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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 28.04.2008
Aktenzeichen: T-358/07
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 43 § 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTS (Achte Kammer)

28. April 2008

"Gemeinschaftsmarke - Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke Publicare - Klagefrist - Zufall - Entschuldbarer Irrtum - Offensichtliche Unzulässigkeit"

Parteien:

In der Rechtssache T-358/07

PubliCare Marketing Communications GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B. Mohr,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM),

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 27. Juni 2007 (Sache R 157/2007-4) über die Anmeldung des Wortzeichens Publicare als Gemeinschaftsmarke

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. E. Martins Ribeiro sowie der Richter N. Wahl und A. Dittrich (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Mit Klageschrift, die am 4. September 2007 als Fernkopie bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin, die PubliCare Marketing Communications GmbH, die vorliegende Klage erhoben. Die Urschrift der Klageschrift ist bei der Kanzlei des Gerichts am 17. September 2007 eingegangen.

2 Mit Schreiben des Kanzlers vom 8. Oktober 2007 ist die Klägerin aufgefordert worden, Mängel ihrer Klageschrift zu beheben und dem Gericht insbesondere mitzuteilen, an welchem Tag ihr die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 27. Juni 2007 (Sache R 157/2007-4) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) zugestellt worden war.

3 Mit am 9. Oktober 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat die Klägerin geltend gemacht, es beruhe auf einem Zufall und unvorhersehbaren Umständen, dass die Urschrift der Klageschrift erst am 17. September 2007 eingereicht worden sei, d. h. erst nach Ablauf der in Art. 43 § 6 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehenen Frist von zehn Tagen nach Übermittlung der Klageschrift mittels Fernkopierer. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, dass die Urschrift der Klageschrift am 4. September 2007, also noch am Tag der Übermittlung durch Fernkopierer, per Post an das Gericht abgeschickt worden sei. Die Postsendung sei aber am 17. September 2007 an die die Klägerin vertretende Rechtsanwaltskanzlei zurückgesandt worden, weil eine Mitarbeiterin der Kanzlei sie nicht ausreichend frankiert habe. Die Klägerin betont, dass dieser Umstand für ihren Rechtsanwalt unvorhersehbar gewesen sei, da sich die Mitarbeiterin der Kanzlei stets zuverlässig gezeigt habe. Es sei außerdem ein Zufall, dass die Sendung an den Absender nicht früh genug zurückgesandt worden sei, um sie innerhalb der in Art. 43 § 6 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von zehn Tagen erneut übermitteln zu können.

4 Mit am 18. Oktober 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat die Klägerin dem Gericht mitgeteilt, dass ihr die angefochtene Entscheidung am 4. Juli 2007 mittels Fernkopierer zugestellt worden sei.

Anträge der Klägerin

5 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- das HABM zu verpflichten, die Marke Publicare einzutragen.

Gründe

6 Gemäß Art. 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch mit Gründen zu versehenden Beschluss entscheiden.

7 Im vorliegenden Fall ist das Gericht in der Lage, auf der Grundlage des Akteninhalts in Anwendung dieses Artikels ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

8 Nach Art. 63 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung ist die Klage gegen die Entscheidung einer Beschwerdekammer des HABM innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung der Beschwerdekammer einzulegen. Gemäß Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung werden die Verfahrensfristen um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen verlängert.

9 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Klagefristen zwingenden Rechts, da sie zur Gewährleistung der Klarheit und Sicherheit der Rechtsverhältnisse und zur Vermeidung jeder Diskriminierung oder willkürlichen Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz eingeführt wurden, und es ist Sache des Gemeinschaftsrichters, von Amts wegen zu prüfen, ob sie gewahrt wurden (vgl. zur Frist gemäß Art. 230 Abs. 5 EG Urteil des Gerichtshofs vom 23. Januar 1997, Coen, C-246/95, Slg. 1997, I-403, Randnr. 21, und Urteil des Gerichts vom 18. September 1997, Mutual Aid Administration Services/Kommission, T-121/96 und T-151/96, Slg. 1997, II-1355, Randnrn. 38 und 39).

10 Im vorliegenden Fall wurde die angefochtene Entscheidung der Klägerin am 4. Juli 2007 zugestellt. Nach Art. 101 § 1 Buchst. a und b und Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung ist die Klagefrist einschließlich der Entfernungsfrist am 14. September 2007 abgelaufen.

11 Zwar ist die Klageschrift bei der Kanzlei des Gerichts am 4. September 2007, also vor Ablauf der Klagefrist, als Fernkopie eingegangen.

12 Nach Art. 43 § 6 der Verfahrensordnung ist jedoch der Tag, an dem eine Kopie der unterzeichneten Urschrift eines Schriftsatzes mittels Fernkopierer bei der Kanzlei des Gerichts eingeht, für die Wahrung der Verfahrensfristen nur maßgebend, wenn die unterzeichnete Urschrift des Schriftsatzes spätestens zehn Tage danach bei der Kanzlei eingereicht wird.

13 Im vorliegenden Fall ist die Urschrift der Klageschrift jedoch bei der Kanzlei des Gerichts erst am 17. September 2007 eingegangen, also erst nach Ablauf der in Art. 43 § 6 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von zehn Tagen. Nach dieser Bestimmung ist daher für die Frage, ob die Klagefrist gewahrt wurde, nur der Tag der Einreichung der unterzeichneten Urschrift, also der 17. September 2007, maßgebend. Es ist daher festzustellen, dass die Klageschrift erst nach Ablauf der Frist eingereicht worden ist.

14 In ihrem Schreiben vom 9. Oktober 2007 macht die Klägerin jedoch geltend, ihr müsse Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, da ein Zufall und unvorhersehbare Umstände vorlägen.

15 Nach der Rechtsprechung umfassen die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls im Sinne von Art. 45 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 53 auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, außer einem objektiven Element, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände bezieht, ein subjektives Element, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Insbesondere muss der Betroffene den Ablauf des eingeleiteten Verfahrens sorgfältig überwachen und zum Zweck der Einhaltung der vorgesehenen Fristen Sorgfalt walten lassen (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission, C-195/91 P, Slg. 1994, I-5619, Randnr. 32). Die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls sind somit nicht auf eine Situation anwendbar, in der eine sorgfältige und umsichtige Person objektiv in der Lage gewesen wäre, den Ablauf einer Klagefrist zu vermeiden (Urteil des Gerichts vom 16. März 2006, Telefon & Buch/HABM - Herold Business Data [WEISSE SEITEN], T-322/03, Slg. 2006, II-835, Randnr. 18; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juli 1984, Valsabbia/Kommission, 209/83, Slg. 1984, 3089, Randnr. 22, und Beschluss des Gerichtshofs vom 18. Januar 2005, Zuazaga Meabe/HABM, C-325/03 P, Slg. 2005, I-403, Randnr. 25).

16 Im Zusammenhang mit den Klagefristen ist zudem der Begriff des entschuldbaren Irrtums eng auszulegen und kann sich nur auf Ausnahmefälle beziehen, insbesondere auf solche, in denen das betreffende Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich allein oder aber in ausschlaggebendem Maß geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der alle Sorgfalt aufwendet, die von einer Person mit normalem Kenntnisstand zu verlangen ist, eine verständliche Verwirrung hervorzurufen (Urteil des Gerichts vom 29. Mai 1991, Bayer/Kommission, T-12/90, Slg. 1991, II-219, Randnr. 29, und Beschluss des Gerichts vom 11. Dezember 2006, MMT/Kommission, T-392/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17 Ein Kläger kann sich auch weder auf das mangelhafte Funktionieren seiner internen Organisation noch auf die Missachtung seiner internen Weisungen berufen, um damit darzutun zu versuchen, dass der ihm oder seinen Beschäftigten unterlaufene Irrtum entschuldbar gewesen sei oder dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorliege (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 1994, Bayer/Kommission, oben in Randnr. 15 angeführt, Randnr. 33, und vom 29. Mai 1991, Bayer/Kommission, oben in Randnr. 16 angeführt, Randnr. 35). Diese Rechtsprechung ist auf das mangelhafte Funktionieren der internen Organisation der den Kläger vertretenden Rechtsanwaltskanzlei entsprechend zu übertragen (Beschluss des Gerichts vom 31. Mai 2006, Yusef/Rat, T-2/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 15).

18 Im vorliegenden Fall ist dem Schreiben der Klägerin vom 9. Oktober 2007 zu entnehmen, dass die Postsendung, mit der die Urschrift der Klageschrift übermittelt werden sollte, von einer Mitarbeiterin des Rechtsanwalts der Klägerin nicht ausreichend frankiert worden war, was zu dem verspäteten Eingang der Urschrift der Klageschrift bei der Kanzlei des Gerichts führte, und dass die Sendung dem Absender erst nach Ablauf der in Art. 43 § 6 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von zehn Tagen zurückgesandt wurde. Insoweit genügt die Feststellung, dass nach der oben angeführten Rechtsprechung das mangelhafte Funktionieren der internen Organisation der die Klägerin vertretenden Rechtsanwaltskanzlei diesem Irrtum keinen entschuldbaren Charakter verleihen und keinen Zufall oder Fall höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs darstellen kann, der die Überschreitung der Klagefrist rechtfertigen könnte.

19 Was das Argument anbelangt, es beruhe auf Zufall, dass die die Urschrift der Klageschrift enthaltende Postsendung dem Absender von der Post mit ungewöhnlich langer Verzögerung zurückgesandt wurde, so dass die Klägerin die Sendung zur Wahrung der in Art. 43 § 6 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von zehn Tagen nicht erneut habe übermitteln können, so sind die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für die Feststellung des Vorliegens eines Zufalls oder eines Falls höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 Abs. 2 der Satzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Rücksendung der Postsendung an den Absender hätte nämlich durch eine ausreichende Frankierung der Sendung, wie sie eine sorgfältige und umsichtige Person vorgenommen hätte, vermieden werden können.

20 Nach alledem ist die Klage verspätet erhoben worden und als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne dass sie dem HABM zugestellt zu werden braucht.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Da der vorliegende Beschluss ergangen ist, bevor die Klageschrift dem HABM zugestellt wurde und ihm Kosten entstehen konnten, genügt es, der Klägerin gemäß Art. 87 § 1 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die PubliCare Marketing Communications GmbH trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 28. April 2008



Ende der Entscheidung

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