilen, da die Überprüfung anhand der Kennzahl des erfolgreichen Bewerbers im Vergleich mit der Kennzahl der genannten fünf Personen erfolgt sei. Keine dieser fünf Personen sei in das Verzeichnis der erfolgreichen Bewerber aufgenommen worden. Die Vorgänge mit den schriftlichen Prüfungsarbeiten würden normalerweise lange aufbewahrt. Was die fraglichen Prüfungsarbeiten angehe, so habe er die erforderlichen Weisungen erteilt, damit sie aufbewahrt würden. Er habe jedoch die Abteilung "Einstellungen" Ende Juli 1989 verlassen müssen. Als er anläßlich des schriftlichen Verfahrens die Archive durchgesehen habe, habe er nichts gefunden. Daraus schließe er, daß die Prüfungsarbeiten vernichtet worden sein müssten.

34 Nach der Vernehmung der Zeugen sind die Vertreter der Parteien angehört worden; nach deren Ausführungen hat der Präsident die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt.

Anträge der Parteien

35 Die Kläger beantragen,

- die Klage für zulässig und begründet zu erklären,

- demgemäß das gesamte Verfahren der Korrektur der schriftlichen Prüfungsarbeiten des Auswahlverfahrens, zumindest aber die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die Kläger nicht zu den mündlichen Prüfungen des Auswahlverfahrens zuzulassen, aufzuheben,

- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

36 Das beklagte Organ beantragt,

- die Klage als unbegründet abzuweisen,

- über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

Zur Begründetheit

37 Die Kläger machen im wesentlichen geltend, der Prüfungsausschuß für das Auswahlverfahren sei, nachdem er beschlossen habe, den Bewerbern eine bestimmte Zeit zu gewähren, ihnen eine Hoechstzahl von Wörtern ( 800 ) vorgeschrieben habe und sie gezwungen habe, diese selbst zu zählen, von seinen Weisungen abgewichen und habe die Korrektoren gebeten, die Prüfungsarbeiten mit mehr als 1 200 Wörtern nicht zu korrigieren. Damit habe der Prüfungsausschuß den Korrektoren vorgeschrieben, die Prüfungsarbeiten der Bewerber zu berücksichtigen, die absichtlich gegen die genannten Weisungen verstossen hätten, indem sie die Zahl der vorgeschriebenen Wörter überschritten und sich weder die Mühe gemacht noch die Zeit genommen hätten, die von ihnen verwendeten Wörter zu zählen. Folglich habe der Prüfungsausschuß die von ihm ursprünglich für den Ablauf der schriftlichen Prüfungen festgelegten klaren Bedingungen geändert, indem er es bestimmten Bewerbern ermöglicht habe, sich auf Kosten der übrigen Bewerber einen unbestreitbaren Vorteil zu verschaffen. Diese Vorgehensweise stelle einen Verstoß gegen die für den Ablauf der zweiten schriftlichen Prüfung festgelegten Kriterien sowie gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Objektivität und des Vertrauensschutzes dar und müsse daher zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen führen.

38 Die Kommission führt aus, von den 172 Bewerbern, die die zweite schriftliche Prüfung bestanden hätten, hätten nur fünf die Hoechstzahl von 800 Wörtern überschritten, und zwar habe einer bis 810 Wörter, zwei hätten 820 bis 830 und zwei weitere 840 bis 850 Wörter verwendet. Keiner dieser fünf Bewerber sei in die Liste der erfolgreichen Bewerber aufgenommen worden. Die Änderung der vom Prüfungsausschuß festgelegten Bedingungen sei angesichts der besonderen Bedingungen der Prüfung, der Zählfehler, die hätten vorkommen können, und der Strukturunterschiede zwischen den von den Bewerbern verwendeten Sprachen, denen habe Rechnung getragen werden müssen, gerechtfertigt gewesen. Darüber hinaus seien die Kläger von den Weisungen an die Korrektoren nicht betroffen gewesen, da ihr Ausschluß nach der zweiten schriftlichen Prüfung auf eine Entscheidung des Prüfungsausschusses zurückgehe, die auf einer vergleichenden und objektiven Beurteilung der Qualität ihrer Prüfungsarbeiten beruht habe.

39 Die Kläger bemerken, der Strukturunterschied zwischen den Sprachen könne keine Neubewertung der festgelegten Normen um 50 % rechtfertigen. Im vorliegenden Fall hätte der Prüfungsausschuß vor der Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung zunächst alle Bewerber, die die verwendeten Wörter nicht gezählt hätten, sowie alle diejenigen, die die vorgesehene Hoechstzahl nicht eingehalten hätten, ausschließen müssen. Schließlich vertreten die Kläger die Auffassung, die Beklagte habe keinen Beweis erbracht für die Zahl der Bewerber, die die vorgesehene Hoechstzahl überschritten hätten, und für die Zahl der Wörter, die über diese Hoechstzahl hinaus verwendet worden seien. Damit ermögliche die Kommission weder dem Gericht noch den Klägern, nachzuprüfen, ob die angefochtenen Entscheidungen nicht zu einer Verfälschung der vergleichenden Prüfung der Verdienste der Bewerber geführt hätten.

40 Die Kommission entgegnet, es sei schwer vorstellbar, wie die vergleichende Prüfung der Arbeiten nur dadurch fehlerhaft geworden sein könne, daß der Prüfungsausschuß die Arbeiten der fünf anderen Bewerber berücksichtigt habe, die die Hoechstzahl von 800 Wörtern leicht überschritten hätten. Sie sei im übrigen bereit und in der Lage, dem Gericht den Beweis für ihr Vorbringen zu liefern. Schließlich beruft sich die Kommission auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach dem Prüfungsausschuß ein weites Ermessen zustehe und die Begründetheit seiner Werturteile vom Gericht nicht nachgeprüft werden könne.

41 Die Streithelfer, die sich dem Vorbringen der Kläger anschließen, heben ausserdem die Wichtigkeit der zweiten schriftlichen Prüfung und die Tatsache hervor, daß die Kommission die Richtigkeit ihrer Behauptungen nicht bewiesen habe.

42 Es ist festzustellen, daß die fragliche Bekanntgabe des Auswahlverfahrens unter Punkt VII die Art, die Dauer und die Regeln für die Bewertung der schriftlichen Prüfungen angibt. Was speziell die zweite schriftliche Prüfung angeht, so sollte sie praktischer Natur sein und anhand eines Vorgangs erfolgen, um es den Korrektoren zu ermöglichen, die analytischen Fähigkeiten des Bewerbers und seine Erfahrung bei der Bearbeitung eines Vorgangs zu beurteilen. Gemäß der Bekanntgabe des Auswahlverfahrens gab der Prüfungsausschuß den Bewerbern auf, einen praktischen Vermerk anzufertigen, und setzte ihnen sowohl eine zeitliche ( dreieinhalb Stunden ) als auch eine redaktionelle ( 800 Wörter ) Grenze, deren Nichtbeachtung dazu führen sollte, daß die Manuskripte nicht korrigiert wurden.

43 Die gesetzten Grenzen hatten den Zweck, den Bewerbern bei der Behandlung des Themas der schriftlichen Prüfung die gleichen Bedingungen zu verschaffen und es den Korrektoren zu ermöglichen, auf vergleichbare Arbeiten in einheitlicher Weise objektive Kriterien anzuwenden. Die Nichtbeachtung der Hoechstgrenze von 800 Wörtern stellt, sofern sie sich als wesentlich erweist, eine Unregelmässigkeit dar, die sowohl die streitige Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Korrektur der Prüfung als auch das spätere Verfahren fehlerhaft machen kann.

44 Wenn es sich jedoch um ein allgemeines Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen handelt, dessen Ablauf in mehreren Abschnitten erfolgt, rechtfertigt die in einem Zwischenabschnitt aufgetretene Unregelmässigkeit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur dann, wenn der Fehler das Ergebnis des Auswahlverfahrens verfälscht hat. In einem solchen Fall stellt nämlich das Auswahlverfahren ein komplexes Verwaltungsverfahren in dem Sinne dar, daß sich die früheren Handlungen in der Abschlußhandlung verkörpert finden.

45 Im vorliegenden Fall behaupten die Kläger, die den Korrektoren erteilten Weisungen des Prüfungsausschusses stellten eine wesentliche Änderung der Bedingungen der zweiten schriftlichen Prüfung dar. Diese Rüge, deren Richtigkeit tatsächlich erwiesen ist, erscheint rechtlich begründet. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen stellt nämlich die vom Prüfungsausschuß vorgenommene spätere Neubewertung der Zahl der bei der Prüfung zugelassenen Wörter in einem Ausmaß, das bis zu 50 % gehen konnte, eine wesentliche Unregelmässigkeit dar, die weder durch den Strukturunterschied der verwendeten Sprachen noch durch etwaige Zählfehler der Bewerber gerechtfertigt werden kann, wie die Verwaltung zu Unrecht meint.

46 Das Argument der Beklagten, daß die den Korrektoren erteilten Weisungen die Kläger nicht unmittelbar betroffen hätten, ist unbegründet. Die Kläger haben nämlich ein berechtigtes Interesse an der Geltendmachung dieser Rüge, die sich auf die Einhaltung der bei der gemeinsamen Prüfung gesetzten Grenzen bezieht, damit nur vergleichbare Arbeiten korrigiert werden.

47 Dagegen erscheint unter Berücksichtigung der oben ( unter Randnrn. 43 und 44 ) dargelegten Erwägungen das Argument der Beklagten, daß nur fünf Bewerber die Hoechstzahl von 800 Wörtern leicht überschritten hätten und diese nicht wesentliche Unregelmässigkeit das Endergebnis des Auswahlverfahrens nicht habe verfälschen können, erheblich und ist deshalb zu prüfen.

48 Da die Kläger nachgewiesen haben, daß der Prüfungsausschuß die Überschreitung der gesetzten Grenzen zugelassen hat, obliegt dem beklagten Organ der Beweis für die Richtigkeit seiner früheren Behauptungen, zumal im vorliegenden Fall die streitigen Prüfungsarbeiten sich in seinem Besitz befinden.

49 Die Beklagte, die mit Beschluß vom 13. Februar 1990 aufgefordert worden ist, diesen Beweis durch Vorlegung sachdienlicher Unterlagen zu erbringen, hat erklärt, sie sei nicht in der Lage, diesen Punkt des Beschlusses zu erfuellen. In der Sitzung hat der Vertreter der Kommission erläutert, es sei ihm materiell unmöglich, die schriftlichen Prüfungsarbeiten vorzulegen, da sie nach der Versetzung des Herrn Kalbe, des damaligen Leiters der Abteilung "Einstellungen", vernichtet worden seien. Unter diesen Umständen hat das Gericht, wie im Teil "Verfahren" dieses Urteils ausführlich dargelegt ist, die Vernehmung von Zeugen beschlossen.

50 Aus den Aussagen der Zeugen ergibt sich, daß der Prüfungsausschuß nicht selbst überprüft hat, ob die 800 Wörter überschritten waren. Die Kontrolle ist vom Sekretariat der Abteilung "Einstellungen", namentlich anläßlich des Verfahrens der einstweiligen Anordnung, vorgenommen worden. Nach der Aussage des Herrn Kalbe hat sich diese Kontrolle nicht auf alle Prüfungsarbeiten der 172 zum Mündlichen zugelassenen Personen erstreckt, sondern ist auf die Prüfungsarbeiten beschränkt worden, auf denen die Bewerber eine Wortzahl von ungefähr 800 in die entsprechenden Tabellen eingetragen hatten, während die übrigen Prüfungsarbeiten nur stichprobenweise kontrolliert worden sind. Daher ist nicht ausgeschlossen, daß von den nicht kontrollierten Prüfungsarbeiten einige die vorgeschriebene Hoechstzahl überschritten haben. Folglich kann das Ergebnis dieser Kontrolle nicht als zuverlässig angesehen werden. Ausserdem gibt es keine Zeugenaussage über die Namen der fünf Bewerber, die der Verwaltung zufolge die Hoechstzahl überschritten haben, aber nicht in die Liste der erfolgreichen Bewerber aufgenommen worden sind. Nur die Identifizierung dieser Personen hätte es den Klägern erlaubt, einen Gegenbeweis anzubieten.

51 Angesichts dieser Umstände ist festzustellen, daß das beklagte Organ sein Hauptargument nicht bewiesen hat, daß nur fünf Bewerber die Hoechstzahl von 800 Wörtern leicht überschritten hätten und daß diese fünf Personen nicht auf der Liste der erfolgreichen Bewerber stuenden.

52 Somit kann das Gericht weder nachprüfen, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bewerber bei der Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung beachtet worden ist, noch, ob dieser Fehler das Endergebnis des Auswahlverfahrens verfälschen konnte.

53 Daraus folgt, daß den Anträgen der Kläger stattzugeben ist und die Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung des Auswahlverfahrens KOM/A/482 sowie die späteren Handlungen des Verfahrens aufzuheben sind. Die erneute Korrektur wird unter Vornahme einer vergleichenden Neubewertung der Prüfungsarbeiten erfolgen müssen, bei denen die gesetzten Grenzen beachtet worden sind. Sollten die Prüfungsarbeiten der 172 zum Mündlichen zugelassenen Bewerber jedoch als endgültig verloren anzusehen sein oder sollte bei einer erneuten Korrektur die Geheimhaltung der Arbeiten des Prüfungsausschusses nicht möglich sein, so kann die Verwaltung selbstverständlich das Auswahlverfahren jederzeit von der zweiten schriftlichen Prüfung an wiederaufnehmen.

Kostenentscheidung:

Kosten

54 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die nach Artikel 11 Absatz 3 des vorgenannten Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Gericht entsprechend gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten einschließlich der Kosten der Streithelfer aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT ( Dritte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM/A/482 über die Korrektur der zweiten schriftlichen Prüfung sowie die späteren Handlungen des Auswahlverfahrens werden aufgehoben.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer.

Ende der Entscheidung

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