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Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: T-410/03
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 16. Dezember 2004. - Hoechst AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Streithilfeantrag - Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits - Kartell. - Rechtssache T-410/03.
Parteien:
In der Rechtssache T-410/03
Hoechst AG mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Klusmann und M. Rüba sowie V. Turner, Solicitor,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften , vertreten durch W. Mölls, O. Beynet und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C (2003) 3426 endg. der Kommission vom 1. Oktober 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWRAbkommen (Sache COMP/E1/37.370 - Sorbate), soweit sie die Klägerin betrifft, oder, hilfsweise, angemessener Herabsetzung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter F. Dehousse und D. váby,
Kanzler: H. Jung,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe:
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1. In ihrer Entscheidung C (2003) 3426 endg. vom 1. Oktober 2003 (Sache COMP/E-1/37.370 - Sorbate) (im Folgenden: Entscheidung) stellte die Kommission fest, dass mehrere Unternehmen durch ihre Beteiligung an einem Kartell auf dem Sorbatmarkt gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen hatten. Zu diesen Unternehmen gehörten die Hoechst AG (im Folgenden: Hoechst) und die Chisso Corporation (im Folgenden: Chisso) mit Sitz in Tokio (Japan).
2. Auf dieser Grundlage beschloss die Kommission, gegen die betroffenen Unternehmen Geldbußen festzusetzen. Bei der Festsetzung der Beträge wandte die Kommission zunächst die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 KS festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3), und dann ihre Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4) an.
3. Für ihre Beteiligung an dem Kartell wurde gegen Hoechst eine Geldbuße von 99 Millionen Euro festgesetzt (Artikel 3 Buchstabe b der Entscheidung). Diese Geldbuße spiegelte u. a. die führende Rolle in dem Kartell wider, die Hoechst gemeinsam mit der in Tokio niedergelassenen Firma Daicel gespielt haben soll (Randnrn. 363 bis 375 der Entscheidung). Die gegen Hoechst verhängte Geldbuße wurde wegen ihrer Mitarbeit an der Untersuchung allerdings um 50 % reduziert (Randnrn. 455 bis 466 der Entscheidung).
4. In Bezug auf Chisso war die Kommission der Ansicht, dass sie das erste Unternehmen gewesen sei, das im Rahmen der Untersuchung entscheidende Beweise geliefert habe. Ihr wurde daher vollständiger Schutz vor Geldbußen gewährt, weshalb keine Geldbuße gegen sie verhängt wurde (Randnrn. 439 bis 447 der Entscheidung).
Verfahren
5. Mit am 18. Dezember 2003 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hat Hoechst Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben, soweit sie sie betrifft, oder hilfsweise auf angemessene Herabsetzung der gegen sie festgesetzten Geldbuße.
6. Am 26. April 2004 hat Chisso beantragt, in der Hauptsache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.
7. Mit am 1. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat die Kommission erklärt, dass sie keine Bemerkungen zu dem Streithilfeantrag habe.
8. Mit am 15. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat Hoechst beantragt, den Streithilfeantrag zurückzuweisen und Chisso die Kosten aufzuerlegen.
9. Der Präsident der Fünften Kammer hat die Entscheidung über den Streithilfeantrag nach Artikel 116 § 1 Absatz 3 der Verfahrensordnung des Gerichts der Fünften Kammer übertragen.
Entscheidungsgründe
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
10. Chisso führt zunächst aus, dass die Klage die Aufhebung eines Beschlusses anstrebe, die sich speziell an sie selbst richte. Sie habe die Kommission freiwillig über die Existenz eines Kartells auf dem Sorbatmarkt informiert und ihr entscheidende Beweise hierzu geliefert. Allein dieser Punkt sei eine Angelegenheit, die ein hinlängliches Interesse begründe.
11. Zudem sei sie direkt am Vorbringen von Hoechst interessiert, wonach die Kommission einen Fehler begangen habe, als sie es unterlassen habe, Hoechst als erstes Unternehmen zu klassifizieren, das kooperiert habe. Chisso führt insoweit eine Reihe tatsächlicher Umstände an, aufgrund deren sie von der Kommission zu Recht als erstes Unternehmen klassifiziert worden sei, das kooperiert habe. Sollte sich das Gericht daher den Argumenten von Hoechst anschließen, so erfülle sie nicht mehr die Bedingungen für eine vollständige Immunität und für eine Verminderung der Geldbuße.
12. Nach Auffassung von Hoechst ist Chisso nicht Adressatin der ihr gegenüber ergangenen Entscheidung, die allein Gegenstand der vorliegenden Klage sei. Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass diese Entscheidung zugleich gegenüber Chisso und ihr selbst ergangen sei, so hätte Chisso kein berechtigtes Streithilfeinteresse. Denn wenn sie im Rahmen der vorliegenden Klage mit ihrem Vortrag obsiegte, würde die Änderung des Artikels 3 Buchstabe b der Entscheidung nichts an den übrigen Bestimmungen der Entscheidung, vor allem an denen, die Chisso beträfen, ändern. Insbesondere unter Bezugnahme auf den Beschluss des Gerichts vom 25. Februar 2003 in der Rechtssache T15/02 (BASF/Kommission, Slg. 2003, II213) macht Hoechst ferner geltend, dass der Kommission wegen des Strafklageverbrauchs eine neue sachliche Würdigung der in der Entscheidung behandelten Zuwiderhandlung verwehrt sei. Selbst wenn die Kommission die Entscheidung insbesondere Chisso gegenüber nochmals aufgreifen könnte, wäre deren Interesse an der Verhinderung dieser erneuten Prüfung jedenfalls kein unmittelbares und gegenwärtiges, sondern lediglich ein mittelbares und potenzielles Interesse.
Würdigung durch das Gericht
13. Nach Artikel 40 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes, der nach Artikel 53 Absatz 1 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, können alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines Rechtsstreits glaubhaft machen, dem Rechtsstreit beitreten; ausgenommen davon sind Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Gemeinschaftsorganen oder zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorganen.
14. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff des berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne dieser Bestimmung nach dem Gegenstand des betreffenden Rechtsstreits selbst zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Klageanträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder Argumenten. Denn unter dem Ausgang des Rechtsstreits ist die beim angerufenen Gericht beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des Urteils niederschlagen würde. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die angefochtene Handlung den Streithilfeantragsteller unmittelbar berührt und sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist. Ferner ist nach der Rechtsprechung zwischen Streithilfeantragstellern, die ein unmittelbares Interesse an der Entscheidung über die spezifische Handlung, deren Nichtigerklärung beantragt wird, glaubhaft machen, und solchen Antragstellern zu unterscheiden, die nur wegen Ähnlichkeiten zwischen ihrer Situation und der Situation einer der Parteien ein mittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft machen (vgl. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 17. Juni 1997 in den Rechtssachen C151/97 P[I] und C157/97 P[I], National Power und PowerGen, Slg. 1997, I3491, Randnrn. 51 bis 53 und 57, oben in Randnr. 12 zitierter Beschluss BASF/Kommission, Randnrn. 26 und 27, und Beschluss des Gerichts vom 4. Februar 2004 in der Rechtssache T14/00, Ulestraten, Schimmert en Hulsberg u. a./Kommission, Slg. 2004, II0000, Randnrn. 11 und 12).
15. Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass Hoechst beantragt, 1. die... Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Klägerin betrifft; 2. hilfsweise, die Höhe des... in der... Entscheidung auferlegten Bußgeldes angemessen herabzusetzen.
16. Zweitens ist zu bemerken, dass die Entscheidung, auch wenn sie in Form einer einzigen Entscheidung ergangen ist, als ein Bündel von Individualentscheidungen verstanden werden muss, mit denen festgestellt wird, welche Verstöße den Unternehmen, an die sie sich richten, zur Last gelegt werden, und mit denen diesen gegebenenfalls Geldbußen auferlegt werden, was im Übrigen durch den Wortlaut des verfügenden Teils der Entscheidung, insbesondere seiner Artikel 1 und 3, belegt wird (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 12 zitierter Beschluss BASF/Kommission, Randnr. 31, und die dort angeführte Rechtsprechung).
17. Drittens ist daran zu erinnern, dass, da der für die Nichtigkeitsklage zuständige Gemeinschaftsrichter nicht ultra petita entscheiden darf, die Nichtigerklärung nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen kann. Beschließt also einer der Adressaten einer Entscheidung, Nichtigkeitsklage zu erheben, so wird der Gemeinschaftsrichter nur mit den Teilen der Entscheidung befasst, die diesen Adressaten betreffen. Diejenigen Teile, die andere Adressaten betreffen und die nicht angefochten worden sind, gehören dagegen nicht zum Streitgegenstand, über den der Gemeinschaftsrichter zu entscheiden hat (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 14. September 1999 in der Rechtssache C310/97 P, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., Slg. 1999, I5363, Randnrn. 52 und 53, und vom 15. Februar 2001 in der Rechtssache C239/99, Nachi Europe, Slg. 2001, I1197, Randnrn. 24 und 25).
18. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die absolute Verbindlichkeit des Nichtigkeitsurteils eines Gemeinschaftsgerichts zwar sowohl den Tenor als auch die ihn tragenden Gründe des Urteils erfasst, dass sie aber nicht die Nichtigkeit einer Handlung zur Folge haben kann, die nicht vor dem Gemeinschaftsrichter angefochten worden ist und die aus demselben Grund rechtswidrig sein soll. Die Berücksichtigung der Begründung, die die genauen Gründe für die vom Gemeinschaftsrichter festgestellte Rechtswidrigkeit erkennen lässt, hat nämlich nur den Zweck, die exakte Bedeutung dessen zu bestimmen, was im Tenor entschieden worden ist. Ein Grund eines Nichtigkeitsurteils kann keine Verbindlichkeit für Personen haben, die nicht Partei des Verfahrens waren und für die das Urteil daher keine wie auch immer geartete Entscheidung enthalten kann (vgl. oben in Randnr. 17 zitiertes Urteil Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., Randnrn. 54 und 55).
19. Demnach würden die Bestimmungen der Entscheidung, die Chisso betreffen, nicht durch ein Urteil des Gerichts berührt, mit dem die Entscheidung in Bezug auf Hoechst für nichtig erklärt oder die Höhe der gegen Hoechst festgesetzten Geldbuße geändert würde.
20. Chisso hat daher nur insoweit ein Interesse daran, dass die Anträge von Hoechst in der Hauptsache zurückgewiesen werden, als die vorerwähnte Nichtigerklärung oder Änderung, die die Richtigkeit der sie betreffenden Feststellungen und Beurteilungen in der Entscheidung in Frage stellen würde, die Kommission möglicherweise veranlassen könnte, den ihr gewährten vollständigen Schutz vor Geldbußen aufzuheben.
21. Selbst wenn man unterstellt, dass die Kommission die Bestimmungen der Entscheidung, die den Schutz von Chisso vor Geldbußen festlegen, ändern könnte, so würde doch das vorstehend in Randnummer 20 genannte Interesse kein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse im Sinne der Rechtsprechung darstellen, sondern allenfalls ein mittelbares und potenzielles Interesse. In einem solchen Fall könnte Chisso ihre Argumente im Übrigen immer noch im Rahmen einer Nichtigkeitsklage geltend machen, die sie beim Gericht gegen eine solche nachteilige Entscheidung der Kommission erheben könnte (vgl. in diesem Sinne oben in Randnr. 12 zitierter Beschluss BASF/Kommission, Randnr. 37).
22. Nach alledem kann das von Chisso geltend gemachte Interesse nicht als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Artikel 40 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes angesehen werden. Ihr Streithilfeantrag ist also zurückzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
23. Nach Artikel 87 § 1 der Verfahrensordnung wird über die Kosten im Endurteil oder in dem Beschluss, der das Verfahren beendet, entschieden. Da der vorliegende Beschluss das Verfahren in Bezug auf Chisso beendet, ist über die Kosten ihres Streithilfeantrags zu entscheiden.
24. Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Chisso mit ihrem Antrag unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag von Hoechst ihre eigenen Kosten und die Kosten von Hoechst im Zusammenhang mit dem vorliegenden Streithilfeverfahren aufzuerlegen. Da die Kommission insoweit keine Anträge gestellt hat, trägt sie ihre eigenen Kosten.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Fünfte Kammer)
beschlossen:
1. Der Streithilfeantrag wird zurückgewiesen.
2. Chisso trägt die Kosten von Hoechst im Zusammenhang mit dem Streithilfeverfahren sowie ihre eigenen Kosten.
3. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Streithilfeverfahren.
Ende der Entscheidung
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