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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 10.03.1995
Aktenzeichen: T-395/94 R
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung Nr. 4056/86


Vorschriften:

EGV Art. 85 Abs. 3
EGV Art. 185
EGV Art. 186
Verordnung Nr. 4056/86 Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung ist danach zu beurteilen, ob eine vorläufige Entscheidung erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Die Partei, die die Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung beantragt, hat den Beweis zu erbringen, daß sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen Schaden zu erleiden, der schwere und nicht wiedergutzumachende Folgen hätte.

Wenn alle Bedingungen eines Marktes durch eine Entscheidung der Kommission im Bereich des Wettbewerbs geändert werden, die innerhalb einer relativ kurzen Frist anwendbar wird, dann besteht für die Adressaten der Entscheidung die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, soweit es zu bedeutenden Änderungen des Rahmens, in dem sich ihre Tätigkeit vollzieht, kommen wird. Dies kann, wenn der Vollzug der Entscheidung nicht ausgesetzt wird, auf dem Markt eine Entwicklung auslösen, die später, falls der Klage stattgegeben wird, nur sehr schwer rückgängig zu machen wäre. Umgekehrt kann die Aussetzung des Vollzugs die volle Wirkung der Entscheidung von dem Zeitpunkt an, zu dem die Klage gegebenenfalls abgewiesen wird, nicht hindern.

Die Abwägung der betroffenen Belange gebietet folglich, daß, wenn im übrigen die Voraussetzung des "fumus boni iuris" erfuellt ist, die Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung der Kommission angeordnet wird, deren sofortige Anwendung während der Dauer des Verfahrens zur Hauptsache nicht nur die Gefahr mit sich bringt, daß den Antragstellern ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht, der sogar zu ihrem Ausscheiden aus dem Markt führen kann, sondern auch die Gefahr, daß die Stabilität des Marktes beeinträchtigt wird.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 10. MAERZ 1995. - ATLANTIC CONTAINER LINE AB UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - SEEVERKEHR - VERFAHREN DES VORLAEUFIGEN RECHTSSCHUTZES - AUSSETZUNG DES VOLLZUGS - STREITHILFE - VERTRAULICHKEIT. - RECHTSSACHE T-395/94 R

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Fünfzehn Linienreedereien, die an einer Vereinbarung mit der Bezeichnung Trans Atlantic Agreement (im folgenden: TAA) beteiligt sind, haben mit Klageschrift, die am 23. Dezember 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung 94/980/EG der Kommission vom 19. Oktober 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags (IV/34.446 ° Trans Atlantic Agreement; ABl. L 376, S. 1).

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen ausserdem gemäß den Artikeln 185 und 186 EG-Vertrag die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung beantragt.

3 Die Kommission, der eine Verlängerung der zunächst bis zum 11. Januar 1995 eingeräumten Frist bewilligt wurde, hat ihre schriftlichen Erklärungen zu dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung am 20. Januar 1995 eingereicht.

4 Mit Schriftsätzen, die am 9. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben The Freight Transport Association Limited (im folgenden: FTA) und die Association des utilisateurs de transport de fret (im folgenden: AUTF) beantragt, als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

5 Die Streithilfeanträge sind den Parteien gemäß Artikel 116 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zugestellt worden.

6 Mit Telefax, das am 13. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen erklärt, daß sie sich nicht gegen die Streithilfeanträge der FTA und der AUTF wendeten. Mit gleicher Post haben sie beantragt, bestimmte Teile der Akten gemäß Artikel 116 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts vertraulich zu behandeln, nämlich bestimmte, in der streitigen Entscheidung erwähnte Zahlen, die Angabe der Höhe ihrer Verluste in Anhang 10 des Antrags auf einstweilige Anordnung und die in Anhang 16 dieses Antrags enthaltene Angabe der von ihnen in den Jahren 1991, 1992 und 1993 erzielten finanziellen Ergebnisse.

7 Mit Schreiben, das am 13. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission erklärt, daß sie gegen die Streithilfeanträge der FTA und der AUTF keine Einwände erhebe.

8 Mit Schreiben vom 19. Januar 1995 hat die Kanzlei des Gerichts der FTA und der AUTF mitgeteilt, daß ihnen durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichts gestattet worden sei, in der mündlichen Verhandlung über die einstweilige Anordnung mündliche Ausführungen zu machen, und daß ihnen eine Frist bis zum 26. Januar zur Einreichung ihrer schriftlichen Erklärungen gesetzt worden sei.

9 Mit Schriftsätzen, die am 20. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben The Hong Kong Shipowners' Association (im folgenden: HKSA), die Japanese Shipowners' Association (im folgenden: JSA) und die European Community Shipowners' Associations ASBL (im folgenden: ECSA) beantragt, als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Antragstellerinnen zugelassen zu werden. In ihren am 23. Januar eingereichten Erklärungen hat sich die Kommission gegen diese Streithilfeanträge gewandt. Die Antragstellerinnen haben dazu nicht Stellung genommen.

10 Mit Beschluß vom 15. Januar 1995 hat der Präsident des Gerichts den Streithilfeantrag der HKSA zurückgewiesen, weil diese kein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes glaubhaft gemacht habe.

11 Mit Schreiben vom selben Tag hat die Kanzlei des Gerichts der ECSA und der JSA mitgeteilt, daß der Präsident des Gerichts sie in Anbetracht des Inhalts ihres Antrags zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung über die einstweilige Anordnung zugelassen habe, damit sie ihr Interesse am Ausgang des Rechtsstreits darlegen könnten, und daß die Entscheidung über ihren Streithilfeantrag vorbehalten bleibe.

12 Mit Schreiben, das am 24. Januar 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat The European Council of Transport Users ASBL (im folgenden: ECTU) beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Antragsgegnerin zugelassen zu werden. Die Antragstellerinnen und die Kommission haben keine Erklärungen zu diesem Streithilfeantrag abgegeben. Mit Schreiben vom selben Tag hat die Kanzlei des Gerichts der ECTU mitgeteilt, daß der Präsident des Gerichts sie in Anbetracht des Inhalts ihres Antrags zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung über die einstweilige Anordnung zugelassen habe, damit sie ihr Interesse am Ausgang des Rechtsstreits darlegen könne, und daß die Entscheidung über ihren Streithilfeantrag vorbehalten bleibe.

13 Die Parteien haben am 27. Januar 1995 mündlich verhandelt.

14 Vor der Prüfung der Begründetheit des Antrags auf einstweilige Anordnung ist auf die Hintergründe des beim Gericht anhängigen Rechtsstreits einzugehen, wie sie sich aus den Schriftsätzen der Parteien und ihren Erklärungen in der mündlichen Verhandlung ergeben.

15 Die Antragstellerinnen sind die fünfzehn Linienreedereien, die die TAA geschlossen haben, nach deren Wortlaut sie gemeinsam für die Durchführung des internationalen containerisierten Linien-Seetransports im Transatlantikverkehr zwischen Nordeuropa und den Vereinigten Staaten von Amerika in Ost-West-Richtung und West-Ost-Richtung sorgen. Die TAA, die die früher bestehenden Linienkonferenzen ersetzte, trat am 31. August 1992 in Kraft. Der Vereinbarung sind seit ihrem Inkrafttreten vier neue Mitglieder beigetreten.

16 Die TAA gilt für verschiedene Aspekte des Seetransports. Sie enthält u. a. Regeln zur Festlegung der Frachtraten, über Servicekontrakte (nach denen sich ein Kunde verpflichten kann, während eines bestimmten Zeitraums eine Mindestmenge von Waren befördern zu lassen, wofür ihm ein untertariflicher Preis eingeräumt wird) und über ein Kapazitätsbewirtschaftungsprogramm (das das Transportangebot begrenzen soll, um die Stabilität des Marktes zu sichern).

17 Die TAA umfasst zwei Kategorien von Mitgliedern. Die Mitglieder der ersten Kategorie ("strukturierte Mitglieder") gehören den Ausschüssen an, die die Anwendung der Tarife und der Servicekontrakte kontrollieren. Diese Mitglieder haben alle bis auf zwei an den beiden Linienkonferenzen teilgenommen, die dem Abschluß der TAA vorausgegangen sind. Die Mitglieder der zweiten Kategorie ("nichtstrukturierte Mitglieder") gehören den genannten Ausschüssen nicht an und können unabhängige Servicekontrakte abschließen, was den "strukturierten Mitgliedern" nicht gestattet ist, sowie an den von den "strukturierten Mitgliedern" ausgehandelten Servicekontrakten teilnehmen, während diese an den von den "nichtstrukturierten Mitgliedern" abgeschlossenen Kontrakten nicht teilnehmen können.

18 Die TAA legt die Tarife für den Seetransport und den kombinierten Transport fest, der nicht nur den Seetransport erfasst, sondern auch den Landtransport von Waren, die von einem Binnenort zur Küste oder in umgekehrter Richtung befördert werden. Die für den kombinierten Transport geltenden Tarife, die sich für jeden Geschäftsvorgang auf einen einzigen Transportvertrag beziehen, decken also das Seetransportsegment und das Landtransportsegment ab.

19 Die TAA wurde am 28. August 1992 bei der Kommission angemeldet. Die Antragstellerinnen beantragten gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr (ABl. L 378, S. 4), ihnen eine positive Entscheidung über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages zu gewähren.

20 Mit Schreiben vom 24. September 1992 teilte die Kommission den Antragstellerinnen mit, daß sie die Vereinbarung auch anhand der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1017/68 des Rates vom 19. Juli 1968 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Strassen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 175, S. 1) prüfen werde.

21 In der Zeit vom 13. Oktober 1992 bis 19. Juli 1993 erhielt die Kommission zahlreiche Beschwerden wegen der Durchführung der TAA. Diese Beschwerden stammten von Exporteuren und Vereinigungen von Exporteuren, die in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässig und im Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika tätig waren, von mehreren europäischen Hafenbehörden sowie von Spediteuren und Vereinigungen von Spediteuren. In diesen Beschwerden wurden gegenüber der TAA verschiedene Vorwürfe wegen eines Verstosses gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages erhoben, wobei hinsichtlich der Festlegung der Tarife die Durchsetzung unangemessener Vertragsbedingungen und die künstliche Beschränkung des Transportangebots gerügt wurden.

22 Die Beschwerdeführer forderten die Kommission auf, einstweilige Maßnahmen gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4056/86 zu treffen. Nach Einleitung des in Artikel 23 der Verordnung vorgesehenen Verfahrens gab die Kommission diesen Anträgen nicht statt.

23 Mit Schreiben vom 10. Dezember 1993 stellte die Kommission den Antragstellerinnen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zu.

24 Im Anschluß an die Erörterungen, die im Laufe des Vorverfahrens stattgefunden hatten, meldeten die Antragstellerinnen am 5. Juli 1994 bei der Kommission eine geänderte Fassung der TAA mit der Bezeichnung Trans Atlantic Conference Agreement (im folgenden: TACA) an. Nach Vornahme mehrerer Änderungen trat diese neue Vereinbarung am 24. Oktober 1994 in Kraft und ersetzte die TAA. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kommission die Untersuchung dieser Vereinbarung noch nicht abgeschlossen.

25 Am 19. Oktober 1994 erließ die Kommission die streitige Entscheidung. In Artikel 1 dieser Entscheidung wird festgestellt, daß die Bestimmungen der TAA betreffend die Preisfestsetzungs- und Kapazitätsabsprachen Verstösse gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellen. In Artikel 2 der Entscheidung wird die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages und von Artikel 5 der Verordnung Nr. 1017/68 auf die in Artikel 1 bezeichneten Bestimmungen der TAA abgelehnt. Nach Artikel 3 der Entscheidung haben die in Artikel 6 aufgeführten Adressaten die in Artikel 1 genannten Verstösse abzustellen, und in Artikel 4 wird ihnen aufgegeben, künftig von jeder Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise, die den gleichen oder einen ähnlichen Zweck oder die gleiche oder eine ähnliche Wirkung wie die in Artikel 1 bezeichneten Vereinbarungen und Praktiken haben können, Abstand zu nehmen. Schließlich verpflichtet Artikel 5 der Entscheidung die Adressaten dazu, innerhalb von zwei Monaten die Kunden, mit denen sie im Rahmen der TAA Servicekontrakte geschlossen haben oder sonstige vertragliche Beziehungen unterhalten, zu unterrichten, so daß diese Kunden ° sofern sie es wünschen ° die Bedingungen dieser Verträge neu aushandeln oder die Verträge sofort beenden können.

Entscheidungsgründe

26 Gemäß den Artikeln 185 und 186 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der durch den Beschluß 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) geänderten Fassung kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

27 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen die Anträge auf einstweilige Anordnung im Sinne der Artikel 185 und 186 des Vertrages die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Maßnahmen müssen vorläufig in dem Sinne sein, daß sie der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgreifen dürfen.

Zu den Streithilfeanträgen

28 Angesichts der sowohl schriftlich als auch mündlich in der Verhandlung über die einstweilige Anordnung vorgetragenen Überlegungen ist festzustellen, daß alle Antragstellerinnen mit Ausnahme der HKSA, deren Antrag bereits zurückgewiesen worden ist, ein berechtigtes Interesse an einem Beitritt im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht haben. Zum einen ist nämlich darauf hinzuweisen, daß die streitige Entscheidung im Anschluß an ein Verfahren erlassen wurde, an dem sich die FTA, die AUTF und The European Shippers Council, der Mitglied der ECTU ist, als Beschwerdeführer beteiligt hatten. Zum anderen kann, wie sich insbesondere aus den mündlichen Erklärungen der JSA und der ECSA in der Verhandlung vom 27. Januar 1995 ergibt, die sofortige Anwendung der Entscheidung der Kommission dem ersten Anschein nach die Bedingungen für den Seeverkehr von und zu den europäischen Häfen beeinflussen.

29 Folglich sind die JSA und die ECSA einerseits und die FTA, die AUTF und die ECTU andererseits im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Antragstellerinnen und der Antragsgegnerin zuzulassen.

Zum Antrag auf Wahrung der Vertraulichkeit

30 Angesichts der Art der Unterlagen, für die eine vertrauliche Behandlung beantragt worden ist, ist es im Stadium des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gerechtfertigt, dem Antrag der Antragstellerinnen stattzugeben, da derartige Unterlagen dem ersten Anschein nach unter das Geschäftsgeheimnis fallen können.

Zum Antrag auf einstweilige Anordnung

Gegenstand des Antrags

31 In ihrer Antragsschrift beantragen die Antragstellerinnen die Aussetzung des Vollzugs der Artikel 1, 2, 3 und 4 der streitigen Entscheidung, soweit diese es ihnen untersagen, im Rahmen der kombinierten Transportdienste gemeinsam die Befugnis zur Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Gebiet der Gemeinschaft auszuüben. Sie beantragen ferner die Aussetzung des Vollzugs derselben Artikel der Entscheidung, soweit diese ihnen den gemeinsamen Abschluß von Servicekontrakten untersagen können, und schließlich die Aussetzung des Vollzugs von Artikel 5 der Entscheidung.

32 In der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 1995 hat die Kommission bestätigt, daß, wie sie bereits in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hatte, die streitige Entscheidung gemeinsame Servicekontrakte nicht als solche verbiete. Aufgrund dieser Erklärung haben die Antragstellerinnen anerkannt, daß ihr Antrag auf Aussetzung des Vollzugs in diesem Punkt gegenstandslos sei.

33 Zu Artikel 5 der Entscheidung haben die Antragstellerinnen erklärt, daß von den 463 bei der Bekanntgabe der Entscheidung laufenden Verträgen 27 über den 31. Dezember 1994 hinaus weitergegolten hätten. Nachdem die Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, daß, wie sie bereits in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hatte, nur diese 27 Verträge von dem in Rede stehenden Artikel erfasst würden, haben die Antragstellerinnen anerkannt, daß ihnen durch die sofortige Anwendung dieses Artikels kein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen könne.

34 Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist erstens festzustellen, daß über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Artikel 1 bis 4 der Entscheidung, soweit sie den Antragstellerinnen den gemeinsamen Abschluß von Servicekontrakten untersagen könnten, nicht entschieden zu werden braucht, zweitens ist der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs von Artikel 5 der streitigen Entscheidung zurückzuweisen, und drittens ist festzustellen, daß sich der Gegenstand des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung auf die Aussetzung des Vollzugs der Artikel 1 bis 4 der Entscheidung beschränkt, soweit diese es den Antragstellerinnen untersagen, im Rahmen der kombinierten Transportdienste gemeinsam die Frachtraten für die Landtransportsegmente im Gebiet der Gemeinschaft festzulegen.

Vorbringen der Parteien

° Zum Fumus boni iuris

35 Zur Voraussetzung des Fumus boni iuris machen die Antragstellerinnen unter Berufung auf die Klagegründe und Argumente, die sie in der Klageschrift angeführt haben, im wesentlichen geltend, daß die streitige Entscheidung mehrere Rechtsfehler aufweise, da sie unter Verstoß gegen Artikel 85 des Vertrages und die zu seiner Durchführung ergangenen Bestimmungen erlassen worden sei, und daß sie hinsichtlich des wirtschaftlichen Umfelds, in dem die TAA stehe, Beurteilungsfehler enthalte, die die Ursache der Rechtsfehler gewesen seien.

36 Der erste von den Antragstellerinnen angeführte Grund, mit dem ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages geltend gemacht wird, gliedert sich in zwei Teile. Die Antragstellerinnen machen geltend, daß die Kommission keine korrekte Abgrenzung des relevanten Marktes vorgenommen habe und daß sie nicht bewiesen habe, daß die TAA den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt habe.

37 Mit dem ersten Teil dieses Grundes tragen die Antragstellerinnen vor, daß der relevante Markt für den Landtransport von Containern, den sie im Rahmen des kombinierten Transports durchführten, derjenige des Seetransports sei, da die in Rede stehenden Dienste Bestandteil des Seetransports seien. Die Frachtraten für den Landtransport von Containern müssten deshalb im Rahmen der Verordnung Nr. 4056/86 und nicht, wie es die Kommission getan habe, im Rahmen der Verordnung Nr. 1017/68 untersucht werden. Sie führen weiter aus, daß der relevante Markt dann, wenn der fragliche Landtransport unter die letztgenannte Verordnung fallen würde, der Markt des Landtransports von Containern wäre. In diesem Fall hätten die beanstandeten Verhaltensweisen aber wegen des Anteils, den die Antragstellerinnen auf diesem Markt besässen, keine spürbaren Auswirkungen auf den Wettbewerb haben können.

38 Mit dem zweiten Teil des ersten Grundes machen die Antragstellerinnen geltend, daß die Kommission nicht bewiesen habe, daß die für den fraglichen Landtransport geltenden Bedingungen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigt hätten. Entgegen den Angaben der Kommission seien die Auswirkungen der TAA auf den Wettbewerb zwischen den Häfen unerheblich gewesen, und in der streitigen Entscheidung werde nicht dargelegt, inwiefern die TAA das Geschäftsgebaren der in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Landtransportunternehmen beeinflusst und somit den innergemeinschaftlichen Handel mit derartigen Diensten beeinträchtigt habe. Der Preis des Landtransports habe im übrigen nur sehr begrenzte Auswirkungen auf den Endpreis der beförderten Waren.

39 Als zweiten Grund tragen die Antragstellerinnen vor, daß im Gegensatz zu dem, was die Kommission entschieden habe, die Vereinbarungen über den kombinierten Transport, soweit sie das Landtransportsegment beträfen, von der Gruppenfreistellung nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 4056/86 erfasst würden. Sie weisen darauf hin, daß eines der Ziele dieser Verordnung die Sicherung der Stabilität des Seetransportmarktes sei, und tragen vor, daß die Kommission einen Fehler bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Umfelds begangen habe, da sie sich auf eine fehlerhafte Definition dieses Begriffes gestützt habe. Für die Kommission könne die Stabilität nur durch die Festlegung einheitlicher Frachtraten erreicht werden. Nach Auffassung der Antragstellerinnen ist aber das Bestehen mehrerer Raten für die Sicherung der Stabilität des Marktes erforderlich. Die TAA habe solche Auswirkungen gehabt, und sie habe demnach unter die in der Verordnung Nr. 4056/86 vorgesehene Freistellung fallen müssen. Ausserdem müsse diese Verordnung, die Regeln für den gesamten Seetransportsektor aufstelle, auf alle Tätigkeiten angewandt werden, die zu dieser Transportart gehörten. Unter Berufung auf mehrere Vorschriften dieser Verordnung, die sich auf den Landtransport beziehen, tragen die Antragstellerinnen vor, daß der Landtransport somit unter die Gruppenfreistellung nach Artikel 3 der Verordnung fallen könne. Die Auslegung der Kommission, nach der dieser Transport in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1017/68 falle, werde durch die Stellungnahmen mehrerer Mitgliedstaaten und Vereinigungen von Frachtnutzern während des Verfahrens widerlegt, das 1982 vor den amerikanischen Behörden stattgefunden habe und in dem diese anerkannt hätten, daß die Linienkonferenzen im Rahmen der kombinierten Transportdienste Frachtraten für die Landtransportsegmente im Gebiet der Vereinigten Staaten festlegen könnten.

40 Der dritte von den Antragstellerinnen angeführte Grund wird daraus hergeleitet, daß die Kommission für die TAA jedenfalls eine Einzelfreistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages oder, soweit er anwendbar sein sollte, gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 1017/68 hätte gewähren müssen, da die TAA die Stabilität des Marktes fördern könne.

41 Für den Fall, daß die Entscheidung der Kommission die Bedeutung haben sollte, daß die Möglichkeit unterbunden werde, im Rahmen der kombinierten Transportdienste die Frachtraten für die Landtransportsegmente durch eine andere Vereinbarung als die TAA festzulegen, die nicht die beiden Merkmale aufweise, die die Kommission im vorliegenden Fall zur Ablehnung einer Freistellung herangezogen habe ° nämlich daß die TAA wenigstens zwei Tarifniveaus festlege und daß sie eine Nichtnutzung von Kapazitäten vorsehe °, tragen die Antragstellerinnen hilfsweise vor, daß die Entscheidung wegen fehlender Begründung für nichtig erklärt werden müsse.

42 Die Kommission macht erstens geltend, daß die TAA den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt habe, da die Verkehrsunternehmen, soweit sie Kunden innerhalb des Gemeinsamen Marktes eine Dienstleistung anböten, auf dem Markt für diese Dienstleistung miteinander in Wettbewerb stuenden. Dieser Markt habe deshalb die Auswirkungen einer Vereinbarung zu spüren bekommen, die diesen Wettbewerb beschränkt habe. Zweitens vertritt die Kommission die Auffassung, daß die TAA keine Linienkonferenz im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung Nr. 4056/86 sei, weil die angewandten Frachtraten nicht für alle Verkehrsunternehmen gleich seien. Jedenfalls erfasse diese Verordnung nur den internationalen Seetransport und nicht die Landtransportsegmente der kombinierten Transportdienste; folglich könne die in ihrem Artikel 3 gewährte Freistellung nicht auf diese Dienste ausgedehnt werden. Drittens weist die Kommission darauf hin, daß die Gewährung einer Einzelfreistellung die Bewertung eines komplexen wirtschaftlichen Sachverhalts voraussetze, die den Vergleich zwischen den Interessen der Wirtschaftsteilnehmer, die die Freistellung beantragt hätten, den Interessen der anderen Wirtschaftsteilnehmer und dem Allgemeininteresse einschließe. Bei der Vornahme einer solchen Bewertung verfüge sie nach ständiger Rechtsprechung über einen weiten Ermessensspielraum. Liege kein offensichtlicher Fehler vor, könne das Gericht seine Bewertung nicht an die Stelle der Bewertung der Kommission setzen. Im vorliegenden Fall habe es keinen derartigen Fehler gegeben, sondern nur eine Bewertung der wirtschaftlichen Faktoren, die anders sei als die von den Antragstellerinnen vorgeschlagene.

43 Die FTA und die AUTF legen dar, daß die Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Rahmen der kombinierten Transportdienste nur unter die Vorschriften der Verordnung Nr. 1017/68 falle, da die Verordnung Nr. 4056/68 auf diese Transportart nicht anwendbar sei. Nach Auffassung der Streithelferinnen sind auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Einzelfreistellung nicht erfuellt, da die Vereinbarung die Verlader nicht angemessen am Gewinn beteilige.

° Zur Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens

44 Die Antragstellerinnen tragen vor, daß das Verbot, die Frachtraten für die Landtransportsegmente im Rahmen der kombinierten Transportdienste in Europa festzulegen, zum Zusammenbrechen der Tarife des gesamten Sektors führen würde, was ihnen einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen würde. Zur Begründung dieser Behauptung berufen sich die Antragstellerinnen auf das, was sich nach ihrer Darstellung in den Jahren 1982 und 1983 im Bereich des transatlantischen Verkehrs zugetragen hat. Infolge der Beschränkungen, die das amerikanische Recht für die Befugnis der Linienkonferenzen, die Frachtraten für die Landtransportsegmente im Rahmen der kombinierten Transportdienste festzulegen, vorgesehen habe, sei der Markt zusammengebrochen, was massive Verluste für die Verkehrsunternehmen und eine Störung der regelmässigen Seetransportdienste im Nordatlantik zur Folge gehabt habe. Ein von den Gemeinschaftsbehörden erlassenes Verbot der Festlegung dieser Tarife würde zwangsläufig dieselben Wirkungen haben, zu einer bedeutenden Senkung des Tarifniveaus führen und die Erbringung von Liniendiensten im Transatlantikverkehr zu einer für viele Unternehmen nicht durchführbaren Tätigkeit machen. Das Ergebnis wäre eine Verminderung der den Verladern angebotenen Dienste, was den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen würde. Diese Schäden könnten ihrer Art nach nicht wiedergutgemacht werden.

45 Die Antragstellerinnen weisen ausserdem darauf hin, daß die Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Rahmen der kombinierten Transportdienste in Europa eine seit mehr als zwei Jahrzehnten geltende Praxis sei. Unter Berufung auf den Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 11. Mai 1989 in den Rechtssachen 76/89 R, 77/89 R und 91/89 R (RTE u. a./Kommission, Slg. 1989, 1141) tragen sie vor, daß die Anwendung der streitigen Entscheidung während der Dauer des Verfahrens zur Hauptsache die Ursache einer unumkehrbaren Entwicklung des Marktes wäre, was für sie einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden darstellen würde.

46 Die ECSA und die JSA haben ebenfalls die Gefahr einer Wiederholung des Verfalls der Frachtraten, zu dem es 1982 gekommen sei, betont; ein solcher Verfall der Frachtraten würde zu ganz erheblichen Schäden führen und es nicht mehr gestatten, regelmässige Transportdienste zu erbringen.

47 Die Kommission bestreitet, daß die Anwendung ihrer Entscheidung den Antragstellerinnen einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen könne. Die Antragstellerinnen hätten nicht den Beweis für das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Entscheidung und der Gefahr eines Schadens erbracht. Den Antragstellerinnen stuenden Mittel zur Verfügung, mit denen sie eine solche Gefahr vermeiden könnten, insbesondere dadurch, daß sie die Festlegung von Frachtraten, die unter den tatsächlichen Kosten lägen, untersagten. Daß es den Verkehrsunternehmen nicht gelinge, die Einhaltung einer solchen Lösung durchzusetzen, sei ihr Fehler. Im übrigen habe die Kommission mit der Bekanntgabe ihrer Entscheidung eine Aufforderung an die Adresse der Antragstellerinnen verbunden, damit diese ihr neue Vereinbarungen über den Landtransport mitteilten, was sie nicht getan hätten. Jedenfalls sei der Verfall der Frachtraten, zu dem es in den Jahren 1982 und 1983 gekommen sei, die Folge der zu dieser Zeit rezessiven Wirtschaftskonjunktur gewesen, die durch den zweiten Ölschock gekennzeichnet gewesen sei. Gegenwärtig lägen ganz andere wirtschaftliche Bedingungen vor, und folglich bestehe keine Gefahr, daß sich die gleiche Situation wiederhole.

48 Die FTA und die AUTF bestreiten, daß die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bestehe, da das, was sich 1982 zugetragen habe, die Folge besonderer wirtschaftlicher Umstände gewesen sei, die insbesondere durch eine Krisenperiode hervorgerufen worden, aber gegenwärtig nicht festzustellen seien. Jedenfalls verhindere die Macht, die die Antragstellerinnen auf dem Markt ausübten und die durch die seit zwei Jahren beobachtete, fortlaufende Erhöhung der Frachtraten bewiesen werde, die Wiederholung einer solchen Krise. Selbst wenn ein Schaden einträte, würde er durch die Verletzung der Vereinbarung durch die daran beteiligten Verkehrsunternehmen verursacht; hierfür wären dann diese Unternehmen verantwortlich und nicht die Entscheidung der Kommission. Schließlich tragen die Streithelferinnen vor, daß die Abwägung der Interessen zugunsten der Benutzer dieser Dienste ausfalle, die alle Unternehmen seien, die in die Vereinigten Staaten exportierten und deren Kosten durch die in der TAA festgelegten, mißbräuchlichen Frachtraten und durch den seit zwei Jahren erfolgten beträchtlichen Anstieg dieser Raten erhöht worden seien.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

49 Was zunächst die Begründetheit der Klage anbelangt, so ist festzustellen, daß zumindest einige der von den Antragstellerinnen geltend gemachten Gründe auf den ersten Blick erheblich und jedenfalls nicht ohne Grundlage erscheinen. Dies gilt insbesondere für das Argument der Antragstellerinnen im Rahmen des ersten Grundes, daß die Kommission bei der Bestimmung des relevanten Marktes nicht den gesamten Container-Landtransport berücksichtigt habe, sowie für den hilfsweise vorgetragenen Grund, der sich auf die Frage bezieht, ob die Kommission die Schlußfolgerungen, zu denen sie im Rahmen der Untersuchung der TAA gelangt ist, in rechtmässiger Weise auf die TACA, die Vereinbarung, die auf die TAA gefolgt ist und die noch immer von den Dienststellen der Antragsgegnerin untersucht wird, angewandt hat. Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß im vorliegenden Fall dem ersten Anschein nach ein Fumus boni iuris gegeben ist.

50 Folglich ist zu prüfen, ob die andere Voraussetzung für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, nämlich die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, erfuellt ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 14. Dezember 1993 in der Rechtssache T-543/93 R, Gestevisión Telecinco/Kommission, Slg. 1993, II-1409, Randnr. 27) ist die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung danach zu beurteilen, ob eine vorläufige Entscheidung erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Die Partei, die die Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung beantragt, hat den Beweis zu erbringen, daß sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen Schaden zu erleiden, der schwere und nicht wiedergutzumachende Folgen hätte.

51 Dazu ist festzustellen, daß die Anwendung der Entscheidung der Kommission die unmittelbare Folge hätte, daß die Antragstellerinnen daran gehindert würden, eine Praxis ° die von den Verkehrsunternehmen gemeinsam vorgenommene Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Rahmen der kombinierten Transportdienste ° fortzusetzen, die in Europa seit Beginn der siebziger Jahre, jedenfalls aber seit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 4056/86, auf die sich die Kommission stützt, um diese Praxis für rechtswidrig zu erklären, angewandt wird.

52 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß die Antragstellerinnen sowohl in ihrer Antragsschrift wie auch in der mündlichen Verhandlung ernsthafte Anhaltspunkte für die Gefahr aufgezeigt haben, die sich aus der Unterbrechung dieser Praxis für das Funktionieren des Verkehrsmarktes ergeben könnte. Dies trifft insbesondere für das Vorbringen der Antragstellerinnen zu, daß es dann, wenn es ihnen nicht mehr möglich sei, gemeinsam die Frachtraten für diese Transportart festzulegen, zu einem allgemeinen Tarifverfall im Bereich des Seetransports kommen könne. Auch wenn sich die Antragstellerinnen und die Kommission nicht auf den genauen Prozentanteil des kombinierten Transports an dem gesamten Seetransport geeinigt haben, so ist doch nicht bestritten worden, daß es sich um einen Anteil handelt, der nicht zu vernachlässigen ist. Unter diesen Umständen ist es nicht ausgeschlossen, daß ein Preisverfall in diesem Marktsektor das allgemeine Tarifniveau wesentlich beeinflussen kann.

53 Weiter geht aus den Erklärungen der Antragstellerinnen, insbesondere aus denjenigen, die sich auf die wirtschaftlichen Merkmale des Seetransports beziehen, hervor, daß in einer solchen Situation die Gefahr bestehen würde, daß, wie bereits zu Beginn der achtziger Jahre auf dem Nordatlantikmarkt geschehen, bestimmte Verkehrsunternehmen Verluste anhäufen und vom Markt verschwinden.

54 Auch wenn man dem Vorbringen der Kommission, daß eine besondere Wirtschaftskonjunktur zu der Anfang der achtziger Jahre auf dem Markt des Transatlantikverkehrs festgestellten Krise geführt habe, nicht jede Erheblichkeit absprechen kann, so ist doch zum einen festzustellen, daß die damals geltende amerikanische Regelung hinsichtlich der Festlegung der Frachtraten für den kombinierten Transport konkrete Auswirkungen haben konnte, die wenigstens zum Teil die Ursache für diese Situation sein konnten. Zum anderen ist nicht auszuschließen, daß die streitige Entscheidung selbst ähnliche Auswirkungen haben kann.

55 Wie der Richter der einstweiligen Anordnung bereits entschieden hat, begründen solche Situationen, in denen alle Bedingungen des Marktes durch eine Entscheidung der Kommission geändert werden, die innerhalb einer relativ kurzen Frist anwendbar wird, für die Adressaten der Entscheidung die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, soweit sie bedeutende Änderungen des Rahmens, in dem sich ihre Tätigkeit vollzieht, mit sich bringen. Diese Änderung kann eine Entwicklung auf dem Markt herbeiführen, die später, falls der Klage stattgegeben wird, nur sehr schwer rückgängig zu machen wäre. Umgekehrt kann die Aussetzung des Vollzugs die volle Wirkung der Entscheidung von dem Zeitpunkt an, zu dem die Klage gegebenenfalls abgewiesen wird, nicht hindern (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes in der Rechtssache RTE u. a./Kommission, a. a. O., Randnrn. 15 und 18, und vom 13. Juni 1989 in der Rechtssache 56/89 R, Publishers Association/Kommission, Slg. 1989, 1693, Randnrn. 34 und 35, sowie Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 16. Juni 1992 in den Rechtssachen T-24/92 R und T-28/92 R, Langnese-Iglo und Schöller Lebensmittel/Kommission, Slg. 1992, II-1839, Randnr. 29, und vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache T-29/92 R, SPO u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2161, Randnr. 31).

56 Eine erste Untersuchung der von den Antragstellerinnen vorgetragenen Umstände lässt erkennen, daß eine nicht unerhebliche Gefahr besteht, daß eine Änderung des Rahmens, in dem sich ihre Tätigkeit vollzieht, wie sie mit der Anwendung der streitigen Entscheidung verbunden ist, zu einem allgemeinen Tarifverfall führt, der sogar die Regelmässigkeit des Seetransports beeinträchtigen kann. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung, die diesem Markt zukommt, könnte eine derartige Situation, falls sie tatsächlich eintritt, einen allgemeinen Schaden verursachen, dessen Bedeutung nicht geleugnet werden kann.

57 Nach alledem bringt die sofortige Anwendung der streitigen Entscheidung während der Dauer des Verfahrens zur Hauptsache nicht nur die Gefahr mit sich, daß den Antragstellerinnen ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht, sondern auch die Gefahr, daß die Stabilität des Marktes beeinträchtigt wird. Unter diesen Umständen führt die Abwägung der Interessen dazu, daß der Vollzug der Entscheidung auszusetzen ist, soweit sie es den Antragstellerinnen untersagt, im Rahmen der kombinierten Transportdienste gemeinsam die Befugnis zur Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Gebiet der Gemeinschaft auszuüben.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Die Japanese Shipowners' Association und die European Community Shipowners' Associations ASBL werden als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Antragstellerinnen zugelassen.

2) The Freight Transport Association Ltd, die Association des utilisateurs de transport de fret und The European Council of Transport Users ASBL werden als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Antragsgegnerin zugelassen.

3) Dem Antrag der Antragstellerinnen auf vertrauliche Behandlung bestimmter Teile der Akten wird stattgegeben.

4) Der Vollzug der Artikel 1, 2, 3 und 4 der Entscheidung 94/980/EG der Kommission vom 19. Oktober 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags (IV/34.446 ° Trans Atlantic Agreement) wird bis zur Verkündigung des Urteils des Gerichts zur Hauptsache ausgesetzt, soweit diese Artikel es den Antragstellerinnen untersagen, im Rahmen der kombinierten Transportdienste gemeinsam die Befugnis zur Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Gebiet der Gemeinschaft auszuüben.

5) Über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs, soweit er den gemeinsamen Abschluß von Servicekontrakten betrifft, braucht nicht entschieden zu werden.

6) Der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs von Artikel 5 der Entscheidung wird zurückgewiesen.

7) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 10. März 1995

Ende der Entscheidung

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