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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 25.10.1993
Aktenzeichen: T-41/93
Rechtsgebiete: Beamtenstatut


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 72 Abs. 1
Beamtenstatut Art. 90 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Wird eine im Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässige Klage gegenstandslos, weil die angefochtene Entscheidung durch eine neue Entscheidung ersetzt worden ist, die dem Kläger vollständig Genüge tut, erfolgt jedoch keine Klagerücknahme, so ist über die Kosten nach Artikel 87 § 6 der Verfahrensordnung zu entscheiden, wonach das Gericht, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, über die Kosten nach freiem Ermessen entscheidet.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 25. OKTOBER 1993. - B. GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - ERLEDIGUNG DER HAUPTSACHE. - RECHTSSACHE T-41/93.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt, Verfahren und Anträge

1 Der Kläger, Beamter der Kommission, ist insulinabhängiger Diabetiker. Da seine Krankheit von der Anstellungsbehörde einer schweren Krankheit gleichgestellt worden ist, werden ihm seine Krankheitskosten gemäß Artikel 72 Absatz 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) mit einem Satz von 100 % erstattet.

2 Der Kläger reichte am 13. Januar 1993 bei der Abrechnungsstelle des gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystems für die Organe der Europäischen Gemeinschaften einen Kostenvoranschlag über Zahnarztkosten für das Einsetzen von vier Kieferimplantaten sowie von vierzehn Zähnen oder herausnehmbarem Zahnersatz ein. Die Abrechnungsstelle genehmigte am 14. Januar 1993 den vom Kläger eingereichten Kostenvoranschlag, jedoch nur, was das Einsetzen von vierzehn Zähnen oder herausnehmbarem Zahnersatz betraf. Für die vier Kieferimplantate wurde keine Erstattung bewilligt. Ausserdem wandte die Abrechnungsstelle auf die Kostenerstattung für das Einsetzen von vierzehn Zähnen oder herausnehmbarem Zahnersatz den Satz von 80 % an, der für die Erstattung bei Zahnbehandlung und Zahnersatz in Abschnitt VI des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Sicherstellungsregelung) vorgesehen ist.

3 Der Kläger legte am 3. Februar 1993 gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Abrechnungsstelle vom 14. Januar 1993 ein. Er war der Ansicht, daß alle fraglichen Zahnarztkosten durch seine "schwere Krankheit" im Sinne von Artikel 72 Absatz 1 des Statuts und von Abschnitt IV des Anhangs I der Sicherstellungsregelung verursacht worden seien, und meinte, daß er gemäß diesen Bestimmungen Anspruch auf eine Erstattung zu 100 % habe. Da eine Antwort innerhalb der in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts vorgesehenen Frist von vier Monaten ausblieb, wurde die Beschwerde am 3. Juni 1993 Gegenstand einer stillschweigenden Zurückweisungsentscheidung.

4 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 9. Juni 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung

° der Entscheidung vom 14. Januar 1993, mit der die vollständige Erstattung der Zahnarztkosten für die vier Kieferimplantate abgelehnt wurde, sowie derjenigen, auf sämtliche in dem Kostenvoranschlag aufgeführten zahnärztlichen Leistungen nicht den Erstattungssatz von 100 % anzuwenden;

° falls erforderlich, der stillschweigenden Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde, die er am 3. Februar 1993 eingelegt hatte;

und auf Verurteilung der Kommission zur Tragung der Kosten.

5 Die Union syndicale-Bruxelles ist auf ihren Antrag, der am 22. Juni 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, durch Beschluß vom 14. Juli 1993 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Klägers zugelassen worden.

6 Auf Antrag des Klägers hat der Präsident der Vierten Kammer des Gerichts beschlossen, ihm bei allen Veröffentlichungen Anonymität zu gewähren.

7 Der Generaldirektor für Personal und Verwaltung richtete am 16. Juli 1993 ein Schreiben an den Kläger, in dem er diesem mitteilte, daß seiner Beschwerde stattgegeben worden sei. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut:

"Was die Erstattung für die Implantate angeht, so darf ich Ihnen mitteilen, daß ich nach Kenntnisnahme von der Stellungnahme Nr. 9/93 des Verwaltungsausschusses für die Krankheitsfürsorge vom 5. Mai 1993 entschieden habe, daß Ihnen ausnahmsweise, im Hinblick auf Abschnitt XV Nummer 2 des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften, eine Erstattung bewilligt wird. Diese Entscheidung ist insbesondere auf die Feststellung einer durch die schwere Krankheit bedingten absoluten Notwendigkeit der Implantate gestützt.

Hinsichtlich der anderen in dem Kostenvoranschlag genannten Kosten habe ich entschieden, daß Ihnen ein Satz von 100 % bewilligt wird, da auch sie durch die schwere Krankheit verursacht worden sind.

Die entsprechende Erstattung wird aufgrund eines Erstattungsantrags erfolgen, den Sie später stellen werden."

8 Die Kommission hat mit Schriftsatz, der am 30. Juni 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung gegen die Klage eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben und beantragt, über ihre Anträge vorab zu entscheiden.

9 Die Erklärungen des Klägers und die der Streithelferin zur Einrede der Unzulässigkeit sind am 6. September 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

10 Im Verfahren über die Einrede der Unzulässigkeit beantragt die Kommission,

° die vorliegende Klage wegen Gegenstandslosigkeit als unzulässig abzuweisen;

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

11 In seinen Erklärungen zur Einrede der Unzulässigkeit beantragt der Kläger,

° entweder das Verfahren auszusetzen oder eine Frist festzusetzen, damit die Kommission erklären kann, ob sie bereit ist, die Zinsen zu zahlen und die Kosten des Verfahrens zu tragen.

12 Die Streithelferin beantragt,

° das Verfahren nicht durch einen Beschluß über die Unzulässigkeit zu beenden.

13 Gemäß Artikel 114 § 3 der Verfahrensordnung wird über den Zwischenstreit mündlich verhandelt, sofern nichts anderes bestimmt wird. Das Gericht ist der Auffassung, daß es im vorliegenden Fall aufgrund der Prüfung der Akten ausreichend unterrichtet ist und daß es nicht erforderlich ist, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

Zum fehlenden Streitgegenstand

Vorbringen der Parteien

14 Die Kommission meint, da die Entscheidung vom 16. Juli 1993 den Forderungen des Klägers entsprochen habe, habe der Kläger kein Rechtsschutzinteresse mehr und die Klage sei daher gegenstandslos geworden. Die Kommission ist nämlich der Ansicht, daß sich der Begriff des Rechtsschutzinteresses auf das Interesse der Kläger daran beziehe, die sie beschwerenden Maßnahmen der Verwaltung im streitigen Verfahren anzufechten.

15 Der Kläger ist der Ansicht, daß er am Tag der Klageerhebung ein persönliches, bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Klage gehabt habe und daß die Zulässigkeit einer Klage nur in bezug auf den Tag ihrer Erhebung beurteilt werden könne. Er fügt hinzu, daß die Entscheidung vom 16. Juli 1993 ihn nur teilweise zufriedenstelle, da sie bestimme, daß "die entsprechende Erstattung... aufgrund eines Erstattungsantrags erfolgen [wird], den Sie später stellen werden". Der Kläger meint, daß die Anstellungsbehörde damit die Erstattung der Zahnarztkosten von dem Tag an, an dem sie verauslagt worden seien, auszuschließen scheine. Ausserdem weist der Kläger darauf hin, daß die Kommission weder in der genannten Entscheidung noch in ihrer Einrede der Unzulässigkeit erklärt habe, daß sie bereit sei, die Kosten zu übernehmen, die er habe tragen müssen. Der Kläger trägt abschließend vor, er werde nur bereit sein, die Klage zurückzunehmen, sofern die Kommission bereit sein werde, ihm Zinsen, berechnet zum Satz von 8 % pro Jahr, vom Tag der Zahlung der streitigen Zahnarztkosten an zu zahlen und die Kosten des Verfahrens zu tragen.

16 Die Streithelferin unterstützt das Vorbringen des Klägers und insbesondere auch seinen Antrag, das Verfahren nicht durch einen Beschluß über die Unzulässigkeit zu beenden.

Würdigung durch das Gericht

17 Die Sicherstellungsregelung sieht zwei Stadien in dem Verfahren vor, das es ermöglicht, die Erstattung der Kosten für bestimmten Zahnersatz und für Zahnregulierungen (Abschnitt VI des Anhangs I der Sicherstellungsregelung) zu erhalten. Gemäß Artikel 11 Absatz 1 dieser Regelung muß der Beamte zunächst bei der Abrechnungsstelle eine vorherige Genehmigung beantragen, indem er eine Schätzung der Krankheitskosten vorlegt. Wird diese Genehmigung erteilt, so muß der Beamte anschließend gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Sicherstellungsregelung einen Antrag auf Erstattung der verauslagten Kosten einreichen, dem die Originalbelege beigefügt sein müssen.

18 Im vorliegenden Fall ist das Gericht der Ansicht, daß der Kostenvoranschlag, den der Kläger am 13. Januar 1993 vorgelegt hat, einen Antrag auf vorherige Genehmigung im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 der Sicherstellungsregelung darstelle und daß daher die streitige Entscheidung eine Antwort auf diesen Antrag war. Die Entscheidung vom 16. Juli 1993, die die Erstattung aller in dem Kostenvoranschlag vom 13. Januar 1993 aufgeführten Zahnarztkosten ohne jede Ausnahme mit einem Satz von 100 % bewilligt, hat die streitige Entscheidung ersetzt.

19 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist, wenn die Entscheidung, die den Gegenstand der Klage bildet, durch eine neue Entscheidung ersetzt worden ist, die dem Kläger vollständig Genüge tut, der Gegenstand der Klage als entfallen zu betrachten. Unter diesen Umständen ist die Hauptsache erledigt (vgl. z. B. Beschluß des Gerichts vom 9. Juni 1992 in der Rechtssache T-81/91, Feltz/Parlament, Slg. 1992, II-1827; Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-28/90, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2285).

20 Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß die Entscheidung vom 16. Juli 1993 ihn nur teilweise zufriedenstelle, weil die Erstattung erst nach der Einreichung eines entsprechenden Antrags erfolgen werde. Denn nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe c der Sicherstellungsregelung muß ein Beamter, um eine Kostenerstattung für genehmigungspflichtige Leistungen erhalten zu können, einen Erstattungsantrag einreichen, nachdem er die vorherige Genehmigung erhalten hat. Der Kostenvoranschlag, den der Kläger am 13. Januar 1993 einreichte, stellte einen Antrag auf vorherige Genehmigung dar. Die Wirkung der Entscheidung vom 16. Juli 1993 bestand darin, die beantragte vorherige Genehmigung zu erteilen, und sollte den Kläger somit völlig zufriedenstellen.

21 Ausserdem kann der Umstand, daß die Entscheidung vom 16. Juli 1993 keine Zahlung von Zinsen an den Kläger vorsieht, nicht zur Folge haben, daß die Klage ihren Gegenstand behält, da sie nur auf die Aufhebung der streitigen Entscheidung und keineswegs auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, den die Kommission dem Kläger durch den Erlaß der streitigen Entscheidung angeblich zugefügt hat.

22 In Anbetracht dieser Umstände ist das Gericht der Auffassung, daß die Klage, die nach Erschöpfung des vorherigen Verwaltungsverfahrens und vor Erlaß der Entscheidung, die den Forderungen des Klägers entsprochen hat, erhoben worden ist, zum Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässig war, daß der Rechtsstreit aber durch die Entscheidung vom 16. Juli 1993 gegenstandslos geworden ist. Die Hauptsache ist daher erledigt.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Gemäß Artikel 87 § 6 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, über die Kosten nach freiem Ermessen.

24 Das Gericht stellt fest, daß die Beklagte nach der Erhebung der vorliegenden Klage und nach Ablauf der in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts vorgesehenen Fristen dem Kläger die Entscheidung vom 16. Juli 1993 mitgeteilt hat, die seiner Beschwerde stattgab. Ausserdem ist die Union syndicale durch Beschluß des Präsidenten der Vierten Kammer des Gerichts am 14. Juli 1993, also zwei Tage vor Erlaß der Entscheidung, die den Forderungen des Klägers entsprochen hat, als Streithelferin zugelassen worden.

25 Jedoch ist zu berücksichtigen, daß der Kläger seine Klage nicht zurückgenommen hat, nachdem ihm die Entscheidung vom 16. Juli 1993 Genüge getan hatte. Unter diesen Umständen hält es das Gericht für angemessen, daß der Kommission sämtliche Kosten einschließlich der Kosten der Streithelferin mit Ausnahme der Kosten, die dem Kläger und der Streithelferin seit dem 16. Juli 1993 entstanden sind und die sie selbst tragen müssen, auferlegt werden.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

beschlossen:

1) Die Hauptsache ist erledigt.

2) Die Beklagte trägt sämtliche Kosten einschließlich der Kosten der Streithelferin mit Ausnahme der Kosten, die dem Kläger und der Streithelferin seit dem 16. Juli 1993 entstanden sind und die sie selbst tragen müssen.

Luxemburg, den 25. Oktober 1993

Ende der Entscheidung

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